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XI.

Vorbei
Sind diese Träume.

Schiller, Don Carlos.

Der Tag vor der Hochzeit ist ein Torturtag für die Bauernbraut; sie soll geschmückt werden, das heißt, zum ersten und vielleicht einzigen Mal, sich mit bloßem Haare zeigen; es wird in Lauge ausgewaschen, damit es steif und struppig wird und noch schwieriger zu ordnen ist; die Braut fällt auch gewöhnlich bei diesem Putzen in Ohnmacht. Das war nun mit Maria nicht mehr der Fall. Ihr Haar war wie die feinste Seide!« sagte eine Frau aus der Gruppe, mit welcher wir uns den Zug zur Kirche ansahen Daß sie als Wittwe keine Haube tragen, sondern mit ihrem schönen Haare glänzen wollte, das zeuge von Stolz, meinte man. Die ganze Familie des Bräutigams hatte auch viel gegen sie, denn sie brachte ja nichts mit ins Haus, als einen langen Jungen.

Eine Ehrenpforte war auf dem Wege errichtet; die Thüren durch die sie mußten, mit grünen Zweigen geschmückt; die »Staatsbursche«, wie man sie nannte, jagten bereits zu Pferde auf dem Wege hin und her vor dem Zuge. Zuerst kam die Braut mit ihren »Staatsjungfern« welche ihre Blumensträuße wie Marschallstäbe zum Wagen hinaushielten; schönere Blumensträuße hatte man noch nie gesehen. Trompeten und Geigen ertönten und das bis in die Vorhalle der Kirche, und übertönten die Orgel. Den Brautjungfern war in der Kirche große Ehre angethan, denn sie war mit Grünem und »mit allem was glänzt« wie der Bauer sagt, geschmückt, nämlich mit dem König zu Pferde auf einem Vierschillingsbilde einem farbigen Recept mit der Flasche dazu, worauf man noch las: »für sechs Schilling Wachholderbeertropfen.« Ein alter rother Seidenmuff und viele andere Prachtsachen hingen zwischen den grünen Zweigen und Kränzen. Jede Hochzeit beim Bauern, wenn sie recht stattlich sein soll, zeigt uns diesen kindischen Schmuck.

Von den eingeladenen Frauen, die in den vordersten Stühlen sitzen, kennen wir zwei, die Mutter und Großmutter die wir bei der Quelle trafen, auch die Tochter Lucie war mit. Nichts Irres war mehr in ihren blauen, sprechenden Augen zu sehen; fromm und still saß sie bei den Andern. Wie das Unwetter jener Nacht, hatte auch ihr Seelenkampf sich gelegt. Christian, der auf der Männerseite seinen Platz hatte, kannte sie gleich; sie dagegen sah ihn fremd an und sang mit klarer Stimme das Kirchenlied.

Das Brautpaar schritt zum Altar, das Gefolge stellte sich im Chor auf. Die beiden Frauen flüsterten sich leise zu:

»Pass' nun auf Braut und Bräutigam auf, wer von ihnen zuerst eine Bewegung macht, der stirbt zuerst.«

»O je, das that sie.«

»Aber das stimmt nicht mit dem Andern!« sagte die Jüngere. »Daran habe ich mehr Glauben! das hat nie fehlgeschlagen! Aus dem Namen von Braut und Bräutigam kann man sehen, wer zuerst stirbt. Man zählt die Buchstaben zusammen und sagt dann: »Adam stirbt! Eva stirbt!« es ist dasselbe, wie wenn man sagte: er stirbt, sie stirbt, wo man zuerst aufhört, der stirbt zuerst. Aber das trifft ja auch zu, sie heißt Maria, das sind fünf Buchstaben, wenn es nicht mit zwei r geschrieben wird, und er heißt Peter, das sind auch fünf, zusammen zehn, welches die gleiche Zahl ist, und bei gleicher Zahl stirbt die Eva zuerst.«

»Aber er heißt ja Peer und nicht Peter!« sagte die Jüngere.

»Aber wie ist er getauft?« fragte die Andere. »Heißt er Peer, so stirbt er zuerst, aber heißt er Peter, so stirbt sie zuerst und dann stimmt es mit der Bewegung, die sie gemacht.«

Sie wurden durch einen kleinen Streit, der in der Nähe entstand, unterbrochen; so still es auch abging, wurde doch ihre Andacht gestört. Der Sohn des Bräutigams, Niels, ein Knabe von zwölf Jahren, mit einem flachen, boshaften Gesichte, stieß ziemlich unsanft seinen Halbbruder Christian zur Seite, um selbst voran zu kommen; der Andere machte eine unwillige Bewegung; die Frauen geboten ihm durch Mienen Ruhe und Christian sah verlegen nieder auf seine glänzend weißen Strümpfe, aber Niels setzte ihm im selben Moment den geschwärzten Schuh auf den Rist. Christian kamen die Thränen in die Augen, Lucie sandte Niels einen strafenden Blick zu.

Die Trauung war zu Ende, wie die Posaunen des Weltgerichts ertönten die Trompeten in der Kirchenvorhalle. Der Bräutigam fuhr in größter Eile davon, um seine Frau im Brauthause zu empfangen Im Flur waren die Spielleute aufgestellt. Hier war das Ehepaar und jeder Gast legte auf den Teller vor ihnen die Brautgabe, man versäumte nicht jeden größeren Bankzettel auszubreiten, wie der Bauer niemals vergißt, eine ebenso große Gabe zu geben, wenn der Gebende oder sein nächster Verwandter Hochzeit macht. Das Essen wurde gegessen, das geistliche Lied gesungen und die Schaffner tanzten die Braut in des Bräutigams Umarmung.

Lucie, etwas älter als Christian, beschäftigte sich einzig und allem mit ihm, sie tanzten und gingen mit einander spazieren, man nannte sie die hübsche Schulmeisterstochter.

Bei der Gilde am andern Tage saßen sie im Garten, wo die Buschnelken in der Blüte standen, und sie erzahlte ihm von ihrer Großmutter Bruder Peter Wik, den sie auch der Mutter Bruder nannte, und der das hübsche Schiff habe, das Lucie hieß, wie sie, und nach Deutschland und nach Kopenhagen fahre. O, der Mutter Bruder sei so gut und so lustig, einmal jeden Sommer, wenn das Schiff bei Svendborg liege, besuche er sie; er habe ihr die Geschichte von der geduldigen Helene geliehen, die, wie drauf stehe, »sehr lustig, aber auch sehr traurig zu lesen sei!« Christian holte da sein Buch vom Reineke, das ihm der Pathe geschenkt, und sie besahen sich die vielen Holzschnitte und Lucie las die Unterschriften und sie merkten wohl, wie der Fuchs den Bären und die andern Thiere anführte.

Wie sie so am Besten saßen, kam Niels, der sich leise hinter sie heranschlich und durch einen Stoß seines Fußes flog ihnen das Buch aus den Händen hoch in die Luft und in die Stachelbeerbüsche. Christian weinte, aber Lucie schalt und sagte zu Niels, er sei wie der Fuchs im Buche, ein böses Thier.

Der Junge sah sie mit seinem nichtssagenden Gesichte an. »Verrückte Lucie!« war seine ganze Antwort. Da wurden die rothen Wangen des Kindes bleich, denn er hatte sie durch diese Worte schmerzlich getroffen, indem er auf ihren früheren Zustand angespielt, wenn dieser nun auch vorüber war. Mit einem Ausdruck von Wehmuth sah sie ihn an und ging in das Hochzeitshaus, wo alles lauter Lustigkeit war.

Am dritten Tage des Festes sah man Lucie und Christian tanzen, Niels war mit in der Reihe. Die Sonne geht nicht unter über der Kinder Zorn. Die Schaffner deckten mit der gewöhnlichen Formel ab: »Morgen ist hier kein Vergnügen mehr.«

Für Niemanden lag eine so prophetische Wahrheit in diesen Worten als für Christian. In den ersten Wochen boten wol die neue Heimat, Garten und Felder einige Abwechslung und Vergnügen, aber drinnen war nicht das Heim wie in Svendborg. Der Stiefvater machte sich nichts aus seinem Geigen, und Maria hing deshalb die Geige hoch über der Thüre auf, wo sie nicht so leicht herunterzuholen war. Niels sah den Knaben aus der Provinzstadt, der sich vor dem Vieh fürchtete, die Kuh für einen Stier hielt und nicht ruhig auf einem Milchgaul sitzen konnte, der zum Wasser ging, über die Achsel an. Grinsend erzählte er dies dem Vater und den Knechten und ihr Gelächter kränkte den Kleinen. Der einzige Punkt, worin sich die Knaben begegneten, war das Bilderbuch. Die Thiere interessirten Niels, aber daß es nur schwarze und weiße waren, hielt er für einen großen Fehler. Es war deshalb nicht Bosheit, sondern eher ein wohlmeinender Gedanke, daß er eines Tages, als Christian fort war, das Buch vornahm und in der Ueberzeugung, daß er etwas Verdienstliches thue, alle Holzschnitte mit den grellsten gelben und rothen Farben übermalte. Er galt ja auch nach des Vaters und der Knechte Meinung für gar geschickt zum Zeichnen. Auf Thüren und Thoren standen seine Skizzen von Mensch und Thier, aber das, was diesen in den Augen seines Publicums Werth gab, war die platte Bedeutung, das Gemeine, das sie ausdrückten. Den Holzschnitten gab er durch einzelne Striche und Zusätze denselben Charakter und lachte selbst voll Zufriedenheit mit seiner Erfindung.

»Willst du nun sehen!« sagte er zu Christian, als dieser kam. »Jetzt glänzt es!«

»Das ganze Buch hast du verdorben!« sagte Christian und sein Aerger und Zorn darüber brachte ihn in eine Wuth, die sonst nicht in seiner Natur lag. Er stürzte auf Niels los, aber dieser warf ihn im selben Nu zu Boden.

»Ihr solltet beide Prügel haben!« sagte Marie. »Niels will ich nicht schlagen, aber du bist mein eigen, dich habe ich ein Recht durchzuprügeln!« Und so bekam er für alle Beide.

Der Vater fand auch, daß das Buch nun schöner sei und die gemeinen Zuthaten preßten ihm ein vergnügtes: »Der Teufelsjunge versteht es!« ab.

Sich selbst und seinen Gedanken überlassen, schlich Christian umher. Mit jedem Tage wurde er stiller. Bisweilen wol hatte er der Mutter ganze Liebe, namentlich wenn ihr etwas Widerwärtiges begegnet war, oder wenn sie die Familie des Mannes schlecht über sie reden hörte, weil sie nichts mit auf den Hof gebracht. Bisweilen durfte dann die Geige herunterkommen und dann spielte er die Stücke aus dem Notenbuche; das war ihm ein Schatz, den er um nichts in der Welt hätte missen mögen, und doch mußte er ihn missen.

Ein hübscher Drache flog eines Tages über das Haus hin, Niels hatte ihn aus alten Zeitungen und aus dem Notenbuch, das für ihn keinen Werth besaß, zusammengekleistert. Der Drache stieg sehr hoch, die Knaben konnten ihn nicht mehr halten, der Zug war zu stark und du Drache flog über das Dorf hin.

Der Winter kam – und ging. Es wurde Sommer; Christian sollte sich auch nützlich machen. Draußen auf der Wiese, wo der Bach zwischen den Erlenbüschen hinlief, mußten er und Niels abwechslungsweise die Ziegen hüten, aber er war gern in der Einsamkeit. Auf einem großen Erlenstamme, dort wo der Bach eine kleine stillstehende Bucht bildete, Teich konnte man's nennen, umschattet von großen Haselnuß- und Erlensträuchen, die sich in dem klaren Wasser spiegelten, saß er in seinen Träumereien und betrachtete sich die Luftspiegelung im Wasser. Drunten schwammen die Schatten der Wolken, drunten flog der Vogel mit ausgebreiteten Flügeln, gerade so tief, als er hoch über dem Wasserspiegel schwebte. Die Bäume ringsum streckten die Wipfel nach unten, die Wurzel nach oben; seine eigne Gestalt zeigte sich verkehrt; nun verstand er, wie es auf der andern Seite der Erde aussehen müsse. Die Blasen, welche dann und wann aufstiegen, nannte er seine Wassersternschnuppen. Die Fläche selbst war ihm ein Weltmeer; die großen Wassermücken, die drüber hinstrichen, waren Corsaren. Welche Eile sie hatten! Die Gemüse- und Wasserpflanzen am Ufer bekamen eine Riesengröße, wie die Bäume in den tropischen Ländern. Die Wasserlinsen waren grüne schwimmende Inseln und kam plötzlich ein Frosch zum Vorschein und huschte über den Wasserspiegel hin, so war es ein Ungeheuer wie die, von welchen er in »Tausend und eine Nacht« gehört. Wo er saß, ging das Wasser gerade herein unter die Baumknorren zwischen den vorspringenden Wurzeln; in den Löchern sah es finster und geheimnißvoll aus; kein Fischer phantasirt sich mehr, wenn er bei den Felsenhöhlen Capris vorüber fährt, als er beim Anblick der schwarzen Höhlen zwischen den Wurzeln und Rasen, die über das Wasser herabhingen, ohne es zu berühren. Durch einen Schlag mit seinem Stock kam der ganze Ocean in Bewegung, und er sah des Weltmeers langgestreckte Wellen, Ebbe und Flut, durch welche die Küstenhöhlen verschwanden oder größer wurden. Was er aus des Vaters oder Pathen Erzählungen wußte, meinte er, müßten die andern Bauernkinder auch wissen, was er im Wasser und im Grünen ringsum sah, mußten ja doch auch sie sehen können, und er sprach mit ihnen davon, als wenn es Wirklichkeit wäre. Sie begriffen zwar nicht, hörten ihm aber mit Staunen und Neugierde zu; sie wußten nicht, ob er klüger als sie, oder ob er ganz toll sei.

