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Jeremias Gotthelf

(1797-1854)

Der Besenbinder von Rychiswyl

Glücklich möchten alle Menschen werden. Wenn sie reich wären, würden sie auch glücklich sein, meinen die meisten, meinen, Glück und Geld verhielten sich zusammen wie die Kartoffel zur Kartoffelstaude, die Wurzel zur Pflanze. Wie irren sie sich doch gröblich, wie wenig verstehen sie sich doch auf das Wesen der Menschen und haben es doch täglich vor Augen.

Besen sind bekanntlich ein schreiendes Bedürfnis der Zeit. Derartige Bedürfnisse, die täglich und wöchentlich befriedigt sein wollen, gibt es viele in jedem Haus und allenthalben Menschen, welche es sich freiwillig zur angenehmen Pflicht machen, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Immer weniger achtet man der Personen, welche dieses tun, wenn man nur das Nötige kriegt und so wohlfeil als möglich. Ehedem war es nicht so: ehedem war das Besenmannli, das Eierfraueli usw. so gleichsam zur Familie gerechnet; es war ein festes Verhältnis, man kannte die Tage, an welchen diese Personen erschienen, je nachdem sie in Hulden standen, ward ihnen etwas Absonderliches verabreicht, und fehlten sie um einen Tag, so entschuldigten sie sich das nächste Mal, sie hätten eine Sünde begangen, und sprachen von ihrem Kummer, man möchte vielleicht geglaubt, sie kämen nicht mehr, und sich daher anderweitig versorgt haben. Sie betrachteten ihre Häuser als die Sterne an ihrem Himmel, gaben sich alle Mühe, sie gut zu bedienen, und wenn sie mit diesem Gewerbe aufhörten oder sich selbst auf einen höheren Zweig beförderten, so gaben sie sich alle Mühe, einem Kinde, einer Base, einem Vetter oder sonst so wem zu ihrer Stelle zu verhelfen. Es war da ein gegenseitig Band von Anhänglichkeit und Vertrauen, welches leider in unserer kalten Zeit, wo alle Familienwärme sich immer mehr und mehr verflüchtet, immer lockerer und loser wird.

Ein solcher Hausfreund war der Besenmann von Rychiswyl, der viel in Bern zu sehen, so recht eigentlich aber in Thun angesehen und beliebt war. An kleineren Orten gestalten sich alle Verhältnisse viel inniger, einzelne Persönlichkeiten werden mehr bemerkt und gelten auch mehr. Eher hätte der Samstag im Kalender gefehlt, als an einem Samstag das Besenmannli in Thun. Es war nicht immer das Besenmannli gewesen, sondern lange, lange nur der Besenbub, bis man dahinterkam, daß der Besenbub Kinder hatte, die an seinem Karren schieben konnten. Sein Vater war ein ehemaliger Soldat gewesen und früh gestorben; der Bub war jung, seine Mutter kränklich, Vermögen hatten sie nicht, und betteln gingen sie nicht gerne. Eine ältere Schwester war schon früher ausgewandert, barfuß, und hatte bei einer Frau, die Tannzapfen und Sägemehl nach Bern trug, ein Unterkommen gefunden. Als sie sich ihre Sporen, das heißt Schuhe und Strümpfe verdient hatte, beförderte sie sich und ward Hühnermagd bei einem Pächter auf einem herrschaftlichen Gut in der Nähe der Stadt. Mutter und Bruder waren stolz auf sie und redeten mit Respekt von dem vornehmen Bäbeli. Hansli konnte die Mutter nicht verlassen, die mußte jemand haben, der für Holz sorgte und sonst half. Sie lebten von Gott und guten Leuten, aber schlecht.

Da sagte einmal der Bauer, bei dem sie in Miete waren, zu Hansli: »Bub, es dünkt mich, du solltest was verdienen, wärst groß und listig genug.« – »Wollte gern«, sagte Hansli, »wenn ich nur wüßte, wie?« – »Ich wüßte dir was, worin ein schöner Kreuzer Geld wäre; fang an, Besen zu machen! In meiner Weide ist Besenreis genug, es wird mir nur gestohlen, und kosten soll es dich nichts als alle Jahre ein paar Besen.« – »Ja, das wäre wohl gut, aber wo soll ich das Besenmachen lernen?« sagte Hansli. »Das ist kein Hexenwerk«, sagte der Bauer, »das will ich dich schon lehren, machte viele Jahre alle Besen, die wir brauchten, selbst und will's mit allen Besenbindern probieren. Das Werkzeug ist eine geringe Sache, und bis du's selbst anzuschaffen vermagst, kannst das meine brauchen.«

So geschah es auch, und Glück und Gottes Segen waren dabei. Hansli hatte großen Trieb zur Sache und der Bauer große Freude an Hansli. »Spar nicht, mach d' Sach recht! Mußt machen, daß du das Zutrauen bekommst; hast das einmal, so ist der Handel gewonnen«, mahnte der Bauer immer, und Hansli tat danach. Natürlich ging es im Anfang langsam zu, aber er setzte doch immer sein Fabrikat ab, und im Verhältnis, als es ihm besser von der Hand ging, nahm auch der Absatz zu. Es hieß bald, es habe niemand so gute Besen wie der Besenbub von Rychiswyl. Je augenscheinlicher der Erfolg wurde, desto größer ward auch Hanslis Eifer. Seine Mutter lebte sichtbar auf. Jetzt sei es gewonnen, sagte sie; sobald man sein ehrlich Brot verdienen könne, habe man Ursache, zufrieden zu sein, was wolle man mehr? Sie hatte nun alle Tage genug zu essen, gewöhnlich noch was übrig für den folgenden Tag, konnte alle Tage Brot essen, wenn sie wollte. Ja, es war schon geschehen, daß Hansli der Mutter ein weißes Mütschli (Weißbrot) heimgebracht aus der Stadt. Wie sie so wohl dran lebte und wie sie Gott dankte, daß er ihr in ihren alten Tagen ein solches Guthaben geordnet!

Hansli dagegen machte seit einiger Zeit ein sauer Gesicht, endlich fing er an zu muckeln, so könne es nicht länger gehen, so stehe er es nicht aus. Als ihn endlich der Bauer fragte, was das bedeuten solle und was er eigentlich meine, kam es heraus, daß er nicht imstande sei, die Besen zu tragen; auch wenn sie ihm der Müller zuweilen führe, so sei es ihm sehr unkommod, er sollte notwendig einen Karren haben, die Besen zu ziehen, das gehe leichter und er komme weiter. Er habe aber das Geld nicht dazu und wisse niemanden, der es ihm leihen würde. »Bist ein dummer Bub!« sagte der Bauer. »Hör du, werde mir nicht einer von denen, welche meinen, wenn ihnen was durch den Kopf schieße, müsse es angeschafft sein! So kann man das Geld brauchen und andern die Fische ins Netz jagen. Jawohl, du einen Karren kaufen! Mach einen!«

Mit offenem Maul und Augen, in denen das Weinen im Anzuge stand, sah Hansli den Bauer an. »Ja, mach einen, das bringst zweg, wenn du nur willst und Fleiß hast!« fuhr der Bauer fort. »Du kannst ziemlich schnitzeln, und was du nicht weißt, kann ich dich b'richten. Das Holz wird dich nicht viel kosten; was ich nicht habe, hat ein anderer Bauer, kannst Besen dafür geben. Zum Beschläg wird sich altes Eisen wohl auch finden in einer Kammer. Wir haben auch noch so ein altes Karrli irgendwo; wir wollen es hervorholen, kannst es meinethalben einstweilen benutzen. Der Winter ist vor der Türe, dann kannst drangehen, im Frühjahr ist's fix und fertig, und nicht manchen Batzen hast dafür ausgegeben. Kannst es vielleicht auch beim Schmied mit Besen machen, und vielleicht kann man es ohne Schmied auch machen, wer weiß.«

Jetzt machte Hansli wieder große Augen: er und einen Karren machen! »Was denkst, wie wollte ich das können, habe ja noch nie einen gemacht!« – »Du dummer Bub!« fuhr der Bauer auf; »einmal muß immer das erste sein, kuraschiert dran hin, so ist es halb gemacht. Glaub's, wenn die Leute das rechte Kurasch hätten, es säße mancher, der als Bettler herumläuft, im Gelde bis über die Ohren und nicht etwa gestohlenes, sondern rechtmäßig erworbenes.« Hansli hätte fast den Bauer fragen mögen, ob er Verstand habe oder keinen. Es kam ihm vor, als täte er ihm ein großes Unrecht an, so etwas ihm zuzumuten.

