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Wilhelm von Humboldt

Die Sprache, und nicht bloß im allgemeinen, sondern jede besondre, auch die ärmste und roheste, ist an und für sich ein des angestrengtesten Nachdenkens würdiger Gegenstand. Sie ist nicht bloß, wie man gewöhnlich zu sagen pflegt, der Abdruck der Ideen eines Volks: für viele ihrer Zeichen lassen sich die Ideen gar nicht abgesondert von ihr aufzeigen; sie ist die gesamte geistige Energie desselben, gleichsam durch ein Wunder in gewisse Töne gebannt, in dieser Gestalt durch den innren Zusammenhang dieser Klänge andern verständlich, und wieder die ähnliche Energie in ihnen, nur auf ihre Weise, erweckend. Der Mensch geht zwar über seine Sprache hinaus; er ist mehr, als er in Worten auszusprechen vermag; aber er muß den flüchtigen Geist in Worte fassen, um ihn zu heften, und die Worte als Stützen gebrauchen, um über sie selbst noch hinauszureichen. Mehrere Sprachen sind nicht ebensoviele Bezeichnungen einer Sache; es sind verschiedene Ansichten derselben, und wenn die Sache kein Gegenstand der äußeren Sinne ist, sind es oft ebensoviele, von jedem anders gebildete Sachen, in denen jeder nur soviel von dem Seinigen wiederfindet, um das Fremde darin erfassen und in sich übertragen zu können. Es sind Hieroglyphen, in denen jeder die Welt und seine Phantasie abdrückt, und die sich, da Welt und Phantasie im ganzen dieselben bleiben, und die Phantasie immer nach Gesetzen der Ähnlichkeit Bildungen an Bildungen reiht, gegenseitig wiedererzeugen, sich vervielfältigen und weiter bilden. Durch die Mannigfaltigkeit der Sprachen wächst unmittelbar für uns der Reichtum der Welt und die Mannigfaltigkeit dessen, was wir in ihr erkennen; es erweitert sich zugleich dadurch für uns der Umfang des Menschendaseins, und neue Arten zu denken und empfinden stehen in bestimmten und wirklichen Charakteren vor uns da. Da die Sprachen immer ein Eigentum ganzer Nationen sind, so dürfen wir in ihnen nie die Spitzfindigkeiten oder die Ausschweifungen der Phantasie befürchten, deren sich oft Einzelne schuldig machen. Was sie uns darbieten, ist volle, reine und schlichte Menschennatur; wenn wir aber die Tiefen ihrer Geheimnisse durchdringen, so können wir unsre trockne Verstandeskultur noch jetzt durch die jugendliche Einbildungskraft jener Völker auffrischen, die jeden Eindruck, wie die junge Welt ihn ihren noch unabgestumpften Sinnen darbot, in die Hülle eines beweglichen und lebendigen Bildes verschlossen.

Das Studium der Sprachen des Erdbodens ist also die Weltgeschichte der Gedanken und Empfindungen der Menschheit. Sie schildert den Menschen unter allen Zonen, und in allen Stufen seiner Kultur; in ihr darf nichts fehlen, weil alles, was den Menschen betrifft, den Menschen gleich nahe angeht.

 

Die Sprache muß, meiner vollsten Überzeugung nach, als unmittelbar in den Menschen gelegt angesehen werden; denn als Werk seines Verstandes in der Klarheit des Bewußtseins ist sie durchaus unerklärbar. Es hilft nicht, zu ihrer Erfindung Jahrtausende und abermals Jahrtausende einzuräumen. Die Sprache ließe sich nicht erfinden, wenn nicht ihr Typus schon in dem menschlichen Verstände vorhanden wäre. Damit der Mensch nur ein einziges Wort wahrhaft, nicht als bloßen sinnlichen Anstoß, sondern als artikulierten, einen Begriff bezeichnenden Laut verstehe, muß schon die Sprache ganz und im Zusammenhange in ihm liegen. Es gibt nichts Einzelnes in der Sprache, jedes ihrer Elemente kündigt sich nur als Teil eines Ganzen an. So natürlich die Annahme allmählicher Ausbildung der Sprachen ist, so konnte die Erfindung nur mit Einem Schlage geschehen. Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache; um aber die Sprache zu erfinden, müßte er schon Mensch sein. So wie man wähnt, daß dies allmählich und stufenweise, gleichsam umzechig, geschehen, durch einen Teil mehr erfundener Sprache der Mensch mehr Mensch werden und durch diese Steigerung wieder mehr Sprache erfinden könne, verkennt man die Untrennbarkeit des menschlichen Bewußtseins und der menschlichen Sprache, und die Natur der Verstandeshandlung, welche zum Begreifen eines einzigen Wortes erfordert wird, aber hernach hinreicht, die ganze Sprache zu fassen. Darum aber darf man sich die Sprache nicht als etwas fertig Gegebenes denken, da sonst eben so wenig zu begreifen wäre, wie der Mensch die gegebene verstehen und sich ihrer bedienen könnte. Sie geht notwendig aus ihm selbst hervor, und gewiß auch nur nach und nach, aber so, daß ihr Organismus nicht zwar als eine tote Masse im Dunkel der Seele liegt, aber als Gesetz die Funktionen der Denkkraft bedingt, und mithin das erste Wort schon die ganze Sprache antönt und voraussetzt. Wenn sich daher dasjenige, wovon es eigentlich nichts Gleiches im ganzen Gebiete des Denkbaren gibt, mit etwas anderem vergleichen läßt, so kann man an den Natur-Instinkt der Tiere erinnern, und die Sprache einen intellektuellen der Vernunft nennen. So wenig sich der Instinkt der Tiere aus ihren geistigen Anlagen erklären läßt, eben so wenig kann man für die Erfindung der Sprachen Rechenschaft geben aus den Begriffen und dem Denkvermögen der rohen und wilden Nationen, welche ihre Schöpfer sind. Ich habe mir daher nie vorstellen können, daß ein sehr konsequenter und in seiner Mannigfaltigkeit künstlicher Sprachbau große Gedankenübung voraussetzen, und eine verloren gegangene Bildung beweisen sollte. Aus dem rohesten Naturstande kann eine solche Sprache, die selbst Produkt der Natur, aber der Natur der menschlichen Vernunft ist, hervorgehen. Konsequenz, Gleichförmigkeit, auch bei verwickeltem Bau, ist überall Gepräge der Erzeugnisse der Natur, und die Schwierigkeit, sie hervorzubringen, ist nicht die hauptsächlichste. Die wahre der Spracherfindung liegt nicht sowohl in der Aneinanderreihung und Unterordnung einer Menge sich auf einander beziehender Verhältnisse, als vielmehr in der unergründlichen Tiefe der einfachen Verstandeshandlung, die überhaupt zum Verstehen und Hervorbringen der Sprache auch in einem einzigen ihrer Elemente gehört. Ist dies geschehn, so folgt alles übrige von selbst, und es kann nicht erlernt werden, muß ursprünglich im Menschen vorhanden sein. Der Instinkt des Menschen aber ist minder gebunden, und läßt dem Einflüsse der Individualität Raum. Daher kann das Werk des Vernunft-Instinkts zu größerer oder geringerer Vollkommenheit gedeihen, da das Erzeugnis des tierischen eine stetigere Gleichförmigkeit bewahrt, und es widerspricht nicht dem Begriffe der Sprache, daß einige in dem Zustande, in welchem sie uns erscheinen, der vollendeter. Ausbildung wirklich unfähig wären. Die Erfahrung bei Übersetzungen aus sehr verschiedenen Sprachen, und bei dem Gebrauche der rohesten und ungebildetsten zur Unterweisung in den geheimnisvollsten Lehren einer geoffenbarten Religion zeigt zwar, daß sich, wenn auch mit großen Verschiedenheiten des Gelingens, in jeder jede Ideenreihe ausdrücken läßt. Dies aber ist bloß eine Folge der allgemeinen Verwandtschaft aller und der Biegsamkeit der Begriffe und ihrer Zeichen. Für die Sprachen selbst und ihren Einfluß auf die Nationen beweist nur was aus ihnen natürlich hervorgeht; nicht das, wozu sie gezwängt werden können, sondern das, wozu sie einladen und begeistern.

