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Das lustige Franz'l.

Einen lustigeren Bub' als Gärtners Franz'l gab es im ganzen Dorfe nicht. Alt und jung hatte ihn daher gern, und jedermann belustigte sich über seine munteren Streiche und drolligen Einfälle. Dabei war er auch fleißig und brav, und gab seinen Eltern und Lehrern nie Grund zur Klage und Unzufriedenheit. Ueberall, wo er sich hilfreich erweisen konnte, tat er es nicht lieber wie gern. Es machte ihm stets große Freude, wenn er seinem Vater beim Begießen der Blumen und beim Anbinden der Sträucher zur Hand gehen konnte. Ebenso war er auch bereit, auf seine jüngeren Geschwister achtzugeben, wenn die Mutter unbehindert ihren Obliegenheiten nachgehen wollte. Wie er mit allen gut »Freund« war, so stand er auch mit Jakob, dem Lehrlinge seines Vaters, auf bestem Fuße. Beide waren vertraute Freunde, obwohl der Jakob nächstens zwanzig und er noch nicht volle zwölf Jahre zählte. Der Lehrbursche war ein freundlicher, guter Mensch, aber etwas beschränkt, so daß ihm der kluge und geweckte Franz weit überlegen war. Daher neckte er ihn auch oft in gutmütiger Weise, und machte sich gelegentlich gern einen kleinen lustigen Spaß mit ihm. Fast alle Abende sah man die beiden einträchtig und vertraulich plaudernd vor dem Tore stehen.

»Ja, siehst du, Franz'l,« sagte Jakob eines Abends, als sie wieder dort zusammen Feierstunde hielten, »zum Herbst habe ich ausgelernt, dann muß ich auch sogleich Soldat werden. Wenn ich dann einmal auf Besuch hierher komme, kann ich auch so stolz tun wie Müllers Karl.«

»Meinetwegen sei so stolz wie du willst, aber wenn du des Kaisers Rock trügst, dann darfst du auch nicht mehr eine so feige Memme sein und ausreißen, wenn eine Katze im Stroh raschelt, und glauben, es säße ein Spuk darin; denn furchtsame Soldaten kann unser Kaiser nicht brauchen, die können unser Vaterland nicht verteidigen, wenn einmal wieder Krieg werden sollte.«

»Aber, hör' mal, Franz, was füllt dir denn eigentlich ein?« rief Jakob höchst entrüstet. »Ich nehme es wohl mit zehn Spuken aus, geschweige gar mit einer Katze.«

»Na, na, Jakobchen, tu' doch nicht so beleidigt, du weißt ja ganz genau, wie furchtsam und wie abergläubisch du bist.«

Verächtlich zuckte Jakob die Achseln und schwieg sehr erhaben.

»Du,« stieß ihn Franz nach einer Weile wieder an, »heute ist die Walpurgisnacht, vergiß nur ja nicht Kreuze zu machen, damit dir in der Nacht die bösen Hexen nicht einen Besuch abstatten.«

Das ging dem Jakob nun aber doch über den Spaß, er maß Franz mit einem stolzen Blick und ging entrüstet ab.

»Gute Nacht! Schlaf' wohl, du mutiger Held!« rief ihm sein guter Freund lachend nach. Jakob tat aber, als hätte er nichts gehört und lief eiligen Schrittes ein Stück ins Dorf hinein.

Sehr bald kehrte er aber wieder um und wollte, ohne Franz, der auf der Mauer saß, Beachtung zu schenken, ins Tor hineingehen. Aber plötzlich blieb er erschrocken stehen. Was war das? – Lehnte nicht dort am Lindenbaum eine weiße Gestalt? – Oh! wie gruselte es ihm! Aber nein, mutig weiter! Vor dem albernen Franz durfte er sich doch keine Blöße geben und Furcht zeigen.

Aber, – hu! Da bewegte sich die unheimliche Gestalt und schien gerade auf ihn zukommen zu wollen. – »Hilfe! Hilfe!« schrie er jetzt, von Entsetzen erfaßt, und stürmte wieder dem Ausgange zu. – Schnell sprang nun Franz von der Mauer und war sogleich an seiner Seite.

»Was ist denn los?« fragte er, den vor Furcht zitternden Jakob festhaltend.

»Sieh doch da!« flüsterte dieser angstvoll, indem er mit der Hand nach der Linde deutete.

