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[Neunzehntes Kapitel.]
Vom Januar 1866 bis April 1869.

Einladung nach Amsterdam. – Reise dahin. – Ueber Hamburg nach Celle. – Königin Caroline Mathilde (siehe das Portrait). – In Utrecht. – Nieuwenhuis. – Der Dichter Nephen. – Prof, van Herwaarden. – Der Dichter Ten Kate. – In Amsterdam. – Gebrüder Brandt. Der Schauspieler Peeters. – Der Dichter van Lennep. – Der Componist Verhulst. – Niels Gade's Compositionen. – Standes- und Religions-Unterschiede. – Das Theater. – Frau Kleine-Hartmann. – »De Vrowe van Waarlenborg«. – Der Consul Woldsen. – In Leyden. – Der Dichter van Kneppehout. – Prof. Schlegel. – Der Astronom Kayser. – Der dänische und der schwedische Gesandte, die Barone Bille-Brahe und Wrede. – Im Haag. – Rotterdam. – Antwerpen. – Der Direktor Keiser. – Der Kaufman Good. – Der Maler Quintus Marsys. – Ueber Brüssel nach Paris. – Kronprinz Frederik. – Mit ihm nach Vincennes. – Prinz Murat. – Mein Geburtstag. – Consul Baron Collon. – Bouquet von Frau Melchior in Kopenhagen. – Christine Nielson. – Rossini. – Vicomtesse Roberedo. – Maler Lorenz Fröhlich. – Kaiser Maximilian von Mexico sandte mir das Commandeurkreuz des Ordens »Notre Dame de Guadaloupe.« – In Bordeaux. – Der Schriftsteller George Amèr. – Der Musiker Erneste Redan. – General Dumas. – Ristori. – Der Gelehrte Michel. – Ueber Burgos nach Madrid. – Lissabon. – Empfang von O'Neil. – Der Dichter Antonio Feliciano de Castilho. – In Setubal. – Troja. – Ein Stiergefecht. – St. Antoniusfest. – Coimbra. – Cintra. – König Ferdinands Schloß. – Lissabon. – Der englische Gesandte Lytton Bulwer. – Vicomtesse Roberedo. – Zur See. – Bordeaux. – Ueber Hamburg nach Odense. – Bischof Engelstoft. – St. Knudskirche. – In Roeskilde bei Hartmann. – Bei Melchior's auf Villa »Rolighed« (siehe Abbildung). – Der Maler Carl Bloch. – Die Prinzessin Dagmar reist zur Vermählung nach Petersburg. – Bei Frau Ingemann. – Auf Holsteinborg. – Meine Wohnung. – Meine Märchen werden vom Prof. Höedt vorgelesen. – Der Dichter Erik Bögh. – Frl. Jörgensen. – Der Schauspieler Phister. – Mein Geburtstag. – Reise nach Paris zur Weltausstellung. – Der Neger-Schauspieler Ira Aldrige. – Der König von Griechenland. – Die silberne Hochzeit des dänischen Königspaares. – Fest im skandinavischen Verein. – Ueber Neuchatel nach Locle. – Jules Jörgensen. – Daheim. – Besuche in Fredensborg bei der königlichen Familie. – In der Villa »Rolighed.« – Schrieb neue Märchen. – Besuch französischer Journalisten in Kopenhagen. – Erhalte den Titel als »Etatsrath.« – Zweite Reise nach Paris zur Ausstellung, zum Studium der »Dryade«. – Der Schriftsteller Robert Wall. – Der Feuilletonist Philarète Chasles. – Edmond Tarbé. – Mabille. – Ueber Baden-Baden nach Odense. – Fest für die Soldaten. – Daheim. – Ich werde zum Ehrenbürger meiner Vaterstadt ernannt. – Mein Dankschreiben. – Meine Ankunft in Odense. – Die Festlichkeiten mir zu Ehren. – Reden und Antworten im Rathhause. – Fackelzug. – Telegramm vom Könige. – Allgemeine Theilnahme im Lande. – Eine erfüllte Prophezeihung. – Lahn's Stiftung und mein Besuch daselbst. Abreise von Odense. – In Kopenhagen. – Meine Freunde. – Paludan-Müller. – Björnstjerne Björnson. – Frau Heiberg. – Neujahrsabend.


 

»Niemals haben Sie Ruhe.« sagte bald Dieser, bald Jener. »Fort wollen Sie immer, und sind Sie in der Heimat, dann sind Sie auch nicht zu Hause. Wann schreiben Sie denn eigentlich Alles, was Sie schreiben?« – Mein Gemüt hat gerade die beste Ruhe, ja, das Bedürfniß zu schaffen, wenn ich mich unter Menschen herumtummle und die wechselnden Eindrücke in mich aufnehme. Ich bin trotz aller meiner vielen wahren und treuen Freunde doch nur ein einsamer Vogel; meine ganze Natur neigt sich mit starkem Drange dem Familienleben zu, und in dieses bin ich eben sowol daheim als draußen in der Ferne wie ein Kind im Hause aufgenommen worden; in demselben fühlte ich mich sofort heimisch und habe durchaus nicht die Unruhe der meisten Reisenden oder eine kränkliche Sehnsucht. Aber die theuerste Stelle ist und bleibt doch Dänemark. In Kopenhagen suche ich mir eine Wohnung, wo ich ein großes Stück vom Himmel Gottes, offenes Wasser oder einen großen Platz sehen kann.

In Amsterdam hatte ich zwei wolhabende, vortreffliche Landsleute, Gebrüder Brandt. Von Beiden erhielt ich ein herzliches Schreiben mit dem freundlichen Anerbieten, während meines Aufenthalts bei dem Aeltesten der Brüder zu wohnen und zu bleiben. Ich war nur einmal früher, im Jahre 1847, in Holland gewesen, als ich zum ersten Mal England besuchen wollte, und ich hatte besonders im Haag so viel Wolwollen und Aufmerksamkeit angetroffen. Es war mir damals ein großes Fest veranstaltet worden. Der erste der Freunde, der mir damals entgegenkam, war indessen gestorben; es war der Herausgeber von »De Tijd«, van der Vliet. Aber ich erinnerte mich theurer Namen, freundlich entgegenkommender Menschen, so auch des alten hochgeachteten Dichters van Lennep, des ausgezeichneten Componisten Verhulst, des Schriftstellers Kneppelhout und des tüchtigen, tragischen Schauspielers Peters. Jetzt konnte ich während längerer Zeit mit diesen lieben Menschen verkehren, alles Eigenthümliche, das Amsterdam darbietet, sehen und dazu die Behaglichkeit des Familienlebens genießen.

Am letzten Januar 1866 verließ ich mit dem Abendzug Kopenhagen. Es war winterlich kalt, aber dennoch offenes Wasser. Mir schien, ich sei mit Reisezeug gut versehen, jedoch einem meiner Freunde kam es nicht so vor; er kam in der Morgenstunde und ließ eine ganze Sammlung von Pelzstiefeln u. s w. auf dem Boden ausbreiten. Das größte und beste Paar sollte sein Abschiedsbouquet für mich sein. Ich erwähne dieses kleinen Zuges und ich könnte während meines Lebens unendlich vieler ähnlicher erwähnt haben, als Zeichen der Aufmerksamkeit und Fürsorge, welche Freunde mir erwiesen. Die Worte der Theilnahme und Dienstwilligkeit, welche man mir entgegenbrachte, bewiesen mir zur Genüge, welch treuen Freund und welchen Platz ich in seinem edlen Hauskreise besaß.

Von Korsör über Fyen durch die Herzogthümer ging es in schneller Fahrt. In Hadersleben sah ich preußisches Militär. Ich fühlte mich verstimmt und betrübt. Spät des Abends, als ich auf dem Altonaer Bahnhof aus dem Wagen stieg, kam ein älterer Mann mit einem kleinen Mädchen zu mir. Er sah mich an und sagte deutsch zu dem Kinde: »Reiche dem Herrn die Hand, mein Kind! Es ist Andersen, der die hübschen Märchen geschrieben hat.« Er lächelte mich an, das Kind gab mir die Hand, und ich streichelte seine Wangen. Diese kleine Begebenheit versetzte mich wieder in meine frühere gute Stimmung.

Am nächsten Tage erreichte ich Celle, wo ich seit meiner ersten Reise im Jahre 1831 nicht gewesen war. Ich wollte das Schloß der unglücklichen Königin Mathilde besuchen, wo sie ihre Lebensjahre verbracht hatte, und auch ihr Grab. In dem » französischen Garten« ist ihr ein kolossales Marmordenkmal errichtet worden, über das man eine Holzschauer erbaut hat, um es gegen den Winterschnee zu schützen: sie sah aus wie eine Baracke. In einem Zimmer des Schlosses hing ein großes Portrait der Königin Mathilde, ganz verschieden von denjenigen, die ich früher in Dänemark gesehen hatte. Das Bild hier war schön, und die Züge erinnerten an ihren Sohn, König Frederik VI.

Königin Caroline Mathilde.

 

Ueber Hannover und durch die Porta westphalica fuhr ich mit der Bahn nach dem Rhein, um die holländische Grenze zu erreichen. Es wurde finsterer Abend und stürmisches Wetter; fast alle Lampen in den Waggons erloschen; es war draußen und drinnen schwarze Nacht. Ich dachte, geht das gut, dann geht sehr Vieles gut, und dabei sausten wir, gleichsam getrieben vom Sturm, dahin. Als wir den Bahnhof am Rhein erreichten, schien es, als ob auch hier alle Laternen erloschen seien. Ein Mann humpelte mit einer Laterne hin und her, das war die ganze Beleuchtung, während wir über die sich kreuzenden Schienen gehen mußten und Züge vor und hinter uns in Bewegung gesetzt wurden. Ich erreichte das angewiesene Hotel, das gerade nicht sehr einladend aussah; höchst dürftige, nicht gelüftete Zimmer, lässige Bedienung, schwarzes und saures Brod. Ich fühlte mich, als wäre ich dreißig Jahre meines Reiselebens in eine kleine Stadt zurückversetzt. Das nannten Viele die romantische Zeit; ich ziehe die Zeit der Bequemlichkeit unserer Zeit vor.

Am folgenden Tage, drinnen in Holland, kam ich mit einem dekorirten Herrn in einem Coupé zusammen, einem Holländer. Im Laufe des Gesprächs hörte er, daß ich aus Dänemark sei. »Sie werden in Amsterdam einen bekannten Landsmann treffen,« sagte er, »der Dichter Andersen ist dort.« Ich bezweifelte das und sagte ihm bald darauf, daß ich selber Andersen sei.

Bei Utrecht stieg ich aus, um den Uebersetzer meiner Schriften, Herrn Nieuwenhuis, zu besuchen. Seine Frau ist eine geborene Dänin. Ich glaube, daß auch er ein Däne ist, der den Familiennamen Nyegaard (Neuhaus) in das Holländische mit Nieuwenhuis übersetzt hat. Ich fand einen sehr freundlichen Empfang und in den Zimmern manche Erinnerungen aus der Heimat, Portraits von hervorragenden Dänen und unter diesen Ingemann. Nieuwenhuis führte mich zu dem holländischen Dichter Nepheu, der Dänisch versteht, einige meiner Märchen übersetzt und mehrere Romane geschrieben hat. Auch Professor van Herwaarden und seine Frau sprachen dänisch. In einigen Buchläden fand ich einige meiner Schriften in's holländische übersetzt und mein Portrait in das Fenster gestellt. Alles dies trug dazu bei, mich bei meinem Eintritt in Holland ganz heimisch zu fühlen. Der Dichter Ten Kate war gerade in der Stadt anwesend und wohnte in demselben Hotel wie ich, aber wir kannten uns damals nicht persönlich. Er war am Nachmittage angekommen, um einen Theil seiner neuesten Dichtung » Die Schöpfung« vorzulesen, und reiste früh am nächsten Morgen nach Amsterdam zurück. Der geehrte Dichter trägt, wie Dickens, seine Schriften öffentlich vor, und thut dies auf ganz vorzügliche Weise.

Auf dem Bahnhofe in Amsterdam wurde ich von beiden Brüdern Brandt empfangen, die mich zu meinem Heim bei dem ältesten der Brüder führten. Es war ein großes, schönes Haus mit Garten und Bäumen, draußen am Kanal, gelegen in Heerengracht by de Huidenstraat, in dem schönsten Theile der Stadt. Gleich einem Freunde wurde ich von den lieben Menschen, die ich zum ersten Mal sah, empfangen. Die Frau und der Sohn im Hause sprachen vortrefflich dänisch. Der Hausherr selbst war voller Lebhaftigkeit und Aufmerksamkeit, und ich nahm sofort das angenehme Gefühl in mir auf, gern gesehen und bei Freunden zu sein. Hier herrschte, wie in England und Schottland, aber nicht daheim bei uns, das schöne patriarchalische Verhältniß zwischen Herrschaft und Dienerschaft. In den Andachtsstunden des Morgens und Abends versammelten sich alle Hausgenossen zum Vorlesen der Bibel, was mit einem Psalm schloß. Diese Sitte erhebt das Gemüt und sprach mich sehr an. Hier herrschte auch viel Geselligkeit; die Abende vergingen unter Musik, Gesang und Vorlesen, und weit mehr Leute, als ich dachte, verstanden Dänisch. Ich las fast jeden Abend ein paar meiner Märchen und Geschichten vor, aber der Kreis war größer, wenn ich sie in englischer, französischer oder deutscher Uebersetzung gab. Ganz vorzüglich konnte der ältere Herr Brandt sie auf der Stelle aus dem dänischen Buche in holländische Uebersetzung wiedergeben.

Gleich bei meiner Ankunft erhielt ich eine Einladung von der Direction des Stadttheaters. Drei der bedeutendsten Schauspieler, unter welchen der ausgezeichnete Dramatiker Herr Peters, erboten sich, mir jeden Platz, den ich wünsche, während meines ganzen Aufenthaltes zur Verfügung zu stellen. Einzelne kannte ich aus früherer Zeit hier in Amsterdam; diese mußte ich wiedersehen und die Stadt näher kennen lernen. Diesmal war von einem Durchfliegen keine Rede mehr, da mein Aufenthalt mehre Wochen währen sollte.

Amsterdam ist nicht Hollands Königsstadt, sondern dessen Hauptstadt, die ausgedehnteste und lebhafteste Stadt des Landes, das Venedig des Nordens und ist auf Pfählen in Schlamm und Wasser erbaut. Der Gelehrte Erasmus Rotterdamus Der berühmte Gelehrte und Humanist Desiderius Erasmus ist geboren den 23. October 1466 in Rotterdam, daher sein Beiname, gestorben in Basel am 12. Juli 1536. Der Uebers. bezeichnet es, indem er sagt: »Ich kenne eine Stadt, deren Bewohner gleich Krähen auf Holzstämmen wohnen.« Manch ein überfülltes Kornmagazin ist verschwunden, weil der Grund nicht im Stande war, die Last zu tragen; viele Häuser liegen über die Straßen hinaus, als ob sie nur noch von den stärkeren Nachbarhäusern gehalten würden. Man sieht hier ein ganzes Netz von Kanälen wie in Venedig; allein sie sind fächerförmig angelegt und an beiden Seiten von Straßen begrenzt, wo die Wagen fahren. Die Hauptstraße zieht sich schmal und gebogen zu dem Platz, wo das Rathhaus, auf Pfählen ruhend, sich erhebt, und wo die Börse mit ihrer griechischen Säulenreihe gelegen ist. Was stets mein Auge in Amsterdam verletzt hat, war das hervorstechende Kostüm, in welches die Waisenkinder gekleidet sind; vielleicht mag das Unheimliche für mich darin begründet sein, daß ich von Dänemark her gewohnt bin, ähnliche Kostüme bei unseren gemeinen Verbrechern zu sehen, die als Festungsgefangene öffentliche Arbeiten ausführen. In Amsterdam gehen die armen Waisenkinder, sowol Mädchen als Knaben, in Kleidern, deren eine Seite aus rothem, die andere aus schwarzem Zeuge besteht.

Ich besuchte ein paar Armenschulen und hörte den Gesang der Kinder. Ich sah das Judenquartier, die Kunstsammlungen und – was mir besonders neu und großartig erschien – den zoologischen Garten. Während des Sommers wird hier draußen musicirt, jetzt hörte man nur die verschiedenen Töne, welche die Thiere ausstoßen; schreiende Papageien und Kakadus strengen sich an, ein kleiner schwarzer Vogel hatte gelernt, ein paar holländische Worte zu sprechen, die derselbe fortwährend wiederholte. Hier ist eine reiche Auswahl von Wölfen, Bären, Tigern und Hyänen; königliche Löwen und urzeitsplumpe Elephanten sah ich auch; die Lamas spuckten hinter uns drein, die Adler sahen mit menschlich klugen Blicken auf uns herab; schwarze Schwäne schwammen in den Bächen; Seehunde kamen hervor und sonnten sich; aber am interessantesten und für mich ganz neu war eine Nilpferdfamilie, ein Männchen und ein Weibchen in ihrem Tiefwasserbassin; sie erhoben mehrmals ihren ungeheuren Kopf über das Wasser und zeigten ihren mächtigen Rachen. Das Weibchen hatte kürzlich ein Junges geworfen, und der Wächter hatte Tag und Nacht vorher wachen müssen, um darauf zu achten, das Kleine sofort nach der Geburt zu entfernen, da es sonst vom Vater getödtet werden würde. Das junge Nilpferd hatte sein eigenes Haus, gerade so eingerichtet, wie das der Eltern. Als ich eintrat, tauchte es unter, aber der Wächter verstand es wieder hervorzulocken; es war so groß wie ein Kalb, hatte schläfrige, schielende Augen; die Haut war rothgelb und glich einer Fischhaut ohne Schuppen. Seine Zukunft war bereits bestimmt: es war an den zoologischen Garten in Cöln verkauft.

Viel zu schnell entflohen die Tage in Amsterdam. Hier war so viel zu sehen; es waren so viele Bekannte zu besuchen. Mein Freund, der hochgeehrte Dichter van Lennep, war bedeutend älter geworden, sein Haar war silberweiß wie das Thorwaldsen's, und er sagte scherzend von seinem Gesicht, daß es dem Voltaire's glich. Er arbeitete damals an seinem umfangreichen Roman » Das Siebengestirn

Der Componist Verhulst, den ich auf's Neue besuchte, kam mir jubelnd entgegen; seine erste Frage galt unserem gemeinsamen Freunde Niels Gade, Siehe den vorigen Band Seite 119. Der Uebers. dem Componisten der Gegenwart, den er am höchsten schätzte. Er zeigte mir, wie vollständig er Gade's Compositionen besaß und beklagte, daß Holland nicht so wie Dänemark eine Originaloper habe. Während der folgenden Woche sollte hier ein großes Concert stattfinden, und er versprach, obgleich bei dem zweitletzten Concert Stücke von Gade ausgeführt worden waren, daß ich bei dem bevorstehenden Concert auch eine Komposition dieses Meisters hören würde.