 

Die Sprache ist kein freies Erzeugnis des einzelnen Menschen, sondern gehört immer der ganzen Nation an; auch in dieser empfangen die späteren Generationen dieselbe von früher dagewesenen Geschlechtern. Dadurch daß sich in ihr die Vorstellungsweise aller Alter, Geschlechter, Stände, Charakter- und Geistesverschiedenheiten desselben Völkerstamms, dann durch den Übergang von Wörtern und Sprachen, verschiedener Nationen, endlich, bei zunehmender Gemeinschaft, des ganzen Menschengeschlechts mischt, läutert und umgestaltet, wird die Sprache der große Übergangspunkt von der Subjektivität zur Objektivität, von der immer beschränkten Individualität zu alles zugleich in sich befassendem Dasein. Erfindung nie vorher vernommener Lautzeichen läßt sich nur bei dem über alle menschliche Erfahrung hinausgehenden Ursprung der Sprachen denken. Wo der Mensch irgend bedeutsame Laute überliefert erhalten hat, bildet er seine Sprache an sie an und baut nach der durch sie gegebenen Analogie seine Mundart aus. Dies liegt in dem Bedürfnis, sich verständlich zu machen, in dem durchgängigen Zusammenhang aller Teile und Elemente jeder Sprache und aller Sprachen unter einander und in der Einerleiheit des Sprachvermögens. Es ist auch selbst für die grammatische Spracherklärung wichtig, fest im Auge zu behalten, daß die Stämme, welche die auf uns gekommenen Sprachen bildeten, nicht leicht zu erfinden, aber da, wo sie selbsttätig wirkten, das von ihnen Vorgefundene zu verteilen und anzuwenden hatten. Von vielen feinen Nuancen grammatischer Formen läßt sich nur dadurch Rechenschaft geben. Man würde schwerlich verschiedene Bezeichnungen für sie erfunden haben; dagegen war es natürlich, die schon vorhandenen verschiedenen nicht gleichgültig zu gebrauchen. Die Hauptelemente der Sprache, die Wörter, sind es vorzüglich, die von Nation zu Nation überwandern. Den grammatischen Formen wird dies schwerer, da sie, von feinerer intellektueller Natur, mehr in dem Verstände ihren Sitz haben, als materiell und sich selbst erklärend an den Lauten haften. Zwischen den ewig wechselnden Geschlechtern der Menschen und der Welt der darzustellenden Objekte stehen daher eine unendliche Anzahl von Wörtern, die man, wenn sie auch ursprünglich nach Gesetzen der Freiheit erzeugt sind, und immerfort auf diese Weise gebraucht werden, eben sowohl, als die Menschen und Objekte, als selbständige, nur geschichtlich erklärbare, nach und nach durch die vereinte Kraft der Natur, der Menschen und Ereignisse entstandene Wesen ansehen kann. Ihre Reihe erstreckt sich so weit in das Dunkel der Vorwelt hinaus, daß sich der Anfang nicht mehr bestimmen läßt; ihre Verzweigung umfaßt das ganze Menschengeschlecht, so weit je Verbindung unter demselben gewesen ist; ihr Fortwirken und ihre Forterzeugung könnte nur dann einen Endpunkt finden, wenn alle jetzt lebende Geschlechter vertilgt und alle Fäden der Überlieferung auf einmal abgeschritten würden. Indem nun die Nationen sich dieser schon vor ihnen vorhandenen Sprachelemente bedienen, indem diese ihre Natur der Darstellung der Objekte beimischen, ist der Ausdruck nicht gleichgültig und der Begriff nicht von der Sprache unabhängig. Der durch die Sprache bedingte Mensch wirkt aber wieder auf sie zurück, und jede besondere ist daher das Resultat drei verschiedener zusammentreffender Wirkungen: der realen Natur der Objekte, insofern sie den Eindruck auf das Gemüt hervorbringt, der subjektiven der Nation, und der eigentümlichen der Sprache durch den fremden ihr beigemischten Grundstoff und durch die Kraft, mit der alles einmal in sie Übergegangene, wenn auch ursprünglich ganz frei geschaffen, nur in gewissen Grenzen der Analogie Fortbildung erlaubt. Durch die gegenseitige Abhängigkeit des Gedankens und des Wortes von einander leuchtet es klar ein, daß die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken. Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst. Hierin ist der Grund und der letzte Zweck aller Sprachuntersuchung enthalten. Die Summe des Erkennbaren liegt, als das von dem menschlichen Geiste zu bearbeitende Feld, zwischen allen Sprachen und unabhängig von ihnen in der Mitte; der Mensch kann sich diesem rein objektiven Gebiet nicht anders, als nach seiner Erkennungs- und Empfindungsweise, also auf einem subjektiven Wege, nähern. Gerade da, wo die Forschung die höchsten und tiefsten Punkte berührt, findet sich der von jeder besonderen Eigentümlichkeit am leichtesten zu trennende mechanische und logische Verstandesgebrauch am Ende seiner Wirksamkeit, und es tritt ein Verfahren der inneren Wahrnehmung und Schöpfung ein, von dem bloß so viel deutlich wird, daß die objektive Wahrheit aus der ganzen Kraft der subjektiven Individualität hervorgeht.