Indessen, der Gedanke ergriff doch Hansli; er ging sachte drauf ein, ungefähr wie ein Kind in kaltes Wasser. Der Bauer half, und im Frühjahr war der neue Karren fix und fertig, am Dienstag nach Ostern zog ihn Hansli zum erstenmal nach Bern, am Samstag darauf zum erstenmal nach Thun. Was Hansli für einen Stolz hatte und für eine Freude an seinem neuen Karren, davon kann sich schwerlich jemand eine richtige Vorstellung machen. Wenn man ihm auch den Ostermontagstier, der tags zuvor in Bern herumgeführt worden war und wohl seine fünfundzwanzig Zentner wog, zum Tausch angeboten, er hätte das Anerbieten mit großem Hohn von der Hand gewiesen. Es schien ihm, als stünden alle Leute still und schauten auf seinen Karren, und wo er zu Platz kommen konnte mit Reden, da zeigte er mit beredter Zunge alle Vorteile, die dieser Karren vor allen habe, welche bisher auf der Welt gewesen. Er behauptete mit großer Bestimmtheit, er gehe ganz von selbst; nur bergan müsse man etwas nachhelfen. Eine Köchin sagte, sie hätte nicht geglaubt, daß er so geschickt wäre; wenn sie einen Karren nötig hätte, er müßte ihr auch einen machen. Diese Köchin erhielt, so oft sie ihm Besen abkaufte, zwei ganz kleine Handbeselchen für den Herd obendrein; die sind sehr kommod für Köchinnen, welche auch die Ecken gerne rein haben. Das sind die, welche sich auch an den Werktagen waschen und sogar hinter den Ohren. So gar häufig sind die aber nicht.

Erst jetzt kam Hansli so recht in Eifer, sein Karren war ihm sein Bauernhof, und er war fleißig mit großer Freudigkeit, und Freudigkeit ist ganz was anderes als Verdrießlichkeit; sie verhalten sich zueinander wie ein scharfes und ein stumpfes Beil beim Holzhacken. Die Bauern in Rychiswyl hatten große Freude an dem Jungen. Es war keiner, der ihm nicht sagte: »Wenn du Reiser brauchst, so nimm nur in meiner Weid, aber schände mir die Birken nicht, und denk an mein Weibervolk, das braucht die Besen, es weiß kein Teufel, wieviel das Jahr durch.« Das tat denn auch Hansli und kam den Bäurinnen grusam gelegen. Für Besen hatte man kein Geld, das Männervolk sollte sie liefern. Nun weiß man, wie das geht, ist dasselbe ja oft zu faul zum Holzspalten, geschweige denn zum Besenmachen. So geschah es denn oft, daß die Weiber in große Besennot kamen, ja, daß der Hausfriede mächtig wackelte. Jetzt war Hansli da mit Besen, ehe man dran dachte, und sehr selten geschah es, daß eine Bäurin sagen mußte: »Hansli, vergiß uns nicht, wir sind am letzten?« Zudem waren die Besen gut, ganz anders als die, welche das Mannsvolk mit Unlust zusammengebaggelt, die auseinanderfuhren oder stumpf waren, als wären sie gemacht aus Haferstroh.

Diese Besen gab Hansli natürlich umsonst, und doch waren es nicht die wohlfeilsten, welche aus seinen Händen gingen. Nicht wegen der Birkenreiser, die er umsonst hatte, sondern wegen der Gaben, die sie ihm das Jahr durch eintrugen an Brot, Milch und allerlei derart Dinge, welche eine Bäurin zur Hand hat und nichts rechnet. Selten wurde an einem Ort gebuttert, daß es nicht hieß: »Hansli, morgen buttern wir, wenn du einen Hafen bringst, kannst Buttermilch haben.« Obst hatte er mehr, als er brauchte, und Brot brauchte er wenig zu kaufen.

So konnte es nicht fehlen, daß Hansli sich gut stand, denn er war sparsam. Wenn er an den Tagen, wo er in die Städte fuhr, einen Batzen brauchte, so war es viel. Am Morgen sorgte die Mutter dafür, daß er tapfer frühstücken konnte, dann steckte er meist noch etwas zu sich, hie und da kriegte er etwas in einer Küche, wo er wohlbekannt war. Endlich meinte er nicht, es müsse alsbald gegessen sein, wenn es einen gelüste. Hunger haben mache gar nichts, wenn man wisse, wann man zu essen bekomme, es dünke einen nur desto besser. Aber Hunger haben und nicht wissen, ob man je wieder etwas zu essen kriegt, das tue weh. Das wußte Hansli, daß, sobald er heimkam und seine Sachen versorgt hatte, er essen konnte bis genug, dafür sorgte die Mutter treulich.

Hansli war nicht geizig, aber sehr sparsam, für nützliche, anständige Sachen reute ihn das Geld nicht. In Essen und Kleidern wollte er, daß die Mutter es recht habe, er schaffte sich ein gutes Bett an, große Freude hatte er, wenn er ein schönes, gutes Messer oder ein ander Stück Werkzeug kaufen konnte. Er selbst kam brav daher, nicht kostbar, aber währschaft (dauerhaft). Wer ein gutes Auge hat, sieht es den meisten Menschen und Häusern an, ob es da auf- oder abgehe. Bei Hansli war das Aufgehen recht sichtbar, aber eben nicht in der Hoffart, sondern in der Reinlichkeit und Sorgfältigkeit. Daran hatten die Bauern große Freude und mochten es Hansli von Herzen gönnen, kam er doch nicht mit Stehlen zu seiner Sache, sondern durch Fleiß. Dabei ließ er vom Beten nicht, machte am Sonntag nicht Besen, ging in die Kirche des Morgens, las nachmittags der Mutter, deren Augen stark böseten, ein Kapitel vor und gönnte sich dann später wohl auch ein Privatvergnügen. Dieses bestand darin, daß er sein Geld hervorholte, es zählte und betrachtete und rechnete, wie es gemehret und wie es noch mehr mehren werde usw. Unter dem Geld waren schöne Stücke, überhaupt meist sauberes Silbergeld. Die größte Freude hatte er an blanken, neuen Silberstücken, den schönen Bernertalern mit dem Bären und dem stattlichen Schweizermann. Wenn er ein solches erhaschen konnte, war er manchen Tag glücklich.

Er hatte aber auch Verdruß und seine bitterbösen Tage. So etwa war es ein böser Tag für ihn, wenn er einen Kunden verloren hatte oder verloren glaubte, wenn er gerechnet hatte, in einem Hause ein Dutzend Besen abzusetzen, und mit dem Bescheid: »Sind schon versehen!« barsch abgewiesen wurde. Es war vielleicht eine neue Köchin eingezogen, und die wußte nichts vom bekannten Besenbub und ließ ihre harthölzige Stimme die Treppe herunter erschallen: »Wir brauchen keine!« Nun dachte Hansli nicht an die wahre Ursache, wußte nicht, daß man an Orten mit den Köchinnen wechseln muß wie mit den Hemden, manchmal fast noch öfter. Er meinte dann wunder, was er gefehlt, ob ein Besen nicht recht gebunden gewesen, ob er verleumdet worden? Er nahm's sehr zu Herzen, es irrte ihn im Schlafen, er ruhte nicht, bis er den wahren Grund vernommen. Später nahm er es aber auch kaltblütiger, selbst wenn eine Köchin, der er wohl bekannt war, ihn wegschnauzte. Er dachte, Köchinnen seien sozusagen auch Menschen, und wenn Herr oder Madame die Köchinnen schnauzten, weil sie die Suppe verpfeffert und die Sauce versalzen, dieweil ihr Schatz ins Land gegangen, wo der Pfeffer wächst, so hätte die Köchin auch Menschenrechte und könne wieder andere abschnauzen.

Doch noch bösere Tage machte ihm folgendes, und das lernte er nie kaltblütig nehmen. Seine Birken kannte er nachgerade alle, ja, für sich hatte er den Weiden und sogar einzelnen Bäumen bestimmte Namen gegeben, den schönsten Birken schöne Namen, Anne Mareili, Liseli, Röseli, Sternenblume usw. Diese Bäume freuten ihn das ganze Jahr über, er teilte die Lust, ihnen ihre Reiser abzunehmen, sich ordentlich ein, behandelte die Bäume mit Zärtlichkeit und brachte die Besen von diesen seinen liebsten Kunden. Das waren denn auch wirkliche Staatsbesen, die diesen Namen besser verdienten als mancher andere Besen. Wenn er aber dann voller Freude in die Weide kam und sein Röseli, seine Sternenblume waren von fremder Hand greulich gestumpet, der ganze Baum arg mißhandelt, dann tat es ihm im Herzen so weh, das Wasser lief ihm d' Backe ab, und vor Zorn ward allmählich sein Blut so heiß, daß man Schwefelhölzer daran hätte entzünden können.

Das machte ihm lange böse Tage, er konnte es nicht verwinden, er trachtete nach nichts, als den Frevler in die Finger zu kriegen, nicht wegen des Wertes der Reiser, sondern weil er ihm seinen Baum geschändet. Hansli war nicht groß, aber er wußte Kraft und Glieder wohl zu brauchen und hatte ein kuraschiertes Herz. Da war's, wo er der Mutter nicht gehorchte, wenn sie ihm um Gottes willen anlag, er solle doch die Sache vergessen, er habe ja Reiser genug, er solle ja nicht nach den Tätern trachten, sie könnten ihn töten oder sonst unglücklich machen. Aber dem allem frug Hansli nicht nach, er lauerte und strich herum, bis er jemanden kriegte. Dann gab's Schläge, und mächtige Kämpfe geschahen in den einsamen Weiden. Manchmal siegte Hansli, manchmal kam er zerzaust nach Haus. Aber das gewann er in alle Wege, daß man mehr und mehr seine Weiden in Ruhe ließ, wie es immer geht, wo etwas mit nachhaltiger Tapferkeit verteidigt wird.

