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»Herr, es lebte einst zu Balsora ein Kaufmann von unermeßlichem Vermögen. Aber es stand dort oben geschrieben, daß er von dem Glanze der Reichtümer in die tiefe Dunkelheit des Unglücks hinabsinken sollte: in kurzer Zeit verschwand all sein Eigentum, und alles, was er unternahm, hatte einen unglücklichen Ausgang.
In dem einen Jahre war das Getreide mißraten und stieg sehr hoch im Preise: der Kaufmann bildete sich ein, daß die folgende Ernte noch schlechter sein würde, und verwandte alle seine übrigen Gelder dazu, Getreide in Säcken aufzukaufen und es in einem großen Speicher niederzulegen, um es für das nächste Jahr aufzubewahren. Er erwartete jeden Tag, daß der Preis des Getreides steigen sollte: aber, leider!, die Ernte fiel reichlich aus, und das Getreide wurde zum Spottpreise verkauft.
Bei diesem großen Überflusse beschloß der Kaufmann, sein Getreide noch bis zum folgenden Jahre zu bewahren: da fiel ein so ungeheurer Regen, daß er die Häuser wegschwemmte und bis in die Kornböden des Kaufmanns eindrang.
Das feuchte Getreide dampfte bald einen so unerträglichen Gestank aus, daß die Nachbarn bei der Stadtbehörde klagbar wurden und er gezwungen war, seine Speicher zu leeren und seine Ware wegzuschütten.
Voll Verzweiflung über den unglücklichen Erfolg dieser Unternehmung bedachte der arme Kaufmann, daß ihm noch eine Hilfsquelle übrig bliebe, welche er benutzen und ungesäumt die Zeit wahrnehmen müßte: er verkaufte sein Haus, das er noch hatte, und schiffte sich samt einigen andern Gefährten ein mit dem Entschlusse, sein Glück auf dem Meere zu versuchen.
Er segelte also mit einem Schiffe ab: am dritten Tage der Fahrt ward der Wind widrig, der Himmel verdunkelte sich plötzlich, die Wogen schwollen ungeheuer an, und das Schiff litt Schiffbruch. Die meisten Leute darauf ertranken. Der Kaufmann indessen und einige seiner Reisegefährten retteten sich auf einem Brette und erreichten das feste Land. Nackt und schier verschmachtend irrte er in einer Wüste umher; und schon war er mehrere Meilen gegangen, als er in einiger Entfernung einen Menschen erblickte. Erfreut zu sehen, daß das Land bewohnt war und er Mittel finden würde, seinen quälenden Hunger und Durst zu stillen, ging er auf ihn zu und entdeckte bald darauf ein wohlbevölkertes Dorf, von Bäumen umgeben und von lieblichen Bächen bewässert.
Das Oberhaupt dieses Dorfes, welches er zuerst erblickt hatte, war ein gar großmütiger und reicher Mann, der in der Gegend ein sehr angenehmes Landhaus hatte bauen lassen, wo er damals wohnte. Dieser Mann trug dem armen Schiffbrüchigen an, bei ihm in Dienst zu treten, und bot ihm täglich sechs Drachmen für die Aufsicht bei den Arbeiten, welche er auf seinem Landgute vornehmen ließ. Der Kaufmann nahm mit Freuden ein so edelmütiges Erbieten an; er wünschte alle Segnungen des Himmels aus das Haupt seines Wohltäters hernieder und trat aus der Stelle in Dienst; er übernahm die mannigfaltige Besorgung der Landwirtschaft und vertrat bald seinen Herrn in allen Geschäften des Hauses.
Alles ging ein Jahr lang gut; aber als die Zeit der Ernte kam und sie dem Eigentümer sollte überliefert werden, befürchtete der Kaufmann, daß ihm sein Gehalt nicht bezahlt würde, und kam auf den Gedanken, einen Teil des eingeernteten Getreides beiseite zu tun, um sich die Entschädigung für seine Arbeit zu sichern. Er sonderte also eine gewisse Anzahl Getreidesäcke ab, verbarg sie sorgfältig und überlieferte das übrige seinem Herrn. Dieser säumte nicht, ihm einen seinen Diensten angemessenen Teil davon darzubieten, und versprach ihm für die Zukunft ebenso bereite Zahlung. Der Kaufmann, welchen die gewissenhafte Handlungsweise seines Herrn, gegen den er einen so niedrigen Verdacht gehabt hatte, mit Scham erfüllte, lehnte das ihm Angebotene ab. Als er aber wieder nach dem Orte ging, wo er das Getreide verborgen hatte, mußte er zu seinem großen Herzeleide sehen, daß Räuber es gestohlen hatten. Er konnte seinen Verdruß über diesen Verlust nicht verbergen und war genötigt, die Ursache seiner Betrübnis seinem Herrn zu bekennen, welcher, sehr erzürnt über dieses Betragen, ihm die lebhaftesten Vorwürfe machte und ihn aus seinem Hause jagte.
