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Man hat oftmals unter gelehrten und dem Hofdienste lebenden Männern die Frage aufgeworfen, ob eine preiswürdige Handlung oder eine ritterliche und edelmütige Tat, die ein Hofmann gegen seinen Gebieter übt, Edelmut und Ritterlichkeit genannt werden darf, oder ob es vielmehr nur Pflicht und Schuldigkeit ist. Und der Streit über diesen Gegenstand ist nicht ohne Belang: denn vielen steht es fest, daß der Diener seinem Herrn den ganzen Tag über nicht so viel leisten kann, daß er nicht noch weit mehr zu tun verpflichtet wäre. Denn wenn er etwa nicht die Gunst seines Königs besitzt und sie doch besitzen möchte (wie jeder Diener tut), – was darf er je zu tun unterlassen, wie schwer es auch sei, damit er die ersehnte Gnade erlange? Sehen wir nicht viele, die, um sich ihren Fürsten günstig zu stimmen, ihr eigenes Leben tausend Wagnissen, ja oft tausend Gefahren des Unterganges ausgesetzt haben? Wenn er sich nun in Gunst befindet und erkennt, daß er von seinem Fürsten geliebt wird, – wie viele Mühen und Beschwerden muß er dulden, um sich in Ansehen zu erhalten und die erworbene Gunst zu bewahren und zu erhöhen? Ihr wißt, es ist ein allgemeines Sprichwort, das ein geistreicher Dichter verherrlicht hat, daß Erworbenes erhalten keine geringere Tugend sei als das Erwerben selbst. Manche behaupten nun im Gegenteil und bemühen sich, es mit den stärksten Gründen zu beweisen, daß alles, was der Diener über seine Schuldigkeit tut und über die Verpflichtung hinaus, die er hat, seinem Herrn zu dienen, als freiwillige Leistung anzusehen sei, die geeignet ist, seinen Gebieter sich zu verpflichten und zu neuen Wohltaten zu ermuntern. Sie gehen von der Ansicht aus, daß, sooft einer sein Amt versieht, wozu er von seinem Herrn angewiesen ist, und es mit allem Eifer und in der Art tut, wie es sich gehört, er seiner Pflicht genügt hat und von ihm den gebührenden Lohn verdient. Doch da wir hier nicht beisammen sind zu disputieren, sondern zu erzählen, lassen wir nunmehr den Streit beiseite, und ich beabsichtige über das, was ein mannhafter König getan, euch eine Geschichte mitzuteilen. Wenn nach Beendigung derselben vielleicht jemand ausführlicher darüber zu sprechen geneigt ist, so bleibt ihm ja, dünkt mich, noch immer das Feld offen, um nach Herzenslust ein paar Sträuße zu bestehen.
Es lebte also im Königreich Persien einst ein König namens Artaxerxes, ein Mann von großem Mute und sehr geübt in den Waffen. Er war dem Berichte der persischen Geschichtsbücher zufolge anfangs nur ein gewöhnlicher Soldat, der keinen militärischen Rang im Heere führte, und brachte als solcher den Artaban, den letzten König der Arsaziden, um, unter dem er diente. Er gab den Persern auf etwa fünfhundertachtunddreißig Jahre die Herrschaft über Persien zurück, die nach dem Tode des Darius, den Alexander der Große besiegt hatte, in den Händen der Mazedonier und anderer Völker gewesen war. Nachdem er also ganz Persien befreit hatte und vom Volke zum König erwählt worden war, hielt er Hof mit Pracht und unter tugendhaften Handlungen. Er war äußerst glänzend in all seinem Tun und galt deswegen, neben dem in blutigen Schlachten mannhaft erworbenen Ruhm, im ganzen Morgenland für den edelmütigsten und großherzigsten König, der in seiner Zeit auf einem Throne saß. In seinen Gastmahlen war er ein zweiter Lukuli und ehrte hoch die Fremden, die zu ihm an den Hof kamen.
Dieser König hatte an seinem Hofe einen Seneschall mit Namen Ariabarzanes, dessen Amt es war, sooft der König öffentlich eine Mahlzeit veranstaltete, auf einem weißen Rosse mit einer goldenen Keule in der Hand den Knappen voranzureiten, die die Speisen des Königs in goldenen Gefäßen mit feinster Leinwand bedeckt trugen, und diese Tücher waren durchaus gestickt und mit Seide und Gold in der schönsten Arbeit durchwirkt. Dieses Amt des Seneschalls war sehr geachtet und wurde gemeiniglich einem der ersten Barone des Reichs übertragen. Der besagte Ariabarzanes nun war von der edelsten Abstammung und so reich, daß fast niemand ihm an Reichtum im Reiche gleichkam, und überdies der feinste und freigebigste Ritter, der an diesem Hofe lebte; ja, er machte oft so sehr den Großmütigen und gab so ohne Rückhalt weg, daß er die Mittelstraße verließ, worin alle Trefflichkeit besteht, oftmals zu den äußersten Punkten sich neigte und in das Laster der Verschwendung verfiel. Es hatte daher gar oft den Anschein, als wollte er in den Werken der Höflichkeit sich mit seinem König nicht nur auf gleiche Linie stellen, sondern er suche sogar mit aller Macht es ihm zuvorzutun und ihn zu übertreffen.
Eines Tages nun ließ sich der König das Schachbrett bringen und wollte mit Ariabarzanes eine Partie Schach spielen. In damaliger Zeit stand bei den Persern das Schachspiel im höchsten Ansehen, und ein guter Spieler war so geachtet wie heutzutage unter uns ein gewandter Kämpfer in wissenschaftlichen und philosophischen Streitigkeiten. Sie saßen also einander gegenüber an einem Tische im königlichen Saale, in dem sehr hohe Personen sich befanden, die ihrem Spiele aufmerksam und schweigend zusahen, und fingen an, so gut sie konnten, sich mit den Schachfiguren zu befehden. Ariabarzanes, sei es, daß er besser spielte als der König, oder daß der König nach wenigen Zügen die Aufmerksamkeit auf das Spiel verlor, oder was immer der Grund sein mochte, – Ariabarzanes brachte den König dahin, daß er nicht anders konnte, als daß er in zwei bis drei Zügen schachmatt werden mußte. Als der König dies merkte und die Gefahr einsah, matt zu werden, rötete sich sein Gesicht ungewöhnlich; er sann nach, ob nicht noch ein Ausweg möglich wäre, um die Niederlage zu vermeiden, und außer der Röte, die man in seinem Gesichte gewahr wurde, merkten alle Zuschauer des Spieles an seinem Kopfschütteln und an andern Gebärden und Seufzern, wie leid es ihm tat, so weit gekommen zu sein. Dem Seneschall entging das nicht, und er konnte den Anblick der ehrenvollen Beschämung seines Königs nicht ertragen; er machte daher einen Zug mit seinem Springer, der dem König so Bahn öffnete, daß er ihn nicht nur aus der Gefahr befreite, in der er schwebte, sondern noch einen Turm preisgab. So stand das Spiel wieder gleich. Der König kannte den Edelmut und die hohe Gesinnung seines Dieners, die er sonst schon hinreichend erprobt hatte, genau; er tat, als habe er nicht bemerkt, daß er den Turm nehmen könne, warf die Figuren um, stand auf und sagte: »Genug, Ariabarzanes! Das Spiel ist Euer, ich gebe mich überwunden.«
Es fuhr dem Artaxerxes durch den Sinn, Ariabarzanes habe dies nicht aus Großmut getan, sondern vielmehr, um sich seinen König zu verpflichten; das mißfiel ihm, und daher wollte er nicht mehr spielen. Doch ließ der König hernach weder in Winken noch in Handlungen noch in Worten sich anmerken, daß ihm diese Großmut seines Seneschalls mißfallen habe. Freilich hätte er allerdings gewünscht, daß Ariabarzanes sich solcher Handlungen enthalten hätte, wenn er mit ihm spielte oder sonst etwas mit ihm anfing; und wenn er den Großmütigen und Freigebigen machen wollte, so sollte er das gegen Untergebene oder Gleichstehende tun: denn es gefiel ihm nicht, daß ein Diener in Dingen der Großmut und Freigebigkeit sich auf gleiche Linie mit seinem Gebieter stellen wollte.
Es war einige Tage nach diesem Vorfall; der König befand sich in Persepolis, der Hauptstadt Persiens, und ordnete eine prächtige Jagd an nach Tieren, wie jene Gegend sie erzeugt, und die von den unsrigen sehr verschieden sind. Als alles in Ordnung gebracht war, begab er sich mit dem ganzen Hof an die Stelle der Jagd. Ein großer Teil des Waldes war umstellt von Netzen und gelegten Schlingen, der König verteilte das Personal seiner Jäger, wie es ihm geeignet schien, und ließ nun mit Hunden und Hörnern die Tiere aus ihren Höhlen und Löchern aufscheuchen. Plötzlich sprang ein wildes Tier sehr ungestüm und gewandt hervor, übersprang mit einem Satze die Netze und begab sich eiligst auf die Flucht. Der König sah das seltsame Tier und beschloß, es zu verfolgen und zu erlegen. Er winkte daher einigen seiner Barone, daß sie gemeinschaftlich mit ihm dem Tiere nachsetzten, ließ seinem Pferde die Zügel und schickte sich an, ihm nachzueilen. Einer der Barone, die mit dem König dem Tier nachsetzten, war Ariabarzanes. Es fügte sich, daß damals der König gerade ein Pferd ritt, das ihm wegen seines besonders schnellen Laufes so lieb war, daß er tausend von seinen andern drangegeben hätte, um dieses zu retten, und um so mehr, als es außer der Schnelligkeit seines Laufes für Gefechte und Waffentaten besonders geschickt war. Während er nun mit verhängtem Zügel das eilende oder eigentlich fliegende Tier verfolgte, entfernten sie sich weit von der Gesellschaft und beschleunigten ihren Lauf so sehr, daß der König nur noch den Ariabarzanes bei sich behielt, und hinter ihm folgte einer von den Seinigen, den er bei Jagden stets auf einem guten Pferde mit sich führte. Auch das Pferd des Ariabarzanes stand im Rufe eines der besten, die sich am Hofe befanden.
Nun begab es sich, als alle diese drei mit verhängten Zügeln dahinstürmten, da merkte Ariabarzanes, daß das Pferd seines Herrn an den Vorderfüßen die Eisen verloren hatte und schon die Steine anfingen, ihm die Hufe anzugreifen. So mußte also entweder der König seine Jagdunterhaltung einstellen, oder das Pferd mußte zugrunde gehen. Unter diesen beiden denkbaren Fällen war keiner, der nicht dem König äußerst unangenehm war, der übrigens noch nicht bemerkt hatte, daß das Pferd die Eisen verloren hatte. Sobald der Seneschall dies bemerkte, stieg er ab, ließ sich von dem nachfolgenden Diener, der für Notfälle mit dem Erforderlichen versehen war, Hammer und Zange geben und nahm seinem guten Pferde die zwei Vordereisen ab, um sie dem des Königs anzuschlagen, entschlossen, dann sein eigenes preiszugeben und die Jagd fortzusetzen. Er rief also dem König zu, stille zuhalten, und benachrichtigte ihn von der Gefahr, in der sein Pferd schwebe. Der König stieg ab; er sah die beiden Eisen, die der Diener des Seneschalls in der Hand hatte, achtete aber weiter nicht darauf oder meinte vielleicht, Ariabarzanes lasse welche für dergleichen Fälle mitnehmen, oder auch, es seien dieselben, die seinem Pferde abgefallen waren, und wartete, bis es bereit war, um wieder aufzusitzen. Da er aber das gute Pferd des Seneschalls ohne Vordereisen sah, merkte er sogleich, daß das eine der ritterlichen Höflichkeiten des Axiabarzanes war, und beschloß, ihn auf dieselbe Weise zu besiegen, wie er sich bemüht hatte, ihn zu übertreffen. Sobald also das Roß beschlagen war, machte er es dem Seneschall zum Geschenk. Der König wollte viel eher die Freude der Jagd verlieren, als von einem seiner Diener an Höflichkeit übertroffen werden; er berücksichtigte dabei den Hochsinn des Mannes, der mit ihm in ruhmvollen Taten und Hingebung wetteifern zu wollen schien. Dem Seneschall schien es nicht passend, das Geschenk seines Herrn zurückweisen zu wollen, sondern er nahm es mit demselben hohen Geiste hin, mit dem er seinem Roß die Eisen hatte abnehmen lassen, und erwartete immer eine Gelegenheit, seinen Gebieter an Höflichkeit zu übertreffen und sich ihn zu verpflichten. Es dauerte hernach nicht lange, so kamen viele von denen, die zurückgeblieben waren, ihnen nach; der König nahm ein Pferd von einem der Seinigen und kehrte mit seinem ganzen Gefolge nach der Stadt zurück.
Wenige Tage darauf ließ der König ein festliches prachtvolles Turnier ansagen auf den ersten Maitag. Der Preis, der dem Sieger verliehen werden sollte, war ein mutiges, edles Pferd nebst Zügel, dessen Gebiß von feinem Golde reich gearbeitet war, und einem Sattel vom höchsten Werte, und das übrige Reitzeug war im Verhältnis zum Zaum und Sattel; der Zaum bestand aus zwei sehr kunstreich gearbeiteten Goldketten. Das Pferd war ferner bedeckt mit einer Decke von Goldstoff mit Kantillen, ringsum mit sehr schönen gestickten Fransen, woran goldene Mispeln und Glöckchen hingen. Am Sattelbogen hing ein ganz feiner Degen, die Scheide ganz eingefaßt von Perlen und köstlichen Steinen von großem Werte, und auf der andern Seite sah man einen sehr schönen starken Stab befestigt, der auf Damaszener Art ganz meisterhaft gearbeitet war. Ferner lagen neben dem Pferde nach Art von Trophäen umher alle möglichen Waffen, wie sie ein Ritter im Kampfe braucht, so reich und schön, wie sie nur irgend zu finden waren. Der Schild war bewundernswürdig und stark; man konnte ihn nebst einer schönen goldenen Lanze sehen am Tage, wo das Turnier stattfinden sollte. Alle diese Dinge sollten dem Sieger im Wettkampfe zuteil werden. Es kamen nun viele Fremde zusammen zu dem hohen Feste, teils um mitzukämpfen, teils um die prachtvolle Feier des Turniers zu sehen. Von den Untertanen des Königs blieb kein Ritter noch Baron zurück, der nicht reichgekleidet erschien; und unter den ersten, die ihren Namen angaben, war der Erstgeborne des Königs, ein sehr tapferer und im Waffenhandwerk äußerst geachteter Jüngling, der von früh auf im Lager erzogen und herangewachsen war. Auch der Seneschall meldete sich an. Ebenso andere persische wie fremde Ritter, denn das Fest war als ein allgemeines verkündigt worden mit sicherem Geleite für alle Fremde, die dazu kommen und dabei kämpfen wollten; nur mußten es adlige sein, andere wurden nicht angenommen.
Der König hatte zu Kampfrichtern drei alte Barone erwählt, die in früherer Zeit gleichfalls selbst wackere Kämpfer gewesen waren und sich in vielen Unternehmungen geübt und als rechtschaffene und einsichtige Männer bewährt hatten. Sie hatten ihr Tribunal mitten in der Rennbahn gerade dem Punkte gegenüber, wo meistens die Kämpfenden sich zu treffen und ihre Schläge zu führen pflegten. Nun müßt ihr euch vorstellen, daß alle Frauen und Töchter des Landes sich hier versammelt hatten, und daß eine solche Menge Volks hier beisammen war, wie es sich von einem Feste dieser Art erwarten ließ. Und vielleicht kämpfte daselbst kein Ritter, der nicht seine Geliebte hatte, und jeder hatte irgendein Geschenk von ihren Frauen, wie bei ähnlichen Kämpfen zu geschehen pflegt. Zum angesetzten Tag und Stunde erschienen alle Kämpfenden mit größtem Pompe der reichsten Überkleider sowohl über den Waffen als den Pferden. Der Kampf begann: viele Lanzen splitterten, und manche führte schöne Schläge; aber das allgemeine Urteil ging dahin, daß der Seneschall Ariabarzanes es sei, der den Preis davontragen müsse; wäre aber er nicht da, so übertreffe der Sohn des Königs bei weitem alle andern: denn keiner der Wettkämpfer hatte über fünf Streiche für sich, nur des Königs Sohn hatte deren neun. Der Seneschall zeigte elf kräftig und ehrenvoll gebrochene Lanzen, und wenn er noch einen einzigen Streich gewann, so war er Sieger im Spiele; denn zwölf Streiche waren an jenem Tage den Kämpfenden vorgeschrieben, um den Preis zu gewinnen, und wer sie zuerst führte, bekam ohne weiteres Hindernis den Preis.
Dem König (um die Wahrheit zu sagen) konnte keine größere Freude werden, als wenn die Ehre dieses Tages seinem Sohne zufiele; aber er sah nicht wohl ein, wie es möglich werden sollte: denn er erkannte den großen Vorsprung, den der Seneschall hatte, gut; doch ließ er sich als ein kluger Mann die Sache im Gesicht nicht merken. Auf der andern Seite war sein junger Sohn, der vor seiner Geliebten kämpfte, bis zum Tode verdrießlich darüber, daß er so seine Hoffnung schwinden sah, die erste Ehre zu erringen, so daß Vater und Sohn von gleichem Verlangen brannten. Aber die Trefflichkeit und Tapferkeit des Seneschalls und der Umstand, daß er seinem Ziele schon so nahe stand, schnitt ihnen alle Hoffnung ab, wenn noch eine solche übriggewesen war. Im Augenblicke nun, als der Seneschall seine letzte Lanze brechen wollte – er ritt an diesem Tage eben das treffliche Pferd, das ihm der König auf der Jagd geschenkt hatte, und wußte genau, daß der König sehnlichst wünschte, seinen Sohn siegreich zu sehen; ebenso kannte er die Gesinnung des Jünglings, der zu Ehren und in Gegenwart seiner Geliebten ganz von demselben Verlangen glühte, – in dem Augenblicke faßte er den Entschluß, sich einer solchen Ehre zu entkleiden und sie dem Sohne des Königs zu überlassen. Er wußte zwar wohl, daß eine solche Großmut dem König nicht gefiel; nichtsdestoweniger war er aber geneigt, durch Beharrlichkeit seine Ansicht zu überwinden, nicht weil er mehr begehrte, als der König ihm schenkte, sondern bloß, um sich zu ehren und Ruhm zu erwerben: der Seneschall war der Ansicht, es sei undankbar vom König, diese Handlungen des Edelmuts, den er gegen ihn übte, nicht annehmen zu wollen. Er hatte sich nun unter allen Umständen vorgenommen, es so einzurichten, daß die Ehre dem Sohne des Königs bliebe: er legte die Lanze ein, als er nahe daran war, mit ihm zusammenzutreffen (denn er selbst war es, der ihm entgegenkam), ließ aber die Lanze aus der Hand fallen und sagte: »Mein Edelmut soll es dem andern gleichtun, wenn er auch nicht geschätzt wird.«
Der Sohn des Königs traf mit Anstand den Schild des Seneschalls, brach seine Lanze in tausend Stücke und gewann den zehnten Streich. Viele hörten die Worte des Seneschalls, die er beim Wegwerfen der Lanze aussprach, und alle Umstehenden ohne Ausnahme merkten, daß er nicht habe treffen wollen, um nicht den letzten Streich zu führen und um dem Sohne des Königs die so sehr gewünschte Ehre des Turniers zu lassen. Er verließ auch darauf die Schranken. Der Sohn des Königs bestand ohne große Mühe die letzten Gänge und trug Preis und Ehre davon. Unter dem Schalle von tausend Musikinstrumenten und unter Voranführung des Kampfpreises wurde er mit Pomp durch die ganze Stadt geleitet, und unter dem Gefolge befand sich auch der Seneschall, der fortwährend mit heiterer Miene die Mannhaftigkeit des Prinzen rühmte. Der König war ein scharfsichtiger Mann; er hatte schon oft und viel die Tapferkeit seines Seneschalls in andern Turnieren, Wettkämpfen, Buhurten und Schlachten erprobt und ihn immer vorsichtig, klug und persönlich äußerst tapfer erfunden; so erkannte er denn wohl, daß das Fallen der Lanze nicht zufällig gewesen war, sondern ganz vorsätzlich, und dies bestärkte ihn in der Ansicht, die er über die Großmut und Aufopferung seines Seneschalls hegte.
Und in der Tat, der Edelmut des Seneschalls Ariabarzanes war so groß, daß, wie mich dünkt, wenige sich bereit finden ließen, ihn nachzuahmen. Wir sehen den ganzen Tag viele mit den Glücksgütern freigebig umgehen und reichlich bald Kleider, bald Silber und Gold, bald Edelsteine und andere Dinge von großem Wert an den und jenen verschenken. Ja, große Herren sieht man nicht nur mit solcherlei Dingen gegen ihre Diener freigebig und großmütig, sondern sie verschenken selbst großartig Burgen, Ländereien und Städte. Was sollen wir von denen sagen, die mit ihrem eigenen Blute und mit dem Leben selbst oftmals verschwenderisch umgehen im Dienste anderer? Von solchen und ähnlichen Beispielen sind alle Bücher aller Sprachen voll; aber wer den Ruhm geringschätzt und mit seiner eigenen Ehre freigebig ist, ein solcher findet sich noch nicht. Der siegreiche Feldherr schenkt nach dem blutigen Treffen seinen Kriegskameraden Beutestücke der Feinde und Gefangene und macht sie teilhaftig der ganzen Eroberung; aber den Ruhm und die Ehre der Schlacht behält er für sich selbst. Und, wie der wahre Vater der römischen Beredsamkeit göttlich bemerkt, jene Philosophen, die von der Pflicht der Geringschätzung des Ruhmes schrieben, streben eben durch ihre Bücher nach Ruhm. Dem König nun gefiel diese Großmut und dieses Zurücktreten seines Seneschalls nicht, vielmehr war es ihm zuwider; denn er war der Ansicht, es sei für einen Untertanen und Diener nicht schicklich, sich nicht nur seinem Herrn gleichzustellen, sondern ihn durch Handlungen der Großmut und Aufopferung zu verpflichten; so fing er an, ihn es merken zu lassen und ihn weniger freundlich zu behandeln als bisher. Ja, zuletzt beschloß er, ihn deutlich merken zu lassen, wie sehr er sich irre, wenn er glaube, sich seinen Gebieter verpflichten zu können, und zwar folgendermaßen.
Es war eine alte bewährte Sitte in Persien, daß die Könige alljährlich den Jahrestag ihrer Krönung durch ein großes pomphaftes Fest feierten, an welchem Tage alle Barone des Reichs verbunden waren, sich am Hofe einzufinden, woselbst der König sie acht Tage lang hintereinander mit den kostbarsten Mahlzeiten und anderen Festlichkeiten bewirtete. Als nun der Jahrestag der Krönung des Artaxerxes kam und alles in gehöriger Weise zugerüstet war, wollte der König ausführen, was ihm eingefallen war, und er trug einem seiner vertrauten Kämmerer auf, sogleich den Ariabarzanes aufzusuchen und ihm zu sagen: »Ariabarzanes, der König befiehlt dir, im Augenblicke den Schimmel, den goldenen Stab und die übrigen Zeichen deines Seneschallamtes selber deinem Feinde Darius zu bringen und ihm im Namen des Königs zu eröffnen, daß er zum obersten Seneschall ernannt ist.«
Der Kämmerer ging hin und tat, was der König ihm aufgetragen hatte. Als Ariabarzanes diese strenge Botschaft hörte, meinte er umzukommen vor Schmerz, und er empfand die Sache um so tiefer, als Darius sein erbittertster Feind auf Erden war. Demunerachtet gewann er es bei seiner Seelengröße nicht über sich, den innerlichen Kummer merken zu lassen, sondern sagte zu dem Kämmerer mit heiterem Gesicht: »Was meinem Herrn gefällt, das soll geschehen. Siehe, auf der Stelle gehe ich, seine Befehle ins Werk zu setzen!«
Und so tat er auch alsbald mit größtem Eifer. Und als die Stunde der Mittagsmahlzeit kam, verrichtete Darius den Dienst als Seneschall. Sobald der König bei der Tafel saß, setzte sich auch Ariabarzanes mit heiterer Miene mit den andern Baronen zu Tische. Die Verwunderung aller war sehr groß, und unter den Baronen lobten die einen den König, die andern nannten ihn im geheimen undankbar, wie das unter Hofleuten so Sitte ist. Der König verwandte kein Auge von Ariabarzanes und verwunderte sich sehr, daß er sich äußerlich so heiter gab; er hielt ihn deshalb in der Tat für einen Mann von sehr edlem Sinne. Und um nun auf den Plan zu kommen, den er früher entworfen, fing er an, mit bittern Worten allen seinen Baronen seine Unzufriedenheit mit Ariabarzanes darzulegen: andererseits bestach er einige, um sorgfältig auszuspähen, was er sagte und tat. Ariabarzanes hörte die Worte seines Gebieters und wurde von den Schmeichlern, die hierauf angewiesen waren, gereizt; er sah auch, daß die Geduld, die er bewies, ihm nichts nützte, und daß ihm die Bescheidenheit nichts half, die er im Reden geübt hatte; er erinnerte sich des langen treuen Dienstes, den er dem König geleistet, des erlittenen Schadens, der Lebensgefahr, der er sich so oft ausgesetzt hatte, der geübten Großmut und vieler anderer Dinge, die er getan: und da ließ er sich endlich übermannen vom Unmut, er verlor den Zügel der Geduld und ließ sich hinreißen von seinem Selbstgefühl; er meinte, er sollte Ehre empfangen statt getadelt zu werden, statt des verdienten Lohnes aber werde ihm sein Amt genommen; unter bittern Vorwürfen beschwerte er sich über den König und nannte ihn undankbar, was bei den Persern für ein Majestätsverbrechen angesehen wird. Gerne wäre er vom Hofe weggegangen und hätte sich auf eines seiner Schlösser zurückgezogen; aber das war ihm nicht gestattet ohne Vorwissen und Urlaub des Königs, und er brachte es nicht übers Herz, diesen um eine Vergünstigung anzugehen.
Dem König ward indessen alles gemeldet, was Ariabarzanes tat und was er sprach: er ließ ihn daher eines Tages rufen; und als er vor dem König stand, sagte Artaxerxes also zu ihm: »Ariabarzanes, deine verschiedenen Beschwerden, deine bittern Klagen, die du bald da, bald dort ausläßt, und dein fortwährender Unwille ist durch die Fenster meines Palastes zu meinen Ohren gedrungen, und ich habe Dinge von dir vernommen, die ich kaum geglaubt habe. Ich wünschte nun von dir selbst zu erfahren, was dich zu den Beschwerden bewogen hat; du weißt, in Persien ist eine Beschwerde über seinen König und vornehmlich seine Bezeichnung als undankbar kein geringeres Vergehen als der Tadel der unsterblichen Götter, weshalb die alten Gesetze verordnet haben, daß die Könige gleich den Göttern verehrt werden müssen. Unter den Sünden, die unsere Gesetze scharf bestrafen, ist die Sünde der Undankbarkeit diejenige, welche aufs allerschärfste geahndet wird. Wohlan, so sage mir nun, worin du von mir beleidigt worden bist! Denn obwohl ich König bin, darf ich doch niemandem ohne Grund eine Beleidigung zufügen; denn sonst hieße ich billig nicht König, was ich bin, sondern Tyrann, was ich niemals sein will.«
Ariabarzanes war voll Unwillens, wich aber doch keinen Finger breit von seiner großartigen Gesinnung und bekannte frei alle Beschwerden, die er irgendwo gegen den König vorgebracht hatte. Darauf antwortete der König also: »Du kennst den Grund, Ariabarzanes, weshalb ich mich von Rechts wegen angetrieben fühlte, dir die Würde und das Amt des Seneschalls abzunehmen. Du wolltest mir die meinige nehmen. Meine Sache ist es, in allen meinen Angelegenheiten freigebig, großmütig, ritterlich zu sein, gegen jedermann Höflichkeit zu üben und mir meine Diener zu verpflichten, indem ich ihnen von meinem Eigentum mitteile und sie belohne, und zwar nicht immer, indem ich pünktlich die Handlungen abwäge, die sie in meinem Dienste und zu meinem Vorteil getan, sondern indem ich sie meist über Verdienst beschenke. Ich darf nie in den verdienstlichen Werken der Freigebigkeit die Hände verschlossen halten, nie mich müde zeigen, den Meinigen und Fremden Geschenke zu geben, wie es die Umstände erheischen; denn das ist das eigentümliche Amt jedes Königs und das meine insbesondere. Du aber, der du mein Knecht bist, suchst in gleichem Stile auf tausend Weisen durch deine Werke der Höflichkeit nicht mir zu dienen und das zu tun, was du mir als deinem Herrn gegenüber tun mußt, sondern du bemühst dich, mit deinen Handlungen mich auf unlösbare Weise an dich zu fesseln und zu machen, daß ich dir auf immer fest verpflichtet bleibe. Sage mir nun selbst, welchen Lohn könnte ich dir geben, welches Geschenk bieten, welchen Preis zuwenden, wobei mir der Ruhm der Freigebigkeit gesichert bliebe, wenn du mich vorher mit deiner Großmut so an dich gefesselt hast? Hohe und edelgesinnte Herren fangen dann an, einen Diener zu lieben, wenn sie ihn beschenken, wenn sie ihn erhöhen, und dabei wird immer darauf Rücksicht genommen, daß das Geschenk das Verdienst übertreffe; denn sonst wäre es keine Freigebigkeit noch Großmut. Der Besieger der Welt, Alexander der Große, nahm eine reiche und mächtige Stadt ein, nach deren Besitze viele seiner Barone trachteten, und um die ihn die nämlichen baten, die sich um ihre Gewinnung mit ihren Waffen ehrenvoll bemüht und ihr eigenes Blut vergossen hatten; er wollte sie aber nicht denen geben, die durch ihre Verdienste darauf Anspruch machen konnten, sondern er rief einen armen Mann, der sich zufällig dort befand, und gab sie ihm, damit die von ihm geübte Freigebigkeit und Großmut an einem so gemeinen niedrigen Menschen desto heller und ruhmvoller strahle; denn von der einem solchen Menschen erwiesenen Wohltat kann nicht gesagt werden, sie gehe aus irgendwelcher Verbindlichkeit hervor, sondern man sieht deutlich, daß es die reine Freigebigkeit, reine Ritterlichkeit, reine Großmut, der reine Edelsinn ist, der aus einem großen und erhabenen Herzen hervorgeht. Ich sage darum nicht, daß man nicht einen treuen Diener belohnen solle; aber ich behaupte, daß der Lohn immer das Verdienst dessen übersteigen müsse, welcher dient. Nun also, wenn du Tag für Tag so viel Verdienst erwirbst, wie du tust, und fortwährend mich unendlich zu verbinden suchst durch deine schrankenlose Großmut wie bisher, so machst du mich machtlos, dir zu genügen, und sperrst mir den Weg für meine Freigebigkeit. Siehst du nicht, daß ich von dir überholt und mitten auf meiner gewohnten Bahn gehemmt bin, welche darin besteht, mir die Liebe, die Dankbarkeit und die Anhänglichkeit meiner Untergebenen durch Geschenke zu erwerben, indem ich ihnen täglich von dem Meinigen schenke, und, wenn einer durch seine Dienstleistungen ein Talent verdient, ihm zwei oder drei zu geben? Weißt du nicht, daß, je weniger von ihnen der Lohn erwartet wird, ich um so lieber ihn erteile, um so bereitwilliger sie erhöbe und ehre? Bestrebe dich also, Ariabarzanes, in Zukunft so zu leben, daß man dich als Knecht erkennt und mich, was ich auch bin, als Herrn! Alle Fürsten fordern meines Bedünkens zwei Dinge an ihren Dienern, Treue nämlich und Liebe; sind diese gefunden, so sorgen sie nicht weiter. Wer also wie du mit mir in Großmut wetteifern will, der wird finden, daß ich ihm am Ende wenig Dank weiß. Und außerdem will ich dir sagen, daß, wenn ich will, mir die Laune kommen kann, einem meiner Diener etwas von dem Seinigen zu nehmen und es zum Meinigen zu machen, ich aber dennoch von ihm und denen, die es sonst erfahren, großmütig und ritterlich genannt werden will. Und das sollst du mir nicht leugnen, sondern es freiwillig jedesmal bekennen, sooft es mir in den Sinn kommt, es zu tun.«
Hier schwieg der König, und Ariabarzanes antwortete sehr ehrerbietig, aber mit Großmut folgendermaßen: »Ich habe nie gesucht, unüberwindlichster König, Eure unendliche und unbegreifliche Großmut mit meinen Handlungen zu übertreffen oder ihr gleichzukommen; aber ich habe mich sehr bemüht, es dahin zu bringen, daß Ihr und die ganze Welt deutlich erkennt, wie ich nichts anderes so sehr wünsche als Eure Gnade; und verhüte Gott, daß ich je in die große Verirrung versinke, als könne ich mit Eurer Größe wetteifern! Wer wird auch sein Licht neben die Sonne stellen wollen? Wohl schien es mir und scheint mir noch meine Pflicht zu sein, daß ich nicht nur mit diesen Glücksgütern zu Eurer Ehre und in Eurem Dienst freigebig sein muß, da ich sie ja von Euch erhalten habe, sondern daß es auch zum Frommen Eurer Krone ausschlägt, daß ich mit diesem meinem Leben nicht nur nicht sparsam, sondern selbst verschwenderisch umgehe. Und wenn Ihr meintet, ich habe versucht, um gleiche Großmut mit Euch zu wetteifern, so mußtet Ihr doch denken, ich tue es, um Eure Gnade vollkommener zu haben und damit ich Euch Tag für Tag mehr bestimme, mich zu lieben; denn als Ziel jedes Dieners ist mir erschienen, mit aller Macht die Liebe und Gunst seines Herrn zu suchen. Jetzt aber, unüberwindlichster König, muß ich gegen alle meine Vermutung sagen, das, daß ich nach Eurem Zugeständnis großmütig, edel, hochherzig gewesen bin, verdiene Tadel und Strafe und Eure Ungnade, wie an mir das, was Ihr getan habt, klärlich zeigt; wie sehr ich auch entschlossen bin, in meinem, wie mir scheint, ehrenvollen und löblichen Vorsatze zu leben und zu sterben; wenn mir aber ein Gebieter mein Eigentum nimmt, dessen Schuldigkeit es ist, mir von dem Seinigen mitzuteilen, und ich soll sagen, er sei freigebig und großmütig und das sei wohlgetan, so werde ich mich dazu nie verstehen.«
Als der König diese letzten Worte hörte, stand er auf und sprach: »Ariabarzanes, es ist jetzt nicht Zeit, mit dir zu streiten; denn die Verhandlung und Aburteilung deiner Worte und Handlungsweise gegen mich übergebe ich dem ernsten Ermessen meiner Räte, die zu gelegener Zeit das Ganze nach den Gesetzen und Gebräuchen Persiens aburteilen werden. Es genüge mir für jetzt, daß ich geneigt bin, dir durch die Tat zu zeigen, daß das wahr ist, was du jetzt geleugnet hast; und du wirst es selbst mit eigenem Munde bekennen. Inzwischen begib dich hinweg nach deinen Schlössern und komm nicht wieder zu Hof, wenn ich dich nicht verlange!«
Als Ariabarzanes diesen letzten Entschluß seines Gebieters vernommen, wandte er sich nach Hause und war mehr als zufrieden, sich auf das Land nach seinen Schlössern begeben zu dürfen, froh, nicht den ganzen Tag sich seinen Feinden gegenüber zu sehen, aber voll Unmut über die vom König ausgesprochene Überweisung seiner Angelegenheit an seinen Rat. Nichtsdestoweniger entschlossen, jedes Geschick über sich ergehen zu lassen, unterhielt er sich mit den Freuden und Zerstreuungen der Jagd.
Er hatte nur zwei Töchter, die ihm seine verstorbene Gattin hinterlassen; beide galten für sehr schön, doch war die erste unvergleichlich schöner als die andere und nur um ein Jahr an Alter von ihr verschieden. Der Ruhm ihrer Schönheit flog durch ganz Persien, und es war darin kein so großer Baron, der sich nicht sehr gerne mit Ariabarzanes in Verwandtschaft gesetzt hätte. Er war nun etwa vier Monate auf einer seiner Burgen gewesen, die ihm besser als die andern gefiel wegen der daselbst herrschenden vollkommen guten Luft und ebenso, weil die schönsten Jagden mit Hunden wie mit Vögeln sich dort befanden. Da erschien daselbst plötzlich ein Herold des Königs, der zu ihm sprach: »Ariabarzanes, der König, mein Herr, befiehlt dir, daß du mit mir diejenige deiner Töchter an den Hof sendest, die die schönste von beiden ist!«
Ariabarzanes konnte die Absicht des Königs bei diesem Befehle nicht ahnen, und die verschiedensten Gedanken kreuzten sich darüber in seinem Kopfe; er haftete dann bei einem, der ihm plötzlich einfiel, und beschloß, die jüngere zu senden, die, wie gesagt, der ältern an Schönheit nicht gleichkam. Nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, suchte er seine Tochter auf und sprach zu ihr: »Liebe Tochter, mein König hat mir den Befehl zukommen lassen, ihm die schönste meiner Töchter zu senden; aber aus einem triftigen Grunde, den ich dir jetzt nicht sagen kann, will ich, daß du hingehest. Aber merke dir wohl und präge dir ein, ihm nie zu sagen, daß du die weniger schöne bist; denn wenn du schweigst, so wird es dir den größten Vorteil verschaffen; offenbarst du dich dagegen, so wäre es mir ein unersetzlicher Schaden und könnte mich vielleicht das Leben kosten. Auch wenn du fühlst, daß du schwanger bist, sagst du niemand etwas davon und läßt niemand deine Schwangerschaft merken. Erst wenn du ganz gewiß bist, schwanger zu sein, und deinen Leibesumfang so zunehmen siehst, daß sich die Sache nicht mehr verbergen läßt, dann magst du auf irgendeine dir passend scheinende Weise dem König zu wissen tun, daß deine Schwester viel schöner ist als du, und daß du die jüngere bist.«
Das Mädchen war klug und verständig; sobald sie den Willen des Vaters gehört und seinen Plan eingesehen hatte, versprach sie, zu tun, was er ihr auftrug. So ward sie denn mit dem Herold in ehrenvollem Geleite an den Hof gebracht. Es war nicht schwer, den König und die andern zu täuschen; denn wenn auch die ältere noch weit schöner war, so war doch die Ungleichheit nicht so groß, daß, wenn nicht beide nebeneinander standen, die jüngere nicht für die schönste gelten konnte; auch waren sich ihre Züge so ähnlich, daß, wer nicht genauer mit ihnen bekannt war, nicht leicht merkte, welche die ältere sei. Ariabarzanes hatte sie überdies so zurückgezogen gehalten, daß man sie nur selten sehen konnte.
Dem König war seine Frau schon vor einigen Jahren gestorben. Er beschloß daher, die Tochter des Ariabarzanes zur Frau zu nehmen, die, obschon nicht vom königlichen Geblüte, nichtsdestoweniger von sehr gutem Adel war. Sobald er sie sah und sie weit schöner fand, als er nach dem Gerücht angenommen hatte, verlobte er sich in Gegenwart seiner Barone feierlich mit ihr und ließ dem Ariabarzanes sagen, er solle ihm das Heiratsgut für die Tochter schicken, die er zu seiner Gemahlin erkoren. Als Ariabarzanes diese Nachricht erhielt, war er sehr erfreut über diesen Gang der Sache und schickte der Tochter die Mitgift, die er, wie man wußte, schon früher jeder seiner beiden Töchter ausgesetzt hatte. Viele am Hofe wunderten sich sehr darüber, daß der schon bejahrte König ein Kind zum Weibe nehme und zumal die Tochter eines Vasallen, den er vom Hofe verwiesen hatte. Andere dagegen lobten ihn darüber, wie das so Sitte der Hofleute ist. Doch war keiner unter ihnen, der auf den Grund verfallen wäre, der den König bewog, dieses Familienband zu knüpfen; denn es geschah nur, um Ariabarzanes zu dem Geständnis zu bringen, daß er ihn gnädig und großmütig nennen müsse, wenn er ihm auch etwas von seinem Eigentum nehme.
Als nun die Hochzeit mit aller Pracht gefeiert war, schickte Ariabarzanes dem König eine zweite Mitgift von der Größe der ersten mit der Bemerkung, wenn er früher die Mitgift für seine Töchter festgesetzt habe, so sei es in der Voraussetzung geschehen, daß er sie an Männer seinesgleichen verheirate; wenn er aber sehe, daß er, der in gar keine Vergleichung mit einem andern komme, der Gatte der einen geworden sei, so scheine ihm passend, ihm mehr Mitgift zu geben als jedem andern, der sein Eidam hätte werden können. Der König wollte aber auf diese Vermehrung der Mitgift sich nicht einlassen und hielt sich hinlänglich befriedigt mit der Schönheit und dem Betragen seiner Neuvermählten, die er ganz als Königin behandelte und ehrte.
Unterdessen ward sie schwanger mit einem Sohne, wie sich später bei der Geburt ergab; sie merkte ihre Schwangerschaft wohl, verhehlte sie aber, so gut sie konnte. Sowie sie aber an dem wachsenden Umfang ihres Leibes sah, daß sie ihre Schwangerschaft nicht mehr länger verbergen konnte, benutzte die Verständige klüglich einen Zeitpunkt, wo der König bei ihr war und ganz vertraulich mit ihr scherzte, und fing verschiedene Gespräche an, worunter sie ihre Anliegen geschickt entdecken zu können glaubte, und offenbarte ihm endlich, daß sie nicht die schönste der beiden Schwestern sei. Als der König dies hörte, ward er sehr unwillig darüber, daß Ariabarzanes seinem Befehle nicht gehorcht hatte, und so sehr er seine Gattin liebte, rief er doch, um seinen Plan durchzuführen, den Herold, den er früher auf die Brautwerbung gesandt hatte, schickte sie mit ihm an ihren Vater zurück und ließ ihm sagen: »Ariabarzanes, da du merktest, daß das Wohlwollen unsers Königs dich überwunden und besiegt hat, wolltest du statt Edelmut gegen ihn Bosheit und Ungehorsam üben und hast von deinen Töchtern nicht die, die ich in seinem Namen dir abverlangte, sondern, die, die dir zu schicken beliebte, geschickt und damit in der Tat die herbste Züchtigung verdient. Darum sendet er, nicht wenig ergrimmt über die Sache, die Tochter dir ins Haus zurück und will, daß ich ihm die erste mitbringe; zugleich habe ich die Mitgift, die du ihm gegeben hast, vollständig bei mir; hier ist alles.«
Ariabarzanes nahm Tochter und Mitgift mit dem freundlichsten Gesichte auf und sprach zu dem Herold also: »Meine andere Tochter, die der König, mein Gebieter, verlangt, kann ich jetzt nicht mit dir senden, denn sie liegt schwerkrank zu Bette, wovon du dich selbst überzeugen kannst, wenn du mit mir in ihr Zimmer kommen willst; aber ich verpfände dir mein Wort, sobald sie geheilt ist, werde ich sie an den Hof senden.«
Als der Herold das Mädchen sah, das krank im Bette lag, kehrte er zum König zurück und berichtete ihm alles. Er war damit zufrieden und wartete, wie die Sache weitergehen werde. Die Genesung der kranken Jungfrau schritt aber nicht so rasch vor, und die Zeit kam, wo die andere Tochter gebären sollte. Sie gebar auch ein schönes Knäblein, und Mutter und Kind befanden sich in erwünschtem Wohlsein. Ariabarzanes war darüber sehr zufrieden und äußerst vergnügt, und dies um so mehr, als in wenigen Tagen schon das Neugeborene in seinen Zügen seinem königlichen Vater so ähnlich wurde, daß es gar nicht ähnlicher hätte sein können.
Als die junge Frau ihr Wochenbett verließ, war indessen auch ihre Schwester hergestellt und wieder so schön geworden wie zuvor. Ariabarzanes kleidete beide reich und schickte sie an den König mit ehrenvollem Geleite, nachdem er sie zuvor unterwiesen hatte, was sie sagen und tun sollten. Sowie sie am Hofe ankamen, sprach einer von den Leuten des Ariabarzanes also zum König: »Hoher Herr, hier ist nicht nur eine Tochter, die Euch Ariabarzanes, Euer Knecht, sendet, sondern alle beide, die er hat.«
Als der König diese edle Freigebigkeit des Ariabarzanes hörte und sah, nahm er alles an und sprach bei sich selbst: »Ich will es so einrichten, daß Ariabarzanes vollkommen mit mir zufrieden und doch von mir überwunden wird.«
Ehe der Bote wegging, der die jungen Weiber hergeleitet hatte, ließ er einen seiner Söhne mit Namen Cyrus kommen und sagte zu ihm: »Mein Sohn, ich will, daß du diese jungfräuliche Schwester meiner Gattin, die, wie du siehst, sehr schön ist, zur Frau nimmst.«
Der junge Mann tat das sehr gerne. Andererseits nahm der König die seinige wieder zu sich, veranstaltete ein großes Fest und wollte, daß die Hochzeit seines Sohnes feierlich und pomphaft begangen werde und acht Tage dauere. Als Aribarzanes diese frohe Nachricht erhielt, gab er sich noch nicht überwunden, es schien ihm vielmehr sein Plan vollkommen nach Wunsch zu gehen; er beschloß, dem König das kürzlich geborene Kind zu senden, das ihm, wie gesagt, glich wie eine Fliege der andern. Er ließ also eine sehr schöne Wiege von Elfenbein machen, die ganz mit feinem Golde ausgelegt und mit den kostbarsten Edelsteinen geschmückt war. Darein ließ er das Kindlein legen, in die feinsten Tücher von Seide und Goldstoff eingewickelt, und ließ es unter Obhut seiner Amme und mit glänzendem Gefolge zum König führen, als eben die feierliche Hochzeit gehalten wurde. Der König befand sich in einem schön geschmückten Saale in Gesellschaft vieler seiner Barone; als nun der, der das Kindlein dem König überreichen sollte, dort ankam, ließ er die Wiege vor ihm niedersetzen und kniete vor ihm hin. Der König und alle Barone verwunderten sich darüber und hatten acht, was der Bote sagen wollte. Er faßte die Wiege an und sprach: »Unüberwindlichster König, ich küsse Euch im Namen des Ariabarzanes, meines Herrn und Eures Dienstmanns, knieend Eure königlichen Hände und übergebe Euch mit schuldiger Ehrfurcht dieses Geschenk. Ariabarzanes dankt Euer Hoheit unendlich für alle die Gnade, die Ihr gegen ihn zu üben geruht habt, indem Ihr Euch herabließet, Verwandtschaftsbande mit ihm einzugehen. Er will für diese große Huld nicht undankbar sein und sendet Euch durch mich dieses Geschenk.«
Hier deckte er die Wiege auf. Sobald das Tuch zurückgeschlagen war, zeigte sich das schönste Knäblein, das den allerlieblichsten Anblick von der Welt gewährte, und es sah dem König so ähnlich wie ein Halbmond dem andern. Da sprach ein jeder, ohne Weiteres anzuhören: »Wahrlich, geheiligter König, dieses Kind gehört Euch.«
Der König ward nicht satt, es zu betrachten, und die Freude an seiner Beschauung war so groß, daß er gar nichts sprach. Das Kind machte die anmutigsten Bewegungen, spielte mit seinen zarten Händchen und wandte sich oft mit dem freundlichsten Lächeln zu seinem Vater. Als dieser es eine gute Weile aufmerksam betrachtet hatte, wollte er von dem Boten erfahren, was das alles bedeute. Nun erzählte der Bote dem König alles genau. Als dieser die Geschichte hörte, ließ er die Königin rufen, die ihrerseits alles vollkommen bestätigte. Darüber war er denn außerordentlich zufrieden, nahm voll Freuden sein Söhnlein zu sich und gab sich fast überwunden. Doch meinte er schon so weit gegangen zu sein, daß ein Rückzug Schmach und Schande für ihn wäre; er beschloß daher, gegen Ariabarzanes noch eine weitere Handlung der Großmut auszuführen, um mittels derselben ihn entweder ganz zu überwinden oder doch einen triftigen Grund zu haben, um eine tödliche Feindschaft gegen ihn zu fassen.