»Nanu! Die Madame wollen wir uns doch einmal in der Nähe ansehen!« rief Franz übermütig lachend. Mit einem Satz war er an der Linde, ergriff die weiße Gestalt, die noch ebenso leblos wie vorhin dort stand und warf sie wie einen Ball in die Luft. Dabei flog die weiße Umhüllung ab, und ein einfaches Bund Stroh fiel zur Erde.

»Gewiß hat jemand vorhin deine Prahlerei gehört und hat dich damit auf die Probe stellen wollen,« sagte Franz, sich vor Lachen schüttelnd. Dieser jemand war aber kein anderer als er, der spaßlustige Franz, selbst gewesen. Noch war aber Jakob dadurch nicht so ganz beruhigt, sein dummer Aberglaube war nun wieder erwacht, und er bat kleinlaut: »Franz, kannst du mir nicht ein Stück Kreide verschaffen? Ich möchte doch lieber Kreuze machen, ich fürchte mich ja natürlich nicht, es ist bloß wegen der alten Gewohnheit.«

»Aha!« lachte Franz, »du, Ausreden gelten nicht,« worauf er ein Stück Kreide aus der Tasche zog. »Sieh, das habe ich schon für dich mitgebracht,« und in übermütiger Lust bemalte er nicht nur Jakobs Kammertür, sondern auch seinen Rücken mit vielen großen Kreuzen. »Nun ruhe sanft, du Ritter ohne Furcht,« neckte er dann, »jetzt werden dir die Hexendamen gewiß nichts anhaben können,« damit entfernte er sich, um auch sein Lager aufzusuchen. Jakob schämte sich am andern Morgen seiner Furcht und war froh, daß Franz nicht wieder darauf zurückkam, sondern tat, als ob er es vergessen hätte. Dazu hatte der Schalk aber seine guten Gründe, denn ihm war doch ein wenig bange gewesen, daß Jakob ihn bei dem Vater verklagen, und daß dieser dann sehr schelten würde, weil er ihm verboten hatte, ältere Menschen zu foppen. Aber da auch Jakob nichts weiter davon erwähnte, waren beide wieder die besten Freunde.

Zu Franzens sonstigen Freunden und Gönnern gehörte auch der reiche Freibauer Schulze. Obwohl dieser als ein mürrischer, verknöcherter Geizhals im ganzen Dorfe bekannt war, so war er doch dem Franz gewogen, ebenso seine Frau. Beide freuten sich, wenn der lustige Junge sie zuweilen besuchte. Eines Tages schlenderte er mit mehreren seiner Kameraden vor des Schulzen Haus vorbei, als gerade eine große Molde mit Würsten und Speckseiten nach der Räucherkammer geschafft wurde. Durch die offenstehende Tür bemerkten dies die Knaben; sie blieben einen Augenblick stehen und sahen neugierig zu.

»Seht nur, wie der Geizhals seine Vorräte wohlgefällig betrachtet!« machte Kantors Wilhelm die anderen aufmerksam. »Er soll alle Morgen selbst nach der Räucherkammer klettern, um nachzusehen, ob ihm über Nacht auch nichts von seinen Schützen gestohlen ist.«

»Wißt ihr,« lachte Brenners Karl, »es müßte einen Hauptspaß geben, wenn wir da eindringen und eine Wurst herunterholen könnten. Nachher können wir sie ihm ja wieder ins Fenster legen.«

»Ach, warum nicht gar,« meinte Schmieds August, »wenn wir sie erst haben, braucht sie der gierige Schulze nicht wiederzubekommen. Wir erfreuen dann einen Armen damit, zur Strafe, weil er keinem Bittenden die geringste Gabe reicht.«

»Ja, das ist wahr!« stimmten alle bei, »aber leider ist es nur die reine Unmöglichkeit, solchen Streich auszuführen.«

»Ich würde mich freuen, wenn wir der armen alten Botenliese eine Wurst oder ein Stück Speck verschaffen könnten,« sagte Franz sehr lebhaft. »Nächstens werde ich Herrn Schulze besuchen und ihn so lange bitten und quälen, bis er mir etwas für die alte Liese gibt.«

»Die Mühe kannst du dir sparen,« riefen die Jungen lachend. »Der und für die Arnie eine Wurst geben, nicht einmal ein Stück trockenes Brot würde er gutwillig herausrücken.«

»Ach was, tut er es nicht gutwillig, so brauch' ich Gewalt. Ich sage euch, die Liese bekommt eine Wurst. Was gilt die Wette?«

»Nein, nein! Darauf wollen wir nur nicht wetten, du würdest ja doch ganz sicher verlieren,« riefen die Jungen einstimmig.

