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Die amerikanische Ausgabe. – Besuch bei Ingemann. – Auf Basnäs und Holsteinborg. – In Maxen. – Brief an Ingemann. – München. – Prof. Kaulbach. – Prof. Liebig. – Geibel's »Brunhilde«. – Frl. Seebach. – Der Schriftsteller Edgar Collin. – In der Schweiz. – Auf der Mauer in Brunnen. – Besuch bei Wagner in Zürich und bei Spohr in Cassel. – In Weimar, wo meine Oper »Liden Kirsten« (Hartmann's Musik) unter dem Titel »Klein Karin« aufgeführt wurde. – Daheim. – »Eine Dorfgeschichte«.– Briefwechsel mit Ingemann. – »Sein oder Nichtsein«. – Prof. Eschricht. - In Maxen. – Briefe an Ingemann. – Auf Schloß Sorgenfrei. – Ueber Holland und Frankreich nach England als Charles Dickens' Gast. – Auf Gadshill. – Vorstellung zu Gunsten der Wittwe des Dichters Douglas Jerrold. – Dickens' Charakter. – Die italienische Tragödin Ristori. – Vornehme Zuschauer, darunter der Kronprinz von Preußen, hervorragende Darsteller bei den Wohlthätigkeitsvorstellungen. – Miß Burdett Coutts. – In Maxen. – Brief an Dickens und seine Antwort. – In Weimar, Enthüllung der Statuen von Wieland, Schiller und Goethe. – Liszt. – Heimreise. – Cholera in Kopenhagen. – Besuch bei Ingemann und auf Basnäs. – Fest im Königl. Theater; Prolog von mir. – Lese meine Märchen im Arbeiterverein und im Studentenverein vor. – Ein kleiner Band »Märchen« erscheint. - In Maxen und in Brunnen (Schweiz). – Henriette Wolff's Untergang auf der Reise nach Amerika mit der »Austria«. – »Liden Kirsten«. – »Neue Märchen«. – Auf Schloß Frederiksborg beim König Frederik VII., wo ich meine Märchen vorlese. – Die Gräfin Danner. – In Jütland. – Hamlet's Grab. – Kammerherr Dahlström. – Geheimrath Anders Sando Oersted. – Von Aalborg nach Skagen. – Der Bischof auf Börglum. – Gespenstergeschichten. – Die Laurentiuskirche in Skagen. – Gastfreundschaft in Jütland. – Die Dünen. – Conferenzrath Brinck-Seidelin. – Bei Ingemann. – Auf Basnäs. – Das Schloß Frederiksborg brennt! – Brief vom König Max von Bayern, der mir zugleich den Orden für Kunst und Wissenschaft verleiht. – Der Cultusminister Bischof Monrad. – Meine Dichtergage wird erhöht. – Weihnachten auf Basnäs. – Der Romandichter Carl Bernhard (St. Aubain).
In der dänischen Ausgabe meiner gesammelten Werke schloß » Das Märchen meines Lebens« mit meinem fünfzigsten Geburtstage, dem 2. April 1855; seitdem sind vierzehn Jahre, reich an Erfahrung und Wichtigkeit mit ihren lichten und dunklen Tagen an mir vorübergezogen. Was ich darüber zu erzählen habe, ist bestimmt, die neue amerikanische Ausgabe meiner Werke zu begleiten, welche bei Hurd & Houghton in New-York 1872 daselbst unter dem Titel: » The Story of my Life« erschienen, von welcher Ausgabe 1877 in Kopenhagen bei Reitzel ein Auszug, herausgegeben von dem Cand. mag. Jonas Collin, einem Sohn des Etatsraths Eduard Collin, veröffentlicht worden ist. Uebrigens soll sich das ursprüngliche dänische Manuskript dieser Fortsetzung der Lebensgeschichte Andersen's im Besitze des Etatsraths Collin befinden, der es seiner Zeit vom Dichter zum Geschenk erhielt. Wie Herr Jonas Collin in seiner Vorrede bemerkt, war es Andersen's Absicht, dieses Manuscript für eine dänische Ausgabe umzuarbeiten und zu ergänzen, allein die Krankheit, die schließlich seinen Tod herbeiführte, verhinderte ihn daran, die projektirte Arbeit zu vollführen. Der Uebers. erscheinen wird.
Von meinem dänischen Heim aus, von dieser Seite des Oceans, der jetzt durch den telegraphischen Draht zu nichts mehr, als einem unbedeutenden Wall geworden ist, welcher Nachbarn scheidet – erzähle ich meine Geschichte für Freunde in dem großen Welttheil, als erzählte ich sie für meine Theuren in meiner Heimat; und diesseits wie jenseits wird man sie gewiß mit Wolwollen anhören, sie mild beurtheilen und einsehen, daß es nicht Eitelkeit ist, wenn ich offen eingestehe, daß ich ein Kind des Glückes bin, und mit demuthsvollem Herzen mich oftmals wundere, warum der liebe Gott gerade mir so viel Freude und Segen zu Theil werden ließ.
Es ist viel leichter, sein Jugendleben zu beschreiben, als zu erzählen, was in späteren Jahren sich ereignete; ebenso wie im Alter die meisten Leute weitsichtig werden und am besten die entfernten Gegenstände gewahren, so ist dies ganz ebenso in Bezug auf das Seelische der Fall, namentlich bei der Erinnerung dessen, was wir durchgemacht und was uns bewegt hat; es ist daher nicht ganz leicht, die Scenen in der Reihenfolge zu behalten, wie sie auf einander folgten. Ich befinde mich also in dieser Beziehung in keiner günstigen Lage.
Als der Dichter Ingemann Am 24. Februar 1862. Der Uebers. starb, schickte mir seine Wittwe sämmtliche Briefe zu, die ich seit meinen Schuljahren bis zu seinem Tode an ihn geschrieben hatte; mit Hilfe dieser und ihrer Erklärungen war ich im Stande Alles zu geben, was sich in meinem Leben Jahr für Jahr ereignete, seit dem April 1855, als meine Selbstbiographie schloß.
Ich will also mit Ingemann und seiner Frau beginnen, mit »Die Alten am Waldsee,« wie er auf ein Bild ihres Hauses zu Sorö schrieb und das er mir schickte.
Ich fuhr hier in keinem Jahre vorüber, ohne einige Tage mit diesen liebenswürdigen Leuten zu verbringen. Und so galt im Frühling 1855 mein erster Besuch dem Heim Ingemann's; wo ich und Jeder, der hierher kam, fühlen mußte, daß man hier ein guter Mensch werden müsse. Es war ein glückliches Leben, das sie führten, diese zwei liebevollen Seelen, ein wahrhaftes Wiederaufleben des schönen Märchens von » Philemon und Baucis« Ein wegen seiner großen Gastfreiheit von Zeus belohntes Ehepaar in Phrygien, das bis in's hohe Alter in treuer Liebe zu einander hielt. Der Uebers.. Alles hatte in diesem Hause seinen ruhigen Gang und eine glückliche, frohe Laune herrschte in demselben. Ingemann, glaube ich, gab niemals Gesellschaften; die Leute kamen des Abends, ganz nach Gefallen und oft wuchs die Zahl der Erschienenen zu einem großen Kreise; aber es war, als ob sich der Tisch von selber deckte; Alles schien gleichsam von unsichtbaren kleinen Elfen geordnet und besorgt zu sein. Da war keine ängstliche Geschäftigkeit zu gewahren, Alles geschah während der lebhaftesten Unterhaltung, an der sich Ingemann ganz besonders lebhaft betheiligte; am liebsten erzählte er dann Geistergeschichten, die sich meist an das dortige Kloster und die Umgebungen Sorö's knüpften. Er erzählte sie mit einem solch humoristischen Lächeln, daß Jeder, der ihn kannte, sofort begriff, er habe diese Geschichten in demselben Augenblicke erfunden, in dem ihm das Eine oder das Andere in der Unterhaltung Anstoß dazu gegeben hatte; oft lieh er in der unschuldigsten Weise Namen wirklicher Personen zu seinen Erzählungen.
Dem Geschwätz aus dem Alltagsleben war Ingemann stets abhold, und gegen die mäßiggeschulten und unbarmherzigen Kritiker trat er mit aller Energie auf. Gegen einige seiner gelesensten Romane, die damals sehr populär geworden waren, war man sehr ungerecht gewesen; auch ich hatte Ursache, mich darüber zu beklagen. Eines Abends drehte sich die Unterhaltung um diesen Gegenstand, und nun erzählte Ingemann eine hübsche Geschichte, voll von Trost und Moral für uns beide.
Er war unerschöpflich in solchen Geschichtchen und sehr erfinderisch. Im Uebrigen war sein Urtheil zart; Liebe für das Vaterland, das Schöne und Gute sproßte und blühte hier in seinem wahrhaften Dichterheim, wo ich stets das freudevolle Bewußtsein hatte: Hier bin ich ein lieber und willkommener Gast.
Schnell verflossen hier die Stunden bei den zwei theuren »Alten am Waldsee.« Ich konnte dieses idyllische Leben vollständig genießen, aber ich begann in meinen Schwingen ein solches Zucken zu fühlen, daß ich wieder fort mußte: das gastfreundliche Basnäs Siehe die Note Seite 220 im ersten Bande der Märchen. Der Uebers. und das Schloß Holsteinborg Man sehe die Noten auf Seite 14 und 23 im II. Bande der Märchen. Der Uebers. mit ihrem reichen und abwechselnden Herrenhofleben öffneten mir ihre Pforten. Von dort reiste ich zunächst im Sommer nach Maxen bei Dresden, wo ein Baum, den ich einst dort gepflanzt und von den Freunden dort gehegt und gepflegt wurde, wuchs und gedieh. Eine Eiche, nicht größer, als daß ich sie mit meinen beiden Händen umspannen konnte, welche ich im Garten gegenüber dem Wohnhause pflanzte, erhob jetzt ihre breiten Aeste.
Ein Brief von mir an Ingemann wird ein getreues Bild der Reise und meines Aufenthalts dort geben.
Maxen bei
Dresden,
den 12. Juli 1855.
»Theurer Ingemann!
Sie erinnern sich aus dem »Märchen meines Lebens« sicherlich noch meines Baumes zu Maxen, des kleinen Ortes, wo meine Freunde Serre's leben. Sie werden daher den Ort, wo ich mich jetzt aufhalte, etwas näher kennen. Er liegt nahe der sächsischen Schweiz. Hier ist es sehr hübsch. Mein Baum steht frisch und kräftig dicht am Bergesabhange. Von der Bank hier oben unter dem Baume habe ich einen freien Blick, wie aus der Vogelperspektive, über ein großes Dorf und auf eine Wiese, wo das Heu in Schobern steht. Die bläulichen Berge Böhmens liegen vor mir in der Ferne, und um mich wachsen Wallnuß- und Kirschbäume. Die Schafe tragen Schellen, das Geläute tönt zu mir herauf, und ich wähne mich in ein Alpenland versetzt. Serre's Besitzung besteht dazu aus einem alten Gebäude mit Bogengängen und einem mächtigen Thurm. Frau Serre ist so herzensgut, so unermüdlich aufmerksam gegen mich. Ich höre gute Musik und auch Gedichte vortragen; berühmte und ausgezeichnete Männer und andere Leute fliegen hier in dieses gastfreie Haus ein und aus, so daß es wie eine offene Herberge erscheint. Ich habe gewiß die vollste Freiheit, und die besitzt man nicht immer, wenn man ein angenehmer Gast sein will; aber darum eben fühle ich mich hier so wohl. Ich fühle übrigens auf dieser Reise mehr als jemals zuvor, daß ich, wenn auch nicht eines Familienlebens, so doch des Umganges mit Menschen, die ich liebe und mit denen ich gerne verkehre, bedarf; daher wird meine Neigung, Italien zu besuchen, mit jedem Tage geringer. Wahrscheinlich werde ich den nächsten Winter nicht heimkehren. Jetzt beabsichtige ich in etwa acht Tagen nach München zu gehen und von dort nach der Schweiz, wo ich hoffe, gutes Wetter zu einem Ausflug in die Alpen zu haben, wenn mir Gott Gesundheit und heiteres Gemüth verleiht – eine Wohlthat, die ich während dieser ganzen Reise hierher vermißt habe. Diese dauerte freilich nur einige Tage, aber diese Tage erschienen mir fast peinlich niederdrückend. Hamburg erschien mir wie eine leere Börsenhalle an einem heißen Sommertage; der Weg nach Berlin glich einem staubigen, heißen Backofen. Ich wünschte nicht, irgend Jemand in Berlin zu besuchen, und eilte