Der König hatte eine Tochter von zwanzig bis einundzwanzig Jahren; sie war sehr schön und gebildet, denn sie hatte eine königliche Erziehung und Unterricht genossen. Er hatte sie noch nicht vermählt; denn er sparte sie auf, um mit einem König oder hohen Fürsten sich durch sie zu verbinden, und ihre Mitgift war tausend Pfund des feinsten Goldes wert nebst den Einkünften einiger Schlösser außer den köstlichsten Kleidern und unzähligen Juwelen, die die Königin, ihre Mutter, ihr bei ihrem Tode hinterlassen hatte. In der Absicht, es dem Ariabarzanes zuvorzutun, kam der König auf den Gedanken, ihn mittels dieser Tochter zu seinem Eidam zu machen. Allerdings schien ihm dieser Schritt keine geringe Erniedrigung; denn es ist eine schwere Aufgabe für eine Frau von hoher Abkunft, einen Mann von geringerem Blute zum Gatten zu nehmen. Ein anderes ist das bei dem Manne, der, wenn er von gutem Adel ist, damit, daß er eine Frau von niedrigerer Abkunft nimmt, noch nicht schon seinen Rang verliert; denn wenn der Mann von hohem edlem Geschlechte stammt, so adelt und erhebt er die Frau, die er seiner Größe beigesellt, wäre sie auch mitten aus der Hefe des Volkes genommen; und die Söhne, die ihnen geboren werden, erhalten alle den gleichen Adel wie der Vater. Eine Frau dagegen, so adlig sie ist, wenn sie einen Niedrigem heiratet und ihr Gatte nicht von Adel ist, gebiert keine Kinder, die dem Range der Mutter gleichstehen, sondern alle folgen dem des Vaters und bleiben unadlig, – so weit geht die Achtung vor dem männlichen Geschlechte. Daher sagen viele Gelehrte, der Mann gleiche der Sonne, die Frau dem Monde. Wir sehen wohl, daß der Mond nicht durch sich selbst leuchtet und kein Licht oder Schein dem nächtlichen Dunkel gewähren könnte, wenn er nicht von der Sonne erleuchtet wäre, die mit ihrem kräftigen Strahl zu rechter Zeit und am rechten Orte die Sterne erhellt und den Mond beleuchtet. Ebenso hängt die Frau vom Manne ab und empfängt von ihm ihren Adel. Der König also glaubte Unrecht zu tun, wenn er dem Ariabarzanes seine Tochter gebe, und fürchtete dafür Vorwurf und Tadel zu ernten. Aber jede Rücksicht und jede Furcht vor Schande ward besiegt und überwunden von dem Eifer, in diesem Wettkampf des Edelmuts die Oberhand zu behalten. Er schickte deshalb zu Ariabarzanes mit dem Auftrage, zu ihm an den Hof zu kommen. Sobald der den Befehl des Königs erhalten hatte, reiste er hin und stieg in seinem Palaste in der Stadt ab. Dann begab er sich sogleich hin, um seinem Herrscher seine Ehrfurcht zu bezeugen, der ihn denn sehr huldvoll bewillkommnete. Bald nach dem Empfange sagte der König zu ihm: »Ariabarzanes, da du keine Gattin mehr hast, wollen wir dir eine geben, die uns gefällt, und zwar eine solche, mit der du vollkommen zufrieden sein kannst.«
Ariabarzanes antwortete, er sei bereit, alles zu tun, was er begehre. Da ließ der König seine Tochter prächtig angetan hereinkommen und befahl dem Ariabarzanes, hier vor dem ganzen Hofe sie als seine Frau anzunehmen. Als dies mit den gebührenden Förmlichkeiten geschehen war, zeigte Ariabarzanes keine große Freudigkeit über diese Verwandtschaft und tat mit der Braut anscheinend sehr wenig zärtlich. Alle Barone und Edelleute am Hofe waren ganz betroffen, als sie die große Huld ihres Königs sahen, womit er einen seiner Vasallen zum Schwiegersohn und Eidam angenommen hatte. Als sie daneben das störrische Wesen des Ariabarzanes bemerkten, tadelten sie ihn aufs entschiedenste. Den ganzen Tag über war Ariabarzanes außer sich, während der ganze Hof jubelte und nichts als tanzte. Der König selbst war voll Freude über die Hochzeit seiner Tochter und war nur mit seinem Glücke beschäftigt.
Am Abend nach einer kostbaren Mahlzeit ließ der König seine Tochter mit festlichem Pompe nach dem Hause des Ariabarzanes begleiten und ihre reiche Mitgift auch dahin bringen. Er empfing seine Gattin höchst ehrenvoll und gab ihr augenblicklich in Gegenwart der Barone und Herren, die sie begleitet hatten, ein ebenso großes Heiratsgut wie das, das sie mitgebracht hatte, und schickte die tausend Pfund Gold, die ihm vom König zum Heiratsgut gegeben worden waren, demselben zurück. Diese Großmut setzte den König in solches Erstaunen und erfüllte ihn zugleich mit so heftigem Unwillen, daß er zweifelhaft war, ob er ihm nachgeben oder ob er ihn zu ewiger Verbannung verurteilen solle. Der König hielt die Großmut des Ariabarzanes nunmehr für unüberwindlich und konnte es nicht geduldig ertragen, daß einer seiner Vasallen sich seinem Könige in Sachen des Edelmuts und der Freigebigkeit gleichstelle. Er stellte sich daher heftig erzürnt und überlegte immer bei sich, was er in diesem Falle tun solle. Es war nicht schwer, den Grimm und Unwillen des Königs zu bemerken: denn sein Aussehen war verstört, und er machte niemandem ein freundliches Gesicht. Und da in Persien dazumal die Könige gleich Göttern geehrt und hochgeachtet wurden, bestand unter ihnen ein Gesetz: sooft der König sich heftig erzürne, solle er die Ursache seines Zornes seinen Räten offenbaren, die mit reiflicher Überlegung das Ganze zu prüfen haben, und wenn sie den König mit Unrecht erzürnt fänden, sollten sie gehalten sein, ihn zu beruhigen; fände sich aber wirklich, daß er guten Grund gehabt habe, unwillig zu werden und in Zorn zu geraten, so sollten sie den Urheber des Unwillens nach Beschaffenheit des Fehles mehr oder weniger hart bestrafen, sei es mit Verbannung, sei es mit Todesstrafe. Das Urteil dieser Männer wurde ohne Einsprache angenommen. Doch konnte freilich der König, wenn das Urteil gefällt war, ganz oder teilweise die Strafe vermindern oder den Schuldigen freisprechen. Es wurde daraus klar, daß der von den Räten gegebene Spruch die reine Gerechtigkeit, der Wille des Königs aber, wenn er jemand freisprach, Gnade und Barmherzigkeit war. Der König war also nach der Verfassung des Reichs gehalten, die Ursache seines Unwillens zu offenbaren. Er tat dies auch genau.
Nachdem die Räte die Gründe des Königs gehört hatten, schickten sie nach Ariabarzanes, von dem sie durch gründliches Verhör vernehmen wollten, weshalb er dies und jenes getan habe. Die Herren Räte begannen nun über die vorgelegte Angelegenheit ihre Meinungen zu äußern; lange waren sie uneins in der Erforschung der Wahrheit der Sache; endlich aber nach langem Streite sprachen sie das Urteil, Ariabarzanes sollte den Kopf verlieren, teils weil er sich dem König habe gleichstellen, ja ihn übertreffen wollen, teils weil er keine Freude darüber, daß er eine Tochter seines Königs zur Frau bekommen, bezeugt und ihm nicht den gebührenden Dank für eine solche Huld ausgedrückt habe. Es war bei den Persern nämlich ein festes Herkommen: sooft in irgendeiner Tat oder Handlungsweise ein Untertan seinen Herrn zu übertreffen und es ihm zuvorzutun suchte, so löblich und würdig auch das Werk sein mag, so mußte er aus Rücksicht auf die dargelegte Geringschätzung der königlichen Majestät enthauptet werden, weil es eine allzu große Verletzung seines Gebieters wäre. Und um dieses ihr Urteil besser zu bestätigen, sagten diese Herren Räte, es sei früher schon von den persischen Königen eine solche Bestimmung ausgeführt worden und in ihren Annalen verzeichnet.
Der Fall war folgender: Der König von Persien war mit vielen seiner Barone zu seiner Zerstreuung auf das Land gegangen; er hatte seine Falken bei sich und fing an, sie auf verschiedene Vögel loszulassen. Kurz darauf fanden sie einen Reiher. Der König befahl, einen der Falken, der für den besten galt von denen, die er bei sich hatte – denn er hatte eine große Ausdauer und stieg bis zu den Sternen empor –, auf den Reiher loszulassen. Als dies geschehen war, fing der Reiher an, sich zu heben, und der Falke verfolgte ihn rüstig. Während nun der Falke nach vielem Widerstreben den Reiher in die Klauen packen und festhalten wollte, erschien plötzlich ein Adler. Sobald der mutige Falke den Adler erblickte, wollte er mit dem schüchternen Reiher nicht weiterkämpfen, sondern wandte sich mit raschem Fluge zu dem Adler und fing an, ihm heftig nachzusetzen. Der Adler verteidigte sich sehr mutig, und der Falke strebte, ihn unter sich zu bekommen. Am Ende packte der brave Falke mit seinen scharfen Krallen den Adler am Halse und riß ihm den Kopf vom Rumpfe, so daß er mitten unter der Gesellschaft des Königs niederfiel. Alle Barone und Edelleute, die bei dem Könige waren, priesen dieses Verfahren höchlich und hielten den Falken für einen der besten in der Welt, erteilten ihm auch die Lobsprüche, die ihrer Ansicht nach für eine so hochherzige Handlung gebührten, so daß niemand war, der nicht den Falken außerordentlich anerkannt hätte. Der König aber, was auch die Barone und die andern sagten, sprach nicht ein Wort, sondern blieb nachdenklich stehen und hatte für den Falken weder Lob noch Tadel. Es war schon sehr spät, als der Falke den Adler umbrachte; darum befahl der König allen, in die Stadt zurückzukehren. Am folgenden Tage ließ der König von einem Goldschmiede eine sehr schöne goldene Krone von solcher Gestalt machen, daß man sie dem Falken aufsetzen konnte. Als ihm sodann die Zeit passend schien, befahl er, auf dem öffentlichen Platze der Stadt einen mit Teppichen und andern Zieraten geschmückten Katafalk zu errichten, wie es Sitte ist, solche königliche Balkone zu verzieren. Unter Trompetenschall ließ er den Falken dahin bringen, wo auf Befehl des Königs ein hoher Baron ihm die goldene Krone auf den Kopf setzte zum Lohne der vortrefflichen Beute, die er an dem Adler gemacht hatte. Andererseits kam aber der Scharfrichter herbei: der nahm dem Falken die Krone ab und schlug ihm mit dem Beile den Kopf ab. Über dieses widersprechende Verfahren waren alle Zuschauer höchlich betroffen, und alle begannen verschiedene Gespräche über diesen Vorfall. Der König sah aus einem Fenster des Palastes alles mit an, ließ Stille gebieten und sprach so laut, daß er von den Zuschauern verstanden werden konnte, also: »Niemand erdreiste sich, über das, was soeben mit dem Falken geschehen ist, zu murren: denn alles ist aus gutem Grunde geschehen. Ich hege die feste Meinung, daß es die Pflicht jedes hochherzigen Fürsten ist, Tugend und Laster zu kennen, damit er tugendhafte und löbliche Handlungen ehren und die Laster strafen kann; sonst dürfte man ihn nicht König oder Fürst, sondern einen treulosen Tyrannen nennen. Darum habe ich, nachdem ich in dem toten Falken einen mit großer Rüstigkeit gepaarten Edelmut und Seelengröße erkannt, ihn mit einer Krone vom feinsten Golde ehren und belohnen wollen; denn nachdem er so mutvoll einen Adler getötet hatte, verdiente er, daß solches tapfere und wackere Benehmen belohnt wurde. Sodann aber im Hinblick darauf, daß er kühn, ja frech genug war, seinen König anzufallen und zu töten, schien es mir am Platze, daß er die verdiente Strafe für so große Verruchtheit empfange; denn es ist dem Diener nie erlaubt, die Hände mit dem Blute seines Herrn zu beflecken. Nachdem nun der Falke seinen und aller Vögel König umgebracht hat, wer wird mich mit Recht tadeln können, wenn ich ihm das Haupt abschlagen ließ? Gewiß niemand, dünkt mich.«
Dieses Urteil führten die Herren Richter an, als sie den Spruch taten, Ariabarzanes solle enthauptet werden. Und so verordneten sie in Übereinstimmung damit, daß zuerst Ariabarzanes wegen seiner Großmut und Freigebigkeit mit einem Lorbeerkranze gekrönt werden solle, damit seinem edeln Sinne gebührend Rechnung getragen werde; da er aber mit solchem Wetteifer, mit solchem festen Streben und beharrlichen Willen, ja mit der größten Anstrengung versuchte, es seinem Könige gleichzutun, mit ihm an Freigebigkeit zu wetteifern, ja es ihm zuvorzutun, sich über ihn zu stellen, und da er außerdem sich über ihn ausgelassen habe, solle ihm deshalb der Kopf abgeschnitten werden.
Als dem Ariabarzanes dieses strenge Urteil eröffnet wurde, hielt er mit der gleichen Seelengröße diesen giftigen Pfeil des Schicksals aus, wie er die früheren Schläge des ihm feindlich entgegentretenden Geschicks ertragen hatte; und er benahm und hielt sich in einer Weise, daß man kein Zeichen von Schwermut oder gar Verzweiflung an ihm bemerkte. Er sagte bloß mit heiterem Gesichte in Gegenwart von vielen andern: »Das einzige blieb mir noch zuletzt übrig: daß ich meinem Herrn auch Blut und Leben opfere! Ich tue es mit Freuden, und man soll daraus erkennen, daß ich eher sterben kann, als meiner gewohnten Freigebigkeit entsagen.«
Er ließ sofort den Notar rufen, machte sein Testament (denn nach den persischen Gesetzen war dies erlaubt), gab seiner Frau und seinen Töchtern Zuschuß zu ihren Mitgiften, vermachte seinen Verwandten und Freunden, was ihm angemessen schien, und hinterließ dem König eine große Summe köstlicher Kleinode. Cyrus, dem Sohne des Königs, seinem Eidam, vermachte er außer einer großen Summe Geldes alle seine Waffen zu Schutz und Trutz und alle Pferde, die er hatte. Zuletzt verordnete er, wenn seine Frau, die möglicherweise schwanger sein könnte, einen Knaben gebäre, sollte dieser sein Sohn sein Gesamterbe werden; wäre es eine Tochter, so solle sie wie die andern Töchter ausgestattet und der Rest unter die drei Schwestern zu gleichen Teilen geteilt werden. Ferner sorgte er dafür, daß alle seine Diener nach ihrem Range belohnt wurden.
Als dies den Tag vor seiner festgesetzten Hinrichtung nach persischem Brauche veröffentlicht wurde, war man allgemein der Ansicht, es sei kein freigebigerer und großmütigerer Mann jemals in diesem Lande und vielleicht in der ganzen Umgegend gewesen. Und außer einigen Neidischen, die bei dem Könige immer dahin gestrebt hatten, ihn zugrunde zu richten, zeigten alle andern großes Mißvergnügen darüber, daß er auf diese Weise sterben müsse. Niemand ohne Ausnahme war es erlaubt, wenn ein solches Urteil gefällt war, den König um das Leben des Verurteilten anzuflehen. Daher fühlten die Gattin und die Töchter des Ariabarzanes nebst seinen Verwandten und Freunden die größte Bekümmernis und weinten fortwährend Tag und Nacht.
Als der achte Tag kam – so lange hat ein Verurteilter Zeit, um seine Einrichtungen zu treffen –, wurde auf Befehl des Königs mitten auf dem Platze eine Richtstätte aufgeschlagen, ganz bedeckt mit schwarzen Tüchern, und ihr gegenüber eine andere, die mit Purpur und Seide überkleidet war, woselbst der König, wenn er will, sich unter den Richtern niederläßt und, nachdem dem Schuldigen der Prozeß gelesen ist, aus eigenem Munde befiehlt, daß der Spruch ausgeführt werde, oder auch, wenn es ihm gutdünkt, den Verurteilten befreit und losspricht. Wenn aber der König nicht selbst bei dem Urteile gegenwärtig sein will, so versieht der älteste der Richter, nach eingeholter Willensmeinung des Königs, sogleich das Ganze in seinem Namen. Der König, dem es in der Tat leid war, daß ein so hochherziger Mann, der ihm so genau bekannt, sein Schwiegervater und Eidam war, ein so schauderhaftes Ende nehmen sollte, wollte an jenem Morgen bei dem Ganzen gegenwärtig sein, teils um die Haltung des Ariabarzanes zu sehen, teils auch, um einen Ausweg zu seiner Errettung zu finden.
Ariabarzanes ward also von den Häschern des Gerichts auf die Richtstätte geführt und prachtvoll gekleidet; sodann ward ihm die Lorbeerkrone auf das Haupt gesetzt. Aber so blieb er nicht lange: die reichen Kleider und der Kranz wurden ihm abgenommen und seine gewöhnlichen Kleider wieder angelegt. Der Scharfrichter erwartete den letzten Befehl, um seine Pflicht zu tun, und hatte schon das scharfe Schwert hoch erhoben, als der König den Ariabarzanes fest ins Auge faßte, welcher seine Gesichtsfarbe nicht mehr und nicht weniger veränderte, als wenn die Sache ihn gar nicht beträfe; und doch mußte er vernünftigerweise annehmen, daß der Henker im Begriffe stehe, ihm den Kopf abzuschlagen.
Als der König die große Beständigkeit und den unbesiegten Mut des Ariabarzanes sah, sprach er mit lauter Stimme, so daß alle es hörten, also: »Ariabarzanes, wie du wissen kannst, bin ich nicht derjenige, der dich zum Tode verurteilt hat; sondern deine ordnungswidrigen Handlungen und die Gesetze dieses Reichs haben dich auf diesen Punkt gebracht. Und da unsere heiligen Gesetze mir die Freiheit geben, jeden verurteilten Schuldigen, wie mir scheint, ganz oder teilweise freizusprechen und in den früheren Gnadenstand aufzunehmen, will ich, wofern du dich besiegt geben willst und nicht verschmähst, das Leben von mir als Geschenk zu empfangen, dir die Todesstrafe erlassen und dich deinen Ämtern und Würden zurückgeben.«
Als Ariabarzanes diese Worte hörte, welcher knieend mit gesenktem Kopfe erwartete, daß ihm der Todesstreich gegeben würde, schaute er auf, kehrte sich zum König und beschloß – da er überlegte, zu dem herben Schritte habe ihn nicht Bosheit von Seiten des Königs geführt, sondern vielmehr der Neid und die giftigen Schlangenzungen seiner Feinde –, die erbarmungsvolle Großmut und Huld seines Gebieters anzunehmen, am Leben zu bleiben und seinen Feinden nicht die Genugtuung eines so bitteren Todes zu verschaffen. Daher sprach er in ganz ehrerbietiger Haltung mit fester und wohltönender Stimme also zum König: »Mein unüberwindlichster Gebieter, den ich gleich den unsterblichen Göttern verehre, da du nach deiner Gnade willst, daß ich lebe, so nehme ich von dir ehrfurchtsvoll das Leben als Geschenk hin, das ich jedoch, wenn ich glaubte im Leben deine Ungunst erdulden zu müssen, nicht annehmen würde, und gebe mich vollständig überwunden. Ich werde also am Leben bleiben, um das Leben, das du mir schenkst, ganz deinem Dienste zu widmen, damit ich es zum Frommen deiner heiligen Krone, wie ich es von deiner Großmut geliehen bekommen habe, dir immer, sobald du willst, wieder zurückgeben kann. Ich werde dies so bereitwillig tun, als ich es jetzt aufrichtig von dir annehme. Und da du geruht hast, mir so viele Gnade zu erweisen, möchte ich, wenn es dir nicht lästig ist, dir gerne hier öffentlich sagen, was mir jetzt in den Sinn kommt.«
Der König gab ihm einen Wink, sich zu erheben und ihm zu sagen, was ihm angenehm sei.
Er stand auf; es ward stille in der Menge, und er begann auf folgende Weise zu sprechen: »Zwei Dinge sind es, geheiligter Fürst, die ohne Widerrede den beweglichen Wellen des Meeres und der Unbeständigkeit der Winde in allen Stücken gleichen, und nichtsdestoweniger ist die Schar der Toren, die danach mit allem Fleiß und Eifer trachten, unendlich. Ich höre, es sei so fast immer. Nun sage ich also, daß diese beiden so sehr von jedem gewünschten Dinge sind: die Herrengunst und die Frauenliebe, und beide täuschen so oft den wahren Diener, daß er am Ende nichts weiter davonträgt als Reue. Um nun mit den Frauen anzufangen, die nach der allgemeinen Annahme sich meist an den Schlimmeren halten, so kannst du einen jungen Mann sehen, der schön, edel, reich, tugendhaft und mit vielen guten Eigenschaften begabt ist, der zu seiner Geliebten ein Mädchen wählt und ihr mit derselben Treue, die man den Göttern schuldig ist, Dienst und Verehrung widmet und jeden ihrer Wünsche zu dem seinigen macht. Nichtsdestoweniger kann er durch Liebe, Dienstbarkeit und Bitten es nicht dahin bringen, daß er sich bei seiner Dame in Gunst sieht; sie hebt vielmehr im Gegenteil einen andern, der jedes Vorzugs bar ist, sie gibt sich ihm hin; nicht lange aber bleibt er in ihrem Besitz, so weist sie ihn von sich und nimmt den ersten an; aber veränderlich und launisch wird sie, nachdem sie ihn zu den Sternen erhoben, von ihrer natürlichen Unbeständigkeit getrieben, ihm sein Ende in der Hölle bereiten. Fragte man sie um den Grund dieses Wankelmutes, so würde sie nichts Weiteres anzuführen wissen, als daß es ihr so gefalle. Darum geschieht es nur selten, daß ein aufrichtig Liebender festen Fuß behält, vielmehr sieht er sein Leben hin- und hergejagt vom flüchtigen Winde der Frauen. Ebenso kannst du an den Höfen der Könige und Fürsten jemand in Gunst seines Herrn stehen sehen, so daß man deutlich sieht, der Herr kann ohne ihn nichts tun und nichts sagen, – und nichtsdestoweniger, wenn er mit allem Fleiße und aller Mühe sich bestrebt, die Gunst seines Herrn zu bewahren oder zu erhöhen, – siehe da, plötzlich wandelt sich der Sinn des Gebieters, kehrt sich einem andern zu, und der, der zuvor der erste Mann am Hofe war, findet sich auf einmal am letzten Platz. Daneben steht dann ein ängstlich eifriger unermüdlicher Diener, gewandt in allen Geschäften des Hofes und der sich weit mehr um die Angelegenheiten seines Herrn bekümmert als um sein eigenes Leben; aber er tut alles umsonst: denn ihm wird nie vergolten, und er sieht sich im Dienste altern, ohne je einen Lohn zu ernten. Betrachte einen andern in irgendeiner Wissenschaft tief Gelehrten: nichtsdestoweniger stirbt er am Hofe Hungers, während ein anderer, unwissender und verdienstloser Mann von seinem Gebieter aus Laune und nicht nach Gebühr übermäßig bereichert wird. Solches aber geschieht nicht, weil dem Herrn gelehrte und verdienstvolle Männer nicht gefallen – denn man sieht überall, daß er viele solche begünstigt und erhebt –, sondern weil der Genius von jenem nicht mit dem seinigen stimmt, weil, wie man sagt, ihr Blut nicht zusammenpaßt. Wie oft mag es nun kommen, daß du zufällig einen siehst, den du sonst noch nie gesehen hast, und dennoch mißfällt er dir auf den ersten Anblick wie die Pest, und du kannst auf keine Weise ertragen, ihn zu sehen, und je mehr er dir Dienste und Gefälligkeiten erweist, um so mehr wird er dir mißfallen. Umgekehrt kannst du einen sehen, den du früher noch nie gesehen hast, und der dich gleich beim ersten Anblicke so befriedigt, dir so zusagt und dir so sehr gefällt, daß, wenn er dich um dein Leben anginge, du nicht imstande wärest, es ihm zu versagen; du fühlst ein gewisses Etwas, das dich zwingt, ihn zu rieben, und wenn er auch etwas täte, was gegen deinen Willen wäre, so ist doch alles gut. Wer weiß nun, was diese Unbeständigkeit veranlaßt, und ob nicht eine gewisse Mischung des Blutes, das von innerer himmlischer Kraft an sich gleichmäßig bewegt wird, die Schuld trägt? Freilich, in den Verhältnissen der Höfe läßt sich eine hinreichende Begründung dieses Wankelmutes finden: dies ist der spitzige, giftige Stachel des verpesteten Neides, der fortwährend der Gunst des Fürsten die Waage hält und den im Nu erhebt, der unten war, und den senkt, der sich oben befand, so daß es an den Höfen keine schädlichere und verderblichere Pest gibt als den Neid. Alle anderen Fehler werden leicht und mit geringer. Mühe von Seiten dessen, der sie hat, geheilt und fast beschwichtigt, so daß sie dir nicht wehe tun; aber den Neid, – auf welche Weise, mit welcher Kunst und Heilart willst du ihn zu Boden drücken? Fürwahr, ohne deinen Schaden weiß ich nicht, wie du den scharfen Bissen des Neides jemals entkommen willst. Nimm am Hofe einen Stolzen, Aufgeblähten, Ehrgeizigen und Hochfahrenden, der mehr als der Stolz selbst ist: wenn du dich vor ihm verbeugst, wie du ihn siehst, wenn du ihn ehrst, wenn du ihm den Weg räumst, wenn du ihn mit Preis zum Himmel hebst, wenn du ihn erhöhst und selber neben ihm den Demütigen spielst, so ist er plötzlich dein Freund und heißt dich einen feinen und artigen Höfling. Nimm einen Wollüstling, der den geschlechtlichen Freuden ergeben ist und nach nichts anderem trachtet als nach dieser vergänglichen Lust: wenn du ihn nicht hinderst in seinen Liebschaften, wenn du seine Genüsse nicht tadelst, wenn du ihn in Gegenwart der Frauen lobst, so wird er immer dein Freund sein. Nimm einen Geizhals oder einen Schwelger: wenn du dem ersten eine Arznei von Geld zu verschlucken gibst und den andern oft zum Essen zu dir einlädst, so sind beide sogleich einverstanden. Nun nimm aber einen Neidischen! Welches Heilmittel wirst du finden, um so verzehrende Säfte abzuführen? Wenn du den Neid zu heilen suchst, so mußt du mit deinem Leben selbst abhelfen oder nicht denken, sonst irgendein Heilmittel dagegen zu finden. Und wer weiß nicht, wenn ein von dieser Pestkrankheit Befallener mich am Hofe von dir, geheiligtster König, mehr als sich begünstigt sieht, wenn er wahrnimmt, daß meine Dienste dir angenehmer sind, oder daß ich besser als er die Waffen zu führen verstehe oder in irgendeiner Hinsicht mehr gelte als er, und er wegen dieser Dinge mich beneidet, – wer weiß nicht, sage ich, daß ich diesen nicht anders heilen kann, als wenn er mich deiner Gnade beraubt, vom Hofe verjagt und in das äußerste Elend gestürzt sieht? Wenn ich ihm täglich die größten Geschenke mache, wenn ich ihm immer Ehre erweise, ihn lobe, soviel ich kann, und ihm jeden Dienst erweise, – alles ist umsonst. Niemals wird er aufhören, gegen mich zu wirken, bis er mich ins tiefste Unglück versetzt sieht: denn alle anderen Mittel sind schwach und wirkungslos. Dies ist die giftige Krankheit, die alle Höfe verpestet, allen tugendhaften Handlungen schadet und alle edlen Geister zu beleidigen sucht. Dies ist der finstere Schleier, der oft andern so sehr die Augen umdüstert, daß er sie die Wahrheit nicht sehen läßt und ihnen das Urteil so umnebelt, daß Recht und Unrecht nicht mehr zu unterscheiden ist: denn er ist eine offenbare Veranlassung, daß täglich tausend Irrtümer in den menschlichen Handlungen begangen werden. Um aber auf das zu kommen, was jetzt zunächst zu unserm Falle gehört, so ist überhaupt kein Fehler auf der Welt, der die Höfe mehr verderbte, das Band heiliger Genossenschaften auflöste und die Gebieter zugrund errichtete, als das Gift des Neides. Denn wer dem Neidischen sein Ohr leiht, wer auf seine boshaften Zettelungen horcht, kann unmöglich etwas Gutes tun. Um aber nun zum Schlusse meiner Rede zu gelangen: der Neidische freut sich nicht so sehr über sein eigenes Glück, genießt nicht so sehr seine eigenen Vorteile, als er fortwährend über fremdes Unglück jubelt und lacht und über fremden Vorteil weint und trauert; ja, um dem Nächsten zwei Augen aus dem Kopfe schlagen zu sehen, würde er sich gerne eines der seinigen ausreißen. Diese Worte, unüberwindlichster Fürst, wollte ich hier in Gegenwart deiner, deiner Satrapen und des Volkes aussprechen, damit jeder einsehe, daß ich bei deiner Krone nicht durch böse Gesinnung von dir oder durch meine Schuld, sondern durch die giftigen Zungen der Neider in Mißgunst gefallen bin.«
Dem großherzigen König gefiel die freie Rede des Ariabarzanes, und so sehr er sich von seinen Worten getroffen fühlte, mußte er sie doch für wahr anerkennen, und darum, sowie weil sie künftig allen von Nutzen sein konnten, lobte er sie in Gegenwart aller.
So hatte nun Ariabarzanes das Leben von seinem König zum Geschenk erhalten und sich besiegt gegeben; der König erkannte seine Trefflichkeit und Treue und liebte ihn aufrichtig; daher ließ er ihn denn von dem Katafalk herabsteigen und auf den, auf dem er selber sich befand, steigen, hieß ihn willkommen und küßte ihn zum Zeichen, daß jede Beleidigung ihm vergeben und verziehen war. Er befahl, daß ihm alle Ämter, die er zuvor zu verwalten pflegte, zurückgegeben wurden, und um ihn in noch bessere Umstände zu bringen, als worin er früher gewesen war, schenkte er ihm die Stadt Passagarda, worin das Grab des Cyrus sich befand, und setzte ihn in allen seinen Staaten und Herrschaften zum obersten Statthalter, dem jedermann wie ihm selbst gehorchen mußte. So blieb der König der geehrte Schwager und der liebende Eidam des Ariabarzanes, zog ihn bei allen seinen Handlungen zu Rate und tat nie etwas von Belang, ohne zuvor sein Gutachten eingezogen zu haben.
Ariabarzanes war also mehr als zuvor in die Gunst seines Gebieters zurückgekehrt, hatte mit seiner Tugend alle seine Feinde überwunden und die Waffen des Neides zerbrochen und vernichtet. War er zuvor freundlich und freigebig gewesen, so wurde er nach so großer Erhebung noch viel fürstlicher; wenn er früher einmal Edelmut übte, so geschah es nunmehr zweimal; doch bewies er seine Großmut nur so und verfuhr in ihren Äußerungen mit solcher Mäßigung und Einschränkung, daß alle Welt deutlich erkennen konnte, daß er nicht, um mit seinem Herrn zu wetteifern, sondern um ihn mehr zu ehren und um die Größe des Hofes seines Königs besser ans Licht zu stellen, die ihm vom König und dem Glücke geschenkten Güter reichlich ausgab und anderen schenkte. Dies erhielt ihn bis zu seinem Lebensende in der Gunst seines Fürsten auf rühmliche Weise; denn der König erkannte so klar wie die Sonne, daß Ariabarzanes von der Natur zu einem leuchtenden Spiegel der Höflichkeit und Großmut gebildet war, und daß man leichter dem Feuer die Wärme und der Sonne das Licht nehmen könnte, als dem Ariabarzanes seine hochherzige Handlungsweise. Er hört daher nicht auf, ihn fortwährend zu ehren, zu erheben und zu bereichern, um ihm mehr die Möglichkeit zu geben, in Fülle zu verschenken. Und in der Tat, obwohl die beiden Tugenden der Freundlichkeit und Freigebigkeit jedermann gut anstehen und ohne sie einer kein echter Mensch ist, so ziemen sie doch ganz vorzüglich Reichen, Fürsten und großen Herren und nehmen sich an ihnen aus, wie auf feinem hellschimmerndem Golde morgenländische Edelsteine und wie an einer schönen holden Frau zwei schöne Augen und zwei elfenbeinerne schöne Hände, wie, edle Frau, Eure schönen Augen und Eure unvergleichlich schönen Hände.
Unser Herr Pirro, Markgraf von Gonzaga, Herr von Gazuolo, das ihr hier am Ufer des Oglio an der Seite gegen den Po hin liegen sehet, der Sprößling der langen Reihe Gonzagischer Herrscher, begehrt, daß ich den merkwürdigen Vorfall mit dem Tode einer gewissen Giulia aus diesem Orte erzähle, der vor einiger Zeit vorgefallen ist. Übrigens könnte dieser hochgeborene Herr viel besser als ich den Hergang der Sache berichten, und hier sind noch viele andere, die dieser Aufgabe so gut als ich genügt und alles genau berichtet hätten. Aber da er mir befiehlt, daß ich den Erzähler mache, will und muß ich ihm gehorchen. Sehr leid tut es mir, daß ich nicht imstande bin, den edeln, mannhaften Geist Giulias zu preisen, wie es die von ihr vollbrachte seltene Tat verdient.
In der Zeit also, da der edle und weise Fürst, der hochgeborene und hochwürdigste Monsignor Lodovico Gonzaga, Bischof von Mailand, hier in Gazuolo wohnte, hielt er immer stattlichen Hof mit vielen ausgezeichneten Edelleuten, da er sich an den Tugenden erfreute und sehr reichlich Geschenke verteilte. Um diese Zeit blühte ein Mädchen von siebzehn Jahren namens Giulia, Tochter eines sehr armen Mannes aus der Gegend von der niedrigsten Abkunft, der nichts hatte, wenn er nicht den ganzen Tag mit seiner mühevollen Händearbeit sich, seiner Frau und seinen zwei einzigen Töchtern den Lebensunterhalt verdiente. Auch seine Frau, ein gutes Weib, bemühte sich sehr, durch Spinnen und ähnliche Handarbeiten etwas zu verdienen. Diese Giulia war sehr schön, mit anmutigem Wesen begabt und weit reizender und feiner, als ihrem niedern Blute zukam. Sie ging bald mit der Mutter, bald mit anderen Frauen auf das Feld, um zu hacken und andere Arbeiten zu verrichten, wie sie gerade nötig waren. Ich erinnere mich, daß ich einst mit der erlauchten Frau Antonia Bauzia, der Mutter dieser unserer hochwohlgeborenen Herren, nach San Bartolomeo ging, als uns diese Giulia begegnete, die mit einem Korbe auf dem Kopf ganz allein vom Felde nach Haus ging. Als die gnädige Frau das schöne Kind sah, das damals etwa fünfzehn Jahre alt sein mochte, ließ sie den Wagen halten und fragte das Mädchen nach ihrer Herkunft. Sie antwortete ehrerbietig, den Namen ihres Vaters nennend, und tat überhaupt den Fragen der Dame so großes Genüge, daß es schien, sie sei nicht in einem Bauernhause unter einem Strohdach geboren und erzogen, sondern habe ihre Jugend am Hofe in den besten Gesellschaften verlebt. Die gnädige Frau äußerte deshalb gegen mich, sie wolle sie ins Haus nehmen und mit andern Fräulein erziehen. Weshalb es nachher unterblieb, wüßte ich euch nicht anzugeben.
Um nun auf Giulia zurückzukommen, so benützte sie an Werktagen ihre Zeit wohl und arbeitete immer entweder allein oder mit andern. An Festtagen sodann ging sie, wie es Gewohnheit dort ist, nach dem Mittagessen mit andern Mädchen zum Tanze und machte sich ein erlaubtes Vergnügen. An einem solchen Tage, als sie ungefähr siebzehn Jahre alt war, warf ein Kammerdiener des genannten Herrn Bischofs, ein Ferrarer, seine lüsternen Blicke auf das Kind, als er sie tanzen sah; sie deuchte ihm das schönste, reizendste Mädchen, das er seit langer Zeit gesehen hatte; sie schien, wie gesagt, in den gebildetsten Häusern erzogen, und er verliebte sich in sie so heftig, daß er seine Gedanken auf nichts anderes mehr wenden konnte. Als der Tanz, der dem Kammerdiener viel zu lang gedeucht hatte, zu Ende war und die Musik von neuem begann, forderte er sie auf und tanzte mit ihr die Gagliarde, weil sie diesen Tanz sehr gut und genau ausführte, so daß es eine wahre Freude war, ihre reizenden Bewegungen mit anzusehen. Der Kammerdiener kam wieder, um mit ihr zu tanzen, und hätte er sich nicht geschämt, so würde er keinen Tanz mit ihr versäumt haben; denn er glaubte, wenn er ihre Hand in der seinigen hielt, das größte Vergnügen zu fühlen, das er je empfunden. Und obschon Giulia den ganzen Tag arbeitete, so hatte sie doch eine weiße, schlanke und sehr weiche Hand. Der arme Verliebte, so plötzlich von ihr und ihrem reizenden Wesen entflammt, glaubte durch ihren Anblick die neue auflodernde Flamme, die ihn schon jämmerlich quälte, zu löschen; aber unvermerkt vermehrte er sie nach und nach immer mehr und goß durch die Beschauung Öl ins Feuer. In dem zweiten und dritten Tanze, den sie ihm erlaubte, flüsterte ihr der Jüngling manchen Witz und zärtliche Worte zu, wie neue Liebhaber zu tun pflegen. Sie gab ihm darauf immer kluge Antworten und sagte, er möge ihr nicht von Liebe reden, weil es ihr als einem armen Mädchen nicht gut anstehe, das Ohr solchen Märchen zu leihen. Weiteres konnte der zudringliche Ferrarer nicht aus ihr herausbringen. Nach Beendigung des Tanzes ging ihr der Ferrarer nach, um ihre Wohnung zu erfahren. In der Folge hatte er oft in Gazuolo und außerhalb der Stadt Gelegenheit, mit Giulia zu sprechen und ihr seine verzehrende Liebe zu entdecken; er bemühte sich fortwährend, seinen Worten Verständnis zu öffnen und ihre eiskalte Brust zu erwärmen. Aber was er auch zu ihr sagte, sie trat nicht im geringsten aus ihrem keuschen Rückhalte; vielmehr bat sie ihn inständig, sie in Ruhe zu lassen und nicht ferner zu quälen. Der schnöde Verliebte aber, dem der Wurm der Lust herb am Herzen nagte, entbrannte desto mehr, je härter und spröder sie sich zeigte; um so mehr verfolgte er sie, um so angelegentlicher wollte er sie seinen Lüsten geneigt machen: doch alles war vergebens.
Er ließ durch eine vertraute Alte, die eine Heilige schien, mit ihr sprechen; sie besorgte ihr Geschäft sehr emsig und bemühte sich, durch schmeichlerische Worte den hartnäckigen Sinn der keuschen Giulia zu bestechen. Aber das Mädchen hatte so feste Grundsätze, daß kein Wort der alten Kupplerin Zutritt in ihre Brust fand. Als der Ferrarer dies hörte, wollte er verzweifeln; er konnte den Gedanken nicht fassen, auf sie zu verzichten, und hoffte immer, daß er durch Bitten, Dienstbezeugungen, Liebe und Ausdauer Giulias grausames Herz noch erweichen werde; es schien ihm unmöglich, daß er sie durch Geduld nicht erweichen sollte. Er machte, wie man im Sprichwort sagt, die Rechnung ohne den Wirt. Da er nun sah, daß sie von Tag zu Tag sich ihm mehr entziehe und, wenn sie ihn sah, ihn wie einen Basilisken meide und fliehe, wollte er versuchen, ob das, was Worte und Dienstleistungen nicht erreichen konnten, durch Geschenke zu erlangen wäre; Gewalt wollte er bis zum Ende aufsparen.
Er sprach wieder mit der schändlichen Alten und gab ihr einige Dinge von geringem Werte, die sie Giulia von ihm bringen sollte. Die Alte ging und fand Giulia ganz allein zu Hause. Sie wollte anfangen, von dem Ferrarer zu sprechen, und zeigte ihr die Geschenke, die er ihr überschickte. Das ehrbare Mädchen nahm die Sächelchen, welche die Alte gebracht hatte, warf sie alle zur Tür hinaus auf die Straße, jagte die verräterische Alte aus dem Hause und sagte ihr, wenn sie es noch einmal wage, diese Sache in Anregung zu bringen, so werde sie auf das Schloß gehen und es Frau Antonia sagen. Die Alte nahm die Sachen von der Straße auf, ging zu dem Ferrarer und sagte ihm, es sei unmöglich, das Mädchen zu gewinnen; sie wisse in der Tat nichts mehr zu tun.
Es ist nicht zu sagen, wie mißvergnügt der junge Mann hierüber war. Gerne hätte er sich von dem ganzen Handel zurückgezogen; aber sobald er daran dachte, sie zu lassen, fühlte er sich dem Tode nahe. Am Ende konnte der arme verblendete Liebhaber es nicht länger aushalten, sich so unbeliebt zu wissen, und beschloß nun, entstehe daraus, was da wolle, bei günstiger Gelegenheit ihr mit offener Gewalt zu entreißen, was sie ihm nicht gutwillig geben wollte.
Am Hofe war auch ein Bereiter des Herrn Bischofs, ein guter Freund des Ferrarers und, wenn ich mich recht erinnere, gleichfalls aus Ferrara. Diesem entdeckte der Kammerdiener seine ganze glühende Liebe und wie sehr er sich abgemüht habe, dem Herzen des Mädchens einiges Mitleid einzuflößen, sie sich aber immer widerstrebender und härter gezeigt als ein Meerfels, und wie er sie nie weder durch Worte noch Geschenke habe erweichen können.
»Nun«, da ich sehe, so schloß er, »daß ich nicht leben kann, wenn ich meine Begierden nicht befriedige, da ich weiß, wie sehr du mich liebst, bitte ich dich, mir beizustehen und mir zu dem Ziele meiner Wünsche zu verhelfen. Sie geht oft allein hinaus auf das Feld, wo ich, da das Getreide schon sehr hoch steht, mein Vorhaben ausführen zu können gedenke.«
Der Bereiter dachte nicht weiter über die Sache nach und versprach, ihn in allem zu unterstützen, was er verlange.
Weil der Kammerdiener nun beständig nachforschte, was Giulia tue, so erfuhr er eines Tages, daß sie ganz allein aus Gazuolo gegangen war. Er ließ den Bereiter rufen und ging auf das Feld mit ihm, wo Giulia etwas zu tun hatte. Hier angekommen fing er an, wie gewöhnlich, sie zu bitten, sie möge doch endlich Mitleid mit ihm haben. Da sich Giulia allein auf dem Felde sah, bat sie den Jüngling, ihr doch nicht noch mehr zur Last zu fallen, und etwas Übles ahnend ging sie nach Gazuolo zu. Der junge Mann aber wollte seine schöne Beute nicht mehr entschlüpfen lassen und tat, als wolle er sie mit seinem Gefährten begleiten, indem er sie immer mit demütigen und liebevollen Worten bat, daß sie mit seinen Qualen Mitleid haben möge. Sie beschleunigte ihre Schritte, beeilte sich, ihr Haus zu erreichen, und ging immer weiter, ohne auf etwas zu antworten, was der junge Mann auch sagen mochte.
So kamen sie an ein großes Kornfeld, durch das ihr Weg sie führte. Es war der vorletzte Mai; es mochte etwa Mittagszeit sein; die Sonne brannte der Jahreszeit gemäß sehr heiß, und das Feld war sehr abgelegen von jeder Wohnung. Als sie in das Feld eingetreten waren, legte der junge Mann seine Arme um Giulias Hals und wollte sie küssen; doch sie suchte zu entfliehen und rief laut um Hilfe. Da faßte sie der Bereiter, warf sie zu Boden und steckte ihr plötzlich ein Tuch in den Mund, so daß sie nicht mehr schreien konnte. Beide hoben sie nun auf und trugen sie unter Anwendung von Gewalt eine gute Strecke weit von dem das Feld durchschneidenden Fußpfade hinweg. Dort hielt ihr der Reitknecht die Hände, und der zügellose Jüngling raubte dem armen geknebelten Kinde, das sich nicht widersetzen konnte, die Blüte seines Leibes. Das unglückliche Geschöpf weinte bitterlich und tat ihre unglaubliche Pein durch Seufzen und Stöhnen kund. Der grausame Kammerdiener aber zwang sie zum zweitenmal zur Befriedigung seiner Lüste und erlaubte sich mit ihr alle Genüsse, die er mochte. Dann ließ er ihr den Knebel abnehmen und wollte anfangen, sie mit freundlichen Worten zu trösten: er versprach ihr, sie niemals zu verlassen und mitzuhelfen, daß sie sich passend verheiraten könne und es ihr gut gehe. Sie sagte nichts, als sie sollten sie loslassen und ihr erlauben, frei nach Hause zu gehen; dabei weinte sie fortwährend bitterlich. Der Jüngling versuchte von neuem, sie mit süßen Worten, mit ausgedehnten Versprechungen zu trösten; auch wollte er ihr sogleich Geld geben, um sie zur Ruhe zu bringen. Aber er sang tauben Ohren, und je mehr er sich bemühte, sie zu trösten, um so lauter weinte sie. Als sie jedoch sah, daß er nicht aufhörte zu sprechen, sagte sie zu ihm: »Junger Mann, du hast aus mir gemacht, was du wolltest, und deine unreinen Lüste befriedigt. Jetzt bitte ich dich um die Gunst, mich freizulassen und mir zu erlauben wegzugehen. Laß dir genügen, was du getan hast! Es war doch schon zu viel.«
Der Verliebte fürchtete, Giulia möchte durch ihr lautes Weinen die Sache entdecken, und als er sah, daß seine Bemühungen nichts nützten, beschloß er, sie gehen zu lassen und mit seinem Begleiter sich zu entfernen. Und so tat er auch.