»Ihr könnt ruhig wetten, ich sage euch, daß ich nicht verlieren werde,« beharrte Franz.

»Schön, wenn du deiner Sache so sicher bist, uns kann es schon recht sein!« Damit schlugen alle in Franzens dargebotene Rechte ein, und die Wette war abgeschlossen.

Als Schulzens am Nachmittage desselben Tages bei frischen: Speckkuchen und Kaffee saßen, trat Franz mit sehr vergnügten: Gesicht ein.

»Ah! Schön guten Tag, Franz'l!« erwiderte Frau Schulze seinen freundlichen Gruß.

»Na, das ist recht, daß du dich wieder einmal sehen läßt!« bewillkommnete ihn auch Herr Schulze sehr wohlwollend. »Du bist sehr lange nicht bei uns gewesen, wir dachten schon, du hattest uns alte Leute ganz vergessen.«

Frau Schulze holte dann sogleich eine große bunt bemalte Tasse aus dem Glasschrank, schenkte ihrem kleinen Gast von dem süß gemachten Kaffee aus der gewaltigen Familienkanne ein, und schnitt ein riesiges Stück Speckkuchen für ihn ab.

Franz ließ es sich sehr wohlschmecken und schnackte immerwährend, vom Hundertsten ins Tausendste. Er mußte mit seinem fröhlichen Geplauder und seinen spaßigen Einfällen die beiden Alten so zu erheitern, daß selbst der sonst so mürrische Schulze herzlich lachen mußte.

»Komm nur recht bald wieder, Franz'l!« lud ihn Frau Schulze ein, als er sich nach einer Stunde wieder verabschiedete, »du bist ein so spaßiger Bub', und wir alten Leute haben gern einmal etwas zum Lachen.«

»Ja, ich will so oft kommen, wie Sie es wünschen,« antwortete Franz mit pfiffigem Lachen, »wenn Sie mir nur für die arme Botenliese die kleinste von ihren vielen Würsten oder ein Stück Speck geben wollten. Sie ist schon so alt und schwach und muß sich ihr Brot so schwer verdienen.«

»Nein, Junge, damit hast du kein Glück!« wehrte der dicke Schulze eifrig ab. »Für die Alte wäre meine schöne Wurst denn doch wohl zu schade!«

»Ach, bitte, bitte, lieber Herr Schulze!« drang Franz immer wieder in ihn. Aber vergebens! – Herr Schulze blieb bei seiner Weigerung.

»Na, warten Sie nur, Herr Schulze, nächstens werde ich Ihrer Räucherkammer einen Besuch abstatten und mir die Wurst schon selber holen,« drohte Franz lachend.

»Ja, meinetwegen, du Schlingel, wenn du das Kunststück fertig bekommst,« schmunzelte der Geizhals im Gefühl größter Sicherheit. »Den Schlüssel zur Räucherkammer trage ich stets in meiner Tasche; wenn du ihn da heraus bekommst, magst du dir gern eine herunterholen.«

»Na, Fränzchen, dann versuche nur dein Heil,« ermutigte ihn Frau Schulze. Sie war durchaus nicht geizig wie ihr lieber Gatte, und hatte gern manchem Armen eine Gabe gereicht, wenn sie nur gedurft hätte. Daher dachte sie jetzt auch im stillen: »Ich wünschte wirklich, es gelänge den: Kobold; pfiffig genug ist er, und er kann immer etwas aussinnen, worauf kein anderer kommt.«

Nach seiner Heimkehr suchte Franz sogleich seinen guten Freund Jakob auf.