So trieb es Hansli manches Jahr in ganz kurzweiliger Einförmigkeit, dachte gar nicht daran, daß es anders gehen könnte. Eine Woche ging ihm um wie der Zeiger an der Uhr, er wußte nicht, wie; ehe er sich's versah, war es Dienstag, wo er nach Bern fuhr; und kaum war der Dienstag zum Loch hinaus, war der Samstag da, wo er nach Thun mußte, er mochte wollen oder nicht, denn wie hätte man es in Thun machen sollen ohne ihn? Zwischendurch hatte er die Hände voll zu tun, seine Ladungen zu bereiten, Nachbarsleuten zu genügen. Unser Hansli war auch ein Mensch, und jeder Mensch, wenn er immer dazu kommen mag, hat gnädige und ungnädige Launen. Wer ihn leicht je getreten, der mußte es klug anfangen, wenn er Besen von ihm kriegen wollte. Der Frau Pfarrerin hätte er nicht für das doppelte Geld einen Besen abgelassen; sie mochte schicken, wann sie wollte, so war es ihm immer leid, daß er keine vorrätig hätte. Sie hatte ihm einmal gesagt, er mache es wie andere, er tue einige lange Reiser außen um, in der Mitte sei dann lauter kurzes Gstümpel. In diesem Falle komme es ja auf eins heraus, ob sie ihre Besen bei ihm oder bei jemand anders nehme, sagte er darauf, und dabei blieb er, und die Frau Pfarrerin starb, ehe sie wieder einen Besen von ihm bekommen hatte.

Eines Dienstags fuhr er wieder auf Bern mit schwerbeladenem Karren, mit den schönsten Besen von seinen liebsten Bäumen, von Röseli, Sternenblume usw. Er zog mit Mühe und schwitzte stark. Er dachte, es sei kurios, sein Karren gehe nicht mehr so von selbst wie anfangs, er müsse gar zu schlimm ziehen, es werde wohl irgendwo fehlen. Er hielt öfters an, um zu Atem zu kommen und die Stirne abzuwischen. Wenn er nur den Stalden (Steigung vor Bern) auf wäre, der mache ihm Kummer, dachte er. So hielt er auch still beim Murihölzli, gerade vor der Leubank (Ruhebank). Auf der saß ein Mädchen mit einem Bündelchen neben sich und weinte bitterlich. Hansli hatte ein gut Herz und fragte: »Was weinst?« Das Mädchen sagte, sie sollte in die Stadt, und es sei ihr so zwider, sie dürfe fast nicht. Ihr Vater sei ein Schuhmacher und habe seine beste Kundschaft in der Stadt. Da habe sie schon lange Schuhe hineingetragen und nichts anders gewußt. Jetzt habe es in der Stadt einen neuen Haschierer (Gendarmen) gegeben, gar e grusam bösen; der habe sie schon mehrere Dienstage, wenn sie zum Tore hereingekommen, schrecklich geplagt und ihr gedroht, wenn sie noch einmal komme, so nehme er ihr die Schuhe weg, und sie müsse ins Gefängnis; es sei verboten, Schuhe in die Stadt zu tragen und damit zu hausieren. Sie hätte sagen mögen, was sie gewollt, alles habe nichts geholfen. Sie habe den Vater gebeten, er solle sie nicht mehr schicken, aber der sei gar ein Exakter und Preußischer, der habe gesagt, sie solle nur gehen, er wolle dann schon sehen, wenn man ihr was tue. Aber was ihr das helfe? D' Sach hätte sie dann ausgestanden und die Schande gehabt, daß die Haschierer sie genommen.

Hans fühlte großes Mitleiden, besonders weil das Mädchen solch Zutrauen zu ihm hatte und ihm sein Leid geklagt, was es wohl nicht jedem getan.

»Meitschi, da ist dir z'helfe«, sagte er; »gib mir deinen Sack, ich kann ihn zwischen die Besen tun, daß ihn kein Mensch sieht. Ich bin wohlbekannt, da kommt keinem Menschen in Sinn, daß deine Schuhe zwischen meinen Besen sind. Kannst mir sagen, wo ich sie abgeben oder dir warten soll, und von weitem hinterdrein gehen, daß es keinem Menschen z'Sinn kommt, daß wir etwas miteinander hätten.« Das Mädchen machte keine Komplimente: »Wolltest?« frug es mit aufgeheitertem Angesicht. »Das ginge mir viel zu gut.« Es brachte den Bündel, und Hansli barg ihn, daß keine Katze was davon merken konnte. »Soll dir schieben oder helfen ziehen?« fragte das Mädchen, als ob es sich von selbst verstehe, daß es das Seine beitrage. »Wie du lieber willst, eigentlich wär's nicht nötig, gschweret hat's wegen der paar Schuhe nicht.«

Anfangs stieß das Mädchen hinten am Karren, doch nicht lange ging's, so war es vorne und zog an der Stange. Es zog brav, man kann sich's denken, und hatte doch noch Atem genug, zu reden und beiher von allem Bericht zu geben, was ihm im Kopf und auf dem Herzen lag. Sie waren oben am äußern Stalden. Hansli wußte nicht, wie; die lange Allee schien ihm um die Hälfte kürzer geworden zu sein. Hier blieb nach getroffener Abrede das Mädchen zurück, und Hansli zog mit Bündel und Besen unangefochten zur Stadt ein, unangefochten gab er dem Mädchen sein Bündel, aber ehe sie noch weiter miteinander gesprochen, ehe das Mädchen gedankt, wurden sie durch die Flut von Leuten, Vieh und Fuhrwerk auseinandergedrängt. Hansli mußte sorgen, daß sein Karren ihm nicht entzweigerissen würde. Somit war die Bekanntschaft aus. Es ärgerte Hansli nicht wenig, doch sann er der Sache nicht weiter nach, geschweige, daß er sie zu Herzen nahm. Wir können leider nicht sagen, das Mädchen hätte einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn gemacht, es war auch nicht danach. Es war ein vierschrötig Ding mit breitem Gesicht, seine größten Schönheiten war ein gutes, treues Herz und unermüdlicher Fleiß, diese Züge stechen aber gewöhnlich nicht besonders hervor, und viele halten nicht einmal viel darauf.

Am folgenden Dienstag jedoch, als Hansli wieder den Karren zog, kam er ihm sehr schwer vor; er hätte nicht geglaubt, sagte er zu sich selbst, was das mache, wenn zwei dran zögen statt nur eins. »Ist's wohl wieder da?« sagte er, als er gegen das Murihölzli kam. »Ich wollte ihm gerne sein Säckli nehmen, wenn es wieder ziehen hülfe; es geht ohnehin nirgends so sauer als von hier bis in die Stadt.« Und richtig, das Mädchen saß da auf der Leubank wie vor acht Tagen, weinen tat es aber nicht. »Hast mir wieder was zu laden?« frug Hansli, dem der Karren schon vom bloßen Sehen des Meitschi ganz leicht wurde.

»Es ist mir doch nicht bloß wegen diesem, daß ich da sitze; wenn ich schon nichts in die Stadt zu tragen gehabt, ich wäre gekommen«, antwortete das Mädchen; »konnte dir vor acht Tagen nicht einmal danken und fragen, ob's was koste.« – »Das fehlte mir noch, gingest mir ja für ein Handroß, und fragte dich auch nicht, was du fürs Ziehen wolltest.« Wie wenn es sich von selbst verstünde, brachte das Mädchen sein Bündel, Hansli barg es, und als ob es solches gelernt, stellte sich das Mädchen an die Stange. Es hätte erst gedacht, als es schon von Hause gewesen, es hätte einen Strick mitnehmen sollen, den man hinten am Wägeli hätte befestigen können, so könnte es viel mehr abbringen. Das andere Mal aber, wenn es komme, wolle es den Strick nicht vergessen. Dieses Bündnis in betreff gegenseitiger Hilfeleistung ging ohne weitläufige diplomatische Verhandlung zu, daß einfacher es wirklich kaum möglich war. Diesmal traf es sich, daß sie auch zusammen heimwanderten, so weit ihre Wege zusammengingen, doch so klug waren beide, daß die Haschierer sie nie zusammen im Tore sahen.

Die Mutter hatte seit einiger Zeit sonderbare Freude an Hansli. Es dünkte sie, er sei so aufgeheitert, sagte sie, er könne den ganzen lieben langen Tag pfeifen oder singen, und er putze sich heraus, es habe keine Art. Er habe sich letzthin eine halbleinene Kutte machen lassen, er komme darin so stattlich, nit viel gefehlt, wie der Landvogt. Sie möge es ihm aber auch gönnen, er sei so gut gegen sie, der liebe Gott im Himmel wolle es ihm vergelten, sie könne es nicht, sie könne nichts als für ihn beten. Es sei denn aber doch nicht, daß er alles an die Hoffart hänge, er habe Geld auch. Sie glaube gewiß, wenn der das Leben habe und Gottes Segen, der bringe es einmal zu einer Kuh, von einer Geiß habe er schon lange geredet, aber sie werde es nicht erleben, es sei auch nicht, daß sie so dran hange und meine, es müsse sein.

