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»Es herrschte vorlängst in Indien ein mächtiger König, der von seinen Untertanen geliebt und auf dem Gipfel des Glückes war, nur ein einziger Umstand betrübte ihn: seine geliebte Gattin war von einer unheilbaren Krankheit befallen, welche sie allmählich dem Tode entgegenführte.
Indessen verkündigte ihm eines Tages der Arzt, daß es in Syrien ein köstliches Heilmittel gäbe, dessen Geheimnis ein alter Rabbiner besäße, und daß allein dieses Mittel die Königin wieder gesund machen könnte.
Der König forderte seine beiden Söhne auf, sich nach diesem Heilmittel, Wasser des Lebens genannt, aufzumachen. Die jungen Prinzen waren überglücklich, ihre Mutter retten zu können, verkleideten sich und schlugen jeder einen andern Weg ein, um desto sicherer zum Ziele zu gelangen; und nach zärtlichem Lebewohl schieden sie voneinander.
Der Älteste bestand große Gefahren und durchzog viele wilde Gegenden; endlich gelangte er in eine große Stadt, wo sich das gesuchte Heilmittel befinden sollte. Er säumte nicht, sich zu der prächtigen Synagoge zu begeben, welche man ihm bezeichnet hatte; er trat hinein und bat den Rabbiner um ein wenig Wasser zur Erfrischung.
Der alte Spitzbube von Indien hielt ihn in seiner Verkleidung für einen muselmännischen Derwisch. Seine Religion machte es ihm zur Pflicht, die Ungläubigen aus dem Wege zu räumen: er vergiftete das Wasser, welches er ihm darbot. Der Prinz stürzte auf der Stelle tot nieder, und der Israelit wickelte seinen Leichnam in eine Matte, warf ihn in ein unterirdisches Gewölbe des Tempels und ging nach Hause, sehr zufrieden mit seiner frommen Handlung.
Einige Zeit danach kam der jüngere Prinz in fast ähnlicher Verkleidung wie sein Bruder hier an; und um Gelegenheit zu einer Verbindung mit dem Juden zu finden, bat er ihn um eine Zuflucht in der Synagoge. Der Tschifut nahm ihn mit Freuden auf in der Hoffnung, ein neues Schlachtopfer aus ihm zu machen; er hatte sogar schon ein Messer bereitet, um ihm im Schlafe den Kopf abzuschneiden. Aber das gute Ansehen des Prinzen und seine Freundlichkeit hatten das Herz des alten Bösewichts gerührt; er bedachte überdies, wenn er den schönen Jüngling zum Sklaven machte, so könnte er aus seinem Verkaufe bei seiner stattlichen Gestalt einen guten Gewinn lösen. Er deutete ihm also bei seinem Erwachen an, er wäre ein Gefangener, und seine Arbeit bestände fortan darin, die Lampen anzuzünden und die verschiedenen Abteilungen der Synagoge in Ordnung zu halten.
Mahmud (so hieß dieser junge Prinz), dessen Entwurf diese Verrichtung begünstigte, war innerlich vergnügt über diese Gewalttätigkeit, welche an ihm verübt wurde, und tat gleichwohl, als wenn er sehr niedergeschlagen darüber wäre. Er gedachte, doch wohl die Flucht zu ergreifen, sobald er den dazu günstigen Augenblick fände.
Eines Tages, als Mahmud allein im Tempel war, fiel es ihm ein, in das unterirdische Gewölbe hinabzusteigen: aber wie groß war sein Erstaunen, als er hier den Leichnam und die Kleider seines unglücklichen Bruders erkannte. Wütend über diese Untat, hätte er den alten Rabbiner mit offener Stirn angefallen, wenn die Klugheit ihm nicht geboten, seine Rache zu verschieben, um sie desto sicherer zu vollstrecken. Er verstellte sich also, verschloß seinen Ingrimm in seinem Busen und verdoppelte seinen Diensteifer und guten Willen, um sich das Wohlwollen seines Herrn zu erwerben. Dieser, sehr zufrieden mit seinen Diensten, nahm ihn endlich ganz in sein Haus; und nach diesem glücklichen Erfolge dachte nun Mahmud auf Mittel, seinen Zweck zu erreichen, als ein unerwartetes Ereignis ihm die Gelegenheit dazu darbot.