»Höre, Jakob, ich habe dir schon so oft geholfen,« redete er ihn an, »willst du mir jetzt auch einen Gefallen tun?«

»Ja gewiß, sehr gern, Franz'l; sprich, was kann ich für dich tun?«

Sehr leise flüsternd, bannt es nur ja niemand hörte, erzählte nun Franz dem aufmerksam zuhörenden Jakob von seiner Wette, und was er sich ausgedacht habe, um diese zu gewinnen. »Gehe morgen früh zu deiner Base, zu Schulzens Dörte,« brachte er dann sein Anliegen vor, »aber ganz zeitig nach dem Kuhstall, wenn sie und der August die Kühe melken. Dabei haben sie immer die Stalltür auf, um besser beobachten zu können, was im Hofe vorgeht. Du machst dann die Tür zu und unterhältst dich mit den beiden so eifrig, daß sie nicht darauf achten, wenn ich leise ins Haus gehe und mir den Schlüssel aus des Schulzen Tasche hole. Vielleicht wäre es dir auch möglich, mir noch heute einen Anzug von Dörten zu verschaffen.«

»Soll alles pünktlich geschehen! Wird ja ein Hauptspaß!« nickte Jakob verschmitzt lachend. »Ich rede der Dörte vor, daß ich mich auskleiden wolle; sie ist ja noch Freundschaft mit mir, und tut mir sicher sehr gern den Gefallen.«

»Der Schulze soll die beiden, den August und die Dörte, ja schon ganz früh, gleich nach zwei Uhr, wecken,« flüsterte Franz weiter, »dann sich wieder zu Bett legen und fest wie ein Murmeltier weiterschlafen; darum bin ich auch sicher, die Wette zu gewinnen.«

Pünktlich hielt Jakob sein Versprechen, noch am Abend war Franz im Besitz von Dörtens Anzug, und in aller Herrgottsfrühe begab sich sein treuer Bundesgenosse nach des Schulzen Wohnung und tat genau nach Franzens Anweisung. Ganz leise und unbeachtet war dieser dann näher getreten, hatte behutsam die Tür des Zimmers geöffnet, und aus der am Nagel hängenden Jacke des fest schlafenden Schulze den Schlüssel genommen. Flink wie der Wind war er damit die Treppe zum Räucherboden hinaufgeeilt, während Herr Schulze ruhig weiterschnarchte. Schon nach wenigen Minuten war er dann mit seiner Beute zurückgekehrt und damit an des Schulzen Bett getreten, indem er frohlockend rief: »Schön guten Morgen, Herr Schulze!« und dabei die lange Wurst vor seinen Augen tanzen ließ. Noch schlaftrunken richtete sich der aus seinen Träumen so unsanft Geweckte in die Höhe, und wütend rief er dann beim Anblick seines Schatzes: »Infamer Schlingel, wie kommst du zu meiner Wurst?« als es ihm endlich klar wurde, daß es eine von den seinen war, die Franz jetzt so vergnügt hoch in der Luft schwenkte. »Gib sie gleich wieder her, oder –«

»Aber, Herr Schulze, Sie müssen doch Ihr Wort halten,« fiel Franz mit fröhlichem Lachen ein.

»Denke gar nicht daran, du Lümmel, du! augenblicklich –«

»Adieu, adieu, Herr Schulze, mit Ihrer gütigen Erlaubnis bringe ich der Liese sogleich diese Morgengabe!« Damit lief der Uebermütige lachend mit seiner Beute davon und ließ den Alten schelten und toben, soviel er wollte. Seine Freunde wunderten sich nicht wenig, als Franz ihnen seine Siegestrophäe, die dralle Wurst, entgegenhielt.

»Seht, der Schlaukopf hat wirklich nun die Wette gewonnen!« jubelten die Jungen so laut, daß sie den Eintritt des Lehrers überhörten und sehr erschrocken waren, als sie ihn plötzlich auf seinen: Platze bemerkten. Da der Lehrer nur die letzten Worte gehört hatte, erkundigte er sich zuerst nach der Veranlassung ihrer lauten Fröhlichkeit. Als dann der erste von den Schülern mit mühsam unterdrücktem Lachen die Geschichte mit der Wurst berichtet hatte, sagte der Lehrer doch etwas strenge: »Um der guten Absicht willen, und weil du vorher die Erlaubnis dem Herrn Schulze abgelistet hast, mag für diesmal der tolle Streich durchgehen; aber hüte dich, ein andermal alte Leute foppen zu wollen, das schickt sich für einen jungen Burschen nicht.«

Ein ganzer Schwarm Knaben begleitete nachher Franz zu der alten Botenfrau, die ebenso überrascht wie erfreut über das unerwartete Geschenk war; solch ein Leckerbissen war ihr wohl noch nie geboten worden. Alle, die im Dorfe davon hörten, sagten: »Das ist dem reichen Geizhals ganz recht geschehen, er lebt im größten Ueberfluß und hat noch nicht die geringste Kleinigkeit für Notleidende gegeben. Das hat das schlaue Franz#l wirklich schön gemacht, er ist ein Allerweltsjunge und verdient es, daß man ihm gut ist!« Alle waren ihn; gewogen, nur einer war da, der ihn nicht liebte. Das war aber leider der Sohn des Brotherrn seines Vaters, des Herrn von Wallersbrun. Kurt, der mit Franz so ziemlich in einem Alter war, erwies zuweilen den Söhnen der Beamten seines Vaters die Ehre, sie aufzufordern, mit ihm im Freien zu spielen. Vor einigen Monaten hatte auch noch Franz zu diesen Auserwählten gehört, aber plötzlich hatte ihm der kleine Herr durch eine Veranlassung diese Gunst entzogen, obwohl er genau wußte, daß er selbst nicht nur allein die Schuld trug, sondern auch seinem heiteren Spielgefährten bitteres Unrecht getan hatte. Der kleine Tyrann nahm es als selbstverständlich an, daß sich alle als seine Untergebenen vor ihm beugten und sich wie Prügeljungen von ihm behandeln ließen. Alle anderen Knaben, die ihn auch als ihr Oberhaupt betrachteten, ließen sich willig von ihm unterdrücken und beherrschen. Nur Franz tat dies zu Kurts großem Verdruß nie; er hatte einen viel zu geraden Charakter, um Unterwürfigkeit heucheln zu können. Er nahm sich sogar auch noch der anderen an, wenn er sah, daß ihnen Unrecht geschah, und ließ sich auch nicht einschüchtern, wenn der junge Herr wütend ausrief: »Vergiß nicht, wen du vor dir hast, und daß du nur der Sohn des Dieners meines Vaters bist!« Auf solche albernen, hochmütigen Reden entgegnete dann Franz ganz unerschrocken: »Das gehört hier nicht her, Recht muß Recht bleiben, selbst wenn du der Kaiser wärst.« Eines Tages hatten die Knaben wieder alle im Garten Ball geschlagen, wobei Kurt fast jedesmal verloren hatte. Hierüber sehr erregt, hatte er des Brenners Hermann die Schuld daran zugeschoben und diesem höchst ärgerlich zugerufen: »Wenn du weiter so ungeschickt spielst, dann jage ich dich davon.« Geduldig hatte der stille Hermann diese ungerechte Beschuldigung über sich ergehen lassen, ohne sich mit einem Worte zu verantworten. Doch Franz hatte den kleinen Despoten sehr vorwurfsvoll angesehen, aber noch hatte auch er seinen Verdruß nicht staut werden lassen. Als aber Kurt dann weiter verlor und fortfuhr, bald den einen, bald den andern zu beschuldigen und zuletzt dem Hermann sogar eine derbe Ohrfeige versetzte, da vermochte Franz nicht länger an sich zu halten: »Pfui, wie schlecht!« rief er in heller Entrüstung aus. »Nicht nur deine eigene Schuld schiebst du dem armen Hermann in die Schuhe, nun schlägst du ihn gar auch noch!«

»Schweig, frecher Lümmel!« donnerte ihn Kurt an, »oder –« Dabei hob er drohend die Hand, in der er die Krücke hielt, in die Höhe.

»Ja, probiere es nur,« sagte Franz in ruhigem Tone.

Außer sich vor Wut stürzte sich jetzt der kleine Wüterich auf Franz los, und hätte dieser nicht mit seiner Krücke den Schlag geschickt aufgehalten, so hätte ihn Kurts Hieb sicher übel zugerichtet. Statt dessen ritzte nun Franzens Ballkrücke des Gegners Backe, so daß wirklich ein paar Blutstropfen herauskamen. Das war nun aber ein Unglück! Laut wehklagend lief Kurt zu seinem Vater und berichtete unter Zetergeschrei, daß ihn der grobe Franz blutig geschlagen habe. Darüber war natürlich Herr von Wallersbrun sehr ungehalten. Ohne auf Franzens Beteuerungen, daß er daran unschuldig sei, daß ihm Kurt den Stock aus der Hand geschlagen hätte, zu hören, schalt der erzürnte Vater ihn einen rohen Bengel und befahl ihm streng, sich hier nie wieder sehen zu lassen. Obwohl die anderen Jungen ganz genau wußten, daß dem Franz das größte Unrecht geschah, so wagte doch keiner, den Sohn des Gebieters Lügen zu strafen, und der arme unschuldige Franz mußte mit Schimpf und Schande abziehen.