 

In jeder Sprache liegt eine eigentümliche Weltansicht. Wie der einzelne Laut zwischen den Gegenstand und den Menschen, so tritt die ganze Sprache zwischen ihn und die innerlich und äußerlich auf ihn einwirkende Natur. Er umgibt sich mit einer Welt von Lauten, um die Welt von Gegenständen in sich aufzunehmen und zu bearbeiten. Diese Ausdrücke überschreiten auf keine Weise das Maß der einfachen Wahrheit. Der Mensch lebt mit den Gegenständen hauptsächlich, ja, da Empfinden und Handeln in ihm von seinen Vorstellungen abhängen, sogar ausschließlich so, wie die Sprache sie ihm zuführt. Durch denselben Akt, vermöge dessen er die Sprache aus sich herausspinnt, spinnt er sich in dieselbe ein, und jede zieht um das Volk, welchem sie angehört, einen Kreis, aus dem es nur insofern hinauszugehen möglich ist, als man zugleich in den Kreis einer andren hinübertritt. Die Erlernung einer fremden Sprache sollte daher die Gewinnung eines neuen Standpunkts in der bisherigen Weltansicht sein, und ist es in der Tat bis auf einen gewissen Grad, da jede Sprache das ganze Gewebe der Begriffe und die Vorstellungsweise eines Teils der Menschheit enthält.

 

Wenn man bedenkt, wie auf die jedesmalige Generation in einem Volke alles dasjenige bildend einwirkt, was die Sprache desselben alle vorigen Jahrhunderte hindurch erfahren hat, und wie damit nur die Kraft der einzelnen Generation in Berührung tritt, und diese nicht einmal rein, da das aufwachsende und abtretende Geschlecht untermischt neben einander leben, so wird klar, wie gering eigentlich die Kraft des Einzelnen gegen die Macht der Sprache ist Nur durch die ungemeine Bildsamkeit der letzteren, durch die Möglichkeit, ihre Formen, dem allgemeinen Verständnis unbeschadet, auf sehr verschiedene Weise aufzunehmen, und durch die Gewalt, welche alles lebendig Geistige über das tot Überlieferte ausübt, wird das Gleichgewicht wieder einigermaßen hergestellt. Doch ist es immer die Sprache, in welcher jeder Einzelne am lebendigsten fühlt, daß er nichts als ein Ausfluß des ganzen Menschengeschlechts ist.

 

Alles, was Jahrhunderte hindurch auf ein Volk einwirkt, findet in seiner vaterländischen Sprache, die ja selbst dadurch mitgebildet ist, freiwillig erwidernde Begegnung. Es ist überhaupt die Natur der Sprache, sich an alles Vorhandne, Körperliche, Einzelne, Zufällige zu heften, aber dasselbe in ein idealisches, geistiges, allgemeines, notwendiges Gebiet hinüberzuspielen, und ihm darin eine an seinen Ursprung erinnernde Gestaltung zu leihen; allein nur der vaterländischen gelingt es, diesem schon in sich mit ihr verwandten Stoffe sein volles Recht zu erhalten, und durch die freiwillige Begeisterung der Brust ihn schärfer, tiefer und eigentümlicher auszuprägen, als je in einer toten oder fremden möglich ist. Zwar dringt der Mensch in seiner Individualität durch jeden Zwang auch des ihn am mächtigsten beherrschenden Werkzeugs hindurch. Wie die neuere Latinität auch strebt, die Farbe des Altertums anzunehmen, strahlt aus ihr doch, und dies darf ihr gewiß nicht zum Tadel angerechnet werden, die ihrer Zeit wider, und gerade in den guten Latinisten der verschiednen Nationen erkennt der irgend Geübte immer ihren nationellen Charakter; es fehlt aber natürlich der freie und volle Erguß und die rein gediegene Eigentümlichkeit. Die Sprachen trennen allerdings die Nationen, aber nur um sie auf eine tiefere und schönere Weise wieder inniger zu verbinden; sie gleichen darin den Meeren, die, anfangs furchtsam an den Küsten umschifft, die länderverbindendsten Straßen geworden sind. Das Ineinanderwirken hochgebildeter Nationen hat erst den ganzen Prozeß des geistigen Lebens, welchen die zu vollendeter Entwicklung ihrer Intellektualität gelangenden durchgehen, an leuchtenden und deutlich zu erkennenden Beispielen entfaltet. Die Sprache spielt natürlich in demselben die wichtigste Rolle, und das Letzte und Höchste ihrer Wirksamkeit, ihre eigentliche Bestimmung wird erst hieran sichtbar. Sie bezeichnet die Gegenstände, leiht den Empfindungen Ausdruck, besitzt ihr eigentümliches Lautsystem, ihre Analogien der Wortbildung, ihre grammatischen Gesetze. Dies ist die breite, schon zu ihrem unmittelbarsten Zweck, dem Verständnis, notwendige Basis, auf welcher sie ruht, und die das sorgfältigste, strengste, in jede Einzelnheit eindringende Studium erfordert. An dieser Form leitet sie die Nation, aber umschlingt sie auch beschränkend, mit dieser eröffnet sie ihr die Welt, mischt aber der Farbe der Gegenstände auch die ihrige bei. Sie dient den niedrigsten Zwecken und Bedürfnissen des Menschen, führt aber unbemerkt, wie von selbst, alles ins Allgemeinere und Höhere hinauf, und das Geistige kann sich nur durch sie Geltung verschaffen. Sie vermittelt die Verschiedenheit der Individualitäten, heftet durch Oberlieferung und Schrift das sonst unwiederbringlich Verhallende, und hält der Nation, ohne daß diese sich dessen selbst einzeln bewußt wird, in jedem Augenblick ihre ganze Denk- und Empfindungsweise, die ganze Masse des geistig von ihr Errungenen, wie einen Boden gegenwärtig, von dem sich der auftretend beflügelte Fuß zu neuen Aufschwüngen erheben kann, als eine Bahn, die, ohne zwängend einzuengen, gerade durch die Begrenzung die Stärke begeisternd vermehrt. In welchem Grade, welcher Art sie dies tut, steht aber in durchgängiger Verbindung mit dem, was wir eben ihre Basis nannten, und die Forschung der Sprachkunde muß immer auf diesen Zusammenhang, immer zugleich auf die beiden Endpunkte des Ganges der Sprachen gerichtet sein.