Die Anmut, der Anstand und die schöne Gestalt des Prinzen hatten ihm die Neigung der Frau des Rabbiners erworben. Diese Frau entdeckte ihm endlich, daß sie, als geborne Muselmännin, sehnlichst in den Schoß der wahren Religion des Propheten zurückzukehren wünschte. Mahmud benutzte dieses Vertrauen und fragte sie, wo sich das von ihrem Manne bereitete Sulhiat befände, und durch welche Mittel man sich desselben bemächtigen könnte.
»Diese Nacht,« antwortete sie ihm, »kommt vorsichtig auf das flache Dach unsers Hauses, wo wir der großen Hitze wegen schlafen; ich werde dafür sorgen, daß die Türe offen ist; steiget herauf und nehmet den Schlüssel seiner Werkstätte, ich werde Euch dahin führen, Ihr könnt Euch der köstlichen Tropfen bemächtigen, und zum Lohne dafür verlange ich, daß Ihr mich der muselmännischen Religion wiedergebet.«
Mahmud, voller Freuden, versprach, alles nach ihrer Anweisung auszuführen; aber er schwor zu gleicher Zeit, seinen unglücklichen Bruder zu rächen.
Um Mitternacht bewaffnete er sich mit einem Dolche und durchbohrte den Juden im Schlafe mit den Worten: »Ich bin der Bruder eines deiner Schlachtopfer.« Er faßte nun die zitternde Gattin des Getöteten, welche sich schon des Schlüssels bemächtigt hat, bei der Hand, beide stiegen zu der Werkstätte hinab, bemächtigten sich der Flasche mit dem Lebenswasser und eilten, dieses grauenvolle Haus zu verlassen, bevor die Sonne einen so gräßlichen Schauplatz beleuchtete.
Nach einer mühseligen Reise erreichten sie die Grenzen Indiens und wurden mit den lebhaftesten Freudenbezeigungen empfangen. Bei ihrer Ankunft in der Hauptstadt fanden sie aber den Thron durch den Tod des alten Königs erledigt, die Königin an den Pforten des Grabes und den Staat durch den Zwist der Wesire, welche sich die Herrschaft streitig machten, der Zerrüttung preisgegeben. Die Heimkehr des jungen Prinzen beruhigte alles, und das köstliche Wasser gab der Königin nach wenigen Tagen das Leben wieder.
Mahmud und seine erhabene Mutter wollten die liebenswürdige Witwe des Juden zum Danke für ihre Dienste auf den Thron erheben, sie aber lehnte es mit der Versicherung ab, daß sie sich mit niemand vermählen würde ohne die Einwilligung ihres Vaters, welchem man sie im zarten Alter entrissen hatte.
Man schickte nun Gesandte mit reichen Geschenken an den Greis, der anfangs sehr überrascht durch diese Botschaft war, aber aus wunderlichem Eigensinne seine Einwilligung in die Vermählung seiner Tochter versagte, wenn der Bewerber nicht irgend ein Handwerk verstünde. »Das Handwerk eines Sultans ist nicht sicher,« sprach er; »heute ist man auf dem Thron, und morgen läuft man Gefahr, nicht über eine Zechine gebieten zu können: man muß sein Brot erwerben können.«
Der über diese Antwort sehr verwunderte Fürst würde sich darüber hinweggesetzt und seine Hochzeit gefeiert haben, wie er jeden Tag sehnlicher verlangte, wenn die kindliche Ehrfurcht seiner Braut sich nicht standhaft widersetzt hätte. Der König lernte also ihr zu Gefallen ein annehmliches Handwerk: er legte sich darauf, Teppiche zu wirken, und schickte sie seinem Schwiegervater.
Als dieser die Geschicklichkeit seines Schwiegersohnes sah, machte er keine Schwierigkeit mehr, ihm seine Tochter zu bewilligen, und die Hochzeit wurde mit großer Pracht vollzogen.
Mahmud, als König, lebte nun glücklich mit seiner Gattin und seiner Mutter; er lachte zuweilen über die gutmütige Einfalt seines Schwiegervaters, indem er die unermeßlichen Reichtümer betrachtete, welche ihm zu Gebote standen.
