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Es war spät geworden; der Gerichsrath Knapp, in die Zeit des Königs Hans vertieft, wollte heimkehren, und das Schicksal lenkte es so, daß er anstatt seiner Galoschen die des Glücks bekam und nun auf die Oststraße hinaustrat; aber er war durch die Zauberkraft der Galoschen in die Zeit des Königs Hans zurückversetzt, und deßhalb setzte er den Fuß geradezu in Koth und Morast auf die Straße, weil es zu jener Zeit noch kein Steinpflaster gab.
»Es ist ja gräulich, wie schmutzig es hier ist!« sagte der Gerichtsrath. »Der ganze Bürgersteig ist fort und alle Laternen sind ausgelöscht.«
Der Mond war noch nicht hoch genug heraufgekommen und die Luft überdieß ziemlich dick, so daß alle Gegenstände rings umher bei dieser Dunkelheit in einander verschwammen. An der nächsten Ecke hing jedoch eine Laterne vor einem Marienbilde, aber die Beleuchtung war so gut wie keine, er bemerkte sie erst, als er gerade darunter stand, und seine Augen fielen auf das gemalte Bild mit der Mutter und dem Kinde.
»Das ist wohl«, dachte er, »eine Kunstsammlung, wo man vergessen hat, das Schild abzunehmen.«
Ein paar Menschen, in der Tracht des Zeitalters, gingen an ihm vorbei.
»Wie sahen sie doch aus! Sie kamen wohl aus einer Maskerade!«
Plötzlich ertönten Trommeln und Pfeifen, Fackeln leuchteten hell. Der Gerichtsrath stutzte und sah nun einen sonderbaren Zug vorbeiziehen. Zuerst kam ein ganzer Trupp Trommelschläger, die ihre Trommeln recht tüchtig bearbeiteten, ihnen folgten Trabanten mit Bogen und Armbrüsten. Der Vornehmste im Zuge war ein geistlicher Herr. Erstaunt fragte der Gerichtsrath, was das zu bedeuten habe und wer der Mann sei.
»Das ist der Bischof von Seeland!«
»Was fällt dem Bischof ein?« seufzte der Gerichtsrath und schüttelte mit dem Haupte; der Bischof konnte es nicht sein. Darüber grübelnd und ohne zur Rechten oder Linken zu sehen, ging der Gerichtsrath durch die Oststraße und über den Hohenbrückenplatz. Die Brücke, die nach dem Schloßplatze führt, war nicht zu finden, er wurde ein seichtes Ufer gewahr und stieß endlich hier auf zwei Leute, die in einem Boote waren.
»Will der Herr nach dem Holm übergesetzt werden?« fragten sie.
»Nach dem Holm hinüber?« sagte der Gerichtsrath, der ja nicht wußte, in welchem Zeitalter er sich befand. »Ich will nach Christianshafen in die kleine Torfstraße!«
Die Leute betrachteten ihn.
»Sagt mir nur, wo die Brücke ist!« sagte er. »Es ist schändlich, daß hier keine Laternen angezündet sind, und dann ist es ein Schmutz, als ginge man in einem Sumpf!«
Je langer er mit den Bootsmännern sprach, desto unverständlicher waren sie ihm.
»Ich verstehe Euer Bornholmisch nicht!« sagte er zuletzt ärgerlich und kehrte ihnen den Rücken. Die Brücke konnte er nicht finden, ein Geländer war auch nicht da. »Es ist eine Schande, wie es hier aussieht!« sagte er. Nie hatte er sein Zeitalter elender gefunden, als an diesem Abend. »Ich glaube, ich werde am besten thun, einen Wagen zu nehmen!« dachte er, aber wo war einer zu finden? Keiner war zu erblicken. »Ich werde nach dem Königs-Neumarkt zurückgehen müssen, dort halten wohl Wagen, sonst komme ich nie nach Christianshafen hinaus!«
Nun ging er nach der Oststraße und war fast hindurch gekommen, als der Mond hervorbrach.
»Mein Gott, was ist das für ein Gerüst, was man hier errichtet hat!« rief er aus, als er das Ostthor erblickte, welches zu jener Zeit am Ende der Oststraße stand.
Inzwischen fand er doch einen Durchgang offen und durch diesen kam er nach unserm Neumarkt hinaus; aber das war ein großer Wiesengrund, einzelne Büsche ragten hervor und quer durch die Wiese ging ein breiter Strom. Einige erbärmliche Holzbuden für holländische Schiffer, nach denen der Ort den Namen Hollandsaue hatte, lagen auf dem entgegengesetzten Ufer.
»Entweder erblicke ich eine Lufterscheinung oder ich bin betrunken!« jammerte der Gerichtsrath. »Was ist das doch? Was ist das doch?«
Er kehrte wieder um in der festen Ueberzeugung, daß er krank sei; indem er in die Straße zurückkam, betrachtete er die Häuser etwas genauer, die meisten waren nur von Fachwerk und viele hatten nur ein Strohdach.
»Nein, mir ist gar nicht wohl«, seufzte er, »und ich trank doch nur ein Glas Punsch, aber ich kann ihn nicht vertragen; und es war auch ganz und gar verkehrt, uns Punsch und warmen Lachs zu geben, das werde ich der Frau auch sagen. Ob ich wohl wieder zurückkehre und sage, wie mir zu Muthe ist? Aber das sieht lächerlich aus und es ist die Frage, ob sie noch wach sind!«
Er suchte nach dem Hause, aber es war gar nicht zu finden.
»Es ist doch erschrecklich, ich kann die Oststraße nicht wieder erkennen, nicht ein Laden ist da! Alte, elende, verfallene Häuser erblicke ich, als ob ich in Roeskilde oder Ringstedt wäre! Ach, ich bin krank! Es nützt nichts, ängstlich zu sein! Aber wo in Aller Welt ist des Stadtraths Haus? Es ist nicht mehr dasselbe, aber dort drinnen sind noch Leute auf; ach, ich bin sicher krank!«
Nun stieß er auf eine halb offene Thür, wo das Licht durch eine Spalte fiel. Es war eine Herberge jener Zeit, eine Art von Bierhaus. Die Stube hatte das Ansehen einer holländischen Diele; eine Anzahl Leute, bestehend aus Schiffern, Kopenhagener Bürgern und ein paar Gelehrten, saßen hier im eifrigsten Gespräch bei ihren Krügen und betrachteten den Eintretenden nur wenig.
»Um Entschuldigung,« sagte der Gerichtsrath zu der Wirthin, die ihm entgegenkam, »ich bin sehr unwohl geworden, wollen sie mir nicht einen Wagen nach Chriftianshafen hinaus besorgen lassen?«
Die Frau betrachtete ihn und schüttelte mit dem Kopfe; darauf redete sie ihn in deutscher Sprache an. Der Gerichtsrath nahm an, daß sie der dänischen Zunge nicht mächtig sei und brachte deßhalb seinen Wunsch auf Deutsch an. Dieß im Verein mit seiner Kleidung bestärkte die Frau darin, daß er ein Ausländer sei; daß er sich unwohl befinde, begriff sie bald, und brachte ihm deßhalb einen Krug Wasser, freilich hatte es, etwas vom Seewasser, wiewohl es draußen aus dem Brunnen geschöpft war.
Der Gerichtsrath stützte sein Haupt in die Hand, holte tief Athem und grübelte über alles Seltsame rings um sich her nach.
»Ist das Der Tag Eine Abendzeitung in Kopenhagen von heute Abend?« fragte er ganz mechanisch, indem er sah, wie die Frau ein großes Stück Papier fortlegte.
Sie verstand nicht, was er damit meinte, reichte ihm aber das Blatt, es war ein Holzschnitt, welcher eine Lufterscheinung zeigte, die in der Stadt Köln gesehen worden war.
»Das ist sehr alt!« sagte der Gerichtsrath und wurde durch dieses vergilbte Blatt ganz aufgeräumt. »Wie sind Sie doch zu diesem seltenen Blatt gelangt? Das ist höchst merkwürdig, obgleich das Ganze eine Fabel ist! Man erklärt dergleichen Lufterscheinungen dadurch, daß es Nordlichter sind, die man erblickt hat; wahrscheinlich entstehen sie durch die Electricität!«
Die, welche ihm zunächst saßen und seine Rede hörten, sahen ihn erstaunt an und Einer von ihnen erhob sich, nahm ehrerbietig den Hut ab und sagte mit der ernsthaftesten Miene: »Ihr seid sicher ein höchst gelehrter Mann.«
»O, nein!« erwiderte der Gerichtsrath, »ich kann nur von Einem und dem Andern mitsprechen, was man ja verstehen muß!«
»Bescheidenheit ist eine schöne Tugend!« sagte der Mann. »Uebrigens muß ich zu Eurer Rede sagen: ich habe eine andere Ansicht, doch will ich hier gern mein Urtheil zurückhalten!«
»Darf ich wohl fragen, mit wem ich das Vergnügen habe, zu sprechen?« fragte der Gerichtsrath.
»Ich bin Magister der heiligen Schrift!« erwiderte der Mann.
Diese Antwort war dem Gerichtsrath genügend, der Titel entsprach hier der Tracht. »Das ist sicher«, dachte er, »ein alter Dorfschulmeister, ein naturwüchsiger Mann, wie man sie zuweilen oben in Jütland treffen kann.«
»Hier ist zwar eigentlich nicht der Platz zu gelehrten Gesprächen«, begann der Mann, »doch bitte ich, daß Ihr Euch herablasset, zu sprechen! Ihr seid sicher in den Alten sehr belesen!«
»O, ja wohl!« antwortete der Rath, »ich lese gern alte, nützliche Schriften, habe aber auch die neueren recht gern, mit Ausnahme der ›Alltagsgeschichten‹, deren wir in Wirklichkeit genug haben!«
»Alltagsgeschichten?« fragte unser Magister.
»Ja, ich meine diese neuen Romane, die man jetzt hat.«
»O«, lächelte der Mann, »sie enthalten doch vielen Witz und werden bei Hofe gelesen, der König liebt besonders den Roman von Herrn Ivent und Herrn Gaudian, welcher von König Artus und seinen Helden der Tafelrunde handelt, er hat mit seinen hohen Herren darüber gescherzt.« Holberg erzählt in seiner Geschichte des dänischen Reiches, daß König Hans eines Tages, als er in dem Roman von König Artus gelesen hatte, mit dem bekannten Otto Rud, auf den er sehr viel hielt, scherzte: »Herr Ivent und Herr Gaudian, die ich in diesem Buche finde, sind tüchtige Ritter gewesen, solche Ritter findet man in jetziger Zeit nicht mehr!« worauf Otto Rud erwiderte: »Wenn es noch solche Kämpen, wie König Artus gäbe, würde man auch noch viele Ritter wie Herr Ivent und Herr Gaudian finden!
»Ja, den habe ich noch nicht gelesen!« sagte der Gerichtsrath, »das muß ein ganz neuer sein, den Heiberg herausgegeben hat!«
»Nein«, erwiderte der Mann, »der ist nicht bei Heiberg, sondern bei Godfred von Nehmen herausgekommen!«
»So ist das der Verfasser!« sagte der Gerichsrath. »Das ist ein sehr alter Name, so hieß ja wohl der erste Buchdrucker, der in Dänemark gewesen ist?«
»Ja, das ist unser erster Buchdrucker«, sagte der Mann.
So weit ging es ganz gut; nun sprach einer der guten Bürgersleute von der schweren Pestilenz, die vor ein paar Jahren regiert hatte, und meinte die im Jahre l484; der Gerichtsrath nahm an, daß es die Cholera sei, von der die Rede war, und so ging die Unterhaltung ganz gut. Der Freibeuterkrieg von l490 lag so nahe, daß er berührt werden mußte; die englischen Freibeuter hatten Schiffe auf der Rhede genommen, sagten sie; und der Gerichtsrath, der sich in die Begebenheiten von 1801 recht hineingelebt hatte, stimmte vortrefflich gegen die Engländer mit ein. Das übrige Gespräch dagegen ging nicht so gut, jeden Augenblick wurde es gegenseitig zum Leichenbitterstyl; der Magister war gar zu unwissend, und die einfachsten Aeußerungen des Gerichtsraths klangen ihm wieder zu dreist und zu überspannt.
Sie betrachteten einander, und wurde es gar zu arg, dann sprach der Magister lateinisch, in der Hoffnung, besser verstanden zu werden, aber es half doch nichts.
»Wie ist es mit Ihnen?« fragte die Wirthin, und zog den Rath beim Aermel; nun kam seine Besinnung zurück, im Laufe der Unterhaltung hatte er Alles rein vergessen, was vorangegangen war.
»Mein Gott, wo bin ich?« fragte er, und es schwindelte ihm, wie er daran dachte.
»Klaret wollen wir trinken! Meth und Bremer Bier«, rief einer der Gäste, »und Ihr sollt mittrinken!«
Zwei Mädchen kamen herein, und schenkten ein.
Er mußte mit den Andern trinken, sie bemächtigten sich ganz artig des guten Mannes, er war höchst verzweifelt, und als der Eine sagte, daß er betrunken sei, so zweifelte er durchaus nicht an des Mannes Wort, bat sie nur, ihm einen Wagen zu verschaffen, und dann glaubten sie, er spreche moskowitisch.
Nie war er in so roher Gesellschaft gewesen. »Man könnte glauben, das Land sei zum Heidenthume zurückgekehrt«, meinte er, »das ist der schrecklichste Augenblick in meinem Leben!« Doch plötzlich kam ihm der Gedanke, sich unter den Tisch hinab zu bücken und dann nach der Thür zu kriechen. Das that er, aber indem er beim Ausgange war, bemerkten die Andern, was er vor hatte, sie ergriffen ihn bei den Füßen, und nun gingen die Galoschen zu seinem Glücke ab, und – mit diesen die ganze Bezauberung.
Der Gerichtsrath sah ganz deutlich vor sich eine Laterne brennen, und hinter dieser ein großes Gebäude, Alles sah bekannt und prächtig aus, das war die Oststraße, wie wir sie kennen, er lag mit den Beinen gegen eine Pforte hin, und gerade gegenüber saß der Wächter und schlief.
»Du mein Schöpfer, habe ich hier auf der Straße gelegen und geträumt!« sagte er. »Ja, das ist die Oststraße! Wie Prächtig hell und bunt! Es ist doch erschrecklich, wie das Glas Punsch auf mich gewirkt haben muß.«
Zwei Minuten später saß er in einem Wagen, der mit ihm nach Christianshafen fuhr, er gedachte der Angst und Noth, die er ausgestanden, und pries von Herzen die glückliche Wirklichkeit, unsere Zeit, die mit allen ihren Mängeln doch weit besser sei, als die, in der er vor Kurzem gewesen war.