Der Abend kam, und ich war im Concert anwesend; es wurde eine von Gade's Symphonien aufgeführt, die stark applaudirt wurde. Man sah hin zu mir, als wollte man sagen: »Erzähle diesen Eindruck Deinem hochgeschätzten Landsmann!« Es war ein großes, elegantes Publikum anwesend; aber auffallend war es mir, nicht ein Gesicht des Volkes zu sehen, das gerade in unserer Zeit uns Männer schenkte, welche die Träger berühmter Tonwerke sind, des Volkes, das uns einen Mendelssohn, Halevy und Meyerbeer gab. Ich sah nicht einen einzigen Juden und sprach meine Verwunderung darüber aus; aber diese wurde noch größer, als ich erfuhr – ach, möchte ich doch mißverstanden haben! – daß diese hier nicht aufgenommen würden. Ich empfing dadurch wie bei mehreren anderen Gelegenheiten den Eindruck, der sich auch ferner aufrecht erhielt, daß hier starke Trennung zwischen den Menschen herrscht, die durch die Verschiedenheit des Reichthums, der Stellung, des Ansehens und der Religion hervorgerufen werden.

In Dänemark begegnet man ausgezeichneten Künstlern und Künstlerinnen der Bühne in den ersten und besten Gesellschaften; aber so ist es nicht in Amsterdam. Ich sprach dies aus, und ich nannte einen Einzelnen, mit dem ich gern zusammentreffen möchte, aber man antwortete mir, dass dies hier gegen Sitte und Gebrauch stritte. Das ist nicht die rechte Sitte, nicht der rechte Gebrauch!

Das Stadttheater in Amsterdam, das ich häufig besuchte, gab fast jeden Abend eine Vorstellung in holländischer Sprache; doch einmal wöchentlich kamen vom königlichen Theater in Haag die französische Oper und das Ballet hinüber. Man gab Meyerbeer's » Afrikanerin« und das Ballet » Die Hirschkuh im Walde«. Die Oper besaß gute Kräfte, aber das Ballet stand in Betreff der Composition und Schönheit weit unter dem, was die dänische Bühne aufzuweisen vermag. Ich sah ein paar Tragödien, so z. B. Schiller's » Jungfrau von Orleans«. Die Titelrolle wurde von der ersten Künstlerin der Bühne, Frau Kleine-Hartmann, verständig und hübsch gespielt, aber von noch größerem Interesse war für mich ihre Ausführung der » De Vrouwe van Waardenburg«. Das Stück ist eine dramatische Dichtung in drei verschiedenen Lebensaltern. Zuerst sah man die Künstlerin als die kraftvolle, mannhafte Burgfrau, welche selbst die Vertheidigung leitet, als man ihre Burg stürmt; später tritt sie als ältere Frau auf und schließlich als uralte Matrone, in einer Zeit, wo alle früheren Verhältnisse und Anschauungen gebrochen sind, wo ihr Tochtersohn Protestant geworden und die Tochter eines Handwerkers zum Altar führt. Sie erwartet das Brautpaar im Rittersaal und soll es segnen; ihre Hand ruht auf dem Haupte ihres Enkels, aber als sie dieselbe auf die bürgerlich geborene, geringe Braut legen soll, bricht ihre letzte Kraft und sie sinkt todt um. Das Ganze ist ein großartiges, ergreifendes Bild aus einer längst verflossenen Zeit. Durch Hilfe der Erklärung meiner Freunde verstand ich die ganze Handlung und war besonders ergriffen durch Frau Kleine-Hartmann's meisterliches Spiel. Ich hörte später, daß dies eine Nachbildung von Ristori's Darstellung der » Elisabeth« sei; ich weiß nicht, ob dem so ist, aber in jedem Falle ist dieselbe gut und genial in » De Vrouwe van Waardenburg« übertragen worden. Ich sah das Stück mehrere Male. Es ist sicherlich eine Dichtung von großer Bedeutung für das holländische Theater, aber ob es in einem fremden Lande ansprechen würde, dürfte doch einem Zweifel unterworfen sein. Hier wurde es sehr sorgfältig ausgestattet und mit großer Sorgfalt gegeben. Die Zwischenakte wirkten hingegen sehr störend, denn das Orchester spielte moderne Tanzmelodien, die Galerien waren dazu von einem sehr unruhigen, lauten Publikum erfüllt, das nach Musik rief und auf den Fingern pfiff. Für mich war es auch eine Unsitte, daß mehrere Zuschauer in den Logen und im Parquet später am Abend Thee tranken. Doch jedes Land hat seine Sitten und Gebräuche.

Bei meinem früheren Besuche in Holland hatte ich Ten Kate nicht gesehen, der vielleicht der bedeutendste Dichter des Landes ist; jetzt sollten wir uns treffen und Freunde werden. Sein Schwiegersohn, der Kaufmann van Hengel, war einige Jahre früher mit seiner jungen Frau in Dänemark gewesen, sie hatten mich damals besucht und mir Grüße von dem Dichter gebracht. Jetzt begrüßte mich derselbe selbst am Tische seines Schwiegersohnes. Hier war ein großer Kreis versammelt und die Meisten desselben verstanden Dänisch. Ten Kate brachte ein Hoch auf mich und dann eins auf mein Vaterland aus, das nach den schweren Prüfungen, welche es durchgemacht hatte, leben und blühen möge. Er sprach so herzliche Worte, sie wurden von so viel Innigkeit getragen, daß mir die Thränen in die Augen traten. Nachdem ich meinen Dank ausgesprochen hatte, las ich auf Dänisch zwei meiner Märchen » Die schönste Rose der Welt« und » Der Schmetterling« Siehe die Märchen Band 2. Seite 31. Der Uebers. vor, die beide von Ten Kate mit besonderer Treue und großem dichterischen Talent übersetzt und in seine gesammelten Werke aufgenommen worden waren. Er improvisirte auf Holländisch ein Gedicht auf mich, und ich beantwortete es auf Dänisch in demselben Versmaß. Es war diese Gesellschaft so lebhaft, so herzlich, wie die kleinen festlich geschmückten Zimmer durch ihre Behaglichkeit dazu beitrugen. Auf dem Tische prangte ein großer Kuchen, auf dem Fortuna thronte; sie hielt die dänische Flagge mit meinem Namen in der einen und Hollands Flagge mit Ten Kate's Namen in der andern Hand. Ich bewahre diese Flagge noch als eine Erinnerung, Ten Kate bewahrt die dänische. Der ganze große Kuchen war reizend mit meinen Lieblingsvögeln, lauter kleinen Störchen, besetzt.

Unser dänischer Consul Woldsen gab meinetwegen ein ähnliches Festmahl, wo ich wiederum der gefeierte Gast war, und wo Ten Kate in einer schönen und formgerechten Ansprache mir einen Gruß von den Kindern in Holland brachte. Er las dann seine versificirte Uebersetzung meines Märchens » Der Engel« vor und ich mußte in Folge Aufforderung aus dem Gedächtniß das Märchen »Der Schweinehirt« Siehe die Märchen Band 2. Seite 218. Der Uebers. erzählen.

Eines Abends fand sich in meiner Behausung bei der Familie Brandt ein großer, ausgewählter Kreis ein. In diesem hörte ich zum ersten Mal den alten, hochgeschätzten Dichter van Lennep mit großer Jugendfrische und dramatischer Wirksamkeit ein größeres Gedicht von Bilderdijk, Der holländische Dichter Willem Bilderdijk ist geboren den 7. September 1756 in Amsterdam und gestorben in Haarlem den 18. December 1831. Der Uebers. Hollands größtem und verehrtem Dichter vortragen.

Fünf Wochen hatte ich in Freude in dem gastfreien Hause verbracht; nun kam der Tag der Abreise. Ich wollte vorläufig doch nicht weiter, als nach Leyden, wo liebe Bekannte meiner harrten. Die Sonne schien warm, über der Erde lag noch eine dünne Schneedecke, aber bei der letzten Station war der Schnee geschmolzen, und von nun an ging es in den Frühling hinein. Jetzt gab es keinen Schnee und keine Kälte mehr.

Auf dem Bahnhof in Leyden wurde ich von meinem Freunde, dem Dichter Kneppelhout empfangen, der mich in sein reich und prächtig ausgestattetes Haus führte. Hier sollte ich einige Tage wohnen. Seine liebenswürdige Gattin führte uns an den Mittagstisch, und hier fand ich einen großen Theil der Professoren Leydens mit ihren Frauen versammelt. Es wurden Reden auf Dänisch, Englisch und Französisch gehalten. Ein größeres, gedrucktes Märchen » Die Schwalben und die Blutegel« von Kneppelhout wurde an die Gäste als Erinnerung an diesen Tag vertheilt. Ich begegnete hier wieder einem älteren Freunde und Bekannten, Professor Schlegel, Siehe Seite 21 d. Bandes. Der Uebers. und lernte den berühmten Astronomen Kayser kennen, den ich in seinem großartigen Observatorium besuchte, um die Sonnenflecken zu besehen; aber die Wolken wollten mir diesen Anblick nicht gestatten.

In einem offenen Wagen fuhr ich an einem schönen sonnigen Tage mit Kneppelhout und seiner Gattin hinaus nach den Dünen, wo ein neues mächtiges Schleusenwerk den Rhein in das Meer hinausführt. Es ist also nicht mehr wahr, wie die Geographie in meiner Schulzeit mich lehrte, daß »der Rhein sich verliert und im Sande verschwindet.« Der Weg führt durch niedliche Dörfer; auf den Feldern standen lange Beete prangend von Crocus, Hyacinthen und Tulpen.

Als die Sanddünen erreicht waren, stiegen wir vom Wagen und gingen nun über den weichen Sand, wo die Sonne, so lange wir uns ohne Schutz befanden, mit heißen Strahlen brannte. Das Meer lag ausgedehnt vor uns, aber nur ein einziges Schiff war zu erblicken. Wir stiegen zu dem großartigen Schleusenwerk hinauf, eine Cyklopenarbeit, in unserer Zeit ausgeführt. Der Wind blies hier eiskalt und fegte uns den feinen Sand in's Gesicht. Erst spät Abends kamen wir nach unserem Heim in Leyden zurück.

Sich begegnen und sich wieder trennen, wie glücklich man auch ist, wie wohl man sich auch fühlt, ist der Pulsschlag im Reiseleben. Im Haag, wohin nun die Reise ging, sollte ich bereits wenige Tage später meinen liebenswürdigen Wirth und Wirthin wiedersehen und ebenso mit meinen Freunden und Bekannten zusammentreffen. Hier residirte der dänische Gesandte Baron Bille-Brahe, den ich seit seinen Studentenjahren kannte. Hier lebte auch Frederike Bremer's Verwandter, mein Freund, der Baron Wrede, der schwedische Gesandte.

Auf der kurzen Strecke Wegs nach dem Haag saß ich in einem Coupé mit einem jungen neuvermählten Ehepaar; sie fragten mich, ob ich nicht der dänische Dichter Andersen sei und erzählten mir, daß sie mich nach meinem Portrait, das sie in Amsterdam in einem Schaufenster gesehen, erkannt hätten.

Im Hotel » Oude Doelen«, wo ich früher gewohnt hatte, erkannte man mich sofort, und es wurde mir daher ein herzlicher Empfang zu Theil.

Wie ist es doch herrlich, ein wahrer Segen Gottes, draußen in der Welt zu sein, sich in einer großen Stadt zu befinden, unbekannt, ganz wie ein Fremder und doch mit der Gewißheit, daß man Freunde besitzt, unbekannte, niemals gesehene Freunde, zu wissen, daß wenn Einen irgend ein Unfall, ein Mißgeschick von Bedeutung treffen würde, dennoch erkannt und sicherlich nicht verlassen zu sein.

Bald fühlte ich mich ganz heimisch im Haag. Ich lernte dort viele liebenswürdige Menschen kennen, und dann ging ich wieder weiter gen Süden.

Vom Haag ging die Reise über Rotterdam den Fluß hinauf. Die Wasserfahrt war höchst lebhaft und abwechselnd. Bald darauf kam ich zum ersten Mal nach Antwerpen. Das Feuer knisterte im Kamin, und die Sonne schien in das wohnliche Zimmer. Einer meiner ersten Besuche dort galt dem berühmten Maler Keiser, Director der Akademie. Ich traf ihn in seinem Atelier und wurde von ihm wie ein alter Bekannter empfangen. Er zeigte mir die kolossale Arbeit, mit der er gerade jetzt beschäftigt war und die erst nach mehreren Jahren vollendet sein wird; es war ein Gemälde, das die Wand in einem großen Saal des Museums decken sollte, eine Darstellung der ganzen flämischen Kunstgeschichte; es sollte hundert Personen in Lebensgröße umfassen, außerdem viele kleinere allegorische Bilder, durch welche die Philosophie, die Poesie und die Geschichte durch Büsten von Plato, Homer und Herodot angedeutet werden sollten.

Der liebenswürdige Künstler führte mich dann selbst im Museum umher, das reich an den besten Werken von Rubens, Van Dyck und anderen großen Meistern ist.

Auch in Antwerpen hatte ich ein gastfreies, dänisches Heim, nämlich bei meinem Landsmann, dem Kaufmann Good und seiner Frau. Im Verein mit ihm sah ich einen Theil der Stadt, ihre prächtigen Kirchen und Monumente. Ganz besonders fühlte ich mich von einer einzigen Stelle angezogen, einer Künstlererinnerung; es war nicht Rubens' Statue oder die van Dyck's, nein, ein Grabstein, eingemauert in der Wand beim Aufgang zum Thurm der Domkirche; derselbe zeigte das Bild von Quintin Marsys, der im Jahre 1529 starb. Die Inschrift meldete von ihm: » In synen Tijd grofsmidt en daernaer fameus schilder.« (Seiner Zeit Grobschmied, hernach ein ausgezeichneter Maler.) In diesen Worten liegt eine ganze romantische Geschichte: Aus Liebe zu der schönen Tochter eines Malers verließ er Ambos und Hammer, ergriff Pinsel und Palette; die Liebe erfüllte, leitete ihn, und als anerkannter tüchtiger Maler erlangte er seine Braut. Eins seiner großen Bilder hat Platz in dem Museum gefunden, und auf dem eingemauerten Stein steht ferner auf lateinisch: Durch Liebe wurde der Schmied ein Apelles. Apelles ist der größte Meister der altgriechischen Malerkunst und lebte am Ende des 3. Jahrhunderts vor Christo. Der Uebers.

Ueber Brüssel kam ich nach Paris. Unser Kronprinz Frederik war hier anwesend und wohnte im Hotel Bristol auf dem Vendôme-Platz. Seine liebenswürdige Persönlichkeit sprach Alle an; man hörte ringsum, wie wolangesehen er war. Mit seiner gewöhnlichen Herzensgute empfing er mich, und gleich am ersten Sonntag verbrachte ich einen glücklichen Tag in seiner Umgebung. Er lud mich ein, ihn zum Wettrennen bei Vincennes zu begleiten. Um ein Uhr fuhren wir, in drei Wagen vertheilt, jeder mit vier Pferden bespannt und einem Vorreiter voran, ab. Der Weg ging über den Boulevard, und wir jagten an allen Equipagen vorüber. Als wir bei der Bahn ankamen, wurde der Kronprinz von einem kaiserlichen Stallmeister empfangen, der ihn zur kaiserlichen Tribüne führte, wohin wir Andere ihm folgten. Hier befand sich dicht bei der Tribüne ein großes Zimmer mit Feuer im Kamin, weiche Stühle und Sophas. Etwas später kam der Sohn des Prinzen Murad, ein ältlicher Herr, dem sein Sohn folgte; sie waren die Einzigen der kaiserlichen Familie, die anwesend waren. Unterhalb der Tribüne wogte die Menge; Aller Augen waren auf die kaiserliche Tribüne gerichtet. Ich saß hier mit lichten und doch so ernsten Gedanken über den Wechsel des Lebens. Ich dachte an meine arme Kindheit: das kleine Haus in Odense und jetzt hier in der kaiserlichen Loge!

Auf der Heimfahrt hatte sich das Volk in Reihen aufgestellt, um den dänischen Kronprinzen zu sehen. Bei der Tafel erinnerte der Kronprinz daran, daß am folgenden Tag, dem 2. April, mein Geburtstag sei, und er brachte einen Toast aus auf das neue Jahr, das morgen für mich begann.

Wenn ich an diesem Festtag in Dänemark anwesend bin, dann machen Freunde und Freundinnen denselben stets so glänzend für mich; Blumen, Bücher und Bilder schießen gleichsam überall in meiner Stube empor. Aber hier draußen im fremden Lande mußte derselbe doch höchst verschieden von diesem sein und still, dachte ich; aber das traf nicht ein. Von der Heimat kamen in der frühen Morgenstunde viele Briefe und Telegramme von der Collin'schen Familie in Kopenhagen. Alle die Theuren weilten in Gedanken bei mir, und später am Tage beehrte mich Dänemarks Kronprinz mit einem Besuch. Den Mittag Verb rächte ich bei unserem Consul Callon und traf dort mit mehreren Landsleuten zusammen. Als ich später am Abend in mein Hotel heimkehrte, saß dort ein in Paris angesessener Landsmann und wartete auf mich mit einem großen Blumenbouquet der Frau Melchior in Kopenhagen. Ich wurde glücklich wie ein Kind; aber mitten in der Freude kam, wie so oft, der Gedanke: Ich besitze zu viel Glück, es muß einmal in das Gegentheil umschlagen, und schwere Prüfungen müssen kommen. Wie werde ich diese dann ertragen? Es ist etwas Beängstigendes, auf solche Weise gehoben, fortwährend durch so viel Gutes erfreut zu werden.

Ich hörte zum ersten Mal Christina Nilsson; Die berühmte schwedische Sängerin Christina Nilsson, geboren den 3. August 1843 in einem Dorfe bei Wexiö, ist seit 1872 mit einem Bankier Ronzeaud verheirathet. Der Uebers. sie trat als Martha auf. Ich war sehr erfreut über ihre dramatische Begabung und entzückt über ihre herrliche Stimme. Ich machte ihr einen Besuch; wir waren ja einander nicht fremd. Als ich in den Zeitungen von ihrem ersten Auftreten, von dem Glück, das das junge schwedische Mädchen überströmte und das, von armen Eltern geboren, so reich wurde, las, erlangte ich großes Interesse für sie und schrieb an einen meiner Freunde in Paris, daß er, der Fräulein Nilsson persönlich kannte, meinen Namen vor ihr nennen möge und sagen, daß wenn ich einst dorthin kommen würde, ich ihr gern einen Besuch abstatten möchte. Sie antwortete, daß wir bereits alte Bekannte wären, denn sie hatte mich einige meiner Märchen bei einer norwegischen Familie, wo ich eines Tages mit Björnstjerne Björnsen anwesend war, vorlesen hören und sei mir dort als ein junges schwedisches Mädchen vorgestellt worden, das sich vorbereite, die Bühne zu betreten. Ich hatte ihr damals ein von mir aus Papier ausgeschnittenes kleines Bild Jonas Collin fügt hier hinzu, daß Andersen, wie wir das auch bereits im vorigen Bande Seite 243 erfahren haben, im Besitze eines nicht gewöhnlichen Talents war, aus Papier mit der Scheere Bilder auszuschneiden; mit einer überraschenden Schnelligkeit und ohne jede Anstrengung schnitt er phantastische Muster, Schnörkel, Blumen, Thiere und menschliche Figuren aus; besonders liebte er es, Schwäne, Schmetterlinge und Tänzerinnen, die auf einem Bein standen, auszuschneiden. In Verbindung hiermit dürfte es nicht uninteressant sein, hinzuzufügen, daß sich sein Geschmack für die Folge auch durch ein gewisses ursprüngliches, aber niemals entwickeltes Talent für Zeichnungen äußerte. Aus seiner ersten römischen Reise im Jahre 1883 besitzt die Familie Collin eine große Menge Federzeichnungen von ihm. Er hatte damals kein Geld, um sich Ansichten und dergl. zu kaufen, und deshalb zeichnete er selbst, was er sah und in seiner Erinnerung zu bewahren wünschte. Der Uebers. geschenkt. – Als ich das hörte, stieg plötzlich in mir die Erinnerung an jene Vormittagsgesellschaft in Paris aus, wo ich vorgelesen und mehrere Bildchen ausgeschnitten hatte. Ich entsann mich jetzt, daß ich dort mit einer jungen Dame gesprochen hatte, die einst in der Oper austreten sollte, aber das war wieder von mir vergessen und ich entsann mich ihres Aussehens nicht mehr. Jetzt stand ich vor ihr, wurde freundlich und fröhlich empfangen; sie gab mir ihr Portrait und schrieb einige ehrende, verbindliche Worte auf französisch darunter.

Ein Empfehlungsschreiben führte mich zu dem Componisten Rossini Der berühmte italienische Componist Gioachimo Rossini ist geboren in Pesaro den 29. Februar 1792 und gestorben in Passy bei Paris am 14. November 1868. Alle seine Opern, deren Zahl wol 40 ist, sind auf allen Bühnen zur Aufführung gelangt und gehören noch zu den besten Repertoirestücken. Der Uebers., den ich bisher weder gesehen noch gesprochen hatte. Er war so höflich, mir zu sagen, daß ihm mein Name sehr wol bekannt sei, und daß ich keines Empfehlungsbriefes bedurft hätte. Wir sprachen über dänische Musik, und da äußerte er, daß ihm Gade nicht unbekannt sei, Siboni den Aelteren hatte er persönlich gekannt. Er bat mich, eine Stelle einer österreichischen Zeitung zu übersetzen, worin von einem Concert zu Gunsten des Mozartdenkmals die Rede war, in welchem zwei neue Musikstücke von Rossini ausgeführt werden sollten. Während unseres Gesprächs kam ein neuer Besuch, ein italienischer » Principe«, dem er sagte, daß ich ein » poeta tedesco« sei. Ich berichtigte dies gleich in » danese«, aber er blickte mich an und sagte: »Ja, aber Dänemark gehört ja zu Deutschland!« Da fiel der Fremde erklärend ein: »Die beiden Länder haben neulich mit einander Krieg geführt.« Rossini lächelte gutmüthig und bat seine Unwissenheit in der Geographie zu entschuldigen.

Den Geburtstag des Königs von Dänemark, den 8. April, feierte ich bei meiner Landsmännin, der Frau Vicomtesse Roberedo, Tochter des verstorbenen dänischen Marineministers Zahrtmann. Der Vicomte Roberedo war früher spanischer Gesandter in Kopenhagen, wo er seine Gattin kennen lernte. Diese ist eine Enkelin des reichen Bankier Donner in Altona, dessen Sohn nunmehr vom deutschen Kaiser in den Adelsstand erhoben worden ist. Der Uebers. Ich lernte auf der Wanderung dort hinaus, wie viel es zu bedeuten hat, wenn man in einer großen, volksreichen Stadt nicht sogleich auf der richtigen Seite der Straße geht. Der Weg, wohin ich wollte, führte an der Porte étoile an der linken Seite vorüber. Ich ging vom Concorde-Platz zu Fuß eine Stunde vor der Zeit, um die vielen Spazierenden in den Champs élysées mit Muße betrachten zu können. Die Menge nahm zu, und auf dem breiten Wege fuhr Wagen an Wagen in großer Anzahl, elegante Equipagen von der Promenade im Bois de Boulogne. Es kamen immer mehr und mehr, und vor der Porte étoile wurde es mir einleuchtend, daß es mir unmöglich sein würde, über die Straße auf die andere Seite zu gelangen, ohne überfahren zu werden. Während einer ganzen Stunde suchte ich eine Uebergangsstelle; einige Leute wagten sogar den Versuch, aber darauf durfte ich mich nicht einlassen. Das Haus, wohin ich wollte, gewahrte ich drüben auf der entgegengesetzten Seite, aber ich sah keine Möglichkeit, dorthin zu gelangen. Die Uhr war bereits über die festgesetzte Speisezeit. Da kam wieder der Genius meines Glücks, oder richtiger, er sandte einen großen beladenen Frachtwagen, der mit sechs Pferden bespannt war; dieser fuhr über die Straße im guten, langsamen Schritt und hielt auf diese Weise gleich einem Bollwerk all die dahin jagenden Equipagen auf, so daß ich in dessen Schutz sicher nach dem Hause der Vicomtesse gelangen konnte. Während wir bei Tische saßen, zog ein starkes Unwetter auf und bald durchfuhren die Blitze die Luft, so daß alle Lichter in der Stube gleichsam ihre Macht verloren. Es war ein großartiger Anblick, über Paris hinauszublicken, das bald in Nachtdunkel, bald wie im Sonnenglanz erschien. Der Regen goß herab: es war unmöglich, einen Wagen zu bekommen, und das Unwetter dauerte bis in die Nacht hinein fort. Alle Omnibusse waren besetzt, alle Wagen in Beschlag genommen, sagte der Diener. Es wurde mir ein Gastzimmer angeboten; allein ich glaubte, daß ich wol selbst einen Wagen finden würde. Ich lief allein über den Platz dahin, die breite Allee hinab, fand aber keinen Wagen und keinen Platz in irgend einem Omnibus. Die Uhr war halb zwei, bevor ich naß, als hätte ich eine Wanderung durch die Seine gemacht, im stürmischen Regen mein Hotel erreichte. Es war nicht ein trockener Faden an meinem ganzen Körper.

Mein tüchtiger Landsmann, der Maler Lorenz Fröhlich, der sich auch in Frankreich als Künstler einen bekannten und geehrten Namen verschafft, hatte damals gerade mit den Illustrationen zu vielen meiner neueren » Märchen und Geschichten« begonnen, zu denen noch Bilder fehlten. Er besaß ein reizendes Heim, eine edle Gattin und ein reizendes kleines Mädchen, das Original zum » Bébé« im Bilderbuch, das ganz Frankreich kennt. An seinem Tisch traf ich den Dichter Sauvage, der mir mittheilte, daß er in dramatischer Form die Idee meines Märchens » Die Galoschen des Glücks« Siehe Band III. Seite l. – Die Idee ist auch von Dr. Emil Jacobson und Girndt verwerthet worden. Der Uebers. behandele und gleichzeitig das Falsche der allgemeinen Behauptung nachweisen wollte, daß die alte Zeit besser sei, als die neue. Er zeigte mir einen Brief, den er von Jules Sandeau Der Dichter Léonard Jules Sandeau, geb. den 19. Februar l811 in Aubusson, schrieb Novellen, Romane sind Tragödien. Der Uebers. erhalten hatte, worin folgende Stelle sich befand: »Sie sind glücklich, Sie werden mit Andersen zusammen speisen Er ist ein Dichter voll von Reiz und Poesie; er ist gleichsam ein Haydn Der berühmte österreichische Componist Joseph Haydn ist geboren den 31. März 1732 in Rohrau und gestorben den 31. Mai 1809 in Wien. Das vom Dichter Seidl (siehe vorigen Band S. 393) verfaßte Gedicht »Gott erhalte den Kaiser Franz« ist von Haydn in Musik gesetzt und zum Nationalliede erhoben worden. Der Uebers. in der Musik. Ich bin entzückt über das, was ich von ihm kenne, und um eins seiner Märchen zu nennen: »Die kleine Meerjungfrau.« Siehe Band III Seite 427. Der Uebers.

Bevor ich Paris verließ, wurde mir noch eine große freudige Auszeichnung zutheil. Ich erhielt über Wien von dem Kaiser Maximilian von Mexiko Kaiser Maximilian von Mexiko, als Erzherzog von Oesterreich Ferdinand Max Joseph bekannt, ist am 6. Juli 1832 in Wien geboren, und der älteste Bruder des Kaisers Franz Joseph I. Er zeichnete sich durch hohe geistige Begabung aus und wirkte lange segensreich als Statthalter in Oberitalien. Durch den Verlust dieses Landestheils zur Unthätigkeit verurtheilt, ließ er sich von Napoleon III. bestimmen, die Kaiserkrone von Mexiko anzunehmen und betrat im Juni 1864 das Land. Nach langen Kämpfen und vielen Feindseligkeiten, und schließlich von den Franzosen schimpflich verlassen, fiel er in die Gefangenschaft der Republikaner und wurde am 19. Juni 1867 in der Festung Queretare erschossen. Später wurde der Leichnam durch Vermittelung der preußischen Gesandtschaft an Oesterreich ausgeliefert und in die Wiener Fürstengruft gebettet. Seine sich durch Liebenswürdigkeit und Schönheit auszeichnende Gemalin, eine geborene Prinzessin von Belgien, Charlotte Marie (geb. den 7. Juni 1840) verfiel nach der schrecklichen Katastrophe in Mexiko einem unheilbaren Irrsinn und lebt in der Umgebung Brüssels. Der Uebers. das Commandeurkreuz des Ordens » Notre Dame de Guadeloupe « zugesandt. Das ehrenvolle Schreiben, das demselben folgte, hob hervor, daß mir der Orden in Anerkennung meiner dichterischen Arbeiten ertheilt wurde. Der edle, reich begabte, nur bald so unglückliche Kaiser hatte sich meiner erinnert und hatte mich erfreuen wollen. Ich entsinne mich sehr wol jenes Abends vor vielen Jahren, als ich in der Kaiserburg in Wien bei seiner Mutter, der Erzherzogin Sophie, Siehe den vorigen Band S. 394. Der Uebers. einige meiner Märchen vorlas. Zwei junge Männer kamen mir damals sehr freundlich entgegen und sprachen mit mir, es war Prinz Maximilian und sein Bruder, der jetzige Kaiser von Oesterreich.

Am 13. April verließ ich Paris und erreichte am Nachmittag Tours. Auf der ganzen Fahrt begrüßte mich der Frühling mit blühenden Fruchtbäumen, und als ich am Tage darauf Bordeaux erreichte, prangte er in aller seiner Schönheit im botanischen Garten. Alle Bäume, die des Nordens und Südens, waren in ihrer Pracht; die Blumen dufteten und Hunderte von Goldfischen spielten in den Kanälen. Ich sah Landsleute und französische Freunde wieder, von welchen besonders zwei mir großes Wolwollen und große Aufmerksamkeit erwiesen, nämlich der Schriftsteller George Amér und der Musiker Erneste Redau. Ich verbrachte ein paar genußreiche Abende bei diesen. Redau spielte Schumann'sche Compositionen und Amér las auf französisch mehrere meiner Märchen und das ganze » Bilderbuch ohne Bilder« vor. Ein junger Franzose, der als Zuhörer gegenwärtig war, wurde so bewegt, daß ihm die Thränen über die Wangen liefen, und zu meiner großen Ueberraschung ergriff er meine Hand und küßte sie.

Durch George Amér erhielt ich eine Einladung von dem Gouvernements-Kommandanten, General Dumas, der früher lange in Afrika gewesen war und interessante Artikel in der » Revue de deux mondes« über Algier und die Araber geschrieben hatte. Er sprach sich anerkennend und warm über die Tapferkeit der dänischen Soldaten aus; das that meinem Herzen so wol, als ob ich Lob über meine eigene Familie hörte. Er holte mich zum Theater ab und führte mich in seine Loge. Ich war mehrmals in der Oper und genoß das besondere Wolwollen dieses allverehrten Mannes.

Am 25. jeden Monats geht von Bordeaux ein Dampfschiff nach Lissabon. Ich hatte bereits O'Neil meine Ankunft mit dem Schiff gemeldet, welches am 28. April eintreffen sollte.

Das Wetter wurde indessen sehr stürmisch. Ich wußte, daß unter solchen Verhältnissen die Tour über die » spanische See« keine Luftfahrt ist; aber ich wußte auch, daß die Reise durch das unruhige Spanien es ebenso wenig sein würde, besonders da die Eisenbahn zwischen Madrid und Portugal's Grenze noch unvollendet war. Da hörte ich, daß die Ristori Siehe S. 232 d. B. Der Uebers. in Bordeaux sei und daß sie an einem der nächsten Abende als Medea und Maria Stuart auftreten würde. Ich habe früher erwähnt, wie sie mich entzückte, als ich sie in London als Lady Macbeth sah. Ich mußte sie wiedersehen und deshalb ein paar Tage zu meinem Aufenthalt in Bordeaux hinzufügen, die Seereise aufgeben und durch Spanien nach Portugal gehen. Die » Medea« der Ristori war großartig, unvergeßlich wie ihre Lady Macbeth.

Bei der Abreise erhielt ich von dem Gelehrten Michel, der meine berühmten Landsleute Bröndsted und Finn Magnussen gekannt hatte, seine französische Uebersetzung der »Baskischen Volksgesänge«, die ich jetzt auf der Fahrt durch das Land der Basken lesen könnte. Tunnel auf Tunnel folgte; wild und einsam war es hier, und hin und wieder erblickte man einen verfallenen Hof und kleine schwarze Städte. Ueber Burgos erreichte ich Madrid.

Während meines vorigen Besuches hier gefiel mir die Stadt nicht, aber diesmal noch weit weniger. Ich fühlte mich einsam und verlassen. Die Regierung hatte Macht über die revolutionäre Bewegung erlangt, aber wie leicht und bald konnte diese nicht wieder hervorbrechen! Dies zeigte sich auch wenige Wochen später, nachdem ich nach Lissabon gekommen war; die Telegramme berichteten alsdann wieder von blutigen Kämpfen auf der Straße.

Ich sehnte mich sehr danach, von hier fortzukommen, aber die Eisenbahn von hier bis an die portugiesische Grenze war noch nicht eröffnet und um Platz mit dem Courir zu erlangen, mußte ich fünf Tage lang warten.

Am Donnerstag Abend, dem 3. Mai, kam ich endlich von dannen. Ein junger Arzt aus Lissabon war mein einziger Reisekamerad; er sprach ein wenig französisch und war auf der ganzen Reise höchst liebenswürdig und zuvorkommend gegen mich. Es war eine mondhelle Nacht. Wir fuhren über die Campagne dahin, vorbei an einigen einsamen Ruinen. Es war eine unvergeßliche Romantik über das Ganze verbreitet. In der frühen Morgenstunde überschritten wir den Tajofluß und am Tage darauf kamen wir durch schöne Waldstrecken. Es wurde gegen Abend, bevor wir über die Berge gelangten und unser Mittag in Truxillo, Pizzaro's Geburtsort, halten konnten. In den Wirthshäusern war man nicht sicher, etwas anderes als Chocolade zu erhalten, und mein Mitreisender und ich führten daher Wein und Eßwaaren mit uns, so daß wir in dieser Richtung keinen Mangel litten; aber an Ruhe während der Nacht war nicht zu denken, so halsbrechend war der Weg. Der Wagen stieß und schlängelte bald hierhin, bald dorthin; wir fuhren über große Steine und tiefe Löcher. Erst in Merida erreichten wir die Eisenbahn gegen Sonnenaufgang. Mein Reisekamerad führte mich in einige Gassen und Straßen, um mir Ruinen aus der Zeit der Römer zu zeigen. Ich war so müde, so wenig begierig, diese Herrlichkeiten kennen zu lernen, daß ich unwillig und humpelnd mit schläfrigen Augen die alten Steine anblickte. Es war viel angenehmer, das Stöhnen der Locomotive zu hören und den Dampf emporwirbeln zu sehen. Nur eine kurze Strecke hatten wir noch zu fahren, und wir befanden uns in der ansehnlichen Grenzstadt Badajos.

In einem guten Hotel und in Folge einer vorzüglichen Mahlzeit kam ich hier wieder zu Kräften, so daß wir nach der Ruhe einiger Stunden die Reise fortsetzen und in der Morgenstunde Lissabon erreichen konnten.

Wenn man von Spanien nach Portugal kommt, so heißt das aus dem Mittelalter in die Gegenwart sich versetzen. Ueberall erblickt man getünchte, reinliche Häuser und eingehegte Waldstrecken; Erfrischungen erhält man auf den großen Stationen, und während der Nacht fanden wir Schlaf in den bequemen Coupés.

Im Morgengrauen erreichten wir Lissabon. Mein aufmerksamer Reisekamerad schaffte mir einen Wagen und gab dem Kutscher Ordre, mich nach dem Hôtel Durand zu fahren, wo ich mich gerade dem Comtoir der Firma Tolades O'Neil gegenüber befand. So weit war Alles sehr schön, aber dem war nicht so, als ich das Hôtel erreichte: denn hier waren alle Zimmer besetzt, und ich hörte, daß O'Neils Comtoir sich zwar gegenüber befand, aber daß das Haus nicht von ihm bewohnt werde, sondern daß er sein Heim auf seiner Villa Pinieros, eine halbe Meile Wegs außerhalb Lissabon habe. Es war gerade Sonntag und Niemand kam an diesem Tage zur Stadt. Wie müde ich auch war, mußte ich mir dennoch bald einen Wagen schaffen, um dorthin zu fahren. Die Villa lag auf einer der Höhen beim Alcantara-Thal, nahe dem großen Aquaduct » Arcos dos aquas livres.«

Ich wurde herzlich und jubelnd von dem Jugendfreunde, seiner Gattin und seinen Söhnen empfangen. Man hatte mich mit dem französischen Dampfschiff ganz sicher erwartet und war bei dessen Ankunft anwesend gewesen. Die dänischen Schiffe, welche auf dem Tajo lagen, hatten den Danebrog als Gruß für mich ausgehißt.

