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Wenn uns jemand ein Rätsel vorlegte, wie Bilder des Auges und alle Empfindungen unsrer verschiedensten Sinne nicht nur in Töne gefaßt, sondern auch diesen Tönen mit inwohnender Kraft so mitgeteilt werden sollen, daß sie Gedanken ausdrücken und Gedanken erregen; ohne Zweifel hielte man dies Problem für den Einfall eines Wahnsinnigen, der, höchst ungleiche Dinge einander substituierend, die Farbe zum Ton, den Ton zum Gedanken, den Gedanken zum malenden Schall zu machen gedächte. Die Gottheit hat das Problem tätig aufgelöset. Ein Hauch unsres Mundes wird das Gemälde der Welt, der Typus unsrer Gedanken und Gefühle in des andern Seele. Von einem bewegten Lüftchen hangt alles ab, was Menschen je auf der Erde Menschliches dachten, wollten, taten und tun werden: denn alle liefen wir noch in Wäldern umher, wenn nicht dieser göttliche Atem uns angehaucht hätte und wie ein Zauberton auf unsern Lippen schwebte. Die ganze Geschichte der Menschheit also mit allen Schätzen ihrer Tradition und Kultur ist nichts als eine Folge dieses aufgelösten göttlichen Rätsels. Was uns dasselbe noch sonderbarer macht, ist, daß wir, selbst nach seiner Auflösung, bei täglichem Gebrauch der Rede nicht einmal den Zusammenhang der Werkzeuge dazu begreifen. Gehör und Sprache hangen zusammen: denn bei den Abartungen der Geschöpfe verändern sich ihre Organe offenbar mit einander. Auch sehen wir, daß zu ihrem Consensus der ganze Körper eingerichtet worden; die innere Art der Zusammenwirkung aber begreifen wir nicht. Daß alle Affekten, insonderheit Schmerz und Freude, Töne werden, daß, was unser Ohr hört, auch die Zunge reget, daß Bilder und Empfindungen geistige Merkmale, daß diese Merkmale bedeutende, ja bewegende Sprache sein können – das alles ist ein Concent so vieler Anlagen, ein freiwilliger Bund gleichsam, den der Schöpfer zwischen den verschiedensten Sinnen und Trieben, Kräften und Gliedern seines Geschöpfs eben so wunderbar hat errichten wollen, als er Leib und Seele zusammenfügte.
Wie sonderbar, daß ein bewegter Lufthauch das einzige, wenigstens das beste Mittel unsrer Gedanken und Empfindungen sein sollte! Ohne sein unbegreifliches Band mit allen ihm so ungleichen Handlungen unsrer Seele wären diese Handlungen ungeschehen, die feinen Zubereitungen unsres Gehirns müßig, die ganze Anlage unsres Wesens unvollendet geblieben, wie die Beispiele der Menschen, die unter die Tiere gerieten, zeigen. Die Taub- und Stummgebornen, ob sie gleich Jahre lang in einer Welt von Gebärden und andern Ideenzeichen lebten, betrugen sich dennoch nur wie Kinder oder wie menschliche Tiere. Nach der Analogie dessen, was sie sahen und nicht verstanden, handelten sie; einer eigentlichen Vernunftverbindung waren sie durch allen Reichtum des Gesichts nicht fähig worden. Ein Volk hat keine Idee, zu der es kein Wort hat: die lebhafteste Anschauung bleibt dunkles Gefühl, bis die Seele ein Merkmal findet und es durchs Wort dem Gedächtnis, der Rückerinnerung, dem Verstande, ja endlich dem Verstande der Menschen, der Tradition einverleibet: eine reine Vernunft ohne Sprache ist auf Erden ein utopisches Land. Mit den Leidenschaften des Herzens, mit allen Neigungen der Gesellschaft ist es nicht anders. Nur die Sprache hat den Menschen menschlich gemacht, indem sie die ungeheure Flut seiner Affekten in Dämme einschloß, und ihr durch Worte vernünftige Denkmale setzte. Nicht die Leier Amphions hat Städte errichtet, keine Zauberrute hat Wüsten in Gärten verwandelt: die Sprache hat es getan, sie, die große Gesellerin der Menschen. Durch sie vereinigten sie sich bewillkommend einander, und schlossen den Bund der Liebe. Gesetze stiftete sie und verband Geschlechter; nur durch sie ward eine Geschichte der Menschheit in herabgeerbten Formen des Herzens und der Seele möglich. Noch jetzt sehe ich die Helden Homers und fühle Ossians Klagen, obgleich die Schatten der Sänger und ihrer Helden so lange der Erde entflohn sind. Ein bewegter Hauch des Mundes hat sie unsterblich gemacht und bringt ihre Gestalten vor mich; die Stimme der Verstorbenen ist in meinem Ohr: ich höre ihre längstverstummeten Gedanken. Was je der Geist der Menschen aussann, was die Weisen der Vorzeit dachten, kommt, wenn es mir die Vorsehung gegönnt hat, allein durch Sprache zu mir. Durch sie ist meine denkende Seele an die Seele des ersten und vielleicht des letzten denkenden Menschen geknüpfet: kurz, Sprache ist der Charakter unsrer Vernunft, durch welchen sie allein Gestalt gewinnet und sich fortpflanzet.