Nachdem Giulia ihre verlorene Unschuld eine Weile bitterlich beweint hatte, legte sie ihre zerzausten Kleider wieder zurecht, trocknete sich, so gut es ging, die Augen, kam bald nach Gazuolo und ging in ihr Haus. Weder ihr Vater noch ihre Mutter war da; bloß ihre Schwester fand sie, ein Kind von zehn bis elf Jahren, das, weil es etwas unpäßlich war, nicht hatte ausgehen können. Als Giulia im Hause war, öffnete sie ihre Kiste, in der sie ihre kleinen Habseligkeiten hatte. Dann zog sie alle Kleider aus, die sie anhatte, nahm ein frischgewaschenes Hemd und legte es an. Dann nahm sie ihren Schleier von schneeweißem Boccaccin, eine Halskrause von blendendem Flor und eine weiße Florschürze um, die sie bloß an Festtagen zu tragen pflegte. Sodann zog sie Strümpfe von weißem Sarsch und rote Schuhe an. Weiter schmückte sie sich das Haupt, so reizend sie konnte, und band um den Hals eine Schnur gelber Bernsteine. Kurz, sie putzte sich auf mit dem Schönsten, was sie finden konnte, als wenn sie sich auf dem größten Feste von Gazuolo hätte zeigen wollen. Dann rief sie ihre Schwester und schenkte ihr alle andern Sachen, die sie besaß, nahm sie bei der Hand, schloß die Haustür und ging in ein Nachbarhaus zu einer sehr alten Frau, die schwerkrank zu Bett lag. Dieser guten Frau erzählte Giulia weinend den ganzen Hergang ihres Unglücks und sagte zu ihr: »Verhüte Gott, daß ich am Leben bleibe, nachdem ich meine Ehre verloren habe, auf der die Freude meines Daseins ruhte! Nimmermehr soll es geschehen, daß man mit Fingern auf mich deute oder mir ins Gesicht sage: ›Sieh das artige Mädchen, das eine Metze ward und ihre Familie geschändet hat, und die sich verstecken müßte, wenn sie Verstand hätte!‹ Ich will nicht, daß man je einem der Meinigen vorrücke, ich habe mich freiwillig dem Kammerdiener hingegeben. Mein Tod mache der ganzen Welt bekannt und gebe das sicherste Zeugnis, daß, wenn auch mein Leib mit Gewalt geschändet ward, meine Seele doch rein und unbefleckt geblieben ist. Diese wenigen Worte wollte ich Euch sagen, damit Ihr das Ganze meinen armen Eltern erzählen und sie versichern könnt, daß ich nie meine Zustimmung dazu gegeben habe, die schändlichen Lüste des Kammerdieners zu befriedigen. Lebt in Frieden!«
Nachdem sie diese Worte gesprochen hatte, ging sie hinaus und eilte dem Oglio zu; ihr Schwesterchen lief hinter ihr drein und weinte, ohne zu wissen warum. Sobald Giulia den Fluß erreicht hatte, stürzte sie sich köpflings in die Tiefe des Oglio. Auf das Weinen der Schwester, die laut zum Himmel schrie, liefen viele herbei, aber zu spät. Giulia war vorsätzlich in den Fluß gesprungen, um sich zu ertränken; sie gab sich keine Hilfe und war plötzlich in den Wellen verschwunden.
Der Herr Bischof und die gnädige Frau ließen, als sie von dem kläglichen Ereignis hörten, die Unglückliche aufsuchen. Unterdessen ergriff der Kammerdiener, der den Reitknecht zu sich rief, die Flucht. Die Leiche ward aufgefunden; die Ursache, weshalb sie sich ertränkt hatte, ward bald bekannt, und alle Frauen und ebenso die Männer des Landes ehrten ihr Andenken mit allgemeinem Klagen und Weinen. Der hochwohlgeborene und hochwürdigste Herr Bischof ließ sie auf dem Markte (da sie in geweihtem Boden nicht beerdigt werden durfte) in eine Gruft legen, die sich noch dort befindet, mit dem Vorsatz, sie in einem ehernen Sarge beizusetzen und diesen auf die Marmorsäule zu stellen, die noch auf dem Markte zu sehen ist.
Und in Wahrheit verdient diese Giulia nach meinem unmaßgeblichen Urteil kein geringeres Lob als die römische Lukretia und ist ihr vielleicht (alles genau überlegt) noch vorzuziehen. Nur die Natur ist anzuklagen, daß sie einem so hohen edeln Geiste wie Giulias keine vornehmere Geburt anwies. Doch jeder muß ja für edel gelten, der ein Freund der Tugend ist und die Ehre allem in der Welt vorzieht.
Mailand ist, wie ihr alle wißt und täglich sehen könnt, eine Stadt, die in Italien wenige ihresgleichen hat in Beziehung auf alles, was erfordert wird, um eine Stadt edel, volkreich und wohlhabend zu machen; denn wo die Natur es hat fehlen lassen, da ist der Fleiß der Menschen ergänzend eingetreten, so daß in nichts, was zum Leben notwendig ist, etwas zu wünschen übrigbleibt. Ja, die unersättliche Natur der Sterblichen hat noch alle Feinheiten und Kostbarkeiten des Morgenlandes dazugefügt nebst den früheren Weltaltern unbekannten Wundern und Kostbarkeiten, die unsere Zeit mit unschätzbarer Mühe und den schwersten Gefahren aufgespürt hat. Darum sind unsere Mailänder in der Fülle und Feinheit der Speisen ganz ausgezeichnet und in allen ihren Mahlzeiten höchst glänzend, und sie meinen nicht leben zu können, wenn sie nicht immer in Gesellschaft leben und speisen. Was sollen wir sagen von dem Prunk der Frauen in ihren Kleidungen mit all dem getriebenen Golde, Borten, Stickereien, Spitzen und köstlichen Kleinodien, so daß, wenn eine Edelfrau unter die Tür tritt, man manchmal meint, es sei die Himmelfahrt in Venedig? Und in welcher Stadt weiß man so viele prächtige Wagen, die aufs feinste vergoldet sind mit so viel reichem Schnitzwerk, gezogen von vier der trefflichsten Renner, als man in Mailand täglich sieht? Man findet hier über sechzig vierspännige, und zweispännige in Unzahl, mit den reichsten seidenen, mit Gold durchwirkten und so mannigfaltigen bunten Decken, daß, wenn die Frauen durch die Straßen fahren, es aussieht, als ginge ein Triumphzug durch die Stadt, wie es sonst bei den Römern Sitte war, wenn sie siegreich von den bezähmten Provinzen und besiegten und unterworfenen Königen nach Rom zurückkehrten. Hier fällt mir ein, was ich voriges Jahr in der neuen Vorstadt die hochwohlgeborene Frau Isabella von Este, Markgräfin von Mantua, sagen hörte, die, als der Markgraf Guglielmo gestorben war, nach Monferrato ging, um der Markgräfin ihr Beileid zu bezeugen. Sie wurde von unsern Edelfrauen ehrerbietig besucht, wie das immer geschehen ist, sooft sie nach Mailand kam. Als sie nun diese Menge von reichen Wagen so köstlich geschmückt sah, sagte sie zu den Frauen, welche kamen, um ihr aufzuwarten, sie glaubte nicht, daß im ganzen übrigen Italien ebensoviele schöne Wagen seien. In dieser Üppigkeit und Pracht, Lust und Bequemlichkeit leben die Frauen von Mailand und sind darum gemeiniglich zutraulich, mild, freundlich und von Natur geneigt, zu lieben und geliebt zu werden und unaufhörlich ein Leben in der Liebe zu führen. Und um geradeheraus zu sagen, was ich denke, scheint mir, es fehle ihnen gar nichts, um sie vollkommen zu machen, als daß ihnen die Natur eine ihrer Schönheit, ihren guten Sitten und ihrem artigen Wesen entsprechende Mundart verliehen hat; denn in der Tat, das Mailändische hat eine Aussprache, die für die Ohren der Fremden äußerst abstoßend ist. Dennoch ermangeln sie nicht, durch Sorgfalt dem natürlichen Mangel abzuhelfen; denn es sind nur wenige Frauen, die nicht durch Lesen guter italienischer Bücher und durch Umgang mit gut Redenden sich überwänden, allmählich unterrichtet zu werden und durch Feilung der Sprache eine angemessene und liebliche Redeweise zu gewinnen, die sie viel angenehmer im Umgang macht.
Um aber auf die Novelle zu kommen, die ich euch zu erzählen beabsichtige, und die voriges Jahr in der Fastenzeit sich ereignet hat, so sage ich, es war hier in Mailand ein Edelmann aus einer Stadt nicht sehr weit von hier, der wegen Händeln, die er mit Grenznachbarn seines Schlosses führte, ein bequemes Haus gemietet hatte, worin er mit seiner geehrten Familie lebte. Es war ein reicher junger Mann, und wenn er zwei- bis dreimal in der Woche oder nach den Umständen mehr oder weniger häufig mit seinen Anwälten und Advokaten gesprochen hatte, überließ er die Besorgung einem seiner Schreiber, der sehr gewandt und geübt war im Prozeßführen, und ließ sich's den ganzen Tag über wohlsein und eilte dem Wagen bald dieser, bald jener Frau nach. Nun ließ der Graf Antonio Crivello nach seiner Gewohnheit eine Komödie aufführen und gab einer großen Zahl von Edelleuten und Frauen ein kostbares Gastmahl; dabei war auch der junge Prozeßführer, den wir künftig Lattanzio nennen wollen, da ich mich für jetzt seines wirklichen Namens nicht bedienen mag, wie es mir auch mit dem Namen der Frau geraten scheint, von der ich zu reden haben werde und die denn den Namen Caterina führen mag. Lattanzio saß also beim Abendessen und kam dabei zufällig an die Seite Caterinas, die er früher niemals gesehen zu haben glaubte, oder wenn er sie auch gesehen hatte, so hatte sie keinen Eindruck auf ihn gemacht. Gastmahle pflegen große Vertraulichkeit zu erzeugen zwischen solchen, die bei Tische nebeneinander zu sitzen kommen. Dies geschah auch zwischen Lattanzio und der Frau; denn er ließ sich angelegen sein, verschiedene Unterhaltungen mit ihr anzuknüpfen und ihr aufzuwarten, indem er ihr vorschnitt und ähnliche Dienste leistete, wie Edelleute bei Tische zu tun pflegen. Caterina war sehr anmutig und liebenswürdig, sprach schön, und wenn sie nicht selbst zu den Schönsten gehörte, so konnte sie doch unter den Schönsten ohne Beschämung verweilen.
Während sie nun miteinander sprachen und Lattanzio sie ziemlich fest ins Auge faßte, gefiel ihm mehr und mehr der Umgang und das ungezwungene Wesen der Frau, und so sog er unvermerkt durch die Augen das Gift der Liebe ein, so daß er, ehe man die Tafel aufhob, sehr gut wahrnahm, daß der Pfeil der Liebe schon nur zu tief eingedrungen sei. Nun wurde das Essen beendigt, und man fing an zu tanzen; Lattanzio forderte die Frau zum Tanze auf, und sie nahm die Einladung freundlich an. Er nahm sie bei der Hand, tanzte langsam und ließ sich allmählich mit ihr in ein Gespräch ein über Liebesdinge. Sie zeigte sich keineswegs spröde gegen solche Verhandlungen; Lattanzio schob nun einen Stein weiter vor und setzte ihr angelegentlich auseinander, wie sehr ihm ihr Wesen und Gebaren, ihre Anmut und Schönheit gefalle. Er sagte ihr sodann, wie heftig er für sie glühe, und bat sie in angemessenen Worten, ihn zu ihrem Diener anzunehmen und mit ihm Erbarmen zu haben. Die Frau antwortete ihm sehr behutsam, sie wisse es wohl zu schätzen, daß sie von ihm geliebt werde, da sie ihn als einen verständigen, gesitteten und anmutigen Edelmann kenne, der ihr nichts als die Unbeflecktheit ihrer Ehre zumuten würde. Unter diesen und ähnlichen Gesprächen ging der Tanz zu Ende, und sie saßen nebeneinander, indem sie fortwährend von Liebe sprachen. Das Fest dauerte bis nach Mitternacht, und die ganze Zeit über sprach Lattanzio in gleichem Sinne, bekam aber fortwährend nur die nämlichen Antworten zurück, die alle darauf hinausliefen, daß sie die Liebe nicht außer Auge lassen werde, die sie für ihren Gemahl zu hegen verbunden sei, und ebensowenig ihre beiderseitige Ehre, die ihr teurer sein müsse als das Leben; sie wolle ihn aber wie einen Bruder lieben, da sie ihn als einen so wackern und ritterlichen Herrn kenne.
Als Lattanzio sah, daß die Frau es nicht abwies, von Liebe zu reden, und daß sie sich mit ihm schon in große Vertraulichkeit eingelassen hatte, war er fürs erstemal damit zufrieden und begleitete die Frau in Gesellschaft von vielen andern Männern und Frauen bis an ihr Haus. Und da er in der Tat wirklich in sie verliebt war, faßte er ihr Haus ins Auge, suchte herauszubringen, wohin sie zur Messe ging, und fand, daß sie gewöhnlich in San Francesco die Messe hörte. Er fing daher an, diese Kirche häufig zu besuchen und sich mit den Edelleuten zu unterhalten, die dahin kamen, und warf dabei seiner Caterina verliebte Blicke zu, die ihm freundliche Miene machte und zeigte, daß sie ihn sehr gerne sah.
Indessen war die zügellose Zeit des Karnevals gekommen. Lattanzio ritt eines Tages maskiert auf einem ganz rüstigen spanischen Klepper vor dem Hause der Frau vorbei, die eben unter der Türe stand; dort hielt er stille, machte ihr ein Zeichen, daß sie ihn erkannte, und knüpfte ein Gespräch mit ihr an, das er auch ziemlich lange fortsetzte, wobei er immer von seiner Liebe redete. Sie zeigte sich ihm mehr als gewöhnlich gewogen, scherzte und spaßte mit ihm ganz vertraulich und hatte schon halb und halb bei sich beschlossen, Lattanzio zum Liebhaber zu nehmen; doch wollte sie vorerst ihn genauer kennenlernen und womöglich versuchen, von welcher Art und Charakter er sei. Lattanzio dachte in ihr eine sehr angenehme und zutunliche Frau gefunden zu haben, und nachdem er sie dringend gebeten, sie solle mit ihm Erbarmen haben und ihm Befehle erteilen, um zu sehen, daß er ihr zu jedem Dienste gewärtig sei, empfahl sie sich ihm demütig und schied von dannen. Als er fort war, zog sich die Frau in ihr Gemach zurück voll Gedanken an die Liebe Messer Lattanzios und an die dringenden Bitten, womit er sie bestürmt hatte, und begann etwas mehr als gewöhnlich von Liebe zu ihm zu entbrennen.
Der Gemahl der Frau war zu Hause sehr widerlich; er ließ sie zwar hingehen, wohin sie wollte, und sich prächtig kleiden, gab ihr aber doch oft derbe Worte. Außerdem war er in der Straße San Rafaele gegenüber der Hauptkirche in ein schönes Mädchen heftig verliebt, welches Hauben, Gürtel, Schnüre, Halskrausen und anderen Frauenschmuck feilhielt, was seine Frau von einer Gevatterin erfahren hatte. Aus diesem Grunde wurde sie auf ihren Gemahl sehr böse und beschloß, ihm Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Lattanzio kam ihr daher ganz gelegen, und sie machte ihm tagtäglich eine bessere Miene, worüber der Liebhaber sehr zufrieden war. Die Gevatterin, die der Frau die Liebschaft des Mannes hinterbracht hatte, wohnte ganz nahe bei ihrem Hause und hatte nur ein kleines Söhnchen von zwei Jahren und eine Magd bei sich. Als nun Lattanzio fortfuhr, Caterina schönzutun, und sie mehrmals die Festzeit über gesprochen hatte, ließ sie eines Tages, als ihr Mann zum Mittagessen ausgegangen war, ihre Gevatterin rufen und bat sie, ihr bei Tische Gesellschaft zu leisten, wie sie schon oft zu tun gepflegt. Nach dem Essen, als die Masken durch die Straßen zu laufen anfingen, trat Caterina mit ihrer Gesellschaft ans Fenster zur Unterhaltung. Sie waren noch nicht lange dort gewesen, so kamen viele Masken vorüber; mit einer derselben kam auch Lattanzio im Gespräche auf einem Maultiere reitend, aber nicht maskiert. Als er seine Geliebte am Fenster sah, machte er höflich mit dem Barett in der Hand sein Kompliment. Als er vorüber war, sagte Caterina schnell: »Gevatterin, kennt Ihr den jungen Mann, der dort im Gespräche mit der Maske vorbeigeht?«
»Nein«, antwortete die Gevatterin, »aber warum fragt Ihr mich?«
»Das will ich Euch sagen«, fügte diese hinzu, »ich bin gewiß, Ihr werdet mir glauben und bei Euch geheimhalten, was ich Euch offenbare, da Ihr sehen werdet, daß meine Lage es verlangt. Ihr müßt Euch erinnern, daß ich mich vielfach bei Euch im stillen beklagt habe über die auffallende Lebensweise, die mein Mann führt; es sind etwa sieben Jahre, seit ich in sein Haus gekommen bin, und mit Ausnahme des ersten Jahres, wo ich nicht darauf achtete, war er nie ohne eine Liebschaft, mit der er einen großen Teil seiner Einkünfte vergeudet. Jetzt ist er den ganzen Tag in der Straße San Rafaele bei Isabella (die Ihr ja kennt); am letzten Weihnachten gab er ihr siebenunddreißig Ellen venezianischen schwarzbraunen Atlas zum Angebinde. Es ist darüber zwischen uns beiden mehrmals zu scharfen Reden gekommen; aber ich richtete nichts aus, so daß ich nun oft sehr verstimmt bin, wenn ich das böse Leben bedenke, das er führt. Ich Arme hätte einen Grafen von Languschi in Pavia heiraten können; aber meine Brüder wollten durchaus, daß ich diesem bösen Menschen zuteil würde. Was er Gutes hat, ist, daß er mir große Freiheit läßt in der Kleidung und im Ausgehen, wohin ich will, in der Haushaltung und in den Ausgaben, worin ich gar nicht beschränkt bin. Dennoch ist er im Hause widerwärtig über alle Begriffe; man kocht nie eine Speise, die ihm recht ist, und nie will er doch in der Küche etwas anordnen. Er hat immer den und jenen bei sich zu Tische, und je mehr Leute da sind, um so mehr schreit und lärmt er und mißt bei allem mir die Schuld bei, so daß er, wie man zu sagen pflegt, ein Teufel im Hause und der Spott auf der Straße ist. Was mich aber am meisten drückt und mir das Herz beschwert, ist, daß der böse Mann keine drei Male im Monat bei mir schläft, als wäre ich ein altes gelähmtes Mütterchen von sechzig Jahren, während ich noch nicht dreiundzwanzig zähle und doch noch frisch und zart bin; und bin ich auch nicht die Schönste in Mailand, so darf ich mich doch unter den andern sehen lassen; ja, wenn ich nur wollte, würde mir es nicht an Männern fehlen, die mir den Hof machten. Ich weiß wohl, wie viele und darunter die ersten Männer dieser Stadt mir geschmeichelt und mich mit Botschaften und Briefen angegangen haben; aber ich habe immer alle abgewiesen getreu dem Rate meiner seligen Mutter, die mir immer einschärfte, alle meine Liebe und alle meine Gedanken dem zuzuwenden, den ich zum Gatten nehmen würde, wie es die gute Frau meinem Vater gegenüber getan hatte; und fürwahr, ich bin ihr immer gefolgt in der Hoffnung, mein Mann werde doch seinen schlimmen Lebenswandel auch einmal aufgeben. Aber es wird im Gegenteil immer schlimmer mit ihm, so daß ich nunmehr beschlossen habe, für mich zu sorgen. Gott verzeih' mir's, denn ich kann nicht mehr so leben. Hätte ich ohne Mann leben wollen, so wäre ich Nonne geworden wie meine ältere Schwester, die im Kloster Santa Redegonda den Schleier genommen hat. Nun, liebe Gevatterin, ich habe Euch diese kurze Auseinandersetzung gemacht, um von Euch Beistand und Rat zu erhalten, in der festen Überzeugung, daß Ihr alles für mich tun werdet, wovon Ihr wißt, daß Ihr mir dadurch Freude und Nutzen verschaffen könnt.«
Die Gevatterin erklärte sich gerne dazu bereit.
»Ihr habt«, fuhr nun Caterina fort, »soeben den jungen Mann auf dem Maultiere vorüberreiten sehen, von welchem Ihr sagtet, Ihr kennet ihn nicht; er scheint mir ein sehr zuverlässiger und artiger Mann. Er hat schon oft in diesem Karneval mit mir gesprochen und um meine Liebe geworben, ich habe ihm aber keine zustimmende Antwort gegeben. Allerdings habe ich seit einigen Tagen ihm ein freundlicheres Gesicht gemacht als gewöhnlich. Nunmehr habe ich in meinem Sinne beschlossen, daß er die Lücken meines Mannes ausfüllen soll, bei Tage wie bei Nacht, und zwar soll es so geheim und bequem wie möglich geschehen. Da ich aber glaube, daß wir beide allein diese meine Wünsche nicht zu dem ersehnten Ziele werden führen können, glaube ich, es wird wohlgetan sein, wenn ich mich meiner Alten entdecke, die, wenn mein Mann über Nacht nicht nach Hause kommt, in meinem Zimmer schläft; denn den jungen Mädchen würde ich mich nimmermehr anvertrauen. Was sagt Ihr dazu, meine teure Gevatterin?«
»In der Tat, Madonna«, antwortete darauf die gute Frau Caterina, »ich habe Euch immerdar sehr bemitleidet, da ich Euch so schön, jung und kostbar und üppig erzogen weiß und daneben das schändliche Leben des Gevatters kenne. Was Ihr mir gesagt habt, soll immer in mir begraben bleiben. Und wenn Ihr beschlossen habt, nicht Eure Jugend ganz zu verlieren, so tut Ihr sehr wohl daran. Ich wäre nun der Ansicht, daß Ihr mich mit der Alten reden und ihre Gesinnung erforschen laßt, um zu sehen, wie sie sich dabei benimmt; und laßt nur die Sache mich ausführen: ich hoffe sie zu einem guten Ziele zu bringen.«
Es blieb bei dem Beschlusse, daß die Gevatterin mit der Alten reden solle, und wenn sie sie ihren Plänen günstig finde, solle man nicht zögern, Lattanzio in den Besitz der so sehr ersehnten Güter zu setzen, wozu bereits die Art und Weise vorgesehen war, auf die er jede Nacht, wo der Mann nicht zu Hause wäre, leicht sich bei der Frau einfinden könnte. Es war ein Sackgäßchen an der Hinterseite von Caterinas Hause, von dem eine Tür herausging, die in ein großes Zimmer im Erdgeschosse führte, worin ein Paar alte, nicht mehr gebrauchte Weinkufen standen. Die Tür war seit vielen Jahren nicht geöffnet worden, und niemand hatte mit diesen Weinkufen zu tun; ja, auch in das Gäßchen selbst kam niemand, und kein Mensch im Hause dachte daran, um so mehr, als ein großes Faß davorstand, das den Anblick der Tür vollständig verdeckte. Die Liebe aber hat mehr Augen als Argus, und da die Frau einmal beschloß, Lattanzio in das Haus einzuschmuggeln, lieh ihr Amor eines seiner Augen, mit dem sie die Tür entdeckte. Alles wohlüberlegt, glaubte sie keinen sichereren Weg zu finden, um ihre Begierden zu befriedigen. Die Gevatterin sprach sodann mit der Alten und fand sie ganz geneigt zu allem, was ihre Gebieterin wünschte. Sie verabredete daher alles, was zu tun war, und Caterina suchte so lange, bis ihr ein Bund alter Schlüssel in die Hände fiel, unter welchen die Alte bald diesen, bald jenen probierte und endlich den fand, der die Tür öffnete.
Als dies geschehen war und einst am letzten Tage des Karnevals Caterina gegen Abend an der Türe stand, kam Lattanzio zu Pferde und maskiert vorüber, näherte sich ihr und wünschte ihr höflich guten Abend. Die Frau nahm ihn freundlich auf; Lattanzio begann das gewöhnliche Gespräch über seine Liebe, bat, ihm Gelegenheit zu geben, sie insgeheim sprechen zu können, und nachdem sie sich ein paar Male hatte bitten lassen, konnte sie nicht mehr länger sich weigern; denn sie hatte ebenso große Lust, heimlich bei Lattanzio zu sein, wie er bei ihr.
»Mein Lattanzio«, sagte sie, »ich will dir alles glauben, was du jetzt und so oft mir von der Liebe, die du für mich hegest, vorgesprochen hast, und will mein Leben und meine Ehre in deine Hände geben. Habe nun acht, daß du sie gut in Obhut hältst und für dich und mich in einer Weise sorgst, daß kein Nachteil und noch weniger Schande daraus erwachse! Du kennst das Gäßchen hinter meinem Hause: dies wird dir Zutritt zu mir gestatten, sooft mein Mann nicht zu Hause ist. Und um keine Boten hin und her schicken zu müssen, wird meine Gevatterin in diesem Hause dort – sie zeigte ihm die Tür –, die in meine Gesinnung vollständig eingeweiht ist, dich von allem unterrichten. Wenn ich nicht irre, kommt mein Mann heute abend weder zum Essen noch zum Schlafen nach Hause. Die Gevatterin ißt mit mir zu Nacht zwischen zwei und drei Uhr; um vier Uhr lasse ich mein ganzes Gesinde zu Bett gehen, die Gevatterin aber bleibt bei mir. Mit dem Schlage vier Uhr wird sie dich erwarten, und du wirst von ihr erfahren, ob mein Mann nach Hause kommt oder nicht, und hiernach wirst du dich halten. Um eines aber bitte ich dich sehr, dich in dieser Sache so wenig als möglich deinen Dienern anzuvertrauen, damit nicht, wenn einer von dir fortkommt, wie dies ja oft geschieht, er Anlaß werde, daß wir in das Gerede der Leute kommen.«
Als Lattanzio diese unerwarteten Äußerungen hörte und an dem Funkeln der Augen seiner Geliebten merkte, daß sie ganz von Liebe glühte, hielt er sich für den frohesten und glücklichsten Menschen von der Welt und war so voll Verwunderung und Wonne, daß er fast außer sich kam und nicht wußte, was er sagen sollte. Sobald er sich aber etwas gefaßt hatte, sagte er der Frau den größten Dank, versprach ihr, er werde ganz allein kommen, um die Gevatterin aufzusuchen, und werde vor allen seinen Dienern seinen Liebeshandel geheimhalten. Sein Herz schwamm in einem Meere von Süßigkeit, er nahm Abschied und ging nach Hause.
Am Abend aß er wenig, denn er war trunken von ungewohnter Freude; auch dachte er an die ihm bevorstehenden Anstrengungen. Mit dem Schlage vier Uhr ging er sodann ganz allein aus und geradeswegs zu der Gevatterin, die ihn hinter der geöffneten Tür erwartete. Er erfuhr von ihr, daß der Mann nicht zum Essen gekommen sei und auch diese Nacht nicht mehr heimkommen werde; es sei ein Bruder der Frau mit einem andern Edelmann dagewesen, den sie nicht kenne, alle seien aber bereits weggegangen. Nachdem sie noch vieles andere miteinander besprochen hatten, ging Lattanzio hinweg, trat in das Gäßchen und gab ein Zeichen, das ihm die Gevatterin gesagt hatte, worauf die Alte, die am Platze stand, ganz sachte die Tür nur so weit öffnete, daß er kaum hineinschlüpfen konnte; denn die Tonne verhinderte das vollständige Öffnen der Tür.
Sobald er eingetreten war, führte ihn die Alte ganz leise in das Zimmer der Frau. Den Willkomm, die Liebkosungen, die Umarmungen des neuen Liebespaars, die Freude und Lust, die sie, nachdem sie das Bett bestiegen, im Genusse ihrer Liebe fanden, – dies alles zu erzählen würde mich allzu weit führen. Übrigens versicherte Caterina am folgenden Tage ihrer Gevatterin heilig und teuer, sie habe in dieser Nacht weit mehr Freude gehabt als in der ganzen Zeit, die sie mit ihrem Manne verlebt.
Ehe noch der Tag graute, schlich Lattanzio müde, aber überglücklich von dannen, nachdem er zum Abschied seiner Geliebten noch mehr als tausend Küsse gegeben hatte. Während er zur Tür hinausging, gab er der guten Alten zehn Golddukaten und ermahnte sie, ihrer Herrin treu zu dienen; er werde es dann auch an nichts fehlen lassen. Die Alte hatte in ihrem Leben noch nie so viele im Besitz gehabt, dankte ihm daher aufrichtig und war höchlich befriedigt. Lattanzio legte sich, als er nach Hause kam, schlafen, denn er war die ganze Nacht nicht aus dem Sattel gekommen.
Die Sache ging so ihren Gang fort, und Lattanzio schlief das ganze Jahr hindurch noch oft bei seiner Geliebten, wobei sie sich die besten Stunden machten. Indessen bekam die Gevatterin viele Dukaten von Lattanzio, der ihr auch versprach, sobald ihr Knabe so weit heranwüchse, ihn zum Edelknaben anzunehmen. Die beiden Liebenden genossen also einander und, wie gesagt, dauerte der Handel ungefähr ein Jahr, so daß ihr Verkehr, der am Karneval begonnen hatte, bis zum nächsten Karneval fortging; da fiel es Caterinas Gatten, ich weiß nicht weshalb, plötzlich ein, wenn er so selten bei seiner Frau schlafe, könnte sie einen andern an seiner Statt annehmen, um seinen Garten zu bestellen und zu begießen, mehr als ihm lieb wäre. Er geriet daher in Eifersucht, ohne zu wissen weshalb; er fing an, mehr zu Hause zu bleiben als bisher, besonders bei Nacht; das war den Liebenden höchst ungelegen.
Als aber endlich die Fastenzeit eintrat, beschloß der Gatte, womöglich die Beichte seiner Frau zu hören. Mit dieser Grille ging er nach Sant Angelo, den Bruder aufzusuchen, bei dem, wie er wußte, Caterina zu beichten gewohnt war; er fing an, Verschiedenes mit ihm zu plaudern, um sein Vertrauen zu gewinnen, und brachte es dahin, als der Mönch einmal angebissen hatte, daß er sich von dem Gerede des Mannes so weit einnehmen und verlocken ließ, daß er ihm versprach, ihn neben sich im Beichtstuhle zu behalten, wenn er die Beichte seiner Frau höre. Als dies besorgt war und der Eifersüchtige dem Mönche viel Geld gegeben hatte, das er in den Mantel nahm, um es nicht mit der Hand zu berühren, erwartete er den Tag, wo die Frau hinginge, um zu beichten. Die Frau war gewohnt, immer einen Tag früher hinzuschicken, um ihren geistlichen Vater zu benachrichtigen. Da der Eifersüchtige dies wußte, unterrichtete er genau den Bruder, worüber er sie zu befragen habe. Als der bezeichnete Tag kam, stieg die Frau nach Tisch in den Wagen und ging nach Sant Angelo, wohin ihr ihr Gatte bereits vorangegangen war. Sobald die Frau ankam, ließ sie ihren Beichtvater rufen und trat in eines der Stübchen, die zum Beichten bereit stehen. Auf der andern Seite nahmen der gottlose Klosterbruder und der verrückte Eifersüchtige, der suchte, was er nicht gerne fand, die Gelegenheit wahr, ohne von jemand gesehen zu werden, in den Beichtstuhl einzutreten. Die Beichte begann, und als es auf das Kapitel der Sünden der Wollust kam, beichtete die Frau die Sünde, die sie mit ihrem Liebhaber trieb.
»Wehe, meine Tochter«, sagte der verruchte Bruder, »habe ich dich nicht voriges Jahr scharf getadelt, und du sagtest mir, du wollest es nicht mehr tun? Hältst du so dein Versprechen?«
»Vater«, sagte die Frau, »ich wußte und vermochte nicht anders zu handeln. An alledem ist das schlechte Leben meines Mannes schuld; Ihr wißt ja, wie er mich behandelt, ich habe es Euch früher ausführlich erzählt. Ich bin ein Weib von Fleisch und Bein wie die andern; ich sehe, daß mein Mann sich nie um mich bekümmert hat: da habe ich mich selbst versorgt, so gut ich konnte. Wenigstens treibe ich doch meine Sache geheim, während die Sünde meines Mannes das Gespräch der ganzen Stadt ist, und nicht nur ins Ohr sagt man sich davon, sondern es ist keine Barbierstube und kein öffentlicher Ort, wo man nicht ein Liedchen drüber sänge. So geht es nicht bei mir, sondern jedermann hat mit mir Mitleid, und es heißt, er verdiene ein so gutes Weib wie mich gar nicht. Ich habe es gegen sieben Jahre ertragen in der Hoffnung, er werde sich bessern und von fremden Weibern lassen; aber es wird nur immer schlimmer. Mir tut es leid, daß ich das tue, was ich tue, und ich weiß, daß ich unsern Herrgott beleidige; aber ich kann nicht anders.«
»Meine Tochter«, antwortete der Bruder, »das darf nicht sein, und diese Ausreden gelten nichts. Du darfst nicht Böses tun, weil ein anderer es tut, sondern deine Pflicht ist, alles geduldig zu ertragen und zu erwarten, bis Gott das Herz deines Mannes rührt; vielleicht tut auch dein Mann nicht all das Böse, was du sagst. Aber wer ist denn dein Liebhaber?«
»Es ist ein junger Edelmann, mein Vater«, antwortete die Frau, »der mich mehr als sein Leben liebt.«
»Ich frage«, antwortete der Mönch, »wie er heißt?«
Als die Frau dies hörte und schon aus Predigten wußte, daß in der Beichte die Namen derer nicht genannt werden dürfen, mit welchen die Sünde begangen wird, um ihrem Namen nicht zu schaden, sagte sie etwas verwundert: »Ha, Vater, wonach fragt Ihr mich? Dies kann ich Euch nicht sagen. Es ist genug, wenn ich meine Sünden bekenne ohne die meines Genossen.«
Sie wechselten noch viele Worte; da aber die junge Frau nicht versprechen wollte, von dem Geliebten zu lassen, wollte der Bruder ihr auch nicht die Absolution erteilen. Sie erhob sich daher aus dem Beichtstuhle, trat in die Kirche, wo sie ihre Gebete sprach, und war dann im Begriffe, in den Wagen zu steigen. Ihr törichter Mann verließ, das Herz voll Verrat und Mißmut, gleichfalls die Beichtkammer und ging durch die Klostertür geradeswegs nach dem Wagen seiner Frau, die, als sie ihn kommen sah, auf ihn wartete. Sobald er in ihre Nähe kam, zückte er einen Dolch, den er an der Seite führte, und rief: »Ha, schamlose Buhlerin!« Und er stach ihr den Dolch in die Brust, daß sie plötzlich tot zur Erde sank.
Es erhob sich ein großer Lärm, und viele Leute versammelten sich daselbst. Er entwich aber ich weiß nicht wohin und flüchtete sich nach wenigen Tagen auf venezianisches Gebiet, wo er versuchte, sich mit den Verwandten seiner Frau auszusöhnen, die ihn aber, als er bald danach einmal auf die Jagd gegangen war, in Stücke hauen ließen.
Dies waren die Folgen der ungehörigen Neugierde des Mannes, der auf unpassenden Wegen zu erfahren trachtete, was er nicht hätte wissen sollen, und dieses Ziel erreichte die Verruchtheit des pflichtvergessenen Mönchs, der nach der Versicherung von einem, der es wissen konnte, im Frieden entlassen wurde, vor welchem Frieden uns aber alle Gott gnädiglich bewahren möge!
In meiner Vaterstadt Venedig, die neben ihren Schätzen besonders reich ist an schönen holden Frauen wie nur irgendeine Stadt in Italien, lebten zu der Zeit, wo der weise Fürst Francesco Foscari die Herrschaft darüber führte, zwei junge Edelleute, deren einer Girolamo Bembo, der andere Anselmo Barbadico genannt wurde. Zwischen beiden bestand, wie das oft zu geschehen pflegt, die tödlichste Feindschaft und ein so heftiger bitterer Haß, daß sie nicht müde wurden, einander durch geheime Ränke zu schaden und auf alle ihnen mögliche Weise Schmach anzutun. Sie ließen Hader und Zwietracht soweit unter sich aufkommen, daß es beinahe unmöglich schien, sie jemals wieder zu vereinigen. Da geschah es, daß beide zu einer und derselben Zeit Weiber nahmen, und der Zufall wollte, daß ihre beiderseitige Wahl zwei sehr schöne und liebliche edle Jungfrauen traf, die von der gleichen Amme ernährt und aufgezogen waren und sich so schwesterlich liebten, als wären sie aus einem Leibe hervorgegangen. Die Gattin Anselmos, die Isotta hieß, war die Tochter von Messer Marco Gradenigo, einem Manne von größtem Ansehen in unserer Stadt, der zu den Prokuratoren von Sankt Markus gehörte, deren Zahl damals noch nicht so groß war wie heutzutage, weil nur die weisesten und besten Bürger zu einer so edeln und angesehenen Würde gewählt wurden und keiner durch Ehrgeiz oder Geld dazu gelangte. Luzia hieß die andere. Sie hatte zum Gatten den andern der beiden Edelleute genommen, von welchen ich bereits gesprochen habe, mit Namen Girolamo Bembo. Sie war die Tochter des Ritters Messer Gian Francesco Valerio, eines gelehrten Mannes, der schon mehrere Gesandtschaften im Auftrag seiner Vaterstadt besorgt hatte und in jenen Tagen von Rom zurückgekehrt war, wo er zur höchsten Zufriedenheit der ganzen Stadt beim Heiligen Vater das Amt eines Botschafters verwaltet hatte.
Als nun die beiden jungen Frauen verheiratet waren und die zwischen ihren Gatten obwaltende Feindschaft wahrnahmen, empfanden sie dies mit großer Betrübnis und Verdrossenheit; denn sie erachteten es für einen unerträglichen Zwang, nicht länger ihr freundschaftliches Verhältnis fortsetzen zu dürfen, an das sie seit ihren zartesten Jahren gewöhnt waren. Klug und verständig aber, wie sie waren, beschlossen sie doch, um des Hausfriedens willen auf gewohnte innige Vertraulichkeit äußerlich zu verzichten und sich nur an gelegenen Orten und zu schicklichen Zeiten den Umgang zu gestatten. Das Glück war ihnen hierin insofern günstig genug, als ihre beiden Paläste dicht nebeneinander lagen und die dazugehörigen kleinen Gärten hinter denselben nur durch einen dünnen Zaun voneinander geschieden waren, so daß sie sich täglich sehen und häufig sprechen konnten. Überdies unterhielt die Dienerschaft des einen Hauses hinter dem Rücken ihrer Herren ganz freundschaftlichen Verkehr mit der des andern. Den beiden Freundinnen machte dies das größte Vergnügen; denn sobald ihre Männer ausgingen, konnten sie mit bester Muße im Garten lange sich miteinander unterhalten, und sie taten dies sehr oft.
Unter solchen Verhältnissen vergingen etwa drei Jahre, ohne daß eine von ihnen schwanger geworden wäre. Mittlerweile hatte der Anblick der reizenden Schönheit Madonna Luzias in Anselmo eine solche Leidenschaft entzündet, daß er sich keinen Tag beruhigen zu können meinte, bevor er nicht eine lange Weile mit ihr geliebäugelt hätte. Ihr Scharfsinn und ihre Schlauheit versahen sich auch dessen alsobald, und da sie ihm weder Liebe noch auch völlige Unbekümmertheit zeigte, hielt sie ihn in Ungewißheit zwischen Furcht und Hoffen, um besser erspähen zu können, worauf seine verliebten Blicke abzielten. Doch tat sie mehr, als ob sie ihn gern sähe, als umgekehrt. Auf der andern Seite hatte das sittsame Wesen, das kluge Betragen und die anmutvolle Schönheit Madonna Isottas Messer Girolamo so wohl gefallen wie eine Geliebte nur jemals einem Liebenden. Er wußte nicht ohne ihren holden Anblick zu leben, und es war Isotta, die mit ihrem gescheiten Auge sehr klar sah, sehr leicht, diese unerwartete Liebe zu bemerken. Sie war aber sehr keusch und ehrbar und liebte ihren Gatten im höchsten Grade, und sie machte daher Girolamo ein ebenso freundliches oder nicht freundliches Gesicht wie im allgemeinen jedem Bürger oder Fremden, der sie ansah, und pflegte sich zu stellen, als kenne sie ihn gar nicht. Seine Leidenschaft entflammte sich aber mehr und mehr, und er verlor ganz die Freiheit, wie einer, dem der Pfeil der Liebe das Herz getroffen hat, und er konnte auf nichts anderes seine Gedanken wenden als auf sie. Die zwei Freundinnen waren gewohnt, täglich zur Messe zu gehen, und zwar meist nach der Kirche San Fantino, weil diejenigen, welche später aufstanden, dort bis Mittag immer eine Messe fanden. Sie hielten sich dann jederzeit in einer kleinen Entfernung von einander, und ihre beiden Liebhaber fanden sich fortwährend auch ein und gingen der eine da, der andere dort umher, so daß sie beide für eifersüchtige Ehemänner verrufen wurden, da man sie so hinter ihren Frauen herkommen sah, während doch beide nur bemüht waren, einander auf die Festung Hornberg zu bringen.
Es begab sich nun, daß die beiden getreuen Milchschwestern, von denen bis jetzt noch keine das Geheimnis der andern ahnte, sich vornahmen, einander diese ihre Eroberungen mitzuteilen, damit diese nicht etwa im Verlaufe der Zeit dem zwischen ihnen bestehenden guten Einvernehmen eine Störung bereiteten. Dieser beiderseitige Beschluß führte sie eines Tages, als ihre Männer beide ausgegangen waren, an der gewohnten Stelle an dem Gartenzaun zusammen. Als sie sich trafen, lachten sie einander zu gleicher Zeit ins Gesicht, und nach den gewohnten freundlichen Begrüßungen nahm Madonna Luzia folgendermaßen zuerst das Wort: »Meine liebe Schwester Isotta, du weißt noch gar nicht, daß ich dir eine allerliebste Geschichte von deinem Herrn Gemahl zu hinterbringen habe.«
»Und ich«, fiel Madonna Isotta sogleich ein, »habe dir ein Abenteuer von dem deinigen zu erzählen, das dich in nicht geringes Erstaunen, wo nicht gar in gewaltigen Zorn versetzen wird.«
»Was ist es denn«? sprach eine zu der andern. Und am Ende erzählte jede, was ihr Gatte im Schilde führte. Obgleich voll Unwillens gegen ihre Gatten, mußten sie doch hierüber sehr lachen. Sie waren freilich der Meinung (und mit vollem Recht), sie seien vollkommen hinreichend und passend, um die Wünsche ihrer Männer zu befriedigen; daher fingen sie an, diese zu schmähen, und behaupteten, sie verdienten es, daß ihnen Hörner wachsen, wenn sie ebenso unehrbare Frauen wären, wie sie unvorsichtige und pflichtvergessene Männer.
Nachdem sie nun hierüber viel hin und her geredet hatten, beschlossen sie unter sich, es sei das Geratenste, gemeinschaftlich abzuwarten, wie ihre Männer ihre Absichten weiter verfolgen werden. Sobald sie dann unter sich verabredet hatten, wie es wohl am passendsten wäre, sich zu verhalten, auch wie sie sich täglich über alles Vorfallende in Kenntnis setzen wollten, ließen sie es ihre erste Sorge sein, ihre Liebhaber mit schmachtenden und verliebten Blicken enger in ihr Garn zu locken und mit falschen Hoffnungen auf ihre Gunst zu erfüllen. Sie gingen daher aus den Gärten hinweg, und wenn sie in San Fantino oder in Venedig selbst zufällig einen erblickten, schlugen sie mit lächelnder Miene, lustig und keck, ihren Schleier beiseite. Als nun die zwei Liebenden sahen, welche freundlichen Gesichter ihnen ihre Geliebten machten, meinten sie, da kein Mittel sei, mit ihnen zu reden, müßten sie zu Briefen ihre Zuflucht nehmen. Sie suchten daher gewisse Botinnen, an denen unsere Stadt immer sehr großen Überfluß hat, und jeder schrieb der seinigen einen Liebesbrief des Inhalts, daß jeder aufs höchste wünsche, zu geheimer Unterredung sich mit der seinen zusammenzufinden. Nach wenigen Tagen, fast gleichzeitig, schickten sie die Briefe ab. Die verschlagenen Frauen nahmen die Briefe an, erwiesen sich aber anfangs gegen die Kupplerinnen etwas spröde; nach gegenseitiger Übereinkunft jedoch erteilten sie ihnen eine Antwort, welche mehr Hoffnung als das Gegenteil enthielt.