»Mutter«, sagte einmal Hansli, »ich weiß nicht, wie es geht, ob der Karren schwerer wird oder ich schwächer, ich mag ihn seit einiger Zeit fast nicht mehr allein z'regieren, es geht mir gar hart an, besonders nach Bern hinein, es geht da so viel bergauf.« – »Glaub's wohl«, sagte die Mutter, »warum ladest alle Wochen mehr auf, es grauste mir schon manchmal für dich, von wegen das gibt böse Alter. Dem ist aber gut zu helfen, lade drei oder vier Dutzend weniger, dann magst wohl gfahren wie ehedem.« – »Mutter, das kann ich nicht wohl«, sagte Hansli, »habe ohnehin fast immer zu wenig, und zweimal in der Woche zu fahren, habe ich nicht Zeit; Thun will ich auch nicht lassen, habe meine besten Leute dort.« – »Hansli, und wenn du sehen würdest, ein Eselein zu bekommen? Habe schon oft davon ghört, wie das die allerkommodsten Tiere seien, sie kosteten fast nichts, sie fräßen fast nichts und ganz unwerte Sachen, zöge trotz einem Roß, und sogar die Milch könnte man brauchen – nit daß ich möchte, aber nur so zu sagen.«

»Nein, Mutter«, sagte Hansli, »sie sollen auch bsunderbar störrisch sein, so daß man längst Stück nichts mit ihnen machen kann, und für was sollte ich es die fünf anderen Tage brauchen? Nein, aber Mutter, ich hätte an eine Frau gedacht, was sagt Ihr dazu?« – »Aber Hansli, warum nicht lieber an eine Geiß oder an einen Esel. Was dir nicht zSinn kommt! Was willst mit einer Frau machen?« – »He, Mutter, öppe was ein anderer«, sagte Hansli, »dann dachte ich, könnte sie mir helfen den Karren ziehen, es ginge mehr als einmal so leicht, wenn mir eine hülfe, und in der Zwischenzeit könnte sie pflanzen und helfen Besen machen, wo man weder eine Geiß noch einen Esel dazu anweisen kann.« – »Aber Hansli, meinst, du findest eine, die dir hilft den Karren ziehen und die für andere Sachen auch noch was nütze ist?« frug bedenklich die Mutter. – »O Mutter, es ist eine, welche mir schon oft geholfen hat, den Karren ziehen«, antwortete Hansli, »und die wäre noch für mehr Sachen gut; aber ob sie die Frau werden wolle, habe ich nicht gefragt. Ich dachte, ich wolle es Euch zuerst sagen.« – »Du Dillersbub, was du mir nicht sagst! Jetzt ist mir nicht mehr zu helfen!« rief die Mutter. »Was bist du auch so einer? Das hätte ich unserm Herrgott nicht geglaubt, wenn er es mir gesagt hätte. Was, eine hat dir am Karren geholfen, und hast sie expreß angestellt dafür? Nein, aber jetzt traue einer noch einem Menschen!«

Da erzählte Hansli die Umstände, wie das so zufällig sich getroffen, und wie das Meitschi sei, gerade wie für ihn gemacht, exakt wie eine Uhr, nicht hoffärtig, nicht vertunlich, und ziehen tue es, er wette, ein mittelmäßig Kuhli möchte es nicht. Geredet mit ihr derentwegen habe er nicht, aber er glaube, unwillkommen sei er ihr nicht. Sie habe oft gesagt, z'heiraten pressiere es ihr aparti nicht, aber wenn's zu machen gehe, daß sie es nicht noch böser habe müßte als jetzt, da besänne sie sich nicht lang und tät's. Sie wüßte doch dann auch, für was sie auf der Welt wäre. Die jüngeren Geschwister wüchsen nach, und sie wisse wohl, wie das gehe, die jüngeren seien immer werter als die älteren, und man danke es den älteren nicht, daß sie die jüngeren hätten nachschleppen müssen.

Das gefiel der Mutter nicht schlecht, und je mehr sie das Unerwartete verwand und über die Sache nachdachte, desto richtiger kam sie ihr vor. Sie legte sich auf Nachricht aus und vernahm: Schlechtes wisse man nicht von dem Meitschi; sie gehe den Eltern brav an die Hand; daneben z'fischen werde es da nicht viel geben. ›He nun, desto besser‹ dachte die Mutter, ›so hat doch keins dem anderen was vorzuhalten.‹

Als am Dienstag Hansli den Karren rüstete, sagte ihm die Mutter: »He nun, so red mit dem Meitli! Wenn sie will, mir ist's recht, aber nachlaufen tue ich ihr nicht, sie soll am Sonntag zu uns kommen, so kann ich sie g'schauen, und man kann miteinander reden. Einmal wird es doch sein müssen.« – »He Mutter, das steht nirgends geschrieben, daß es sein müsse; paßt's Euch nicht, so kann man es ja lassen«, entgegnete Hansli. »Stürm nur nit, und fahr du jetzt und sag dem Meitli, wenn sie mich für die Mutter halten wolle, so solle sie mir willkommen sein.«

Hansli fuhr und fand sein Meitschi, und als Hansli in der Stange, das Meitschi jetzt am Strick wacker zogen, sagte er: »Es geht doch mehr als d's Halb ringer, wenn zwei einander helfen und am gleichen Karren ziehen.« – »Habe es schon oft gedacht,« sagte das Meitschi, »es sei einfältig von dir, daß du nicht jemand anstellest; es ging dir alles halb so leicht, und der Verdienst wär größer.« – »Was willst«, sagte Hansli, »bald sinnet man zu früh auf eine Sache, bald zu spät, man ist halt nur e Mensch. Aber jetzt däucht es mich, ich möchte eine anstellen; wenn du wolltest, du wärst mir gerade recht. Ich wollte dich heiraten, wenn es dir recht ist.« – »He, warum nicht, wenn ich dir nicht z'wüst und z'arm bin«, antwortete das Meitschi. »Hast mich einmal, so nützt dich dann das Verachten nichts mehr. Ich werde es auch nicht viel besser treffen; irgendeinen bekommt man immer, aber dann was für einen? Mir bist brav genug, hast Sorg zur Sache und wirst e Frau nit für e Hund haben.« – »He, sie kann es haben wie ich, und ist ihr das nicht genug, so kann ich nicht helfen«, antwortete Hansli. »Aber ich denke, schlimmer als du's bisher gehabt, würdest du es bei mir nicht haben. Ist's dir recht, so sollst am Sonntag zu uns kommen, die Mutter läßt dir sagen, du sollest ihr willkommen sein, wenn du sie für die Mutter halten wollest.« – »He«, sagte das Meitschi, »was sollte ich anderes, bin's gewohnt, die Mutter für die Mutter zu halten, und es anzunehmen, wie es kommt, böser und minder böse, sauer und minder sauer. Habe nie geglaubt, ein böses Wort mache ein Loch, da hätte ich ja kein Stück Haut einen Kreuzer groß am ganzen Leib.«

Am Sonntag erschien das Meitschi richtig zu Rychiswyl. Hansli hatte es gut berichtet, so daß es nicht lange zu fragen brauchte, wo der Besenbinder wohne. Die Mutter examinierte es gut über Pflanzen und Kochen, wollte wissen, was es bete und ob es lesen könne im Testament und auch in der Bibel. Es sei für die Kinder bös, und die hätten sich dessen zu entgelten, wenn eine Mutter sich nicht darauf verstehe, sagte die Alte. Ihr gefiel das Meitschi, und die Sach ward richtig. »Eine Schöne hast nicht«, sagte sie vor dem Meitschi zu Hansli, »und wegem Reichtum wirst auch nicht viel zu rühmen haben. Daneben macht das nichts; von der Hübschi hat man nicht gelebt, und mit dem Reichtum ward schon mancher angeschmiert, daß er meinte, wie eine Reiche er habe, und hinterdrein konnte er dem Schwäher die Schulden zahlen. Wenn's gesunder Art ist und werkbar, so wird die Sache sich schon machen. Ein paar gute Hemder und eine doppelte Kleidung, daß du am Sonntag und Werktag nicht gleich daherkommen mußt, sondern dich anders anziehen kannst, wirst du wohl haben?« – »Bhütis ja!« sagte das Meitschi. »Wegen selbem braucht Ihr keinen Kummer zu haben. Ich habe ein ganz neues Hemd, zwei ganz gute und dann noch viere, die aber nicht mehr alles sind. Aber die Mutter hat gesagt, ich müsse noch eins haben, und der Vater hat gesagt, er wolle mir die Hochzeitsschuhe machen, und sie sollen nichts kosten. Dann habe ich noch eine bsunderbar gute Pate, die gibt mir allweg auch etwas Schönes, vielleicht gar ein Pfänneli oder ein Breitopfi, und wer weiß, ob's da nicht einmal was zu erben gibt? Sie hat zwar Kinder, aber die könnten sterben.«

Gegenseitig vollkommen befriedigt, besonders von des Mädchens Seite, dem die Wohnung, die sauber gehalten war, neben ihrem Schuhmacherloch voll Leder, Leisten und Kinder wie ein Palast vorkam, gingen sie auseinander, um bald wieder zusammenzukommen und zusammenzubleiben. So geschah es auch, Einspruch gab es keinen, die Vorbereitungen nahmen ebenfalls nicht Monate weg, neue Schuhe und ein neues Hemd sind bald gemacht, und nach vier Wochen zog Hansli zu zwei den Karren nach Thun, und kurios war es, der alte Karren ging wieder ganz leicht und wie von selbst. Er hätte nicht geglaubt, daß ein Karren sich so zum Guten ändern könnte, es könnte mancher Mensch an ihm ein Exempel nehmen.