Durch diesen heftenden, leitenden und bildenden Einfluß der Sprache wird auch erst der höhere, und oft wohl nicht deutlich genug erkannte Begriff des Wortes »Nation« sichtbar, so wie die Stelle, welche die Verteilung der Nationen in dem großen Gange einnimmt, auf dem sich der geistige Bildungstrieb des Menschengeschlechts seine Bahn bricht. Eine Nation in diesem Sinne ist eine durch eine bestimmte Sprache charakterisierte geistige Form der Menschheit, in Beziehung auf idealische Totalität individualisiert. In allem, was die menschliche Brust bewegt, namentlich aber in der Sprache, liegt nicht nur ein Streben nach Einheit und Allheit, sondern auch eine Ahndung, ja eine innere Überzeugung, daß das Menschengeschlecht, trotz aller Trennung, aller Verschiedenheit, dennoch in seinem Urwesen und seiner letzten Bestimmung unzertrennlich und eins ist. Die Sehnsucht in allen konkreten Gestalten, die sie in dem ewig untermischt sinnlich und geistig angeregten Menschen annimmt, ist, so wie sie auf Ergänzung des vereinzelten Daseins geht, Aushauch dieses einen Gefühls. Die Individualität zerschlägt, aber auf eine so wunderbare Weise, daß sie gerade durch die Trennung das Gefühl der Einheit weckt, ja als ein Mittel erscheint, diese wenigstens in der Idee herzustellen. Das Menschengeschlecht kann nicht als zu einem Zwecke bestimmt angesehen werden, der, wie ein Werk, oder die Befolgung eines Gebots, die innere Übereinstimmung mit einer Maxime, einmal seinen Endpunkt erreicht. Es ist zu einem Entwicklungsgange bestimmt, in dem wir keinen endlichen Stillstand an erreichtem Ziele wahrnehmen, der vielmehr jeden solchen Stillstand, seiner Idee selbst nach, zurückweist. Denn tief innerlich nach jener Einheit und Allheit ringend, möchte der Mensch über die trennenden Schranken seiner Individualität hinaus, muß aber gerade, da er, gleich dem Riesen, der nur von der Berührung der mütterlichen Erde seine Kraft empfängt, nur in ihr Stärke besitzt, seine Individualität in diesem höheren Ringen erhöhen. Er macht also immer zunehmende Fortschritte in einem in sich unmöglichen Streben. Hier kommt ihm nun auf eine wahrhaft wunderbare Weise die Sprache zu Hülfe, die auch verbindet, indem sie vereinzelt, und in die Hülle des individuellsten Ausdrucks die Möglichkeit allgemeinen Verständnisses einschließt. Die Sprachen aber werden nur von Nationen erzeugt, festgehalten und verändert, die Verteilung des Menschengeschlechts nach Nationen ist nur seine Verteilung nach Sprachen, und auf diese Weise ist sie es allein, welche die sich in Individualität der Allheit nähernde Entwicklung der Menschheit zu begünstigen vermag. Dasselbe Streben, welches das Innere des Menschen zur Einheit hinlenkt, sucht auch äußerlich sein ganzes Geschlecht zu verbinden, und so ist sie in allen Beziehungen ein vermittelndes, verknüpfendes, ihn vor der Entartung durch Vereinzelung bewahrendes Prinzip. Der Einzelne, wo, wann und wie er lebt, ist ein abgerissenes Bruchstück seines ganzen Geschlechts, und die Sprache beweist und unterhält diesen ewigen, die Schicksale des Einzelnen und die Geschichte der Welt leitenden Zusammenhang.

 

Die Einsicht in das eigentliche Wesen einer Nation und in den inneren Zusammenhang einer einzelnen Sprache, so wie in das Verhältnis derselben zu den Sprachforderungen überhaupt, hängt ganz und gar von der Betrachtung der gesamten Geisteseigentümlichkeit ab. Denn nur durch diese, wie die Natur sie gegeben und die Lage darauf eingewirkt hat, schließt sich der Charakter der Nation zusammen, auf dem allein, was sie an Taten, Einrichtungen und Gedanken hervorbringt, beruht und in dem ihre sich wieder auf die Individuen fortvererbende Kraft und Würde liegt. Die Sprache auf der andren Seite ist das Organ des inneren Seins, dies Sein selbst, wie es nach und nach zur inneren Erkenntnis und zur Äußerung gelangt. Sie schlägt daher alle feinste Fibern ihrer Wurzeln in die nationelle Geisteskraft; und je angemessener diese auf sie zurückwirkt, desto gesetzmäßiger und reicher ist ihre Entwicklung. Da sie in ihrer zusammenhängenden Verwebung nur eine Wirkung des nationellen Sprachsinns ist, so lassen sich gerade die Fragen, welche die Bildung der Sprachen in ihrem innersten Leben betreffen und woraus zugleich ihre wichtigsten Verschiedenheiten entspringen, gar nicht gründlich beantworten, wenn man nicht bis zu diesem Standpunkte hinaufsteigt.

 

Die Geisteseigentümlichkeit und die Sprachgestaltung eines Volkes stehen in solcher Innigkeit der Verschmelzung in einander, daß, wenn die eine gegeben wäre, die andre müßte vollständig aus ihr abgeleitet werden können. Denn die Intellektualität und die Sprache gestatten und befördern nur einander gegenseitig zusagende Formen. Die Sprache ist gleichsam die äußerliche Erscheinung des Geistes der Völker; ihre Sprache ist ihr Geist und ihr Geist ihre Sprache, man kann sich beide nie identisch genug denken. Wie sie in Wahrheit mit einander in einer und ebenderselben unserem Begreifen unzugänglichen Quelle zusammenkommen, bleibt uns unerklärlich verborgen.

 

Die Sprache ist tief in die geistige Entwicklung der Menschheit verschlungen, sie begleitet dieselbe auf jeder Stufe ihres lokalen Vor- oder Rückschreitens, und der jedesmalige Kulturzustand wird auch in ihr erkennbar. Es gibt aber eine Epoche, in der wir nur sie erblicken, wo sie nicht die geistige Entwicklung bloß begleitet, sondern ganz ihre Stelle einnimmt. Die Sprache entspringt zwar aus einer Tiefe der Menschheit, welche überall verbietet, sie als ein eigentliches Werk und als eine Schöpfung der Völker zu betrachten. Sie besitzt eine sich uns sichtbar offenbarende, wenn auch in ihrem Wesen unerklärliche Selbsttätigkeit, und ist, von dieser Seite betrachtet, kein Erzeugnis der Tätigkeit, sondern eine unwillkürliche Emanation des Geistes, nicht ein Werk der Nationen, sondern eine ihnen durch ihr inneres Geschick zugefallene Gabe. Sie bedienen sich ihrer, ohne zu wissen, wie sie dieselbe gebildet haben.

 

Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefaßt, ist etwas beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wieder bedarf, daß man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Tätigkeit (Energeia). Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische sein. Sie ist nämlich die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedanken fähig zu machen.