Sie hatten einander die Briefe, sobald sie eingelaufen waren, gezeigt und viel darüber gelacht. Sie dachten, ihr Plan gelinge ihnen vortrefflich; jede behielt den Brief ihres Gatten für sich, und sie verabredeten, ohne daß eine der andern zu nahe trete, durch eine köstliche List ihre Männer zu verführen. Und hört nun, auf welche Weise! Sie beschlossen nämlich, sich erst gehörig von ihnen bitten zu lassen und ihnen sodann zu wissen zu tun, sie seien bereit, ihre Wünsche zu befriedigen, sooft die Sache auf geheime Weise geschehen könne, ohne daß es jemand wisse, und sooft er sich getraue, um eine Zeit, wo ihr Mann ausgegangen sei, in ihr Haus zu kommen, natürlich nur bei Nacht, da bei Tag, ohne Gefahr der Entdeckung, dies nicht möglich wäre. Dagegen hatten die scharfsichtigen und gescheiten Frauen mit ihren Dienerinnen, die vollständig ins Vertrauen gezogen waren, die Abrede getroffen, durch den Garten eine in der andern Haus zu kommen und daselbst, in die Schlafzimmer verschlossen, ohne Licht ihre Gatten zu erwarten, sich aber unter keiner Bedingung sehen zu lassen oder zu erkennen zu geben. Nachdem diese Abrede getroffen und festgelegt war, ließ Madonna Luzia zuerst ihrem Geliebten sagen, er solle in der nächsten Nacht um vier Uhr durch die Haustür nach dem Kai, die er offen finden werde, ins Haus treten; dort werde eine Dienerin bereit stehen, um ihn in ihr Zimmer zu führen, da Messer Girolamo am Abend in der Barke nach Padua abfahren werde; sollte indes diese Reise nicht zustande kommen, so wolle sie ihn davon in Kenntnis setzen. Das gleiche ließ Madonna Isotta Messer Girolamo sagen und bestimmte ihm als Zeit fünf Uhr, weil er alsdann bequem eintreten könne, indem Messer Anselmo heute abend mit ein paar Freunden speise und in Murano übernachte. Die beiden Verliebten sahen sich auf diese Nachrichten für die beglücktesten Menschen an, als dürften sie die Sarazenen aus Jerusalem jagen oder dem Großtürken das Kaisertum von Konstantinopel entreißen und den Helm ihres Feindes mit einem besondern Schmucke krönen. Sie wußten sich vor übergroßer Wonne gar nicht zu lassen, und vor Sehnsucht nach der Nacht schien ihnen jede Stunde des Tages eine Ewigkeit.
Als der von allen so ersehnte Abend endlich genaht war, redeten die vergnügten Ehemänner ihren Frauen ein, oder glaubten wenigstens ihnen eingeredet zu haben, wichtige Angelegenheiten verhinderten sie, diese Nacht im Hause zuzubringen. Die schlauen Frauen, die ihr Schifflein gut im Gange sahen, taten, als glaubten sie alles. Die jungen Männer nahmen jeder seine Barke oder, wie es bei uns heißt, Gondel, fuhren, nachdem sie in einem Gasthause zu Nacht gespeist, in den Kanälen der Stadt spazieren und erwarteten die festgesetzte Stunde. Um drei Uhr kamen die Frauen im Garten zusammen und begaben sich, nachdem sie viel gescherzt und gelacht hatten, eine jede in der andern Haus, wo sie von den Dienerinnen in das Schlafgemach geführt wurden. Dort nahm jede bei brennendem Lichte das ganze Zimmer, seine Lage und alles, was darin war, genau in Augenschein und prägte sich aufs sorgfältigste alles Merkwürdige ins Gedächtnis. Darauf aber löschten sie das Licht aus und sahen mit Zittern und Zagen der Ankunft ihrer Männer entgegen. Punkt vier Uhr stand Madonna Luzias Dienerin an der Tür und erwartete die Ankunft Messer Anselmos. Er war nicht säumig, zu kommen, und ward von der Dienerin froh hineingeführt, an die Schlafkammer geleitet, hineingebracht und an das Bett gestellt. Hier war alles dunkel, wie in einem Wolfsrachen, und daher war keine Gefahr, daß er seine Gattin erkenne. Die beiden Frauen waren überdies an Größe und Sprache sich so ähnlich, daß man sie in dieser Dunkelheit nur äußerst schwer unterscheiden konnte. Der gute Anselmo entkleidete sich und wurde von der Frau liebevoll empfangen. In der Meinung, Girolamos Gattin zu umarmen, nahm er aber seine eigene Frau in die Arme, küßte sie tausendmal auf das zärtlichste und wurde ebensooft von ihr hold wiedergeküßt. Sodann machte er sich an den Genuß der Liebe, und sie spielten mehrere Partien im Minnespiel, wobei immer die Frau verlor, zu Anselmos großem Vergnügen.
Girolamo erschien ebenso um die fünfte Nachtstunde, wurde von der Zofe in die Schlafkammer geführt und schlief bei seiner eigenen Gattin, zu viel größerer Befriedigung seiner selbst als seiner Frau. In der Meinung, ihre Geliebten im Arme zu haben, taten die beiden jungen Männer auch, um als frische und rüstige Ritter zu erscheinen, viel besser ihre Schuldigkeit als gewöhnlich und wohnten ihren Frauen mit so herzlicher Neigung und Liebe bei, daß nach dem Willen des Höchsten, wie die Geburt seiner Zeit erwies, die Frauen jede ein sehr schönes Knäblein empfingen, worüber sie, da sie bisher noch keine Kinder gehabt, beide sehr vergnügt und glücklich waren.
Der geheime Umgang währte eine geraume Zeit, und es verging selten eine Woche, wo sie nicht eine Nacht zusammengekommen wären. Dessenungeachtet erkannten die Betrogenen ihre Täuschung nicht und schöpften nicht den mindesten Verdacht und konnten auch um so weniger Argwohn schöpfen, als nie ein Licht in die Schlafkammer gebracht wurde und die Frauen bei Tag jede Zusammenkunft verweigerten. Ihre Schwangerschaft schritt mittlerweile bedeutend vor, und die Männer empfanden ungemeines Ergötzen daran, indem sie vollkommen überzeugt waren, jeder dem andern den Hörnerschmuck auf den Helm gesteckt zu haben. Und doch hatten sie nur ihren eigenen, nicht den fremden Acker gepflügt und ihre rechtmäßige Besitzung begossen.
Als sich nun die treuen schönen Freundinnen in diesem verwirrten Liebeshandel schwanger geworden sahen, was ihnen früher noch nie begegnet war, fingen sie an, unter sich zu überlegen, auf welche Art und Weise sie sich von diesem Unternehmen losmachen könnten, befürchtend, es möchte irgendein Ärgernis entstehen, welches Veranlassung werden könnte, die Feindschaft zwischen ihren Männern noch zu vergrößern. Während sie so dachten, ereignete sich etwas, was ihnen aus der Verlegenheit half und den Verkehr abbrach, wenn auch nicht auf eine Art, wie sie es wünschten.
An demselben Strome oder Kanale, nicht weit von ihren Häusern, wohnte nämlich eine sehr schöne artige junge Frau, die, noch nicht ganz zwanzig Jahre alt, kurz zuvor Witwe geworden war durch den Tod ihres Gatten Messer Niccolo Delfino, die Tochter Messer Giovanni Moros; sie hieß Gismonda. Diese besaß außer ihrer väterlichen, auf mehr als zehntausend Zechinen sich belaufenden Mitgift eine schöne Summe Geldes, viele Edelsteine, Silbergeräte und andere Kostbarkeiten, die ihr ihr Mann als Morgengabe zum Geschenk gemacht hatte. Aloise Foscari, er Neffe des Herzogs, hatte sich heftig in sie verliebt und gab sich alle Mühe, ihre Hand zu erwerben. Er liebäugelte mit ihr daher den ganzen Tag und betrieb das Unternehmen durch fortwährende Botschaften und Freiwerbungen so ernstlich, daß sie sich dazu verstanden einer Nacht an einem Fenster ihres Hauses, das auf ein kleines Gäßchen hinausging, ihn anhören zu wollen. Äußerst erfreut über eine so ersehnte Nachricht, kam Aloise, als die Nacht kam, gegen fünf oder sechs Uhr mit einer Strickleiter (denn das Fenster war sehr hoch) ganz allein dahin. Dort angelangt machte er das aufgegebene Zeichen und wartete nach der Verabredung, bis seine Geliebte den Bindfaden herabließ, um die Strickleiter emporzuziehen, was auch bald geschah. Nachdem er die Leiter an dem Bindfaden festgeknüpft hatte, sah er sie in kurzem emporziehen. Sobald Gismonda das Ende der Leiter in der Hand hatte, befestigte sie es irgendwo und machte dann dem Liebhaber ein Zeichen, emporzusteigen. Von der Liebe kühn gemacht, stieg er keck die Stufen hinan und hatte fast schon das Fenster erreicht, als er, aus übermäßiger Begierde, hineinzuspringen und die Geliebte zu umarmen, oder aus was immer für einem Grunde rückwärts hinunterfiel. Zwei- oder dreimal versuchte er, sich wieder an der Leiter anzuklammern, aber es gelang ihm nicht. Doch half es ihm so viel, daß er die Gewalt des Falles brach und nicht so heftig auf das Backsteinpflaster stürzte; wäre dies geschehen, so wäre er ohne allen Zweifel des Todes gewesen. Nichtsdestoweniger stürzte er mit solcher Heftigkeit herab, daß es ihm fast alle Glieder zerschlug und eine tiefe Wunde im Kopfe beibrachte. Hielt sich nun gleich der unglückliche Liebhaber infolge dieses elenden Falles für eine Beute des Todes, so blieb doch seine heiße und echte Liebe für die junge Witwe stärker und mächtiger in ihm als der übergroße Schmerz von der heftigen Erschütterung und die Ermattung seines fast ganz lahmen, zerschlagenen Körpers. Er raffte sich daher auf, so gut es möglich war, hielt sich den Kopf schnell mit beiden Händen fest, um das Blut nicht hier ausströmen zu lassen, wo es seine Geliebte hätte verdächtigen können, und schleppte sich bis auf den Steinweg vor den Häusern der früher genannten Feinde Anselmo und Girolamo. Mit größter Anstrengung seiner Kräfte war er soweit gekommen; nun aber vermochte er nicht mehr weiterzugehen; von unsäglichem Schmerz gepackt, konnte er nicht mehr: er sank ohnmächtig wie tot zu Boden, das Blut stürzte aus der Wunde am Kopf, und er lag ausgestreckt auf der Erde, so daß, wer ihn gesehen hätte, ihn ganz und gar für tot hätte halten müssen. Madonna Gismonda, äußerst betrübt über diesen schweren Unglücksfall und sehr fürchtend, der arme Liebhaber möchte den Hals gebrochen haben, tröstete sich wieder einigermaßen, als sie ihn weggehen sah, und zog die Strickleiter in ihr Zimmer herauf.
Doch kehren wir zu dem unseligen Liebhaber zurück! Kaum war er halbtot und ohnmächtig niedergesunken, als einer der bei Nacht wachehabenden Hauptleute mit seinen Häschern herankam, ihn liegen sah, als Aloise Foscari erkannte und als einen Toten in die nächste Kirche schaffen hieß, was sogleich geschah. In Anbetracht des Ortes aber, wo er ihn gefunden hatte, vermutete er, Girolamo Bembo oder Anselmo Barbadigo, vor deren Häusern der Mord begangen zu sein schien, seien die Täter. Er glaubte dies um so mehr, weil er ein leises Geräusch von Fußtritten an einer von ihren Türen gehört zu haben meinte. Er teilte daher seine Begleitung, schickte einen Teil rechts, den andern links und bemühte sich so gut als möglich, die Häuser zu umstellen. Der Zufall wollte, daß er wegen der Fahrlässigkeit der Mägde beide Haustüren offen fand. Es waren nämlich in jener Nacht die beiden Verliebten wieder jeder in das Haus des andern gegangen, um bei ihren Frauen zu schlafen. Die Frauen aber, als sie das Trappen und den Lärm der Schergen im Hause hörten, sprangen plötzlich aus den Betten, nahmen ihre Kleider auf den Rücken und schlichen durch den Garten, von niemand gesehen, in ihre Häuser, wo sie zitternd abwarteten, was hieraus werden solle. Girolamo und Anselmo wußten nicht, was der Lärm bedeute, und während sie in der Dunkelheit sich beeilten, sich anzukleiden, wurden sie von den Häschern der Nachtwache verhaftet, und so fiel Girolamo in Anselmos, Anselmo in Girolamos Schlafzimmer in die Hände der Gerechtigkeit. Der Hauptmann und die Häscher verwunderten sich darüber nicht wenig, da alle die zwischen beiden herrschende Feindschaft wohl kannten. Als man aber viele Lichter anzündete und die beiden Edelleute aus dem Hause führte, war ihr eigenes Erstaunen noch viel größer, als sie sahen, wie einer in des andern Hause fast nackt festgenommen war. Bei diesem Erstaunen wuchs auch ihr Unwille gar sehr, wie jeder sich bei sich einbilden und vorstellen mag. Über alle Begriffe aber waren sie erbittert auf ihre so unschuldigen Frauen, und einander selbst warfen sie sich die grimmigsten Blicke zu. Sie wurden nun weggeführt und stießen bereits den Kopf an die Kerkerwand, noch ehe sie die Ursache ihrer Gefangenschaft erfuhren. Als sie hernach erfuhren, daß sie als Mörder Aloise Foscaris festgenommen seien, waren sie, obgleich weder Mörder noch Diebe, darüber sehr betrübt, daß nun, wie sie wohl sahen, ganz Venedig erfahren werde, daß sie, deren Todfeindschaft so ziemlich allbekannt war, in einem Punkte Genossen geworden waren, wo eine Genossenschaft überhaupt nicht hätte eintreten sollen. Und obgleich sie es nicht über sich gewannen, miteinander zu sprechen, da sie sich aufs tödlichste haßten, so waren doch beider Gedanken auf denselben Punkt gerichtet. Am Ende aber siegte die Fülle des bittersten Grolls gegen ihre Weiber und die Dunkelheit des Orts, wo kein Lichtstrahl eindringen konnte, was ihnen zum guten Teil ihre Verlegenheit nahm, und sie kamen, ich weiß selbst nicht wie, in ein Gespräch miteinander und gaben sich mit erschrecklichen Eiden das Wort, sich die Wahrheit zu offenbaren, wie es komme, daß sie beide einer in des andern Schlafkammer gefangengenommen worden seien, worauf denn jeder freimütig erzählte, wie er es angefangen habe, um in den Besitz der Gattin seines Nachbars zu gelangen. Sie offenbarten sich in dieser Beziehung alles mit den kleinsten Umständen. Sonach mußten sie ihre Frauen für zwei der schamlosesten Buhlerinnen in Venedig halten, und diesen zum Trotz vergaßen sie ihre alte eingewurzelte Feindschaft, söhnten sich miteinander aus und wurden Freunde. Sie meinten die Blicke der Menschen nun nicht mehr ertragen zu können und mit verhüllter Stirn durch die Stadt gehen zu müssen; das verstimmte sie denn dermaßen, daß sie den Tod dem Leben weit vorgezogen hätten. Da ihren empfindlichen Kummer auch nicht der mindeste Trostgrund linderte und sie gar keinen Ersatz dafür wußten, ergaben sie sich beiderseits einer unbegrenzten Verzweiflung, bis sie endlich den einzigen Weg gefunden zu haben meinten, auf einen Schlag von allem Kummer, aller Schmach und dem Leben selbst befreit zu werden. Sie beschlossen nämlich, durch eine Fabel, die sie ersannen, sich als Aloise Foscaris Mörder anzugeben. Nach verschiedenem Hinundherreden bestärkten sie sich immer mehr in einem so grausamen sträflichen Vorsatz; sie billigten ihn jeden Augenblick mehr und erwarteten sehnlich, von dem Gerichte verhört zu werden.
Wie gesagt, war der Foscari alsbald in eine Kirche gebracht und dort dem Kapellan angelegentlich empfohlen worden. Der geistliche Herr ließ ihn mitten in der Kirche niederlegen, zündete zu beiden Seiten desselben zwei kleine Wachslichter an und gedachte, als die Scharwache sich wieder entfernt hatte, zu größerer Bequemlichkeit selbst noch einmal sein wohl noch nicht kaltgewordenes Bett zu besteigen und vollends auszuschlafen. Da es ihm aber schien, daß die schon ziemlich weit heruntergebrannten Lichtstümpfchen nicht mehr über zwei oder drei Stunden brennen würden, nahm er zwei große Lichter und stellte sie statt der halbverbrannten auf, damit, wenn ein Verwandter des Toten oder sonst jemand käme, ihm keine Vernachlässigung vorgeworfen werden könnte. Indem er nun weggehen wollte, nahm er wahr, daß der Leichnam sich zu bewegen anfing; ja, wenn er ihm fest ins Gesicht schaute, war es ihm, als öffne er ein wenig die Augen. Der Mann Gottes entsetzte sich darob höchlich und hätte beinahe laut aufschreiend die Flucht ergriffen. Indessen faßte er doch Mut, trat zu dem Körper heran, legte ihm die Hand auf die Brust und fühlte das Klopfen des Herzens, woraus er sich überzeugte, daß noch Leben in ihm sei, wiewohl der übergroße Blutverlust es aufs äußerste geschwächt haben müsse. Er rief seinen Kollegen, der schon zu Bette gegangen war, zurück, trug mit dessen und eines Altarknaben Hilfe, so schonend er konnte, den Foscaro in sein eigenes, an die Kirche stoßendes Wohnzimmer und ließ sodann einen in der Nähe wohnenden Wundarzt kommen, damit dieser die Kopfwunde sorgfältig untersuche. Der Chirurg nahm den Schaden in genauen und gründlichen Augenschein, reinigte ihn, so gut er konnte, von dem geronnenen Blute und erkannte bald, daß die Verletzungen nicht tödlich waren. Er wandte daher Öle und andere köstliche Salben so geschickt an, daß Aloise fast ganz wieder zur Besinnung kam. Er rieb sodann den ganzen verwundeten Körper mit einem stärkenden Balsam ein und überließ ihn nun der Ruhe. Der geistliche Herr schlief darauf noch ein Stückchen, bis der Tag anbrach, und eilte dann mit der guten Nachricht, daß Foscaro lebe, zu dem Hauptmann, der ihn ihm zur Obhut anvertraut hatte, hörte aber, er sei in den Sankt Markuspalast gegangen, um mit dem Fürsten zu reden. Er ging deshalb auch dorthin, wurde vorgelassen und erfreute den Herzog sehr durch die Gewißheit von dem Leben seines Neffen, nachdem kaum eben der Hauptmann ihn durch die Nachricht von seinem Tode sehr betrübt hatte. Der Fürst befahl einem der hohen Gerichtsbeamten, mit zwei berühmten Wundärzten in Begleitung dessen, der die Kur seines Neffen schon begonnen hatte, zur schicklichen Stunde zu dem Kranken zu gehen und seinen Zustand genau zu untersuchen, wo dann die drei Ärzte sorgen und besorgen sollten, was zur Wiederherstellung des Kranken dienlich sei. Sobald es ihnen daher Zeit schien, gingen der wachehabende Edelmann und die Arzte hin; sie ließen den Mann, der zuerst den Kranken gepflegt hatte, in das Haus des Priesters rufen, und nachdem sie von ihm vernommen hatten, daß die Wunde, wenn auch gefährlich, doch nicht tödlich sei, traten sie in die Schlafkammer, wo der Jüngling ruhte. Da sie ihn wach fanden, obgleich er noch etwas betäubt war, begannen sie ihn eindringlich zu fragen, wie die Sache gegangen sei, und forderten ihn auf, nur alles frei zu gestehen, da sie schon der erste Arzt versichert habe, daß die Wunde nicht von einem Degen herrühre, daß er vielmehr von einer Höhe herabgefallen oder von einer Masse getroffen worden sei; nach allem aber, was man habe erfahren können, müsse man annehmen, er sei hoch herabgefallen und habe sich den Kopf zerschellt. Durch diese Fragen der Ärzte war Aloise überrascht, und ohne viel zu überlegen, gab er die Höhe des Fensters und die Besitzerin des Hauses an. Kaum aber hatte er es gesagt, so reute es ihn sehr. Ja, der peinigende Schmerz, den er darüber empfand, regte seine schlummernden Lebensgeister mit einem Male dermaßen auf, daß er lieber zu sterben als etwas zur Unehre von Madonna Gismonda zu bekennen beschloß. Der Edelmann von der Nachtwache fragte ihn weiter, was er um diese Stunde im Hause und an einem so hohen Fenster von Madonna Gismonda gewollt habe. Da er bei der Amtseigenschaft des Fragenden hierauf nicht schweigen konnte und doch nicht wußte, was er sagen sollte, faßte er plötzlich bei sich den Beschluß, wenn die Zunge durch unüberlegte Worte gefehlt habe, so solle der Körper die Strafe dafür leiden. Ehe daher irgendwie die Ehre derjenigen befleckt würde, die er mehr als sein Leben liebte, entschloß er sich, sein Leben und seine Ehre in die Hand der Gerechtigkeit zu legen, und sprach: »Ich habe schon gesagt – und ich bin nicht gewillt, es zu widerrufen –, daß ich von den Fenstern des Hauses der Madonna Gismonda Mori herabgefallen bin. Und was ich um diese Stunde dort suchte, will ich Euch gleichfalls sagen, da ich doch jedenfalls des Todes bin. Ich dachte, daß Madonna Gismonda als junge Witwe keine Männer im Hause habe, um sich zu verteidigen, weshalb ich sie berauben könne; denn es heißt, sie sei sehr reich an Juwelen und Geld. Ich ging hin, um ihr alles zu stehlen; ich hatte durch besondere Werkzeuge eine Leiter am Fenster zu befestigen gewußt und stieg daran mit dem festen Vorsatze empor, jeden zu töten, der mir Widerstand leisten würde. Mein Unglück aber wollte freilich, daß die nicht wohl angebrachte Leiter unter meiner Last abriß und mit mir zu Boden fiel; ich meinte, mit der Strickleiter noch mein Haus erreichen zu können, und schleppte mich hinweg, wurde aber unterwegs, wo, weiß ich nicht, ohnmächtig.«
Der Nachtpolizeimeister, Messer Domenico Maripetro, erstaunte nicht wenig über dieses Bekenntnis und betrübte sich darüber um so mehr, als alle in dem Zimmer Anwesenden es vernommen hatten, und das waren, wie dies in einem solchen Falle geschieht, nicht wenige. Er wußte sich aber nicht anders zuhelfen und sagte: »Aloise, du bist doch ein gar zu großer Tor gewesen! Du dauerst mich sehr; aber ich bin dem Vaterland und meiner Ehre mehr Rücksicht schuldig als irgend jemand. Du bleibst deshalb hier unter der Aufsicht, die ich dir lassen werde. Wärest du nicht in dem Zustande, in dem ich dich finde, so würde ich dich augenblicklich, wie du es verdienst, in den Kerker abführen lassen.«
Er gab dem Jüngling eine starke Wache bei und verfügte sich unverweilt in den Rat der Zehn, der erlauchtesten und angesehensten Behörde in unserer Stadt, und da er die Herren des Rates gerade versammelt fand, erstattete er ihnen über das Ganze ausführlichen Bericht. Die Häupter des Rats, bei denen schon seit lange unzählige Klagen über mehrere freche Diebstähle, die in der Stadt nächtlicherweile verübt wurden, vorkamen, befahlen einem ihrer Hauptleute, Aloise Foscaro im Hause des Priesters unter sorgfältigster Obhut zu halten, bis er imstande sei, gerichtlich vernommen und durch Anwendung der Folter zum Bekenntnisse der Wahrheit genötigt zu werden, in der Annahme nämlich, daß man ihn ganz gewiß als den Urheber oder mindestens als den Hehler vieler anderer begangener Räubereien ansehen könne.
Es kam sodann die Angelegenheit des Girolamo Bembo zur Sprache, der im Schlafzimmer Anselmo Barbadicos, und die dieses Anselmo, der im Schlafzimmer Girolamos um Mitternacht halbnackt aufgegriffen und gefangengesetzt worden war. Da man aber über andere, ungleich wichtigere Dinge zu verhandeln hatte, wie z. B. über den Krieg, den man mit Filippo Maria Vesconte, Herzog von Mailand, führte, so ward beschlossen, sie auf ein andermal zu vertagen und die Gefangenen inzwischen vernehmen zu lassen. Der Fürst war fortwährend im Rate gegenwärtig gewesen und einer von denen, die am strengsten gegen den Neffen gesprochen hatten. Nichtsdestoweniger fiel es ihm schwer, zu glauben, daß sein Neffe als ein so reicher und feingebildeter Mann, wie er war, sich zu dem verächtlichen und gemeinen Laster des Diebstahls erniedrigt haben sollte. Er trug deshalb in seinem Sinn mancherlei Bedenklichkeiten und brachte zuletzt die Wahrheit von seinem Neffen heraus, da er Gelegenheit fand, im tiefsten Geheimnis mit ihm sprechen zu lassen. Auf der andern Seite bekannten Anselmo und Girolamo, als sie von dem dazu verordneten Beamten des Rates befragt wurden, was sie jeder in des andern Hause um solche Stunde gesucht hätten, daß sie, nachdem sie Aloise Foscaro oftmals zu ungewöhnlicher Stunde vor ihren Häusern haben vorübergehen sehen, in dieser Nacht zufällig und unabhängig voneinander bemerkt hätten, wie er vor diesen stehenbleibe; sie seien beide der Überzeugung gewesen, dies geschähe um ihrer Weiber willen, seien herausgebrochen, hätten ihn in die Mitte genommen und umgebracht. Sie legten dieses Bekenntnis, wie sie es miteinander verabredet hatten, ein jeder einzeln für sich ab. In betreff des Umstandes, daß sie sich einer in des andern Hause befunden hatten, sagten sie ein nicht eben wohl erfundenes Märchen aus, worin sie sich widersprachen.
Als der Herzog alle diese Dinge vernommen hatte, war er im höchsten Grade verwundert und wußte gar nicht, wie er die Wahrheit ausfindig machen sollte. In der folgenden ordentlichen Ratsversammlung der Zehn und ihrer Beisitzer, als alle übrigen Geschäfte abgetan waren und man auseinandergehen wollte, sprach daher der erleuchtete Fürst, ein Mann von hohem Geiste, der durch alle Grade des Staatsdienstes bis zur höchsten Würde emporgestiegen war, folgendermaßen: »Meine Herren, wir haben noch eine Sache zu besprechen, die vielleicht bis jetzt nicht erhört worden ist. Es liegen uns zwei Rechtshändel vor, die nach meinem Dafürhalten einen ganz andern Ausgang nehmen werden, als zu erwarten sein mag. Anselmo Barbadico und Girolamo Bembo, zwischen denen von jeher eine bittere, ihnen von ihren Vätern vererbte Feindschaft bestand, sind einer in des andern Hause halbnackt von unsern Schergen festgenommen worden und haben ohne Folter, ja ohne Androhung derselben auf die einfache Erkundigung unserer Beamten aus freien Stücken bekannt, vor ihren Häusern unsern Neffen Aloise ermordet zu haben. Dieser unser Neffe aber ist am Leben und hat weder von ihnen noch von sonst jemand eine Wunde erhalten: dennoch bekennen sie sich als seine Mörder. Wer vermag uns diese Widersprüche zu lösen? Ferner hat unser Neffe seinerseits ausgesagt, daß er, um in Madonna Gismonda Moros Hause zu rauben und bei etwaigem Widerstände auch zu morden, ausgegangen und von ihrem Fenster auf die Erde gefallen sei, was bei den vielen jetzt in unserer Stadt zur Klage gekommenen Diebstählen auch anderweiten Verdacht auf ihn zieht, als könne er der Missetäter sein. So müßte man also mit Foltern die Wahrheit von ihm herausbringen und, wenn er schuldig befunden würde, ihm die verdiente strenge Strafe angedeihen lassen. Als er nun gefunden wurde, hatte er weder eine Leiter noch Waffen irgendeiner Art bei sich. Hieraus läßt sich schon vermuten, daß die Sache sich anders verhalte. Dieweil nun unter den sittlichen Vorzügen die Mäßigung immer das größte Lob von allen geerntet hat, auch die Gerechtigkeit, wenn sie nicht gerecht geübt wird, zur Ungerechtigkeit wird, scheint es uns gerecht, in diesem mit so seltsamen Umständen verwickelten Falle eher Mäßigung als strenge Gerechtigkeit zu üben. Und damit ich nicht ohne Grund so zu sprechen scheine, so hört weiter, was ich euch sage! Die beiden Todfeinde bekennen sich zu etwas, was schlechthin unmöglich ist, weil unser Neffe, wie gesagt, noch lebt und die Wunde, die er erhalten hat, nicht von einer Waffe herrührt, wie er auch selbst angibt. Könnte es nicht sein, daß Scham, einer in des andern Schlafzimmer gefunden worden zu sein und ihre Weiber für unehrbar erkennen zu müssen, sie veranlaßt habe, aus Überdruß am Leben sich in die Arme des Todes zu werfen? Wenn wir unsere Nachforschungen hierin mit Fleiß anstellen, so werden wir die Verhältnisse sich anders gestalten sehen, als der gemeine Mann glaubt. Man muß also den Fall sorgfältig prüfen, und um so mehr, als aus ihrem Geständnisse erhellt, daß sie gar nichts aussagen, was den Schein der Wahrheit für sich hätte. Andererseits klagt sich unser Neffe selbst als Dieb an und bekennt überdies, er habe in das Haus von Madonna Gismonda Moro mit dem festen Vorsatze eindringen wollen, umzubringen, wer ihm Widerstand leiste. Unter diesem Grase steckt unseres Bedünkens eine andere Schlange, die sich selbst nicht achtet. Er stand niemals im Rufe solcher Ausschweifungen; nicht der geringste Verdacht dieser Art fiel ihm je zur Last. Ihr wißt ja auch alle, daß er Gott sei Dank anständige Reichtümer besitzt und anderer Leute Eigentum nicht braucht. Seine Diebereien werden wohl anderer Art sein, als er eingesteht. Es will uns also bedünken, ihr Herren, wenn ihr anders mit mir einverstanden seid, daß ihr uns diese Untersuchung am besten ganz allein überlaßt. Wir geben euch unser fürstliches Wort, uns der ganzen Sache mit der äußersten Gewissenhaftigkeit anzunehmen, und hoffen, sie so zu Ende zu führen, daß uns kein gerechter Vorwurf treffen wird, und das Endurteil wollen wir überdies euch vorbehalten haben.«
Den Räten gefiel die weise Rede des Herzogs über die Maßen wohl, und es tat sich beim Abstimmen dar, daß sie insgesamt der Meinung waren, nicht allein die Untersuchung dieser Rechtssachen, sondern auch die Entscheidung durchaus in seine Macht zu stellen. Der bedachtsame Fürst, der über die Angelegenheit seines Neffen bereits vollständig unterrichtet war, richtete nunmehr sein ganzes Augenmerk darauf, nunmehr auch den Grund zu erfahren, warum Bembo und Barbadico sich so törichterweise dessen anklagten, was sie nicht begangen hatten, und nach reiflicher Überlegung und vielen gehaltenen Nachfragen und Verhören, als seines Neffen Wiedergenesung fast ganz vollendet war, so daß er hätte umhergehen können, wenn er frei gewesen wäre, glaubte er zuletzt die Lage der beiden gefangenen Ehemänner ziemlich ermessen zu haben und legte seine gemachten Erfahrungen dem Rate der Zehn vor. Er ließ sodann auf eine unverdächtige Art die Nachricht in Venedig verbreiten, Anselmo und Girolamo werden zwischen den zwei Säulen enthauptet, Aloise aber gehängt werden, und erwartete nun, was für einen Eindruck dies auf ihre Frauen machen werde.
Sobald die Neuigkeit ihren Weg durch Venedig gefunden hatte, sprach man verschiedentlich davon, ja in öffentlichen und Privatkreisen war sonst von gar nichts die Rede. Da nun alle drei Verbrecher den edelsten Geschlechtern angehörten, fingen ihre Verwandten und Freunde an, sich um ihre Rettung auf das angelegentlichste zu bemühen. Sobald jedoch ihre Geständnisse stadtkundig wurden und, wie es zu gehen pflegt, das Gerücht das Schlechte immer vergrößerte, hieß es, der Foscari habe viele freche Diebstähle eingestanden, so daß kein Freund oder Verwandter für ihn ein Wort einzulegen wagte.
Madonna Gismonda, die die Krankheit ihres Geliebten bitterlichst beweint hatte, fühlte, als sie das von ihm abgelegte Geständnis vernahm und deutlich erkannte, daß er, um ihre Ehre nicht zu beflecken, lieber Leben und Ehre miteinander aufopfern wolle, ihr Herz von so glühender Liebe gegen ihn sich entzünden, daß sie fast dadurch starb. Es gelang ihr, ihm in seinem Kerker zu wissen zu tun, er möge gutes Muts sein und sich beruhigen, denn sie sei bereit, um ihn vor dem Tode zu schützen, alles, was zwischen ihnen vorgefallen, öffentlich der Wahrheit getreu zu bekennen und zum Zeugnisse derselben ebensowohl seine ihr geschriebenen Liebesbriefe, als auch die von ihr in ihrem Zimmer aufbewahrte Strickleiter zu zeigen. Als Aloise diese liebevollen Zeugnisse hörte, die seine Angebetete zu seiner Errettung abzulegen sich bereitete, war er der glücklichste Mensch von der Welt. Er ließ ihr unendlich danken und ihr versprechen, sobald er aus dem Kerker befreit sei, sie als seine rechtmäßige Gattin heiraten zu wollen. Die Frau empfand hierüber die größte Freude, da sie ihren teuern Liebhaber mehr als ihr Leben liebte.
Madonna Luzia und Madonna Isotta hatten zu gleicher Zeit die Nachricht von dem bevorstehenden Tode ihrer Männer erhalten und von Madonna Gismondas Geschichte gehört, und Madonna Luzia insbesondere hatte etwas von einem Weibe darüber munkeln hören, und so ahnten sie nun auch den wahren Zusammenhang der Sache. Sie berieten sich beide miteinander darüber, was zu tun sei, um ihre Männer zu retten, bestiegen eine Gondel und suchten Madonna Gismonda auf. Die drei Frauen teilten sich nun alles Vorgefallene mit und kamen überein, das Leben ihrer Männer zu retten. Die zwei verheirateten Frauen waren nach der Einkerkerung ihrer Männer den beiderseitigen Freunden und Verwandten ihrer Häuser verhaßt geworden, weil jedermann sie für die unkeuschesten Geschöpfe hielt; und es hatte sie auch aus diesem Grunde niemand besucht, um sie in ihrem Unglück zu trösten. Als sich nun das Gerücht verbreitet hatte, die Gefangenen sollten von der Gerechtigkeit vom Leben zum Tode gebracht werden, ließen sie ihren Verwandten sagen, sie sollten nur unbesorgt und unbekümmert sein und nicht weiter forschen, aber sich überzeugt halten, daß sie vollkommen ehrbar seien und ihren Männern kein Haar gekrümmt und weder Schaden noch Schande bereitet werden solle. Sie baten sie indes, dafür zu sorgen, daß einer der Herren Schirmvögte den Fall zur Verhandlung bringe; im übrigen sollten sie alles ihnen überlassen, da sie keine Sachwalter und Rechtsbeistände brauchten. Den Verwandten kam zwar dieses Ansinnen wunderlich genug vor, und sie wußten nicht, was sie davon denken sollten, da sie die ganze Angelegenheit als eine schmachvolle und entehrende ansahen. Indessen taten sie doch, was in ihren Kräften stand, zur Befriedigung der an sie gestellten Bitte und reichten, da sie vernahmen, der Rat der Zehn habe dem Herzog die ganze Untersuchung anheimgestellt, bei dem Fürsten selbst im Namen der drei Frauen ein untertäniges Gesuch ein, worin diese nichts weiter als Gehör begehrten. Der Fürst sah nach seinem Ratschlage also alles sich zum besten wenden und bezeichnete einen bestimmten Tag, an dem sie vor ihm und dem Rate der Zehn nebst denen des Kollegiums erscheinen sollten.
Der Tag kam; die hohen Richter versammelten sich, begierig, zu erfahren, welchen Ausgang die Sache nehmen werde. Am Morgen kamen die drei Frauen mit ehrbarem Geleite in den Palast, und als sie über den Sankt Markusplatz gingen, hörten sie viele, die übel von ihnen redeten. Einige schrien, wie die gemeinen Leute vom Volke sind, unverständig genug: »Seht, da die hübschen sittsamen Madonnen! Macht ihnen euer Kompliment! Die haben ihre Männer, ohne sie über die Lagunen zu lassen, nach der Festung Hornberg geschickt und schämen sich jetzt nicht einmal, sich öffentlich zu zeigen, die schamlosen Huren! Es ist gar, als hätten sie ein löbliches Werk vollbracht.« Andere brachten wieder andere Redensarten wider sie vor, und keiner wollte hinter dem andern zurückbleiben. Andere sodann, als sie Madonna Gismonda darunter sahen, waren der Meinung, sie gehe vor den Rat, um wider Aloise Foscaro klagbar aufzutreten, und so traf keiner die Wahrheit.
Die Frauen kamen im Palast an, stiegen jene hohen Marmortreppen empor und wurden in den Saal des Kollegiums geführt, wohin der Herzog sie zum Gehör beschieden hatte. Dorthin kamen mit den nächsten Verwandten die drei Frauen, und der Fürst befahl, ehe noch jemand das Wort ergreife, auch die drei Gefangenen herbeizubringen. Es waren überdies noch viele andere Edelleute gegenwärtig, die mit größtem Verlangen den Ausgang so seltsamer Begegnisse zu sehen erwarteten. Als es still geworden war, redete der Fürst die Frauen also an: »Ihr habt uns ersuchen lassen, edle Frauen, euch ein öffentliches Gehör zu bewilligen; und so sind wir denn bereit, hier geduldig zu vernehmen, was ihr uns zu sagen wünschet.«
Die beiden gefangenen Ehemänner waren aufs äußerste gegen ihre Frauen erzürnt und um so mehr von Wut und kochendem Groll erfüllt, als sie sie mit kühnem Mut und mit freier Stirn gleichwie die schuldlosesten und getreuesten Gattinnen vor dem erschreckenden und ehrfurchtgebietenden Gerichtshofe stehen sahen. Die beiden getreuen Freundinnen versahen sich jedoch des Zornes ihrer Männer sehr wohl und ließen sich durch sie nicht im mindesten irren, sondern lächelten heimlich für sich und warfen sogar nach Frauenart den Kopf ein wenig wie zum Hohn in die Höhe. Anselmo, der etwas mehr noch als Girolamo jähzornig und ungeduldig war, erhitzte sich darüber so sehr, daß durch weit geringeren Zorn schon manche gestorben sind. Er vergaß völlig die Majestät des Orts, wo sie sich befanden, und fing an, seiner Frau die empfindlichsten Dinge zu sagen; ja, er wollte ihr fast nach den Augen fahren und hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre, ihr übel mitgespielt. Aber obwohl sich Madonna Isotta von ihrem Gatten in Gegenwart so vieler Herren so schimpflich anschreien hörte, verlor sie doch die Fassung nicht, ergriff vielmehr die ihr vom Fürsten bereits erteilte Erlaubnis zu reden und begann mit heiterem Gesichte und fester Stimme also: »Durchlauchtigster Fürst und ihr erhabene Herren, da mein vielgeliebter Ehegatte so ehrenrührige Beschwerden wider mich erhebt, steht zu erwarten, daß Messer Girolamo Bembo die nämliche Gesinnung gegen seine Gemahlin hegen mag. Wollten wir sie nun hierauf ohne alle Erwiderung lassen, so könnte es wohl scheinen, als wäre das Recht ganz auf ihrer Seite, und als geständen wir, ein großes Verbrechen an ihnen begangen zu haben. Mit Euer Herrlichkeiten Vergunst fühle ich mich daher gegenwärtig gedrungen, in Madonna Luzias und meinem Namen zur Verteidigung von uns und unserer Ehre zu sprechen, was mir jetzt einkommt; und zwar sehe ich mich genötigt, meinen Plan über das, was ich sagen wollte, zu ändern. Denn hätte er geschwiegen und nicht so rasch sich vom Zorn zu Beleidigungen hinreißen lassen, so hätte ich auf andere Weise für ihrer beider Befreiung und unsere Entschuldigung gesprochen. Dennoch aber will ich, soweit meine schwachen Kräftereichen, beides zu bewerkstelligen versuchen. Ich behaupte demnach, daß unsere Männer gegen Pflicht und Vernunft sich über uns beschweren, wie ich ihnen auf der Stelle handgreiflich zeigen werde. Ich hege die feste Überzeugung, daß ihr Verdruß und herber Kummer nur aus zweierlei und keinen andern Ursachen entspringen kann, nämlich aus dem Mord, den begangen zu haben sie fälschlicherweise bekannten, oder aus der Eifersucht, die ihnen am Herzen nagt, daß wir unkeusche Weiber seien, da jeder in des andern Schlafzimmer, ja fast in des andern Bette ergriffen wurde. Hätten sie aber ihre Hände mit eines andern Menschen Blute befleckt, was sie allerdings peinigen und betrüben müßte, was könnte es denn um Gottes willen uns angehen, wenn sie ohne Rat, Beihilfe und Mitwissen von unserer Seite eine so gräßliche Missetat begangen hätten? Ich kann in der Tat nicht einsehen, wie uns für dieses Vergehen irgendein Vorwurf treffen könnte, und noch weniger, wie sie sich über uns beklagen können: denn man weiß ja, daß, wer das Böse tut oder es zu tun Anlaß gibt, notwendigerweise die verdiente Strafe und strenge Züchtigung nach der Vorschrift der heiligen Gesetze dulden muß, um andern ein Beispiel zu geben, das sie von ähnlichen bösen Handlungen abhält. Doch wer wird uns hier noch widersprechen, wo die Blinden sehen müssen, daß das Recht auf unserer Seite ist, zumal da wir hier Gott sei Dank Messer Aloise lebendig vor uns sehen, der ganz das Gegenteil von dem versichert, was hier diese unsere uns so wenig hebenden Männer törichterweise eingestanden haben? Hätten sie sich verleiten lassen, Hand an Leib und Leben irgendeines Menschen zulegen, so wäre es vernünftigerweise an uns, uns über sie zu beschweren und gar sehr über sie zu beklagen. Denn sie, die vom edelsten Blute geboren sind und als Herren gelten in dieser hochedeln Stadt, die ihre Freiheit immer jungfräulich und rein erhalten hat, wären Schacher, Mörder, Menschen der verworfensten Gattung geworden, indem sie einen so schmählichen Makel auf ihr reines Blut brachten und uns in unserer Jugend in den Witwenstand versetzten. Es erübrigt nur noch, daß sie sich über uns deshalb beschweren, daß sie um Mitternacht einer in des andern Schlafzimmer gesehen und festgenommen worden sind; und das ist, wie mir scheint, der Hauptknoten, Grund und Ausgang ihres ganzen Zornes und Ärgers. Das kann ich euch sagen, denn ich weiß es gewiß, das ist der Nagel, der ihnen das Herz durchbohrt, und der einzige Anlaß ihres Mißmutes. Wie Menschen also, die das Ganze nicht gehörig geprüft und weniges genau in Berechnung gezogen haben, sind sie in Verzweiflung verfallen und haben sich in dieser Verzweiflung angeklagt, das begangen zu haben, was sie nie getan, ja nie entfernt zu tun im Sinne gehabt hatten. Um aber nicht unnötige Worte zu machen, und damit das, was ich zu sagen beabsichtige, auf einmal gesagt werde und ihr, gnädige Herren, nicht eure Zeit über unnötigem Hinundherreden verlieret, während ihr Staatsgeschäfte zu besorgen habt, wäre es mir äußerst heb, – und ich bitte Euch, durchlauchtiger Fürst, sie dazu zu veranlassen, – daß sie aussprechen, worüber sie denn sich so bitter gegen uns beschweren.«
Im Auftrag des Herzogs von einem der dabeistehenden Herren befragt, erwiderten beide, sie hätten ihre Frauen als Buhlerinnen erkannt, die sie doch für durchaus ehrbar hielten, und die es hätten sein sollen, und das sei der ganze Zorn und Grimm, der ihnen am Herzen nage; und da sie solche Schmach nicht ertragen noch es auf sich nehmen können, im Angesichte der Menschen zu leben, hätten sie sich aus Verlangen nach dem Tode zu dem Geständnis bewogen gefunden, etwas getan zu haben, was doch nie der Fall gewesen sei.
Als Madonna Isotta dies vernahm, fuhr sie in ihrer Rede fort und sagte, zu ihrem Gatten und zu Bembo gewandt: »Weshalb beschwert ihr euch denn nun über uns, daß es nicht gut steht? An uns ist es, darüber uns gegen euch zu beschweren! Was suchtet denn Ihr, mein Gemahl, in dem Schlafgemach meiner teuern Freundin um diese Stunde? Was fand sich denn dort Besseres als in dem Eurigen? Und Ihr, Messer Girolamo, wer zwang Euch, das Bett Eurer Gattin zu verlassen und bei Nacht das meines Gatten aufzusuchen? Waren die Leintücher des einen nicht so weiß, so fein, so sauber, so wohlduftend wie die des andern? Ich meinesteils, durchlauchtiger Fürst, beklage mich aufs ernstlichste über meinen Gatten und werde mich unaufhörlich über ihn beklagen, daß er, um eine andere zu genießen als mich, von mir hinweg und anderswohin gegangen ist, ungeachtet ich noch keineswegs zum Krüppel geworden bin und wohl unter den schönen Frauen dieser unserer Vaterstadt mich sehen lassen kann. Ebenso ist es mit Madonna Luzia, die, wie ihr seht, gleichfalls den Schönen beigezählt werden kann. In der Tat, ein jeder von euch hätte mit seiner Gattin zufrieden sein und nicht, wie ihr schnöderweise getan habt, sie verlassen sollen, um besser Brot zu suchen als Hausbrot. Wie rühmlich ist es, passende schöne und brave Frauen zu verlassen, um nach denen anderer zu gehen! Ihr beschwert euch über eure Frauen, und hättet doch über euch selbst und über sonst niemand Klage führen, neben dieser Klage und Reue aber die größte Geduld üben sollen; denn obgleich ihr zu Hause euer gutes Auskommen hattet, suchtet ihr euch gegenseitig mit eurer Liebe Schmach anzutun, weil euch die Hausmannskost verleidet und zum Überdruß geworden war. Aber gelobt sei Gott und unsere weise Vorsicht: denn wenn hier irgendwo Schaden und Schande ist, so muß sie ganz auf euer beider Seite sein. Beim Kreuz Gottes, ich sehe nicht ein, wie ihr Männer eher Erlaubnis haben sollt zu sündigen, als wir, wiewohl ihr aus Geringschätzung unseres Geschlechtes tun wollt, was euch am meisten behagt. Nein, so wenig ihr die unbeschränkten Herren seid, so wenig sind wir Sklavinnen; vielmehr wollen wir eure Genossinnen sein: denn die heiligen Gesetze der Ehe, des ersten Sakraments, das Gott nach der Erschaffung der Welt den Sterblichen gegeben hat, diese Gesetze wollen, daß die Treue eine gleichmäßige sei, und der Gatte ist ebensowohl gehalten, der Frau treu zu sein, als sie ihm. Was wollt ihr euch nun beklagen? Wie man in den Wald schreit, schallt es heraus. Wußtet ihr nicht, daß die Waage der Gerechtigkeit gerade stehen muß, ohne mehr auf die eine als auf die andere Seite neigen zu dürfen?