Die Sprache ist mehr als ein Werkzeug: sie ist gleichsam Behältnis und Inhalt der Literatur – wie viel freies Feld geben uns diese Worte zu übersehen, zu bearbeiten, zu nützen?
Wenn Wörter nicht bloß Zeichen, sondern gleichsam die Hüllen sind, in welchen wir die Gedanken sehen: so betrachte ich eine ganze Sprache als einen großen Umfang von sichtbar gewordenen Gedanken, als ein unermeßliches Land von Begriffen. Jahrhunderte und Reihen von Menschenaltern legten in dies große Behältnis ihre Schätze von Ideen, so gut oder schlecht geprägt sie sein mochten: neue Jahrhunderte und Zeitalter prägten sie zum Teil um, wechselten damit, und vermehrten sie: jeder denkende Kopf trug seine Mitgift dazu bei: jeder Erfinder legte seine Hauptsumme von Gedanken hinein, und ließ sich dieselbe durch Wucher vermehren: Ärmere liehen davon, und schafften Nutzung – falsche Münzer lieferten schlecht Geld, entweder zur Erstattung des Geborgten, oder sich ein ewiges Andenken zu prägen – heldenmäßige Räuber wußten sich bloß durch Raub und Flammen einen Namen zu machen – und so ward nach großen Revolutionen die Sprache eine Schatzkammer, die reich und arm ist, Gutes und Schlechtes in sich faßt, gewonnen und verloren hat, Zuschub braucht, und Vorschub tun kann, die aber, sie sei und habe was sie wolle, eine ungemein sehenswürdige Merkwürdigkeit bleibt.
Jedes Buch ist ein Beet von Blumen und Gewächsen; jede Sprache ein unermeßlicher Garten voll Pflanzen und Bäume: giftig und heilsam, nahrhaft und dürre, für Auge, Geruch und Geschmack, hoch und niedrig, aus allen Weltteilen und mit allen Farben, aus mancherlei Geschlechtern und Arten – ein sehenswürdiger Anblick! – Wer wird hier bloß den Riß des Gartens in toten Linien sehen wollen, wo der lebendige Inhalt desselben so viel zu lehren verspricht; und wer wird bloß bei der dürren Form der Sprache stehen bleiben, da das Materielle, was sie enthält, der Kern ist?
Und dies Materielle der Sprachen, der große gedankenvolle Raum, den sie einschließen, wird sich in verschiednen Ausdehnungen betrachten lassen. Es gibt eine Symbolik, die allen Menschen gemein ist – eine große Schatzkammer, in welcher die Kenntnisse aufbewahrt liegen, die dem ganzer Menschengeschlechte gehören. Der wahre Sprachweise, den ich aber noch nicht kenne, hat zu dieser dunkeln Kammer den Schlüssel: er wird sie, wenn er kommt, entsiegeln, Licht in sie bringen, und uns ihre Schätze zeigen – das würde die Semiotik sein, die wir jetzt bloß dem Namen nach in den Registern unsrer philosophischen Enzyklopädien finden: eine Entzifferung der menschlichen Seele aus ihrer Sprache.