 

Wenn man die Sprachen genetisch, als eine auf einen bestimmten Zweck gerichtete Geistesarbeit betrachtet, so fällt es von selbst in die Augen, daß dieser Zweck in minderem oder höherem Grade erreicht werden kann, ja es zeigen sich sogar die verschiedenen Hauptpunkte, in welchen diese Ungleichheit der Erreichung des Zweckes bestehen wird. Das bessere Gelingen kann nämlich in der Stärke und Fülle der auf die Sprache wirkenden Geisteskraft überhaupt, dann aber auch in der besonderen Angemessenheit derselben zur Sprachbildung liegen, also z. B. in der besonderen Klarheit und Anschaulichkeit der Vorstellungen, in der Tiefe der Eindringung in das Wesen eines Begriffs, um aus demselben gleich das am meisten bezeichnende Merkmal loszureißen, in der Geschäftigkeit und der schaffenden Stärke der Phantasie, in dem richtig empfundenen Gefallen an Harmonie und Rhythmus der Töne, wohin also auch Leichtigkeit und Gewandtheit der Lautorgane und Schärfe und Feinheit des Ohres gehören. Ferner aber ist auch die Beschaffenheit des überkommenen Stoffs und der geschichtlichen Mitte zu beachten, in welcher sich, zwischen einer auf sie einwirkenden Vorzeit und den in ihr selbst ruhenden Keimen fernerer Entwicklung, eine Nation in der Epoche einer bedeutenden Sprachumgestaltung befindet.

 

Wie der Geist etwas wahrhaft Neues schafft, muß er mit der Sprache, es auszudrücken, ringen; durch dies Ringen, zu welchem sie ihm selber die Kraft leiht, gewinnt die Sprache, sie kann sogar auf dem intellektuellen Wege nur so und auf keine andre Weise gewinnen. Denn nur so wirkt der Mensch mit einer Kraft auf sie, welche, wie sie selbst, aus seinem Innersten hervorstrahlend, ihm in der Art ihres Wirkens selbst unbekannt ist. In diesem intellektuellen Streben, das sich, so wie einmal das Höchste darin gezeigt ist, absteigend, nie allmählich aufsteigend, in schwächeren Graden weiter verbreitet, geht, wie überhaupt, so ganz besonders für die Sprache das Wichtigste und Wohltätigste von der Philosophie und der Dichtung aus. Die Dichtung gehört ihr ganz und ausschließlich an, aber auch die Philosophie steht mit ihr in einem engeren Bunde. Da sie rein auf Gedanken beruht, und der Gedanke untrennbar mit der Sprache verwachsen ist, so muß die wirklich schaffende Philosophie (denn nur von dieser kann und darf hier die Rede sein) sie so behandeln, daß sie den Gedanken, wo er über das logisch Erklärbare hinausgeht, ergänzt und seine Erzeugung befördert. Die Sprache empfindet daher ihre Wirksamkeit in ihrem innersten Leben und ihren verborgensten Tiefen, und eine wahrhaft und in Freiheit metaphysisch gebildete Sprache, in der Art wie es die griechische war, ist zur Erreichung der höchsten Intellektualität in einer Nation eine unerläßliche Bedingung. Die Philosophie, in deren Bestreben es liegt, immer das Einzelne an Allgemeineres zu knüpfen und endlich in die Tiefe hinabzusteigen, wo der Mensch und die Natur sich in Einheit zusammenschließen, ist zugleich der Mittelpunkt, von dem jedes wissenschaftliche, ja überhaupt jedes nur irgend auf innere Zwecke gerichtete menschliche Bemühen seine Richtung und sein geistiges Leben empfängt. Es gibt daher kaum einen Punkt, wo die Sprache ihres wohltätigen Einflusses entbehrt. Je wahrhafter philosophisch der Charakter der wissenschaftlichen Bildung in einer Nation ist, desto fördernder wird er der Sprache. Es wäre ein Irrtum zu glauben, daß darum die Dichtung in ihr verlöre. Vielmehr welkt diese früher und unwiederbringlich dahin, wo sie in einem Zeitalter oder einem Volk allein, ohne gleichmäßiges philosophisches Fortschreiten desselben, aufblüht.

 

Auf die Sprache übt die Seelenstimmung einen besondren Einfluß. Sie gestaltet sich anders in einem Volke, das gern die einsamen Wege abgezogenen Nachdenkens verfolgt, und in Nationen, die des vermittelnden Verständnisses hauptsächlich zu äußerem Treiben bedürfen. Das Symbolische wird ganz anders von den ersteren erfaßt, und ganze Teile des Sprachgebiets bleiben bei den letzteren unangebaut. Denn die Sprache muß erst durch ein noch dunkles und unentwickeltes Gefühl in die Kreise eingeführt werden, über die sie ihr Licht ausgießen soll.

 

Die Sprache, der Mittelpunkt, in welchem sich die verschiedensten Individualitäten durch Mitteilung äußerer Bestrebungen und innerer Wahrnehmungen vereinigen, steht mit dem Charakter in der engsten und regsten Wechselwirkung. Die kraftvollsten und die am leisesten berührbaren, die eindringendsten und die am fruchtbarsten in sich lebenden Gemüter gießen in sie ihre Stärke und Zartheit, ihre Tiefe und Innerlichkeit, und sie schickt zur Fortbildung der gleichen Stimmungen die verwandten Klänge aus ihrem Schoße herauf. Der Charakter, je mehr er sich veredelt und verfeinert, ebnet und vereinigt die einzelnen Seiten des Gemüts und gibt ihnen, gleich der bildenden Kunst, eine in ihrer Einheit zu fassende, aber den jedesmaligen Umriß immer reiner aus dem Innern hervorbildende Gestalt. Diese Gestaltung ist aber die Sprache durch die feine, oft im einzelnen unsichtbare, aber in ihr ganzes wundervolles symbolisches Gewebe verflochtene Harmonie darzustellen und zu befördern geeignet.

 

Je freier und vielseitiger eine Nation in ihrem geistigen Schaffen, je mehr sie von der Überzeugung durchdrungen ist, daß das in jeder Sprache einzeln Vortreffliche muß auch aus ihr auf irgend eine eigentümliche Weise zurückstrahlen können, desto mehr erweitert sie den gesetzmäßigen Kreis der Behandlung ihrer Sprache. In der deutschen ist dieser Vorzug besonders sichtbar, und sie hat hierin ein großes und edles Vorbild an der römischen. Kein Volk ist wohl je eifersüchtiger auf seine Nationaleigentümlichkeit gewesen, als das römische, und doch leuchtet aus den Schriftstellern der schönen Zeit der römischen Literatur, vorzüglich den Dichtern, das Bestreben, sich griechische Sprachformen und Wendungen anzueignen, unverkennbar hervor. Es wäre durchaus ungerecht, die Nationen darum einer tadelhaften Nachgiebigkeit gegen das Fremde zu beschuldigen. Das Bewahren der Nationalität ist nur dann wahrhaft achtungswürdig, wann es zugleich den Grundsatz in sich faßt, die scheidende Grenze immer feiner, und daher immer weniger trennend zu machen, sie nie zu beengender Schranke werden zu lassen. Denn nur dann fließt es aus einem wirklichen Gefühl für die Veredlung des Individuums und der Menschheit her, welche das letzte Ziel alles Strebens sind. Wie bei Völkerzügen und durch andre geschichtliche Ereignisse Umänderungen der Sprachen durch die Mischung der Nationen erzeugt werden, so entstehen auch, wenn sich ihre Gedanken in ihren Literaturen berühren, ähnliche, nur feinere und weniger in die Augen fallende, und dies ist allein das Werk der Bildung und geht erst durch sie, und nicht einmal immer, auf das Volk über. Jene geschichtliche Mischung der Nationen selbst wirkt, wie alles, was Natur und Schicksal herbeiführen, vorherrschend und sprachenerzeugend, beginnt aber bei dem am meisten Materiellen in der Sprache, dem Einführen neuer Wörter, und dringt, auch wo sie dies in überschwenglichem Maße tut, und selbst in der Betonung, einem jeder Sprache so eigentümlichen Punkt, sichtbar ist, doch, wie das Beispiel des Englischen zeigt, in den wortverknüpfenden Sprachbau nicht immer tief ein. Die Wörter aber weiß sie durch den täglichen Volksgebrauch bis zu organischer Einverleibung zusammenzuschmelzen. Die intellektuelle Berührung ist auch im intellektuellen Teile der Sprache wirksamer, und trifft daher am meisten die Konstruktion. Die durch sie eingeführten Wörter sind mehr technische und wissenschaftliche, als tief ins Leben eingreifende, und bleiben oft mehr ein äußerer Zuwachs, als sich mit der Sprache wahrhaft innig zu verschmelzen.