Der Garten befand sich noch im besten Flor, mit Rosen und Geranien; Schlingpflanzen und Passionsblumen hingen gleich Teppichen über Mauern und Hecken; der weiße Blumenschirm des Fliederbaums dicht an den rothen Granatblumen stellten im Verein die dänische Nationalfarbe dar; im Getreide standen die rothen Mohnblumen und die blauen Zichorienblüthen, so daß ich mir hätte denken können, es sei ein Stück Feld aus der Heimat, wenn es nicht mit Kakteen und Cypressen eingehegt gewesen wäre. Der Wind heulte fast jede Nacht so herbstlich wie daheim. »Das ist der portugiesische Küstenwind, und diesem haben wir es zu verdanken, daß Portugals Klima so gesund ist,« sagte man mir.

Ich hatte früher von Lissabons engen, unreinen Straßen gelesen, wo wilde Hunde das hingeworfene Aas fraßen; aber ich sah eine helle, schöne Stadt mit Häusern, deren Mauern an manchen Stellen wie glänzender Porzellan prangten.

Einer der bedeutendsten jetzt lebenden Dichter in Portugal ist Antonio Feliciano de Castilho Der portugiesische Dichter Castilho ist in Lissabon den 26. Januar 1800 geboren und daselbst den 18. Juni 1875 gestorben. Der Uebers.; er ist mit einer Dänischen Dame, Fräulein Vidal aus Helsingör verheirathet. Ich hatte daher sowol eine Landsmännin, als einen großen Dichter zu besuchen. O'Neil führte mich zu ihnen.

Castilho ist Anfangs dieses Jahrhunderts geboren; in seinem sechsten Lebensjahre bekam er die Pocken und verlor dadurch das Gesicht. Seine Neigung zu studiren nahm immer mehr zu; seine reiche Begabung half ihm, und er eignete sich hervorragende Kenntnisse in der Philosophie, Geschichte, im Lateinischen und Griechischen an. In einem Alter von kaum vierzehn Jahren schrieb er einen lateinischen Vers, der Aufsehen machte; bald darauf folgte das Gedicht in seiner Muttersprache, aber besonders ergab er sich dem Studium der Botanik; zusammen mit seinem Bruder, der für ihn das Auge war, wanderte er in Coimbras herrliche Umgebung und erfaßte die ganze Naturschönheit, so daß er dieselbe in einem Gedicht » der Lenz« besingen konnte. In Coimbra schrieb er auch das Hirtengedicht » Echo e Narcisso «, das großes Glück machte. Eine junge Dame Maria lsabel de Buena-Coimbra wurde damals bei den Benedictiner-Nonnen in einem Kloster bei Oporto erzogen, wo sie noch einige Zeit blieb, nachdem ihre Erziehung beendet war. Sie las viel und stieß unter Anderem auch auf das Gedicht » Echo e Narcisso«. Ohne sich zu erkennen zu geben, schrieb sie an den Verfasser folgende Worte: » Wenn es ein Echo gäbe, würden Sie dann Narziß gleichen?« In Folge hiervon begann ein Briefwechsel zwischen Castilho und der jungen Unbekannten. Nach einiger Zeit bat er ihren Namen erfahren zu dürfen, und er erfuhr denselben. Der Briefwechsel wurde fortgesetzt, und im Jahre 1834 wurden sie verlobt und verheiratet. Drei Jahre darauf starb sie. Das Gedicht, das er zu ihrem Gedächtnis schrieb, wird von seinen Landsleuten als das beste in der portugiesischen Literatur betrachtet.

Mit Hilfe seiner jetzigen Frau hat Castilho mehrere dänische Gedichte in's Portugiesische übersetzt, so z. B. von Baggesen, Oehlenschläger und Boye. Ich wurde in Castilho's Haus wie ein alter Freund und Bekannter empfangen. Der liebe Dichter sprach so lebhaft, so jugendfrisch. Er arbeitete damals an einer Uebersetzung des Virgil. Der Sohn, der auch Dichter ist, half seinem blinden Vater. Für die Tochter, welche prächtige Augen wie die Sonne des Südens besaß, improvisirte ich ein Gedicht über die Sterne, welche ich früher des Nachts gesehen, die ich jetzt aber weit schöner am Tage sah.

Bald erfreuten Castilho und seine Familie mich mit einem Besuch auf Pinieros. Ich erhielt einige Briefe von ihm, dictirt auf französisch; er selbst hatte nur seinen Namen darunter geschrieben. Meine Briefe für ihn schrieb ich auf Dänisch, und er sagte deshalb in einer seiner Antworten: »Wir sprechen mit einander wie Pyramos und Thisbe, Ein Liebespaar in Babylon, das, durch die Feindschaft der Eltern getrennt, Nachts zusammenkam. Sie tödteten sich beide. Der Uebers. meine Frau ist die Wand.«

Während mehrerer Wochen war ich in Pinieros gewesen; ich fühlte mich heimisch bei den lieben portugiesischen Freunden. Frau O'Neil erzählte interessante Erinnerungen aus ihrer Kindheit, namentlich aus Dom Miguel's Dom Maria Evariste Miguel, geboren in Lissabon den 26. October 1802, gestorben in Oesterreich den 14. November 1866, lehnte sich 1824 gegen seinen Vater, König Johann VI. auf, und wurde, nachdem sein Bruder Dom Pedro 1826 dem Thron zu Gunsten seiner Tochter Maria da Gloria entsagt hatte, um die selbstständige Regierung Brasiliens als Kaiser zu übernehmen, mit dieser verlobt. Er übernahm die Regentschaft für die 7 jährige Königin, aber usurpirte als König 1828 den Thron, von dem ihn jedoch der Kaiser Dom Pedro 1832 verjagte, er verzichtete 1834 auf den Thron und lebte seitdem zurückgezogen in Oesterreich. Die Königin Maria vermählte sich 1835 mit dem Herzog Carl von Leuchtenberg und nach dessen frühem Tode mit dem Prinzen Ferdinand von Sachsen-Coburg-Kohary, der den Titel eines Königs annahm. Sie starb 1853 in Lissabon. Der Uebers. Zeit. Der älteste der Söhne, Georg, war musikalisch, besaß große Belesenheit und hatte großes Interesse für die Natur; der jüngere Sohn, Arthur, war ein schöner und lebensfrischer Bursche, gewandt in körperlichen Hebungen und ein kühner Reiter. Beide Söhne schlossen sich bald an mich an. Der Vater, mein Freund aus den Kinderjahren, verbrachte den ganzen Tag in seinem Comtoir und war Chef der Firma Tolades O'Neil , Consul für Dänemark und mehrere andere Länder. Abends, wenn er heim kam, sahen wir ihn stets heiter und lebensfrisch. Wir sprachen dann dänisch miteinander, sprachen von der alten Zeit daheim in Dänemark. Oftmals wurde auch die Guitarre von der Wand genommen, und er sang uns dann mit seiner vollen Stimme vor. Wie fühlte ich mich von ihm gefesselt: es war mir, als wären wir Landsleute und Brüder.

Einen Monat lang hatten wir bereits zusammen verlebt; ich sollte nun einen noch schöneren und üppigern Theil des Landes sehen. Carlos O'Neil erwartete mich auf seiner Villa Bonegos bei Setubal. Georg O'Neil, seine Gattin und seine Söhne folgten mir dahin. Wir fuhren mit dem Dampfschiff über den breiten Tajo und hatten von hier aus Eisenbahn bis Setubal, das zwischen Orangengärten und Bergen am Ocean liegt. Carlos O'Neil's Wagen führte uns vom Bahnhof zur Villa; es war die alte Hauptstraße von Lissabon nach dem südlichen Theil des Landes, den wir zu passiren hatten. Dieser erinnert vollständig an die Wege in Spanien, bald war er so schmal, daß nur ein Wagen Platz hatte, bald breit genug für vier Wagen; er erhob sich über nackte Felsen und senkte sich in längerer Strecke in tiefen Sand hinab; vor uns erhoben sich eingehegte und blühende Aloen. Die Festung Palmella erhob sich gleich einer großen Ruine vor uns, und nahe an unserem Wege, unter schattenvollen Bäumen lag das öde Mönchkloster Brancanas und dicht daneben Carlos O'Neil's Villa. Ich betrat hier ein blühendes und glückgesegnetes Heim. Welch' ein Anblick von meinem Balkonfenster, wo die herrlichen Palmen die Fontainen beschatteten! Der Garten war in Terrassen angelegt und jede Terrasse besaß ihr besondere Farbenpracht; Pfefferbäume beugten sich gleich Trauerweiden über die großen Wasserbassins, wo Goldfische schwammen; zwischen blühenden Wasserlilien, tiefer hinab, befand sich ein Orangenhain und unterhalb desselben lag der Weingarten. Ich konnte aus meinem Fenster über die Stadt Setubal, die Schiffe, die Bucht mit den Schiffen und den weißen Sandhügel gegen den blauen Ocean hinausschauen. Nach einem sonnenwarmen Tage war es eine wahre Erquickung, in den Schatten und die Ruhe des Abends hinauszukommen; die Dunkelheit senkte sich herab, aber die Sterne funkelten in einem Nu so unendlich klar, während unzählige leuchtende Feuerkäfer über Bäume und Büsche dahin flogen. – Es waren liebenswürdige, gute Menschen, bei denen ich wohnte; sie bezeigten mir so viel Aufmerksamkeit und Freundlichkeit. Ein Sohn, der junge Carlos, ein schöner Bursche mit hellblauen Augen und kohlschwarzem Haar, war mein treuer Begleiter und Führer auf allen meinen Ausflügen in die Berge; er zu Pferde, ich auf meinem Esel. Er hatte eine einzige Schwester gehabt; es war nur wenige Monate her, seit Gott sie zu sich gerufen hatte; sie war damals vierzehn Jahre alt, der Schatz und die Liebe des Hauses. Dieser Verlust hatte den Sonnenschein in dem bis dahin so glücklichen Heim der Eltern verlöscht.

Wir lebten auf die Weise still, aber für mich war die Zeit reich und abwechselnd. Der junge Carlos und ich ritten durch den Hain, wo die Orangen-, die Granatbäume und Mangolien in vollem Flor standen. Wir besuchten einige verlassene Klöster und sahen von Palmella über die großen Korkeichenwälder den Tajo, Lissabon und die Berge Cintras. Wir machten mit den Eltern eine Segeltour auf dem offenen Meere zur Grotte im Berge Arrabida und besuchten die im Sande begrabene Stadt Troja, Portugals Pompeji. Die Phönizier hatten sie gegründet, dann wurde sie von Römern bewohnt, die hier Salz sammelten und zwar auf dieselbe Weise, wie es noch heute geschieht; die großen Behälter zeugen davon. Die Sanddünen waren mit Gebüschen, Disteln und anderen Pflanzen bewachsen, würdig unsere Treibhäuser zu schmücken. Wo wir an's Land gingen, lagen Steinhaufen aufgestapelt, die für Schiffe, die hier in der Bucht Salz geholt, als Ballast gedient hatten. Es lagen daher hier Steine aus Dänemark, Schweden, Rußland, China und vielen anderen Ländern. Wahrlich, man könnte ein Märchen darüber schreiben! Wir wanderten in dieser Oede umher und stiegen über die Dünen hinab zum Meere. Die nächste Küste war Amerika. Dahin komme ich niemals; ich leide an Wasserscheu, aber mit all meinen Gedanken weilte ich dort.

Ich wohnte in Setubal einem Stiergefecht bei, das aber unschuldig und blutlos, im Vergleich mit dem spanischen Stiergefecht, verlief. Ich sah das volksthümliche St. Antoniusfest mit Aufzügen und Gesängen und erleuchteten Straßen.

Ein ganzer herrlicher Monat schwand schnell in dem schönen Setubal dahin. Der Besuch hier und auf Pinieros hatte bereits die Hälfte der Zeit, die ich zu meinem Aufenthalt in Portugal bestimmt hatte, gekostet; wollte ich vor der Heimreise Coimbra und Cintra besuchen, so mußte ich also entweder jetzt Abschied nehmen, oder mich dazu bestimmen, in Portugal zu überwintern. Die Reise durch das sonnenwarme, unruhige Spanien war nicht rathsam; es wäre richtiger mit dem Dampfschiff von Lissabon nach Bordeaux zu gehen; aber dann dürfte ich die Herbststürme zu fürchten haben! Wie würde die Reise von Frankreich sich stellen? Welche Dimensionen konnte der Krieg mit Deutschland annehmen? Die Hinreise zeigte sich so beschwerlich für mich, daß ich nahe daran war, den Entschluß zu fassen, den Winter in Portugal zu verbringen. Aber von den Freunden hier fortzuziehen und in einem Hotel zu wohnen, war durchaus nicht erbaulich, und mehrere Monate hindurch als Gast bei den freundlichen Menschen zu bleiben, – ja, da dachte ich an das alte Sprüchwort: »Ein lieber Gast wird langweilig, wenn er zu lang in einem fremden Hause bleibt!« Ich faßte daher den Entschluß, die Seereise zu machen und dem Geschick, das eine kriegerisch bewegte Zeit bringen kennte, ruhig entgegenzugehen.

Mitte August kam von Rio Janeiro ein Dampfschiff nach Lissabon und ging darauf nach Bordeaux weiter. Ich wollte mit diesem, nach einem Besuch in der alten Königsstadt Coimbra und nach einem Aufenthalt von einigen Wochen in dem herrlichen Cintra, abreisen.

Schwer war es, das herrliche Bonegosund die lieben Menschen dort zu verlassen. Carlos O'Neil, Vater und Sohn begleiteten mich nach Lissabon, und von hier ging die Reise, zugleich mit den Brüdern Georg und José O'Neil nach der romantisch gelegenen Universitätsstadt Coimbra. Sie ist an der Bergseite erbaut; die eine Straße liegt höher als die andere; mehrere der Häuser ragen mit zwei, drei und vier Etagen über die anderen; die Straßen sind eng und krumm. Hohe Steintreppen führen durch einzelne Gebäude von einer Straße in die andere. Bücherläden und andere Boutiken findet man hier in Menge. Ueberall sah ich Studenten in einer Art mittelalterlicher Tracht: ein langer, schwarzer Talar, ein kurzer Mantel, eine herabhängende polnische Mütze. Mit der Guitarre oder der Büchse über die Schulter sah ich eine Schar der muntern Jugend von dannen jagen, aus der alten Stadt, hinaus in den frischen Wald, in die Berge.

Die Universität, ein weit ausgedehntes Gebäude, nimmt den höchsten Punkt der Stadt ein; von hier sieht man Gärten mit ihren Cypressen, Orangen und Korkeichen; tief unten führt eine große gemauerte Brücke hin über den Mondego-Fluß zum Kloster Santa Clara und La quinta dos lagrimas. Halb in Ruinen liegt drinnen das Schloß, wo die schöne, unglückliche Ines de Castro und ihre unschuldigen Kinder ermordet wurden. Noch rauscht hier im Garten die Quelle, wo Ines und ihr Gemal Dom Pedro so oft saßen unter den hohen Cypressen, welche die Quelle noch jetzt beschatten. In eine Eisenplatte hat man die Verse, die Camoëns Der portugiesische Dichter Louis de Camoëns, von dem viele Werke, namentlich sein Hauptwerk » Os Lusiados«, in's Deutsche übersetzt sind, ist in Lissabon 1524 geboren und nach vielen Irrfahrten daselbst 1578 in Armuth gestorben. Man vergleiche die Märchen Band II S. 166, wo Andersen in der Dichtung » Der Dornenpfad der Ehre« dieses Dichters Leidensgeschichte behandelt. Der Uebers. über Ines in seiner » Luisiade« schrieb, eingegraben.

Während meines Aufenthalts in Coimbra fand eine Festlichkeit an der Universität statt; ein junger Mann erhielt den Doctorhut. Der Professor der Literaturgeschichte, ein geborener Schleswiger, hatte gehört, daß ich in der Stadt sei und beehrte mich mit einem Besuche. Von ihm wurde ich zu dem Feste geführt: ich sah bei dieser Gelegenheit das ganze große Gebäude, die prächtige Kapelle, den Thronsaal und die Bibliothek.

Von Coimbra kam ich wieder nach Lissabon, um Cintra zu erreichen, den schönsten und meist besungenen Theil Portugals. Byron nannte es » das neue Paradies.« » Hier hat der Lenz seinen Thron aufgeschlagen«, singt der Portugiese Garret.

Der Weg von Lissabon dahin führt über magern Erdboden; aber plötzlich erhebt sich, wie ein Stück aus Armida's Eine zauberisch schöne Frauengestalt, deren Tasso in seiner herrlichen Dichtung »Das befreite Jerusalem« erwähnt. Der Uebers. Zaubergarten, Cintra mit seinen mächtigen, schattenreichen Bäumen, seinen rauschenden Gewässern und seiner romantischen Felsennatur.

Man sagt mit Recht, daß jede Nation hier ein Stück ihres Vaterlandes wiederfindet; ich fand hier dänische Waldnatur, Klee und Vergißmeinnicht. Ich wähnte, manchen lieben, schönen Platz aus anderen Ländern wiederzufinden, aus dem grün gekleideten England, aus den wild umhergeworfenen Steinblöcken des Brockens; ich war wieder bei den farbenreichen Blumen Setubal's und bald hoch oben im Norden, in den schwedischen Birkenwäldern Leksands. Von der Landstraße sieht man über die kleine Stadt mit dem gelben Schloß, wo der regierende König wohnt; man sieht die Campagne und das fern gelegene Kloster Maffra.

Schön und herrlich erhebt sich aus der Bergeshöhe König Fernando's Der Gemal der Königin Maria da Gloria (siehe S. 379 d. B.), geboren den 29. October 1816 in Wien, vermählt den 9. April 1836, Wittwer seit 1853. Er übernahm die Regierung bis 1855 für seinen minderjährigen Sohn Dom Pedro, und lebt seitdem zurückgezogen in morganatischer Ehe mit der Gräfin Elise von Edla, geborenen Hensel. Der Uebers. Sommerschloß, ehemals ein Kloster. Der Weg da hinauf beginnt mit Cacteen, Kastanien und Platanen und endet zwischen Birken und Tannen, wo er sich zwischen wild umhergeworfenen Felsblöcken schlängelt. Man sieht von hier weit hinaus gegen die Berge jenseits des Tajo und über den mächtigen Ocean.

Mein Freund José O'Neil hatte seine Landstelle in dem paradiesischen Cintra. Ich war sein willkommener Gast. Auch hier hatte ich einen Freund, den englischen Gesandten Lytton, Sohn des Dichters Lytton Bulwer. Siehe Seite 42 dieses Bandes. Der Uebers. In Kopenhagen hatte ich mit dem jungen Lytton Bekanntschaft gemacht, der selbst ein viel gelesener Schriftsteller ist; er kam mir dort so herzlich entgegen, und hier war es ein förmliches Fest, uns wiederzutreffen. Im Verein mit ihm und seiner reizenden Gattin sah ich einen Theil der Schönheit des unvergeßlichen, herrlichen Cintra.