Der unglückliche Kaufmann von Balsora irrte abermals umher, ohne zu wissen, was er anfangen sollte: da begegnete er Leuten, welche auf die Perlenfischerei gingen. Als diese ihn so betrübt sahen, erkundigten sie sich nach der Ursache seines Kummers und waren von seiner bejammernswürdigen Lage so gerührt, daß sie ihm die Hälfte der ersten Ausbeute ihrer Fischerei zur Entschädigung für seine Unglücksfälle versprachen.
Sie tauchten hinab und waren so glücklich, zehn Muscheln heraufzubringen, deren jede zwei dicke Perlen enthielt. Sie hielten ihr Versprechen, gaben ihm zehn davon mit dem Rate, sie zu verkaufen und das daraus gelöste Geld zu benutzen. Der Kaufmann war wieder auf dem Gipfel der Freude; er nahm zwei Perlen in den Mund und beschloß, die acht übrigen in sein Kleid zu vernähen.
Ein Strauchdieb, der in der Gegend umherschweifte, belauerte ihn, als er gerade mit dieser Arbeit beschäftigt war, und ging eilig hin, seinen Gesellen diese Entdeckung mitzuteilen. Sie kamen mit gesamter Macht, überwältigten den Wehrlosen, plünderten ihn ohne Erbarmen aus und entflohen mit ihrem Raube.
So unangenehm dieses Abenteuer war, doch tröstete sich der Kaufmann noch mit den zwei Perlen, welche er sorgfältig im Munde behalten und dadurch den Nachsuchungen der Räuber entzogen hatte. In der ersten Stadt, welche er betrat, übergab er sie sogleich einem Ausrufer mit dem Aufträge, sie zum höchstmöglichen Preise zu verkaufen.
Aber unglücklicherweise waren gerade einem der Juweliere dieser Stadt zehn denen vom Kaufmann ausgebotenen ganz gleiche Perlen gestohlen worden. Dieser Juwelier, welcher in denselben sein Eigentum zu erkennen wähnte, wurde in solchem Verdachte noch mehr durch den Anblick der elenden Kleidung bestärkt, welche den Verkäufer bedeckte. Um seine Zweifel aufzuklären, fragte er ihn, ohne eine Absicht dabei merken zu lassen, was aus den acht anderen Perlen geworden wäre, der Kaufmann antwortete unbefangen, er hätte sie in sein Kleid vernäht gehabt, aber Räuber hätten sie ihm genommen. Bei diesen Worten war der Juwelier überzeugt, seinen Mann gefunden zu haben, ergriff ihn und schleppte ihn vor den Kadi.
»Herr,« sprach er zu dem Richter, »ich bringe Euch hier den Dieb meiner Perlen, hier sind zwei davon, welche er dem Ausrufer zum öffentlichen Verkaufe übergeben hat: und jetzt eben hat er mir gestanden, daß man ihm die acht anderen geraubt hat.«
Der Polizeirichter, welcher die Rechtschaffenheit des Juweliers kannte, ließ dem Kaufmanne von Balsora ungeachtet aller Beteuerungen und Erklärungen seiner Unschuld die Bastonade geben und warf ihn ins Gefängnis, worin er ein ganzes Jahr lang blieb.
Eines Tages sah er in diesem so traurigen und langwierigen Aufenthalte mehrere von den Fischern eintreten, welche ihn so edelmütig unterstützt hatten und jetzt aus Neugier die Gefängnisse der Stadt besuchten. Sie waren sehr erstaunt, ihn an diesem Orte wiederzufinden. »Ei, wie!« sprachen sie zu ihm, »Euch, dessen Glück wir in einem Augenblick gemacht hatten, Euch finden wir an diesem Orte ebenso elend wieder, als da wir Euch zum ersten Male sahen?«
»Ach!« antwortete ihnen der Kaufmann, »wen das Unglück verfolgt, der sieht stets die glücklichsten Veränderungen wieder zu seinem Unglück ausschlagen. Ihr wolltet mein Glück machen: aber gerade ihr seid die Ursache, daß ich jetzt hier eingekerkert bin, ohne daß meine Magen gehört werden.« Und hieraus erzählte er ihnen alle Umstände seines traurigen Abenteuers.
»Tröstet Euch,« sagten zu ihm die Fischer: »sobald wir von hier hinausgehen, werden wir für Euch auftreten und Euch Gerechtigkeit widerfahren lassen.«
Sie hielten Wort, und gleich aus dem Gefängnisse gingen sie zu dem Könige, brachten vor ihm die von dem Kaufmann erlittenen Unbilden an und erklärten ihm, wie derselbe das Opfer eines zufälligen Zusammentreffens von anklagenden Umständen geworden wäre. Der König befahl sogleich, den Gefangenen in Freiheit zu setzen, und zur Entschädigung für die Ungerechtigkeit der Menschen und die Verfolgung des Schicksals gab er ihm ein Jahresgehalt und eine Wohnung nahe bei seinem Palaste.