Eines Tages hatte er sich nach Gewohnheit seiner Vorgänger als Derwisch verkleidet, um selber die Runde durch die Stadt und seine Beobachtung dabei zu machen. Er fühlte das Bedürfnis, etwas zu essen, und um seinen dringenden Hunger zu stillen, trat er bei einem Pastetenbäcker ein. Man führt ihn in ein Gemach hinter dem Laden, das mit tausend Zieraten ausgeschmückt ist. Hier setzt er sich auf ein bereitgelegtes Kissen und ist im Begriff, seine Eßlust zu befriedigen: da versinkt plötzlich das Kissen, und er stürzt in einen tiefen Keller hinab.
Hier erblickt er bei dem Lichte einer engen Öffnung mehrere Leichnahme von den früheren Schlachtopfern der Treulosigkeit des Pastetenbäckers und wird von Schrecken ergriffen; jedoch verliert er nicht den Kopf. Bald sieht er einen Mann von furchtbarem Anblicke hereintreten, welcher, sein Schwert schwingend, ihm gebietet, sich zum Tode zu bereiten und sein letztes Gebet herzusagen.
»Herr,« antwortete ihm der Fürst, »ich bin, wie Ihr sehet, ein armer Derwisch und habe nichts bei mir, ich versichere es Euch; welchen Gewinn könnt Ihr von dem Tode eines armseligen Fakirs haben? Wenn Ihr dagegen mir das Leben lassen wollt, so kann ich Euch durch eine ausgezeichnete Geschicklichkeit, welche ich besitze, unermeßliche Reichtümer verschaffen. Gehet und holet mir Seide und Baumwolle von verschiedenen Farben, ich will zeitlebens in diesem Gewölbe bleiben und arbeiten, Ihr dürft nur mein Gewirke verkaufen, und Ihr werdet daraus einen ungeheuren Gewinn ziehen.«
Angelockt durch die Gewinnsucht, beeilt sich der Bösewicht, dem angeblichen Derwisch das Verlangte zu bringen mit der Versicherung, wenn er ihn betrüge, ihn durch den gräßlichsten Tod zu bestrafen. Der Prinz macht sich sogleich ans Werk, und in kurzer Zeit vollendet er einen mit den glänzendsten Blumen durchwirkten Teppich und spricht nun zu seinem Wirte:
»Der Wesir allein ist reich genug, um dir ein so schönes Gewirke zu bezahlen; gib es nicht unter sechzig Zechinen weg.«
Der grimmige Pastetenbäcker ist auf dem Gipfel der Freude, einen solchen Fang getan zu haben; aber diese Freude sollte nur sehr kurz sein.
Der Prinz hatte aus den eingewirkten Blumen einen Selam zusammengesetzt. Der Spitzbube ging am nächsten Morgen nach dem Palast und ließ dem Großwesir einen prächtigen Teppich zum Verkauf anbieten; man führte ihn herein; aber wie groß ist das Erstaunen dieses Ministers, als er in dem dargebotenen Gewirke die Erzählung liest, was dem Sultan begegnet ist, von welchem man bisher keine Kunde gehabt hatte, so daß man seinetwegen in der lebhaftesten Unruhe war. Der Wesir gibt sogleich ein Zeichen, und vier Sklaven stürzen über den erstaunten Handelsmann her; sein Erstaunen verdoppelt sich, als der Wesir nun das Abenteuer des Sultans kund macht. Man belastet den Betrüger mit Ketten; das Volk läuft hin, seinen König zu befreien, und schleift das Haus.
Der glücklich der Gefahr entronnene Fürst ließ das Ungeheuer strenge bestrafen, von dem er sich so befreit hatte, und erinnerte sich in der Folge noch oft, daß die Kenntnis irgend eines Gewerbes selbst einem Könige nützlich sein kann, und daß niemand vor Unfällen des Schicksals geborgen ist.«
Diese Geschichte ergötzte den Sultan sehr, und er bezeigte Scheherasaden das Vergnügen, welches ihre Erzählung ihm gewährt hatte; und weil der Tag sich noch nicht zeigte, so begann sie folgendermaßen die Geschichte der zehn Wesire: