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Fabeln aus Asien
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Der Affe als Richter

Aus Indien

Früher, als fast noch alle Tiere frei herumliefen und erst wenige von ihnen bei den Menschen wohnten, lebten im Haus eines Gelehrten ein Hund und eine Katze.

Eines Tages hatte der Gelehrte einen frisch gebackenen Kuchen geschenkt bekommen. Da er für ein paar Stunden das Haus verlassen mußte, stellte er ihn zur Sicherheit auf ein Brett, das an der Wand hing.

Die Katze hatte den Gelehrten aufmerksam beobachtet, und kaum war dieser zur Tür hinaus, sprang sie auf den Korbsessel, der am Fenster stand, von dort auf den Tisch, und von dort wagte sie den weiten Sprung auf das Brett.

Der Nagel, der das Brett mit einem Bambusgeflecht nur notdürftig verband, war diesem Ansturm nicht gewachsen. Polternd stürzte das Brett mit dem Kuchen und der Katze zu Boden.

Der Hund hatte sich schläfrig in der Sonne ausgestreckt und auf die Rückkehr seines Herrn gewartet. Bei dem plötzlichen Getöse fuhr er erschreckt auf und sauste in das Zimmer. Als er den wohlduftenden Kuchen in den Fängen der Katze sah, sprang er auf sie zu und wollte ihn ihr entreißen. Die Katze wehrte sich fauchend und verpaßte ihrem Hausgenossen einen kräftigen Schlag auf die Nase. Der Hund jaulte auf.

Ein Affe turnte gerade über die Gartenmauer und blickte neugierig zum Fenster hinein. »Warum streitet ihr zwei euch bei einem so herrlichen Wetter?« fragte er belustigt.

Der Hund bellte wütend: »Diese nichtsnutzige diebische Katze hat unserem Herrn seinen Kuchen stibitzt!« - »Was geht dich das an?« maunzte die Katze böse. »Während du faul in der Sonne gedöst hast, habe ich mich sehr geplagt. Ich habe mir den Kuchen mühsam verdient!«

»Unverschämtes, eigennütziges Biest«, knurrte der Hund, »glaubst du, du kannst den Kuchen allein essen? Er gehört unserem Herrn, ich habe also auch ein Anrecht darauf.«

»Hört auf zu streiten!« sagte der Affe. »Ist der Kuchen nicht groß genug für euch beide? Ich sehe dort auf dem Tisch eine Waage stehen. Ich werde euch die Beute in zwei gleiche Stücke teilen.«

Die Katze und der Hund waren damit einverstanden. Aufgeregt verfolgten sie, wie der Affe den Kuchen durchbrach und die eine Hälfte auf die eine, die zweite Hälfte auf die andere Waagschale legte. Die eine Waagschale plumpste hinunter. »Das Stück ist wohl etwas zu schwer«, meinte der Affe mit ernsthafter Miene, bröckelte ein paar Krumen davon ab und steckte sie genüßlich in den Mund.

Hund und Katze sahen erwartungsvoll zu, wie sich die Schale langsam wieder hob. »Jetzt ist es gut!« rief der Hund. »Nein!« sagte der Affe streng. »Das Kuchenstück ist noch etwas zu schwer. Man soll mir nicht nachsagen, daß ich ein ungerechter Richter bin.«

Mit diesen Worten brach er noch ein kleines Stück von dem Kuchen ab, und ließ es in seinen Mund wandern. Aber er hatte zuviel genommen, denn jetzt sank die andere Waagschale hinunter.

Der Affe murmelte ein paar unverständliche Worte und begann von dem zweiten Stück Krümel für Krümel abzubrechen und behaglich in den Mund zu schieben, bis die beiden Waagschalen sich nach und nach wieder näherten. Im letzten Augenblick nahm er nochmals zuviel von dem größeren Kuchenstück, so daß dieses jetzt kleiner wurde als das andere und die Waagschale sich hob. Er mußte seine Arbeit von neuem beginnen.

Dieser Vorgang wiederholte sich so lange, bis eine Waagschale schließlich ganz leer war und auf der anderen nur noch ein Stückchen lag.

Da wurde er böse und schimpfte mit dem Hund und der Katze: »Wegen solch einer lächerlichen Kleinigkeit zankt ihr euch und bemüht mich als Schiedsrichter? Ihr sollt euch schämen! Damit nun endgültig Frieden herrscht, esse ich das Kuchenstückchen selber auf.« Er steckte auch noch den letzten Happen in seinen Mund und schwang sich aus dem Fenster. Der Hund und die Katze sahen ihm verdutzt nach.

»Das hast du nun davon!« fauchte die Katze. »Warum bist du auch so geizig gewesen«, knurrte der Hund und trottete zurück an seinen Sonnenplatz. »Man kann sich auf niemanden mehr verlassen«, brummte er und schlief wieder ein.

 


 


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