Dem Hansli trauerte manches Mädchen nach und dachte bei sich: den hätte sie auch mögen; wenn sie geglaubt, dem pressiere es, so hätte sie ihm schon in den Weg kommen wollen, daß er das Plättergesicht nicht mit dem Rücken angesehen. Sie hätte nicht geglaubt, daß Hansli so dumm wäre, der hätte ganz anders weiben können, wenn er es gewußt hätte anzustellen; der werde noch reuig werden vor der nächsten Fastnacht, aber es sei ihm zu gönnen, »selber tan, selber han.« Aber Hansli war nicht so dumm und ward nicht reuig, er hatte grade ein Fraueli, wie es für ihn paßte, ein demütiges, arbeitsames, genügsames Fraueli, dem es bei Hansli war, als hätte es den Himmel erheiratet.

Gar lange freilich half sie dem Hansli den Karren nicht ziehen, der mußte bald wieder einspännig fahren. Aber als einmal ein Bube da war, tröstete er sich; ein bsunderbar munterer sei er, sagte er, im Hui sei der nachgewachsen, daß er ihm helfen könne, und unversehens ziehe er den Karren alleine. Sein Fraueli wollte zwar bald wieder sich einspannen. Wenn sie sich beeilten mit Heimkommen, so möge es der Bub wohl aushalten, die Großmutter gebe ihm unterdessen schon zu trinken, meinte es. Aber der Bub meinte es anders, wohl, der machte ihnen den Marsch. Sie hatte sehr pressiert mit dem Heimfahren, aber noch waren sie mehr als eine halbe Stunde vom Hause entfernt, als das Fraueli ausrief: »Mein Gott, was hört man?« Es waren Töne, als ob man ein junges Schwein am Messer hätte. »Mein Gott, was ist dort, was hat's gegeben!« rief wiederum das Fraueli, ließ den Karren fahren und lief davon. Es war die Großmutter, welcher der Bub mit Brüllen den Angstschweiß ausgetrieben und die sich nicht anders zu helfen wußte, als ihn der Mutter entgegenzutragen in tausend Ängsten, er falle in Krämpfe. Der schwere Bub, die Angst und das Laufen hatten die alte Frau außer Atem gebracht, daß es die höchste Zeit war, daß jemand ihr den Buben abnahm. Sie war außer sich, und lange ging's, bis sie sagen konnte: »Nein, so will ich nicht dabeisein, so einen habe ich mein Lebtag nie gesehen, lieber will ich den Karren ziehen.« Die guten Leute erfuhren es, was es heißt, einen Zwingherrn im Hause zu haben, wenn es auch nur ein kleiner war.

Das tat aber ihrem Haushalt keinen Abbruch, das Fraueli waltete verzweifelt brav daheim, pflanzte viel, half Besen machen, überstürzte nichts, aber tat immer was, als ob sie nie müde würde, und alles ging ihr flink von der Hand. Hansli war ganz verwundert, wie er gut zwegkam mit einer Frau und wie sein Geld sich mehrte. Er empfing ein Ackerli, die Mutter erlebte eine Geiß, als käme sie von selbst, und bald zwei. Ein Eseli wollte Hansli nicht, aber er mußte sich mit dem Müller, der in die Stadt fuhr, verbinden, um einen Teil seiner Besen führen zu lassen, was freilich den Profit etwas schmälerte und Hansli sehr reute, denn jeder Kreuzer tat ihm weh, der nebenausging.

Hanslis Leben gestaltete sich wiederum glatt und eben, die Tage folgten einander ungefähr wie die Wellen im Fluß, eine von der anderen kaum zu unterscheiden. Die Besenreiser wuchsen alle Jahre, seine Frau brachte fast alle Jahre ihm ein Kind, ohne daß es sie viel irrte. Sie bekam es, legte es ab, es schrie alle Tage ein wenig, es wuchs alle Tage ein wenig, und handumkehrt konnte man es schon brauchen. Die Mutter sagte, sie sei alt und habe das nie so gesehen. Sie mahnten sie an nichts besser als an junge Katzen, die nach sechs Wochen schon mausen könnten.

Und mit den Kindern war der Segen da, je mehr Kinder, desto mehr Geld. Ja, man denke, die Mutter erlebte die Kuh noch. Wenn sie aber nicht gesehen hätte, wie Hansli sie bezahlt, sie hätte sich kaum ausreden lassen, er habe sie gestohlen. Und hätte die Mutter noch zwei Jahre länger gelebt, so hätte sie erlebt, daß Hansli Eigentümer des Häuschens wurde, in welchem sie seit Jahren gewohnt.

Hansli lebte und schaffte im gleichen fort, vertat fast kein Geld, freute sich dann aber auch, daheim was Warmes zu finden, und tat sich daran gütlich. Es änderte sich nichts, als daß nach und nach die schaffenden Kräfte sich mehrten. Das Fraueli besaß, sich selbst ganz unbewußt, die merkwürdige seltene Kunst, die Kinder alsbald zu gebrauchen, sie sich selbst helfen zu lehren, jedes nach seinem Alter und das ganz ohne viel Redens, sie wußte selbst nicht, wie sie das machte. Ein Pädagog hätte sicherlich darüber kein vernünftig Wort von ihr herausgebracht. Sie warteten sich gegenseitig, halfen dem Vater beim Besenmachen, der Mutter trugen sie ab und zu, halfen beim Pflanzen, keines bekam eine Ahnung von der Süßigkeit des Müßigganges, des träumerischen Herumlungerns, und doch wurde keines strapliziert oder vernachlässigt. Sie wuchsen wie die Weiden am Bach, waren gesund und froh. Die Eltern hatten nicht Zeit, mit den Kindern Narretei zu treiben, aber die Kinder fühlten die Liebe der Eltern, sahen, daß sie mit ihnen zufrieden waren, wenn sie ihre Sache gut machten. Die Eltern beteten mit ihnen, und am Sonntag las der Vater sein Kapitel und erklärte, was er wußte, und derentwegen hatten die Kinder großen Respekt vor ihm, betrachteten ihn wirklich als den Hausvater, der mit Gott rede und, wenn sie nicht gehorchten, es Gott sage und dem Heiland.

Ja, unser Hansli war selbst unter andern Leuten als nur unter den Kindern eine Art Respektsperson. Er war so bestimmt, so zuverlässig, gescheite Worte gingen von ihm, man sah ihn niemals anders als ehrbar, er tat nicht groß, machte aber auch nicht den Bettler, daß gar manche vornehme Herrenfrau expreß in die Küche kam, wenn sie hörte, das Besenmannli sei da, um zu vernehmen, wie es auf dem Lande gehe und wie dies und wie jenes gerate. Ja, in manchem Hause in Bern vertraute man ihm das Liefern von Wintervorräten an, und das trug manchen schönen Batzen ein. In Thun war das wohl nicht der Fall, denn dort ist jede Frau Ratsherrin eine halbe Bäuerin. Aber sie kamen doch in die Küche, hießen ihn gar in die Stube kommen und verplapperten mit ihm manch trautes Halbstündchen bei süßem Thunerwein. Ja, sogar die Frau Schultheißin sprach mit ihm, es war sozusagen ihr zum dringenden Bedürfnis geworden, ihn alle Samstage zu sehen, und wenn sie mit ihm sprach, so war es sogar erlebt worden, daß der fragende Herr Schultheiß auf Antwort warten mußte. Von wegen es tut auch einer Frau Schultheißin wohl, einmal in der Woche ein vernünftig Wort zu hören und zu reden.