Auch die Freude hatte ich hier, meine edle Landsmännin, Frau Vicomtesse Roboredo, geborene Zahrtmann, die ich auf der Herreise in Paris besucht hatte, wiederzusehen; sie führte mich bei der liebenswürdigen Grafenfamilie Almeida, in einen Kreis von freundlich guten Menschen ein.

Schwer war es mir, mich von ihnen und meinem theuren José zu trennen; aber die Zeit drängte, das Dampfschiff nach Bordeaux mußte in wenigen Tagen in Lissabon eintreffen. Dorthin mußte ich also. Stürmisches Wetter hatte indessen das Dampfschiff aufgehalten, und ich mußte in Lissabon einige Tage warten. Ich war durchaus nicht sehr erfreut, auf das empörte Meer hinaus zu müssen.

Am frühen Morgen des Dienstag den 14. August wurde gemeldet, daß das Dampfschiff » Navarro« angekommen sei. Es war ein außerordentlich großes Schiff, das größte, das ich jemals betreten hatte, ein vollkommen schwimmendes Hotel. Georg O'Neil stellte mich dem Capitän und einigen Offizieren vor, empfahl mich ihnen auf das Beste, scherzte und lachte und drückte mir zum Abschied die Hand; ich war wehmüthig gestimmt. Sollten wir uns noch einmal Wiedersehen?

Da ertönten die Signale; der Anker wurde gelichtet, der Dampf trat in seine Herrschaft ein, und bald befanden wir uns auf dem Atlantischen Meere. Das Schiff hob sich, die Wogen stiegen höher und höher; das stürmische Wetter hatte sich wol gelegt, aber nicht die See. Ich hatte mich gerade zum Mittagstisch gesetzt, mußte mich aber in demselben Augenblick wieder erheben und in die frische Luft zu gelangen suchen, wo ich lange saß, leidend von dem starken Seegänge, der, sobald wir die »Spanische See« erreicht haben würden, viel stärker werden mußte.

Es wurde bald Abend. Die Sterne kamen hervor, die Luft wurde bald sehr kalt. Ich wagte mich nicht in meine Cajüte hinab, sondern schlich in den Speisesaal, wo ich gegen Mitternacht der Einzige war, der sich dort befand. Die Lichte wurden ausgelöscht. Ich fühlte den rollenden Seegang, die Bewegungen der Maschine, den Schlag der Signalglocke und die Antwort, die hierauf erfolgte. Ich dachte an die Macht des Meeres, an die Macht des Feuers; allzu lebhaft stellte sich vor meine Erinnerung der schreckliche Tod meiner Jugendfreundin Henriette Wulff Vergleiche Seite 246 und 247 dieses Bandes. Der Uebers. auf der Reise nach Amerika, und wie ich so da lag, schlug eine Welle mit aller Kraft gegen das Schiff! – Es war, als hielte dasselbe plötzlich stille in seiner Fahrt, als ob der Dampf seinen Hauch zurückhielte. Das dauerte jedoch nur einen Augenblick, und die Maschine ließ wieder ihre gewöhnlichen Laute hören und dieselbe Bewegung verspüren; aber wider Willen und stärker und immer stärker malte sich in meinen Gedanken ein Schiffbruch aus, wie das Wasser die Decke hebe, wie wir sanken und immer tiefer sanken. Wie lange wurde dieses Bewußtsein und diese Todesangst dauern! Ich erlitt alle Qualen derselben, in dem Grade war meine Phantasie erregt. Ich vermochte es nicht länger auszuhalten, sprang empor und eilte hinaus auf's Deck, riß das Segel vom Reling zurück und blickte hinaus. Welche Pracht, welche Größe! Das ganze rollende Meer leuchtete gleich Feuer, die großen Wogen wälzten sich mit phosphorischem Glanze vor meinen Augen hin: es war, als glitten wir über ein Feuermeer. Ich wurde von dieser herrlichen Erscheinung so sehr überwältigt, daß die Todesangst in demselben Augenblick verschwand. Die Gefahr war nicht größer und nicht geringer, als sie sich stets auf dem Meere darbietet. Aber jetzt dachte ich nicht mehr an dieselbe; die Phantasie hatte eine andere Richtung erlangt: Ist es wol so wichtig für mich, noch einige Jahre zu leben? Kommt der Tod in dieser Nacht, dann kommt er in Größe und Herrlichkeit! Ich stand lange in der sternenhellen Nacht und blickte auf das große rollende Weltmeer, und als ich wieder Ruhe im Salon suchte, war das Gemüth erfrischt und erfreut in der Hingebung in Gott.

Ich fand Ruhe und Schlaf, und als ich am nächsten Morgen mich erhob, fühlte ich von der Seekrankheit nichts mehr. Ich begann, mich an den Anblick der rollenden Wogen zu gewöhnen; gegen Abend schienen diese geringer zu werden und am nächsten Morgen, als wir uns schon lange auf der »Spanischen See« befanden, die ich so sehr gefürchtet hatte, ruhte der Wind. Die Wasserfläche lag wie ein großes Stück ausgespannten Seidenzeuges; es war, als glitten wir über einen Binnensee dahin. Ja gewißlich war ich ein Kind des Glücks! Auf eine solche Fahrt hatte ich nicht zu hoffen gewagt!

Am nächsten Morgen, dem vierten Tage, meines Aufenthalts an Bord, erblickten wir den Feuerthurm auf dem Felsengrunde vor dem Girondefluß. Man hatte in Lissabon gesagt, daß in Bordeaux die Cholera ausgebrochen sei, aber man bezweifelte es dennoch. Der Lootse, der an Bord kam, versicherte, daß der Gesundheitszustand ein guter sei. Das war der angenehmste erste Gruß.

Die Fahrt auf dem Fluß nahm mehrere Stunden in Anspruch, und die Uhr wurde sieben des Abends, als wir Bordeaux erreichten. Der Lohndiener aus dem Hotel, wo ich früher gewohnt hatte, erkannte mich, der Wagen erwartete mich; bald sollte ich liebe Freunde Wiedersehen.

Bei dem vortrefflichen, geistesfrischen Améx traf ich wieder mit Redan, Amkot und mehreren anderen begabten französischen Freunden zusammen. Musik, Vorlesung und lebhafte Unterhaltung vertrieben die Zeit. Mit einem meiner Landsleute ging ich eines Tages durch eine der kleinen Gassen und sah dort bei einem Bücherkrämer die französische Uebersetzung meines » Bilderbuchs ohne Bilder«. Ich fragte nach dem Preise. »Einen Franc«, antwortete er. – »Das ist ja derselbe Preis, den ein neues Exemplar kostet«, sagte ich, »und dies ist alt und schlecht.« – »Ja, aber das Buch ist ausverkauft,« antwortete der Buchhändler; »es wird viel verlangt. Es ist ganz ausgezeichnet; es ist von Andersen, der jetzt in Spanien ist. Es stand in der » La gironde« ein lobender Artikel über ihn und dieses Buch.« Da konnte mein Landsmann nicht länger mit der Bemerkung zurückhalten, daß ich Andersen sei. Der Büchertrödler verbeugte sich tief, seine Frau ebenso, – da konnte ich natürlich um ein so viel besprochenes Buch nicht feilschen und gab ihm einen Franc für dasselbe.

Meine Freunde überredeten mich, meinen Aufenthalt hier zu verlängern und dafür Paris aufzugeben, wo die Cholera herrsche. Dieser wollte ich zwar gern entgehen, aber der kürzeste Weg ging über Paris. Und ich wählte diesen, blieb aber nur einen Tag daselbst und logirte im Grand Hôtel auf dem Boulevard, das als das gesundeste Quartier galt. Ich besuchte Niemanden, ging nicht in's Theater, sondern ruhte mich aus und ging am nächsten Abend mit dem Zuge durch Nordfrankreich, wo, wie man sagte, in den meisten Städten die Cholera Hause. Ich erreichte glücklich Cöln, wo man wenigstens nicht davon sprechen wollte, daß hier die Cholera sei; aber die Stadt war kaum ganz frei von derselben. Ich kam nach Hamburg, und nun glaubte ich mich außerhalb des Ansteckungskreises zu befinden, ließ mich einige Tage hier nieder, ging in die Theater, war frohen Muths und guter Dinge. Aber gerade am Nachmittag des zu meiner Abreise bestimmten Tages hörte ich und fand die Angabe durch die Zeitungen bekräftigt, daß gerade in diesen Tagen die Cholera hier ihren Höhepunkt erreicht hatte. Es starben Hunderte von Menschen täglich, wogegen die Krankheit in dem großen Paris, dem ich soeben entflohen war, nur etwa vierzig Opfer täglich forderte. Ich wurde sehr unangenehm von dieser Nachricht berührt, lebte sofort höchst diät, fühlte Magenschmerzen und hatte in Folge dessen eine unruhige Nacht.

In der frühen Morgenstunde flog ich durch die Herzogthümer von dannen und war am Nachmittag in meiner Vaterstadt Odense.

Mein erster Besuch war in dem Bischofshofe bei meinem edlen, gelehrten Freunde, dem Bischof Engelstoft, wo ich, wie ich wußte, das herzlichste Willkommen finden würde. Ich sah mit ihm die alten Erinnerungen, das Haus, in welchem ich die Jahre meiner Kindheit verlebt hatte; ich war wiederum in der St. Knudskirche, wo ich confirmirt worden war, und auf deren Friedhof mein Vater begraben ist. Eine Menge Freunde aus meiner Geburtsstadt folgten mir des Nachmittags nach dem Bahnhof. Ich wollte des Abends in Sorö die theure Frau Ingemann mit meinem Besuch überraschen, der, wie ich wußte, sie sehr erfreuen würde; aber auf dem Bahnhofe hörte ich, daß sie gerade ein paar Stunden früher mit dem Bahnzuge von Kopenhagen gekommen sei, wo sie, die alte, schwerhörige und fast blinde Frau sich einer Augenoperation hatte unterwerfen müssen, und daß sie sehr angestrengt und leidend ausgesehen habe. Ich gab also den Besuch auf und nahm mit dem kleinen Wirthshaus an der Station fürlieb. Man kannte in diesem Hause nichts, was Matratzen hieß, sondern nur weiche, warme Federbetten. Ich legte diese auf den Boden des Bettes, den Strohsack oben darauf und darüber mein Plaid, und schlief wunderbar gut, bis ich in der Morgenstunde kaum erwacht, mit der Bahn nach Roeskilde zu meinem Freunde Hartmann und dessen Frau fuhr.

Am Tage darauf befand ich mich in Kopenhagen. Das Reiseleben war für diesmal abgeschlossen, nun sollte ich wieder auf dem Erdboden der Heimat festwachsen, deren Sonnenschein einsaugen, deren scharfe Winde fühlen, mich wieder in das Alltagsgeschwätz hineinleben und nicht » um mich schlagen dürfen«, außer vielleicht in einem Märchen; aber auch gemeinsam mit vielen Großen, Wahren, Guten und Schönen zusammen leben, die der liebe Gott meinem Vaterlande geschenkt hatte.

Meine treuen Freunde Melchiors empfingen mich auf dem Bahnhof und führten mich nach ihrer Landstelle » Rolighed« (die Ruhe). Ueber der Thür schlangen sich die Blumen zu dem Wort » Willkommen!« in einander und die Danebrogflagge wehte. Vom Balkon meines Zimmers sah ich über den Sund hinaus, der von Segel- und Dampfschiffen erfüllt war. Mit meinen lieben Freunden und Freundinnen kam ich zusammen. Ein paar Abende waren so südlich mild und windstill, daß die Lichter unter den hohen Bäumen im Garten, ohne zu flackern, brannten; hier fehlten nur noch Feuerkäfer, um mich noch einmal in den Garten bei Bonegas versetzt zu glauben. Das ganze Wolbehagen, welches man durch Wolstand und herrliche Gesinnung zu erlangen vermag, wurde mir hier zu Theil; es waren herrliche Tage, die sich später alljährlich wiederholten.

Unter den bedeutenden Männern, mit denen ich hier auf der Villa zusammentraf, befand sich ein jüngerer Mann, dessen geniale Tüchtigkeit ich schätzte und bewunderte: es war der Maler Carl Bloch Der Professor Carl Bloch zu Kopenhagen gehört zu den ersten Malern des Nordens. Seine Genialität offenbart sich vor Allem in seinen herrlichen 23 Bildern in der neuen Betkapelle der Frederiksborger Schloßkirche, die Leidensgeschichte Christi darstellend. Der Uebers. Wir hatten uns während meines letzten Besuches in Rom mehrfach getroffen, aber hier in der Heimat kam ich erst recht dazu, seine Bedeutung als Künstler und seine Liebenswürdigkeit als Mensch zu schätzen; auf der Villa » Rolighed« wurde die Freundschaft geknüpft, und die neuen Märchen, die am Schluß des Jahres erschienen, widmete ich ihm.

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[Ohne Bildunterschrift]

 

An einem der ersten Tage nach meiner Heimkehr wurde ich von der königlichen Familie empfangen und eben so herzlich wie immer. Gerade am Schluß der Woche sollte die edle, liebenswürdige Königstochter Prinzessin Dagmar Siehe die Note auf S. 9 d. B. Der Uebers. Dänemark verlassen, um Rußland's Großfürstin zu werden. Ich sprach noch einmal mit ihr in dem Heim ihrer Eltern, fühlte mich tief bewegt und schrieb des Abends daheim eine Abschiedsstrophe an sie, die meine innigsten Wünsche für sie enthielt.

Bei ihrer Abreise stand ich in dem Menschengewimmel auf der Schiffsbrücke, wo sie mit ihren Eltern an Bord ging. Sie erblickte mich, trat hin zu mir und reichte mir freundlich die Hand. Da traten mir die Thränen in die Augen; ich betete in meinem Herzen für die junge Fürstin. Sie ist glücklich, denn sie ging einem liebenswürdigen Familienleben entgegen, wie sie es hier verlassen hatte.

Noch hatte ich seit meiner Rückkehr nicht die liebenswürdige Frau Ingemann gesehen, ich beeilte mich daher, zu ihr hinauszukommen. Wie war sie neu belebt durch das Gelingen der Operation ihrer Augen, wie war sie froh in dem Gedanken, bald noch klarer sehen zu können im Wiedersehen mit Ingemann!

Von Sorö reiste ich nach Holsteinborg. Eines Tages führte mich die Frau Gräfin Holstein zu einem armen, gebrechlichen Mädchen, das in der Nähe des Landweges in einem kleinen, netten Hause wohnte; aber es war nur wenig Aussicht dort, da das Haus sehr niedrig gelegen und der Damm eines Grabens am Hause ziemlich hoch aufgeworfen war; die Sonne konnte niemals in das Zimmer eindringen, denn die Fenster waren gegen Norden gekehrt. Diesem Mangel mußte abgeholfen werden, meinte die freundliche Schloßfrau. Sie ließ die Lahme eines Tages nach dem Schlosse bringen, sandte Maurer nach deren Haus und ließ in der Mauer desselben gegen Süden ein Loch ausbrechen, dort hinein ein Fenster setzen, und nun schien die Sonne in das Zimmer. Das junge Mädchen kam wieder in ihr Heim und saß nun da im Sonnenschein, vermochte Wald und Feld zu sehen, die Welt war groß und schön für sie, und das war durch ein einziges Wort der edlen Burgfrau geschehen. »Das Wort war so leicht ausgesprochen, die That so klein,« sagte sie, als ich nachher meine Freude hierüber aussprach. Ich schrieb diese kleine Geschichte im Verein mit zwei anderen nieder, die ich gemeinsam » Bewahrt, aber nicht vergessen« nannte. Siehe die Märchen Band 1. Seite 265. Der Uebers.

Bei der Heimkehr nach Kopenhagen zog ich nach meiner jetzigen Wohnung am Kongens Nytorv (Königs-Neumarkt). Vielleicht wird es diesen oder jenen meiner Freunde oder Freundinnen diesseits oder jenseits des Meeres interessiren, etwas über mein Kopenhagens Heim zu hören. Das Haus liegt, wie gesagt, am Kongens Nytorv, in der untern Etage befindet sich eins der meist besuchten Cafés der Stadt; in der ersten Etage ist eine Restauration, in der zweiten ein Club, eine Treppe höher, wo meine Wohnung sich befindet, wohnt sogar ein Arzt, und über mir ist ein photographisches Atelier. Man sieht also, daß ich Essen und Trinken ganz in der Nähe habe, daß es mir an Gesellschaft nicht fehlt, ich auch nicht ohne ärztliche Hilfe zu sterben brauche, und der Photograph mein Bild der Zukunft aufbewahren kann. – Ich befinde mich also in einer sehr günstigen Lage. Meine kleinen Zimmer – ich habe nur zwei – sind sehr heimisch, von der Sonne beschienen und mit Bildern, Büchern, Statuetten, und wofür besonders die Freundinnen zu sorgen pflegen, stets mit Blumen und Grün geschmückt. Im königlichen und im Casino-Theater habe ich jeden Abend meinen guten Platz; alle Klassen der Gesellschaft sind liebenswürdig gegen mich und liebenswürdig genug, mich in ihren Kreis aufzunehmen. Jonas Collin bemerkt hierzu, daß im dänischen Manuskript alle Familien aufgeführt sind, wo Andersen regelmäßig an jedem Wochentage zu speisen pflegte und ebenso eine kurze Charakteristik der betreffenden Hausfrauen. Der Uebers.

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Eines Abends am Schluß des Januar 1867 wurden im Studentenverein, wo ich bisher selbst meine Märchen vorgelesen hatte, einige von diesen, » Der Schmetterling« und » Die glückliche Familie«, Siehe die »Märchen« Bd. II. S. 31 und Bd. III. S. 118. Der Uebers. vom Professor Höedt Siehe den vorigen Band Seite 308. Der Uebers. vorgetragen, der einen außerordentlichen Beifall gewann; das Verständniß, der Humor und die dramatische Art und Weise, mit welcher er diese kleinen Geschichten wiedergab, waren von großer Wirkung. Bei dem cordialen Abendtisch im Verein nach dem Vorträge brachte er ein Hoch auf mich aus und sagte, daß sein erstes Auftreten als Schauspieler eigentlich im Studentenverein stattgefunden habe und gerade in einer Studentencomödie von H. C. Andersen; deshalb habe er heute Abend, wo er nach vielen Jahren auf's Neue im Verein aufgetreten sei, ein Märchen von Andersen vortragen wollen, der fortwährend Mitglied des Vereins geblieben sei, frisch und jung, ja vielleicht jetzt jünger als bei seinem Eintreten. Wir suchten die alten Theaterzettel von den verschiedenen Studentenvorstellungen hervor; unter diesen befand sich meine Comödie, » Die lange Brücke«, die jedoch nicht mit meinem spätern Drama » Auf der langen Brücke« zu verwechseln ist. Das erstgeschriebene Buch ist eine Art Revue über Alles, was im Laufe des Jahres in Kopenhagen auf dem Gebiete der Kunst und Literatur sich ereignet hatte. Das Stück war nahe verwandt mit dem bekannten französischen Revuestücke, die später mit großer Kunst von Erik Bögh Erik Bögh gehört zu den genialsten dänischen Dichtern, der sich ebenso sehr durch Erfindungsgabe als frohe Laune auszeichnet. Er hat die dänische Scene mit einer ganzen Reihe von Bearbeitungen besserer französischer und deutscher Stücke bereichert. Ebenso hat er sich als Feuilletonist einen hervorragenden Namen geschaffen. Der Uebers. eingeführt worden sind; allein als ich meine Revue schrieb, war es eine Dichtungsart, die daheim nicht bekannt war. Selbst ich kannte nichts von diesen Revuen; es war so zu sagen eine Idee, die mir gekommen war, ein Rahmen, worin ich Alles, was sich in dem entschwundenen Jahr ereignet und die Leute beschäftigt hatte, umschloß.

Professor Höedt war, wie gesagt, der Erste, der, mit Ausnahme meiner eigenen Person, meine Märchen im Studentenverein vorlas; aber sowol auf dem königlichen Theater als im Casino und anderen Privattheatern waren vorlängst schon mehrere meiner Märchen dem Publikum erzählt worden. Die erste Person, die dies wagte, war die begabte Schauspielerin, Fräulein Jörgensen, deren dramatisches Darstellungstalent so mächtig war, daß während sie an dem einen Abend das Publikum durch tragische Größe wie als Königin Bera in Oehlenschläger's Tragödie » Hagbarth und Signe« hinriß, man am nächsten Abend jubelte bei ihrer echt komischen Darstellung der Jungfer Trumpfmeyer in Heiberg's »Aprilnarren

Der hervorragendste Künstler der dänischen Bühne im Schau- und Lustspiel war der Instructeur Phister. Siehe den vorigen Band Seite 201. Der Uebers. Dieser Protheus vielfacher Rollen schuf eine vollständige dramatische Dichtung, wenn er » Des Kaisers neue Kleidung« Siehe die »Märchen« Bd. III. S. 414. Der Uebers. erzählte. Der Schauspieler Nielsen, Siehe den vorigen Band Seite 200. Der Uebers. der Darsteller des Hakon Jarl's und Macbeth's trug in Privatkreisen und aus seinen Kunstreisen in Schweden und Norwegen einzelne meiner Märchen vor. Der leider zu früh verstorbene Michael Wiehe trug mit einer Innigkeit, einer Naivetät und einer Laune, wie kein Zweiter, » Es ist ganz gewiß«, » Der Halskragen« und » Tölpelhans« Siehe die »Märchen« Bd. III. S. 146, S. 80 u. S. 198. Der Uebers. vor. Nächst Wiehe's Vortrag und erhöht durch sein kindliches Gemüt, stand die Art und Weise, in welcher der bedeutendste Schauspieler des Casino-Theaters, der leider ebenfalls zu früh gestorbene Christian Schmidt, meine Märchen vortrug. In der letzten Zeit und am häufigsten ist es der Schauspieler Mantzius gewesen, der dadurch besonders beigetragen hat, meine Märchen zu verbreiten und dieselben durch Hilfe seines bedeutenden dramatischen Talents zu beleuchten. Endlich hat der Philosoph, der reich begabte Professor Rasmus Nielsen in der letzten Zeit durch seine Vorträge auf der Universität die Bedeutung der beiden Märchen » Der Schneemann« und » Was Vater thut, ist stets das Richtige« Siehe die »Märchen« Bd. I. S. 138 u. 354. Der Uebers. entwickelt.

An meinem Geburtstag, dem 2. April, füllte sich meine Stube mit duftenden Blumen, Bildern und Büchern; bei den lieben Freunden Melchior's ertönten Gesang und Reden. Draußen schien die Frühjahrssonne und ebenso schien sie drinnen in den Herzen. Ich blickte auf das entschwundene Jahr zurück. Wie viel Großes war mir nicht zutheil geworden! Aber immer kam dann eine Angst über mich: ich mußte an die alte Sage von den Göttern denken, die auf die Menschen, die vom Glück zu sehr getragen waren, neidisch werden könnten, und sie deshalb stürzten. Doch unser Gott ist ja der Gott der Liebe!

Die Weltausstellung in Paris war gerade eröffnet worden. Leute aus allen Gegenden strömten dorthin. Das Schloß der » Fata Morgana« war auf der Sandfläche des Marsfeldes errichtet und diese selbst zum schönsten Garten verwandelt worden. Ich mußte dahin, selbst die märchenhafte Erscheinung unserer Zeit schauen!

Bereits am 11. April reiste ich mit der Bahn über Fyen durch die Herzogtümer. Ueber Deutschland erreichte ich schnell genug Paris. Der Ausstellungspalast war zwar von außen vollendet, aber noch im steten Wachsen begriffen. Die Gebäude ringsum, die ganze Gartenanlage mit Kanälen, Grotten und Wasserfällen befanden sich in fortschreitender Entwickelung; jeden Tag gewahrte man die mächtigen Fortschritte. Alles erfüllte und erhob mich. Ich kam fast täglich dorthin und traf dort Freunde und Bekannte aus den verschiedenen Ländern der Welt. Es war gleichsam, als ob man sich hier ein allgemeines Stelldichein gegeben hätte.

Eines Tages, als ich hier draußen umherspazierte, kam eine elegant gekleidete Dame mit ihrem Mann, einem Neger, zu mir. Sie redete mich in einer ziemlich gemischten Sprache, in einem schwedisch-englisch-deutschen Jargon an. Sie war in Schweden geboren, hatte ihre letzteren Lebensjahre aber im Auslande zugebracht. Sie erkenne mich nach meinem Portrait, sagte sie und stellte mich ihrem Manne vor, dem ausgezeichneten Schauspieler Ira Aldrige, Ira Aldrige, der amerikanische Neger und große Schauspieler, der in den fünfziger und sechziger Jahren in Europa gerechtes Aufsehen machte und alle Hauptstädte bereiste, ist im Jahre 1810 auf einer Plantage bei Baltimore geboren. Er betrat, 22 Jahre alt, zuerst in Baltimore die Bühne und kam 1857 nach London, wo er am Conventgarden-Theater lange wirkte. Er starb bald nach dem Zusammentreffen mit Andersen auf einer Kunstreise in Polen am 7. August 1867. Der Uebers. der gerade während dieser Tage nach Paris in's Odeon-Theater berufen worden war, wo er als Othello auftrat. Ich drückte die Hand des Künstlers; wir wechselten auf Englisch einige freundliche Worte, und ich gestehe, es freute mich, daß einer der begabten Söhne Afrikas mich als Freund begrüßte. Es gab eine Zeit, wo ich nicht gewagt haben würde, so etwas auszusprechen. Aber meine Umgebung hat es jetzt verstanden, daß es nicht Eitelkeit, sondern Freude über all das Gute ist, das mir dem » boy of fortune«, das Schicksal gewährt und das werden meine Freunde in den entfernten Kreisen auch bald verstehen lernen.

Einer der Herren der englischen Abtheilung im Ausstellungsgebäude lud mich eines Tages zum Diner bei sich im Grand Hotel de Louvre ein. Hier traf ich mit dem Engländer Sir Baker, Der berühmte Samuel White Baker ist den 21. Juni 1816 geboren und machte von 1870-73 wiederholt Reisen am Nil im Aufträge des Khedive von Aegypten, der ihn zum Pascha ernannte. Seine Reiseschilderungen sind alle Deutsch erschienen. Der Uebers. dem Entdecker der Quellen des Nils zusammen. Seine muthige, treue Gattin, die ihm auf der gefahrvollen Reise gefolgt war, ihn getröstet, ermuntert und gestärkt hatte, befand sich in seiner Gesellschaft. Mir wurde die Ehre zutheil, Lady Baker zu Tisch zu führen.

König Georg von Griechenland König Georg von Griechenland, ein Sohn des Königs Christian IX. von Dänemark (siehe S. 8 dieses Bandes), hieß ursprünglich Wilhelm, geb. den 24. December 1845, wurde 1863 von der griechischen Nationalversammlung auf Lord Palmerston's Anrathen zum König erwählt und begann Ende October desselben Jahres die Regierung. Er hat sich durch Leutseligkeit und Verfassungstreue die Zuneigung der Nation erworben, und durch Mäßigung und Klugheit während des letzten orientalischen Krieges die Sympathien der Großmächte gewonnen. Der Uebers. befand sich in Paris. Ich hatte die Freude, den jungen König wieder zu sehen, den ich aus der Zeit seiner Kindheit in dem Hause der Eltern kannte, als er damals meinen Märchen lauschte. Die griechische Abtheilung lag dicht neben der dänischen; mit einem Schritt war man, so zu sagen, aus Griechenland nach Dänemark versetzt. Man erwartete den Besuch des jungen Königs, und der Durchgang war mit griechischen Flaggen auf der griechischen Seite und mit dänischen Flaggen auf der dänischen Seite geschmückt. Ich wurde ersucht, eine Inscription zu entwerfen, und ich schrieb draußen auf der Stelle ein paar Zeilen, die man mit großen Buchstaben zwischen den wehenden Fahnen anbrachte.

Zum 26. Mai 1867, dem silbernen Hochzeitsfest des dänischen Königspaars, wollte ich in Kopenhagen sein, und ich entschloß mich, den Heimweg über Locle in der Schweiz zurückzulegen. Bevor ich Paris verließ, erhielt ich eine Einladung von Landsleuten und schwedischen und norwegischen Freunden zu einer Zusammenkunft mit ihnen im skandinavischen Verein. Es war eine Erneuerung des Festes, das Björnstjerne Björnson seiner Zeit, als wir uns Beide hier befanden, für mich zustande gebracht hatte. Die nordischen Flaggen wehten, König Christian's und König Carl's XV. Porträt waren mit Blumen geschmückt; Toaste wurden ausgebracht, Nationalsänge wurden gesungen. Schließlich las ich einige Märchen vor und brachte ein Hoch auf die Poesie des Nordens aus.

Von Paris nach Neuchatel ist nur eine Tagesreise mit der Bahn. Ich erreichte mit Sonnenuntergang die Grenze, wo die Juraberge mit Eichen, Buchen und Tannen sich erhoben. Der Weg führt nun durch einen Tunnel nach dem andern; die Schienen liegen an manchen Stellen dicht neben dem jähen Abgrund, wo man in der Tiefe unter sich Städte und Häuser gewahrt. Die Lichter erglänzen dort unten und die Sterne funkeln von oben.

Spät am Abend befand ich mich in Neuchatel und bald darauf oben in Locle bei meinem Freunde Jules Jürgensen. Die Buchen standen in ihrem frisch ausgesprungenen Grün, aber es fiel Schnee und jeder Busch bekam das Aussehen eines blühenden Weißdorns. Die Kälte nahm zu. Ich zog mir eine starke Erkältung zu, konnte deshalb nicht zurückreisen und Kopenhagen nicht zur festgesetzten Zeit erreichen. Einen Sängergruß, geschrieben aus meinem vollen Herzen, sandte ich in einem Schreiben an den Kronprinzen Frederik, der denselben seinen Eltern am fünfundzwanzigsten Hochzeitstage überreichte.

Von Wilhelm Tell's Land nach dem Lande des Palnatoke Palnatoke ist eine echte nordische Vickingergestalt aus der Heidenzeit, die Andersen in seinen Märchen mehrfach besprochen hat. Der Uebers. flogen die Gedanken mit den besten Wünschen des Herzens. Jules Jürgensen hißte die dänische Flagge auf; im schäumenden Champagner wurde ein Trinkspruch für das Silber-Hochzeitspaar, König Christian IX. und Königin Louise, ausgebracht.

Einige Tage später verließ ich die theuren Freunde in Locle und befand mich bald darauf wieder in Kopenhagen.

Unter den vielen Personen, die in Veranlassung des Silber-Hochzeitsfestes mit Titeln oder Orden bedacht wurden, befand auch ich mich, indem der König mir den Titel » Etatsrath« beilegte.

Die königliche Familie befand sich auf Fredensborg. Prinzessin Dagmar, Rußlands Großfürstin, war besuchsweise bei ihren königlichen Eltern. Ich kam hinaus; es war kein Audienztag, allein ich wurde dennoch empfangen und zwar mit außerordentlicher Innigkeit und Güte. Der König bat mich, zum Diner zu bleiben, wo ich dann Gelegenheit hatte, mit der edlen, liebenswürdigen Prinzessin Dagmar zu sprechen. Sie erzählte mir, daß sie eine russische Ausgabe meiner Märchen, die sie schon dänisch kannte, gelesen hatte.

Es war bereits warme Sommerzeit gekommen und durchaus nicht angenehm in den sonnenheißen Straßen der Stadt. Ich wurde als Gast bei den Freunden, der Familie Melchior, auf der Villa » Rolighed« empfangen und schrieb dort » Des Gevatters Bilderbuch« und das Märchen » Die kleinen Grünen. Siehe die Märchen Band I. Seite 166 u. 366. Der Uebers. Aber stets bewegten sich in meinem Innern die Gedanken, in einem Märchen den Eindruck der Pariser Ausstellung, dieses wunderbaren Märchens in unserer sogenannten materiellen Zeit, wiederzugeben; allein ich mußte einen Gedanken finden, einen Ausgangspunkt dafür, und plötzlich kam mir eine Erinnerung von meinem Besuch in Paris. Als ich im Frühjahr 1866 nach Lissabon reiste, wohnte ich im Hotel Louvois auf dem Place Louvoise , der kaiserlichen Bibliothek gegenüber. Es befand sich eine kleine eingehegte Gartenanlage um den dort befindlichen Springbrunnen. Einer der größeren Bäume war dem Ersterben nah, und deshalb mit der Erde herausgerissen und weggeworfen worden. Dicht daneben hielt ein schwerer Wagen mit einem großen frischkeimenden Baum, den man vom Lande hereingeholt hatte, um ihn hierher zu verpflanzen. »Armer Baum, arme Dryade!« dachte ich; »Du kommst aus Deiner herrlichen, frischen Landluft, um hier Gasluft und Kalkstaub einzusaugen und schließlich Deinen Tod davon zu haben!«

Der Gedanke zur Dichtung lag in dieser Erinnerung und verfolgte mich, so zu sagen, während meines Aufenthalts auf den Schlössern Holsteinborg, Basnäs und Glorup. Ich begann zu schreiben, aber ich war keineswegs befriedigt; ich hatte ja nur die Ausstellung in ihrem Beginn gesehen. Nun erst konnte man sie in ihrem ganzen Umfange kennen lernen. Ich fühlte große Lust, mich wieder dort einzufinden, aber zweimal während desselben Sommers nach Paris zu reisen, war ein wenig zu viel, wenn man nicht vermögend ist; ich sollte und mußte einen Strich durch diese Rechnung machen.

Während ich mich im August auf Schloß Holsteinborg befand, besuchte ein Theil jüngerer und älterer französischer Journalisten Kopenhagen. Ihr Empfang war so festlich, so volksthümlich; es war, als fühlte man, es seien treue Freunde, die gekommen waren, Kinder Frankreichs, unseres treuen Alliirten. In der Ferne hörte ich von dem Jubel und den Festlichkeiten und den schönen Tagen, die man ihnen bereitet hatte, aber es war zu spät, nach der Stadt zu reisen und Theil an den Festen zu nehmen. Gerade als die letzten französischen Gäste von Kopenhagen abreisten, traf ich auf dem Bahnhofe ein und sprach dann noch mit Edmond Turbé, jetzt Directeur gérant für » Le Gaulois« und mit dem Dichter Victor Fournel, der später eine interessante und zudem lässige Schilderung des Aufenthalts in Kopenhagen in » le Danemarc contemporain, Etudes et Souvenir d'un voyageur« gegeben hat. Er kannte mehrere meiner Schriften, und ich sprach mich zum Abschiede dahin aus, daß wir uns vielleicht in nicht gar zu langer Zeit in Paris wiedersehen würden.

Und so wurde es in der That. Ich konnte der Reiselust nicht widerstehen, die Herrlichkeiten der Ausstellung in ihrer ganzen Pracht zu schauen, bevor sie wieder von der Erdoberfläche verschwand und dann mein Märchen aus der Gegenwart, » Die Dryade«, Siehe die Märchen Band I. S. 234. Der Uebers. zu vollenden.

Am ersten September reiste ich. Robert Watt, Ein dänischer, sehr fruchtbarer Schriftsteller, der große Reisen machte, Australien und Amerika besuchte; er war eine Zeit lang Redakteur der von der Regierung informirten » Dagens Nyheder« und ist jetzt Direktor des »Folke-Theaters« in Kopenhagen. Der Uebers. den ich früher in Paris getroffen hatte, wollte auch die Ausstellung in ihrer vollen Blüte sehen, und wir reisten mit einander. Der Donner rollte, die Blitze knisterten: es war eine ganz großartige Abreise. In Korsör kamen wir an Bord. Das Schiff war mit Gütern überladen. In Regen und Finsterniß stolperten wir über das Deck zu den Cajüten.

Bei Tagesgrauen kamen wir nach Kiel, und flogen, so zu sagen, durch Deutschland, aber in Straßburg wollten wir uns ausruhen.

Wir kamen gegen Abend dorthin. Der Zapfenstreich erdröhnte, so daß das alte Fachwerkhaus, worin wir wohnten, erzitterte. Die alte Domkirche stand dort vor uns und bekümmerte sich wenig um unseren Besuch; sie war von allen Größen der Welt, von kleinen Leuten und von Frauen aller Klassen besucht worden, die ihren Namen in die alte Kirchenglocke eingraviren ließen, um dieselben in die Welt zur ewigen Erinnerung ertönen zu lassen. Des Abends war herrliches Wetter. Ich fühlte mich so wohl in Frankreich, denn ich fühlte mich jung, wie ich mich stets auf Reisen fühle; der Taufschein spricht zwar von zweiundsechzig Jahren, zweiundsechzig Sekunden alt, sagt die große Ewigkeit.

Es war Markttag in Straßburg und nicht leicht, durch das Gewimmel sich zur Kirche hindurchzudringen. » Meister Blutlos« bewegt sich drinnen in dem großen Uhrwerk. Die Uhr schlug gerade zehn und ihre Gestalten bewegten sich. Der Tod schlug die Zahl der Schläge; die alte Stunde ging und die neue kam, doch still und abwartend, bis der letzte Schlag verklungen war, dann begann auch sie die Wanderung.

Eine Schar Fremder um uns sah zu und unter diesen erkannte ich meinen gelehrten Freund von Bordeaux, Francisque Michel, Uebersetzer der Baskischen Volksgesänge.