Lassen wir nun aber für jetzt den Streit darüber und gehen auf den Anlaß über, weshalb wir uns hier eingefunden haben: Zwei Dinge, gerechtester Fürst, haben uns hierher vor Euer und dieser erlauchten Herren erhabenes Angesicht geführt, da wir sonst nicht gewagt hätten, uns öffentlich zu zeigen; und noch weniger hätte ich die Dreistigkeit gehabt, vor dieser hochansehnlichen Versammlung zu reden, was nur geübten und sehr beredten Männern vergönnt ist, nicht aber uns, die kaum für Nadel und Spindel hinreichen. Einmal haben wir unser Haus verlassen, um zu zeigen, daß unsere Männer keine Mörder sind, weder des Messer Aloise, der hier steht, noch irgendeines andern; und dafür hatten wir hinreichendes und glaubwürdiges Zeugnis. Hierbei brauche ich mich aber nicht aufzuhalten; denn alle Mühe, die mich dieser Punkt hätte kosten können, erspart mir die Anwesenheit Messer Aloises, und von der Ermordung eines andern war ja gar nicht die Rede. Es bleibt uns nun noch eines übrig, nämlich, daß meine Madonna Luzia und ich den durchlauchtigsten Fürsten ehrerbietig bitten, zu geruhen, mit seiner und dieser erlauchten Herren Gunst und Ansehen uns mit unsern Männern auszusöhnen und zu machen, daß wir ihre Vergebung erlangen, wenn wir ihnen handgreiflich bewiesen haben, daß wir die Beleidigten, sie die Beleidiger sind, und daß unser Fehler, wenn man es so nennen kann, so groß war, wie sie ihn haben wollten. Und um nun zum Schlüsse zu kommen, sage ich, daß ich schon von Kindesbeinen an von meiner Frau Mutter seligen Angedenkens, die oftmals meine Schwestern und Madonna Luzia, unsere Milchschwester, mit uns in verschiedentlichen Dingen unterrichtete, sagen hörte, alle Ehre, die eine Frau ihrem Manne antun könne, bestehe darin, daß die Frau sittsam lebe, da ohne Keuschheit eine Frau gar nicht am Leben bleiben dürfte, zumal da bekanntlich die Frau eines Edelmanns öder eines andern, wenn sie sich einem Fremden hingibt, ein gemeines Weib wird, auf das man allenthalben mit Fingern zeigt, und auch ihr Mann wird verhöhnt und geschmäht von allen: denn es scheint, dies sei die größte Beleidigung und Verhöhnung, die ein Mann von einer Frau empfangen kann, und der schmachvollste Tadel, der einem Hause zugefügt wird. Das wußten wir, und wir wollten nicht, daß die ungeregelten und zügellosen Lüste unserer Männer sie zu einem unschicklichen Ziele führten, und trafen daher durch einen frommen und löblichen Betrug die Vorkehrung, die uns das geringere Übel schien. Ich weiß, daß es überflüssig sein würde, hier der Feindschaft zu gedenken, die seit vielen Jahren zwischen den Eltern unserer Gatten und dann auch leider zwischen ihnen selbst besteht, denn es ist dies in der ganzen Stadt bekannt. Wir sind von der Wiege an miteinander aufgewachsen, und da wir die Feindschaft unserer Männer bemerkten, machten wir aus der Not eine Tugend und wollten lieber unseren holden Umgang meiden als Anlaß zu häuslichem Zwiste geben. Die Nachbarschaft unserer Häuser bot uns jedoch ein Mittel dar, das Bedürfnis zu befriedigen, das uns die widernatürliche Feindschaft versagte und verbot. Wenn sie ausgegangen waren, fanden wir uns nämlich gar oft in unsern Gärtchen ein, die durch einen einfachen Zaun von Meerschilf voneinander getrennt sind, und pflegten dort geselliges Gespräch. Wir benützten aber diese Bequemlichkeit mit Vorsicht, und da wir merkten, daß ihr, unsere Männer, einer in des andern Frau verliebt seid oder vielleicht euch verliebt stelltet, teilten wir einander diese eure Liebe mit und lasen immer miteinander die Liebesbriefe, die ihr uns zuschicktet. Eine andere Schmach wollten wir euch nicht antun über die Unbill, die ihr uns, euren Frauen, antatet, wiewohl es euch gut gewesen wäre; euch zu warnen lag nicht in unserer Absicht, denn wir wollten nichts als euch zu Freunden machen; wäre euch aber etwas gesagt worden von diesem gegenseitigen Verlieben, so hätte das eure Feindschaft nur vermehrt und euch die Waffen in die Hand gegeben. Wir berieten uns also miteinander und kamen einträchtig überein in dem gleichen Entschluß: denn wir urteilten, daß unsere Pläne ausgeführt werden könnten, ohne einem der Beteiligten Schaden oder Schande zu bereiten, ja sie müßten zur Freude und Genugtuung aller ausschlagen. In allen den Nächten also, wo ihr bald da-, bald dorthin zu gehen vorgäbet, kam Madonna Luzia mit Hilfe meiner Dienerin Cassandra durch den Garten in mein Schlafzimmer, und ich begab mich vermittels ihrer Magd Giovanna auf demselben Wege in ihr Schlafgemach. Ihr wurdet durch diese unsere Dienstfrauen in die Zimmer geführt und läget jeder bei seinem Weibe; so habt ihr also euer eigenes und nicht, wie ihr meintet, fremdes Feld gepflügt. Es waren aber Umarmungen nicht von Ehemännern, sondern von Liebhabern, und so verbandet ihr euch mit uns immer mit heftigerer Lust als gewöhnlich, so daß wir uns beide bald schwanger fühlten. Dies muß euch im höchsten Grade angenehm sein, wenn es wahr ist, daß ihr so große Begierde habt, Kinder zu bekommen, wie ihr euch anstelltet. Wenn euch daher kein anderes Vergehen drückt, wenn euer Gewissen euch nichts weiter vorwirft, und wenn ihr über sonst nichts Schmerz fühlt, so heitert euch auf und dankt unserer List und der heitern Posse, die wir euch gespielt haben; und wenn ihr bis jetzt Feinde gewesen seid, so legt nunmehr den alten Haß ab, versöhnt euch miteinander und lebt fortan als befreundete Edelleute, euren Groll dem Vaterlande zum Opfer bringend, das wie eine zärtliche, liebreiche Mutter alle seine Söhne in Eintracht sehen möchte! Damit ihr nun aber nicht etwa glaubt, ich habe alle meine Behauptungen aus der Luft gegriffen und sowohl zu eurer Errettung als zu unserer Entschuldigung fälschlich vorgebracht, so sehet hier alle eure Briefe, die ihr an uns schriebet!«
Es gaben nunmehr beide Frauen ihren Männern so viele Beweise und entscheidende Zeichen an, und sie wußten ihre Gründe dem Fürsten und den Herren so einleuchtend zu machen, daß ihre Männer sich für zufriedengestellt erklärten und die Herren alle gleichfalls ganz befriedigt waren und auch alle einstimmig die beiden Männer freisprachen. So wurden denn beide mit Genehmigung des Fürsten und aller dieser Herren völlig freigegeben.
Die Verwandten und Freunde der Ehemänner und ihrer Frauen hatten mit größter Verwunderung die lange Geschichte angehört; sie lobten die geschehene Freisprechung in hohem Grade und hielten beide Frauen für keusch; Madonna Isotta aber erkannten sie auch für eine große Rednerin, da sie ihre eigenen Angelegenheiten wie die ihrer Männer und ihrer Freundin so gewandt verteidigt hatte. Anselmo und Girolamo umarmten und küßten öffentlich mit großer Freude ihre Frauen; dann gaben sie sich selbst die Hand und küßten sich und schlossen Brüderschaft zusammen, lebten auch fortan in vollkommener Freundschaft und vertauschten die wollüstige Liebe, die sie einer zu des andern Frau gehabt hatten, mit brüderlichem Wohlwollen, was in der ganzen Stadt große Freude erregte.
Sobald die allgemeine Aufregung der Versammlung über diesen Vorfall in etwas nachgelassen hatte, wendete sich der Fürst mit erheitertem Angesicht zu Madonna Gismonda und sagte zu ihr: »Und was begehrt Ihr von uns, schöne Frau? Sagt uns Euer Anliegen freimütig! Wir hören Euch mit Vergnügen zu.«
Madonna Gismonda wurde über und über rot und erschien noch liebenswürdiger als gewöhnlich durch die natürliche Schamhaftigkeit, die sich über ihre Wangen ergoß; sie hielt eine kleine Weile ihre Augen auf den Boden gerichtet, schlug sie dann schüchtern empor und sprach, nachdem sie ein wenig Zuversicht gewonnen hatte: »Wenn ich, durchlauchtigster Fürst, in Gegenwart von Personen sprechen sollte, die nie geliebt haben oder nicht wissen, was Liebe ist, so wäre ich mehr als zweifelhaft darüber, was ich zu sagen hätte, und würde mich vielleicht gar nicht getrauen, den Mund zu öffnen. Da ich aber oftmals von meinem Vater gottseligen Angedenkens habe erzählen hören, daß Ihr, durchlauchtigster Fürst, in Eurer Jugend auch nicht verschmäht habt, den Liebesflammen Eure Brust zu öffnen, vielmehr ein zärtlicher Liebhaber wäret, und da ich überzeugt bin, daß niemand hier ist, der wenig oder gar nicht geliebt hat, hoffe ich für das, was ich jetzt zu sagen habe, bei Euch allen Mitleid, jedenfalls Verzeihung zu finden. Um also zur Sache zu kommen, so verhüte Gott, daß ich eine der scheinheiligen Frauen werden möchte, die, den ganzen Tag mit den Heiligen redend, Vaterunser verschlingen und Teufel hervorbringen, da ich wohl weiß, daß die Undankbarkeit ein Wind ist, der die Quelle der himmlischen Barmherzigkeit austrocknet und zum Versiegen bringt. Ich liebe das Leben, wie natürlich alle Menschen, und die Ehre zunächst, die ihm vielleicht noch vorangestellt sein sollte, weil es keinem Zweifel unterliegt, daß das Leben ohne Ehre nicht der Mühe lohnt; ein solches Leben ist ein lebendiger Tod, wo man mit gebrandmarkter Stirn lebt. Aber die Liebe, die für meinen von mir einzig geliebten Messer Aloise Foscaro hege, der hier gegenwärtig ist, geht mir über alles, und folglich halte ich sie höher als mein Leben. Und dies in Wahrheit mit vollstem Rechte: denn wenn ich auch nicht früher von ihm so sehr geliebt worden wäre, da er mich doch geliebt hat, so sehr man nur heben kann, und wenn ich ihn auch nicht geschätzt hätte, da er mir doch der teuerste und weit mehr als meine Augen von mir geliebt war, so macht doch der innige Liebesbeweis, den er mir in der letzten Zeit gegeben hat, wo er sich freigebig, ja verschwenderisch mit seinem eigenen Leben gezeigt hat, damit auch nicht der mindeste Verdacht von Unkeuschheit auf mich falle, daß ich ihn unvergleichlich höher achten muß als mein Leben und meine Seele selbst. Und wo findet sich, daß je eine solche Freigebigkeit von einem Liebhaber so unbedingt geübt wurde? Wer hat je freiwillig den Tod gewählt, um nicht fremden Ruf zu beflecken? Gewiß niemand, glaube ich, oder so wenige, daß diese Gattung so selten und seltener ist als weiße Raben. O einzige und unerhörte Aufopferung! Das ist ein Liebesbeweis, der nie genug gepriesen werden kann! Das ist eine Liebe, die echte Liebe ist und wo sich keine Erdichtung denken läßt! Messer Aloise, ehe er das geringste Teilchen meines Rufes bemakeln oder ein Tüttelchen von Verdacht bei irgend jemand, wo es mich anschwärzen konnte, auf mich fallen lassen wollte, hat sich freiwillig als Dieb angegeben und mich und meine Ehre weit mehr berücksichtigt als die seine und sein Leben. Und wiewohl er sich auf tausend Arten befreien konnte, nachdem er einmal in dem vom Falle noch halb betäubten Zustande gesagt hatte, er sei von meinem Fenster herabgestürzt, und nun bemerkte, wie sehr dieses Geständnis meine Ehre beeinträchtigen und ihre Reinheit schwärzen könne, zog er freiwillig lieber den Tod vor, ehe er ein Wort sagte, das irgendwie eine schlimme Meinung über mich oder so viel Schimpf als das kleinste Muttermal hervorbringen konnte. Da er einmal nicht mehr rückwärts konnte mit dem, was er schon über den Fall gesagt hatte, auch das einmal Geäußerte nicht so zu drehen war, daß die Sache gut stand, entschloß er sich, den Ruf des Nächsten mit seinem eigenen Schaden zu retten. Wenn er daher so bereitwillig sein Leben zu meinem Nutz und Frommen offenbar auf das Spiel gesetzt und noch weit mehr für die Erhaltung meiner Ehre gesorgt hat als für seine eigene, – sollte ich nicht zu seiner Errettung meine Ehre beiseite setzen? Unbedenklich! Ja, Ehre und Leben, und wenn ich tausend Leben hätte, alle zusammen würde ich zu seiner Erhaltung hingeben, und wenn ich es von neuem tausendmal tausendmal zurückerhielte, so würde ich es ebensooft wieder aufs Spiel setzen, wenn ich nur im geringsten ihm zu helfen wüßte. Ja, ich beklage mich und werde mich immer beklagen, daß mir nicht vergönnt ist, mehr zu tun, als meine geringe Möglichkeit aushält. Wenn er stürbe, könnte ich fürwahr nicht am Leben bleiben; wenn er nicht da wäre, was sollte ich im Leben tun? Ich glaube darum nicht, gerechtester Fürst, ein Quintchen Ehre zu verlieren; denn da ich, wie man sieht, eine junge Witwe bin und mich wieder zu verheiraten suche, war mir erlaubt, ein Liebesverhältnis anzuknüpfen, freilich zu keinem andern Zwecke, als um einen meinem Stande angemessenen Gatten zu bekommen. Wenn ich aber auch die Ehre verlöre, – warum soll ich sie nicht verlieren für den, der, um die meinige zu retten, wie so oft schon gesagt wurde, die seinige hat verlieren wollen? Um nun aber zur Sache zu kommen, so sage ich mit aller schuldigen Ehrerbietung, daß es nicht wahr ist, daß Messer Aloise je als Dieb und wider meinen Willen in mein Haus gekommen ist. Er kam vielmehr dahin ganz im Einverständnis mit mir und als teurer und inniger Liebhaber. Hätte ich ihm nicht die Erlaubnis gegeben zu kommen, wie wäre es ihm gelungen, eine Strickleiter so hoch emporzuziehen und sie oben so festzumachen, daß sie für immer gehalten hätte? Wenn dieses Fenster zu meinem Schlafzimmer gehört, wie konnte es um diese Stunde offen stehen ohne meine Einwilligung? Ich ließ den Bindfaden hinab, an den er die Strickleiter anband; mit Hilfe meiner Magd zog ich sie empor, und nachdem ich sie festgemacht hatte, so daß sie nicht losgehen konnte, machte ich Messer Aloise ein Zeichen heraufzusteigen. Aber sein und mein Mißgeschick wollte, daß er, ohne daß er mir nur hätte die Hand berühren können, zu meinem unsäglichen Schmerze zu Boden stürzte. Er möge daher das frühere Geständnis zurücknehmen, daß er ein Dieb sei, und nur die Tatsache bekennen, wie sie ist, da ich mich nicht schäme, das Geständnis abzulegen. Hier sind die vielen Briefe, die er mir schrieb, um eine Unterredung mit mir zu erflehen und um meine Hand zu bitten. Hier ist die Strickleiter, die bisher immer in meinem Schlafzimmer geblieben ist. Hier ist meine Dienerin, die an allem vermittelnd und unterstützend teilnahm.«
Messer Aloise gestand auf die Frage der Ratsherren, wie die Sache vor sich gegangen war. Er wurde nun ebenso von diesen Herren freigesprochen und wollte seine teure Geliebte als rechtmäßige Gemahlin heimführen. Der Fürst lobte sehr seinen Entschluß. Es gingen daher alle Verwandte beider Teile nach dem Hause Madonna Gismondas, wo er sie zur allgemeinen Freude feierlich heiratete. Es wurde eine kostbare und äußerst prächtige Hochzeit veranstaltet, und Messer Aloise lebte mit seiner Gattin lange Zeit in ungetrübtem Frieden. Madonna Luzia und Madonna Isotta gebaren mit der Zeit zwei schöne Söhnchen, – was die Zufriedenheit ihrer Väter nicht wenig erhöhte, die mit den Müttern ruhig zusammenlebten und unter sich in brüderlichem Einvernehmen oft den ihnen von den schlauen Gattinnen gespielten Streich belachten. Das weise Urteil des Fürsten in dieser Sache wurde in Venedig allgemein anerkannt und vermehrte noch um vieles den großen Ruhm seiner Klugheit. Er war auch in der Tat ein sehr kluger Fürst und vergrößerte durch seine Einsicht und seine Weisheit die Herrschaft des Freistaats, wurde aber doch zuletzt unverdientermaßen mit Undank belohnt und wegen seines hohen Alters der herzoglichen Würde entkleidet.
Ich weiß nicht, liebenswürdige und ehrenwerte Frau Cecilia, ob ich so leichtsinnig auf Eure Bitte hin mich zum Erzählen entschließen soll, da ich in diesem Geschäft nicht sonderlich geübt bin, während ich in dieser edeln und hochgeehrten Gesellschaft manche sehe, welche besser als ich und mehr zur allgemeinen Genugtuung, da sie darin geübt sind, sich darin ergehen würden, ich aber viel lieber Zuhörer als Erzähler wäre. Da jedoch immer Eure höflichen Bitten bei mir für Befehle gelten sollen, will ich, so gut ich kann, eine Geschichte erzählen, die mir vor einigen Jahren Herr Niccolo von Correggio, mein Oheim, mitgeteilt hat, als er aus dem Königreich Ungarn zurückkehrte, wohin er im Auftrage des Herzogs Lodovico Sforza gegangen war, um den Herrn Donno Ippolito von Este, Kardinal von Ferrara, zu begleiten, der das Bistum Gran in Besitz nehmen wollte. Wißt denn – um also auf die Erzählung, zu kommen –, daß Matthias Corvinus, wie alle hier Anwesenden wohl vom Hörensagen vernommen haben werden, König von Ungarn war, und als ein sehr kriegerischer, weitsehender Mann war er der erste berühmte Ungarkönig, den auch die Türken fürchteten. Nebst andern ausgezeichneten Eigenschaften, die er besaß, sowohl im Waffenhandwerk als in den Wissenschaften, war er der freigebigste und höflichste Fürst seines Zeitalters. Er hatte zur Gemahlin die Königin Beatrix von Aragon, die Tochter des Königs Ferdinand des Alten von Neapel und Schwester der Mutter Alfonsos, des nunmehrigen Herzogs von Ferrara, die in Wahrheit eine höchst vortreffliche Frau war in Wissenschaften und in Sitten und mit allen andern Tugenden geschmückt, die für eine Frau aus jedem Stande eine Zier wären. Sie war nicht minder höflich und freigebig als der König Matthias, ihr Gemahl, und ihr einziges stündliches Trachten ging darauf, alle diejenigen zu ehren und zu belohnen, die es aus irgendeinem Grunde zu verdienen schienen, so daß im Hause dieser zwei hochherzigen fürstlichen Personen ausgezeichnete Männer jeder Art und von allen Nationen aus- und eingingen, und jeder war nach seinem Verdienst und Range wohlgelitten und unterhalten.
In jener Zeit lebte ein böhmischer Ritter, ein Vasall des Königs Matthias (denn er war auch König von Böhmen), der einem sehr edlen Hause angehörte und von Person sehr wacker und in den Waffen geübt war. Dieser verliebte sich in ein sehr schönes Mädchen, die aus guter Familie stammte und für die Schönste in der Gegend galt; sie hatte einen Bruder, der, obwohl adlig, doch arm und mit Glücksgütern nicht eben gut versorgt war. Der böhmische Ritter war ebenfalls nicht sehr reich und hatte nur ein einziges Schloß, wo er nur mit großer Einschränkung standesgemäß sich zu unterhalten wußte. Als dieser demnach sich in das schöne Mädchen verliebt, erbat er sie von ihrem Bruder und erhielt sie zur Frau, jedoch mit sehr geringer Ausstattung. Bisher hatte er seine Armut noch nicht so sehr empfunden; nachdem er aber eine Frau in sein Haus eingeführt hatte, gingen ihm die Augen auf, und er begann zu bemerken, wie gering er ausgerüstet war, und wie schwer er sich von dem kleinen Einkommen aus seinem Schloßgute erhalten könne. Als ein edler und rechtschaffener Mann wollte er seine Untertanen nicht mit außerordentlichen Abgaben belasten, begnügte sich vielmehr mit den Steuern, die sie schon seinen Vorfahren zu entrichten gewohnt gewesen waren, deren Betrag aber sehr unbedeutend war. Er erkannte nun bald, daß hier eine außer ordentliche Abhilfe nottue, und so fiel es ihm ein, nach vielen und verschiedentlichen Überlegungen, sich an den Hof in den Dienst des Königs Matthias, seines Lehensherrn, zu begeben, dort eine Probe von sich abzulegen und sich dermaßen anzustellen, daß er mit seiner Gattin einen standesgemäßen Unterhalt daselbst fände.
Aber so groß und glühend war die Liebe, die er für seine Frau hegte, daß es ihm nicht möglich schien, eine Stunde ohne sie zu leben, geschweige ohne sie lange am Hofe zu bleiben. Denn sie an die Residenz des Hofes mitzunehmen und dort bei sich zu behalten, war nicht nach seinem Geschmacke. Er besann sich daher den ganzen Tag über diese Angelegenheit und wurde ganz schwermütig. Seiner Gattin, einer klugen und scharfblickenden jungen Frau, entging das Gehaben ihres Mannes nicht. Sie fürchtete, er möchte über etwas mit ihr unzufrieden sein, und sprach daher eines Tages zu ihm: »Mein teurer Gemahl, wenn ich nicht glaubte, Euch zu mißfallen, würde ich Euch gern um eine Gnade bitten.«
»Verlangt«, antwortete der Ritter, »was Euch beliebt! Sofern ich es irgend imstande bin, will ich von Herzen gern tun, was Ihr begehrt; denn Euch gefällig zu sein ist mir so wichtig als das eigene Leben.«
Darauf bat ihn denn die Frau bescheidentlich, ihr die Ursache seiner Unzufriedenheit zu entdecken, die er in seinem Aussehen zeige. Man sehe, er sei viel übler aufgelegt als sonst und tue nichts als seufzend nachsinnen und fliehe alle Gesellschaft, die ihm sonst so angenehm gewesen sei.
Als der Ritter die Bitte der Frau hörte, sagte er nach kurzem Bedenken: »Meine teuerste Gattin, Ihr wollt den Beweggrund meines düstern Sinnens wissen und erfahren, warum ich so schwermütig geworden bin: so erfahrt ihn! Alle meine Gedanken, in die Ihr mich so tief versunken seht, gehen damit um, wie ich Mittel und Wege auffinden könne, Euch und mir ein unserem Stande gemäßes ehrenvolles Leben zu bereiten; denn in Vergleich mit unserer Abkunft leben wir gar armselig; und der Grund ist, daß unsere Väter die von unsern Großvätern ihnen vererbten Güter verschwendet haben. Indem ich nun hierüber den ganzen Tag nachdachte und auf verschiedene Vorstellungen verfiel, wußte ich kein anderes Mittel aufzutreiben als eines, das meine Phantasie auf das lebhafteste beschäftigt, nämlich an den Hof unseres Oberherrn Königs Matthias mich zu verfügen, dem ich schon von den Kriegszeiten her bekannt bin. Ich kann nicht anders glauben, als daß er gut für mich sorgen und sich mir gnädig erzeigen werde; denn er ist ein freigebiger Fürst, der tüchtige Männer liebt, und ich werde mich so halten, daß wir mit seiner Gunst und Gnade besser leben können als jetzt; und ich befestige mich in dieser Ansicht um so mehr, als ich schon vormals unter den Woiwoden von Siebenbürgen gegen die Türken gefochten habe und damals von dem Grafen von Cilley aufgefordert worden bin, in die Dienste des Königs zu treten. Da ich aber andererseits glaube, Euch hier ohne meine Gesellschaft lassen zu müssen, kann ich mich unmöglich darüber beruhigen, daß ich mich von Euch entfernen soll, einmal, weil ich mich nicht entschließen kann, ohne Euch, meine Einziggeliebte, zu leben, und dann, weil ich fortwährend fürchte, wenn ich Euch so jung und schön sehe, dadurch eine Schmach zu erleben. Sobald ich weg wäre, fürchte ich, könnten Barone und Edelleute vom Lande sich beeifern, Eure Liebe zu gewinnen. Sobald dies geschähe, würde ich mich für entehrt halten und könnte mich nicht mehr unter rechtschaffenen Leuten sehen lassen. Dies ist die ganze Fessel, die mich hier hält, so daß ich für unsern Vorteil zu sorgen nicht imstande bin. Ihr habt nun, meine teuerste Gattin, die Ursache meiner Nachdenklichkeit vernommen.«
Nach diesen Worten schwieg er. Als die tapfere, großherzige Frau, die ihren Gatten grenzenlos liebte, hörte, daß er seine Auseinandersetzung geendigt hatte, antwortete sie ihm mit heiterem, freundlichem Gesichte also: »Ulrich« (so hieß der Ritter), »auch ich habe oft und viel an die Größe Eurer und meiner Vorfahren gedacht, von der, wie mir scheint, wir uns ohne unser Verschulden ziemlich entfernt haben; dabei habe ich mich besonnen, was für ein Mittel sich auffinden ließe, um uns besser auszurüsten, als wir es sind; denn wiewohl ich ein Weib bin und ihr Männer uns Weiber des Kleinmuts beschuldigt, so fühle ich doch in mir das Gegenteil davon und habe vielleicht höheren Mut und Ehrgeiz, als ich sollte; auch ich möchte gerne den Rang behaupten können, den meine Mutter, so viel ich mich erinnere, einnahm. Nichtsdestoweniger weiß ich mich solchergestalt zu mäßigen, daß ich mich willig mit alledem zufriedenstelle, was Euch gefällig ist. Um aber zur Sache zu kommen, sage ich Euch, daß auch ich, wie Ihr tut, unsere Umstände bedenkend zu der Erkenntnis gelangt bin, daß Ihr als ein junger, kräftiger Mann nichts Besseres zu tun vermöget, als bei unserem Könige Dienste zu nehmen; und jetzt halte ich es um so mehr für vorteilhaft, als ich vernommen habe, daß schon früher der König Euch vom Kriege her kennt. Ich gebe mich deshalb gern der Hoffnung hin, daß der König, der die Vorzüge anderer immer mit Geschick zu schätzen weiß, Euch ganz gewiß würdig und nach Verdienst belohnen wird. Ich wagte Euch diesen meinen Gedanken nicht auszusprechen, aus Furcht, Euch zu beleidigen. Jetzt habt Ihr mir aber den Mund selbst geöffnet, und ich will nicht unterlassen, Euch meine Ansicht zu sagen. Tut nunmehr, was Euch gefällt, und was am meisten mit Eurer Ehre und Eurem Vorteil übereinstimmt! Was mich betrifft, so bin ich zwar ein Weib und, wie ich zuvor schon gesagt habe, von Natur eitel; ich möchte gerne bei andern geehrt sein und mich öffentlich geschmückter und prächtiger zeigen als andere; da jedoch unsere Glücksumstände sind, wie wir sehen, würde ich gern die Zeit, die wir noch zu leben haben, fortwährend mit Euch in diesem unserem Schlosse zubringen, wo uns, Gott sei Dank, nichts abgeht, um uns ehrbar durchzubringen und uns mit allem zu versehen, was wir brauchen, wofern wir uns an dem Notwendigen genügen lassen und unsere Einkünfte bescheidentlich und mäßig einteilen. Wir können hier mit zwei bis drei Dienern und zwei bis drei Frauen ganz bequem bestehen, noch ein Paar Reitpferde halten und somit ein heiteres und ruhiges Leben führen. Wenn wir einmal Söhne bekommen und sie das Alter erreichen, wo sie dienen können, so bringen wir sie an den Hof und zu anderen Baronen. Wenn sie sich dann gut halten, so können sie sich Ehre und Vermögen sammeln; bringen sie es aber zu nichts oder zu wenig, so ist es ihr Schaden. Gott weiß, mein größtes Vergnügen wäre es, wenn wir die Zeit, die uns zu leben übrig ist, immer miteinander zubringen könnten, in Glück und Unglück. Da ich aber einigermaßen Eure Gesinnung kannte, die ein Quintchen Ehre höher achtet als alles Gold der Welt, und Euch so mißlaunisch sah, glaubte ich immer, wiewohl mir auch andere Gedanken durch den Sinn gingen, das ganze komme daher, entweder, daß Ihr Euch mit mir nicht befriedigt fühlt, oder daß es Euch leid tue, Euch nicht in den Waffen üben zu können und unter andern geehrten Rittern keine Eurer würdige Stelle zu behaupten. Da ich Euch nun mehr liebe als alles in der Welt, war immer mein Wunsch der, daß alle Eure Wünsche auch die meinigen seien; und solange mir vergönnt sein wird zu leben, soll das fortwährend so bleiben, da ich Euer Vergnügen weit mehr hebe als mein Leben. Wenn Ihr daher entschlossen seid, in die Dienste des Königs Matthias zu gehen, so werde ich den Schmerz, der mich ganz sicher über Eure Entfernung befallen wird, durch das Vergnügen versüßen, das ich fühlen werde bei der Wahrnehmung, daß Ihr ein so löbliches Verlangen, wie das Eurige ist, befriedigt, und durch die süße Erinnerung an Euch werde ich meine Gedanken vertreiben, in der Hoffnung, Euch einst viel froher wiederzusehen, als Ihr jetzt seid. Was sodann das betrifft, daß Ihr sagt, Ihr fürchtet, ich möchte gegen solche zu kämpfen haben, welche meine Keuschheit angreifen und Euch und mir die Ehre rauben wollen, so versichere ich Euch, wenn ich nicht völlig den Verstand verliere, so geht mein fester Entschluß dahin, lieber zu sterben als je in einem Pünktchen meine Sittsamkeit zu beflecken. Hierfür weiß ich aber freilich kein anderes Pfand zu bieten als mein aufrichtiges Wort; wenn Ihr dieses kenntet, wie ich es von jeher fest und unverletzt erhalten, so würdet Ihr Euch sicher damit zufrieden geben, und nie würde das geringste Fünkchen von Verdacht darüber Euch in den Sinn kommen. Da ich Euch also hierüber keine andere Sicherheit geben kann, muß ich auf die künftige Betätigung meines Versprechens verweisen, in der Hoffnung, daß das Leben, das ich führen werde, so sein wird, daß ich jeden Tag darüber Rechenschaft ablegen kann. Jede Art und Weise jedoch, die Euch gefällt, um zu Eurer Versicherung mich auf die Probe zu stellen, wird mir äußerst angenehm sein, da mein höchster Wunsch ist, Euch zufriedenzustellen. Und wenn es Euch einfiele, mich in einen dieser Burgtürme zu schließen, bis Ihr zurückkehrt, so würde ich gerne als Einsiedlerin dort leben, wenn ich nur weiß, daß ich etwas tue, was Euch Freude macht.«
Der Ritter hörte mit größtem Vergnügen die Antwort der Frau, und als sie fertig war, sagte er zu ihr: »Meine teuerste Gattin, Eure Seelengröße verdient alles Lob, und es ist mir sehr erfreulich, daß Ihr meiner Ansicht seid. Auch gewährt es mir unschätzbares Vergnügen, Euren festen Vorsatz zu hören, unsere Ehre rein zu erhalten, und ich ermahne Euch, auf dieser Bahn auszuharren und nicht zu vergessen, daß, sobald eine Frau ihre Ehre verloren hat, sie alles verloren hat, was sie in diesem Leben besitzen kann, und nicht mehr eine Frau genannt zu werden verdient. Den Euch mitgeteilten Plan werde ich wohl seiner Wichtigkeit halber nicht so geschwind ausführen; sobald ich aber zur Verwirklichung komme, versichere ich Euch, daß ich Euch hier als unumschränkte Gebieterin über alles zurücklassen werde. Unterdessen will ich noch weiter darüber nachdenken, was uns frommt, und mich mit Freunden und Verwandten beraten, sodann aber mich an das halten, was man für das Beste ansehen wird. Laßt uns daher heiter leben!«
Weil nun den Ritter im allgemeinen weiter nichts bekümmerte als sein Zweifel über seine Gattin, da er sie so zart und schön sah, so sann er jetzt darauf, wie sich ein Mittel für ihre Sicherheit finden lasse. Bald darauf, während er hierüber nachdachte, begab es sich, daß der Ritter eines Tages in Gesellschaft mit einigen Edelleuten war und unter mannigfaltigen Gesprächen auch einer ein Ereignis erzählte, das einem Edelmann des Landes begegnet war. Dieser hatte die Liebesgunst einer Frau gewonnen mittels eines alten Polen, der im Rufe stand, ein großer Zauberer zu sein und als Arzt in Chozen, einer Stadt in Böhmen, lebte, wo Silber- und andere Bergwerke in Menge sich befinden. Der Ritter, der sein Schloß nicht weit von Chozen hatte, begab sich dahin unter dem Vorwande eines Geschäfts und ging zu dem betagten Polen, mit dem er lange sprach, und an den er das Verlangen stellte, gleichwie er bereits jemand beigestanden habe, um sich Liebe zu erwerben, so auch ihm die Art und Weise anzugeben, wie er sich davor bewahren möge, daß ihm seine Gattin nichts zuleide tue und ihn nicht mit Hörnern schmücke. Der Pole, der in Zaubersachen, wie ihr gehört habt, sehr bewandert war, sagte zu ihm: »Mein Sohn, du forderst von mir etwas Großes, was ich nicht ausführen kann; außer Gott kann dir niemand die Keuschheit eines Weibes sicherstellen, denn sie sind von Natur gebrechlich und sehr zur Wollust geneigt, so daß sie sich leicht den Bitten der Liebhaber fügen, und es gibt wenige, die, wenn man sie bittet und bestürmt, fest bleiben; diese wenigen aber verdienen jede Achtung und Verehrung. Indessen besitze ich allerdings ein Geheimnis, womit ich zum guten Teil deine Bitte doch erfüllen kann; es besteht nämlich darin, daß ich dir mit meiner Kunst im Zeitraum von wenigen Stunden ein kleines Frauenbildchen aus einem besonderen Stoffe herstellen kann, das du dann beständig in einem kleinen Büchschen in deinem Beutel bei dir tragen und täglich, sooft du willst, betrachten kannst. Wenn deine Frau dir die eheliche Treue nicht verletzt, so wird dir das Bild immer so schön und farbig erscheinen, wie ich es verfertigt habe, und als käme es eben erst aus der Hand des Malers; dächte sie hingegen daran, ihren Leib einem andern Manne zu ergeben, so wird das Bild blaß; und wenn es zur Ausführung kommt, daß sie wirklich einem andern ein Recht bei sich einräumt, so wird das Bild plötzlich schwarz wie eine verglommene Kohle und stinkt so heftig, daß alle Umstehenden den Gestank auf unverkennbare Weise empfinden; sooft sie in Versuchung geführt wird, nimmt das Bildnis jedesmal eine goldgelbe Farbe an.«
Das wunderbare Geheimmittel stand dem Ritter sehr gut an, und er glaubte daran so fest wie an das wahrste und unzweifelhafteste Ding auf Erden, weil er ganz befangen von dem großen Rufe war, den der Pole und seine Kunst genoß; denn die Chozener wußten davon die unglaublichsten Dinge zu erzählen. Nachdem er mit ihm über den Preis einig geworden war, bekam er das schöne Bild und kehrte damit ganz vergnügt in sein Schloß zurück. Er blieb daselbst noch einige Tage; dann aber beschloß er, an den Hof des glorreichen Königs Matthias zu gehen, und offenbarte seinen Entschluß seiner Frau. Er brachte sodann sein Hauswesen in Ordnung, übergab die Leitung des Ganzen seiner Gemahlin, und nachdem alles gerüstet war, was er zu seiner Reise brauchte, ging er, so schwer und schmerzlich ihm auch die Trennung von seiner Frau war, hinweg und verfügte sich nach Stuhlweißenburg, wo sich dazumal der König Matthias und die Königin Beatrix befanden, von welchen er freudig aufgenommen und gern gesehen wurde.
Er war noch nicht lange am Hofe, so hatte er sich schon allgemein sehr beliebt gemacht. Der König, den er schon früher gekannt hatte, setzte ihm ein anständiges Jahresgehalt aus und bediente sich seiner in vielen Geschäften, die er alle nach dem Willen des Königs ausführte. Alsdann zur Verteidigung eines gewissen Platzes abgesandt, den die Türken unter der Anführung Mustafa Paschas belagerten, führte er diesen Krieg solchergestalt, daß er die Ungläubigen über ihre Landesgrenze zurücktrieb und sich den Ruhm eines wackeren und tapfern Kriegers und klugen Hauptmanns erwarb. Dies erhöhte noch sehr die Gunst und Gnade des Königs, so daß er neben Geld und Geschenken, die er täglich empfing, auch noch ein Schloß mit guten Einkünften zum Lehen erhielt. Der Ritter meinte daher eine sehr gute Wahl getroffen zu haben, indem er sich an den Hof in die Dienste des Königs begeben hatte, und pries Gott dafür, der es ihm eingegeben, in der Hoffnung, es täglich besser zu bekommen. Und er lebte um so zufriedener und glücklicher, da er täglich wiederholt das kostbare Büchschen hervorzog, worin das Bild der Frau sich befand, das er immer so schön und so wohlgefärbt sah, wie wenn es eben jetzt erst gemalt worden wäre.
Am Hofe ging das Gerücht, Ulrich habe in der Heimat die schönste und anmutigste junge Frau von Böhmen und Ungarn zur Ehe. Als nun einmal viele Hofleute in Gesellschaft beisammen waren, worunter auch unser Ritter, sagte ein ungarischer Baron zu ihm: »Wie kann das sein, Herr Ulrich, daß Ihr nunmehr etwa anderthalb Jahre von Böhmen weg seid, ohne je nach Hause zu gehen und nach Eurer Frau zu sehen, die, wie man allgemein versichert, so schön ist? Offenbar hegt sie Euch nicht sehr am Herzen.«
»Ei freilich liegt sie mir am Herzen«, antwortete Ulrich, »und ich liebe sie wie mein Leben; vielmehr ist das, daß ich sie so lange Zeit nicht besucht habe, kein kleiner Beweis für ihre Tugend und meine Treue; für ihre Tugend, insofern sie damit zufrieden ist, daß ich meinem König diene und es ihr genügt, wenn wir häufig voneinander Nachricht haben, da es uns allerdings nicht an Gelegenheiten fehlt, uns briefliche Besuche abzustatten. Meine Treue sodann und die Verpflichtung, die ich gegen den König, unsern Herrn, zu haben bekenne, von dem ich so viele und große Wohltaten empfangen habe, und die fortwährende Kriegsunruhe von den Feinden Christi an der Grenze sind bei mir viel kräftiger als die Liebe zum Weibe; und meine Pflicht gegen den König muß über die eheliche Liebe um so mehr die Oberhand behaupten, als ich weiß, daß ich der Treue und Beständigkeit meiner Gattin sicher sein kann, da sie nicht allein schön, sondern auch sittsam, wohlerzogen und sehr auf ihre Ehre bedacht ist und mich mehr als alles auf der Welt wert hält und wie ihre Augen liebt.«
»Das ist ein großes Wort«, versetzte der ungarische Baron, »daß Ihr behauptet, der Treue und Keuschheit Eurer Gattin sicher zu sein, die ganz gewiß selber nicht darauf schwören würde. Denn ein Weib, das heute noch gegen alle Bitten und Geschenke der ganzen Welt unempfindlich erscheint, wird sich morgen schon von einem einzigen Blicke eines Jünglings, einem einfachen Worte, einer heißen Träne und kurzer Bitte erweichen und dem Liebhaber ganz und unbeschränkt in die Gewalt geben. Und wer ist oder war jemals, der diese Sicherheit haben kann? Wer kennt die Heimlichkeiten der Herzen, die undurchdringlich sind? Ich glaube, gewiß niemand, außer unser Herrgott. Das Weib ist von Natur veränderlich und unbeständig und das ehrgeizigste Geschöpf unter der Sonne. Wo um des Himmels willen ist das Weib, das nicht wünscht und verlangt, geschmeichelt, begehrt, umworben, verehrt und geliebt zu werden? Und gar oft geschieht es, daß die, so für die schlausten gelten und mit falschen Blicken verschiedene Liebhaber abzuspeisen vermeinen, gerade am ehesten und unvermerkt ihren Kopf in die Schlingen der Liebe bringen und sich so darein verwickeln, daß sie, wie Vögel, die an der Leimrute gefangen sind, sich nicht mehr losmachen können. Darum, Herr Ulrich, sehe ich nicht ein, wie Eure Frau mehr als andere, die von Fleisch und Bein sind, vom Himmel ein Vorrecht erhalten haben soll, daß sie nicht bestochen werden kann.«
»Meinetwegen«, antwortete der böhmische Ritter. »Ich will ja glauben, daß es so ist, und mich überreden, daß Ihr recht habt; jeder kennt das Seine, und der Narr weiß besser, was er hat, als seine Nachbarn, so weise diese auch sind. Glaubet, was Euch gutdünkt! Ich verbiete es Euch nicht; aber laßt mich auch glauben, was mir angenehm ist und mir ansteht! Mein Glaube kann Euch ja nicht schaden, und Eure abweichende Ansicht bringt mir keinen Nachteil, da es ja jedem freisteht in ähnlichen Begegnissen, zu glauben, was ihm am meisten gefällt.«
Es waren noch viele andere Herren und Edelleute vom Hofe bei diesem Gespräche zugegen, und (wie wir das manchmal sehen) der eine sagte dies, der andere jenes. Es stellten sich daher gar verschiedene Meinungen über diese Angelegenheit heraus. Denn die Menschen sind nicht alle von gleicher Gemütsverfassung, und viele machen sich glauben, mehr zu wissen als ihre Nebenmenschen, und sind auf ihre Hirngespinste so versessen, daß sie der Vernunft gar kein Gehör geben, als bestände eine vernünftige Unterhaltung in Lärm und Geschrei. Die ganze Sache wurde nun der Königin gemeldet. Diese war eine Frau, welche Hader und Zwietracht bei Hofe entschieden mißbilligte; sie ließ daher diejenigen zu sich rufen, die miteinander gestritten hatten, und verlangte, ihr genau das gepflogene Gespräch zu melden. Nachdem sie es angehört, sagte sie, allerdings könne in dieser Angelegenheit jeder nach Gefallen glauben, was er wolle; es wäre aber eine anmaßende, tollkühne Torheit, alle Frauen auf gleiche Weise beurteilen zu wollen, wie man es auch für den größten Irrtum erkennen müsse, wollte man behaupten, alle Männer hätten gleichen Charakter, während man doch tagtäglich das Gegenteil offen sehe; »denn bei Männern und Frauen ist ein so großer Unterschied und Mannigfaltigkeit in den Naturen, als es Köpfe gibt; und zwei Brüder und zwei Schwestern, die miteinander geboren sind, werden meistenteils von entgegengesetztem Temperament und von ganz verschiedenem Charakter sein, und was dem einen gefällt, wird dem andern mißfallen.«
Die Königin schloß daher, sie sei vollkommen überzeugt, daß der böhmische Ritter recht habe, von seiner Frau zu glauben, was er glaube, da er ja lange Zeit mit ihr umgegangen sei, und er handle hierin klug, weise und vorsichtig. Da nun, wie man sieht, die menschlichen Gelüste unersättlich sind und ein Mensch kühner ist als der andere, ja, um es besser zu sagen, hartnäckiger und verwegener, so waren daselbst am Hofe zwei ungarische Barone, die mit dem Kopf obenhinaus wollten und die Königin folgendermaßen anredeten: »Gnädigste Frau, Ihr tut als Frau wohl daran, die Ehre Eures Geschlechts zu verteidigen; aber wir getrauen uns wohl, wenn wir da wären, wo sich diese Frau von Marmor aufhält, und wir sie sprechen könnten, ihr diamantenes Herz zu überwältigen und sie dahin zu bringen, uns zu Willen zu sein.«
»Ich weiß nicht, was geschehen würde«, antwortete der böhmische Ritter, »noch was ihr tun würdet; aber das weiß ich wohl, daß ich mich nicht täusche.«
Es wurde noch vieles gesprochen; der Streit erhitzte sich auf diese Äußerungen beiderseits von neuem, und die beiden allzu zuversichtlichen Barone erklärten endlich mit einem Schwüre, sie beharrten auf ihrer Behauptung und verpfändeten alle ihre beweglichen und unbeweglichen Güter dafür, daß sie binnen fünf Monaten, vorausgesetzt, daß Herr Ulrich sich verpflichte, inzwischen seine Gattin weder zu besuchen noch zu warnen, diese dahin bringen wollen, ihre Wünsche zu erfüllen. Die Königin und alle, die diesen Vorschlag vernahmen, erhoben darüber ein großes Gelächter und verspotteten die beiden. Sobald sie dies sahen, sagten sie: »Ihr meint vielleicht, gnädigste Frau, wir reden nur in Schimpf und Scherz; es ist uns aber vollkommen ernst, und wir wünschen, die Probe zu bestehen, damit man sehe, welche von beiden Meinungen die richtige sei.«
Mittlerweile hatte König Matthias selbst von der Sache gehört und kam jetzt dahin, wo sich die Königin befand, die sich große Mühe gab, den beiden Ungarn ihren Wahnsinn auszureden. Als der König kam, baten ihn die beiden Barone, zu geruhen, Herrn Ulrich, da er sich nicht freiwillig dazu verstehe, anzuhalten, den Vertrag mit ihnen einzugehen, wobei sie sich verbindlich machten, alle ihre Habe zu verlieren, die dann der König frei dem Herrn Ulrich schenken könne. Geschehe aber das, was sie voraussagten, so solle Herr Ulrich versprechen, es seine Frau nicht entgelten zu lassen, aber seine falsche Ansicht aufgeben und glauben, daß die Frauen von Natur geneigt sind, den Bitten der Liebhaber ein williges Ohr zu leihen. Der böhmische Ritter, der an die Keuschheit und eheliche Treue seiner Frau so fest glaubte wie an das Evangelium und sich an die Unbeflecktheit seines Zauberbildes hielt, das er die ganze Zeit seiner Abwesenheit über nie bleich noch schwarz gesehen hatte, wohl aber manchmal gelb, je nachdem sie zuweilen von einem um Minne angegangen worden war, das aber gleich darauf seine natürliche Farbe wieder bekam, sagte zu den ungarischen Baronen: »Ihr habt euch in eine große Gefahr geschwatzt; so will ich denn auf die Sache eingehen unter der Bedingung, daß ich hernach mit meiner Frau nach meinem Gutdünken verfahren darf. Übrigens will ich auch alle meine Habe in Böhmen neben dem einsetzen, was ihr verpfänden zu wollen erklärt habt, und behaupte, daß ihr meine Frau nimmermehr dahin bringen werdet, euren Willen zu tun; auch will ich weder gegen sie noch gegen sonst jemand die Sache mit einem Worte erwähnen.«
Es wurde deshalb noch vieles herüber und hinüber verhandelt, und zuletzt erklärte der Böhme in Gegenwart des Königs und der Königin, durch die Verwegenheit der beiden Ungarn von neuem angereizt: »Dieweil denn Herr Wladislaw und Herr Albert« (so hießen die zwei Ungarn) »also dringend verlangen, ihr Wagnis zu bestehen, bin ich, wofern es mit Eurer Huld und Gunst geschehen kann, ehrfurchtgebietender König und gnädigste Königin, ihrem Begehren zu willfahren bereit.«
»Und was uns betrifft«, versetzten die Ungarn, »so bestätigen wir neuerdings, was wir gesagt haben.«
Der König bestrebte sich zwar wiederholt, die Zwistigkeit beizulegen; von den zwei Ungarn aber unablässig gedrängt, ließ er am Ende über die Bedingungen des Vertrags eine königliche Verordnung ausfertigen, die er eigenhändig vollzog. Als die beiden Barone den königlichen Erlaß sahen, nahmen sie davon eine Abschrift, und ebenso tat der Böhme. Die beiden Ungarn brachten ihre Angelegenheiten in Ordnung und beschlossen unter sich, Herr Albert solle zuerst sein Glück versuchen bei der Dame, und nach sechs Wochen solle auch Herr Wladislaw hingehen.