Jede Nation hat ein eignes Vorratshaus solcher zu Zeichen gewordenen Gedanken, dies ist ihre Nationalsprache: ein Vorrat, zu dem sie Jahrhunderte zugetragen, der Zu- und Abnahmen, wie das Mondlicht, erlitten, der mehr Revolutionen und Veränderungen erlebt hat, als ein Königsschatz unter ungleichartigen Nachfolgern: ein Vorrat, der freilich oft durch Raub und Beute Nachbarn bereichert, aber, so wie er ist, doch eigentlich der Nation zugehört, die ihn hat, und allein nutzen kann – der Gedankenschatz eines ganzen Volks. Schriftsteller der Nation! wie könnt ihr ihn nutzen? und ein Philolog der Nation, was könnte er nicht in ihm zeigen, durch ihn erklären?
Alles, was dieser Nationalschatz Eignes hat: Ursprung, Geschichte, und wahre Art dieser Eigenheit: das Besondre desselben in Fächern der Armut und des Überflusses: das Sehenswürdige in Gestalten der Schönheit, und in Mißgeburten: Münzen, die wohl oder übel geprägt sind: Schaustücke, die sich durch ihre Seltenheit, oder innern Wert, oder durch ihre Geschichte empfehlen: Merkwürdigkeiten, auf bequemen oder unbequemen Stellen: Figuren von außerordentlich leichten, oder besonders widrigen Stellungen – und hundert unerhörte Dinge mehr würden uns über diesen Gedankenvorrat eines Volks gesagt werden können, die jeder Eingeborne der Sprache, ihr mit begierigem Ohr hörete.
Wir sind Menschen, ehe wir Weltweisen werden: wir haben also schon Denkart und Sprache, ehe wir uns der Philosophie nähern, und beide müssen also zum Grunde liegen, die Sprache des Verstandes: der Vernunft, die Denkart des Lebens: der Spekulation. Und wie viel liegt damit zum Grunde? Muttersprache, der ganze Umfang von Begriffen, die wir mit der Muttermilch einsogen – Muttersprache, die ganze Welt von Kenntnissen, die nicht gelehrte Kenntnisse sind – Muttersprache, das Feld, auf welchem alle Schriften des guten Verstandes hervor wuchsen – was ist sie also für eine Menge von Ideen! Ein Berg, gegen welchen die kleine Anzahl philosophischer Abstraktionen ein künstlich aufgeworfener Maulwurfshügel – einige Tropfen abgezogenes Geistes gegen das Weltmeer!
Wir haben noch keinen sprachkundigen Philosophen gehabt, der auch nur einiges für unsere Sprache getan hätte, was ich bisher über mehrere Sprachen gleichsam in die weite Welt geredet habe. Und wie ergötzend würde mir der Anblick sein, einige von diesen Aufgaben untersucht und im einzeln bestätigt zu sehen:
Wiefern hat die Sprache der Deutschen eine Harmonie mit ihrer Denkart? wiefern ihre Sprache Eindrücke auf die Gestalt ihrer Literatur gemacht? Wie kann man es ihrer Mundart, von ihren Elementen, von ihrer Aussprache und Silbenmaßen an, bis zu dem ganzen Naturell derselben an kennen, daß sie unter dem deutschen Himmel gebildet worden, um unter demselben zu wohnen, und zu wirken?
Wie viel kann man in ihr aus der Welt von Umständen und Begebenheiten erklären, so daß der eigentümliche Inhalt derselben von ihrer Denk- und Lebensart gesammlet wurde? Wie manches läßt sich von der Etymologie einzelner Wörter bis zum ganzen Bau der Schreibart aus den Gesichtspunkten bestimmen, die ihnen eigen waren, so daß die Regeln der Sprachlehre mit den Grundstrichen ihres Charakters parallel laufen, und das ganze große Geheimnis des deutschen Idiotismus ein Spiegel der Nation ist?
Welche Revolutionen hat die deutsche Sprache teils in ihrer eigenen Natur, teils durch die Zumischung fremder Sprachen und Denkarten erfahren müssen, daß sich ihr Geist wandelte, wenn gleich ihr Körper derselbe blieb?
Wie voll fremder Kolonien insonderheit die gelehrte Sprache ist, die deutsche Tracht, deutsches Bürgerrecht, und deutsche Sitten angenommen haben? Wie viel fremde Äste auf den Stamm unserer Literatur gepfropft sind – wie sie auf demselben wo nicht ausgeartet, so doch verartet, und oft veredelt sind?
Wie weit ist die Sprache als Werkzeug der Literatur, wenn man sie mit andern Nationen vor und neben uns vergleichet? Wie weit als Werkzeug der Literatur, so fern sie verschiedenen Gattungen angemessen wird – wie weit für den Dichter? den Prosaisten? den Weltweisen? Wie weit als Werkzeug der Literatur, so fern sie zu verschiedenen Zwecken arbeiten soll? Wie weit im Bücherstil? in der Sprache des Umgangs? Wie weit um sich lesen, hören, lernen, deklamieren und singen zu lassen?
Was liegen in ihr für Schätze von Gedanken, für rohe Maße zu Gestalten, für ungebrauchte Formen zu neuen Schreibarten? Was hat sie für eigene Landesprodukte der Literatur aufzuzeigen, die in ihr geboren, genähret, oder vollendet sind?
Welche Höhe hat sie erstiegen? Wer hat ihr dahin aufgeholfen? Welche Höhe hat sie zu ersteigen? Und auf der andern Seite, worin muß sich gegenteils die andere Waagschale wieder neigen? –
Freilich große Aufgaben! denn das Was? und Wie? und Wiefern? fordert nicht bloß allgemeine im Traum gesagte Behauptungen »daß wohl an dem allen so etwas daran sein könne«, sondern genaue Bestimmung, – Beispiele, die jedesmal das Allgemeine in einzelnen Fällen zeigen – Beweise, aus der Natur, aus der Geschichte dieser und aus der Natur und Geschichte anderer Sprachen genommen – philosophische Beobachtungen, die sich in Grundsitze von selbst zu verwandeln scheinen.
Der ganzen Nation wäre ein solches Buch ein Schatz: ein Schatz für ihre ganze Literatur: denn der Genius, der über die Wissenschaften eines Volks wachet, ist zugleich der Schutzgott der Sprache desselben.
Luther ist's, der die deutsche Sprache, einen schlafenden Riesen, aufgewecket und losgebunden; er ist's, der die scholastische Wortkrämerei, wie jene Wechselertische, verschüttet: er hat durch seine Reformation eine ganze Nation zum Denken und Gefühl erhoben. Laß es also sein, daß ihm der feinste Pedant, den vielleicht die Welt gesehen, Erasmus, schuld gab: er täte der lateinischen Literatur Abbruch. Dieser Vorwurf bringt ihm keine Schande, und man darf ihn also nicht wider die Geschichte leugnen: denn lateinische Religion, scholastische Gelehrsamkeit und römische Sprache waren zu sehr verwebt in einander.
Das seltsame Urteil Christs ist nur dem ersten Anblick nach selten: die deutsche Sprache habe seit dem sechzehnten Jahrhundert viel von ihrer Vortrefflichkeit verloren. Betrachtet man es näher, und hat wahres Gefühl von der innern Stärke einer Sprache, und vermag die wichtigen Vorteile der schwäbischen Sänger und die körnichte Sprache deutscher Schriftsteller voriger Zeiten, oder auch nur den Vater Opitz in seiner Prose und Poesie zu schmecken: so muß man bei der Rückkehr zu unsrer neueren Sprache, man muß ausrufen: das ist ganz ander Deutsch! Jenes hat ganz andre Fehler und ganz andre Schönheiten: der Geist hat sich verändert. Alsdenn werden freilich die Neulinge unsere junge Mundart loben, und sie haben recht; denn unstreitig ist sie geläufiger und runder in Perioden, artiger in Bestimmung der Wortwürde und künstlicher geworden. Aber ein echter Deutscher wird sich aus dieser rauhen und einfältigen Sprache unendlich viel zurückwünschen; er wird sich die Mühe nicht verdrießen lassen, in dem Kote der alten Deutschen Ennius' Gold zu suchen: er wird alsdenn denen fluchen, die uns diese Sprache entwandt. Kommet her, ihr neuern schönen Geister, ihr französierenden Witzlinge, ihr prosaisch-poetischen Stolperer, ihr berühmten Wochenschriftsteller, ihr gelehrten Weisen im akademischen Paragraphenstil, ihr erbaulichen Redner im Kanzelstil: versucht es doch, aus euren reichen Vorratskammern ein Buch unsres Jahrhunderts zu suchen, das in Absicht der Schreibart die Würde der Bibelübersetzung des Luthers erreichte. Versucht es, diese arme, simple, veraltete Bibelübersetzung, über die mancher Neuling am Geschmack spottet, mit einigen neuern Verbesserungen zusammen zu halten: ihr werdet solch einen Unterscheid finden, als zwischen dem griechischen Homer und dem deutschen Homer, wenn er in der Sammlung alter Reisebeschreibungen als ein reisender Schulmeister in Paragraphen übersetzt ist.