 

Man hat schon öfter bemerkt, und die Untersuchung sowohl als die Erfahrung bestätigen es, daß, so wie man von den Ausdrücken absieht, die bloß körperliche Gegenstände bezeichnen, kein Wort einer Sprache vollkommen einem in einer andren Sprache gleich ist. Verschiedene Sprachen sind in dieser Hinsicht nur ebensoviel Synonymien; jede drückt den Begriff etwas anders, mit dieser oder jener Nebenbestimmung, eine Stufe höher oder tiefer auf der Leiter der Empfindungen aus. Eine solche Synonymik der hauptsächlichsten Sprachen, auch nur (was gerade vorzüglich dankbar wäre) des Griechischen, Lateinischen und Deutschen, ist noch nie versucht worden, ob man gleich in vielen Schriftstellern Bruchstücke dazu findet; aber bei geistvoller Behandlung müßte sie zu einem der anziehendsten Werke werden. Ein Wort ist so wenig ein Zeichen eines Begriffs, daß ja der Begriff ohne dasselbe nicht entstehen, geschweige denn fest gehalten werden kann; das unbestimmte Wirken der Denkkraft zieht sich in ein Wort zusammen, wie leichte Gewölke am heitren Himmel entstehen. Nun ist es ein individuelles Wesen, von bestimmtem Charakter und bestimmter Gestalt von einer auf das Gemüt wirkenden Kraft, und nicht ohne Vermögen sich fortzupflanzen. Wenn man sich die Entstehung eines Worts menschlicher Weise denken wollte (was aber schon darum unmöglich ist, weil das Aussprechen desselben auch die Gewißheit, verstanden zu werden, voraussetzt, und die Sprache überhaupt sich nur als ein Produkt gleichzeitiger Wechselwirkung, in der nicht einer dem andern zu helfen im Stande ist, sondern jeder seine und aller übrigen Arbeit zugleich in sich tragen muß, gedacht werden kann), so würde dieselbe der Entstehung einer idealen Gestalt in der Phantasie des Künstlers gleich sehen. Auch diese kann nicht von etwas Wirklichem entnommen werden, sie entsteht durch eine reine Energie des Geistes, und im eigentlichsten Verstande aus dem Nichts; von diesem Augenblick an aber tritt sie ins Leben ein, und ist nun wirklich und bleibend. Welcher Mensch, auch außer dem künstlerischen und genialischen Hervorbringen, hat sich nicht, oft schon in früher Jugend, Gebilde der Phantasie geschaffen, mit denen er hernach oft vertrauter lebt als mit den Gestalten der Wirklichkeit? Wie könnte daher je ein Wort, dessen Bedeutung nicht unmittelbar durch die Sinne gegeben ist, vollkommen einem Worte einer andern Sprache gleich sein? Es muß notwendig Verschiedenheiten darbieten, und wenn man die besten, sorgfältigsten, treuesten Übersetzungen genau vergleicht, so erstaunt man, welche Verschiedenheit da ist, wo man bloß Gleichheit und Einerleiheit zu erhalten suchte. Man kann sogar behaupten, daß eine Übersetzung um so abweichender wird, je mühsamer sie nach Treue strebt. Denn sie sucht alsdann auch feine Eigentümlichkeiten nachzuahmen, vermeidet das bloß Allgemeine, und kann doch immer nur jeder Eigentümlichkeit eine verschiedne gegenüberstellen. Dies darf indes vom Übersetzen nicht abschrecken. Das Übersetzen, und gerade der Dichter, ist vielmehr eine der notwendigsten Arbeiten in einer Literatur, teils um den nicht Sprachkundigen ihnen sonst ganz unbekannt bleibende Formen der Kunst und der Menschheit, wodurch jede Nation immer bedeutend gewinnt, zuzuführen, teils aber und vorzüglich zur Erweiterung der Bedeutsamkeit und der Ausdrucksfähigkeit der eignen Sprache. Denn es ist die wunderbare Eigenschaft der Sprachen, daß alle erst zu dem gewöhnlichen Gebrauche des Lebens hinreichen, dann aber durch den Geist der Nation, die sie bearbeitet, bis ins Unendliche hin zu einem höheren und immer mannigfaltigeren gesteigert werden können. Es ist nicht zu kühn zu behaupten, daß in jeder, auch in den Mundarten sehr roher Völker, die wir nur nicht genug kennen (womit aber gar nicht gesagt werden soll, daß nicht eine Sprache ursprünglich besser als eine andre, und nicht einige andren auf immer unerreichbar wären), sich alles, das Höchste und Tiefste, Stärkste und Zarteste ausdrücken läßt. Allein diese Töne schlummern, wie in einem ungespielten Instrument, bis die Nation sie hervorzulocken versteht. Alle Sprachformen sind Symbole, nicht die Dinge selbst, nicht verabredete Zeichen, sondern Laute, welche mit den Dingen und Begriffen, die sie darstellen, durch den Geist, in dem sie entstanden sind und immerfort entstehen, sich in wirklichem, wenn man es so nennen will, mystischem Zusammenhange befinden, welche die Gegenstände der Wirklichkeit gleichsam aufgelöst in Ideen enthalten, und nun auf eine Weise, der keine Grenze gedacht werden kann, verändern, bestimmen, trennen und verbinden können. Diesen Symbolen kann ein höherer, tieferer, zarterer Sinn untergelegt werden, was nur dadurch geschieht, daß man sie in solchem denkt, ausspricht, empfängt und wiedergibt, und so wird die Sprache, ohne eigentlich merkbare Veränderung, zu einem höheren Sinne gesteigert, zu einem mannigfaltiger sich darstellenden ausgedehnt. Wie sich aber der Sinn der Sprache erweitert, so erweitert sich auch der Sinn der Nation. Wie hat, um nur dies Beispiel anzuführen, nicht die deutsche Sprache gewonnen, seitdem sie die griechischen Silbenmaße nachahmt, und wie vieles hat sich nicht in der Nation, gar nicht bloß in dem gelehrten Teile derselben sondern in ihrer Masse, bis auf Frauen und Kinder verbreitet, dadurch entwickelt, daß die Griechen in echter und unverstellter Form wirklich zur Nationallektüre geworden sind. Es ist nicht zu sagen, wieviel Verdienst um die deutsche Nation durch die erste gelungene Behandlung der antiken Silbenmaße Klopstock, wie noch weit mehr Voß gehabt, von dem man behaupten kann, daß er das klassische Altertum in die deutsche Sprache eingeführt hat. Eine mächtigere und wohltätigere Einwirkung auf die Nationalbildung ist in einer schon hoch kultivierten Zeit kaum denkbar, und sie gehört ihm allein an. Denn er hat, was nur durch diese mit dem Talente verbundene Beharrlichkeit des Charakters möglich war, die denselben Gegenstand unermüdet von neuem bearbeitete, die feste, wenn gleich allerdings noch der Verbesserung fähige Form erfunden, in der nun, solange Deutsch gesprochen wird, allein die Alten deutsch wiedergegeben werden können; und wer eine wahre Form erschafft, der ist der Dauer seiner Arbeit gewiß, da hingegen auch das genialischste Werk, als einzelne Erscheinung, ohne eine solche Form, ohne Folgen für das Fortgehen auf demselben Wege bleibt. Soll aber das Übersetzen der Sprache und dem Geist der Nation dasjenige aneignen, was sie nicht, oder was sie doch anders besitzt, so ist die erste Forderung einfache Treue. Diese Treue muß auf den wahren Charakter des Originals, nicht, mit Verlassung jenes, auf seine Zufälligkeiten gerichtet sein, so wie überhaupt jede gute Übersetzung von einfacher und anspruchsloser Liebe zum Original und daraus entspringendem Studium ausgehen und in sie zurückkehren muß. Mit dieser Ansicht ist freilich notwendig verbunden, daß die Übersetzung eine gewisse Farbe der Fremdheit an sich trägt, aber die Grenze, wo dies ein nicht abzuleugnender Fehler wird, ist hier sehr leicht zu ziehen. Solange nicht die Fremdheit, sondern das Fremde gefühlt wird, hat die Übersetzung ihre höchsten Zwecke erreicht; wo aber die Fremdheit an sich erscheint, und vielleicht gar das Fremde verdunkelt, da verrät der Übersetzer, daß er seinem Original nicht gewachsen ist. Das Gefühl des uneingenommenen Lesers verfehlt hier nicht leicht die wahre Scheidelinie. Wenn man in ekler Scheu vor dem Ungewöhnlichen noch weiter geht, und auch das Fremde selbst vermeiden will, so wie man wohl sonst sagen hörte, daß der Übersetzer schreiben müsse, wie der Originalverfasser in der Sprache des Übersetzers geschrieben haben würde (ein Gedanke, bei dem man nicht überlegte, daß, wenn man nicht bloß von Wissenschaften und Tatsachen redet, kein Schriftsteller dasselbe und auf dieselbe Weise in einer andern Sprache geschrieben haben würde), so zerstört man alles Übersetzen und allen Nutzen desselben für Sprache und Nation. Denn woher käme es sonst, daß, da doch alle Griechen und Römer im Französischen, und einige in der gegebenen Manier sehr vorzüglich übersetzt sind, dennoch auch nicht das mindeste des antiken Geistes mit ihnen auf die Nation übergegangen ist, ja nicht einmal das nationelle Verstehen derselben (denn von einzelnen Gelehrten kann hier nicht die Rede sein) dadurch im geringsten gewonnen hat?