»Ja, er ist verrückt!« sagte Niels. Das war das Zeichen zu einer ganz neuen Anschauung. Sie bemächtigten sich Christians, und die Einen banden mit der grünen zähen Borke einen langen Weidenzweig hinten an sein Halstuch, Andere besteckten ihn mit Kletten und Niels pfiff und rief: »Vivat, der verrückte Christian!«

Da faßte ihn Verzweiflung und wie ein gescheuchtes Reh jagte er in wilder Flucht über das Feld, während ihm die ganze Knabenschaar schreiend folgte und ihm Mützen und Holzschuhe um die Ohren warfen. Er erreichte den Garten und sprang über den Zaun; die Knaben waren dicht hinter ihm, er stieß einen Schrei aus. Maria stand im Garten, er eilte auf sie zu, Niels und die Andern standen schon auf dem Graben.

»Was gibt es nun wieder?« sagte sie. »Kannst du nicht mit ihnen spielen? Willst du gleich ordentlich sein?«

Sie ging hinein. Die Kameraden lachten ihn aus und er mußte es anhören.

Eines Tages saß er allein im Felde und kam auf den Gedanken, durch Heckendornen Blumen und Blätter zusammenzuheften, daß sie menschliche Gestalten bildeten. in kleines Klettenblatt bildete den steifen Rock der Dame, lange rothe Blumen die Arme, eine wilde Rose war das Gesicht; die Männer dagegen hatten Beine und Arme von Vogelrippen; das Wegbreitblatt war ihre grüne Jacke. Es sah wirklich etwas gleich. Er stellte sie rings um eine Holzwurzel auf und betrachtete sich dann die hübsche Gesellschaft.

Mitten in diesem Spiel wurde er von der Wahrsagerin von Quärndrup unterbrochen; sie, seine Seherin und sein Arzt, kam um Geiskleeblatt zu pflücken und Angelicawurzel zu schneiden. Sie sah die Puppen.

»I, was ist das, was du da gemacht?« fragte sie, »Das sind ja Menschengestalten! Aber eine Seele hast du ihnen doch nicht geben können. Was wirst du ihnen nun am Tage des jüngsten Gerichts sagen, wenn sie dich anklagen, daß sie nur Körper blieben?« Sie schüttelte mit dem Kopfe und ging weg; aber ihr Wort: »Sie werden eine Seele von dir fordern!« war tief in seine Seele eingeprägt.

Je mehr er seine Puppen ansah, desto ängstlicher wurde ihm zu Muthe; sie entzwei zu reißen, wagte er nicht, da riß er einen Rasen weg, grub ein Loch, legte sie alle hinein und den Rasen darauf. Nun waren sie begraben. Aber die ganze Nacht träumte er davon und es war ihm, als ob die kleinen Blumen-Männer und Frauen an sein Bett kamen und sagten: »Du mußt uns eine Seele geben.« Sein Traum kam ihm wie Wirklichkeit vor, aber er mochte ihn Niemand erzählen. Am folgenden Tage ging er an den Ort, wo der Rasen lag und hob ihn auf; die Blumen waren verdorrt und zusammengeschrumpft; er hob sie auf und breitete sie aus, so gut es ging, legte sie auf ein großes Klettenblatt, betete ein Vaterunser über ihnen und setzte sie in den Bach wo das grüne Todtenschiff rasch davonsegelte. Nun konnten sie doch nicht mehr zurückkommen und ihn schrecken.


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