Die deutsche Sprache kroch meistens unter akademischen oder homiletischen Fesseln; sie hatte keinen Glanz, keine Reinigkeit, aber innere Stärke mangelte ihr nicht. Der ganze Schade war: man sähe sie als keine gelehrte Sprache an, denn dazu war allein die lateinische gekrönt; man achtete sie bloß als die Sprache des gemeinen Volks und unterließ ihre Kultur. Wer dies Jahrhundert kennet, wird mir recht geben, daß bloß die lateinische Sprache die unsrige zurückgehalten, weil man bei den gelehrten Zänkereien, die mit zum herrschenden Ton des Ganzen gehören, teils der scholastischen Handwerkssprache, teils der schönen lateinischen Sprache nötig hatte. Man gehe die besten Schriftsteller dieser Zeit durch: entweder römisch oder akademisch Latein ist ihre Mundart: die Muttersprache ward als eine Mundart der Mütter, der Weiber und der Ungelehrten angesehen. Ist's nicht eine wahre Schande, daß es große und schönlateinische Schriftsteller dieser Zeit gibt, die in ihrer Sprache Barbaren waren, die die Prosodie Anakreons verbesserten, und ihre Sprache in Schlacken ließen?
Endlich fing man an, beschämt von den Nachbarn ringsumher, die Sprache zu bessern, – aber wie? – als eine gelehrte Sprache, um vielleicht die scholastische lateinische einzuschränken? nein! denn das hätte von Akademien geschehen müssen, und hier regierte noch Aristoteles! – als eine gelehrte Sprache, um uns, statt des schönen lateinischen Stils, einen schönen deutschen Bücherstil zu geben? – das hätte von Schulen aus geschehen müssen, und da herrschten noch römische Monarchen! Wie denn? – Großer Gott! als eine politische, als eine galante, als eine reimreiche Sprache suchte man sie zu bilden: war das nicht am umgekehrten Ende? Und wer unternahm diese Schöpfung zum politischen, zum galanten Stil? Etwa Hofleute – nein! treufleißige Schulrektors. Und wie bildeten sie ihn galant? nach Franzosen, durch eine Sündflut französischer Wörter: so war die deutsche Sprache von einer andern Seite gemißhandelt.
Gottsched erschien; er hat als ein ruhmwürdiger Goldfinder den Stall des Augias mit herkulischer Hand durchwässert und gereinigt. Aber dazu braucht man ja auch bloß gesunde Augen und einen guten Kopf, zu sehen, daß er die deutsche Sprache viel zu lateinisch behandelt. Und so ward sie wässericht, und wenigstens die deutsche Grammatik wieder nach lateinischem Leisten: man verachtete die alte deutsche Kernsprache. Seine Nachfolger, und zum Teil Gegner, suchten sie fruchtbar zu machen, wodurch? – Durch Nachforschen in altdeutschen Wörtern, in den Zeiten ihrer nervenvollen Stärke, wie es der natürlichste Weg gewesen wäre, um ihr Charakter auf ihrem Boden zu geben? nein! denn die langen lateinischen Zeiten hatten diese Denkmäler teils weggebracht, teils war die Arbeit zu mühsam: was tat man also? man übersetzte, und bildete sie insonderheit nach der französischen: durch die sie freilich unglaublich viel gewonnen, und sich gebildet, aber nicht zum Urbilde ihrer selbst: wie es hätte sein müssen, wenn man aus ihren vorigen verlebten Zeitaltern ihr die abgegangnen Kräfte hätte zu ersetzen gesucht. Unsre Sprache ist also jetzt gebildet und verschönert, aber nicht zu dem erhabnen gotischen Gebäude, das sie zu Luthers Zeiten, und noch mehr zu den Zeiten der schwäbischen Kaiser war: sondern zu einem neumodischen Gebäude, das, mit fremden Zieraten überladen, bei seiner Größe klein und unansehnlich ins Auge fällt.