Da einmal geschah es, daß Samstag war in Thun, aber in Thun war kein Besenmannli zu sehen. Das gab großes Aufsehen und bedenkliche Gesichter. Manche Köchin stand unter der Tür mit eingestemmten Armen und ließ kaltblütig oben in der Küche Suppe und Pfanne ineinanderwachsen, daß man mit keiner Lieb' sie mehr auseinanderbrachte. »Hast ihn nicht gesehen, nichts von ihm gehört?« frug eine die andere. Manche Frau schoß in die Küche und wollte der Köchin abputzen, daß sie ihr nicht gerufen, als das Besenmannli dagewesen. Aber da fand sie keine Köchin, fand nichts, als was auf dem Feuer, das stank wie der Teufel, das war die Pfanne und die Suppe, die Hochzeit hielten. Selbst die Frau Schultheißin kam in Bewegung, nahm erst ihren Herrn, dann den Landjäger vor, und als beide nichts wußten, stieg sie nach dem Essen selbst ins Städtchen hinab, um nach ihrem Besenmannli zu fragen. Sie sei ganz aus mit Besen, habe in der folgenden Woche fegen wollen und jetzt keine Besen, man solle denken!

Aber das Besenmannli erschien nicht. Es war die ganze folgende Woche eine gewisse Leere fühlbar in der Stadt und am nächsten Samstag große Spannung. »Kommt er? Kommt er nicht?« war das Losungswort. Und er kam, er kam wirklich, aber besser wäre er daheimgeblieben. Wenn er auf alle Fragen hätte Antwort geben wollen, so hätte er acht Tage in Thun bleiben müssen. Er fertigte die Leute mit dem einfachen Bescheid ab, er hätte zu einem Begräbnis müssen. – »Wem?« frug ihn die Frau Schultheißin, die er nicht so kurz abfertigen konnte. »Meine Schwester‹, antwortete das Besenmannli. »Wer war sie, und wo wurde sie begraben?« frug die Dame weiter. Das Besenmannli antwortete kurz, aber wahr; da rief die Frau Schultheißin plötzlich aus: »Aber mein Gott! Was? Seid Ihr der Bruder von der Köchin, die so großes Aufsehen machte, weil es nach dem Tode des Herrn sich herausgestellt, daß sie seine Frau gewesen und ihn also beerbe, und die dann darauf plötzlich starb?« – »Gerade der bin ich«, antwortete Hansli trocken. – »Aber du meine Güte!« rief die Frau Schultheißin und schlug die Hände zusammen. »Fünfzigtausend Taler geerbt zum wenigsten und jetzt noch mit Besen im Lande herumfahren!« – »Warum nicht!« antwortete Hansli. »Habe das Geld noch nicht, und wegen der Taube auf dem Dach lasse ich den Spatz in der Hand nicht fahren.« – »Taube auf dem Dach!« rief unwillig die Frau Schultheißin. »Erst diesen Morgen haben ich und der Herr Schultheiß miteinander darüber geredet, und der sagte, d'Sach sei richtig, das Vermögen müsse dem Bruder zufallen.« – »He nun, desto besser«, antwortete Hansli. »Aber was ich fragen wollte, soll ich über acht Tage Besen bringen oder über vierzehn?« – »Abah Bese!« rief die Frau Schultheißin; »kommt herein, ich möchte sehen, was mein Herr für Augen macht.« – »Ich wär pressiert«, antwortete Hansli, »ich habe weit heim, und die Tage sind kurz.« – »Kurz oder nicht kurz, kommt!« befahl die Herrin, und Hansli mußte gehorchen, versteht sich.

Sie führte ihn nicht in die Küche, sondern ins Eßzimmer, befahl der Fanchette, oder wie die Kammermagd hieß, dem Herrn zu sagen, das Besenmannli sei da, und eine Flasche Wein zu bringen, und hieß das Mannli sitzen, wie auch das Mannli protestierte, er habe nicht Zeit und müsse weiter. Der Herr war da im Augenblick, setzte sich, schenkte sich auch Wein ein, machte Gesundheit, wünschte Glück, und Hansli mußte erzählen, wie er dazu gekommen. Er machte es kurz. Er könne nicht viel sagen, erzählte er. Bald, als die Schwester vorm Herrn gewesen (konfirmiert worden), sei sie fortgegangen um Arbeit. So sei sie von Platz zu Platz gekommen. Und daheim habe sie sich nie viel gekümmert, sei in der Zeit bloß zweimal heimgewesen und seit der Mutter Tode nie. Er habe sie wohl in Bern angetroffen, aber nie habe sie ihn heißen ins Haus kommen, wo sie gedient, nichts als den Gruß befohlen an Weib und Kinder und wohl gesagt, sie komme nächstens, aber es sei nie geschehen. Freilich sei sie nicht viel in Bern gewesen, sondern habe viel in Schlössern auf dem Lande herum gedient, sei auch im Welschland gewesen, wie er vernommen. Sie habe ein unruhig Blut gehabt und einen wunderlichen Kopf, und die blieben nie lange an einem Orte. Daneben war sie bsunderbar treu und fromm, man konnte ihr unbesorgt anvertrauen, was man wollte. Vor kurzem sei die Rede gegangen, seine Schwester habe einen alten, reichen Herrn geheiratet, der es den Verwandten zum Trotz getan, weil sie ihn schwer erzürnt, aber er habe der Sache nicht viel Glauben gegeben und ihr nicht nachgedacht. Da habe er plötzlich Bescheid bekommen, er solle alsbald zu seiner Schwester gehen, wenn er sie noch lebendig antreffen wolle, sie wohne im Murtener Gebiet; das habe er getan und sei noch früh genug gekommen, um sie sterben zu sehen, aber viel habe er mit ihr nicht mehr reden können. Als sie beerdigt gewesen, sei er wieder hergekommen, es habe ihm pressiert; seit er hause, habe er nie so viel Zeit versäumt.

»Du mein Gott«, sagte die Frau Schultheiß, »versäumt, wenn man dabei fünfzigtausend Taler erbt! Und wollet Ihr denn bei einem solchen Vermögen fortfahren Besen machen und damit hausieren?« – »He, das ist so, Frau Schultheißin«, sagte Hansli, »ich traue der Sache nicht recht, es dünkt mich, es sei nicht richtig, daß ich soviel erben sollte. Daneben sagt man mir, es könne nicht fehlen, und wenn die Zeit um sei, werde ich es frei und frank in die Hände bekommen. Nun, sei das, wie es wolle, so fahre ich einstweilen im alten fort. Wenn es fehlen sollte, müßten die Leute nicht lachen: ›Der hat schon gemeint, er sei ein Herr, und kann schön wieder an seinem Karren ziehen!‹ Habe ich einmal das Geld, werde ich es mit den Besen wohl lassen, obgleich es mich reut und mir nicht erleidet ist. Aber die Leute würden doch reden und ein Gespött haben, wenn ich es täte, und das mag ich auch nicht. Bauer sein ist auch eine schöne Sache, und wenn man Geld hat, wird schon ein Hof zu kaufen sein. Ich habe Gottlob ein Häuschen und Land fast für zwei Kühe, und bei meinem Fahren habe ich manchmal gedacht: ›Wäre ich nicht das Besenmannli, so möchte ich Bauer sein?‹, und vielleicht brächte ich es zweg, so einen mindern Hof zu kaufen, wo für alle meine Kinder zu arbeiten und zu essen genug wäre; fest kann man dann sitzen.«

»Aber ist das Vermögen in saubern Händen? Können da keine Gefährde getrieben werden?« frug der Herr Schultheiß. »Ich glaube, es sei sicher«, sagte Hansli. »Ich habe die, welche am meisten dran machen können, probiert. Ich habe ihnen Geld angeboten, wenn sie machten, daß ich zum Erben komme. Da haben sie gescholten und gesagt: ghörs mir, werde ich es erhalten, ghörs mir nit, mache man da nichts mit Geld, für die Kosten werde man mir seinerzeit die Rechnung machen. Da sah ich, daß die Sache am rechten Orte ist, und mag jetzt wohl warten, bis die Zeit um ist.« – »Nein aber«, sagte die Frau Schultheißin, »das ist mir unbegreiflich; das ist mir eine Kaltblütigkeit, die mich aus der Haut triebe, wenn ich Eure Frau wäre.« – »Die tut es nicht«, sagte Hansli, »bis ihr jemand sagt, wie sie wieder hineinkönnte.«

Diese Kaltblütigkeit und das Fortfahren mit den Besen versöhnte viele Leute mit dem sonst so gerne beneideten sogenannten Glücklichen, während andere es als Beschränktheit und Dummheit verhöhnten. Einige meinten, Hansli sei dumm, und wer gescheit sei, könne da was zu fischen kriegen. Sie liefen ihn an, suchten ihm angst zu machen und hintendrein mit dem Anerbieten ihrer Hilfe zu trösten. Andere wollten das Erbe ihm abkaufen, er kriege es doch nicht, sagten sie. Es gebe da Prozesse, deren Ausgang er nie erlebe; wo das Geld nehmen, um sie zu speisen? He, sagte Hansli, es sei alles ungewiß auf der Welt, einstweilen wolle er sich noch besinnen, es sei dann noch früh genug, zuzusehen, wenn die Sache sich stecken sollte.

Die Sache steckte sich aber nicht. Zur gesetzten Zeit erhielt er Bericht, er solle auf Bern kommen; d'Sach sei im reinen.