Herr Albert ging mit zwei Dienern ab und begab sich geradeswegs nach dem Schlosse des Böhmen. Dort angelangt stieg er in einer Herberge des Dorfes ab, zog Erkundigungen über die Frau ein und hörte, daß sie sehr schön und über die Maßen ehrbar sei und ihren Gatten über alles in der Welt liebe. Dessenungeachtet ließ er sich nicht abschrecken, sondern legte tags darauf reiche Kleider an und wanderte nach dem Schlosse, wo er der Dame sagen ließ, daß er ihr aufzuwarten wünsche. Anmutreich, wie sie war, ließ sie ihn eintreten und empfing ihn auf das freundlichste. Der Baron erstaunte sehr über die Schönheit und die Reize der Dame und über die ehrbare und feine Sitte, die ihr eigen war. Als sie sich sodann gesetzt hatten, sagte er, der Ruf ihrer hohen Schönheit habe ihn bewogen, den Hof zu verlassen und hierher zu kommen, sie zu sehen, und er finde sie in Wahrheit noch unendlich schöner und lieblicher, als er habe erwarten können. Und mit dem begann er, ihr viel eitle Dinge vorzuschwatzen, so daß sie bald merkte, auf was es losgehe und welchem Ziel sein Schifflein zusteuere. Deshalb strebte sie, ihn allmählich treuherzig zu machen und auf verliebte Reden zu bringen, damit er desto eher in seinen Hafen einlaufe. Der Baron, der eben nicht war, was er sich einbildete, sondern unerfahren und leichtgläubig genug, hörte nicht auf zu schwatzen, bis er damit herausplatzte, daß er heftig in sie verliebt sei. Die Frau tat zwar allerdings spröde gegen sein Geschwätz, unterließ aber nicht, sich freundlich gegen ihn zu bezeugen, so daß der Ungar in zwei bis drei Tagen gar nichts tat, als sie mit seiner Liebe bestürmen.
Die Dame sah bald, daß sie es mit einem kaum flügge gewordenen Vogel zu tun hatte, und setzte sich daher vor, ihm einen solchen Streich zu spielen, daß er immer an sie denken solle. Bald darauf gab sie sich nämlich das Ansehen, als könne sie seinen Angriffen nicht länger widerstehen, und sprach zu ihm: »Herr Albert, ich glaube, Ihr seid ein großer Zauberer; denn ich fühle mich gedrungen, Euren Willen zu tun, und will mir dabei nur so viel ausbedungen haben, daß mein Gatte es nicht erfahre, der mich sonst ganz sicher töten würde. Und daß sich dessen niemand im Hause versehe, mögt Ihr morgen, wie es Eure Gewohnheit ist, zur Essenszeit auf das Schloß kommen, Euch aber weder hier noch sonstwo aufhalten, sondern heimlich in das Gemach im Hauptturme gehen, über dessen Tür das Wappen des Königreichs in Marmor ausgehauen ist, und den Eingang hinter Euch verschließen. Ihr sollt das Gemach offen finden; ich komme dann bald auch hin, und wir können nach, bester Bequemlichkeit und ohne von jemand bemerkt zu werden (denn ich will sorgen, daß niemand in der Nähe ist) unserer Liebe uns freuen und uns die Zeit vertreiben.«
Dieses Gemach war aber ein sehr festes Gefängnis, das in alten Zeiten gerade dazu gemacht war, um Edelleute darin festzuhalten, die man nicht umbringen, sondern lebenslänglich gefangenhalten wollte.
Mit dieser seiner Meinung nach äußerst günstigen Antwort hielt sich der Baron für den zufriedensten und glücklichsten Mann von der Welt und hätte mit keinem Könige tauschen mögen. Er dankte daher der Frau, so gut er wußte und konnte, schied von ihr und ging nach seiner Herberge zurück, das Herz von unendlicher Freude erfüllt.
Am folgenden Tage zu der anberaumten Stunde erschien der Baron wirklich auf dem Schlosse, und da er niemand fand, trat er ein, ging nach der Anweisung der Frau geradezu nach dem Gemache, fand es offen und machte hinter sich die Tür zu, die sich von selbst abschloß. Die Tür war so eingerichtet, daß man von innen nicht ohne Schlüssel öffnen konnte, und hatte überdies ein äußerst festes Schloß. Als nun die Burgfrau, die nicht weit davon auf der Lauer stand, den Eingang zumachen hörte, verließ sie das Zimmer, worin sie sich befand, begab sich vor das Zimmer des Barons, verschloß und verriegelte es von außen und nahm den Schlüssel zu sich.
Das Gemach war, wie gesagt, in dem Hauptturm, und darin war ein recht gutes Bett. Das Fenster, wodurch es Licht empfing, war so hoch, daß ohne Leiter kein Mensch hinausschauen konnte. Im übrigen war es ganz geeignet für ein anständiges Gefängnis. Sobald Herr Albert darin angelangt war, setzte er sich nieder und erwartete, gleichwie die Juden den Messias, die Frau, die ihm ihr Wort gegeben hatte, daß sie kommen werde. Während er nun in dieser Erwartung schwebte und sich tausend Hirngespinste bildete, da hörte er einen kleinen Laden aufgehen, der in der Tür seines Gemachs befindlich und so klein war, daß er kaum hinreichte, ein Brot und einen Becher Weins hinein zu bieten, wie man Gefangenen zu tun pflegt. Er meinte nicht anders, als jetzt komme seine Schöne, ihn zu besuchen und ihm ihre Liebe zu schenken, und als er aufstand, vernahm er durch die Öffnung die Stimme einer Zofe, die zu ihm sagte: »Herr Albert, meine Gebieterin Frau Barbara (denn so hieß die Burgfrau) läßt Euch durch mich sagen, daß, nachdem Ihr hierher gekommen seid, um ihr ihre Ehre zu rauben, sie Euch wie einen Dieb verhaftet habe, und daß sie Euch dafür auf eine Weise büßen lassen wird, die nach ihrem Gutdünken Eurer Versündigung angemessen ist. Gesetzt also, daß Ihr zu essen und zu trinken verlangt, derweil Ihr hier drinnen steckt, so müßt Ihr es Euch durch Spinnen verdienen, wie die armen Frauen ihren Unterhalt. Das kann ich Euch auch sagen, daß Eure Kost desto besser beschaffen sein und desto reichlicher ausfallen wird, je länger Ihr Euren täglichen Faden spinnt; im andern Falle werdet Ihr auf Wasser und Brot gesetzt. Das schreibt Euch ein für allemal hinters Ohr, da niemand weiter ein Wort mit Euch darüber reden wird!«
Nachdem sie dies gesagt hatte, machte die Zofe den kleinen Laden wieder zu und ging zu ihrer Herrin zurück. Der Baron, der sich bis jetzt mit der Hoffnung geschmeichelt hatte, zur Hochzeit gekommen zu sein, und der, um besser seinen Postenlauf zu machen, am Morgen nichts oder wenig gegessen hatte, war bei dieser unerwarteten Ankündigung wie vom Donner gerührt. Als schwände ihm der Boden unter den Füßen, flohen plötzlich alle Lebensgeister von ihm; er verlor Kraft und Atem und sank ohnmächtig auf den Estrich seines Zimmers nieder, so daß, wer ihn gesehen hätte, ihn eher für tot als lebendig hätte halten müssen. Er blieb eine gute Weile so liegen, und als er wieder zu sich gekommen war, wußte er nicht, ob er träumte oder ob es wirklich wahr sei, was die Zofe ihm gesagt hatte. Da er endlich klar einsah und sich nicht ableugnen konnte, daß er wie ein Vogel im Käfig gefangen sei, so glaubte er, vor Zorn und Wut umkommen oder den Verstand verlieren zu müssen, und redete geraume Zeit wie ein Rasender irre, ohne zu wissen, was er beginnen solle. Den ganzen übrigen Tag lang schritt er im Zimmer auf und ab, faselte, seufzte, lästerte, drohte und verfluchte Tag und Stunde, da er den unseligen Gedanken gefaßt, eines andern Weib zu entehren. Es fiel ihm der Verlust seiner Güter ein, der daraus erfolgte, da sich der König selbst für die Gültigkeit des Vertrags verbürgt hatte. Zumeist schlug ihn aber doch die Vorstellung der Beschämung, des Hohns und der Schande nieder, die sein Abenteuer ihm bei Hofe zuziehen mußte, wenn es daselbst, wie es eben nicht anders sein konnte, verlautete, und es war ihm zuweilen, als würde ihm das Herz mit zwei scharfen Zangen bis zur Bewußtlosigkeit gezwickt und endlich ausgerissen.
Indem er also in dem Gemache wütend auf und ab rannte und sich da- und dorthin wendete, sah er zufällig in einem Winkel desselben einen Spinnrocken stehen, woran Flachs angelegt und eine Spindel befestigt war. Er war auf dem Punkte, vom Zorne überwältigt, alles zu zerstören und entzweizuschlagen; aber dennoch unterließ er es, ich weiß nicht wie es kam. Es war zur Stunde des Abendessens, als die Zofe zu ihm zurückkehrte, das Fensterchen öffnete, den Baron begrüßte und zu ihm sagte: »Herr Albert, ich will das Garn abholen, das Ihr gesponnen habt, damit ich weiß, was ich Euch für ein Abendbrot bringen darf.«
War der Baron schon vorher böse gewesen, so bemächtigte sich seiner nunmehr der wildeste Grimm, und er begann ihr die ärgsten Schimpfreden von der Welt zu sagen, die man irgendeinem Weibe von schlechtem Lebenswandel gesagt hat, und das Mädchen unanständig anzufahren, indem er sich herausließ, wie wenn er in Freiheit und auf einem seiner Schlösser wäre. Die von ihrer Gebieterin unterwiesene Zofe entgegnete lachend: »Herr Albert, Ihr tut meiner Treu nicht wohl daran, so das große Wort wider mich zu führen und mir solchen Schimpf anzutun; denn solcher Wahnsinn hilft Euch da drinnen gar nichts. Ihr wißt ja doch das Sprichwort, daß der Knecht für den Herrn nichts kann. Meine Herrin will von Euch wissen, was Euch hierhergeführt hat, und ob irgend jemand Mitwisser Eures Kommens ist. Das müßt Ihr mir noch außer dem Spinnen sagen. Es ist mit Euch so weit gekommen, daß Euch das Messer an der Kehle steht, und Ihr verliert unnötigerweise Zeit und Mühe, wenn Ihr Euch einbildet oder bestrebt, ohne gesponnen und gebeichtet zu haben, von hinnen zu entkommen. Ergebt Euch also geduldig in Euer Schicksal, das einmal nicht zu ändern ist und wogegen es keine Abhilfe gibt; wollt Ihr Euch andere Gedanken machen, so gebt Ihr Euch wahrlich unnötige Mühe. Es ist fest und unwiderruflich beschlossen, daß Ihr sonst nichts zu essen bekommt, außer ein wenig Brot und Wasser, wenn Ihr nicht spinnt und sagt, ob jemand um den Zweck Eures Hierherkommens weiß. Wollt Ihr leben, so zeigt mir Faden und sagt, wie die Sache sich verhält; wo nicht, so bleibt Ihr hier.«
Als sie sah, daß er keinen Faden hatte noch auch bereit war, ihre Frage zu beantworten, schloß sie das Türchen, und der zum Unglück gekommene Baron empfing an diesem Abend weder Brot noch Wein, so daß er, weil es sich mit leerem Magen schlecht zu schlafen pflegt, in der Nacht kein Auge zutat. Solange nun der Baron in diesem Gemache gefangensaß, wurden auf Befehl der Burgfrau auch die Diener und Pferde Herrn Alberts geschickt und heimlich hingehalten und nebst seinen Sachen an einem sichern Orte untergebracht, wo sie mit allem wohlversorgt wurden und ihnen nichts als die Freiheit mangelte. Öffentlich ließ sie das Gerücht verbreiten, Herr Albert sei nach Ungarn zurückgekehrt.
Wenden wir uns nun zurück zu dem böhmischen Ritter! Sobald er wußte, daß einer der beiden anmaßlichen Ungarn den Hof verlassen und sich nach Böhmen aufgemacht hatte, betrachtete er tagtäglich sein bezaubertes Bild, um zu sehen, ob es die Farbe verändere. In den drei bis vier Tagen nun, wo der Ungar die Frau zu überreden strebte, wurde es jedesmal in den Stunden, wo er bei ihr war, gelb; gleich darauf aber gewann es seine natürliche Farbe wieder. Sobald er sah, daß es sich nicht mehr veränderte, hielt er es für sicher, daß der ungarische Baron abgewiesen worden sei und nichts ausgerichtet habe. Er fühlte sich dadurch außerordentlich befriedigt und meinte, der Sittsamkeit seiner Frau völlig versichert sein zu können. Doch war er noch nicht ganz ruhig und sein Herz nicht durchaus zufriedengestellt, aus Besorgnis, Herr Wladislaw, der noch gar nicht abgereist war, könnte glücklicher sein als sein Genosse und erobern, was der andere nicht zu erreichen verstanden habe.
Der eingesperrte Baron hatte den Tag vor seiner Einkerkerung nicht geschlafen und die Nacht über nicht geschlafen; als nun der Morgen anbrach, beschloß er, nachdem er seine Lage vielfältig überdacht und erkannt hatte, daß es kein anderes Mittel gebe, sich zu befreien, als wenn er der Frau gehorche, aus der Not eine Tugend zu machen. Er zog es also vor, um sein Leben zu fristen, die mit seinem Genossen, dem Ritter, getroffene Verabredung zu offenbaren und den Rocken vorzunehmen und zu spinnen. Zwar hatte er noch nie gesponnen; aber die Not ist ein guter Lehrmeister, und so fing er an; er ergriff besser, als er sich dachte, die Spindel, um zu spinnen, spann bald dick, bald zart, und auch von mittlerer Gattung, freilich ein so unförmliches Garn, daß jeder, der es sah, gewiß darüber lachen mußte. Er mühte sich nun mit dieser Beschäftigung den ganzen Morgen ab, und als es Mittag geworden war, siehe, da kam dieselbe Zofe wieder, öffnete das Fensterlein und fragte den Baron, ob er geneigt sei, den Grund anzugeben, der ihn nach Böhmen geführt, und wieviel Faden er gesponnen habe. Ganz beschämt erzählte er dem Mädchen alles, was er mit Herrn Ulrich ausgemacht hatte, und zeigte ihr dann eine Spindel voll Garn. Das Mädchen sagte lächelnd: »Das Geschäft geht ja trefflich vonstatten; der Hunger treibt den Wolf aus dem Wald; Ihr habt sehr wohl daran getan, mir die Wahrheit einzugestehen, und habt so gut gesponnen, daß ich hoffe, wir werden aus Eurem Gespinste unserer Gebieterin Hemden weben lassen, die sie als Bußgewand zur Kasteiung tragen kann, sooft ihr Fleisch sie ärgert.«
Nach diesen Worten reichte sie dem Baron gute Speisen zu und ließ ihn in Frieden. Dann kehrte sie zu ihrer Gebieterin zurück, zeigte ihr den Faden und teilte ihr die ganze Geschichte mit von dem Vertrage, den Herr Ulrich und die beiden ungarischen Barone miteinander abgeschlossen hatten. Obgleich entsetzt über die Schlingen, welche die Männer ihr gestellt hatten, war die Frau doch wieder sehr froh, daß die Sache so gegangen war und sie ihrem Manne von ihrer Treue und Ehrbarkeit einen solchen Beweis geben konnte. Sie nahm sich daher vor, diesen nicht eher von dem Geschehenen zu benachrichtigen, als bis auch Herr Wladislaw angekommen und von ihr nach Verdienst und Würden gezüchtigt sei für seinen leichtsinnigen und sittenlosen Dünkel, indem sie sich nicht genug verwundern konnte, wie die beiden Barone so tollkühn albern und anmaßend hätten sein können, ohne irgend sie zu kennen, ihr ganzes Vermögen auf ein so gewagtes Spiel zu setzen. Sie merkte wohl, daß es ihnen im Kopf fehlen müsse, und daß sie nicht recht bei Trost sein können.
Ich will nun aber nicht Schritt für Schritt alles einzelne erzählen, wie es jeden Tag sich begeben, denn das gäbe eine gar zu lange und vielleicht langweilige Geschichte; ich sage also nur, der Baron in seinem Käfig lernte in kurzer Zeit ganz artig spinnen und spinnend seines Unglücks uneingedenk werden. Die Zofe ließ ihm in reicher Fülle gute und leckere Speisen herbeibringen, wollte aber seinen öftern Versuchen, sich mit ihr in ein Gespräch einzulassen, niemals Genüge leisten.
Herr Ulrich betrachtete in jener Zeit immer und immer wieder sein schönes Bildnis, dessen Schönheit und Farbe nicht dem mindesten Wechsel unterlag. Es hatten schon mehrere Hofleute wiederholt wahrgenommen, wie der böhmische Ritter tausendmal des Tages seine Börse öffnete, ein kleines Büchschen herauszog und dessen Inneres aufmerksam betrachtete, bis er es wieder sorgfältig verschloß und in den Geldbeutel steckte. Er wurde auch von manchen befragt, was es damit für eine Bewandtnis habe; er wollte aber die Wahrheit keinem Menschen verraten, und es war natürlich, daß in seinen Vermutungen ebensowenig einer sie erriet. Wer in aller Welt hätte auch an eine solche Hexerei denken sollen? Doch hätten nicht allein die andern, sondern selbst der König und die Königin sich gern das Rätsel erklären lassen, was denn der böhmische Ritter so aufmerksam und so oft betrachte; indessen schien es ihnen nicht geeignet, von ihm darüber wirklich Aufschluß zu begehren.
Es waren bereits über sechs Wochen verflossen, seit Herr Albert vom Hofe abgereist war, um ein Burgbewohner und großer Spinner zu werden; und wie nun Herr Wladislaw sah, daß Herr Albert nicht, wie er es mit ihm verabredet hatte, ihn durch Gesandte und Botschaften von seinen Erfolgen benachrichtigte, so geriet er in Verlegenheit über das, was er tun sollte, und verfiel mit seinen Vermutungen auf das verschiedenste Zeug. Er meinte endlich, sein Genosse sei glücklich an das Ziel seines Unternehmens gelangt und habe bei der Frau den ersehnten Apfel gepflückt; dann sei er in das weite und tiefe Meer seiner Wonne versunken, habe die getroffene Abrede vergessen und denke nun nicht mehr daran, ihn hiervon zu benachrichtigen. Deshalb beschloß er, sich auf den Weg zu machen und gleichfalls sein Glück zu versuchen. Er zögerte nun nicht lange mit der Ausführung seines Gedankens, traf seine Vorbereitungen zu der Reise und machte sich mit zwei Dienern zu Pferde auf den Weg nach Böhmen; er reiste ununterbrochen jeden Tag weiter, bis er zu dem Schlosse kam, das die schöne und äußerst sittsame Frau bewohnte. Er stieg in dem Gasthause ab, in dem sich auch Herr Albert zuerst aufgehalten hatte, und indem er sich eifrig nach ihm erkundigte, erfuhr er, daß jener schon vorlängst wieder abgereist sei. Darob wunderte er sich gar sehr und wußte nicht, was er von der Sache halten solle. Er machte sich daher über den Verlauf der Angelegenheit manche, wenn auch nicht die rechten Gedanken und nahm sich endlich vor, das zu versuchen, weshalb er von Ungarn hergekommen war. Indem er nun der Aufführung der Frau nachforschte, vernahm er, was in der Gegend die allgemeine Sage und Annahme war, nämlich daß sie ohnegleichen anmutig, sittsam, liebenswürdig und durchaus keusch sei.
Die Frau wurde alsbald von der Ankunft des Barons in Kenntnis gesetzt, und da sie den Grund wußte, weshalb er kam, beschloß sie, auch ihm mit der Münze zu zahlen, die er suche. Der ungarische Baron kam also am folgenden Tage auf das Schloß und ließ sagen, er wolle die Burgherrin, da er vom Hofe des Königs Matthias komme, besuchen und ihr seine Aufwartung machen. Er wurde dann vor ihr zugelassen und mit heiterer und freundlicher Miene empfangen. Man führte nun verschiedene Gespräche, und die Frau zeigte sich sehr zuvorkommend und, wie man sagt, als heitere Gesellschafterin, so daß Herr Wladislaw sich mit der Hoffnung schmeichelte, mit seinem Unternehmen bald zustande zu kommen. Doch wollte er bei diesem ersten Besuche nur im allgemeinen seinen Plan vorbereiten; er sprach nur überhaupt davon, daß er von dem Rufe ihrer Schönheit, Anmut, Liebenswürdigkeit und bezaubernden Sitte gehört, so daß, als ihn seine Geschäfte nach Böhmen geführt, er nicht habe weggehen können, ohne sie gesehen zu haben, und daß er viel mehr an ihr gefunden habe, als der Ruf verkünde. Nachdem er mit diesem ersten Angriff fertig war, kehrte er in seine Herberge zurück.
Als sich der ungarische Baron vom Schlosse entfernt hatte, nahm sich die Frau vor, dem Herrn Wladislaw die Zeit nicht zu lange zu machen; denn sie war gegen die beiden Ungarn in ihrem Herzen heftig erbittert, da sie dachte, sie hätten sich doch gar zu anmaßend daherbegeben, um wie öffentliche Mörder ihr die Ehre zu rauben und zu beflecken und sie in beständige Ungnade zu setzen bei ihrem Gatten, ja in Lebensgefahr zu bringen. Sie ließ daher ein anderes Zimmer zurechtmachen, das an das seines Gefährten stieß, wo dieser spann; und als Herr Wladislaw wiederkam, fing sie an, ihm freundliche Blicke zuzuwerfen, so daß er auf den Gedanken kommen sollte, sie sei in ihn verliebt. Und so dauerte es nicht lange, bis auch er im Käfig saß und die bekannte Zofe ihm durch ein Loch in der Tür zu verstehen gab, wenn er leben wolle, so müsse er haspeln lernen; er solle in seinem Zimmer suchen, da werde er in einem Winkel eine Weise und mehrere Spulen Garn vorfinden: »Haltet Euch nur dran«, sagte sie, »und verliert ja keine Zeit!«
Wer dem Baron in diesem Augenblicke ins Gesicht geschaut hätte, würde es viel mehr für das eines Marmorbilds als eines Menschen gehalten haben; gleich darauf aber bemächtigte sich seiner eine solche Wut, daß er gänzlich von Sinnen gekommen zu sein schien. Als er sodann einsah, daß ihm nichts übrigblieb als zu gehorchen, fing er, nachdem der erste Tag vorüber war, an zu haspeln. Als sie es so weit gebracht hatte, gab die Burgfrau die Diener des Herrn Albert frei und ließ sie gleichwie die des Herrn Wladislaw vor die Kerker ihrer Gebieter führen und zuschauen, wie sie sich ihr tägliches Brot verdienten. Dann ließ sie ihnen die Pferde und alles Mitgebrachte der Barone geben und verabschiedete die Diener, daß sie heimgingen. Andererseits schickte sie einen ihrer Leute an ihren Gatten, um diesem Kunde von dem Vorgefallenen zu geben.
Nach dem Empfange so guter Zeitung machte der böhmische Ritter dem König und der Königin seine Aufwartung und erzählte in ihrer Gegenwart die ganze Geschichte der beiden ungarischen Barone, soweit er aus Briefen seiner Gattin davon gehört hatte. Der König und die Königin waren voll Verwunderung und priesen höchlich die kluge Vorsicht der Dame, die sie nicht nur für äußerst sittsam, sondern auch für weise und sehr listig erklärten. Herr Ulrich ermangelte nun aber nicht, auf Vollstreckung der feierlichen Übereinkunft anzutragen. Der König versammelte seinen geheimen Rat, in dem jeder seine Meinung abgeben mußte, und nach dessen einstimmigem Beschluß wurde der Großkanzler des Reichs mit zwei Räten nach dem Schlosse des böhmischen Ritters abgeordnet, um den Verlauf der Sache zu untersuchen und den beiden Baronen den Prozeß zu machen. Die Richter gingen hin und entledigten sich dieses Auftrags mit Eifer und Genauigkeit, verhörten die Burgfrau und die Zofe sowie einige andere Leute des Hauses und nach ihnen auch die Barone, die die Frau einige Tage zuvor hatte zusammenbringen lassen, damit sie durch Spinnen und Haspeln sich ihren Lebensunterhalt verdienten.
Nachdem der Großkanzler den Prozeß eingeleitet hatte, kehrte er an den Hof zurück, wo der König Matthias nebst der Königin und den vornehmsten Baronen des Reichs, auch allen Räten, nach reiflicher Erwägung der Angelegenheit der ungarischen Barone und des böhmischen Ritters und nach vielem Streiten, wobei die Königin die Partei der Frau und den Böhmen in ihren Schutz nahm, – wo der König also sein Urteil dahin abgab, Herr Ulrich solle die sämtliche Habe und beweglichen Güter und Lehen der beiden Barone für sich und seine Erben beständig bekommen, jene Barone aber sollen aus den beiden Reichen Ungarn und Böhmen verbannt werden, bei Strafe, sooft sie zurückkehren, öffentlich von dem Henker durchgepeitscht zu werden.
Der Urteilsspruch wurde vollzogen; der böhmische Ritter erhielt alles, und die zwei unglücklichen Ungarn wurden aus dem Reiche geführt und ihnen der gegen sie gefallene Urteilsspruch eröffnet, den freilich viele für allzuhart und streng hielten, namentlich die Freunde und Verwandten der beiden Barone. Da es jedoch den Bedingungen des Vertrags klärlich entsprach, wurde es von allen für gerecht angenommen, damit es für die Zukunft ein warnendes Beispiel sei für solche, die leichtsinnig und ohne Grund alle Frauen über einen Kamm scheren wollen, während doch die alltägliche Erfahrung das Gegenteil zeigt: denn es gibt unter den Weibern wie unter den Männern Geschöpfe von verschiedener Beschaffenheit. Der König und die Königin wünschten nun, daß die entschlossene Burgfrau an den Hof komme, wo sie von ihnen gütig aufgenommen und von allen mit unendlicher Verwunderung betrachtet wurde. Die Königin nahm sie zu ihrer Ehrendame an, warf ihr ein ansehnliches Gehalt aus und hielt sie jederzeit wert. Der Ritter aber gelangte zu immer größerem Reichtum und Ehren und lebte in der Gunst des Königs lange Zeit friedlich und ruhig mit seiner schönen Gemahlin, vergaß auch dabei nicht des Polen, der ihm das wunderbare Bildnis gefertigt hatte, und schickte ihm ein reiches Geschenk an Geld und andern Dingen.
Im Jahre unseres Heils 1283 geschah es, daß die Sizilianer, welche die Herrschaft der Franzosen nicht länger dulden zu können glaubten, sie eines Tages in der Vesperzeit mit unerhörter Grausamkeit alle ermordeten, so viel ihrer auf der Insel waren; denn dazu hatten sie sich vorher auf der ganzen Insel verschworen. Und nicht bloß Männer und Weiber französischer Nation töteten sie, sondern auch alle sizilianischen Frauen, die man von einem Franzosen schwanger meinte, wurden an jenem Tage ermordet, und wenn es sich späterhin noch ergab, daß ein Weib von einem Franzosen geschwängert sei, war sie ohne Erbarmen des Todes. Daher entstand der klägliche Name der »sizilianischen Vesper«. Als König Peter von Aragon diese Nachricht vernahm, segelte er sogleich mit der Flotte aus und besetzte die Insel; denn der Papst Nikolaus III. hatte ihn dazu durch die Behauptung ermutigt, ihm als dem Gemahl Konstanzens, der Tochter König Manfreds, gebühre das Eigentum der Insel. König Peter hielt viele Tage mit königlicher Pracht in Palermo Hof und feierte den Erwerb der Insel durch die glänzendsten Feste. Als er hierauf Kunde erhielt, daß König Karl II., Sohn König Karls I., der das Königreich Neapel besaß, mit einer gewaltigen Flotte dahersegle, um ihn aus Sizilien zu verjagen, segelte er ihm mit seiner aus Kriegsschiffen und Galeeren bestehenden Flotte entgegen; und als sie zusammenstießen, gab es ein großes blutiges Gefecht, das viele Menschen mit dem Leben entgalten. Doch zuletzt schlug König Peter die Flotte König Karls und machte ihn selbst zum Gefangenen. Um aber künftig dem Kriegsgeschäft besser obliegen zu können, verlegte er den Aufenthalt der Königin und des Hofs nach Messina, weil diese Stadt Italien gegenüber liegt und von dort aus die Überfahrt nach Kalabrien weniger Zeit erfordert. Hier hielt er alsdann ein königliches Hofgelag, wobei um des erfochtenen Sieges willen alles voller Freude war und der ganze Tag mit Ritterspielen und Tänzen hingebracht wurde.
Ein sehr angesehener Ritter und Edelmann, dem König Peter seiner persönlichen Verdienste wegen und weil er sich in den letzten Kriegen immer mannhaft gehalten hatte, in höchstem Grade geneigt war, verliebte sich bei dieser Gelegenheit auf das heftigste in ein Fräulein, die Tochter des Lionato de Lionati, eines Edelmanns aus Messina, die vor allen andern im Lande gebildet, anmutig und schön heißen mochte; und seine Leidenschaft wuchs bald zu solcher Stärke, daß er ohne ihren süßen Anblick weder leben konnte noch wollte. Der Name des Freiherrn war Herr Timbreo von Cardona, und das Mädchen hieß Fenicia. Er hatte von Kindheit auf dem König Peter immer zu Wasser und zu Lande gedient und war von ihm so reich belohnt worden, daß er außer bedeutenden Geschenken von dem König erst in den letzten Tagen die Grafschaft Collisano und andere Güter erhalten hatte, so daß sein Einkommen, das Gehalt, das er vom König bezog, ungerechnet, auf mehr als zwölftausend Dukaten angewachsen war. Herr Timbreo fing nun an, tagtäglich vor dem Hause des Mädchens vorüberzugehen, und schätzte sich an jedem Tage für selig, da er sie erblickt hatte. Fenicia, die, ihres zarten Alters ungeachtet, klug und verständig war, merkte ohne Schwierigkeit die Ursache des häufigen Vorübergehens des Ritters. Er stand in dem Rufe, ein Günstling des Königs zu sein und so viel wie wenige außer ihm am Hofe zu gelten, weshalb er denn von allen Seiten geehrt wurde. Fenicia hatte nicht allein dies gehört, sondern sah auch selbst, daß er immer so vornehm gekleidet war, eine stattliche Dienerschaft im Gefolge hatte, und außerdem, daß er ein sehr schöner und, wie es schien, wohlgesitteter junger Mann war, so daß auch sie ihrerseits begann, ihn freundlich anzusehen und ihm seine Ehrerbietung anständig zu erwidern.
Die Leidenschaft des Ritters wuchs von Tag zu Tag; je öfter er sie sah, desto mächtiger fühlte er die Flamme um sich greifen; und als diese nie gekannte Glut in seinem Herzen zu solcher Stärke gediehen war, daß er vor Liebe zu dem schönen Kinde zu vergehen glaubte, beschloß er, jedes Mittel zu ergreifen, das ihn zu ihrem Besitze führen könne. Aber alles war vergebens; denn soviel Briefe, Boten und Gesandtschaften er ihr auch schickte, so erhielt er doch nie eine andere Antwort, als daß sie entschlossen sei, ihr Magdtum ihrem künftigen Gatten unverletzt zu überliefern. Dies verursachte dem armen Liebhaber großen Kummer, um so mehr, als sie sich niemals hatte bewegen lassen, Briefe oder Geschenke von ihm anzunehmen. Da er aber ihren Besitz um jeden Preis erkaufen wollte und wohl sah, daß bei ihrer Standhaftigkeit kein anderes Mittel sei, um sie zu bekommen, als sie zum Weibe zu nehmen, so entschloß er sich nach vielen innern Kämpfen doch zuletzt, bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten zu lassen. Zwar glaubte er sich durch diesen Schritt sehr zu erniedrigen; doch da er wußte, daß sie von altem, gutadeligem Blute war, beschloß er, nicht zu zögern: so groß war die Liebe, die er zu dem Mädchen hegte.
Als dieser Vorsatz zur Reife gediehen war, begab er sich zu einem messinischen Edelmann, mit dem er sehr vertraut war, erzählte ihm, was er im Sinne hatte, und trug ihm auf, was er bei Messer Lionato tun solle. Der Messiner ging hin und vollbrachte den Auftrag des Ritters, Herr Lionato kannte den Wert und das Ansehen des Herrn Timbreo zur Genüge und beriet sich daher über eine so gute Zeitung nicht erst lange mit Verwandten oder Freunden, sondern erteilte freudig die Antwort, es sei ihm sehr angenehm, daß der Ritter nicht verschmähe, seine Verwandtschaft zu suchen. Er eilte sofort nach Hause, wo er seiner Gattin und Fenicia mitteilte, welche Zusage er Herrn Timbreo gegeben hatte. Fenicia gefiel die Sache ungemein; sie dankte Gott demütig, daß er ihrer keuschen Liebe einen so rühmlichen Ausgang verleihe, und äußerte ihre Freude auch in ihrem Angesicht.
Aber das Schicksal, das nie müde wird, fremdes Glück zu stören, erfand eine neue Art, die von beiden Seiten so sehr gewünschte Hochzeit zu verschieben. Hört nur, wie! Es hieß bald durch ganz Messina, Herr Timbreo Cardona werde in wenigen Tagen Fenicia, die Tochter des Herrn Lionato, heiraten, und alle Messiner waren über diese Nachricht erfreut, weil Herr Lionato ein allgemein beliebter Edelmann war, der niemand Schaden zufügte, sondern allen, so viel er konnte, gefällig war. Daher kam es, daß jedermann über diese Verbindung herzliches Vergnügen äußerte. Es lebte aber in Messina noch ein anderer junger Ritter von vornehmer Abkunft, namens Herr Girondo Olerio Valenziano, der sich auch in den letzten Feldzügen durch seine Tapferkeit sehr hervorgetan hatte, und der sodann einer der glänzendsten und freigebigsten Herren des Hofes geworden war. Diesen ergriff bei dieser Nachricht ein endloser Schmerz; denn erst kurz zuvor hatte er sich in Fenicias Schönheiten verliebt, und die Liebesflammen hatten seine Brust so gewaltig in Besitz genommen, daß er fest überzeugt war, sterben zu müssen, wenn er Fenicia nicht zum Weibe erhalte. Schon war er entschlossen, bei ihrem Vater um sie zu werben, als er vernahm, daß sie dem Timbreo zugesagt sei, worüber er vor Schmerz in Krämpfe zu fallen meinte; und da er kein Mittel fand, seinen Schmerz zu beschwichtigen, geriet er in solche Wut, daß er, von Liebe und Leidenschaft besiegt, die Stimme der Vernunft überhörte und sich zu einem Schritt hinreißen ließ, der nicht bloß einem Ritter und Edelmann, wie er war, sondern einem jeden zur Unehre gereicht hätte. Er war fast bei allen seinen Kriegsunternehmungen der Begleiter des Herrn Timbreo gewesen, und es bestand zwischen beiden eine brüderliche Freundschaft; diese Liebe aber hatten sie einander, was nun auch der Grund davon sein mochte, immer verborgen. Herr Girondo gedachte nun zwischen Herrn Timbreo und seiner Geliebten solche Zwietracht zu säen, daß darum die Vermählung rückgängig gemacht würde, in welchem Falle dann er die Braut vom Vater zu erbitten beabsichtigte und zu erhalten hoffte. Er zögerte nicht, diesen törichten Gedanken zur Ausführung zu bringen; und da er ein für seine zügellosen und verblendeten Gelüste passendes Werkzeug fand, so weihte er dasselbe eifrig in seine Anschläge ein.
Der Mann, den Herr Girondo zu seinem Vertrauten und zum Diener seiner Bosheit auserkoren hatte, war ein junger Höfling von geringem Stande, der, nachdem er von allem gehörig unterrichtet worden war, am folgenden Morgen Herrn Timbreo besuchte, der noch nicht ausgegangen war und eben ganz allein in einem Garten seiner Wohnung lustwandelte. Der Jüngling trat in den Garten und ward von Herrn Timbreo, der ihn auf sich zukommen sah, höflich empfangen. Nach den herkömmlichen Begrüßungen sprach der junge Mann also zu Herrn Timbreo: »Mein Herr, ich komme so früh, um dir Dinge von größter Wichtigkeit mitzuteilen, die deine Ehre und deinen Vorteil berühren. Weil ich aber vielleicht etwas sagen könnte, was dich beleidigte, so bitte ich dich, mir zu verzeihen und mich wegen meiner Dienstfertigkeit zu entschuldigen und zu denken, daß ich in guter Absicht mich aufgemacht habe. Wenigstens weiß ich, wenn du noch der ehrliebende Ritter bist, der du vormals warst, daß meine Entdeckung dir nicht unnützlich sein wird. Zur Sache zu kommen, so hörte ich gestern, du seist mit Herrn Lionato de Lionati dahin einig geworden, daß du seine Tochter Fenicia zur Frau nehmest. Hab acht, mein Herr, was du tust, und bedenke deine Ehre! Ich kann dir sagen, daß ein mir befreundeter Edelmann zwei- bis dreimal wöchentlich zu ihr geht, um bei ihr zu schlafen, und sich ihrer Liebe erfreut. Heute abend wird er gleichfalls hingehen, und ich werde ihn auch wieder wie sonst dahin begleiten. Willst du mir nun dein Ehrenwort geben, weder mir noch meinem Freunde ein Leid zuzufügen, so werde ich es einleiten, daß du den Ort und alles sehen kannst. Noch muß ich hinzufügen, daß schon viele Monate mein Freund die Gunst dieser Schönen genießt. Die Verbindlichkeiten, die ich gegen dich habe, und die vielen Gefallen, die du mir schon zu erweisen die Güte gehabt hast, bestimmten mich, dir dies zu offenbaren. Du kannst nun tun, was dir am meisten rätlich dünkt. Mir genügt es, in dieser Angelegenheit dir einen Dienst geleistet zu haben, wie es meine Pflicht gegen dich erheischte.«
Herr Timbreo war über diese Worte dermaßen bestürzt und außer sich, daß er nahe daran war, von Sinnen zu kommen. Er stand eine gute Weile, tausend Dinge bei sich erwägend, sprachlos da, und da der bittere und, wie er meinte, gerechte Groll in seinem Herzen mehr über ihn vermochte als seine treue, inbrünstige Liebe zu der schönen Fenicia, antwortete er dem Jüngling unter Seufzen: »Mein Freund, ich muß und kann nicht anders, als dir zu ewigem Danke verpflichtet sein, indem ich sehe, wie du für mich und meine Ehre so liebreich Sorge trägst, und gedenke dir eines Tags zu betätigen, wie sehr ich dir verbunden bin. Für jetzt sei dir nur mündlich der beste, innigste Dank gesagt, den ich aussprechen kann. Da du dich freiwillig erbietest, mich mit Augen sehen zu lassen, was ich mir nie hätte einbilden können, so ersuche ich dich bei der Menschenliebe, die dich bewogen hat, mich von dieser Sache in Kenntnis zu setzen, deinen Freund unbefangen zu begleiten, und ich verpfände dir mein Wort als königlicher Ritter, daß ich weder dir noch deinem Freund Schaden zufügen und deine Mitteilung überhaupt geheimhalten werde, damit dein Freund die Früchte dieser seiner Liebe ungestört genieße. Ich hätte von Anfang an mehr auf meiner Hut sein und die Augen recht auftun sollen, um die ganze Sache gründlich zu durchschauen.«
Zuletzt sprach der Jüngling zu Timbreo: »Begebt Euch also, mein Herr, heute nacht um drei Uhr an das Haus des Herrn Lionato und stellt Euch in den verfallenen Gebäuden, die dem Garten des Herrn Lionato gegenüber liegen, auf die Lauer!«
Nach diesen Ruinen sah die eine Fassade von Messer Lionatos Palast, worin sich ein alter Saal befand, an dessen bei Tag und bei Nacht offenstehenden Fenstern sich Fenicia zuweilen zeigte, weil sie von hier aus den schönen Garten besser überschauen konnte. Aber Messer Lionato wohnte auf der andern Seite; denn der Palast war alt und sehr groß, so daß er für den Hof eines Fürsten Raum gehabt hätte, wie viel mehr denn für das Gesinde eines Edelmanns. Nach getroffener Abrede beurlaubte sich der tückische junge Mann, begab sich wieder zu dem treulosen Girondo und erzählte ihm alles, was er mit Herrn Timbreo Cardona verabredet hatte. Hierüber freute sich Herr Girondo unmäßig, denn er sah seinen Anschlag aufs schönste gelingen.
Zur verabredeten Stunde kleidete der Verräter Girondo einen seiner Diener, den er schon von seiner Rolle unterrichtet hatte, in vornehme Gewänder und durchbalsamte ihn mit den lieblichsten Wohlgerüchen. Der durchduftete Diener schloß sich nun an den Jüngling an, der mit Herrn Timbreo gesprochen hatte, und ein anderer folgte ihnen mit einer Leiter auf der Schulter.
Wer vermöchte nun wohl den Seelenzustand des Herrn Timbreo treu zu schildern und die vielen und mannigfaltigen Gedanken, die ihm den ganzen Tag durch den Kopf gingen! Ich meinesteils bin überzeugt, daß ich mich vergeblich damit abmühen würde. Von dem Schleier der Eifersucht umnebelt, enthielt sich der leichtgläubige arme Ritter den Tag über aller oder doch fast aller Speise; und wer ihm ins Angesicht geschaut hätte, würde ihn eher für tot als für lebendig gehalten haben. Schon eine halbe Stunde vor der festgesetzten Zeit verbarg er sich in dem alten Gemäuer dergestalt, daß er alles ganz gut sehen konnte, was in dessen Nähe vorging, obgleich es ihm unmöglich schien, daß sich Fenicia einem andern preisgegeben haben könne. Er sagte sich freilich, die Mädchen seien veränderlich, leichtfertig, unbeständig, empfindlich und lüstern nach allem Neuen; und indem er sie so bald verdammte, bald entschuldigte, hatte er auf jede Bewegung acht.
Die Nacht war nicht sehr finster, aber äußerst still. Siehe, da vernahm er allmählich das Geräusch der Füße der Kommenden, er vernahm auch hin und wieder ein halbes Wörtchen. Gleich darauf sah er auch die drei Männer vorübergehen und unterschied darunter ganz deutlich den Jüngling, der ihn am Morgen gewarnt hatte; die zwei andern aber vermochte er nicht zu erkennen. Als die drei an ihm vorbeigingen, hörte er den Duftenden, der sich als den Liebhaber gekleidet hatte, zu dem Leiterträger sagen: »Stelle die Leiter nur behutsam ans Fenster, daß du keinen Lärm machst! Als wir das letztemal hier waren, sagte mir mein Fräulein Fenicia, du habest sie zu laut angerückt. Mache alles geschickt und ruhig!«
Diese Worte, die Timbreo deutlich vernahm, gingen ihm wie ebensoviel scharfe Speerstiche ins Herz. Obgleich er allein war und keine andern Waffen trug als seinen Degen, während die Vorübergehenden außer den Degen zwei Lanzen bei sich trugen und vielleicht auch gewaffnet waren, so war doch die Eifersucht, die sein Herz verzehrte, so gewaltig, und der Unwille, der ihn ergriffen hatte, so groß, daß er nahe daran war, sein Versteck zu verlassen und in einem leidenschaftlichen Angriff auf die Vorübergehenden den vermeinten Buhlen Fenicias zu ermorden oder selbst den Tod davonzutragen, um auf einmal alle die Leiden zu beenden, die er zur überschwenglichen Qual elendiglich duldete. Weil er sich aber des gegebenen Versprechens entsann, schien es ihm der schändlichste Verrat, die anzugreifen, die sich auf sein Ehrenwort verließen. Voll Zorn, Groll, Wut und Grimm, die ihm das Herz verzehrten, beschloß er also, den Ausgang der Sache abzuwarten.
Sobald die drei unter den Fenstern des Palastes des Herrn Lionato angekommen waren, setzten sie an dem beschriebenen Flügel die Leiter ganz leise an dem Balkon an, und der eine, der den Liebhaber vorstellte, stieg hinauf und sprang hinein, als wäre er gutes Empfanges gewiß. Als der trostlose Herr Timbreo das sah, hielt er es für ausgemacht, daß jener, der die Leiter erstiegen hatte, hingehe, um bei Fenicia zu schlafen, und von dem heftigsten Schmerz ergriffen, fühlte er sich einer Ohnmacht nahe. Aber sein, wie er glauben mußte, gerechter Unwille vermochte ihn, alle Eifersucht zu verbannen und die glühende reine Liebe, die er zu Fenicia trug, nicht allein in Kälte, sondern in grausamen Haß zu verwandeln. Er wollte nun die Rückkehr seines Nebenbuhlers aus seinem Versteck nicht mehr abwarten, sondern begab sich nach seiner Wohnung zurück.
Der junge Mann, der ihn weggehen gesehen und genau erkannt hatte, dachte sich das von ihm, was in der Tat auch der Fall war. Er gab daher bald darauf ein gewisses verabredetes Zeichen, worauf der Diener die Leiter wieder herabstieg und alle drei nach der Wohnung des Herrn Girondo zurückgingen. Diesem gewährte die Erzählung von diesem Vorgange die äußerste Freude, denn schon träumte er sich im Besitz der schönen Fenicia.