Unsre Sprache, sie möge als ein gelehrtes oder politisches Werkzeug angesehen werden, verdient einen Vereinigungspunkt ihrer verschiedenen Provinzen, der ihnen sämtlich eine neue Triebfeder zur Kultur dieses unentbehrlichen Werkzeuges würde. Unsre Nation kann sich rühmen, daß sie von den ältesten Zeiten an, die wir kennen, ihre Sprache unvermischt mit andern erhalten habe, so wie sie auch selbst unüberwunden von andern Völkern geblieben, und mit ihren Wanderungen vielmehr auch ihre Sprache weit umher in Europa angepflanzt hat. Es ist also billig, daß diese Sprache nicht nur daure, so lange die Nation dauret, sondern sich auch aufkläre, lautre und befestige, wie sich die Nation in ihrer Verfassung befestiget und aufklärt. Unglaublich viel trägt eine geläuterte, durch Regeln bestimmte Sprache zur festen, bestimmten Denkart einer Nation bei; denn es ist ein Zeichen, daß wir uns selbst gering achten, so lange wir uns gegen uns und gegen andre Nationen unsrer Sprache schämen. Die Geschichte zeigt, daß alle herrschenden Völker der Weltperioden nicht durch Waffen allein, sondern vielmehr durch Verstand, Kunst und durch eine ausgebildetere Sprache über andre Völker oft Jahrtausende hin geherrschet haben, ja daß selbst, wenn ihre politische Macht verfallen war, das ausgebildete Werkzeug ihrer Gedanken und Einrichtungen andern Nationen als ein Vorbild und Heiligtum wert geblieben. Die griechische, lateinische und arabische Sprache zeigen dieses in der alten und mittlern Zeit; in der neuern hat es zuerst die spanische, nachher die französische Sprache bewiesen, welche Vorteile, ja welch ein geheimes Übergewicht eine Nation erlange, deren Sprache sich gewissermaßen zu einer herrschenden zu machen gewußt hat. Billig also ist's, daß die deutsche Sprache, wenigstens innerhalb der Grenzen ihrer Nation, herrschend werde, und daß die Deutschen ihr die Biegsamkeit und den Glanz zu geben suchen, durch den sich die französische so sehr auszeichnet. Dies wird geschehen, wenn unsre reinere Büchersprache immer mehr die Sprache der feineren Gesellschaften und jedes öffentlichen Vortrages zu werden sucht, da sie bisher von diesem allgemeinen Gebrauch noch weit entfernt gewesen: denn bekanntermaßen wird unsre Büchersprache, im reinsten Sinne genommen, beinahe nirgend geredet. Sie ist ein künstliches Gewächs, das aus der Mundart mehrerer Provinzen durch angenehme und vorzügliche Schriftsteller allmählich heraufgesproßt ist. Eine Provinz hat daran mehr teil, als die andere, keine aber darf sich eines ausschließenden Vorzuges rühmen: denn aus mehreren Gegenden Deutschlands haben merkwürdige Schriftsteller zu ihr beigetragen und fahren in diesem Verdienst fort. Die wachsende Kultur unsres Vaterlandes kann also keinen andern Weg nehmen, als diese geläuterte Büchersprache unter feinern Menschen aller deutschen Provinzen gemein zu machen, über die Gesetze derselben, von der Orthographie und Interpunktion an bis zu den feinsten Wendungen des Stils, durch gute Vorbilder mehr als durch zwingende Regeln sich zu vereinigen, und die Bekanntschaft dieser Muster mit wählender Sorgfalt weiter umher zu verbreiten. Da der Geschmack unsres Vaterlandes noch nichts weniger als bestimmt und sicher ist, indem in manchen Gegenden das Schlechte dem Guten gleich oder wohl gar höher als dieses geschätzt wird, und bei der großen Menge schlechter Schriftsteller, die dennoch Leser und Nachahmer finden, sich unsre neuere Literatur einer neuen Barbarei zu nähern scheinet: so muß jedem Manne von Geschmack jede öffentliche Anstalt willkommen sein, die ohne Despotismus, aber mit der ganzen Würde der Vernunft und Wahrheit, dem Bessern vor dem Schlechtem ihre Stimme gibt, jenes mit Ruhme nennet und dieses verschweiget, überhaupt aber in allen Feldern der Wissenschaft, die zum Wohl des Vaterlandes gehören, die noch ungebaueten Plätze sowohl, als die glücklich angebaueten patriotisch bemerket, mithin dem Geschmack der Deutschen eine Ausbreitung, Richtigkeit und Festigkeit zu geben sucht, die ihm vielleicht noch fehlet. Die übertriebene Nachahmungssucht andrer Nationen, die man uns zur Last legt, würde dadurch eingeschränkt und in eine Nacheiferung verwandelt, die in einer Masse gesammleter Kräfte nicht anders als von gutem Erfolg sein könnte. Eine Menge Unkraut verlöre sich, wenn edlere Gewächse allein die öffentliche Aufmerksamkeit an sich zögen und den Anbau fänden, der ihnen gebühret.