Der arme Kaufmann glaubte endlich sein Glück gefunden zu haben. Im ruhigen Genusse der Wohltaten des Königs, dessen Güte er segnete, lebte er glücklich unter dem Schutze dieses Fürsten, als ein neuer Unfall abermals seine Ruhe störte.
Bei Durchsuchung des Hauses, welches man ihm zur Wohnung angewiesen hatte, bemerkte er ein mit losen Steinen ausgesetztes Fenster und hatte die Neugier, zu sehen, wohin es führte. Kaum hatte er einen Teil der Steine herausgenommen, als er sah, daß die Mauer an das Harem des Königs stieß, von Schrecken darüber befallen, bemühte er sich, die gemachte Öffnung sorgfältig wieder zuzumachen. Unglücklicherweise konnte er aber seine Arbeit nicht unbemerkt vollenden: ein Verschnittener, der ihn dabei beschäftigt sah, lief hin und benachrichtigte den König davon.
Aus Furcht, eine neue Ungerechtigkeit gegen einen so unglücklichen Menschen zu begehen, wollte dieser Fürst sich mit eigenen Augen von der Anklage überzeugen und begab sich schleunigst zur Stelle, hier konnte er sich nun selber überzeugen, daß die Steine der Mauer, welche das Haus von seinem Palast trennte, ganz frisch wieder eingesetzt waren.
Außer sich vor Wut über ein so frevelhaftes Unterfangen, sprach er zu dem Kaufmann: »Undankbarer, dadurch also belohnst du meine Wohltaten, daß du in meinen Harem zu dringen suchst! Eine solche Frechheit soll nicht ungestraft bleiben, und ich will es dir fortan unmöglich machen, Böses zu tun: die Augen sollen dir ausgestochen werden!« Der Befehl des Königs wurde auf der Stelle erbarmungslos vollstreckt.
»Ach, ich Unglücklicher!« rief jetzt der Kaufmann aus; »nicht zufrieden, mich all meiner Güter beraubt zu haben, greift nunmehr das Mißgeschick auch meine Person selber an.«
Dem armen des Gesichts beraubten Manne blieb nichts anderes übrig, als sein Brot zu betteln und das Mitleid und die Unterstützung der vorübergehenden anzuflehen, indem er stets die Worte wiederholte:
»Alle Arbeit ist fruchtlos, wenn das Glück sie nicht begünstigt; und ohne die Hilfe des Himmels ist kein Gedeihen!«
Ihr sehet, Herr,« fuhr Bacht-jar fort, »an diesem Kaufmann ein Beispiel von der Verfolgung des Mißgeschicks. Ebenso kann ich ein trauriges Schicksal nicht vermeiden, und alles vereinigt sich, mich zu Boden zu drücken.«
Diese Geschichte und die Jugend und Freimütigkeit des Angeklagten machten auf Asad-bachts Gemüt einen starken Eindruck und beruhigten eine Weile seinen Zorn. Er ließ also die Hinrichtung aufschieben, jedoch mit dem festen Vorsätze, das frevelhafte Unterfangen seines Günstlings zu bestrafen.
Am folgenden Morgen trat der dritte Wesir, der sich mit allen den übrigen gegen das Leben des jungen Bacht-jar verschworen hatte, vor den König hin und sprach zu ihm: »Herr, ungern haben gestern Eure Minister vernommen, daß Ihr noch das Leben desjenigen geschont habt, der soeben ein Verbrechen begangen hat, dessen Schande auf unser ganzes Land zurückfällt. Die Milde ist ohne Zweifel eine Tugend; sie muß jedoch Grenzen haben. Der Honig ist eine köstliche Speise; er ist aber sehr gefährlich, wenn man zuviel davon genießt. Wir dringen auf eine Handlung der Gerechtigkeit, welche Euer Majestät nicht ohne Gefahr aufschieben kann.«
Diese Vorstellung überredete den Fürsten, der auf der Stelle befahl, den Angeklagten kommen zu lassen.
»Ich habe beschlossen,« sprach er zu ihm, »deine Bestrafung nicht länger aufzuschieben; das Verbrechen, dessen du dich schuldig gemacht hast, muß durch dein Blut gesühnt werden, und deine Bestrafung soll meinen Untertanen zum heilsamen Beispiele dienen.«
Ebenso ruhig als am vorigen Tage antwortete Bacht-jar folgendermaßen: »Herr, mein Leben steht in Eurer Gewalt, und Ihr habt darüber zu gebieten; aber bedenket Euch noch recht, bevor Ihr meinen Tod befehlet. Zu große Ungeduld und Übereilung sind oft gefährlich, und man bereut es manchesmal, daß man sich nicht überwunden hat, zu warten. So verlor der Sohn des Königs von Halep, weil er nicht auf den Rat seines Vaters hörte und einer unverzeihlichen Ungeduld nachgab, zugleich den Thron und seine Geliebte.«
»Wer war dieser Prinz von Halep?« fragte Asad-bacht.
»Ich will es Euch erzählen,« antwortete Bacht-jar und fuhr folgendermaßen fort: