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V.

Prächtiger als wir in unserm Norden
Wohnt der Bettler an der Engelspforten,
Denn er sieht das ewig einz'ge Rom.

Schiller.

Es war so unbehaglich, so kalt in der engen Dachkammer, wo die Mutter schlummerte und der Sohn litt. Deshalb wollen wir diesen Ort fliehen, fort aus der kalten Luft, fort von den tiefen Seufzern, fliehen nach den großen, prächtigen Sälen, im warmen Süden Naomi suchen. Wir sind in Rom, der Stadt der Erinnerungen, dem »Colosseum der Welt«. O Rom –
Du werldens Colisé
Nicander

Die milde Luft weht uns entgegen, die Lampe brennt vor dem Madonnenbild, wo die schmucken Kinder knien und mit den weichen Stimmen des Südens ihr Abendlied singen. Die Lichter scheinen durch die bunten Kirchenfenster, wo die Messe gelesen wird und die Liebenden sich ihr Stelldichein geben. Der Bauer und der Bettler wickeln sich in ihre Mäntel und suchen ihr Lager auf den breiten Treppen. Die vermummte Procession mit brennenden Lichtern schreitet durch die engen, winkeligen Gassen. Auf der piazza venezia brennen Fackeln, welche mit großen Nägeln an die Wand gespießt sind, päpstliche Soldaten halten zu Pferde davor. Es ist Ball bei der Herzogin Torlonia. Der größte Theil der Eingeladenen sind Fremde von jenseit der Berge. Die Colonnaden sind glänzend erhellt, Büsten und Statuen scheinen in dem beweglichen Fackelschein lebendig zu werden. Die Haupttreppe ist mit blühenden Bäumen und bunten Teppichen geschmückt. Die Bildergalerie sogar ist in eine Promenade umgewandelt. In den zwei größten Sälen wird auf dem spiegelglatten, glänzenden Boden getanzt; die Seitenzimmer sind den Spieltischen und der Konversation eingeräumt. Kupferwerke, englische und französische Zeitungen findet man in dem Lesecabinet. Wir treten in den großen Tanzsaal; ringsum strahlen Lichter in prächtigen Candelabern, sechzehn Kronleuchter hängen an der Decke. In der großen Nische vor uns steht der colossale Herkules, der in seinem wilden Schmerz Lycchas am Fuße und Haare ergriffen hat, um ihn gegen den Felsen zu schleudern, ein seltsamer Contrast mit den süßen Tanzmelodien und der frohen Jugend rings umher.

Der Graf stand im Gespräche mit einem Italiener von hübschem Aeußern, namentlich hatte das Gesicht edle Formen; es war der Bildhauer Canova, der Stolz Italiens. Er zeigte auf Naomi, die mit einem jungen französischen Officier über den Boden schwebte.

»Eine seltene Schönheit!« sagte er, »ein vollkommen römischer Blick und doch, höre ich, ist sie aus dem Norden.«

»Es ist meine Adoptivtochter!« sagte der Graf, »der junge Officier, mit dem sie tanzt, ist ein Sohn des Marquis Rebard, aus einem der glänzendsten Häuser in Paris; er ist ein junger Mann von Geist und Talent; ich habe ihn von seinem sechzehnten Jahre an gekannt!«

Naomi, lebensfroh und in all' ihrer Jugendschönheit, schien eine jüngere Schwester von Titians Flora oder eine Tochter von Raphaels Fornarina, etwas Verwandtes hatte sie mit diesen Portraits. Ihr runder, weißer Arm ruhte auf der Schulter des jungen Marquis. Er war groß und schlank, sein Blick voll Geist und Leben, er war kaum mehr als dreiundzwanzig Jahre alt. Der Lebensgenuß hatte zwar seine gesunde Farbe abgeblaßt, aber die Leidenschaft im Auge erhöht. Er führte Naomi zu dem prächtigen Divan und brachte ihr Erfrischungen.

Im Norden, wo nun der Schnee fiel, träumte Christian in seiner armseligen Dachkammer von Naomi; sie saß auf dem Bettbrett, schlang ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn auf die Stirne. Im Prater träumte Ladislaus im Bretterhaus, die Reitpeitsche hing an seinem Bette; auch er träumte von ihr und lachte höhnisch in seinen Träumen. Sie hatte in der frohen Wirklichkeit beide vergessen.

»Man glaubt noch in Paris zu sein,« sagte der Marquis. »Das Ganze hier erinnert an unsere Salons. Will man dagegen in Rom eine Idee von den Festen der alten Römer haben, von ihren lustigen Bacchanalien innerhalb der vier Wände, so muß man an den Gelagen der jungen Künstler theilnehmen. Sie trinken mit Epheukränzen ums Haupt und kühlen die Stirne mit frischen Rosen. Von den vielen Künstlern, die hier sind, bilden die Deutschen die überwiegende Zahl und deshalb hat die Lust ein vorzugsweise deutsches Gepräge. Die Franzosen, Engländer und Dänen schließen sich einzeln an diese an; als Künstler bilden sie ja eine große Nation: die des Geistes. Bei meinem ersten kurzen Aufenthalt hier oder richtiger bei meiner ersten Durchreise nahm ich an ihrem Cervaro, einer Art modernen Bacchanals, in der Campagna Theil. Die meisten verkleiden sich und zwar in die barocksten Kostüme, und reiten so auf Pferden oder Eseln in der frühen Morgenstunde zur porta maggiore hinaus. Wir sahen da Zoroaster von Löwen gezogen, das waren ein paar alte Esel, wohl austaffirt mit Masken von Pappe und wollenen Mähnen. Don Quijote und Sancho Pansa nahmen sich gut aus im Gefolge. Es war ein ganzer Carnevalszug, wohl bewaffnet mit Spießen und Holzsäbeln; Lieder in den Sprachen aller Nationen klangen durch die frische Luft. Draußen bei den Höhlen, wo wir Halt machten, stand der dreiköpfige Cerberus. Kleine Nixen tanzten auf den grünen Hügeln, Pistolen knallten und Freudenfeuer brannten. Die Esel warfen manchen Reiter ab: da lag der chinesische Tschang-Tsching-Tschu neben Ihrer Majestät der Königin von Saba. Die Wettrennen vergesse ich nie; jeder andere Jockey war der selige Magister Syntax.«

»Kommen auch Damen dazu?« fragte Naomi.

»Ja, von allen Nationen!« antwortete er, »ich sah Eingeborene und Fremde. Dagegen findet man in den Osterien, wo die Künstler sich jeden Abend versammeln, keine Damen. Es ist dort auch ein Tabaksrauch, den ein Franzose kaum aushalten kann. Dessenungeachtet habe ich mich die Paar Male, die ich dort zubrachte, gut unterhalten. Man muß ja Alles kennen lernen. Wäre ich Künstler, würde ich die bunten Gruppen auf die Leinwand bringen, und wäre ich Dichter, schriebe ich sofort ein Vaudeville über das, was ich gesehen.«

»Sie machen mir große Lust, dahin zu kommen,« sagte Naomi. »Gibt es kein Guckloch dort, wo man ungesehen Zuschauer sein könnte?«

»Nur wenn Sie sich als Herr verkleideten, würde ich wagen, Sie dort einzuführen.«

»Eine Dame aus dem Norden wagt keine Verkleidung,« sagte Naomi.

»Einer von meinen Freunden,« begann der Marquis wieder, »wird morgen dort eingeführt. Es ist »Pontemolle«, wie man das heißt. Er wird über die Tiberbrücke geführt. Früher pflegten die Künstler, wenn ein bekannter Landsmann kam, ihn nach der Ponte Molle zu führen und im Wirthshaus dort sein Willkommen zu trinken. Nun geschieht das hier in Rom, in derselben Osterie, wo sie sich jeden Abend versammeln. Jeder Künstler, groß oder klein, ist Bruder des Ordens, wenn er nur »Pontemolle« gibt, das heißt, all' den Wein bezahlt, den Jeder an jenem Abend in der Gesellschaft zu trinken Lust hat. Der Cameriere setzt eine gefüllte Fogliette um die andere auf den Tisch. Es finden mancherlei Ceremonien statt, die recht lustig sind, und der Eintretende erhält sein Diplom als Mitglied, wird Ritter vom Bajoccoorden; das ist ein gewöhnlicher Kupferschilling an einem Bande, der bei jedem späteren Pontemolle getragen wird. Horace Vernet, Overbeck und Thorwaldsen tragen ebenfalls diesen Orden.«

Ein neuer Tanz begann, die Konversation wurde unterbrochen und Arm in Arm flogen sie über den blankgebohnten Boden. Am folgenden Morgen hielt der Marquis mit einem leichten Cabriolet vor dem Hôtel auf dem spanischen Platz, wo der Graf wohnt. Naomi war zu einer Spazierfahrt in dem Garten der Villa Pamphili eingeladen. Ungeachtet man hier dicht bei den Mauern von Rom ist, kommt es einem doch vor, als wenn man weit draußen auf dem Lande wäre. Man sieht nichts von Rom selbst und eine weite Aussicht öffnet sich über die Campagna, wo die sechs Meilen lange Wasserleitung auf gemauerten Bogen, mehrere Klafter hoch über der Erde, das Wasser von den Bergen herleitet, welche in schönen Wellenlinien den Horizont bekränzen.

Ungeachtet es im Januar war, schien die Sonne warm, wie an einem schönen Septembertag im Norden. Die stolzen Pinien erhoben ihren immergrünen Schirm in die reine, blaue Luft. Das Unterholz von Lorbeeren, namentlich laurus cerasus, gab Allem ein sommerliches Aussehen. Die Orangen hingen gelb zwischen dem grünen Laub, die Rosen und Anemonen blühten und rings in den Alleen sprang aus den Fontainen das Wasser in klarem Strahle. Naomi sprach wieder von ihrem Wunsche, an diesem Abend dem Marquis nach der Osterie zu folgen; sie habe sich eine Männertracht und Blouse zum bevorstehenden Carneval machen lassen, sagte sie; auch hatte sie, das sagte sie jedoch nicht, ihre Jockeytracht von Wien noch, diese konnte sie aber nicht anziehen, sie würde sie und den Grafen an eine Zeit erinnert haben, die vergessen bleiben sollte. Es galt nun nur noch ihren Vater zu überreden und ihn zur Begleitung zu bewegen. Das lasse sich sehr leicht arrangiren, meinte der Marquis.

Sie waren durch den Garten gefahren und hielten wieder bei dem Gitterthor, das auf die Landstraße führt. Auf einem zerbrochenen Capitäl saß ein Capucinermönch in seiner braunen Kutte, ein weißer Strohhut beschattete sein Gesicht; an den Füßen trug er Sandalen.

Der Marquis grüßte ihn bekannt und erzählte Naomi, daß er bisweilen den Besuch des Mönches empfange. »Ich sehe ihn,« sagte er, »wenn er für das Kloster einsammelt, ist er zufrieden mit meiner Gabe, so tractirt er mich dafür mit einer Prise Tabak. Uebrigens müssen Sie wissen, daß es Ihr Landsmann ist; er ist aus Dänemark.«

»Mein Landsmann?« wiederholte Naomi fragend und betrachtete den Mann, der im gleichen Augenblick aufstand, den leinernen Sack über die Schulter nahm und weiter gehen wollte.

Naomi redete ihn auf Dänisch an. Der Mann erröthete.

»Sie sind von Dänemark?« fragte sie.

»O Gott, Sie sprechen dänisch!« rief er und seine Augen funkelten. »Diese Sprache höre ich nie. Mit Landsleuten kann ich in den Verhältnissen, in denen ich mich befinde, nicht umgehen und deshalb begegnen wir uns nie. O Gott, Sie sind aus dem lieben Dänemark?«

»Sie sind dort geboren?« fragte Naomi.

»Ja, geboren und erzogen!« sagte der Mönch. »Manche frohe Tage habe ich dort erlebt; aber seitdem habe ich viel durchgemacht, ehe ich hierher und in diese Tracht kam.«

»Wenn Sie für Ihr Kloster einsammeln, so besuchen Sie auch mich im Hotel auf dem spanischen Platz!« Und sie nannte ihm den Namen ihres Pflegevaters.

»Sie sind seine Tochter!« sagte er, »kennen Sie mich nicht? Ich wohnte in Svendborg, hatte Frau und Kind. O, es ist viel Unglück über mich hingegangen. Ich wäre hier verhungert, wenn das Kloster mich nicht als dienenden Bruder angenommen.«

Es war Christians Vater, Naomi erkannte ihn.

Bei Sonnenuntergang, als die Glocken Ave-Maria läuteten, befand sich Naomi bereits in ihrer kleidsamen Männertracht; sie trug ein kleines Bärtchen über dem feinen Munde. Die Carnevalszeit sei nahe; auch sei eine solche Verkleidung in Rom nichts Seltenes, meinte sie. Der Graf schüttelte doch ein wenig den Kopf. Nun meldete der Diener den jungen Marquis und keine halbe Stunde später waren sie alle drei auf dem Wege zu der Osterie, wo die Künstler sich versammelten.

Dicht neben einer der kleinen Kirchen Roms lag die Osterie. Am Tage fiel das ganze Licht nur durch die offene Doppelthür. Der Boden war mit gewöhnlichen Steinen gepflastert. Die ganze Breite der einen Wand nahm der Schornstein ein, wo Feuer an Feuer unter den verschiedenen Gerichten flammte, welche Frau, Mann und zwei Söhne unter einem ewigen Gelächter zubereiteten. Auf dem schiefen Küchentisch lag Fisch und Fleisch malerisch geschmückt mit grünen Blättern; man konnte aussuchen, was man wünschte, und sofort wurde es zubereitet. An den langen Holztischen saßen Landleute und ihre Frauen mit Wein vor sich in den großen strohumwundenen Flaschen. Ein Kranz von rothen Glaslampen brannte um das Madonnabild, das ziemlich grell auf die Wand gemalt war. Ein Esel mit seiner ganzen Bepackung hatte ebenfalls Platz da drinnen, wo er sicher auf seinen Herrn wartete. Die Landleute improvisirten und die Frauen sangen im Chor mit. Dicht bei dem Schornstein, wo die Signora der Osterie stand, hing in seinem Korb an der Wand ein kleines lebendes Kind, das mit den kleinen Armen spielte und auf die bunte Lustigkeit herabsah.

Der Graf, der Marquis und Naomi gingen durch die Stube nach der hohen Steintreppe, welche sie in ein anderes großes Zimmer führte, das einst das Refectorium des Klosters gewesen; das Kloster war nun niedergerissen, nur die Kirche stand noch. Hier war, was im Süden ungewöhnlich ist, em hölzerner Boden. Die gewölbte Decke bildete mehrere Bogen. An den Wänden hingen verwelkte Kränze – und in der Mitte bildete ein Geflecht von Eichenblättern ein O und ein T. Das bezeichnete die Namen Overbeck und Thorwaldsen. Diese beiden hatten früher ihr »Pontemolle« gefeiert und zur Erinnerung daran hingen noch die Namenszüge da.

Wie in dem vordern Zimmer standen auch hier lange Tische mit einem Tuche bedeckt, das freilich etwas graulich war. Messinglampen, jede mit sechs Dochten, brannten in kurzem Abstand von einander; eine starte Tabakswolke wogte unter der Decke. Auf den Bänken saßen um die Tische her junge und alte Künstler, doch waren die meisten von ihnen Deutsche, von welchen sich das Kneipenleben schreibt. Alle hatten sie Schnurr-, Kinn- und Backenbärte, einzelne trugen lange Locken. Einige saßen in Hemdsärmeln da, andere in Blousen. Hier sah man den alten berühmten Reinhardt im Lederwamms mit rother wollener Mütze auf dem Kopf. Sein Hund war an das Stuhlbein festgebunden und kläffte lustig mit einem andern Hunde dicht daneben. Da saß Overbeck mit bloßem Halse und den langen Locken über den weißen Hemdkragen, wie Raphael gekleidet – und das war nicht das Costüm des Mannes, sondern seine tägliche Tracht. Seine Genialität ließ ihn in seiner Kunst nahe an Perugino und Raphael hinanreichen, seine Schwäche hieß ihn diese auch in der Kleidung nachahmen. Der Tyroler Koch, der alte Künstler mit dem jovialen Gesicht, reichte dem Marquis die Hand; man nahm Platz. Bald sah man die zum »Pontemolle« festlich gekleideten Beamten erscheinen; sie hatten Sitze gerade in der Mitte vor dem Tische: zuerst der General, wie er genannt wurde, seine Uniform war mit Orden und Sternen von Papier übersäet; dann zu seiner Rechten der Scharfrichter mit nackten Armen, ein Tigerfell über den Schultern und in der Hand Fasces und Beil; zur Linken der Minnesänger mit Barett und Guitarre. Er griff in den Saiten einige starke Accorde, die von draußen beantwortet wurden. Eine Art Duett begann, ein Künstler war da, der über den Tiber wollte. Ein einmüthiges »Herein!« ertönte, und nun trat der Fremde mit dem Ranzen auf dem Rücken, weiß bemaltem Gesichte und mit langem Haar und Bart von Flachs, die Nägel dagegen von Pappe herein. Ein Glas Wein wurde dem Wanderer gereicht, und man las ihm die Gesetze vor, von denen das Wichtigste war: »Du sollst deinen General lieben und ihm dienen allein; du sollst nicht begehren deines Nächsten Wein u. s. w.« Nun stieg er auf die Bank und auf den Tisch, man schnitt ihm die falschen Haare, Bart und Nägel ab, nahm ihm seine Reisekleider, und er stand in seiner gewöhnlichen Kleidung da und stieg aus der andern Seite des Tisches herab; das war »Pontemolle«. Fahnen mit Foglietten, Adlern und Künstleremblemen wehten. Einer blies die Trompete, ein Anderer schlug Zinnteller als Becken aneinander, die Hunde bellten und die Tyroler jodelten: nun begann das Bacchanal. Jeder legte seine Serviette über den Kopf und es begann eine Mönchsprocession mit dazu gehörendem Gesang. Sie gingen rings um den Tisch, weltberühmte Künstler und Eintagsfliegen. Jeder gab sein Talent zum Besten: ein Lachgesang wurde executirt, ein charakteristisches Böttcherlied, wozu die Hände den Text auf der Tischplatte hämmerten und die lustige »Schnitzelbank«, wobei Bilder mit Kreide auf der schwarzen Tafel jeder Zeile eine Pointe gaben. Mitten in der allgemeinen Heiterkeit stürzten vier wirkliche Gensdarmen mit Bajonnetten auf den Gewehren herein; sie ergriffen einen von den älteren, angesehenen Künstlern; er sollte arretirt werden. Es entstand eine allgemeine Verwirrung, Schreien und Opposition; einer von den Gensdarmen brach in ein Gelächter aus und das Ganze wurde als abgekartetes Spiel mit dem Künstler aufgeklärt, es war sein Beitrag zu der Lustigkeit dieses Abends. Nun wurden vier dampfende Bowlen auf den Tisch gestellt, eine Gabe von Einem aus der Gesellschaft, aber man wußte nicht von wem, und deshalb stimmten Alle in die alte Weise ein: »Der unbekannte Geber soll leben!«

Ein armer Italiener kam zufällig herein, er wollte gerne Kunststücke machen und erhielt auch die Erlaubniß dazu. Er verstand die Stimmen der Thiere nachzumachen, was die Hunde sehr übel nahmen; er konnte Blitz und Donner mit den Augen nachmachen und das fand großen Beifall. Aber die Schwäche des Mannes bestand darin, am liebsten zu singen. Wäre seine Stimme in der Jugend ausgebildet worden, so hatte er vielleicht einen berühmten Namen bekommen, nun aber war es ein Jammer. Er sang Duette und zwar den Liebhaber sowohl als die Liebhaberin, verdrehte die Augen und machte Possen, aber immer wieder unterbrach ihn das Publikum und verlangte Thierstimmen und Donnerwetter, etwas, was er am Geringsten schätzte, aber am Besten ausführte. Es hatte etwas Peinliches. Der Teller ging für ihn umher. Naomi mußte an Christian denken; er war ihr lange nicht eingefallen, aber der Arme hier, in dem sie etwas Verwandtes erblickte, brachte sie auf ihn.

»Haben wir einander nicht in Wien gesehen?« fragte ein junger Mann mit großem Schnurr- und Kinnbart, indem er Naomi zunickte. »Wir sind in einem Stellwagen mit einander nach Hietzing gefahren.«

Naomi erröthete; ihre Augen hafteten durchbohrend aus dem Fremden, dessen lecker Blick ihr bekannt war; ja, an jenem Abend, an dem sie Ladislaus im Casino suchte, war dieser Mann im Wagen gewesen und hatte gesagt, daß er an ihrer Aussprache höre, daß sie eine Fremde sei, daß er sie im Prater gesehen und daß sie sicher ihren Herrn in Hietzing finde. Alles stand lebendig in ihrer Erinnerung.

»Ist der Kunstreiter Ladislaus auch hier in Rom?« fragte er mit ebenso unverschämtem Blick als Tone. Der Graf wurde ungeduldig.

»Was sagt der Herr?« fragte der Marquis.

»Das ist sonst nicht die Art von Künstlern, die sich hier versammeln!« sagte der Deutsche und flüsterte seinem Nachbar etwas zu.

Naomi fühlte eine Angst, wie nie zuvor. Wenn man sie hier auswiese, wenn man hier laut erzählte, sie sei ein Frauenzimmer, das vor nicht lange in niedrigerer Umgebung sich befunden! Der Deutsche trank ein Wohl ums andere; seine Wangen wurden roth und immer ruhte sein naseweiser Blick auf Naomi. Nun begann ein Rundgesang mit Procession um den Tisch. Als der Deutsche an ihr vorbeikam, flüsterte er ihr zu: »Sie sind ein Frauenzimmer.«

»Soll das eine Beleidigung sein?« fragte sie.

»Wie Sie wollen,« antwortete er und ging vorbei.

Der Marquis hörte nichts davon, er verstand auch kein Deutsch und war ganz in der Lust des Augenblicks aufgegangen. Der Graf selbst schien den vorhergehenden Augenblick vergessen zu haben, in dem Ladislaus' Namen genannt wurde. Aufgeräumt nahm er Theil an der allgemeinen Lust. Man hatte sich wieder zu Tisch gesetzt, sein Blick fiel auf den deutschen Künstler, der sich zu Naomi herüberbeugte und ihr mit einem boshaften Lächeln einige Worte ins Ohr flüsterte; sie erblaßte, ihre Hand krümmte sich fest um das Messer, das sie hielt und der Arm hob sich.

»Hutjehu!« klang es durch die Stube; einer von den altern Künstlern, als eine Art Befana verkleidet, ritt aus einem Esel mitten unter sie hinein. Der Esel, erschrocken über eine so große und lärmende Gesellschaft, stürzte nach dem Tische zu, wo Naomi saß. Gläser, Foglietten und brennende Lampen fielen zu Boden; die noch saßen sprangen auf, und weder der Deutsche, noch einer von den Andern sah die Wirkung des Zornes, welcher Naomi durchblitzte, die aber durch den Grafen und diesen glücklichen Zufall gehoben wurde. Die Ausgelassenheit wurde noch größer. Der Marquis merkte erst, daß seine Gesellschaft fort war, als der Cameriere ihm auf die Schulter klopfte und es ihm zuflüsterte.

Der Mondschein draußen war klar, so klar, daß die dunkeln Tage des Nordens nicht heller sind, als was hier Nacht genannt wird.

»Ich fürchtete es,« war Alles, was der Graf sagte. Naomi lehnte sich an ihn, athmete tief auf und brach in ein Weinen aus.

»O bleiben Sie, nun ist es am Allerlustigsten!« rief ihnen der Marquis nach, indem er ihnen folgte.

»Unser junger Held fand es zu dumpf, zu drückend drinnen,« sagte der Graf, »es wäre ihm beinahe übel geworden.«

»O, das ist vorüber,« versicherte Naomi lächelnd, »aber ich will doch nicht zurück. Ich habe diesen Abend recht genossen und ich danke Ihnen dafür.«

»Sie sind selbst ein Genie in dieser Art Frohsinn!« sagte der Marquis und bezeichnete naher, was ihm besonders gefallen hatte. An der Thüre des Hotels sagten sie sich gute Nacht.

»Das war, glaube ich, mein schönster Abend in Rom,« flüsterte Naomi ihm zu.

Eine Stunde nach Mitternacht war der Graf zur Ruhe gegangen und schlief tief und fest nach den Ereignissen dieses Abends. In Naomi's Zimmer war die Nachtlampe ebenfalls erloschen; es schien ganz stille, aber Naomi war noch auf. Beinahe ganz entkleidet hatte sie den Mantel umgeworfen und die Thüre geöffnet, welche in das Zimmer mit dem Ballon ging. Sie lehnte den Kopf an die Thürverkleidung und stand so ganz in ihre Gedanken versunken. Die Begegnung mit ihrem Pflegevater in Wien hatte sie nicht in dem Grade erschüttert, als heute die verächtliche Miene des Fremden, seine Anspielung auf eine Zeit, die sie für immer vergessen wünschte. In Wien hatte sie Alles aufgegeben und hatte deshalb Ruhe, nun dagegen war sie in neue Verhältnisse, in eine glänzende Umgebung eingetreten.

Wer vermöchte ein deutliches Bild einer solchen Mondscheinnacht im Süden zu geben, wie die heutige war; es ist ein Licht, das nicht dem Tage gleicht, aber auch nicht den mondlosen Nächten des Nordens. Wenn man das Tageslicht mit der Lampe klarem Scheine vergleicht, und die hellen Nächte des Nordens mit dem Scheine eines Lichtes, das man gar nicht erblickt, so wird man zwischen diesen Beiden einen Ausdruck für die hellen Nächte des Südens in dem Lichte finden, welches die Astrallampe verbreitet, diese eigenthümlich sanfte Beleuchtung. Aber so hat nur das Auge sein Bild, die Seele empfängt nicht den entsprechenden Eindruck, denn wir athmen nicht die Luft des Südens. Die schönsten Sommerabende des Nordens am Meere oder auf einem Hügel des Landes fächeln uns eine milde, erquickende Luft zu; könntest du aber im selben Momente nach dem Süden versetzt werden, so würdest du den Unterschied erkennen: er ist so groß, wie zwischen dem Genuß einer sinnlichen und einer rein geistigen Freude. Der blaue, kalte Himmel im Norden erhebt sich wie ein hohes gewölbtes Dach über uns, im Süden aber scheint diese ferne Begrenzung ein durchsichtiges Glas, hinter dem sich der Raum noch weiter dehnt.

Diese Luft athmete Naomi ein und dennoch athmete sie tief und schwer. Diese Beleuchtung ruhte auf der Stadt der Erinnerungen, dem Rom der Cäsaren und Kleriker, aber sie hatte keinen Sinn dafür. Drunten auf dem Platze sprudelt ein Springbrunnen. Das große Steinbassin ist in Form eines Bootes ausgehauen, das halb ins Wasser gesunken, und da, wo der Mast sich erheben sollte, steigt der dicke Strahl auf. Selbst am lärmenden Tag hörte man ein starkes Plätschern; jetzt in der Stille der Nacht war es noch weit geräuschvoller. Die Strahlen des Mondes schienen auf das Wasser. Unter dem Madonnenbilde an der Ecke der Propaganda schlief eine Familie auf den kalten Steinen. Naomi öffnete noch ein Fenster an der Seite des Zimmers. Die spanische Treppe, die von einer bedeutenden Breite und beinahe von der Höhe des Hôtels ist, lag vor ihr. Auch hier entdeckte sie einzelne Schlafende in ihre Mäntel gehüllt. Die dichte Allee oberhalb der Treppe hob sich doppelt düster von der durchsichtigen Luft ab. Die weißen Mauern des Nonnenklosters glänzten geisterhaft. Ohne Sinn für das, was sie sah, starrte Naomi darauf hin. Nun erklangen die Glocken in der Klosterkirche, dienstthuende Schwestern waren droben im Thurme und läuteten zur nächtlichen Stunde, während andere von den Schwestern vor dem Altare beteten. Der Klang der Glocken weckte Naomi's Gedanken für die verwandten Leidenden, denn leiden mußten sie. Es war ihr, als ob sie in den dunkeln Löchern des Thurmes etwas Weißes sich bewegen sähe und sie dachte an die gefangenen Mädchen, welche nur zu nächtlicher Stunde von dem hochstehenden Thurm über das todesgleiche Rom sehen konnten, dessen Dächer wie ein wogendes Meer, dessen viele Kuppeln wie segelnde Boote erschienen. Das Engelsbild auf der Engelsburg hoch oben war für sie kein tröstender Cherub, der ihnen über das versteinerte Meer entgegen kam; todt stand er wie Loths Frau und mahnte sie: für euch sind alle eure Lieben todt. »Es gibt noch mehr außer mir, welche leiden!« sagte Naomi halblaut; »unter ihnen wäre ich doch noch unglücklicher, als ich jetzt bin! Auf unserm eignen festen Willen und unserer Lebensanschauung beruht unsere Zufriedenheit, Ich weiß, was ich thun werde!« Sie stand noch einen Augenblick in Gedanken versunken da und schaute zum Kloster und nach der nachtschwarzen Allee hinüber, die wie ein Eingang zu dieser Heimat des Todes erschien und die doch bei Tage ein lustiges Boulevard in dem stets von Fremden wimmelnden Rom ist.

Dicht neben der Allee, wo sich die gemauerte Brustwehr der spanischen Treppe hinzieht, stand ein junger Mann, den Kopf in die Hand gestützt und schien über die Stadt hinzusehen; es war gewiß ein Künstler, der sich in die Betrachtung des prächtigen Bildes vor ihm verlor. Könnte es in Farben wiedergegeben werden, es würde zu seiner eignen Freude und Genuß immer in seiner Erinnerung stehen, wo er sich auch im spätern Leben herumtreiben möchte. Wie Manche hätten ihn nicht beneidet! Aber er sah nichts; der Wein, den er bei dem Gelage in der Osterie diesen Abend in zu reichlichem Maße genossen, hatte sich in neckische Kobolde verwandelt, die sich bleischwer an seine Füße hingen, als er heim wanderte; der schwerste hatte sich ihm auf den Kopf gesetzt und deshalb neigte er ihn und fürchtete sich davor, die steile spanische Treppe hinabzugehen, ja, als er sie recht betrachtete, sah sie aus wie der Wasserfall von Tivoli: all' das thaten die Kobolde des Weines. Er lehnte sich an das Mauerwerk und schlummerte, und das hat mehr denn ein Künstler gethan auf den sieben heiligen Hügeln.

Naomi wurde seiner gewahr. Er hatte eine so eigenthümliche Mütze auf dem Kopfe, die sie kannte. Eine solche hatte der Deutsche getragen, als man in Procession den Tisch ging. Nur in Hietzing und heute in der Osterie hatte sie diesen Menschen gesehen und doch haßte sie ihn am meisten nach Ladislaus.

»Es hatte doch auch sein Gutes,« dachte sie, »als man nur den Gebrauch der Pfeile kannte! Die Kugel knallt laut von ihrer That, aber der Pfeil saust leise durch die Luft und bohrt sich in des Feindes Brust. Niemand könnte hier seinen Flug hören, Niemand kennte ihn. Diesen Menschen könnte ich todt wünschen, aber was sollte ich dann von Ladislaus wünschen –?«

»Unsere Gedanken sind Blumen, die Handlungen dagegen sind der Gedanken Früchte,« sagt Bettina. Wir sind der gleichen Ansicht, fügen jedoch hinzu, daß nicht alle Blumen Früchte werden, der größte Theil zerfällt in nichts. Von dem reichen Flor, der diese Nacht in Naomi's Seele zur Entfaltung kam, werden wir die Wirkung sehen – wenn die Sonne noch mehr auf die Blumen geschienen, wenn des Lebens aria cattiva und der Sirocco der Leidenschaften ihren Besuch abgelegt, aber dazu gehören mindestens Tage, oft Monate und Jahre.


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