Ein Volk, das ohne poetische Sprache große Dichter, ohne eine biegsame Sprache gute Prosaisten, ohne eine genaue Sprache große Weise gehabt hätte, ist ein Unding. Wenigstens müßten bei einer unausgebildeten Sprache die Geister, die geboren sind, Hindernisse zu überwinden, selbst erfinden, sie müßten verwüsten und schaffen: schwächere Nachfolger aber quälen sich, ohne nachher zeigen zu können: das habe ich geliefert. Lernet also, ihr Kunstrichter! eure Sprache kennen: und sucht sie zur Poesie, zur Weltweisheit und zur Prose zu bereiten.
Von rohen Anfängen ging die griechische Sprache aus; aber diese Anfänge enthielten schon Keime zu dem, was aus ihr werden sollte und werden konnte. Sie war kein Hieroglyphen-Machwerk, keine Reihe hervorgestoßener einzelner Silben, wie die Sprachen jenseit der mongolischen Berge. Biegsamere, leichtere Organe brachten unter den Völkern des Kaukasus eine leichtere Modulation hervor, die von der geselligen Liebe zur Tonkunst gar bald in Form gebracht werden konnte. Sanfter wurden die Worte gebunden, die Töne zum Rhythmus geordnet: die Sprache floß in einen volleren Strom, die Bilder derselben in eine angenehme Harmonie: sie stiegen sogar zum Wohllaut eines Tanzes. Und so ward jenes einzige Gepräge der griechischen Sprache, das nicht von stummen Gesetzen erpreßt, das durch Musik und Tanz, durch Gesang und Geschichte, endlich durch den plauderhaften freien Umgang vieler Stämme und Kolonien wie eine lebendige Form der Natur entstanden war. Die nordischen Völker Europens hatten bei ihrer Bildung dies Glück nicht. Da ihnen durch fremde Gesetze und durch eine gesanglose Religion ausländische Sitten gegeben wurden, so verstummete auch ihre Sprache. Die deutsche zum Beispiel hat unstreitig viel von ihrer innern Biegsamkeit, von ihrer bestimmtem Zeichnung in der Flexion der Worte, ja noch mehr von jenem lebendigen Schall verloren, den sie unter günstigem Himmelsstrichen ehedem hatte. Einst war sie eine nahe Schwester der griechischen Sprache, und jetzt, wie fernab von dieser ist sie gebildet.
So sehr man Ursache hat, Übersetzungen zur Bildung der Sprache anzupreisen: so hat doch die Sprache größere Vorzüge, die sich vor aller Übersetzung bewahret. Eine Sprache vor allen Übersetzungen ist wie eine Jungfrau, die sich noch mit keinem fremden Manne vermischet, um aus zweierlei Blut Frucht zu gebären: zu der Zeit ist sie noch rein, und im Stande der Unschuld, ein treues Bild von dem Charakter ihres Volks. Sie sei voll Armut, Eigensinn und Unregelmäßigkeit: wie sie ist, ist sie Original- und Nationalsprache.
Am innigsten wird Sprache und Rede durch Umgang gebildet; und leider wir Deutsche nutzen den Umgang zu Bildung unsrer Sprache und Rede fast gar nicht: daher heißen wir bei andern Nationen so oft stumme, oder ungeschickt sprechende, grobe Barbaren. – Sprache ist durch Umgang, nicht in der Einsamkeit entstanden; durch Umgang wird jeder Ausdruck in ihr gewetzt und polieret. Auch im Umgange sollte man sich nie einen Barbarism erlauben; alle gebildeten Stände in andern Nationen sprechen im Umgang ihre Sprache korrekt; nur der einzige Deutsche nicht, der spricht und erzählt, etwa wie die Hebamme in Shakespeare.
An einander freuen wollen wir uns, und in Ruhe uns Zeit nehmen, einen Garten der Wissenschaften zu durchwandeln, in dem auch wir einst als Jünglinge Rosen fanden. Jeder stehe wie Ulysses da, wie Homer ihn beschreibt, mit ruhigem Auge und gesenktem Szepter, als ob er nichts zu sprechen wisse; aber wenn er zu reden anfängt, dann mögen die Worte wie leichte Schneeflocken einander folgen; er befriedige mit jedem Worte, und man vergesse alles andre über seiner angenehmen wohlklingenden Rede.
Mehr als alle tote Proportion der Buchstaben, und alle künstliche Struktur der Silbenmaße geben kann: gibt uns der lebende Wohllaut, der in unserer Sprache liegt, und ihr das höchste Lob einer ursprünglichen Sprache gibt. Alle Wurzeln derselben, sie mögen Verba, oder Nomina sein, malen: sie lassen das Wesen und die Beschaffenheit der Sache im Klange hören: sie sind im lebendigen Anschauen derselben gebildet. Man laufe die Reihe dieser Klangworte durch: oder besser, man empfinde den Wohllaut derselben in unsern Dichtern, die nicht schrieben, sondern sangen; alsdenn erinnere man sich, wie weit Brockes und andere diesen lebendigen Wohlklang haben übertreiben können: und man wird, wie ich hoffe, nicht mehr an der malenden Musik zweifeln, die man überall in den tiefsten Fundgruben der Sprache, in ihren einfachsten Formen findet, aus welchen sie in die Zusammensetzungen übergeht. Seligkeit und Wollust fühlet das Ohr, wenn es diesen Wohllaut seiner Sprache mit langen Zügen trinken kann, wenn es Macht und sanfte Schwäche, Süßigkeit und Würde, Langsamkeit und Schnelle, Geräusch und Stille, Bewegung und Anstand sich auch in Tönen vorbilden höret, wenn es alle diese Tonfarben in dem innern Bau der Wörter findet, ohne daß Dichter dieselbe einzwingen durften. Wahrlich! die schönsten und edelsten Klangworte unserer Sprache sind erschaffen, wie ein Silberton, der in einer reinen Himmelsluft auf einmal ganz hervor tritt: sie wurden bei ihrer Geburt in das süße Meer des Wohllautes getaucht, und sind wie im lebendigen Gefühl der Sache gebildet. Wohl den Schriftstellern unter uns, die da schreiben, als ob sie hören, die da dichten, als ob sie sängen.
Die Sprache, in der ich erzogen bin, ist Meine Sprache: denn so wie nach Montesquieu's Anmerkung alle unsre Begriffe von Schönheit sich auf den ersten mächtigen Eindruck beziehen, auf den die Seele nachher jedes Bild, das sie gewahr wird, schnell zurückführt, und daher oft den liebenswürdigen Eigensinn schön findet, der mit ihrem Urbilde des Eindrucks übereinstimmt – so ist auch die Muttersprache selbst mit ihren Idiotismen voll Eigensinn, und mit ihren kleinen Schwachheiten der Liebe für uns ein Bild der Schönheit. So wie ein Kind alle Bilder und neue Begriffe mit dem vergleicht, was es schon wußte: so passet unser Geist insgeheim alle Mundarten der Muttersprache an: sie behält er auf der Zunge, um nachher desto tiefer in den Unterschied der Sprachen einzudringen: sie behält er im Auge, daß, wenn er dort Lücken und Wüsten, hier Reichtum und Überfluß in fremden Sprachen entdecket, er den Reichtum der seinigen liebgewinne, und ihre Armut, wo es sein kann, mit fremden Schätzen bereichere: sie ist der Leitfaden, ohne den er sich im Labyrinth vieler fremder Sprachen verirrt: die Rinde, die ihn auf dem unermeßlichen Ozean fremder Mundarten vor dem Sinken bewahret: sie bringt in die sonst verwirrende Mannigfaltigkeit der Sprachen Einheit. Nicht um meine Sprache zu verlernen, lerne ich andre Sprachen; nicht um die Sitten meiner Erziehung umzutauschen, reise ich unter fremde Völker; nicht um das Bürgerrecht meines Vaterlandes zu verlieren, werde ich ein naturalisierter Fremder: denn sonst verliere ich mehr, als ich gewinne. Sondern ich gehe bloß durch fremde Gärten, um für meine Sprache, als eine Verlobte meiner Denkart, Blumen zu holen: ich sehe fremde Sitten, um die meinigen, wie Früchte, die eine fremde Sonne gereift hat, dem Genius meines Vaterlandes zu opfern.