Herr Timbreo, der die übrige Nacht gar wenig geschlafen hatte, stand zu früher Stunde auf, ließ unverzüglich den Messiner Bürger zu sich kommen, durch dessen Vermittelung er um Fenicias Hand bei ihrem Vater angehalten hatte, und trug ihm sein gegenwärtiges Verlangen an ihn vor. Dieser, von dem Willen und der Gesinnung des Herrn Timbreo vollkommen unterrichtet, ging, wiewohl ungern, um die Zeit des Frühmahls zu Herrn Lionato, der in dem Saale auf und ab ging, bis das Frühstück vollends bereit wäre, und wo sich auch die unschuldige Fenicia befand, die in Gesellschaft ihrer beiden jüngern Schwestern und ihrer Mutter mit einer Seidenstickerei beschäftigt war. Als der Bürger zu ihnen kam, ward er von Lionato sehr artig empfangen und sprach: »Herr Lionato, ich habe einen Auftrag an Euch, an Eure Frau und an Fenicia vom Herrn Timbreo.«
»Seid mir willkommen«, antwortete er; »und was ist es? Frau und du, Fenicia, kommt und vernehmt mit mir, was uns Herr Timbreo sagen läßt!«
Hierauf fuhr der Bote folgendermaßen zu reden fort: »Man pflegt gemeinhin zu sagen, daß ein Botschafter für die Erfüllung seines Auftrags nicht leiden soll. Ich komme zu Euch im Auftrage eines andern, und es schmerzt mich unendlich, daß ich Euch etwas Unangenehmes zu hinterbringen habe. Herr Timbreo von Cardona läßt Euch, Herr Lionato, und Eurer Gattin sagen, daß Ihr Euch einen andern Eidam suchen möchtet, dieweil er nicht gedenkt, Euch zu Schwiegereltern zu nehmen, nicht etwa, weil er etwas gegen Euch habe, die er für treu und redlich halte und ansehe, sondern vielmehr, weil er mit seinen eigenen Augen von Fenicia gesehen, was er ihr nimmermehr zugetraut hätte. Darum läßt er Euch freie Wahl, Eure Angelegenheiten zu bedenken. Dir, Fenicia, läßt er sagen, daß die Liebe, die er zu dir getragen, den Dank nicht verdient habe, der ihm von dir geworden sei; du mögest dir einen andern Mann suchen, wie du dir einen andern Liebhaber erwählt hast, oder den nehmen, dem du dein Magdtum gegönnt; denn er verzichtet auf alle Gemeinschaft mit dir, nachdem du ihn eher zum Hahnrei als zum Gemahl gemacht hast.«
Fenicia war halbtot vor Schrecken über diese bittere und schmähliche Botschaft; desgleichen Herr Lionato und seine Gattin. Bald aber kam dieser wieder zu Mut und Atem, der ihm vor Schreck fast ausgegangen war, und Herr Lionato sprach zu dem Boten: »Bruder, ich zweifelte immer gleich von Anfang, als Ihr mir von dieser Heirat spracht, daß es dem Herrn Timbreo rechter Ernst mit seinem Antrage sei; denn ich wußte und weiß wohl, daß ich ein armer Edelmann und nicht seinesgleichen bin. Nichtsdestoweniger denke ich, wenn es ihn reute, meine Tochter zur Frau zu nehmen, hätte es ihm genügen sollen, einfach frei heraus zu sagen, er wolle sie nicht, anstatt ihr, wie er gegenwärtig tut, den Schandfleck der Hurerei anzuhängen. Es ist allerdings wahr, daß in der Welt kein Ding unmöglich ist; aber ich weiß, wie ich meine Tochter erzogen habe, und welche Sitten ihr eigen sind. Gott der gerechte Richter wird, hoffe ich, eines Tages die Wahrheit an den Tag bringen.«
Mit dieser Antwort entfernte sich der Bürger, und Herr Lionato blieb bei der Meinung, Herr Timbreo bereue es, diese Verbindung einzugehen, und halte jetzt dafür, er würde sich vielleicht allzusehr erniedrigen und gegen seine Vorfahren aus der Art schlagen. Herrn Lionatos Geschlecht war zwar vom ältesten und besten Adel in Messina und wurde hoch geehrt; aber sein Vermögen war nur das eines gewöhnlichen Edelmanns, obwohl die alte Erinnerung da war, daß seine Vorfahren viele Güter und Schlösser mit der ausgedehntesten Gerichtsbarkeit besaßen. Da nun der gute Vater von seiner Tochter nie das mindeste Unehrbare gesehen hatte, konnte er nicht anders glauben, als daß der Ritter angefangen habe, sich ihrer derzeitigen Armut und Einschränkung zu schämen. Fenicia auf der andern Seite, der aus übermäßigem Leid und aus Herzensangst unwohl geworden war, da sie sich so höchst ungerecht beschuldigen hörte, kam als ein zartes und weichliches Kind, das nicht an die Schläge des Unglücks gewöhnt war, ganz außer sich und würde sich lieber tot als lebendig gesehen haben. Von heftigem und durchdringendem Schmerz erfaßt, sank sie ohnmächtig zu Boden, verlor plötzlich ihre natürliche Farbe und glich viel mehr einem Marmorstandbild als einem lebenden Wesen; daher wurde sie mühsam auf ein Bett getragen, und daselbst wurden mit warmen Tüchern und andern Heilmitteln nach kurzem ihre erschöpften Lebensgeister wieder zurückgerufen.
Da man nach den Ärzten geschickt hatte, verbreitete sich das Gerücht durch Messina, wie Fenicia, die Tochter des Herrn Lionato, so schwer erkrankt sei, daß man für ihr Leben fürchte. Auf diese Nachricht kamen viele verwandte und befreundete Edelfrauen, die jammernde Fenicia zu besuchen, welche sich, da sie den Grund ihres Übels erfuhren, alle Mühe gaben, sie, so gut sie konnten, zu trösten. Und wie es unter so vielen Frauen zu geschehen pflegt, besprachen sie den beklagenswerten Vorfall nach allen Seiten hin ausführlich; aber alle stimmten darin überein, den Herrn Timbreo mit dem bittersten Tadel zu belegen. Die meisten saßen im Kreise um das Bett des kranken Fräuleins, als Fenicia, die alles, was gesagt worden war, wohl verstanden hatte, wieder ein wenig Atem schöpfte, und da sie sah, daß fast alle aus Mitleid mit ihr weinten, sie mit schwacher Stimme bat, sämtlich zu schweigen. Darauf sprach sie wie verschmachtend also: »Verehrte Mütter und Schwestern, trocknet nunmehr die Tränen, dieweil sie euch nichts frommen und mir nur meinen Schmerz erneuern, ohne in der Sache etwas zu bessern. So ist es nun der Wille unseres Herrgotts, und ich muß mich in Geduld darein fügen. Das herbe Leid, das ich fühle, und das mir allmählich den Faden meines Lebens zernagt, rührt nicht daher, daß ich verschmäht wurde, wie unendlich schmerzlich mir dies auch ist; sondern die Art und Weise, wie dies geschehen, ist es, was mich in tiefster Seele krankt und mich hilflos darniederwirft. Herr Timbreo konnte frei heraus sagen, er wolle mich nicht zur Gattin, und alles war gut; bei der Art aber, mit der er mich verstieß, weiß ich, daß ich bei allen Messinern ewige Schmach auf mich geladen habe wegen einer Sünde, die ich niemals, geschweige beging, nein, an deren Begehen ich nicht einmal je dachte; dessenungeachtet wird man immer auf mich als eine Metze mit Fingern weisen. Ich habe immer eingestanden und gestehe von neuem, daß mein Rang dem eines solchen Ritters und Freiherrn, wie Herr Timbreo, nicht gleichkommt, und daß auf eine so hohe Heirat Anspruch zu machen das geringe Vermögen der Meinigen mich nicht berechtigt. Was aber den Adel und das Alter des Geblüts betrifft, so kennt man die Lionati als eines der ältesten und edelsten Geschlechter dieser Insel, indem wir von einer sehr edeln römischen Familie abstammen, die schon vor der Menschwerdung unseres Herrn Jesu Christi bestand, wie man durch sehr alte Urkunden beweisen kann. Ich sage nun zwar, daß ich um meiner Armut willen eines solchen Ritters unwürdig bin; aber ich sage auch, daß er mich auf die unwürdigste Weise verschmäht hat: denn es ist höchst klar, daß ich nie daran gedacht habe, einem andern das zu geben, was dem Gatten aufbewahrt werden soll. Gott weiß, daß ich die Wahrheit sage, und sein heiliger Name sei gepriesen und gefeiert! Wer weiß, ob nicht der Allerhöchste durch dieses Mittel mich zu erlösen gedenkt? Denn vielleicht hätte ich durch eine so vornehme Vermählung mich in Stolz erhoben, wäre hochmütig geworden, hätte diesen und jenen verachtet und vielleicht Gottes Güte gegen mich weniger erkannt. Möge darum Gott mit mir tun, was ihm gefällt, und mir verleihen, daß diese meine Trübsal zu meinem Seelenheil gereiche! Ich bete zu ihm inbrünstig, daß er dem Herrn Timbreo die Augen öffne, nicht damit er mich wieder als seine Braut annehme, – denn ich fühle mehr und mehr mich dem Tode nahe –, sondern damit er, der auf meine Treue wenig gibt, mit aller Welt erkenne, daß ich niemals die Torheit und den schmählichen Fehltritt begangen habe, dessen man mich ohne allen Grund zeiht, damit, wenn ich auch mit diesem Schandfleck sterbe, ich doch in einiger Zeit gerechtfertigt erscheine. Möge er sich einer andern Frau erfreuen, der Gott ihn bestimmt hat, und lange in Frieden mit ihr leben! Mir werden in wenigen Stunden ein paar Fuß Erde genügen. Mein Vater und meine Mutter und alle unsere Verwandte und Freunde mögen in diesem Unglück sich wenigstens dies zu einigem Trost gereichen lassen, daß ich der Schande völlig unschuldig bin, die man mir aufgebürdet, und mein Wort zum Pfande nehmen, das ich ihnen gebe, wie es einer gehorsamen Tochter Pflicht ist; denn ein besseres Zeugnis oder Pfand kann ich für jetzt in aller Welt nicht bieten. Mein Trost ist, daß ich vor dem gerechten Richterstuhl Christi dereinst von dieser Schande werde freigesprochen werden. Und somit befehle ich dem, der sie mir gab, meine Seele, die, diesen irdischen Kerker zu verlassen begierig, den Weg zu ihm antritt.«
Bei diesen Worten nahm die Gewalt des Schmerzes, der ihr Herz beklemmte, überhand und drängte sie so sehr, daß sie bei dem Versuche, ich weiß nicht was noch hinzuzufügen, anfing die Sprache zu verlieren und nur halbe Worte stammelte, die niemand verstand. Zugleich übergoß ein kalter Schweiß alle ihre Glieder, so daß sie mit gefalteten Händen wie tot zurücksank. Die noch anwesenden Ärzte vermochten wider diesen heftigen Anfall durchaus keine Hilfe zu leihen, verließen sie endlich für tot und entfernten sich mit der Erklärung, die Heftigkeit ihres Schmerzes sei so groß gewesen, daß er ihr das Herz abgedrückt habe. Bald darauf war Fenicia in den Armen ihrer Freundinnen und Eltern kalt geworden, ihr Puls stand still, und alle hielten sie für tot. Man ließ einen der Ärzte zurückkommen, und er erklärte, als er keinen Puls mehr verspürte, sie sei tot. Wie viele herzbrechende Klagen, wie viele Tränen, wie viele jammervolle Seufzer nun um sie ausgestoßen wurden, das lasse ich euch bedenken, mitleidige Frauen! Der arme weinende Vater, die trostlose sich das Haar zerraufende Mutter hätten Steinen Tränen entlocken können. Alle anderen Frauen sowie alle Anwesenden überhaupt erhoben ein erbärmliches Geschrei.
Schon waren fünf bis sechs Stunden seit dem Tode verflossen, und nun ordnete man das Begräbnis auf den folgenden Tag an. Die Menge der Frauen hatte sich verlaufen, und die Mutter, mehr tot als lebendig, behielt nur eine Schwägerin, die Frau eines Bruders des Herrn Lionato, bei sich. Sie waren nun beide allein und wollten sonst niemand bei sich, ließen Wasser ans Feuer stellen, schlossen sich in dem Zimmer ein, entkleideten Fenicia und fingen an, sie mit warmem Wasser zu waschen. Schon seit etwa sieben Stunden hatten die erschöpften Lebensgeister Fenicias gestockt, als die erkalteten Glieder bei dem Waschen mit warmem Wasser zu ihren Verrichtungen zurückkehrten und das Mädchen deutliche Lebenszeichen von sich zu geben und selbst die Augen ein wenig zu öffnen begann. Die Mutter und die Schwägerin waren nahe daran, laut aufzuschreien; aber doch ermutigten sie sich, legten ihr die Hand an ihr Herz und spürten darin einige Bewegung. Darum zweifelten sie nicht länger, daß das Kind lebe. Mit warmen Gewändern und andern Reizmitteln, die sie ohne Geräusch beibrachten, bewirkten sie es endlich, daß Fenicia fast ganz zum Bewußtsein zurückkehrte, die Augen völlig aufschlug und nach einem schweren Seufzer begann: »Weh mir, wo bin ich?«
»Siehst du nicht«, sagte die Mutter, »daß du bei mir bist und bei deiner Muhme? Du hattest eine so heftige Ohnmacht, daß wir dich für tot hielten; aber Gott sei gelobt, daß du am Leben bist!«
»Ach, wie viel besser«, antwortete Fenicia, »wäre es, wenn ich wirklich gestorben und so vielem Jammer entgangen wäre!«
»Mein liebes Kind«, sagte die Mutter und die Muhme, »schicke dich ins Leben, da es Gottes Wille ist! Es wird noch alles gut werden.« Die Mutter suchte die Freude, die sie empfand, zu verbergen, öffnete ein wenig die Tür des Gemachs und ließ Herrn Lionato rufen, der sogleich herbeikam. Ob er sich freute, die Tochter ins Leben zurückgekehrt zu sehen, ist keine Frage. Sie trafen nun mancherlei Verabredungen, und Messer Lionato bestimmte zuerst, daß niemand von diesem Ereignisse etwas erfahren dürfe, da er beschlossen hatte, die Tochter aus Messina weg auf das Landgut seines Bruders zu schicken, dessen Gattin hier anwesend war. Hierauf suchte er das Kind durch kräftige Speisen und köstliche Weine zu erquicken, durch deren Genuß sie ihre frühere Stärke und Schönheit wieder erlangte; dann ließ er seinen Bruder rufen und unterrichtete ihn ausführlich von seinem Vorhaben. Die Verabredung, die sie trafen, war folgende: Messer Girolamo (so hieß der Bruder des Messer Lionato) führte in der folgenden Nacht Fenicia in sein Haus und hielt sie hier in Gesellschaft seiner Gattin auf das strengste verborgen. Auf dem Landgute wurde sodann alles bereitet, was zu ihrem Empfange nötig war, und eines Morgens in der Frühe schickte er seine Frau mit Fenicia und einer seiner Töchter und einer Schwester Fenicias, die dreizehn bis vierzehn Jahre alt war, voraus. Fenicia war sechzehnjährig. Dies geschah, damit Fenicia, wenn sie größer würde und, wie es mit der Zeit geschieht, auch die Gesichtsbildung veränderte, in zwei bis drei Jahren unter einem andern Namen verheiratet werden könnte. An dem Tage nach jenem Vorfalle, als das Gerücht von Fenicias Tode sich durch ganz Messina verbreitet hatte, ließ Messer Lionato ihr standesgemäß Exequien halten und einen Sarg bereiten, in dem er, ohne daß es jemand bemerkte (denn die Mutter Fenicias schien es nicht zugeben zu wollen, daß sich ein Dritter damit beschwere), ich weiß selbst nicht was einhüllte; sodann wurde der Sarg verschlossen, vernagelt und verpicht, so daß jeder des festen Glaubens war, daß Fenicias Leiche sich darin befinde. Am Abend aber begleitete Messer Lionato, mit allen seinen Verwandten, in schwarzer Kleidung den Sarg zur Kirche, und Vater und Mutter bezeugten ein so übermäßiges Leidwesen, als ob sie wirklich ihre Tochter zu Grabe gebracht hätten. Der Vorfall erregte allgemeines Mitleid, da die Ursache des Todes bald ruchbar wurde, und so hielten alle Messiner dafür, daß der Ritter jene Fabel erdichtet habe. Der Sarg wurde daher beigesetzt unter allgemeinem Bedauern der ganzen Stadt; über dem Sarg wurde ein Einsatz von Steinen gemacht und darauf das Wappen der Lionati gemalt. Messer Lionato ließ darauf folgende Inschrift setzen:
Fenicia hieß mein Nam'; unwürdig ward
Als Braut ich einem Rohen überwiesen,
Den die Verbindung mußte bald verdrießen:
Drum zieh er eines Fehls mich schwer und hart.
Als Jungfrau war ich rein und keusch bewahrt
Und sah unbillig mich in Kot gerissen:
Eh'r starb ich, als daß mich die Leute wiesen
Mit Fingern, ach, nach feiler Dirnen Art.
Kein Eisen brauchte ich zu meinem Tod:
Der herbe Schmerz war kräft'ger als der Stahl,
Als ich vernahm den unverdienten Spott.
Im Sterben noch fleht' ich, daß doch einmal
Der Welt den Trug enthüllen möge Gott,
Da meine Treu' mißachtet der Gemahl.
Als die tränenreiche Leichenfeier beendigt war, sprach man allenthalben über die Ursache von Fenicias Tod; man erschöpfte den Gegenstand von allen Seiten, aber insgemein stimmte man darin überein, daß man dem kläglichen Tode Mitleid zollte, da die Beschuldigung für erdichtet gehalten wurde. Herr Timbreo fing an, in den bittersten Schmerz zu versinken und eine gewisse Beklemmung des Herzens zu fühlen, die ihn selbst so sehr befremdete, daß er nicht wußte, was er denken sollte. Dennoch meinte er keinen Tadel zu verdienen, da er einen Menschen die Leiter habe besteigen und ins Haus schlüpfen sehen. Aber bei besonnenerem Nachdenken über das Gesehene und da sein Unwille sich etwas abgekühlt und die Vernunft ihm die Augen geöffnet hätte, mußte er sich sagen, daß jener vielleicht auch um einer andern Frau willen, oder um zu rauben, dort eingestiegen sein könne. Auch fiel ihm ein, daß Messer Lionatos Haus sehr groß und jener Flügel, wo der Unbekannte eingestiegen, unbewohnt sei, daß überdies Fenicia, die mit ihren Schwestern hinter dem Gemach ihres Vaters und dem ihrer Mutter schlief, in jenen Flügel nicht kommen konnte, ohne durch das Schlafzimmer ihres Vaters zu gehen; und so von seinen Gedanken bestürmt und gequält, wußte er nirgend Ruhe zu finden. Auch dem Herrn Girondo, dem bei der Nachricht von Fenicias Tod das Gewissen sagte, daß er ihr Henker und Mörder sei, wollte das Herz im Übermaße des Schmerzes zerspringen, teils weil er sie in der Tat heftig geliebt, teils weil er die wahre Veranlassung zu so traurigem Ereignisse gegeben hatte. Mehr als einmal war er in dieser Verzweiflung nahe daran, sich den Dolch in die Brust zu bohren. Er konnte nicht essen noch schlafen; wie ein Besessener, Betörter ging er umher, fuhr dann plötzlich wie aus dem Traume empor und konnte nicht Ruhe noch Rast finden. Am siebenten Tage nach der Bestattung Fenicias glaubte er endlich nicht länger leben zu können, wenn er dem Timbreo die Schandtat nicht entdeckte, die er begangen hatte. Er begab sich also gegen die Mittagsstunde nach dem Palaste des Königs und begegnete dem Herrn Timbreo, der eben vom Hofe weg nach Hause ging. Herr Girondo redete ihn also an: »Herr Timbreo, wenn es Euch nicht beschwerlich ist, so erzeigt mir den Gefallen, mit mir zu kommen!«
Dieser, der den Herrn Girondo als seinen Waffenbruder liebte, begleitete ihn, über dies und jenes sprechend, und nach wenigen Schritten kamen sie zu der Kirche, in der Fenicias Grab befindlich war. Daselbst verbot am Eingange Herr Girondo seinen Dienern, ihm weiter in die Kirche zu folgen, und ersuchte Herrn Timbreo, auch die seinigen zurückzulassen. Dieser gab sogleich dazu Befehl, und nun gingen beide zusammen allein in die Kirche, in der niemand, war, und Herr Girondo führte seinen Begleiter nach Fenicias Grabkapelle. Als sie darin waren, kniete Herr Girondo vor der Gruft nieder, zog einen Dolch, den er an seiner Seite trug, und gab ihn entblößt Herrn Timbreo in die Hand, der voller Verwunderung erwartete, was daraus werden solle, und noch gar nicht wahrgenommen hatte, vor wessen Grab sein Begleiter niedergekniet war. Daraufsprach Herr Girondo weinend und schluchzend solchergestalt zu Herrn Timbreo: »Großherziger, edler Ritter, ich habe dich zwar nach meinem Dafürhalten tödlich beleidigt, aber ich bin nicht hierher gekommen, um dich um Vergebung zu bitten, da mein Verbrechen der Art ist, daß es keine Vergebung verdient; wenn du aber deiner Ehre würdig handeln, eine ritterliche Tat vollbringen, ein Gott und der Welt wohlgefälliges Werk verrichten willst, so stoß den Dolch, den du in der Hand hast, in diese ruchlose, verbrecherische Brust und bring der geweihten Asche der unschuldigen und unglücklichen Fenicia mein lasterhaftes, verabscheuungswürdiges Blut zum Opfer: denn in diesem Gewölbe ward sie vor wenigen Tagen begraben, und ich allein war der boshafte Urheber ihres frühen unverschuldeten Todes. Und bist du mitleidiger gegen mich als ich selbst und versagst mir diese Bitte, so werde ich selbst mit eigener Hand Rache an mir vollziehen und meinem Leben ein Ende machen. Sofern du aber noch der edle großherzige Ritter bist, der du immer gewesen, der nie den leisesten Schatten eines Fleckens auf seiner Ehre duldete, so wirst du für dich und zugleich für die unglückliche Fenicia die gebührende Rache nehmen.«
Als der Herr Timbreo hörte, daß der Leichnam der schönen Fenicia hier versenkt sei, und die Worte des Herrn Girondo vernahm, geriet er außer sich und wußte nicht, was er von der Sache zu denken habe. Von unbekannten Gefühlen ergriffen, hub er bitterlich zu weinen an und bat den Herrn Girondo, aufzustehen und ihm den Zusammenhang zu erklären. Zugleich schleuderte er den Dolch weit von sich. Herr Girondo verstand sich endlich dazu, sich von den Knieen zu erheben, und erwiderte unter häufigen Tränen folgendes: »Du mußt wissen, Herr, daß Fenicia auf das feurigste und zwar in so hohem Grade von mir geliebt wurde, daß, wenn ich hundert Menschenalter litte, ich nie Hilfe noch Trost zu finden hoffe, weil meine Liebe dem unseligen Mädchen den bittersten Tod bereitet hat. Denn als ich die Gewißheit erlangt hatte, von ihr nie einen freundlichen Blick noch den geringsten Wink, der mit meinen Wünschen übereinstimmte, zu erhalten, da ich hörte, daß sie dir zur Gemahlin beschieden sei, ließ ich mich von meinem zügellosen Verlangen genugsam verblenden, mir einzubilden, wenn ich nur Mittel und Wege auffände, ihre Verbindung mit dir rückgängig zu machen, so würde sie ihr Vater auf meine Bewerbung leichten Kaufs mir selber zugestehen. Meine inbrünstige Liebe wußte keinen andern Rat, und ohne also etwas weiteres zu bedenken, erfand ich den verwegensten Anschlag von der Welt und ließ dich betrügerischerweise in jener Nacht in einem meiner Diener einen in ihr Haus einsteigenden Liebhaber sehen. Ebenso war auch derjenige, der zu dir kam und dir anzeigte, daß Fenicia ihre Liebe einem Dritten zugewandt habe, durchaus von mir unterrichtet und bestochen, dir jene Nachricht zu bringen. Dies vermochte dich am folgenden Tage, Fenicia zu verschmähen. Die Unglückliche grämte sich darüber zu Tode, und hier ist ihr Grab. Ich war ihr Mörder, ihr Henker, ihr grausamer Würger, und für diese Unbill gegen dich und gegen sie beschwöre ich dich mit gekreuzten Armen... (Hier warf er sich von neuem vor ihm auf die Knie), die meiner Schandtat würdige Rache an mir zu nehmen; denn das Bewußtsein, so viele Greuel veranlaßt zu haben, macht mir das Leben zur unerträglichsten Last.«
Als Herr Timbreo diese Worte vernahm, weinte er bitterlich; doch sah er wohl ein, daß der begangene Fehler nicht ungeschehen zu machen sei, da Fenicia tot sei und niemand sie ins Leben zurückrufen könne. Er beschloß darum, sich an Girondo nicht zu vergreifen, sondern ihm alle seine Schuld zu verzeihen und nur daran zu denken, wie Fenicias Ruf wiederherzustellen und ihre Ehre von den Flecken zu reinigen sei, die sie so ungerechterweise betroffen hatten. Er bat also Girondo aufzustehen und sprach zu ihm nach vielen heißen Seufzern und bittern Tränen also: »Wie viel besser wäre es für mich, mein Bruder, wenn ich nie geboren oder doch taub zur Welt gekommen wäre, daß ich so Schreckliches, Herzzerreißendes nie gehört hätte; denn nun kann ich nie wieder froh werden, weil ich mir sagen muß, daß meine Leichtgläubigkeit diejenige ermordet hat, deren Liebe, deren seltene Tugenden und bewundernswürdige Gaben wohl einen andern Lohn von mir verdient hätten als Schimpf, Verleumdung und frühzeitigen Tod. Gott, gegen dessen Willen sich kein Blatt auf dem Baume regt, hat es freilich also zugelassen, und da vergangene Dinge leichter zu tadeln als besserzumachen sind, so will ich keine weitere Rache an dir nehmen; denn wenn ich so Freund über Freund verlöre, so hieße das nur Schmerz auf Schmerz häufen, und bei alledem würde ja doch Fenicias seliger Geist nicht in ihren engelkeuschen Körper zurückkehren, der seinen Lauf vollendet hat. Nur über eines will ich dich tadeln, damit du nicht wieder in einen ähnlichen Fehler verfällst, und das ist, daß du mir nicht deine Liebe entdeckt hast, da du wußtest, daß ich in sie verliebt war und nichts von dir wußte; denn statt sie von ihrem Vater zu begehren, wäre ich in diesem Liebesunternehmen dir gerne gewichen, und wie großherzige und edle Geister tun, hätte ich mich selbst überwunden und eher auf unsere Freundschaft als auf meine Begierde gehört; vielleicht auch hättest du, nachdem du meine Gründe vernommen, von dem Unternehmen Abstand genommen, und es wäre nicht das entsetzliche Ereignis daraus entsprungen wie jetzt. Doch jetzt ist es geschehen, und nichts auf der Welt kann es ungeschehen machen. Darum wünsche ich, daß du mir den Gefallen erzeigtest, zu tun, was ich dir sagen werde.«
»Befiehl mir, mein Gebieter«, sagte der Herr Girondo, »ich werde dir ganz ohne Ausnahme Folge leisten.«
»Ich wünsche«, fuhr Herr Timbreo fort, »daß wir es unsere erste Sorge sein ließen, Fenicia, die wir so ungerecht gelästert haben, ihre Ehre und ihren unbescholtenen Ruf wiederzugeben, zuerst bei ihren trostlosen Verwandten und dann bei allen Messinern; denn da das Gerücht verbreitet hat, was ich ihr sagen ließ, so könnte leicht die ganze Stadt glauben, sie sei eine feile Dirne. Täten wir dies nicht, so müßte ich ewig ihren erzürnten Schatten vor mir zu sehen glauben, der zu Gott wider mich um Rache riefe.«
Girondo antwortete ihm alsbald und immer unter Tränen: »Du hast zu befehlen, mein Gebieter,–ich gehorche. Erst war ich dir durch Freundschaft verbunden, jetzt bin ich es durch die Unbilden, die ich dir zugefügt habe, und da du als allzu großmütiger und edler Ritter mir treulosem, gemeinem Manne so hochherzig verziehen hast, bleibe ich ewig dein Diener und Sklave.«
Nach diesem Gespräche knieten beide bitterlich weinend vor dem Grabe nieder und baten Fenicia und Gott mit demütig gekreuzten Armen um Verzeihung, der eine für die begangene Schandtat, der andere für die allzu große Leichtgläubigkeit. Sodann trockneten sie sich die Augen, und Herr Timbreo wünschte, daß Herr Girondo mit ihm nach dem Hause des Messer Lionato gehe. Sie gingen daher miteinander in das Haus und fanden Messer Lionato, der soeben mit einigen seiner Verwandten zu Mittag gegessen hatte, von der Tafel aufstehend; als er hörte, daß die beiden Ritter mit ihm sprechen wollten, ging er ihnen voll Verwunderung entgegen und hieß sie willkommen. Die beiden Ritter sahen Messer Lionato und seine Gattin in schwarzen Kleidern; sie fingen bei dieser grausen Erinnerung an Felicias Tod an zu weinen und konnten kaum zu Worte kommen. Es wurden ihnen nun zwei Stühle gereicht; die setzten sich zusammen nieder, und nach einigen Seufzern und tiefen Atemzügen erzählte Herr Timbreo vor allen Anwesenden die klägliche Geschichte, die den bittern und frühzeitigen Tod Fenicias, wie er meinte, veranlaßt hatte; dann warf er sich mit Herrn Girondo auf die Kniee und bat ihre Eltern um Vergebung für dieses Verbrechen. Messer Lionato weinte vor Rührung und Freude, umarmte sie beide liebevoll, verzieh ihnen alle Schuld und dankte Gott, daß er die Unschuld seiner Tochter ans Licht gebracht habe. Nach mancherlei Gesprächen wandte sich Herr Timbreo zu Messer Lionato und sagte zu ihm: »Herr Vater, da das Unglück meinen heißen Wunsch, Euer Eidam zu werden, vereitelt hat, so bitte und beschwöre ich Euch, so dringend ich kann, über mich und das Meinige zu verfügen, als wäre ich wirklich Euer Schwiegersohn geworden: denn ich werde Euch ewig die Ehrerbietung und den Gehorsam erzeigen, den ein liebevoller Sohn dem Vater schuldig ist. Würdigt mich Eurer Befehle, und Ihr werdet finden, daß meine Handlungen meinen Worten entsprechen; denn wahrlich, ich weiß in der Welt nichts, und wäre es auch noch so schwer, das ich um Euretwillen nicht tun wollte.«
Mit liebreichen Worten dankte der gute Alte dem Herrn Timbreo und sagte endlich: »Da Ihr mir aus gutem Herzen ein so uneigennütziges Anerbieten macht und der Himmel mich Eurer Verwandtschaft nicht für würdig hält, so wage ich es, eine Bitte an Euch zu richten, die ihr mir leicht gewähren könnt. Bei dem Edelmute, der Euch beseelt, und bei aller der Liebe, die Ihr je zu der armen Fenicia trugt, bitte ich Euch nämlich, wenn Ihr Euch dereinst vermählen wollt, mir es gefälligst anzuzeigen, und wenn ich Euch dann eine Gattin gebe, die Euch ansteht, sie aus meinen Händen zu nehmen.«
Herr Timbreo hielt dafür, daß der bedauernswürdige Greis in Ansehung seines schweren Verlustes hiermit doch nur eine äußerst geringe Entschädigung anspreche, reichte ihm die Hand und entgegnete, ihn auf den Mund küssend, folgendes: »Herr Vater, Ihr verlangt so gar wenig von mir, daß ich mich Euch nur desto mehr verpflichtet fühle. Und um Euch meine Dankbarkeit zu betätigen, will ich nicht nur nie ohne Euer Vorwissen eine Frau nehmen, sondern sogar keiner andern mich vermählen als derjenigen, die Ihr mir empfehlt und zuführt. Dies verspreche ich Euch angesichts aller dieser edeln Herren.«
Herr Girondo brachte bei Messer Lionato auch seine guten Worte an und stellte sich unbedingt zu seiner Verfügung. Hierauf gingen die beiden Ritter zu Tisch; die Kunde von dem Vorfall aber verbreitete sich alsbald durch Messina, und es wurde jedermann klar, daß Fenicia unverdientermaßen beschuldigt worden war. An demselben Tage noch wurde Fenicia von ihrem Vater durch einen ausdrücklich abgesandten Boten von allem Geschehenen benachrichtigt. Sie war darüber im höchsten Grade erfreut und dankte Gott mit frommem Herzen für ihre wiedererlangte Ehre.
Etwa seit einem Jahre befand sich jetzt Fenicia auf dem Landgute, wo man sie so geheim gehalten hatte, daß niemand ahnen konnte, daß sie noch lebe. Inzwischen hatte Herr Timbreo in dem vertrautesten Verhältnis zu Messer Lionato gelebt, und dieser unterrichtete nun Fenicia von seinem Vorhaben und bereitete in der Stille alles vor, was zu dessen Ausführung gehörte. Fenicia war unterdessen über allen Glauben schön geworden; sie hatte eben ihr siebzehntes Jahr erreicht und war so groß geworden, daß sie niemand mehr für Fenicia erkannt hätte, um so mehr, als man diese schon tot glaubte. Ihre Schwester, die ihr Gesellschaft leistete, war jetzt etwa fünfzehn Jahre alt und hieß Belfiore; auch glich sie in der Tat der schönsten Blume und gab an Reizen ihrer ältern Schwester wenig nach. Dieser Umstände versah sich Messer Lionato, der die beiden Jungfrauen häufig besuchte, und er beschloß dann seinen Gedanken unverzüglich ins Werk zu richten. Als er eines Tages mit den beiden Rittern zusammen war, sagte er nämlich lächelnd zu Herrn Timbreo: »Es ist jetzt die Zeit gekommen, Herr, daß ich Euch der Verpflichtung, die Ihr gegen mich einzugehen die Gewogenheit hattet, entledige. Ich bin der Meinung, Euch zu Eurer Gattin eine schöne und anmutige Jungfrau ausgefunden zu haben, die Euch meiner Ansicht nach, wenn Ihr sie gesehen habt, gewiß befriedigen wird. Und wenn Ihr auch weniger Liebe für sie empfändet als einst für Fenicia, so kann ich Euch jedenfalls versichern, daß sie nicht minder schön, edel und anmutig ist als diese. Sie ist mit andern weiblichen Gaben und anmutigen Sitten Gott sei Dank in Fülle versehen und geschmückt. Ihr sollt sie sehen und sodann immer noch ihretwegen tun und lassen können, was Euch beliebt. Sonntag morgen komme ich mit einer Begleitung aus meinen Verwandten und Freunden zu Euch: Haltet Euch mit Herrn Girondo bereit, denn wir müssen auf ein etwa drei Meilen von Messina entferntes Landgut gehen. Dort hören wir die Messe; dann besuchen wir das Mädchen, von dem ich Euch gesagt habe, und wir speisen darauf miteinander zu Mittag.«
Herr Timbreo nahm die Einladung und die Verabredung an und bereitete sich am nächsten Sonntag in der Frühe mit Herrn Girondo, um über Land zu reiten. Und siehe, da kam Messer Lionato mit einer Schar von Edelleuten, nachdem er auf dem Landgute bereits alles Notwendige anständig hatte rüsten lassen. Sobald Herr Timbreo von der Ankunft des Messer Lionato benachrichtigt war, stieg er mit Herrn Girondo und seinen Dienern zu Pferd, und nachdem sie sich gegenseitig guten Morgen gesagt, verließen sie alle miteinander die Stadt. Unter mancherlei Gesprächen, wie dies bei dergleichen Ritten zu geschehen pflegt, kamen sie, ehe sie sich's versahen, auf dem Landgute an und wurden ehrenvoll empfangen. Sie hörten in einer nahe dem Hause gelegenen Kirche die Messe, und als diese vorbei war, verfügten sich alle in den Saal, der mit alexandrinischen Teppichen und Tapeten anständig geziert war. Als sie daselbst versammelt waren, siehe, da traten aus einem Zimmer viele Edelfrauen heraus, darunter Fenicia mit Belfiore, und Fenicia war recht eigentlich dem Monde zu vergleichen, wenn er in seinem vollsten Schimmer am Sternhimmel aufgeht. Die beiden Herren nebst den andern Edelleuten empfingen sie mit ehrerbietiger Begrüßung, wie stets jeder Edelmann gegen Frauen zu tun verpflichtet ist. Messer Lionato nahm sodann den Herrn Timbreo bei der Hand und führte ihn zu Fenicia, die, seit man sie auf das Land gebracht hatte, immer Lucilla genannt worden war.
»Seht, Herr Ritter«, sagte er, »dies ist das Fräulein Lucilla, die ich Euch zur Gattin auserkoren habe; wenn sie Euch gefällt, und wenn Ihr meiner Ansicht beipflichtet, so ist sie Eure Verlobte.«
Herrn Timbreo hatte die in der Tat sehr schöne Jungfrau gleich auf den ersten Blick ausnehmend wohlgefallen. Er hatte schon bei sich beschlossen, Messer Lionato zu folgen, und sprach daher nach kurzem Nachdenken: »Herr Vater, ich nehme nicht nur diese an, die Ihr mir zuführt, und die mir eine wahrhaft königliche Jungfrau scheint, sondern ich hätte auch jede andere, die mir von Euch gezeigt worden wäre, angenommen. Und damit Ihr seht, wie sehr ich verlange, Euch zu befriedigen, und damit Ihr erkennet, daß mein Euch gegebenes Versprechen ernstlich war, nehme ich diese und keine andere zu meiner rechtmäßigen Gattin, wofern ihr Wille mit dem meinigen übereinstimmt.«
Darauf versetzte die Jungfrau und sprach: »Herr Ritter, ich bin hier bereit, alles zu tun, was Messer Lionato mir befiehlt.«
»Und ich, schönes Mädchen«, fügte Messer Lionato bei, »ermahne Euch, den Herrn Timbreo zum Gatten zu nehmen.«
Um die Sache nun nicht weiter zu verzögern, wurde einem anwesenden Doktor ein Wink gegeben, daß er die gewöhnlichen Worte sprechen solle nach dem Gebrauch der heiligen Kirche. Der Herr Doktor tat dies in bester Art, und Herr Timbreo vermählte sich auf der Stelle mit seiner Fenicia, in der Meinung, eine Lucilla zu heiraten. Gleich zuerst, als Herr Timbreo das Mädchen aus dem Zimmer treten sah, hatte er in seinem Herzen ein leises Beben empfunden, weil es ihm bedünken wollte, in ihren Gesichtszügen eine gewisse Ähnlichkeit mit seiner Fenicia wahrzunehmen. Er konnte sich nun nicht satt an ihr sehen und fühlte bereits, wie sich alle seine alte Liebe zu Fenicia nun auf diese Jungfrau übertrug. Unmittelbar nach der Vermählung wurde Handwasser herumgereicht; oben an den Tisch setzte man die Braut, ihr zur Rechten an der Seite kam Herr Timbreo, ihm gegenüber Belfiore, auf die sodann der Ritter Girondo folgte, und auf diese Weise ging es in bunter Reihe abwärts. Es kamen köstliche und aufs schönste geordnete Speisen; das ganze Gastmahl war prachtvoll und ruhig und aufs beste bedient. Gespräche, Scherze und tausend andere Unterhaltungen fehlten nicht. Als nun zuletzt die Früchte, die die Jahreszeit bot, herumgereicht wurden und Fenicias Tante, die fast das ganze Jahr über auf dem Lande bei ihr gewesen war und bei Herrn Timbreo am Essen saß, sah, daß das Gastmahl zu Ende ging, fragte sie scherzend ihren Nachbar, als hätte sie nie etwas von den früheren Vorfällen vernommen: »Herr Bräutigam, seid Ihr nie vermählt gewesen?«
Auf diese Frage aus dem Munde einer solchen Frau füllten sich seine Augen mit Tränen, welche herabfielen, ehe er noch antworten konnte. Dessenungeachtet überwand er die Weichheit seiner Natur und sagte: »Frau Tante, Eure gütige Frage erinnert mich an einen Gegenstand, der mir stets im Herzen lebt, und um dessenwillen ich bald meine Tage zu beschließen glaube. Denn wiewohl ich mit Frau Lucilla völlig zufrieden bin, so empfinde ich doch um einer andern willen, die ich liebte und noch jetzt nach ihrem Tode mehr als mich selber liebe, einen ununterbrochenen und so schmerzlichen Herzenskummer, daß ich fühle, wie er allmählich den Faden meines Lebens zernagt, da ich höchst pflichtwidrig Veranlassung zu ihrem bittern Tode geworden bin.«
Herr Girondo wollte ihm in die Rede fallen; er wurde jedoch lange Zeit von Schluchzen und einem reichlich hervorstürzenden Tränenstrom verhindert. Am Ende sagte er mit halberstickter Stimme: »Ich, mein Herr, ich bin der strafbare Urheber und Vollstrecker des Todes der unglücklichen Jungfrau, deren seltene Vorzüge sie eines längeren Lebens so würdig machten; Ihr habt nicht die mindeste Schuld daran.«
Über diese Reden begannen auch der Braut die Augen sich mit einem Tränenregen zu füllen im Andenken an ihr vergangenes bitteres Leiden. Die Tante der Braut fuhr dann fort und richtete folgende Frage an den Neffen: »Ach, Herr Ritter, seid doch so gut, da das Geschehene nun nicht zu ändern ist, erzählt mir doch das Ereignis, das Euch und diesen andern ehrenwerten Herrn noch gegenwärtig in solche Rührung und Tränen versenkt!«
»Wehe mir«, antwortete Herr Timbreo, »Ihr verlangt, Frau Tante, daß ich den verzweifeltsten und grausesten Schmerz erneuere, den ich noch je erlitten habe, und der mir schon, wenn ich im entferntesten daran denke, alle Kraft und alles Bewußtsein entzieht. Indessen will ich, Euch zu Gefallen, Euch meinen ewigen Schmerz und die Schande meiner Leichtgläubigkeit ausführlich erzählen.« Er hub nun an, von Anfang bis zu Ende nicht ohne die heißesten Tränen und unter der innigsten Teilnahme und Verwunderung der Zuhörer die betrübliche Geschichte vorzutragen. Als er geendet hatte, sprach die Matrone zu ihm: »Ihr erzählt mir da eine wundersame, furchtbare Geschichte, Herr Ritter, dergleichen wohl noch nie auf Erden vorgekommen ist. Aber sagt mir, so wahr Gott Euch helfe, wenn ich Euch, bevor Ihr Euch diesem Fräulein verlobtet, Eure erste Geliebte wieder hätte auferwecken können, was würdet Ihr getan haben, um sie wieder ins Leben zu bekommen?«
Herr Timbreo erwiderte unter Tränen: »Ich schwöre bei Gott, gnädige Frau, ich bin sehr zufrieden mit meiner jetzigen Gemahlin und hoffe es in kurzem noch mehr zu werden; aber hätte ich vorher die Gestorbene wiederkaufen können, so hätte ich die Hälfte meines Lebens hingegeben, um sie wiederzubekommen, außer all dem Geld, das ich während desselben ausgegeben haben würde; denn ich liebte sie so aufrichtig, als nur ein Mann eine Frau lieben kann, und wenn ich tausend und abertausend Jahre dauerte, werde ich sie, tot wie sie ist, immer lieben und aus Liebe zu ihr alle ihre Verwandten stets lieb und wert halten.«
Hier vermochte nun Fenicias getrösteter Vater nicht länger die Freude seines Herzens zurückzuhalten, und er sagte, zu seinem Eidam gewandt, vor überströmender Wonne und Rührung weinend: »Mein Sohn und Eidam, denn so darf ich Euch nennen, Eure Werke vollbringen nicht, was Eure Worte besagen; denn Ihr habt Euch mit Eurer so innig geliebten Fenicia vermählt, habt den ganzen Morgen an ihrer Seite zugebracht – und kennt sie noch nicht? Wohin hat sich Eure inbrünstige Liebe verirrt? Hat sich ihre Gestalt, haben sich ihre Züge so sehr verändert, daß Ihr sie nicht wiedererkannt habt, während sie doch neben Euch sitzt?«
Auf diese Worte erschlossen sich allmählich die Augen des verliebten Ritters, und er warf sich seiner Fenicia an den Hals, küßte sie tausendmal und konnte in seinem grenzenlosen Entzücken nicht aufhören, sie unverwandt zu betrachten. Dabei weinte er fortwährend voll Rührung und konnte kein Wort hervorbringen, nannte sich aber selbst in seinem Innern blind. Messer Lionato erzählte ihm darauf, wie sich alles zugetragen habe, und alle waren äußerst verwundert und sehr heiter beisammen. Herr Girondo sprang jetzt von der Tafel auf, warf sich heftig weinend Fenicia zu Füßen und bat sie demütigst um Verzeihung. Diese hob ihn sogleich freundlich auf und verzieh ihm mit liebreichen Worten die erlittenen Unbilden. Darauf wandte sie sich zu ihrem Gatten, der sich selbst bei der Sache für schuldig erklärte, und bat ihn mit den zärtlichsten Worten, nie wieder in diesem Sinne zu sprechen: denn er brauche nicht für eine Schuld um Verzeihung zu bitten, die er nicht begangen habe. Dann küßten sie sich und tranken, vor Freude weinend, ihre heißen Tränen im Übermaß des Entzückens und der Wonne. Während sich nun alle der angenehmsten Freude hingaben und zu Tänzen und Festlichkeit anschickten, nahte sich der Ritter Girondo dem Messer Lionato, der so vergnügt war, daß er den Himmel mit dem Finger zu berühren wähnte, und bat ihn ihm eine sehr große Gnade erzeigen zu wollen, wodurch er ihn unendlich glücklich machen werde. Messer Lionato antwortete ihm, er möge nur fordern; denn wenn es in seiner Macht stehe, seine Bitte zu gewähren, so werde er sie gern und freudig erfüllen.