Als er als ein reicher Mann heimkam, weinte seine Frau gar mörderlich und himmelschreiend. Er mußte mehrmals fragen: »Was hat's gegeben, ist ein Unglück geschehen?« – »Jetzt«, sagte endlich die Frau, die je seltener sie weinte, um so schwerer zu sich selber kam, »jetzt wirst mich verachten, da du so reich bist, und denken, hättest nur eine andere! Ich tat, was mir möglich war, aber jetzt bin ich nichts mehr, ein alter Kratten. Oh, wenn ich nur schon unter der Erde wäre!« Da setzte sich Hansli auf den Vorstuhl und sagte: »Hör, Frau, du weißt, fast dreißig Jahre haben wir gehaushaltet im Frieden; was das eine wollte, wollte das andere auch. Geprügelt habe ich dich nie, ja, die bösen Worte, die wir uns gegeben, wären bald gezählt. Jetzt, Frau, fang mir nicht an, wüst zu tun und ein Neues anzufangen, es soll zwischen uns beim alten bleiben. Das Erb' kommt nicht von mir, es kommt nicht von dir, es kommt von Gott für uns beide und für unsere Kinder. Das kann ich dir sagen, und das soll fest sein wie ein Wort aus der Bibel, daß, sobald du mir noch einmal davon anfängst mit Heulen und ohne Heulen, so prügle ich dich mit einem neuen Seil, daß man dich am Bodensee kann schreien hören. Dabei bleibt's; jetzt mach, was du willst!«

Das lautete sehr bestimmt, bestimmter als damals der Briefwechsel zwischen Preußen und Österreich. Die Frau wußte, woran sie war, sie kannte Hansli, sie wärmte dieses Lied nicht mehr auf, es blieb unter ihnen beim alten. Sie zogen einträchtig am Karren, und der Karren blieb ganz leicht.

Hansli kaufte alsbald einen großen Hof, damit er für seine Kinder zu arbeiten und zu essen hätte. Aber ehe er als Besenmannli abtrat, machte er ein schön Stücklein: allen seinen Kunden brachte er ein Dutzend Besen als Geschenk ins Haus. Er sagte nachher oft und gewöhnlich mit Wasser in den Augen, das sei der Tag, den er am wenigsten vergessen könne; er hätte nie geglaubt, daß er den Leuten so lieb sei. Er behielt als Bauer den gleichen Fleiß und die gleiche Einfachheit, betete und arbeitete wie vorher, und doch wußte er zwischen Bauer und Besenbinder den Unterschied zu machen; daß der erste zu geben, der andere zu nehmen hatte, tat beides gleich unbeschwert. Er hatte längst gewußt, was einem Bauernhause wohl anstehe, das vergaß er nicht und führte es jetzt in seinem Hause aus. Was er gerne gehabt für sich, das tat er auch an andern.

Das gleiche Maß hielt er mit den Kindern, das war wohl der schwerste Punkt. Er wußte wohl, daß er sie jetzt etwas besser kleiden mußte als des Besenbinders Kinder, aber den ebenrechten Grad darin zu treffen, war nicht ganz leicht; nicht leicht war es, die Kinder zu befriedigen und es dem Publikum zu treffen, daß es nicht schrie über das Zuwenig oder das Zuviel. Hansli traf es nicht übel, und seine Frau stimmte ihm bei. Sie kleidete ihre Kinder dauerhaft und stattlich, meist in selbstgemachtes Zeug, aber er duldete nichts Auffallendes, in die Augen Schreiendes an ihnen. Er sagte ihnen oft: »Kinder, tut nicht groß, machet nie den Narren, sei es, mit was es wolle. Sobald eins von euch die Leute ärgert, sei es mit diesem oder jenem, so zählt darauf, ihr müßt von allen Seiten hören: ›Das mag wohl, es ist ja des Besenbinders Kind; der zöge noch am Karren, wenn er nicht geerbt. Es wäre mancher Reich, wenn er es erben könnte, das ist keine Kunst.‹ Ich schäme mich mein Lebtag dessen nicht, es kann mir ›Besenbinder‹ sagen, wer will, aber ich bin auch nicht hochmütig; werdet ihr es aber, so werdet ihr euch des Vaters und der Mutter schämen, und die Leute werden euch den Besenbinder vorhalten euer Leben lang. Darauf zählt!«

Die Kinder glaubten daran und taten danach. Indessen wollen wir nicht sagen, daß Eltern und Kinder alle Färbung ihrer früheren Lebensweise hätten abstreifen können und immer ganz fest und sicher auf dem neuen Boden umhergeschritten wären; das ist wohl unmöglich, und es braucht Generationen, um in einen neuen Stand hineinzuleben, und je ängstlicher man es will, je verlegener man tut, was jedoch bei unserm Besenbinder nicht der Fall war, desto weniger gelingt es.

Der liebe Gott ließ sie lange leben, er gab ihnen noch die Freude, zu sehen, wie brave Tochtermänner mit ihren Weibern wohlzufrieden waren und brave Söhnisweiber die Eltern um ihrer braven Männer willen liebten und ehrten, und wenn sie noch jetzt auf Erden wären, so würden sie sehen, wie die Familie Wurzel geschlagen, blüht und Früchte trägt unter den Ehrbaren des Landes, denn sie bewahrt noch jetzt die wahren Lebenskeime der Familie: Fleiß und Frömmigkeit, ein währschaft, kernhaft Wesen, das nicht alle Tage ein anderes wird, je nachdem der Wind geht und die Umstände wechseln.

Der Fund

Zu Müthigen war einmal einer, und der wollte berühmt werden für des Tüfels Gwalt, aber er wußte nicht, wie; einfallen wollte ihm gar nichts, und von ungefähr kam ihm auch nichts, und das ist bei solchen Wünschen gerade das Verfluchteste. Am reinen Berühmtsein an sich war ihm just nicht alle gelegen, aber er hatte einmal gelesen oder sonst gehört, daß Ehre auch Geld bringe, und mit dem Geld kauft man Brot, und gerade Brot wuchs ihm keins auf seinen Äckern. Das machte ihn fast wirbelsinnig und trieb ihn manchmal um, daß man ihn fast für den Sternenwirt ansah, dessen Geist seine Residenz im Kesselgraben hat und manchmal in der Umgegend spazieren tut.

So stolperte er einmal weg aus seiner Vaterstadt, die ihm verhext schien, weil ihm in derselben nichts in Sinn kommen wollte, stolperte eine ganze Stunde weit gegen Bürligen, wo er manchmal einen Kreuzer zu verdienen fand. Er haderte auf dem Wege mit Gott und Menschen und ärgerte sich selbst an sich, ärgerte sich zum Beispiel an seiner Nase, die von den größten und schönsten eine war, gerade von denen eine, die vornehmen Gesichtern so wohl anstehen und die doch nichts riechen wollte, an dem er hätte berühmt werden können. Sein Ärger ward immer größer, je mehr ihm das Wasser in den Stiefel drang, und zwar auch in den bessern, und ihm nicht einmal in Sinn kommen wollte, wie dem Wasser das Loch zu vermachen wäre, daß es nicht mehr in den Stiefel könnte. So rannte er voller Wut dahin, seine Nase einem Spieße gleich vor sich hinstreckend, bis sie endlich das Loch in ein Wirtshaus fand.

Kaum saß er dort hinter einem halben Schoppen Sechsbatzigen und hatte heimlich im Hosensack die drei Kreuzer abgezählt, als er über die verfluchten Wege loszuziehen begann, auf denen man nicht nur Hals und Beine riskiere, sondern sogar seine besten Stiefel ruiniere, aber man sehe wohl, es gehe alles zugrunde im Lande, und es wäre gut, wenn man dem bald einen Riegel vorschiebe. Er sollte doch nur nicht so aufbegehren, sagte ihm der Wirt, an dem schlechten Weg sei niemand schuld als seine Mitbürger. Ehedem hätten dieselben den Weg von Müthligen bis nach Bürligen machen müssen; seit sie ihn nicht mehr machen wollen, sei er so geworden.

»So, so! Wir haben also den Weg, der jetzt so verflucht ist, machen können?« fragte der Bürger von Müthligen, und Licht begann ihm zu dämmern im dunkeln Kopf, aber langsam. Als der Wirt ja sagte, schwieg er lange, und im Kopf dämmerte es ihm immer mehr, aber langsam. »Also wir, wir Müthliger haben das Recht gehabt, hierher den Weg zu machen?« fragte er noch einmal. Und als er seiner Sache sicher war, ward es noch heller in ihm, er forderte noch einen halben Schoppen, aber diesmal Achtbatzigen, und während er ihn trank, ward es ihm immer klarer, doch nur langsam, daß er endlich den so lange gesuchten Fund getan, den Fund, der ihn berühmt machen sollte bei Kindern und Kindeskindern und vom Trocknen in den Fettopf bugsieren. Er sann immer tiefsinniger der Sache nach, spürte auf dem Heimweg das Wasser im bessern Stiefel nicht, streckte seine Nase vor sich hin als wie eine, die etwas riecht, gebärdete sich, als wäre der König Salomo inkognito in seinem Leibe, aber sagen tat er niemand was.