Sein Vater war natürlich sehr erschrocken, als ihm der betrübte Sohn das Geschehene klagte, denn er fürchtete, daß ihm und seiner Familie viele Unannehmlichkeiten daraus erwachsen könnten. Am anderen Tage hatte ihn denn auch Herr von Wallersbrun sehr barsch mit den Worten angeredet: »Halten Sie nur Ihren rohen Buben ja strenge, und lassen Sie ihn: nicht immer allen Willen, sonst werden Sie sicher einmal erleben, daß er ein richtiger Raufbold wird!«

Der arme Vater hätte jetzt so gern seinen Sohn verteidigt und erklärt, wie sich die Sache verhielt; aber der abhängige Mann mußte an seine Familie denken und seinem Brotherrn gegenüber im Gefühl seines guten Rechts schweigen. Er wußte, daß sein Franz die Wahrheit sagte und ihn noch nie belogen hatte.

Dasselbe war auch Kurt bekannt, und er wußte auch ganz genau, daß nicht Franz, sondern er der Uebeltäter gewesen war, aber dennoch schlug ihm nicht das Gewissen. Er verfolgte vielmehr seinen einstigen Spielgefährten mit tiefem Haß. Auch seinen Vater wußte er immer mehr gegen ihn einzunehmen, der bisher den fröhlichen hübschen Knaben sehr gern gehabt hatte.

Es war wohl schon über ein halbes Jahr seit dem Streit der beiden Knaben vergangen, als Franz eines Tages von seinem Vater mit einer eiligen Bestellung in das nächste Dorf geschickt wurde. Munter ein Liedchen vor sich hin pfeifend, ging er durch den Wald; plötzlich sah er Kurt auf einem Pferde angaloppiert kommen. Anfänglich fiel ihm dabei weiter nichts auf, denn er wußte, daß Kurt gern durch den Wald im wilden Trabe ritt. Bald aber mußte er zu seinem Schrecken wahrnehmen, daß dies nicht Absicht war, sondern daß das Pferd mit ihm durchgegangen war, und daß sich Kurt nur mit größter Anstrengung im Sattel festhalten konnte. Ganz in der Nähe befand sich ein reißender Fluß, und auf diesen raste das wilde Tier los. Da gab es kein Besinnen mehr, denn schon in wenig Minuten wären Roß und Reiter verloren gewesen. Mutig und die eigene Lebensgefahr nicht achtend, stürzte der wackere Franz dem tollen Pferd entgegen. Seiner großen Gewandtheit und Schnelligkeit gelang es auch wirklich, es so lange zum Stehen zu bringen, daß Kurt herabspringen konnte. Dann lief das wilde Geschöpf im rasenden Lauf weiter, geradezu in den Fluß hinein, und ward alsbald von dem Strome fortgetrieben. Kurt war vom Pferd auf die Erde gesunken und blieb stöhnend mit geschlossenen Augen liegen.

»Hast du dich beschädigt?« fragte Franz, mitleidig über ihn gebeugt.

»Gewiß habe ich mir beim Herabspringen den Fuß verrenkt oder vielleicht auch gar gebrochen,« jammerte Kurt.

Vergebens bemühte sich Franz, ihn aufzurichten, aber mit einem lauten Wehschrei sank er wieder auf die Erde.

»Dann weiß ich wirklich weiter keinen Rat, als dich hier so lange allein zu lassen, bis ich Hilfe geschafft habe,« sagte Franz. »Wenn ich schnell zu deinen Eltern laufe und sie von deinem Unfall benachrichtige, kann ich in einer halben Stunde wieder bei dir sein.«

»Ach ja, bitte, tue das,« bat Kurt jetzt sehr demütig.

Sofort erfüllte Franz seinen Wunsch und war in kaum zwanzig Minuten wieder bei ihm. Obwohl Kurt große Schmerzen erlitt, so vergaß er doch nicht, Franzen für seine Hilfe herzlich zu danken.

»O Franz, wie bist du doch gut, und wie wenig habe gerade ich deine Güte verdient,« wiederholte er immer wieder. Bald kam dann auch sein Vater mit einem Diener angefahren, und beide hoben den jammernden Kurt vorsichtig in den Wagen und fuhren langsam mit ihm nach Hause. Der eiligst herbeigerufene Arzt konnte Kurt und seine Eltern beruhigen, daß der Fuß nicht, wie sie gefürchtet, gebrochen wäre, sondern nur eine schlimme Verrenkung erlitten hätte. »In kurzer Zeit wird alles wieder in Ordnung sein,« hatte er dann tröstend gesagt, und Kurt Ruhe und strenge Befolgung seiner ärztlichen Vorschriften anempfohlen.

Als die Schmerzen, die sich zuerst noch steigerten, nachgelassen hatten, dachte Kurt wieder an Franzens Güte und Opfermut, und er fühlte sich tief beschämt. Zu den Körperschmerzen quälte ihn auch noch sein böses Gewissen, und er konnte nicht eher Ruhe finden, bis er seinem Vater alles gestanden hatte. Sich selbst anklagend, bekannte er nun auch die volle Wahrheit. Da war nun Herr von Wallersbrun sehr böse, und nur des Sohnes aufrichtige Reue konnte den erzürnten Vater wieder besänftigen, denn er haßte nichts mehr als einen unlauteren und unwahren Charakter.

»O schäme dich!« sagte er, »deinen Spielkameraden, den ich immer für einen guten Jungen gehalten habe, so schändlich zu verleumden und deine Eltern zu belügen. Das beweist eine ganz gemeine, niedrige Gesinnung, deren ich dich nicht für fähig gehalten habe!«

Kurt war sehr zerknirscht und tief betrübt. Unter Tränen bat er seinen Vater um Verzeihung, indem er heilig gelobte, sich nie wieder dergleichen zuschulden kommen zu lassen.

»Ich werde sogleich den Franz rufen lassen, und du wirst ihn in meiner Gegenwart um Verzeihung bitten und ihm gebührend danken für seinen opferwilligen Beistand, den er dir unter Gefahr seines eigenen Lebens mit so bewundernswürdigem Mut geleistet hat,« gebot jetzt Herr von Wallersbrun.

Dazu war Kurt auch von Herzen gern bereit, und es wurde sogleich nach Franz geschickt. Als der Gerufene nach einer knappen Viertelstunde bei Kurt eintrat, streckte ihm dieser beide Hände entgegen, dankte ihm zuerst sehr herzlich und bat ihn dann inständigst um Verzeihung, indem er die freundliche Bitte hinzufügte, doch wieder sein Freund sein zu wollen.

Mit warmem Händedruck versicherte Franz, daß er keinen Groll gegen ihn gehegt habe und ihm gern ein guter Freund werden wolle.

Auch Herr von Wallersbrun, der zugegen geblieben war, reichte Franz herzlich die Hand und sagte, ihm die Backen klopfend: »Du bist ein braver Junge, und hast durch deine edle Denkweise Kurt tief beschämt und feurige Kohlen auf sein Haupt gesammelt. Ich will hoffen, daß er deine Güte durch wahre Freundschaft vergelten wird.«

Kurt war nun dadurch von seinem Hochmut und Dünkel vollständig geheilt, und er gab sich wirklich redlich Mühe, das Geschehene wieder gut zu machen. Er sah auch in den anderen Söhnen der Beamten seines Vaters nicht mehr die tief unter sich Stehenden, sondern behandelte sie von jetzt an alle wie seine Kameraden.

Sein bester Freund und seine liebste Gesellschaft blieb aber das lustige Franz'l, wie er und seine Eltern ihn nun auch nannten. Auch Herr von Wallersbrun fand großes Wohlgefallen an dem klugen, geweckten Jungen, und er versprach seinem Vater, für eine gute, seinen Fähigkeiten entsprechende Erziehung sorgen zu wollen. »Erhalte dir immer deinen fröhlichen und rechtschaffenen Sinn, mein Junge, dann wird dir nie die Liebe und Wertschätzung deiner Mitmenschen fehlen!« sagte er, indem er ihm eine silberne Uhr mit Kette als Anerkennung für die seinem Sohne geleisteten Dienste überreichte.


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