»So verlange ich denn«, fuhr Herr Girondo fort, »Euch, Herr Lionato, zum Vater und Schwäher, Frau Fenicia und Herrn Timbreo zu Geschwistern und Fräulein Belfiore hier zu meiner rechtmäßigen und geliebten Gattin.«
Der gute Vater fühlte sein Herz von neuer Freude überwältigt. Wie von Sinnen über ein so großes unverhofftes Glück wußte er nicht, ob er träume, oder ob es Wahrheit sei, was er sah und hörte. Als er endlich doch erkennen mußte, daß er nicht schlief, dankte er Gott von Herzen für so vielen unverdienten Segen und antwortete, zu Herrn Girondo gewandt, diesem freundlich, er sei mit allem zufrieden, was in seinem Belieben stehe. Da es nun so weit war, rief er Belfiore zu sich und sagte: »Du siehst, meine Tochter, wie es geht: dieser Herr Ritter bewirbt sich um deine Hand. Willst du ihn zum Gatten haben, so bin ich es zufrieden; du hast alle möglichen Gründe, es auch zu sein; also sage nur deine Meinung frei heraus!«
Das schöne Mädchen antwortete ihrem Vater mit leiser, bebender Stimme voll Scham, daß sie bereit sei, zu tun, was er verlange. Und so steckte Herr Girondo, um die Sache nicht weiter zu verzögern, mit Einwilligung aller Verwandten unter den gewöhnlichen und geziemenden Äußerungen des Anstandes der schönen Belfiore den Ring an, worüber Messer Lionato und alle die Seinigen äußerst vergnügt waren. Und weil Herr Timbreo seine teure Fenicia unter dem Namen Lucilla geheiratet hatte, vermählte er sich nunmehr von neuem feierlich mit ihr unter dem Namen Fenicia.
So ging der ganze Tag unter Tänzen und Vergnügungen hin. Die schöne, liebenswürdige Fenicia war in den feinsten Damast gekleidet, weiß wie der reinste Schnee. Das Gebände, welches ihr Haupt schmückte, stand ihr wunderbar reizend. Sie war für ihre Jahre ziemlich groß von Wuchs und prangte in genügender Fülle der Glieder; doch konnte sie bei ihrer Jugend noch zu wachsen hoffen. Unter der verräterischen Hülle der feinsten und edelsten Seide zeigte sich etwas erhaben der Busen, zwei runden Äpfeln gleich vordringend, eine Brust in reizender Entfernung von der andern. Wer die holde Farbe ihres Angesichts sah, der erblickte eine reine, liebliche Weiße, von süßer jungfräulicher Scham übergossen, die nicht die Kunst, sondern die Meisterin Natur, dem Wechsel der Gebärden und der Umstände gemäß, in glühenden Purpur tauchte. Die schwellende Brust glich an Weiße und Frische dem lebendigsten weißen Alabaster, der runde Hals glänzte wie Schnee. Wer den holden Mund, wenn er die süßen Worte bildete, sich öffnen und schließen sah, der konnte zuversichtlich sagen, er habe ein unschätzbares Kleinod sich öffnen sehen, umschlossen von den feinsten Rubinen und voll der reichsten und schönsten Perlen, wie sie nur je das gewürzreiche Morgenland uns gesandt. Sah er aber diese schönen Augen, diese funkelnden Sterne, diese blitzenden Sonnen, die sie so meisterlich hin und her strahlen ließ, so konnte man wohl beschwören, daß in diesen reizenden Flammen die Liebe wohne und in diesem hellen Glanz ihre scharfen Pfeile wetze. Und wie lieblich flatterten die krausen losen Locken umher, welche, die reine freie Stirn umspielend, gesponnener Seide und glänzendem Golde gleich, sich bei dem leisesten Hauch eines Lüftchens kosend umher schaukelten! Ihre Arme waren so ebenmäßig, ihre beiden Hände so zierlich gebildet, daß der Neid selbst daran nichts hätte ändern können. Überhaupt ihre ganze Gestalt war so anmutvoll und lebendig, so liebenswürdig von der Natur gebildet, daß ihr gar nichts fehlte. Sodann bewegte sie sich so leicht und heiter, je nach den Umständen, mit dem ganzen Körper oder teilweise, daß jede ihrer Handlungen, jeder Wink, jede Bewegung voll unendlicher Anmut war und es schien, sie dringe mit offener Gewalt in die Herzen der Beschauer ein. Wer sie daher Fenicia nannte, der entfernte sich nicht von der Wahrheit: denn sie war in der Tat ein Phönix, der alle anderen Jungfrauen unendlich weit an Schönheit übertraf. Und nicht weniger schön war das Aussehen Belfiores; nur hatte sie als ein jüngeres Kind noch nicht die Hoheit, den mächtigen Reiz in ihren Gebärden und Bewegungen.
Der ganze Tag also wurde in festlicher Freude hingebracht, und die beiden Bräutigame schienen sich an dem Anblick und der Unterhaltung mit ihren Frauen nicht ersättigen zu können. Herr Timbreo besonders schwelgte in Seligkeit und Entzücken und wollte sich fast selber nicht glauben, daß er wirklich da sei, wo er sich befand; denn immer fürchtete er, nur zu träumen, oder alles sei ein holder Sinnentrug, den die Kunst eines Zauberers ihm vorspiegele.
Am folgenden Tage schickten sie sich an, nach Messina zurückzukehren und dort die Hochzeit mit jener Feierlichkeit zu begehen, die sich für den Rang der beiden Ritter geziemte. Die beiden Ehemänner hatten schon durch einen Eilboten einen ihrer Freunde, der das Vertrauen des Königs besaß, von ihren Schicksalen unterrichtet und ihm aufgetragen, was sie wünschten, daß er für sie tun möchte. Daher ging dieser noch desselben Tages zu König Pedro, ihm im Namen der beiden Ritter aufzuwarten, und erzählte ihm die ganze Geschichte ihrer Liebe und was sich von Anfang bis zu Ende mit ihnen begeben habe. Der König bewies hierüber eine nicht geringe Freude. Er ließ die Königin herbeirufen und befahl dem Vermittler, noch einmal in ihrer Gegenwart die ganze Geschichte zu erzählen. Dies tat er denn auch gewissenhaft und zur größten Genugtuung und nicht geringen Verwunderung der Königin, die, da sie von Fenicias kläglichem Schicksale vernahm, aus Mitleid für das Mädchen zu Tränen gerührt wurde. Da nun der König Pedro freisinniger herrschte als irgendein Fürst seiner Zeit und besser als andere das Verdienst zu belohnen wußte, und da auch die Königin höflich und freundlich war, eröffnete ihr der König seine Gesinnung und was er zu tun willens war. Als die Königin einen so großmütigen Vorsatz hörte, rühmte sie sehr die Ansicht und den Willen ihres Herrn und Gemahls. Er ließ daher in aller Eile festliche Zubereitungen am Hofe treffen, den ganzen Adel von Messina, Herren und Frauen, einladen, und verordnete, daß die vornehmsten Barone des Hofes mit zahlloser Begleitung anderer Ritter und Edeln, unter Führung und Leitung des Infanten Don Giacomo Dongiavo, seines Erstgeborenen, stracks den neuvermählten Schwestern vor Messina hinaus entgegenritten. Dieser sein Beschluß wurde in schönster Ordnung ausgeführt; sie ritten zur Stadt hinaus und waren noch nicht eine Meile weit gekommen, als sie den beiden Bräuten begegneten, die mit ihren Gatten und vielen andern Personen in frohem Zuge auf Messina zukamen. Als sie zueinander kamen, hieß der Infant Don Giacomo die Ritter wieder aufsitzen, welche abgestiegen waren, um ihm ihre Ehrerbietung zu bezeugen, und beglückwünschte sie und die schönen Schwestern im Namen seines Vaters höflich zu ihrer Vermählung; er selbst aber wurde von allen mit der größten Ehrerbietung empfangen. Auch alle Hofbeamte und anderen Teilnehmer an dem Zuge, der aus Messina gekommen war, empfingen die beiden Ehepaare nicht minder zuvorkommend und höflich. Die beiden Ritter mit ihren Frauen andererseits dankten auf das schmeichelhafteste, und vor allem sagten sie dem Infanten Don Giacomo den verbindlichsten Dank für die ihnen erwiesene Ehre.
Hierauf setzte sich die ganze Gesellschaft gegen die Stadt in Bewegung unter fröhlichen Gesprächen und Scherzen, wie es bei dergleichen Lustbarkeiten herzugehen pflegt. Don Giacomo unterhielt sich sehr lange und freundlich bald mit Frau Fenicia, bald mit Frau Belfiore. Der König, der mehrmals durch Boten von dem Vorrücken des Zuges unterrichtet war, stieg, als es ihm Zeit schien, mit der Königin und einer ansehnlichen Gesellschaft von Rittern und Edelfrauen zu Pferde und begegnete am Eingang der Stadt dem schönen Zuge, der eben anlangte. Alle stiegen sogleich ab, um den König und die Königin zu begrüßen, wofür sie von diesem gnädig empfangen wurden. Der König ließ alsdann alle wieder aufsitzen und nahm seinen Platz zwischen Messer Lionato und Herrn Timbreo ein, während die Königin die schöne Fenicia an ihre rechte und Belfiore an die linke Seite nahm. Der Infant Don Giacomo ließ sich von Herrn Girondo begleiten. Ebenso stellten sich die übrigen Herren und Frauen vom Adel; alle gingen paarweise in der schönsten Ordnung und bewegten sich so, nach des Königs Willen, gegen den königlichen Palast. Daselbst wurde ein prächtiges Mittagsmahl eingenommen, zu dessen Schluß auf Befehl des Königs in Gegenwart der ganzen Tischgesellschaft Herr Timbreo die ganze Geschichte seiner Liebe erzählte. Als dies vorbei war, fing man an zu tanzen, und die ganze Woche über hielt der König offenen Hof und befahl, daß alle in diesen Tagen im königlichen Palaste speisen sollten.
Als die Feste zu Ende waren, rief der König Messer Lionato zu sich und fragte ihn, welche Aussteuer er seinen Töchtern zugedacht, und wie er sie ihnen ausfolgen wolle. Messer Lionato antwortete dem König, über die Aussteuer sei noch gar nicht gesprochen worden, er werde ihnen aber eine seinen Kräften angemessene anständige Mitgift zukommen lassen. Der König sagte darauf: »Wir wollen Euren Töchtern selbst eine Aussteuer geben, wie sie ihnen und meinen Rittern angemessen ist, und wollen nicht, daß Ihr ferner irgend für sie zu sorgen habt.«
Und also ließ der großherzige König, der deshalb nicht allein von allen Sizilianern, sondern von jedermann, der es hörte, höchlich gepriesen wurde, die beiden neuvermählten Paare zu sich kommen, forderte sie auf, feierlich ihren Ansprüchen an das Vermögen des Messer Lionato zu entsagen, und fügte sogleich den königlichen Befehl hinzu, der diese Verzichtleistung bestätigte. Unverzüglich darauf stattete er sie, nicht wie Bürgerstöchter, sondern wie seine eigenen, auf das ehrenvollste aus und erhöhte das Jahresgehalt, das die beiden Ritter von ihm bezogen. Die Königin, nicht minder aufwandliebend, großmütig und freigebig als der König, ernannte beide Frauen zu ihren Hofdamen, warf ihnen von ihren eigenen Einkünften ein ansehnliches jährliches Gehalt aus und hielt sie immer lieb und wert. Sie, die in der Tat äußerst liebenswürdig waren, wußten bald durch ihr Benehmen die Hochschätzung aller Hofbeamten zu erwerben. Auch dem Messer Lionato gab der König ein ehrenvolles Amt in Messina, das ihm keine geringen Einkünfte brachte. Weil er aber schon bei Jahren war, so brachte er es dahin, daß der König einen seiner Söhne darin bestätigte.
So also erging es dem Herrn Timbreo mit seiner redlichen Liebe. Das Böse, das ihm Herr Girondo hatte zufügen wollen, schlug zum Guten aus, und beide erfreuten sich noch lange ihrer Frauen und lebten in Glück und Frieden. Noch oft durften sie sich mit Vergnügen der Leiden erinnern, die die schöne Fenicia überstanden hatte. Dieser Herr Timbreo war der Stammvater des hochedeln Geschlechts und Hauses Cardona, das noch heute in Sizilien und Neapel viele geachtete Männer zählt. Auch in Spanien blüht dieses hochedle Blut der Cardona und bringt Männer hervor, die dem Adel ihrer Ahnen gegenüber nicht aus der Art schlagen, weder in den Waffen noch in der Toga. Aber was sage ich von den zwei hochedeln Brüdern Don Pietro und Don Giovanni von Cardona, wahrhaft mannhaften und erlauchten Herren und Kriegern? Ich sehe hier einige unter euch, die den Herrn Don Pietro Grafen von Colisano, Großconnetabel und Admiral von Sizilien, gekannt haben, den der Herr Prospero Colonna, der unvergleichliche Mann, so sehr geehrt und dessen weisen Rates er sich bedient hat. Und in der Tat war der Graf von Colisano ein ganz außerordentlicher Mann. Er starb in einem Gefecht bei Bicocca zum allgemeinen Schmerz der ganzen Lombardei. Aber Don Giovanni, sein Bruder, Markgraf von la Palude, kam ziemlich unter Ravenna in der Schlacht zwischen den Franzosen und Spaniern, wo er sich mannhaft gehalten, ums Leben. So bin ich indes unversehens vom Erzähler zum Lobredner geworden.
Antonio Bologna aus Neapel lebte, solange er in Mailand verweilte, im Hause des Herrn Silvio Savello. Nach Herrn Silvios Abgang machte er sich an Francesco Acquaviva, Markgrafen von Bitonto, der in der Schlacht von Ravenna gefangen in die Hand der Franzosen fiel und in die Burg von Mailand gebracht wurde; gegen sichere Bürgschaft kam er jedoch aus der Burg los und lebte lange Zeit in der Stadt. Nachher bezahlte dieser Markgraf eine starke Entschädigungssumme und kehrte nun in das Königreich Neapel zurück. Jener Bologna blieb nun im Hause des Ritters Alfonso Vesconte mit drei Dienern und lebte in Mailand ganz anständig, hatte schöne Kleider und Pferde. Es war ein sehr galanter und tugendhafter Edelmann, und außerdem, daß er ein sehr schönes Äußeres hatte und ein wackerer Mann war, galt er auch für einen sehr gewandten Reiter. In schönen Wissenschaften war er mehr als gewöhnlich bewandert und sang anmutig, die Laute in der Hand. Ich weiß, daß manche unter uns ihn noch singen gehört haben, oder vielmehr nicht singen, sondern singend den Zustand beweinen, in dem er sich befand, indem Frau Ippolita Sforza und Bentivoglia ihn zu spielen und zu singen zwang. Als er nun von Frankreich zurückgekehrt war, wo er fortwährend dem unglücklichen Friedrich von Aragonien gedient hatte, der, aus dem Königreich Neapel vertrieben, sich dem König Ludwig XII. von Frankreich in die Arme geworfen hatte und von diesem liebevoll aufgenommen worden war, begab sich Bologna nach Neapel in seine Heimat und blieb daselbst. Er hatte dem König Friedrich viele Jahre lang als Oberhofmeister gedient. Nun wurde er nach kurzem von der Herzogin von Malfi, Tochter Heinrichs von Aragonien und Schwester des aragonesischen Kardinals, angegangen, ob er nicht als Oberhofmeister in ihre Dienste treten wolle. An das Hofleben gewöhnt und der aragonischen Partei ergeben, nahm er ihren Vorschlag an und ging hin.
Die Herzogin war frühzeitig Witwe geworden und hatte in ihrer Ehe einen Sohn geboren, dessen Vormundschaft sie nun sowie die über das Herzogtum Malfi führte. Jung, rüstig und schön, wie sie war, und an ein weichliches Leben gewöhnt, war sie zwar nicht gesonnen, sich zum zweiten Male zu verheiraten, wo sie dann ihren Sohn hätte fremder Obhut übergeben müssen; aber sie gedachte, bei sich darbietender Gelegenheit sich einen rüstigen Liebhaber zu wählen und mit ihm ihre Jugend zu genießen. Sie sah viele Männer, von ihren Untertanen wie Fremde, die ihr anmutig und gesittet schienen; sie beobachtete bei allen auf das genaueste ihr Wesen und Betragen; sie glaubte aber keinen zu finden, der ihrem Oberhofmeister gleichkomme; er war auch in der Tat ein sehr schöner Mann, groß und wohlgestaltet, von schönem und anmutigem Betragen und mit vielen Vorzügen ausgerüstet. Daher verliebte sie sich heftig in ihn; von Tag zu Tag lobte sie ihn mehr, und sein schönes Betragen gewann entschiedener ihren Beifall, so daß sie am Ende ganz für ihn glühte und nicht leben zu können meinte, ohne ihn zu sehen und bei ihm zu sein. Bologna war auch keine alberne Schlafmütze, und wiewohl er den Abstand zwischen sich und der hohen Stellung der Dame wohl fühlte, konnte er sich dennoch nicht erwehren, sobald er ihrer Liebe zu ihm sich erst recht bewußt geworden war, sie in die Geheimnisse seines Herzens dergestalt aufzunehmen, daß er fürder keinem andern Gefühle als der Liebe zu ihr darin Raum verstattete.
So waren also die Liebenden beide einander zugetan. Die Herzogin aber faßte, von neuen Vorstellungen überkommen, den Entschluß – teils um Gott nicht allzusehr zu beleidigen, teils um jeder etwaigen übeln Nachrede wegen ihrer Liebe zu begegnen, ohne jedoch sonst jemand von ihrer Liebe in Kenntnis zu setzen –, nicht die Geliebte Bolognas, sondern seine Gattin zu werden und in der Stille seiner Liebe sich zu freuen, bis etwa die Umstände sie nötigten, ihre eheliche Verbindung kundzutun. Sobald sie mit sich selbst über diesen Vorsatz im reinen war, ließ sie Bologna eines Tages in ihr Zimmer kommen, trat mit ihm in ein Fenster, wie sie jedesmal zu tun pflegte, wenn sie mit ihm über ihr Hauswesen beriet, und redete ihn folgendermaßen an:
»Spräche ich mit irgendeinem andern Menschen als mit dir, Antonio, so würde ich gegenwärtig nicht wissen, wie ich meine Worte anbringen sollte. Da ich dich aber als einen verschwiegenen, mit hohem Verstande begabten Edelmann kenne, der an den königlichen Höfen Alfonsos II., Ferdinands und Friedrichs, meiner Verwandten, aufgewachsen und gebildet worden ist, so bin ich geneigt zu glauben, daß du nach Anhören dessen, was ich dir jetzt zu eröffnen habe, mit mir übereinstimmend denken wirst. Sollte ich dich nichtsdestoweniger anders finden, so würde sich mein Vertrauen in die tiefe Einsicht, die man dir allgemein zuschreiben will, allerdings nicht bewähren. Ich bin, wie du weißt, durch das Ableben des Herrn Herzogs, meines Gemahls seligen Angedenkens, in ziemlich jungen Jahren Witwe geworden und habe seither als solche ein Leben geführt, daß auch der strengste und härteste Sittenrichter in betreff der Ehrbarkeit auch nicht ein Pünktchen an mir auszusetzen finden könnte. Ebenso habe ich der Regierung des Herzogtums mit solcher Sorgsamkeit vorgestanden, daß ich hoffen darf, wenn die Zeit der Volljährigkeit meines Herrn Sohnes gekommen sein wird, ihm dasselbe in erwünschterem Zustande zu übergeben, als ich es bei dem Tode des Herrn Herzogs selbst übernahm. Denn nicht allein habe ich fünfzehntausend Dukaten Schulden bezahlt, die der Hochselige in den letzten Kriegen hatte machen müssen, – ich habe auch noch überdies eine einträgliche Baronie in Kalabrien käuflich erworben, mich vollkommen schuldenfrei gemacht und mein ganzes Hauswesen auf das vollkommenste wohl bestellt. Nun hatte ich zwar bei mir beschlossen, fortwährend im Witwenstande zu beharren und meine Residenz bald in diesem Landsitz, bald auf jener Burg, bald in Neapel aufzuschlagen und meine Zeit der Sorge für das Herzogtum zu widmen; ich habe mich aber allerdings bewogen gefunden, meinen Vorsatz zu ändern und ein neues Leben zu beginnen. Ich wünschte mir nämlich lieber einen neuen Gatten zu erwählen, als etwa gleich andern Frauen zu tun, die Gott zum Hohne und der Welt zum ewigen Tadel sich Liebhabern preisgeben. Ich weiß wohl, was man von einer Herzogin in diesem Königreich sagt, obgleich einer der ersten Barone ihr begünstigter Liebhaber ist, und ich weiß, daß du mich verstehst. Und nun aber auf meine Angelegenheiten zurückzukommen, so siehst du, daß ich noch bei jungen Jahren bin und weder lahm noch schielend; ich sehe nicht aus wie die Gassenjungen, die sich unter andern Leuten nicht zeigen dürfen. Ich lebe, wie du ferner täglich siehst, in Wohlstand und Üppigkeit, um derenwillen ich verliebten Gedanken wohl oder übel Gehör geben muß. Wollte ich mir einen Gemahl erwählen, der dem ersteren an Stande gleichkäme, so wüßte ich nicht, wie ich dies bewirken sollte; ich müßte mich denn mit einem Knaben vermählen, der bald meiner überdrüssig würde, mich aus seinem Bette verjagte und meinen Platz von verworfenen Dirnen einnehmen ließe; denn es lebt gegenwärtig bei uns kein vornehmer Mann, dessen Alter dem meinigen entspräche und der ledigen Standes wäre. Ich bin also nach reiflichem Erwägen und Bedenken dieser Sache dahin mit mir einig geworden, daß ich einen ausgezeichneten Edelmann zu meinem ehelichen Gemahl erheben will. Um aber die Lästerungen des gemeinen Volkes zu vermeiden und um nicht mit meinen vornehmen Verwandten und besonders mit dem Herrn Kardinal, meinem Bruder, Ungelegenheiten zu haben, wünschte ich die ganze Sache freilich so lange verborgen zu halten, bis sie sich mit weniger Gefahr für mich gelegentlich einmal veröffentlichen ließe. Derjenige, den ich zum Manne zu nehmen beabsichtige, hat etwa tausend Dukaten Einkünfte, und ich habe von meiner Mitgift neben dem Zuschuß, den mir der Herr Herzog bei seinem Abscheiden zugewiesen hat, über zweitausend, außer dem Hausgeräte, das mir gehört; und wenn ich den Rang einer Herzogin nicht behaupten kann, so will ich mich bescheiden, als Edelfrau zu leben. Ich möchte nun aber von dir erfahren, was du mir rätst.«
Als Antonio diese lange Anrede der Herzogin vernommen hatte, wußte er nicht, was er darauf erwidern sollte; denn da er sich versichert hielt, von ihr geliebt zu sein, und ihr selbst mit nicht geringer Liebe zugetan war, so konnte er natürlicherweise nicht wünschen, sie sich wieder verheiraten zu sehen, um noch Hoffnung zu erhalten, dereinst das Ziel seiner Liebe zu erreichen. Er blieb stumm ihr gegenüber stehen, wechselte im Gesicht die Farbe und seufzte tief statt aller Antwort. Sie erriet die Gedanken ihres Geliebten, und da es ihr nicht mißfiel, an diesem Zeichen zu erkennen, wie inbrünstig sie von ihm wiedergeliebt werde, so sprach sie zu ihm, um ihn nicht länger in Ungewißheit und Besorgnis zu lassen: »Antonio, sei getrosten Muts und erschrick nicht! Wenn du es selber willst, so gedenke ich jedenfalls deine Gattin zu werden.«
Diese Worte führten den Liebenden vom Tode zum Leben zurück, und er konnte gar nicht aufhören, den Entschluß der Herzogin zu preisen, indem er sich ihr nicht zum Gatten, sondern zu ihrem getreuesten Diener erbot. Eines hierauf des andern versichert, unterredeten sie sich lange miteinander und kamen überein, sobald und so geheim als möglich sich zusammenzufinden. Die Herzogin hatte eine Tochter derjenigen, die ihr die erste Nahrung an ihrer Brust gereicht, bei sich und diese bereits mit ihren Gedanken vertraut gemacht. Sie rief sie daher zu sich, und ohne daß sonst jemand, als sie drei, anwesend war, verlobte sie sich in Gegenwart ihrer Kammerfrau mit Bologna.
Ihre Vermählung blieb jahrelang geheim, obgleich sie fast jede Nacht miteinander zubrachten. Infolge dieser Ehe wurde die Herzogin zu ihrer und ihres Gatten großer Freude gesegneten Leibes und gebar mit der Zeit ein Knäblein. Sie wußte auch alles so geschickt anzustellen, daß niemand am Hofe es bemerkte. Bologna ließ das Kind mit vieler Sorgfalt ernähren und legte ihm in der Taufe den Namen Federico bei. Demnächst bei der Fortdauer ihres Liebesverkehrs wurde die Herzogin zum andernmal schwanger und gebar ein wunderschönes Töchterlein. Diese zweite Schwangerschaft konnte aber allerdings nicht so geheimgehalten werden, daß der Zustand der Herzogin und ihre Niederkunft nicht vielen Hofleuten kundgeworden wäre. Wie zu erwarten stand, wurde diese Sache verschiedentlich besprochen, und das Ereignis kam den beiden Brüdern zu Ohren, nämlich dem Kardinal von Aragon und einem andern. Als diese hörten, daß ihre Schwester niedergekommen sei, entschlossen sie sich, diese Schande ihrer Schwester eben nicht zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen; nichtsdestoweniger aber fingen sie an, jeden Tritt und Schritt der Herzogin insgeheim beobachten zu lassen. Da nun dieses Geflüster am Hofe ging und alle Tage Leute von den Brüdern der Herzogin kamen, die sich alle Mühe gaben, der Sache auf die Spur zu kommen, fürchtete Bologna, die Kammerzofe möge sich zuletzt verleiten lassen, zur Verräterin der ihr wohlbekannten Wahrheit zu werden, und so sagte er eines Tages im Gespräche mit der Herzogin: »Ihr wißt, meine teure Gebieterin, daß Eure Herren Brüder von dieser Eurer zweiten Niederkunft Wind bekommen haben und eifriges Verlangen tragen, zu erforschen, was eigentlich Wahres an der Sache sei. Ich befürchte nicht ohne Grund, daß sie einigen Verdacht auf mich geworfen haben und mich eines Tages werden töten lassen. Ihr seid besser als ich mit ihrer Natur bekannt und wißt, wie einer von ihnen seine Hände gebrauchen kann. Ich denke, gegen Euch selbst würden sie niemals ihre Wut kehren, und bin überzeugt, wenn sie mich hätten umbringen lassen, wäre alles abgetan. Ich habe deswegen bei mir beschlossen, nach Neapel zu gehen, dort meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen und mich dann nach Ankona zurückzuziehen, wohin ich mir meine Einkünfte werde schicken lassen. Ich bleibe dort so lange, bis man sieht, daß dieser Verdacht Euren Herren Brüdern aus dem Sinne ist. Zeit wird dann auch Rat bringen.«
Die beiden wechselten noch Worte genug über diesen Gegenstand, und am Ende schied er zum größten Leidwesen seiner Gattin von ihr. Seinem Vorsatze gemäß ordnete er seine Angelegenheiten, überließ die Sorge dafür einem leiblichen Vetter und verfügte sich sofort nach Ankona, wo er ein seinem Stande gemäßes Haus machte. Er hatte seinen Sohn und seine Tochter mitgenommen und erzog sie mit größter Sorgfalt.
Die Herzogin, die zum drittenmal schwanger zurückgeblieben war und das Leben ohne ihren teuren Gatten nicht aushalten konnte, war in so düsterer Stimmung, daß sie nahe daran war, den Verstand zu verlieren. Nachdem sie also zu wiederholten Malen reiflich über ihre Lage nachgedacht hatte und nicht mehr umhin konnte, zu befürchten, wenn diese dritte Niederkunft verlautbare, werden ihre Brüder einen schlimmen Spaß anfangen, nahm sie sich vor, lieber ihrem Gatten nachzugehen und mit ihm als einfache Edelfrau zu leben, als um den Preis fortwährender Trennung von ihm der herzoglichen Würde teilhaftig zu bleiben. Wer möchte hiernach nicht behaupten wollen, daß die Liebe allmächtig ist? In der Tat, ihre unleugbar höchste Gewalt übersteigt auch die kühnste Einbildungskraft. Sieht man nicht jeden Tag die Liebe die seltensten und wunderbarsten Wirkungen von der Welt hervorbringen und alles überwinden? Aber man pflegt zu sagen, daß man nicht mit Maß lieben kann. Wenn die Liebe will, macht sie Könige, Fürsten, die höchsten Edelleute, ich sage nicht zu Liebhabern, nein, selbst zu Sklaven der niedrigsten Weiber.
Doch kehren wir zu unserer Geschichte zurück und lassen diese Untersuchungen beiseite. Die Herzogin hatte beschlossen, nach Ankona zu gehen, um ihren Gatten aufzusuchen, und setzte ihn insgeheim davon in Kenntnis. Andererseits ließ sie Geld und Geldeswert so viel als möglich nach Ankona schicken. Hierauf machte sie bekannt, sie habe gelobt, nach Loreto zu wallfahrten, bestellte ihr Haus, sorgte für die Regierung, übertrug die Erziehung ihres Sohnes, der dereinst Herzog werden sollte, sichern Händen und machte sich mit zahlreicher und ehrenvoller Begleitung auf den Weg. Sie langte mit einem großen Zug Maultiere in Loreto an, ließ daselbst eine feierliche Messe lesen und brachte jenem ehrwürdigen, hochachtbaren Tempel reiche Gaben dar. Als nun alle die Ihrigen an die Rückkehr in ihr Reich dachten, sagte sie: »Wir sind nur fünfzehn Meilen von Ankona entfernt, und da wir hören, daß diese Stadt sehr alt und schön ist, so will uns gutdünken, dahin zu reisen und einen Tag dort zu verweilen.«
Ihre Begleiter fügten sich in den Willen der Herzogin, und es setzte sich der ganze Zug gegen Ankona in Bewegung, wohin das Gepäck vorausgeschickt worden war. Bologna, von alledem zu rechter Zeit benachrichtigt, hatte Vorbereitungen getroffen, die Herzogin und ihr Gefolge in seinem trefflich ausgerüsteten Hause auf das prachtvollste mit Prunk und Überfluß zu empfangen. Er hatte seinen Palast an der Hauptstraße, so daß sie ihm notwendigerweise an der Tür vorüberkommen mußten. Der Küchenmeister war schon in aller Frühe angekommen, um das Frühstück anzuordnen; Bologna hatte ihn ins Haus geführt und ihm gesagt, er habe der Frau Herzogin die Herberge bereitet. Der Küchenmeister wußte nichts dagegen einzuwenden, weil Bologna nur aus unbekannten Gründen den Hof verlassen hatte und überdies von allen daselbst gern gesehen wurde. Sobald es Bologna an der Zeit schien, stieg er mit einer stattlichen Schar Edelleute aus Ankona zu Pferde und ritt der Herzogin fast drei Meilen Wegs vor die Stadt hinaus entgegen. Als die Begleiter der Herzogin ihn sahen, riefen sie ihr freudig zu: »Ei, seht da, Frau Herzogin, unsern Herrn Antonio Bologna!« Und sie beeiferten sich alle, ihn zu bewillkommnen. Er stieg ab, küßte seiner Gemahlin die Hände und lud sie mit ihrem Gefolge nach seinem Hause ein. Sie nahm die Einladung an, und er führte sie, noch nicht wie seine Gemahlin, sondern wie seine Gebieterin, in sein Haus.
Nachdem dort alle das Frühstück eingenommen hatten, wollte die Herzogin, da sie wußte, daß es dahin doch einmal kommen müsse, die Maske fallen lassen; sie berief daher alle die Ihrigen in den Saal und sprach zu ihnen also: »Es ist nunmehr Zeit, meine Edelleute und ihr übrigen Diener, der ganzen Welt zu offenbaren, was einst vor Gott im stillen geschehen ist. Mein Witwenstand hat mir nachgerade den Wunsch eingegeben, mich zu vermählen, und zwar einen Mann zu nehmen, der ganz nach meinem Sinne wäre. Ich verheiratete mich also schon vor mehreren Jahren in Gegenwart dieser hier anwesenden Kammerfrau mit dem Herrn Antonio Bologna, den ihr vor euch seht; er ist mein rechtmäßiger Gatte, und bei ihm will ich als die Seinige fernerhin bleiben. Bisher bin ich eure Herzogin und Gebieterin gewesen, und ihr wäret mir pflichtgetreue Vasallen und Dienstleute. Inskünftige liegt es euch nun ob, dem Herrn Herzog, meinem Sohne, Gehorsam zu leisten und pflichtschuldigst treu und hold zu sein. Diese meine Frauen werdet ihr nach Malfi begleiten, wo ich vor meiner Abreise ihre Aussteuer in der Bank Paolo Tolosas niederlegte und die nötigen Schriften über alles der Äbtissin des Frauenklosters Sankt Sebastian übergab; ich will fortan von meinen Frauen nur noch diese meine Kammerfrau behalten. Die Frau Beatrice, meine bisherige Ehrendame, ist, wie sie weiß, bereits von mir zufriedengestellt worden. Nichtsdestoweniger wird sie in der eben genannten Schrift finden, daß ich ihr noch eine erhebliche Summe ausgesetzt habe, mit der sie eine ihrer ledigen Töchter verheiraten kann. Ist unter meinen Dienern einer, der ferner bei mir bleiben will, so soll ihm von mir eine gute Behandlung sicher sein. Für das übrige wird bei eurer Rückkehr in Malfi der Oberhofmeister in gewohnter Weise Sorge tragen. Und so erkläre ich dann schließlich nochmals, daß ich entschlossen bin, von nun an mit meinem Gemahl Herrn Antonio, meiner herzoglichen Würde ledig, im Privatstande zu leben.«
Die ganze Versammlung hatte vor Erstaunen und Bestürzung über diese Anrede fast alle Fassung verloren. Wie sich aber nach und nach ein jeder überzeugte, daß er recht gehört habe, und daß Bologna seinen Sohn und seine Tochter habe kommen lassen, die er mit der Herzogin erzeugt, und die Herzogin dieselben als ihrer beider Kinder umarmte und küßte, so beschlossen ihre Begleiter insgesamt, nach Malfi zurückzukehren, mit Ausnahme der Kammerfrau und zweier Reitknechte, die bei ihrer langgewohnten Gebieterin blieben. Der Worte wurde zuvor die Menge gewechselt, und ein jeder gab sein Teil dazu. Sie brachen also alle aus Bolognas Hause auf und begaben sich in eine Herberge; denn keiner wagte, aus Furcht vor dem Kardinale und seinem Bruder, bei ihr auszuhalten, nachdem er erfahren, wie die Sache stand; vielmehr beredeten sie sich untereinander, gleich am folgenden Morgen solle einer der Edelleute mit Postpferden nach Rom an den Kardinal abgehen, wo auch der Bruder sich aufhielt, und jenen von allem unterrichten. Dies geschah, und die andern alle machten sich auf den Rückweg in das Königreich.
Also blieb die Herzogin bei ihrem neuen Gatten und lebte mit ihm in äußerster Zufriedenheit. Wenige Monate später gebar sie ihm einen zweiten Sohn, dem sie den Namen Alfonso beilegten. Während nun diese sich in Ankona aufhielten, bei immer zunehmender gegenseitiger Liebe, bewirkte der Kardinal von Aragon und sein vorgenannter Bruder, die beide einen solchen Ehebund ihrer Schwester auf keine Weise bestehen lassen wollten, durch Vermittelung des Kardinals von Mantua, Gismondo Gonzaga, der unter dem Papste Julius II. Legat von Ankona war, daß die Ankonitaner Antonio Bologna mit seiner Gattin aus der Stadt verwiesen. Sie hatten etwa sechs bis sieben Monate in der Stadt zugebracht, und wiewohl der Legat auf ihrer Entfernung hartnäckig bestand, gelang es Bologna dennoch, die Sache durch Unterhandlungen in die Länge zu ziehen. Bologna wußte allerdings, daß er am Ende doch werde weggeschickt werden, und um deswegen nicht gar zu sehr überrascht zu sein, suchte er durch einen Freund, den er in Siena hatte, bei der Obrigkeit in jener Stadt um sicheres Geleit an, das ihm denn auch zugestanden wurde mit der Erlaubnis, nebst seiner ganzen Familie sich daselbst niederzulassen. Mittlerweile hatte er bereits seine Kinder weggeschickt und seine Angelegenheiten so geordnet, daß er an demselben Tage, wo er von den Ankonitanern den Befehl empfing, binnen vierzehn Tagen ihr Gebiet zu räumen, mit seiner Gemahlin und Dienerschaft zu Pferde steigen und nach Siena abreisen konnte.
Als die beiden Brüder aus Aragonien dies vernahmen und sich in ihrer Hoffnung getäuscht sahen, die Reisenden unterwegs in ihre Gewalt zu bekommen, bewogen sie den Kardinal von Siena Alfonso Petrucci, durch Herrn Borghese, den Bruder des Kardinals, der das Oberhaupt der Regierung von Siena war, Bologna auch den Aufenthalt in Siena versagen zu lassen. Nach reiflicher Überlegung, wohin er sich flüchten könne, beschloß er daher, mit seiner ganzen Familie nach Venedig zu gehen. Er machte sich daher auf den Weg, reiste durch das florentinische Gebiet nach der Romagna und wollte sich dort einschiffen, um nach Venedig zu segeln. Schon waren sie in der Nähe von Forli angelangt, als sie mit einem Male viele Reiter bemerkten, die ihnen folgten und von welchen sie einigermaßen Wind hatten. Voll Angst und ratlos wußten sie nicht, wie sie mit dem Leben davonkommen sollten, und waren mehr tot als lebendig, jagten aber, von der Angst angetrieben, dennoch mit beflügelter Eile weiter, um womöglich eine unfern von ihnen gelegene Ortschaft zu erreichen, in der sie Rettung zu finden hofften. Bologna ritt einen starken türkischen Renner und hatte seinen ältesten Sohn gleichfalls auf ein sehr gutes türkisches Pferd gesetzt. Sein zweites Söhnchen und seine kleine Tochter waren beide in einer Sänfte, und seine Gemahlin saß auf einem guten Zelter. Er und sein Sohn hätten sich mit leichter Mühe retten können, weil sie trefflich beritten waren; aber die Liebe zu seiner Gattin ließ ihm keine Flucht zu. Dagegen war sie selbst der festen Überzeugung, daß ihre Verfolger es nur auf ihren Gemahl abgesehen haben, so daß sie ihn unter fortwährenden Tränen anflehte, auf seine Rettung Bedacht zu nehmen, und zu ihm sagte: »Mein teurer Herr, o eilt von dannen: denn meine Herren Brüder werden mir und unsern Kindern gewiß kein Leid zufügen. Wenn sie aber Euch bekommen können, so werden sie ihre Wut an Euch auslassen und Euch ums Leben bringen.«
Sie drückte ihm nach diesen Worten eine volle Börse mit Dukaten in die Hand und bat ihn fortwährend aufs dringendste, sich zu flüchten, weil ja vielleicht dennoch der Himmel zuließe, daß ihre Herren Brüder sich besänftigten. Der arme Ehemann erkannte aus der Nähe seiner Verfolger die Unmöglichkeit, sein Weib zugleich mit sich zu erretten, und so ergab er sich endlich, bis auf den Tod betrübt, in ihren Willen, nahm unter unzähligen Tränen von ihr Abschied und setzte seinem Türkenrosse die Sporen ein, indem er den Seinigen zurief, es möge ein jeder fliehen, so gut er könne. Als der Sohn den Vater fliehen sah, sprengte er ihm mit verhängtem Zügel rüstig nach, und so geschah es, daß Bologna mit seinem ältesten Knaben und vier wohlberittenen Dienern glücklich entkam. Dabei gab er seinen Gedanken auf, sich nach Venedig zu wenden, und alle sechs verfügten sich nach Mailand.
Diejenigen, welche ausgesandt waren, um ihn zu töten, bemächtigten sich an seiner Statt der Frau, seiner zwei Kinder und seines übrigen Gefolges. Der vorderste der Häscherschar, mochte er nun von den Herren Brüdern der Frau dazu beauftragt sein oder aus eigenem Antriebe wünschen, sie ohne großes Aufsehen zu fangen und fortzubringen, sagte zu ihr: »Frau Herzogin, Eure Herren Brüder haben mir befohlen, Euch in Euer Land und in Euren Palast zurückzuführen, damit Ihr die Vormundschaft Eures Sohnes, des Herrn Herzogs, von neuem übernehmt und nicht länger bald hierhin, bald dorthin in der Welt umherschweifet. Herr Antonio Bologna war der Mann danach, wenn er Euer überdrüssig gewesen wäre, Euch wohl gar einmal in Elend und Dürftigkeit zu verlassen und seines eigenen Weges zu gehen. Seid also getrosten Mutes und nehmt Euch Euer gegenwärtiges Schicksal weiter nicht zu Herzen!«
Die Frau schien sich über diese Worte wirklich zu beruhigen; denn sie glaubte annehmen zu dürfen, daß sie wahr gesprochen seien, und daß ihre Brüder gegen sie und ihre Kleinen nichts Feindseliges beginnen werden. Dieser Hoffnung lebte sie einige Tage, bis sie auf einem der Schlösser des Herzogs, ihres Sohnes, ankam, wo sie mit ihren Kindern und der Kammerfrau bewacht und in den Festungsturm gelegt wurden. Was daselbst aus allen vieren geworden war, verlautete nicht alsobald. Alle übrigen wurden in Freiheit gesetzt; die Frau aber mit der Kammerfrau und den zwei Kindern starben, wie man späterhin auf das gewisseste gehört hat, des elendiglichsten Todes durch Mord.
Der beklagenswerte Gatte und Liebhaber langte mit seinem Sohne und seinen Dienern in Mailand an, wo er einige Tage unter dem Schutze des Herrn Silvio Savelli weilte, der gerade damals die Franzosen im Kastell von Mailand belagerte, um die Feste im Namen Maximilian Sforzas einzunehmen, was ihm hernach durch Kapitulation gelang. Als darauf Savello mit seinem Heere nach Crema fortzog, wo er einige Tage blieb, begab sich Bologna zu dem Markgrafen von Bitonto, und da der Markgraf fort war, hielt er sich im Hause des Herrn Ritters Vesconte auf.
Die aragonischen Brüder hatten es inzwischen in Neapel dahin gebracht, daß der Staatsschatz die Güter Bolognas einzog. Bologna selbst dachte einzig und allein daran, die Brüder mit sich zu versöhnen, weil er dem Gerüchte von der Ermordung seiner Gemahlin und Kinder auf keine Weise Glauben beimessen wollte. Er wurde mit der Zeit verschiedene Male von Edelleuten gewarnt, sich vorzusehen: es sei in Mailand keine Sicherheit mehr für ihn. Aber er versagte diesen wohlgemeinten Zuflüsterungen alles Gehör, und das wahrscheinlich, weil man ihm unterderhand, um ihn desto mehr einzuschläfern und an etwaiger Flucht zu hindern, Hoffnung gemacht hatte, seine Gemahlin wieder mit ihm zu vereinigen. Von dieser eitlen Hoffnung erfüllt und von heute auf morgen lebend blieb er über ein Jahr in Mailand.
Während dieser Zeit trug es sich zu, daß einer der Hauptleute der fremden Kriegsvölker, die damals im Herzogtum Mailand lagen, diese ganze Geschichte unserem Delio erzählte und ihn überdies versicherte, es sei ihm zwar aufgetragen worden, diesen Bologna zu ermorden; da er aber andern zu Gefallen nicht zum Schlächter werden möge, so habe er ihn auf eine gute Art warnen lassen, ihm nicht in den Weg zu kommen, und ihm auch die Nachricht mitgeteilt, daß seine Frau mit den Kindern und der Kammerfrau ganz gewiß schon erwürgt worden seien. Als Delio eines Tages bei Frau Ippolita Bentivoglia war, schlug Bologna eben die Laute und sang dazu ein rührendes Lied, das er über sein Unglück selbst gedichtet und in Musik gesetzt hatte. Als Delio, der ihn bisher nicht gekannt hatte, erfuhr, daß er der Gemahl der Herzogin von Main sei, wurde er von solchem Mitleiden mit ihm ergriffen, daß er ihn beiseite rief, ihn des Todes seiner Gemahlin versicherte und ihm eröffnete, er wisse gewiß, daß in Mailand Mörder für ihn gedungen seien. Er dankte Delio und sagte zu ihm: »Ihr seid falsch berichtet, Delio: denn ich habe Briefe aus Neapel von meinen Freunden, die mir versichern, der Staat werde in kurzem meine Güter wieder herausgeben, und auch von Rom aus habe ich gute Hoffnung, der erlauchte und hochwürdige Kardinal zürne mir nicht mehr so sehr, und noch weniger sein Bruder, und ich werde meine geliebte Gemahlin unfehlbar wiederbekommen.«
Delio durchschaute die List, womit man ihn umstrickt hatte, sagte ihm, was ihm zweckmäßig schien, und ging von dannen. Diejenigen, die ihn zu töten suchten, sahen am Ende ein, daß sie ihren Zweck mit ihm durch den Kriegsmann, den sie zu seinem Morde angestiftet hatten, nicht erreichen würden, weil er seinen erhaltenen Auftrag ziemlich lässig behandelte, und vertrauten sich einem andern Hauptmanne aus der Lombardei an, den sie zu der Untat, die sie ihm zur Pflicht gemacht hatten, aufs ernstlichste anfeuerten. Delio hatte dem Herrn L. Scipione aus Attella den ganzen bisherigen Verlauf der Geschichte erzählt und sagte, er wolle sie in seine Novellensammlung aufnehmen, da er doch gewiß wisse, daß der arme Bologna werde ermordet werden. Als L. Scipione und Delio eines Tages in Mailand bei dem großen Kloster sich zufällig begegneten, kam eben Bologna auf einem ausgezeichnet schönen spanischen Pferde heran auf dem Wege nach San Francesco zur Messe, vor ihm her zwei Diener, von welchen der eine eine Speerwaffe, der andere die Stundengebete Unserer Lieben Frau in der Hand hatte.
Delio sagte sogleich zu dem Attellanen: »Das ist Bologna!«
Dem Attellanen aber kam es vor, als sei Bologna ganz verstört im Gesichte, und er sagte zu ihm: »Bei Gott, er täte besser, in seiner schlimmen Lage statt des Gebetbuchs sich noch eine zweite Lanze voraustragen zu lassen.«
Der Attellane und Delio waren nun noch nicht bis zu San Giacomo gelangt, als sie einen großen Lärm hörten; denn Bologna war noch nicht bis San Francesco gekommen, so ward er von dem Hauptmann Daniele von Bozolo mit drei wohlbewaffneten Spießgesellen angefallen und mit einem ihm den Leib durch und durch bohrenden Stiche elendiglich getötet worden, ohne daß ihm irgend jemand hätte Hilfe leisten können. Diejenigen aber, die ihn nach ihrer Gemächlichkeit umgebracht hatten, zogen nach vollbrachter Tat ungehindert ihres Wegs weiter, und es dachte kein Mensch daran, sie darum etwa auf dem Rechtswege zu verfolgen.