Da versammelte sich eines Tages die Gemeinde. Von allen Schusterstühlen und Schneiderbänken erhoben die Meister sich, zogen die gebürsteten Röcke an, die Weiber taten ihnen die Halstücher um, und sie wanderten der Gemeinde zu, die einen nur mit wichtigen Gesichtern, andere aber gestikulierten nur mit den Händen.

Unser Mannli zog ganz still dahin, aber hoch hob der seine Beine, streckte weithin seine schweigsame und doch so vielsagende Nase und ließ in der Gemeinde an einem Ort sich nieder, wo er von vielen konnte gesehen werden. Daher sahen viele, wie der König Salomo in dessen magerem Leib sich bog und wand, akkurat, als ob er nur ein Wurmpulver wäre, aber Laut gab er nicht. Endlich, die Sitzung wollte zu Ende gehn, die bürgerliche Weisheit nahte sich dem Trocknen, endlich, da stand er auf, stand lange, sah erst auf seine Stiefel, hob dann die Nase und begann mit Anstand, doch langsam:

»Hochgeehrteste Herren, hochgeachtetste Mitbürger! Wenn man es nicht selbst erlebte, man glaubte gar nicht, in was für Zeiten wir lebten. Ich bin sonst nicht von denen einer, die alles aufstechen und in alles ihre Nase stecken, aber arg ist arg, ich gebe mich mit Verkleinern und Verdächtigen nicht ab, das verbietet mir mein Familienstolz, aber was recht ist, ist recht, und es wird nicht lange gehen, so werden die Steine anfangen zu schreien, und jeder wird ein Liedchen singen. Wir wissen, wie unsere Herren heißen, aber wie sie regieren, das, Ihr lieben Mitbürger, das ist eine wüste Sache, man sollte davon eigentlich schweigen, aber, wie gesagt, Steine und jeder würde schreien, wenn wir schwiegen. Wer sollte schweigen können, wenn unsere heiligsten Rechte verlorengehen, Rechte, die wir von unsern längst verscharrten Voreltern ererbt haben, die sich noch in ihren Gräbern umkehren würden, wenn sie wüßten, wie man mit ihren vererbten Rechten umgehen würde! Ihr wißt, mein Beruf führt mich viel auf das Land, von wegen sie lieben mich, die Bauern, weil ich ihnen so gemein vorkomme und mich recht gerne dazu verstehe, mit ihnen zu essen, sooft sie es mir anerbieten und was ihnen aufzustellen beliebt. Letzlich gehe ich auf Bürligen beim besten Wetter, hatte zum Glück meine besten Stiefel an. Meister Wix hat sie mir gemacht, von wegen ich lasse nur bei Bürgern arbeiten, wo noch mancher das Beispiel an mir nehmen könnte. Da fand ich einen himmelschreienden Weg, ein honetter Bürger kann sich so was nicht vorstellen, und hatte Wasser im Stiefel, ehe ich daran denke, und noch dazu im bessern. Ich konnte mich nicht enthalten, im Wirtshaus darüber einige Worte fallen zu lassen. Was sagte mir nun der Wirt, verehrteste Mitbürger, was sagte mir der? Ihr werdet mir kaum glauben, was er mir sagte, verehrteste Mitbürger, aber geht und fragt ihn, er wird Euch das gleiche sagen. Er sagte mir, ehedem hätte die Bürgerschaft von Müthligen das Recht gehabt, den Weg nach Bürligen zu machen, und damals seien die Wege gut gewesen, und trocknen Fußes hätten die Bürger ihrer Lust oder ihren Geschäften nachgehen können, ohne das Leben oder wenigstens ihre besten Stiefel zu riskieren. Dieses heilige, wichtige, ererbte Recht, den Weg nach Bürligen zu machen, ließen unsere Herren eingehen! Daran könnt Ihr Euch einen Begriff machen, wie gut sie es eigentlich mit der Bürgerschaft meinen. Sie werden dieses so wichtige Recht nicht wieder erlangen, dazu müssen's andere Männer sein. Ich will gar nichts gesagt haben, aber man wird sehen, wie es herauskömmt. Ich könnte darauf antragen, daß man eine Kommission einsetze, um der Herren Handlungsweise kennenzulernen, allein ich ziehe es immer vor, ohne Schluß zu schließen; aber es wird noch eine Zeit kommen, wo man einsehen wird, wer es eigentlich gut mit der Bürgerschaft meint.«

Als er so gesprochen hatte, sah er keck rundum, dann setzte er sich langsam.

Wer die Welt nicht kennt, würde geglaubt haben, der Mann hätte nur dem Dreck eine Ohrfeige gegeben oder hätte, um höflicher zu reden, in den Wind gesprochen; aber seine Worte wirkten, wenn auch nur langsam, und sein Fund war wirklich ein Fund. Das Vertrauen seiner Bürgerschaft entzündete sich an demselben, wenn auch nur langsam, denn so gewichtige Dinge sind schwer zu begreifen, half ihm in den Bürgerrat; hier erkannte man den seltenen Kabinettskopf immer besser, wenn auch nur langsam, aber jetzt ist die Zeit nahe, wo ihm das Zepter in die Hand fallen wird. Dann wird sein erstes sein, der Bürgerschaft zu allen ihren Rechten zu verhelfen, Wege zu machen und Galgen zu bauen für Kind und Kindeskinder. Und wo bürgerliches Gemeingut ist, Ketten, Winden, eichene Laden, Hölzer usw., da wird jeder Bürger, der den Verstand dazu hat, wieder zu dem Recht gelangen, zu nehmen, was ihm beliebt, und zum Hauptgrundsatz soll wieder werden, und zwar diesmal nicht langsam: ›Schweigst du mir, so schweig' ich dir.‹ Die Welt wird Dinge erleben.

Von alten Sitten

Im 17. Jahrhundert ungefähr war in einem Städtchen des Kantons Bern ein furchtbar zornmütiger Landvogt oder Schulthaiß. Wie der zornig sein konnte, hat man in unsern Zeiten keinen Begriff, höchstens im Tannwald die Holzer. Einst hatte sein Kammerdiener ein Versehen begangen, und der Herr Schultheiß kam in solche Hitze, daß er ihn erst schlagen wollte und, als derselbe sich retirierte, den Degen von der Wand riß und mit blankem Eisen den armen Schelm erst durchs Schloß und aus demselben durch das ganze Städtchen verfolgte. Zum Glück hatte der Kammerdiener noch weniger Braten gegessen als sein Herr, hatte leichtere Beine und konnte entrinnen.

Solches geschah in der Passionswoche. Man kann denken, wovon die Frau Basen und Gevattern, Rats- und Geleitsherren mehr redeten, vom Zorn ihres Herrn oder vom Leiden unseres Herrn. Am Freitag darauf, also am Karfreitag, gingen die Leute zur Predigt, und die Kirche war voll. Auch der Herr Schultheiß war darin; denn damals war niemand zu vornehm und niemand zu gelehrt zur Andacht und zum Gottesdienst. Schön predigte der Pfarrer vom Opfer Christi und seiner Liebe, der das eigene Leben für andere ließ, und wie wenig einer dieser Liebe wert sei, der einem, für welchen Christus auch gestorben sei, das Leben zu nehmen begehre, und um so weniger sei er dieser Liebe wert, wenn er gerade dazu eingesetzt sei, Christi Ordnung durch Beispiel und Tat aufrechtzuerhalten. Je höher einer stehe, um so mehr sei er seinen Brüdern schuldig, um so mehr fordere Gott von ihm. (Man wird diese Lehre altväterlich finden.) Sobald der Pfarrer also zu reden anfing, stund der Schultheiß auf, entblößte sein Haupt, trat aus seinem Stuhle vor. Solange der Pfarrer ihm Strafe predigte, und der tat es scharf und lang, stund er also, und erst, als dieser ablenkte, trat er zurück in seinen Stuhl.

Der Gemeinde war es anfangs katzangst geworden, sie dachte: wenn's den Schultheiß wieder ankomme und er mit seinem Degen auf den Pfarrer zum Dorf wolle, so könne dieser auf der Kanzel nicht davonspringen wie der Kammerdiener. Aber, wie gesagt, der Zorn kam diesmal den Schultheiß nicht an, sondern bloß Demut und Buße, und als die Predigt aus war, wartete draußen, den Weibel hinter sich, der Schultheiß dem Pfarrer und dankte ihm öffentlich, daß er ohne Ansehen der Person seine Pflicht getan, solche Roheit gezüchtigt und geredet, wie es sich einem Verkünder der Wahrheit gezieme. Er werde dafür sorgen, daß ein solches Ärgernis für die Gemeinde nicht mehr durch ihn gegeben werde.

Und es geschah nicht mehr.

Würden heutzutage auch Ärgernisse von oben herab kommen – die Möglichkeit ist wenigstens denkbar – und ein Pfarrer würde wiederum also predigen, was würde ein Regierungsstatthalter oder gar ein Schultheiß tun? Auch, was jener alte Landvogt? Ach Gott, wir leben in freien Zeiten, wo jeder tun darf, was er will, ohne daß man ihm sagen darf, was er ist!


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