Bald befanden wir uns in Paris und wieder in dem Aladin-Schloß der Gegenwart, dem wunderbaren Ausstellungsgebäude mit einer wirklichen Fata morgana : der hervorgezauberte Garten mit Blumen von Süd und Nord, die großartigen Aquarien, wo man gleichsam in der Glasglocke auf dem Boden des Meeres oder in dem tiefen Süßwassersee mitten im Salon der Fische stand. Ich war von dem Ganzen überwältigt und erfüllt. Als ich im Café Régence war, wo man dänische Zeitungen hält, las ich in einer dieser eine ziemlich gute Mittheilung über die Ausstellung, worin es hieß, daß Keiner außer Charles Dickens im Stande sei, ein dichterisches Bild dieser bunten Herrlichkeit wiederzugeben. Es lag Wahrheit in diesem Satze, und ich begann an meinem eigenen Talent in dieser Beziehung zu zweifeln, ja, noch während meines Aufenthalts in Paris gab ich die beabsichtigte Dichtung vollständig auf. Die Ausbeute, die ich zu gewinnen dachte, und wegen welcher ich zum zweiten Mal hierher gereist war, war vernichtet; – nun, dann wollte ich mich wenigstens amüsiren! Früher hatte ich mich in Paris nicht heimisch gefühlt, allein in diesem Jahre hatten die Ausstellungsherrlichkeiten gleichsam das Licht der Verzauberung über ganz Paris geworfen; ich fühlte mich in der Stadt des Vergnügens mit fortgerissen. Ja, so nennen die Meisten diese Stadt, ich nenne sie eine Stadt mit der Schale des Glimmens und dem Kern der Kenntnisse und des Genies; an der Oberfläche erklingt der Kankan, in der Tiefe sind Ernst und Frische.

Der geniale Feuilletonist Philarète-Chasles Philarète Chasles, dessen geistreiche Artikel und Kritiken allgemeine Anerkennung fanden, ist geboren in der Nähe von Chartres am 8. October 1799 und gestorben in Venedig am 20. Juli 1873. Er war Professor am Collège de France in Paris. Der Uebers. lud mich nach Meudon ein, wo er eine kleine Landstelle mit einem kleinen freundlichen Garten besaß. Hier traf ich mit einigen französischen Journalisten, die Kopenhagen besucht hatten, zusammen. Hier herrschte Geist und Leben; eine Rede löste die andere ab, sie flogen gleich bunten Schmetterlingen über den Tisch. Philarète-Chasles hat später in seinen Vorträgen vor den Studenten in Paris mich und meine Märchen auf innige und lebhafte Weise besprochen.

Mehrere der Journalisten, die Kopenhagen besucht hatten, luden mich und einige andere Dänen zu einem Festmahl ein. Zu demselben waren auch der Redacteur von » La Situation« und andere bedeutende Männer der Presse eingeladen worden; außerdem befand sich der früher genannte Edmond Tarbé hier, der außer seiner Tüchtigkeit als Journalist auch ein bedeutendes musikalisches Talent besitzt, gewiß eine Erbschaft von der Mutter, die zu den beliebtesten Componisten von Paris gehört. Edmond Tarbé spielte »den tapfern Landsoldat« und andere dänische Volksweisen. Das Fest erlangte dadurch für mich einen Anstrich aus meinem Vaterlande, und daher fühlte ich mich so heimisch unter meinen französischen Freunden.

Ich war an diesem Abend zum ersten Mal in dem Sommer-Vergnügungslokal der Demi-Monde, in Mabille. Es war dort im Garten eine prächtige Illumination, die sich mit den Trauerweiden in den kleinen Teichen wiederspiegelte; dazu war es herrlicher Mondschein und eine große Menge Menschen anwesend. Einer meiner jungen Freunde schob mir eine Mabille-Schönheit zu und sagte: »Was sagen Sie von einer solchen Poesie, einem solchen Gesicht?« Ich deutete auf den Mond, der in seinem vollen Glanze schien und sagte: »Mir gefällt das alte, ewig junge Gesicht besser.«

»Monsieur«! brach die mit Recht beleidigte Schönheit aus. Ich blieb hier wol eine Viertelstunde. Ich habe in der » Dryade« den ganzen Eindruck dessen, was ich hier fühlte und empfand, niedergelegt.

Die Abreise von Paris stand bevor; es war gegen Ende September. Auf der Heimreise blieb ich ein paar Tage in der Stadt der Spielhäuser Baden-Baden. In Mabille war es lebhaft und bunt, ich wußte wenigstens, was ich da zu erwarten hatte; in Baden-Baden, das mir im Ganzen genommen sehr herausgeputzt erschien, war es an einer Stelle unheimlich, dämonisch, in dem großen stillen Saal der Spielbank, wo die Goldhaufen rollten. Es war mir, als ob Satan selbst hier unsichtbar zur Stelle sei. Hier herrschte eine unheimliche Stille. Sobald ich nach meinem ersten Besuch in mein Hotel zurückkehrte, schrieb ich meine Stimmung in einigen Zeilen nieder, die ich » Das Spielhaus« überschrieb.

Doch überall um das Spielhaus, um Bad und Ort findet sich Berg- und Waldschönheit: eine prächtige, mächtige Schloßruine, wo Bäume in den Rittersaal hineinwachsen. Man sieht von den hängenden Balkons über den sich dahin schlängelnden Rhein hinaus und nach Frankreich bis zu den Vogesen hinein.

Die Heimreise von hier ging schnell vor sich. Erst in Odense kam ich während eines Tages zur Ruhe. Der Dannebrog wehte von den Häusern; neue Soldaten sollten eintreffen, und » das Reithaus« war zu ihrem Empfang festlich geschmückt. Ich wurde zu dem Feste eingeladen. Die Tische waren mit Eß- und Trinkwaaren überladen: die Frauen und Fräulein der Stadt zeigten sich als viel beschäftigte Wirthinnen. Die Soldaten kamen, Hurrahrufe ertönten mit Gesang und Reden. Wie hatte sich doch Alles zum Bessern verändert! Wie viel Lichtes und Schönes hatte unsere Zeit vor der alten, wie ich sie kannte! Ich sprach dies aus und bemerkte, daß, als ich mich das letzte Mal hier im Reithause befand – es war wol eine lange Zeit seitdem vergangen, ich war noch ein ganz kleiner Knabe – da sah ich, wie ein Soldat Spießruthen laufen mußte. Nun kehrte ich wieder, sah Soldaten, unsern Schutz und unsern Schirm, mit Gesang und Reden begrüßen, unter wehenden Fahnen als Gäste sitzen. Gesegnet sei unsere Zeit!

Einige meiner Freunde sagten mir, daß ich noch einmal in diesem Jahre herüberkommen müßte und nicht immer nur durch meine Geburtsstadt fliegen dürfe; sie wollten mir auch einmal ein Fest bereiten. Man fügte hinzu, daß ich im November gewiß eine Einladung erhalten würde. Mir ahnte damals noch nicht, wie großartig dasselbe werden, auf welchen Höhepunkt des Lebensglücks ich dadurch erhoben werden sollte. Ich antwortete, daß ich von Herzen erfreut sei über die freundliche Gesinnung, bat aber: »Laßt das Fest, wenn Ihr wollt, bis zum Jahre 1869; dann sind es am 4. September gerade 50 Jahre, seit ich Odense verließ und nach Kopenhagen ging. Am 6. September kam ich dorthin, und dieser Tag war einer der bedeutendsten und bemerkenswerthesten Tage meines Lebens. Es ist noch fraglich, ob man in Kopenhagen dieses Tages gedenken wird. Laßt mich lieber hierher nach Odense am fünfzigjährigen Jahrestage meiner Abreise kommen«. – »Bis zu dem Tage sind ja noch zwei ganze Jahre hin!« antwortete man mir. »Man soll nicht verschieben, was erfreulich und gut ist. Wir sehen uns im November wieder!«

Und so geschah es. Die alte Prophezeiung, als ich als armes Kind aus dem Kinderheim davon zog, daß Odense einst für mich illuminirt werden würde, wurde erfüllt in der herrlichsten Wirklichkeit.

Am Schluß des November erhielt ich in Kopenhagen folgendes Schreiben von der Communalverwaltung in Odense datirt vom 23. September 1867:

 

» Indem die Communalverwaltung der Stadt Odense sich hiermit die Ehre giebt, Ew. Hochwohlgeboren mitzutheilen, daß wir Sie zum Ehrenbürger Ihrer Vaterstadt erwählt haben, erlauben wir uns, Sie einzuladen, sich hier in Odense am Freitag den 6. December einzufinden, an welchem Tage wir wünschen, Ihnen in dieser Veranlassung den ausgefertigten Bürgerbrief zu überreichen

 

Darauf folgten die Unterschriften.

Ich antwortete darauf:

 

» Gestern Abend erhielt ich das Schreiben der verehrten Communalverwaltung und beeile mich, meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen. – Meine Geburtsstadt verleiht mir durch Sie, meine Herren, eine Anerkennung, eine Ehre, so groß wie ich sie niemals träumen durfte.

» Es sind jetzt achtundvierzig Jahre verflossen, daß ich als armer Knabe meine Vaterstadt verließ und jetzt, reich an glücklichen Erinnerungen, werde ich in derselben wie ein liebes Kind in seinem Vaterhause aufgenommen. Sie werden meine Gefühle verstehen. Ich fühle mich erhoben, nicht in Eitelkeit, sondern in Dank zu Gott für die schweren Stunden der Prüfung und die vielen segensreichen Tage, die er mir schenkte. Empfangen Sie meinen vollen, herzlichen Dank.

» Ich freue mich auf diesen bestimmten Tag, den 6. December, wenn mir Gott Gesundheit schenkt, mit meinen edlen Freunden in der theuren Vaterstadt vereint zu sein.

Ihr dankbarer, ergebener
H. C. Andersen.«

 

Am 4. December kam ich nach Odense. Das Wetter war kalt und stürmisch gewesen; ich war daher sehr erkältet und litt an Zahnschmerzen. Nach meiner Ankunft schien die Sonne, es wurde herrliches Wetter. Der Bischof Engelstoft empfing mich auf dem Bahnhof und führte mich nach seinem Heim im Bischofshause, an der Odense-Aa, wie ich in dem Märchen » Die Glockentiefe« Siehe Band II. Seite 211 der Märchen. Der Uebers. erzählt habe. Mehrere der Beamten der Stadt waren zu Mittag eingeladen; es herrschte hier eine lebhafte, herrliche Stimmung.

Nun brach der bedeutungsvolle 6. December, das schönste Fest meines Lebens, an. Die Nacht vorher vermochte ich nicht zu schlafen, ich war seelisch und körperlich zu sehr aufgeregt; ich fühlte Schmerzen in der Brust und in den Zähnen. Es war, als ob ich mich daran erinnern sollte: Du bist in all Deiner Herrlichkeit nur das Kind der Vergänglichkeit, ein Wurm im Staube! Ich fühlte das nicht bloß durch körperliche Schmerzen, sondern in der Demuth meiner Seele. Ich hätte eigentlich mein Glück in vollem Umfange genießen sollen; doch ich vermochte es nicht, ich bebte vor demselben zurück!

Ich hörte am Morgen des 6. December, daß die Stadt festlich geschmückt sei, daß alle Schulen geschlossen wären, weil dieser Tag mein Festtag war. Ich fühlte mich so bewegt, demüthig und gering, als stände ich vor meinem Gott. Mein Inneres erhellte sich, ich gewahrte jede Schwäche, jeden Fehler und jede Sünde in meinen Gedanken, in meinen Worten und Thaten. Alles stand wunderbar klar vor meiner Seele, als sei es der Tag des Gerichts, und es war dennoch der Tag der Ehre! Gott hat es vernommen, wie gering ich mich fühlte, als die Menschen mich auf diese Weise erhoben und ehrten.

Später am Vormittag kam der Polizeimeister, Etatsrath Koch und der Bürgermeister, Justizrath Mourier, um mich nach dem Rathhause abzuholen, wo mir mein Ehrenbürgerbrief übergeben werden sollte. Fast von allen Häusern der Straßen, durch die wir fuhren, wehte der Dannebrog; es bewegte sich eine Menge Leute, sowol aus der Stadt als vom Lande auf den Straßen; ich vernahm Hurrahrufe. Am Rathhause stand ein Musikchor; das Bürgercorps paradirte, und es wurden die Melodien zu meinen Gesängen » Gurre« und » Ich liebe Dich – Dänemark, mein Vaterland!« gespielt. Ich war überwältigt, und man wird begreifen, daß ich zu meinen Begleitern sagte und sagen mußte: »Wie demjenigen wol zu Muthe sein mag, der zur Richtstelle fährt; denn ich glaube, ich fühlte in diesem Augenblick gerade dasselbe.«

Der Saal war von festlich gekleideten Damen und Herren, Beamten in Uniform, Geistlichen im Ornat, von Bürgern und Bauern erfüllt. Jonas Collin bemerkt in seiner Ausgabe, daß das Manuskript in Andersen's nachfolgender Schilderung des Festes größtentheils nicht von ihm herrühre, sondern durch Ausschnitte aus Zeitungsreferaten jener Tage ersetzt wurde. Der Uebers.

Der Bürgermeister sprach im Namen des Raths der Stadt, in welcher Veranlassung man hier versammelt sei und richtete einige herzliche Worte an mich. Er überreichte mir hierauf das Diplom und brachte ein Lebehoch auf mich aus, das von der Versammlung mit neunmaligem kräftigem Hurrah beantwortet wurde.

In meiner Antwort sprach ich mich ungefähr folgendermaßen aus: »Die große Ehrenbezeigung, die meine Vaterstadt mir erweist, überwältigt und erhebt mich. Ich muß an Aladin denken, der, als er vermittelst der Wunderlampe sein herrliches Schloß errichtet hatte, an das Fenster trat und sagte: »Dort unten ging ich als armer Knabe!« Citat aus Oehlenschläger's »Aladin«. Der Uebers. Auch mir hat Gott eine solche Lampe des Geistes, die Poesie, geschenkt, und wenn diese über die Lande leuchtete, und wenn man sich an derselben erfreute und sie anerkannte, wenn man sagte, daß sie von Dänemark leuchtete, dann klopfte mein Herz vor Freude: Ich wußte, daß ich in der Heimat theilnehmende Freunde besäße und sicherlich in der Stadt, wo meine Wiege stand. Und diese Stadt giebt mir heute einen so ehrenden Beweis ihrer Theilnahme, läßt mir eine Ehre zutheil werden, so überwältigend groß, daß ich Ihnen tiefbewegt nur meinen herzlichen Dank ausdrücken kann«.

Ich war fast dem Umsinken nahe, so sehr war ich von dem Akte überwältigt. Erst auf dem Rückwege nach dem Bischofshofe hatte ich Augen für die freundlichen Gesichter, die mich begrüßten. Ich vernahm den Jubel der Menge, gewahrte die wehenden Fahnen; aber mein Herz wurde bei dem Gedanken zusammengepreßt: Was werden wol die Leute im Lande sagen, daß man mir ein solches Fest bereitete? Wie werden die Zeitungen es besprechen? Ich fühlte, daß ich jede Auslassung, daß dieses Fest für mich zu groß sei, ertragen könne; aber ich würde es nicht ertragen können, wenn man ein ungünstiges oder unmildes Urtheil über meine Vaterstadt ausspräche, weil sie mich auf diese Weise geehrt hatte. Es war deshalb – ich gestehe das aufrichtig zu – eine unendliche Freude für mich, daß alle »Blätter«, groß und klein, mit inniger Theilnahme über das Fest in meiner Vaterstadt sprachen. Schon gleich als ich vom Rathhaus nach dem Bischofshofe heimkehrte, hörte ich die erste Stimme in einem der hervorragendsten Blätter Kopenhagens, das gerade an diesem Morgen mit der Post angekommen war; es brachte mir einen herzlichen Gruß und meiner Vaterstadt eine lobende Anerkennung. Das that mir wohl, verlieh mir Ruhe des Gemüts und Empfänglichkeit für den großen Theil des Festes, der noch an diesem Tage und an diesem Abend meiner harrte. Im » Dagbladet« vom 6. December stand: » Etatsrath H. C. Andersen feiert heute einen Ehren- und Freudentag, indem man ihm in Odense das Diplom als Ehrenbürger seiner Vaterstadt überreicht. Es ist hier zu Lande selten, daß man Jemandem eine solche Ehre erweist; aber die Stadt Odense hat alle Ursache gehabt, auf diese Weise den Sohn des armen Handwerksgesellen zu ehren, der, von dort ausgegangen, sich einen Namen geschaffen hat, den man mit Ehre weit über die engen Grenzen des Vaterlands hinaus nennt und dadurch zugleich das Land und die Stadt, worin er geboren wurde, ehrt. Sicherlich sind deren Viele, die heute in Gedanken bei dem Feste in Odense weilen, das einen hervorragenden Platz in H. C. Andersen's » Märchen seines Lebens« einnehmen wird, und diese senden dem Dichter ihren Gruß und Dank für Alles, was er ihnen und uns Allen gegeben hat«.

Mit größerem Freimuth, als ich solchen am Vormittag besessen hatte, fuhr ich nun mit den Mitgliedern des Festcomités nach dem Rathhause, wo das Festdiner stattfand. Erst jetzt hatte ich Augen, um die geschmackvolle Ausschmückung desselben zu sehen. Die Musik spielte Melodien, die sich an meine Lieder knüpften.

Im Saale des Rathhauses war meine Büste auf einem Piedestal angebracht und von Medaillons mit den Inschriften: »Den 2. April 1805« (mein Geburtstag), »Den 4. September 1819« (der Tag, an dem ich Odense verließ) und »Den 6. December 1867« umgeben. Es waren in dem Saale 250 Personen aus allen Lebensstellungen anwesend. Nachdem der Bürgermeister Mourier ein Hoch auf den König ausgebracht hatte, wurde ein Lied mir zu Ehren gesungen, indem auf mein Märchen » Das häßliche Entelein« hingedeutet wurde, das von den anderen Vögeln verkannt worden, weil man dasselbe nicht für ihres Gleichen hielt und es nur nach seinem grauen Gefieder beurtheilte, nicht ahnend, daß sich einst aus dem »häßlichen Entelein« ein herrlicher »Schwan« entwickeln werde, dessen Ruhm weit über die Grenzen seiner Geburtsstätte hinaus und einen ungeahnten Glanz über dieselbe verbreiten sollte, ein Glanz, der ihren ganzen Stolz über einen solchen Sohn wachrufe.

Der Großhändler W. Petersen brachte hierauf folgenden Toast auf mich aus: »Vor ungefähr fünfzig Jahren«, sagte er, »verließ ein armer Knabe seine Vaterstadt, um den Kampf mit dem Leben zu beginnen. Die Abreise von hier ging still und unbemerkt vorüber, denn Niemand kannte ihn oder achtete auf ihn; nur zwei Frauen, seine Mutter und seine Großmutter, folgten ihm ein Stück Wegs, aber ihre Gebete und Wünsche begleiteten ihn auf dem ganzen Wege. Das vorläufige Ziel war die Hauptstadt; dort sollte und wollte er kämpfen, um sein großes Ziel zu erreichen. In der großen Stadt stand er Anfangs allein und einsam, ohne Freunde oder Verwandte; aber er begann dennoch den Kampf, und er besaß dazu zwei kräftige Stützen: Vertrauen auf die Vorsehung und Vertrauen auf seine eigenen Kräfte. Der Kampf war hart und bitter, und viele Entbehrungen führte derselbe mit sich! Aber stets führt ihn sein starker Wille vorwärts, und vielleicht gerade dieser Kampf gebar seine wunderbare Phantasie mit ihrem Reichthum und ihrem hohen Fluge. Der Knabe ist ein Mann geworden und steht nun mitten unter uns; sein Name befindet sich in diesen Tagen auf Aller Lippen. Nun hat der Kampf zum Sieg geführt; er steht jetzt geehrt von Königen und Fürsten da, aber was mehr ist, er ist geachtet und geehrt von seinen Mitbürgern«.

Der Redner sprach mir hierauf im Namen aller Bürger einen Dank aus für Alles, was ich meinem Vaterland geschenkt hatte, und weil ich niemals vergessen hätte, daß meine Wiege in dieser Stadt gestanden. Jubelnde Hurrahrufe folgten der Rede, und ich war stark bewegt, als ich mich erhob und meinen Dank in ungefähr folgenden Worten aussprach:

Ich müßte unwillkürlich an die Tage meiner Kindheit zurückdenken und die Erinnerung aus jener Zeit wachrufen. An diesen Saal knüpfen sich nun drei Erinnerungen für mich: Die erste sei, daß ich als Knabe hier heraufgekommen sei und ein Wachskabinet gesehen habe, das mich stark ergriff, indem ich Könige und Fürsten und die berühmtesten Männer der Welt dargestellt gesehen hatte. – Das nächste Mal sollte ich ein Fest sehen, das hier im Saal oben aus Veranlassung des Geburtstags des Königs gefeiert werden sollte; ein alter Stadtmusikus hatte mich mitgenommen; vom Orchester in den erleuchteten Saal blickte ich auf die Tanzenden herab und erkannte Viele von ihnen. – Die dritte Erinnerung datire von heute, wo ich selbst als Ehrengast im Saale stände und so unendlich herzlich empfangen worden sei. Das Ganze sei für mich ein Märchen, das mich gelehrt habe, daß das Leben doch das schönste Märchen sei.

Ein Doppelquartett sang nun » In Dänemark bin ich geboren, da gehör' ich zu Haus« und Bischof Engeltoft brachte mit Wärme und in schönen Worten ein Hoch auf Dänemark aus. Etatsrath Koch ließ in einer humoristischen Rede » meine Frau« leben, die wol eigentlich nur in meiner Dichterphantasie existire, aber uns doch ein Paradies für das ganze Leben geschaffen habe. Ich dankte für diesen Toast und wies auf den Gebrauch des Alterthums hin, die Becher mit Blumenkränzen zu schmücken; auch ich möchte wünschen, meinen Becher mit einem Blumenkranz zu schmücken, deren Blätter die Namen all der edlen Frauen tragen sollten, die hier zur Stelle seien. Oberst Vaupell hielt darauf eine scherzhafte Rede über » meine Kinder«, welche die Soldaten liebten, und die stets gewußt hatten, sie auf den rechten Weg zu leiten. Der Schulinspektor Möller überbrachte mir Gruß und Dank von sechszehnhundert Kindern, über die er die Aufsicht führe. Mein Jugendfreund und Schulkamerad, Kanzleirath Petersen, trug ein Gedicht an mich vor, und Stiftsprobst Switzer sprach es aus, daß auch die Stadt Odense ein Hoch verdiene, weil sie mich zum Ehrenbürger erkoren habe und brachte daher ein Hoch auf das Gedeihen der Stadt aus.

Vor Schluß des Festmahls nahm ich noch einmal das Wort und verglich mein Leben mit einem Gebäude, bei dessen Aufbau zwei Männer mir mächtig zur Seite standen und mich unterstützten: Collin und H. C. Oersted. Jetzt konnte ich sagen, daß das Gebäude vollendet sei, und dann pflege man ja einen Kranz auf demselben anzubringen. Mein Kranz sollte ein Dank an die Communalverwaltung und an die Commune Odense sein, in welchen ich mit Freuden nicht allein das Materielle, sondern auch alles Gute und Schöne erblühen sehe. Ich würde gern einige schöne Worte und herzlichen Dank an jeden Einzelnen derjenigen richten, die mir heute die große Freude verschafft hatten, aber ich müsse meinen Dank zusammenfassen in einem Hoch auf die Stadt Odense.

Nach dem Festmahl sollte ein Ball stattfinden, und bald nachdem wir uns vom Tische erhoben hatten, begann die Jugend sich einzufinden. Bevor der Ball begann, wurde ein Lehnstuhl mitten in den Saal für mich gestellt und paarweise kamen die geschmückten Kinder zu mir hin, tanzten in einem Kreise um mich herum, indem sie einen von Johan Krohn verfaßten Gruß an mich sangen.

Während des Festmahls lief eine Menge Glückwunschtelegramme an mich ein. So erkannte ich denn, daß man im ganzen Lande Theil an meinem schönen, seltenen Feste nehme und dies that mir wohl; denn bis dahin hatten sich in meiner Seele die verschiedenartigsten Stimmungen geltend gemacht: es war die Befürchtung, die mich fortwährend drückte und gewissermaßen einen Nebelschleier über all den Glanz und die Freude, die ich während weniger Stunden genoß, geworfen hatte: Wie wird man wol überall im Lande die Ehre, die man mir erweist, beurtheilen? Da kam das erste Telegramm: es war vom Studentenverein, das mich wahrhaft erhob: »Der Studentenverein sendet H. C. Andersen seinen Gruß an seinem Ehrentage mit Dank für die Vergangenheit und den besten Wünschen für die Zukunft«. Ich wußte also, daß die akademische Jugend Theil an meiner Freude nahm und mir dieselbe gönnte. Dann folgten Telegramme aus einem Privatkreise junger Studenten in Kopenhagen und von dem Handwerker- und Industrieverein in Slagelse. Man erinnerte sich, daß ich dort in der Stadt die Schule besucht hatte und auf diese Weise auch an diese Stadt geknüpft war. Bald folgten Grüße von teilnehmenden Freunden in Aarhuus und Stege. Ueberall aus dem Lande kamen Telegramme auf Telegramme. Eins von diesen wurde vom Etatsrath Koch vorgelesen, es war vom Könige und hatte folgenden Inhalt:

»Zu der Ihnen heute erwiesenen Auszeichnung von Seiten der Bürger Ihrer Geburtsstadt bezeuge ich und meine Familie unseren aufrichtigen Glückwunsch. Christian R.«

Die Versammlung brach darauf in Jubel aus. Jeder Schatten und jede Wolke in meiner Seele waren verschwunden.

Wie war ich glücklich, und dennoch – zu hoch darf der Mensch nicht erhoben werden; ich sollte erkennen, daß ich nur ein armer Mensch sei, gebunden an die Vergänglichkeit der Erde. Ich litt an entsetzlichen Zahnschmerzen, welche durch die Wärme hier im Saale und durch die Gemütsbewegung sich in einem unerträglich hohen Grade steigerten, und doch las ich an dem Abend meinen kleinen Freunden ein Märchen vor. Dann kamen Deputationen von verschiedenen Korporationen der Stadt, welche mit Fackeln und wehenden Fahnen auf dem Platze vor dem Rathhause sich aufgestellt hatten. Ich sollte die Prophezeihung der alten Frau jetzt in Erfüllung gehen sehen, als ich als Knabe aus meiner Vaterstadt schied: daß Odense für mich illuminirt werden würde. Ich trat an das offene Fenster. Alles strahlte in Fackelglanz: der Platz war gänzlich von Menschen erfüllt. Lieder tönten zu mir hinauf, und ich war seelisch überwältigt, körperlich von Schmerzen niedergebeugt. Ich vermochte daher diesen Höhepunkt meines Glücks in diesem Leben nicht zu genießen. Die Zahnschmerzen waren entsetzlich, die eiskalte Luft, die mir aus dem geöffneten Fenster entgegenströmte, steigerte dieselben zu einer fürchterlichen Heftigkeit, und statt die Glückseligkeit dieser Minuten zu genießen, die niemals wiederkommen würden, blickte ich auf das gedruckte Lied, um zu erfahren, wie viel Verse man singen würde, bevor ich von der Tortur, welche mich die kalte Luft durch meine kranken Zähne erleiden ließ, befreit werden würde.

Dies war auch der Höhepunkt des Schmerzes. Als der Schein der Fackeln, welche in einem Haufen zusammengeworfen waren, erlosch, erstarb auch der Schmerz. Wie war ich dankbar dafür! Milde Augen begrüßten mich rundum, Alle wollten mit mir sprechen, mir die Hand reichen.

Sehr ermüdet, erreichte ich den Bischofshof und suchte Ruhe; aber ich konnte vor der Morgenstunde nicht einschlafen, so erfüllt und überwältigt war ich durch das Fest.

Gleich am nächsten Morgen schrieb ich an den König und sprach meinen innigsten Dank aus; ich schrieb an den Studentenverein und an den Handwerkerverein, und dann fand sich eine Menge von Besuchern ein. Besonders muß ich einer alten Wittwe gedenken, die als Kind eine kurze Zeit bei meinen Eltern in Kost gewesen war; sie weinte vor Freude über das Glück, welches ich im Leben gefunden hatte und erzählte, daß sie gestern Abend beim Fackelzuge unten auf dem Platz gestanden und Alles mit angesehen habe. »Es war, als wäre es für den König und die Königin gewesen, als diese Beiden hier waren«, sagte sie. Sie hatte dann an meine Eltern und an mich als ganz kleinen Knaben gedacht; sie hatte darüber mit mehreren alten Leuten gesprochen, die an ihrer Seite standen; sie hatte geweint – und das hatten auch die Anderen gethan – vor Freude darüber, daß ein armes Kind es so weit bringen könne, gleich einem Könige geehrt zu werden.

Abends war große Gesellschaft im Bischofshofe, gewiß ein paar hundert Menschen. Ich las Märchen vor und später tanzte die Jugend.

Am Tage darauf ging ich zu jedem Mitglied der Communalverwaltung und besuchte einen Theil Bekannter aus meiner Kinderzeit. Noch lebt eine Tochter des Dichters Hans Christian Bunkeflod, Susanna. Man vergleiche Seite 17 des vorigen Bandes. Der Uebers. Ich besuchte auch das alte Haus, in dem ich die Zeit meiner Kindheit verbracht habe; ich ging auch in die Armenschule, wo ich als kleiner Knabe meinen ersten Unterricht erhielt.

Odense's Musikverein lud mich zu einem Concert auf dem Rathhause ein. Ich erhielt den Ehrenplatz. Es wurden Reden an mich gehalten und der Chor sang ein Lied, das Bezug auf die Bedeutung des Tages hatte.

Am Tage vor meiner Abreise traf das jährliche Fest der sogenannten » Lahn'schen Stiftung« für arme Kinder beider Geschlechter ein, die hier erzogen und bis zu ihrer Confirmation gekleidet werden. Ich befand mich unter den Eingeladenen. Der Saal war von den Kindern aus der Stiftung und deren Müttern erfüllt. Das Fest erlangte einen bedeutungsvollen Anknüpfungspunkt für mich in der Rede, die man hielt. Lahn's Porträt hing, von Blumen umrankt, an der Wand. »Wer war Lahn?« fragen vielleicht Viele. Er war in Odense geboren, ein armer Knabe, der Handschuhe nähen lernte, in's Ausland ging und sie verkaufte. Er kam auch nach Hamburg, und die Odense-Lahn'schen Handschuhe wurden bald eine verlangte Waare. Er kam dadurch in eine große Wirksamkeit, wurde ein reicher Mann, baute ein Haus zu Odense in der Niederstraße (Nedergade). Er heirathete niemals, that viel Gutes, und bevor er starb, stiftete er ein Legat zur Erziehung und Bekleidung armer Kinder, denen er seinen großen Hof zur Stiftung anwies. Er ist auf dem Frauenkirchhof in Odense begraben, wie der Grabstein meldet: »Hier ruht Lahn, der sich sein Denkmal in der Niederstraße setzte.« An der Wand im Schulsaal hing noch ein Bild neben dem Portrait Lahn's, ein Portrait einer alten Frau. Diese hatte während vieler Jahre auf der Straße Aepfel verkauft und war vor einigen Jahren gestorben. Als Kind war sie bis zu ihrer Confirmation in der Lahn'schen Stiftung gewesen, und als sie nach ihrem Tode einige hundert Reichsthaler hinterließ, die sie durch große Genügsamkeit erspart hatte, vermachte sie dieselben der Stiftung; deshalb hing nun ihr Bild an der Wand neben dem des Stifters.

Ein junger, begabter Mann, der Schulinspektor Pastor Möller, hielt die Festrede; er erwähnte der tüchtigen Männer und Frauen im dänischen Lande und fuhr mit ungefähr folgenden Worten fort: »Ihr wißt Alle, welches Fest wir hier in den letzten Tagen gefeiert haben. Ihr habt gesehen, wie ein Mann hier in der Stadt begrüßt und geehrt worden ist, und er hat auf ebenso ärmlicher Schulbank gesessen wie Ihr. Er weilt jetzt unter uns.« Ringsum erblickte ich nasse Augen. Als ich die Versammlung begrüßte, streckten einige der Mütter mir die Hände entgegen, und ich hörte bei meiner Entfernung Mehrere sagen: »Gott erfreue und segne Sie!«

Es war ein Fest zum Andenken Lahn's, aber es war auch ein Fest des Segens für mich. Es war, als ob ein Sonnenstrahl nach dem andern mein Herz erleuchten sollte, das nicht Raum genug für alles Glück hatte. In einem solchen Augenblick klammert man sich an Gott, wie in der schmerzlichsten Stunde des Kummers an.

Es kam der Tag der Abreise, der 11. December. Die Leute strömten nach dem Bahnhofe, der ganz von Menschen erfüllt war, darunter Damen, die mir Blumen brachten. Nun kam der Zug, mit dem ich reisen sollte. Er hielt nur einige Minuten, und während dieser sprach der Bürgermeister Mourier einige Worte des Abschiedes. Ich rief ihm mein Lebewohl zu. Die Hurrahrufe ertönten; sie verloren sich in der Luft, indem sich der Zug in Bewegung setzte, aber noch von einzelnen Gruppen der Menschen in der Nähe der Stadt ertönten Hurrahrufe mir entgegen.

Indem ich mich mit dem Zuge aus meiner Vaterstadt entfernte, erschienen mir die Festtage gleich einem Traum. Erst jetzt, da ich ganz allein im Wagen saß, gingen mir Scene für Scene, all die Ehre, die Freude und Herrlichkeit auf, die mir von Gott geschenkt worden waren. Das Höchste und Größte, was ich erleben könnte, hatte ich nun erlebt. Ich konnte jetzt erst recht in Andacht meinem Gott danken und beten: »Verlaß mich nicht, wenn nun die Stunde der Prüfung kommt!«

In Nyborg ging ich an Bord auf das neue Dampfschiff, welches das Eis brach, das sich bereits an der Küste gebildet hatte. Alle Passagiere an Bord waren freundlich und aufmerksam gegen mich; es war gleichsam ein hübscher Nachklang der Musik einer Ballnacht. Spät am Abend erreichte ich mit dem Bahnzug Kopenhagen. Aber wie sehr ermüdet ich auch war, vermochte ich mich dennoch nicht zur Ruhe zu begeben; es bewegten sich so viel weiche, frohe, dankbare Gedanken durch mein Herz und Gehirn.

Am nächsten Vormittag mußte ich früh hinaus zu meinen vielen treuen Freunden, die alle so wesentlichen Antheil an meinem Glück nahmen. Ich litt indessen entsetzlich an Zahnschmerzen, und als ich nun auf die Straße kam, traf es sich zufällig, daß die beiden ersten »Bekannten«, um nicht »Freunde« zu sagen, denen ich begegnete, zwei unserer Dichter, ungefähr gleichen Alters mit mir, waren. Sie redeten mich sofort an, aber gedachten nicht des Festes in Odense, sondern nur meiner Zahnschmerzen. Sie waren selbst durch einige Andeutungen meinerseits nicht zu bewegen, die Freude, welche ich durch die mir zu Theil gewordene Ehre erlebt hatte, zu berühren. Das betrübte mich. Ich fühlte lebhaft, daß sie mit der Huldigung, die man mir dargebracht hatte, unzufrieden seien. Indessen vernahm ich doch bald mit wie viel Innigkeit und Freude man im Allgemeinen an meiner Ehre und meinem Glück Theil genommen hatte; aber ich hörte auch sagen: »Ihre glücklichen Tage haben Neid erweckt, namentlich bei dem literarischen Pöbel!« Einige unserer tüchtigsten Dichter, die zu denjenigen gehörten, die mich selten besuchten, erfreuten mich durch ihre herzliche Theilnahme. So kam an einem der ersten Tage Paludan-Müller Siehe den vorigen Band Seite 74. Der Uebers. zu mir in's Haus und sprach sich auf innige und schöne Weise über die Huldigung, die man mir erwiesen hatte und zwar dahin aus, daß es eine Huldigung sei, die man dem Geist gebracht habe, und das eben habe ihn so sehr erfreut. »Keiner der großen Dichter außer Ihnen«, sagte er, »würde sich so gut und natürlich bewegt und gesprochen haben, wie Sie es gethan haben«.

Björnstjerne Björnson und seine Gattin befanden sich gerade während dieser Zeit in Kopenhagen; mit Worten des Herzens und Thränen der Theilnahme sprachen sie ihre Freude zu mir aus. Auch Björnson war erfreut über mein ganzes Auftreten und sagte: Das schönste Märchen, das ich bis dahin erzählt hätte, sei das, welches ich bei dem Fest auf dem Rathhause in Odense, von den drei Momenten in meinem Leben, während welcher ich mich in dem Rathhaussaal befunden hätte, erzählt habe. Auch unsere hochgeschätzte Frau Heiberg Siehe die Note S. 112 d. vor. Bandes. Der Uebers. sprach sich theilnehmend aus und brachte auf meine Mutter ein dänisches Sprüchwort, das ich bis dahin nicht gekannt hatte, in Anwendung: »In dem Schooß einer armen Frau liegt oft ein reiches Kind.«

Der Neujahrsabend, der nun folgte, war diesmal ganz besonders dazu geeignet, meine Gedanken in Dank gegen Gott für all das Gute, das er mir gegeben, zu erheben. Kein Jahr erschien mir reicher gewesen zu sein; es war zu viel Glück! Was wird nun kommen? »Gott verleihe mir Kraft, die schweren Tage zu ertragen!« betete ich; »Herr verlaß mich nicht!«

Kopenhagen, den 29. März 1869.
H. C. Andersen.

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