 

Da es gewiß notwendig ist, die Sprache zu verbessern, aber gewiß nicht gut, in dem Neuern keine Grenze zu finden, so habe ich jetzt viel, indes noch ohne großen Erfolg, über die Auffindung dieser Grenzen nachgedacht. Viel, glaube ich, kommt darauf an, nicht alles für Verbesserung zu halten, was an sich in einer Sprache überhaupt ein Vorzug ist, sondern sehr genau auf die Eigentümlichkeit der besondern Sprache selbst zu sehen. Nicht bloß daß die Sprache selbst ein organisches Ganze ist, so hängt sie auch mit der Individualität derer, die sie sprechen, so genau zusammen, daß dieser Zusammenhang schlechterdings nicht vernachlässigt werden darf. Darum, dünkt mich, sollte niemand so sparsam mit Sprachverbesserungen sein, als gerade der Übersetzer, da dieser seine Sprache nicht einmal nach einem allgemeinen Ideal, sondern noch dazu nach einer bestimmten andern Sprache umändert. Um aber freilich hier nur irgend feste Regeln zu bestimmen, müßte es möglich sein, die Eigentümlichkeiten einer bestimmten Sprache genau charakteristisch, und zugleich so ausführlich anzugeben, daß es möglich wäre, danach einzelne empirische Regeln für die Sprachverbesserung herzuleiten.

 

Man hat bei Beurteilung der Sprachen und Nationen viel zu wenig auf die gewissermaßen toten Elemente, auf den äußeren Vortrag geachtet; man denkt immer alles im Geistigen zu finden. Es ist hier nicht der Ort dies auszuführen; aber mir hat es immer geschienen, daß vorzüglich der Umstand, wie sich in der Sprache Buchstaben zu Silben, und Silben zu Worten verbinden, und wie diese Worte sich wieder in der Rede nach Weile und Ton zu einander verhalten, das intellektuelle, ja sogar nicht wenig das moralische und politische Schicksal der Nationen bestimmt oder bezeichnet. Hierin aber war den Griechen das glücklichste Los gefallen, das ein Volk sich wünschen kann, das durch Geist und Rede, nicht durch Macht und Taten herrschen will. Die deutsche Sprache scheint unter den neueren allein den Vorzug zu besitzen, diesen Rhythmus nachbilden zu können, und wer Gefühl für ihre Würde mit Sinn für Rhythmus verbindet, wird streben, ihr diesen Vorzug immer mehr zuzueignen. Denn er ist der Erhöhung fähig; eine Sprache muß, gleich einem Instrument, vollkommen ausgespielt werden.

 

Die italienische Sprache bewundere ich mit jedem Tage mehr. Ich halte sie für bei weitem dichterischer als die lateinische, und so ohne Vergleich über die französische und selbst die spanische erhaben, daß sie allein eine Vergleichung mit unserer aushält. Allein dennoch, bei allen großen, unglaublichen Vorzügen fehlt ihr etwas und (ich scheue mich fast, es auszusprechen) gerade das, was das innerste und geheimste Wesen des Dichterischen ausmacht. Es bleibt doch immer mehr römischer Geist in ihr übrig, und sie ist nicht um den zehnten Teil der griechischen so nahe, als die deutsche. Bei aller Freiheit der Konstruktion, aller unendlichen Fülle ihres Wortreichtums, aller Mannigfaltigkeit dichterischer Formen und alles so überaus großen Wohllautes paßt sie sich der wahren Dichtkunst weniger an, als unsere; sie behält immer eine Neigung zum Epigrammatischen, läßt mehr den Dichter sehen, als die Dichtung, mehr die Kunst, als die Natur. Worin dies im einzelnen liegt, ist schwer zu sagen. Allein dies ist immer so in der Sprache; was in der Masse beim ersten Anblick frappant ist, berührt sich im einzelnen so, daß man es umsonst aufzusuchen glaubt. Auch ist es schwer zu bestimmen, ob es unabänderlich wäre, oder ob es nur daher kommt, daß die vorzüglichsten Dichtungsarten in ihr (Strophe und Sonett) ihrer Natur nach epigrammatisch sind. Allein die Treuherzigkeit, die Einfachheit und das volle, ohne alle künstliche und an Kunst erinnernde Symmetrie Fortrauschen der Dichtung und des Verses ist ihr fremd. Göttliche Waffen aber, und die ich nicht ohne innige Freude benutze, leiht sie gegen die Franzosen, die genau genommen für sie noch weniger Sinn haben, als für die deutsche. Denn in unsern Dichtern haschen sie wenigstens noch das Sentimentale auf, wenn ihnen auch das Echtpoetische immer fremd bleibt; aber für die Italiener, wenn sie nicht auf Glauben an Tasso, Dante und Ariost nachschwatzen, haben sie gar keinen Sinn.

 

Unsre Poesie ist, ihrem Wesen nach, von Musik entblößt, ja unsre Sprache ist so wenig sinnlich-vollkommen, daß sie einer metrischen Behandlung große Schwierigkeiten entgegensetzt, und dafür durch geringeren Wohllaut entschädigt. Dagegen ist sie ihrer Materie und ihrer grammatischen Form nach so reich, so dichterisch, so bestimmt, und so geschmeidig zugleich, daß sie sich auch den feinsten Wendungen der Phantasie und des Gefühls und dem mannigfaltigsten Periodenbau anschmiegt.

Durch die erstere Eigenschaft macht sie, daß bei einer poetischen Prosa eigentlich kein so großer Verlust ist, durch die letztere wird sie derselben und ihrer Vorzüge fähig. Mit griechischen Sinnen und Organen wäre poetische Prosa eine wahre Sünde gewesen. Mit der römischen Sprache, wo die Sünde, dünkt mich, kleiner geworden sein würde, war sie nicht möglich. Diese hat zu abgemessene und bestimmte Gänge und zuviel Gravität für eine Zwittergattung dieser Art. Unsere Sprache hält eine gewisse Mitte. Überhaupt sehe ich die deutsche Sprache, so wie die Nation, gern von dieser Seite an. Die griechische möchte ich die sinnlich-vollkommenste nennen; am ähnlichsten aber mit dieser ist mir die deutsche und sie könnte vielleicht nicht mit Unrecht die menschlichste heißen. An sinnlicher Vollkommenheit steht sie der griechischen bei weitem nach, aber sie behauptet einen großen Vorzug vor ihr durch zwei recht eigentlich menschliche Eigenschaften: erstens im Ausdruck für den Gedanken (die Philosophie), zweitens im Ausdruck für die Empfindung, insofern sie nicht sowohl ein Werk der Sinne und der Phantasie, als desjenigen ist, was wir Herz nennen.

 

Es ist eine Eigentümlichkeit des deutschen Geistes, von jeder Seite aus die Tiefe des Begriffs jedes Wesens zu ergründen und jedes in seiner ursprünglichen Beschaffenheit aufzufassen, so wie eine andre, von den äußeren Erscheinungen auf ihre inneren Gründe zurückzugehen, und beide sich von einander durchdrungen zu denken. Auch die deutsche Sprache zeichnet sich durch reine Objektivität, philosophische Auffassung und tiefe Innerlichkeit des Ausdrucks aus. Ist nun das Kunstgenie mächtig genug, alle Vermögen des Geistes in vollendeter Reinheit zu seiner Form auszuprägen, so führt gerade jene Eigentümlichkeit zu der echten, von Manier freien, ganz der Natur angehörenden, und eben darum am meisten idealischen Kunst.

 

Auf jedem einzelnen Punkt und in jeder einzelnen Epoche erscheint die Sprache, gerade wie die Natur selbst, dem Menschen, im Gegensatze mit allem ihm schon Bekannten und von ihm Gedachten, als eine unerschöpfliche Fundgrube, in welcher der Geist immer noch Unbekanntes entdecken und die Empfindung noch nicht auf diese Weise Gefühltes wahrnehmen kann. In jeder Behandlung der Sprache durch eine wahrhaft neue und große Genialität zeigt sich diese Erscheinung in der Wirklichkeit; und der Mensch bedarf es zur Begeisterung in seinem immer fortarbeitenden intellektuellen Streben und der fortschreitenden Entfaltung seines geistigen Lebensstoffes, daß ihm, neben dem Gebiete des schon Errungenen, der Blick in eine unendliche, allmählich weiter zu entwirrende Masse offen bleibe. Die Sprache enthält aber zugleich nach zwei Richtungen hin eine dunkle, unenthüllte Tiefe. Denn auch rückwärts fließt sie aus unbekanntem Reichtum hervor, der sich nur bis auf eine gewisse Weite noch erkennen läßt, dann aber sich schließt und nur das Gefühl seiner Unergründlichkeit zurückläßt. Die Sprache hat diese anfangs- und endlose Unendlichkeit für uns, denen nur eine kurze Vergangenheit Licht zuwirft, mit dem ganzen Dasein des Menschengeschlechts gemein. Man fühlt und ahndet aber in ihr deutlicher und lebendiger, wie auch die ferne Vergangenheit sich noch an das Gefühl der Gegenwart knüpft, da die Sprache durch die Empfindungen der früheren Geschlechter durchgegangen ist und ihren Anhauch bewahrt hat, diese Geschlechter aber uns in denselben Lauten der Muttersprache, die auch uns Ausdruck unsrer Gefühle wird, nationell und familienartig verwandt sind.

 

Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache. Sie bestimmt die Sehnsucht danach, und die Entfremdung vom Heimischen geht immer durch die Sprache am schnellsten und leichtesten, wenn auch am leisesten vor sich.


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