daher fort nach Dresden, nach Maxen hinaus in Gottes freie Natur zu den freundlichen Menschen. Reisen heißt Leben! Denken Sie nun selbst an den Ausflug mit Ihrer Frau! In vier Stunden gelangen Sie von Stettin nach Berlin, und dann sind Sie nach fünf Stunden in Dresden, wohin Ihre Frau sich sehnt und sich auf die Gemäldegalerie freut. Vergessen Sie die alte Zeit und den langen Weg, welcher früher nach Sachsens Königsstadt führte; jetzt fliegen wir auf Faust's Mantel dahin. Die Eisenbahnfahrt ist der meist poetische Flug, den wir schwerbeleibten Menschen sicher und bequem unternehmen können.«
In München fand ich einen Brief von Ingemann, der mir in herzlichen Worten seine Freude und die mehrerer meiner Freunde über das damals neu erschienene Buch » Das Märchen meines Lebens« ausdrückte. Der Brief schloß mit folgenden Worten: »– Sie haben jetzt wol Ihren blühenden Baum in Maxen und Ihre guten Freunde, die sich um ihn scharen, verlassen; doch wohin auch Ihr Märchenvogel in die Welt hinausfliegen mag, Sie finden überall einen frischen, grünenden Baum, mit freundlichem Schatten und milden Augen daneben. Solche Bäume und solche Augen auf Faust's Mantel aufzusuchen, wozu Sie mich verlocken wollen (und der fast dem Ungeheuer gleicht, auf welchem Dante an Virgil's Seite durch die Hölle ritt), dazu bin ich zu alt und steif geworden. Jetzt beginnt die Welt um mich und unsern kleinen Klostersee mit ihrem Dampf und Gepfeife zu lärmen; und wenn die Berge zu uns kommen, haben wir es ebensowenig wie Mohamed nöthig, nach ihnen zu laufen. Jetzt müßte des Dichters Haus auf Rädern gebaut sein, um es dorthin zu rollen, wohin die Locomotive nicht kommt. Doch Jeder hat seinen Geschmack! Ihr Haus steht nun einmal auf dem riesigen Drachenschwanz des Locomotiv-Ungeheuers.«
Ich blieb dennoch, und nicht so kurze Zeit, in dem kunstreichen München und verbrachte viele denkwürdige Stunden bei Kaulbach Siehe den vor. Band Seite 223. Der Uebers. und dessen Familie. Bei Professor Liebig hörte ich von Geibel Siehe den vor. Band Seite 294. Der Uebers. die ersten Akte seines Trauerspiels » Brunhilde« vorlesen; unter den zum Anhören dieses Stückes eingeladenen Gästen befand sich auch die berühmte Schauspielerin Fräulein Seebach Marie Seebach ist geboren 1835 in Riga, wo ihr Vater Komiker war; 1850 trat sie als Soubrette in Lübeck zuerst auf, ging dann nach Danzig und Kassel, wo sie zum Fach der ersten Liebhaberin überging. 1852 kam sie nach Hamburg; hier widmete sie sich zuerst den tragischen Rollen mit großen Erfolgen. Sie ging 1854 nach München und verheirathete sich 1859 mit dem berühmten Sänger Albert Niemann, nach welchem sie sich Niemann-Seebach nannte, von dem sie sich jedoch in den Sechziger Jahren wieder trennte. Der Uebers., welche die Hauptrolle in dem Drama übernehmen sollte. Ich hatte mit großer Freude sie in verschiedenen Schauspielen auftreten sehen, und ich muß bekennen, daß sie vollkommen berechtigt war zu der größten Huldigung, die man ihr erwies. Es lag mir auf dem Herzen zu sagen: Es ist eine schlechte Sitte, daß das Publikum, wenn die Tragödie zu Ende ist, die ermordete Heldin hervorruft, und noch schlimmer ist es zu sehen, wie sie lächelnd und sich bedankend hervorkommt. Eine große Schauspielerin müßte dieser Unsitte ein Ende machen und nicht herauskommen, möge das Publikum noch so laut nach ihr rufen. Fräulein Seebach gab mir vollkommen Recht, und ich drang in sie, mit der Reform den Anfang zu machen.
Am nächsten Abend wurde » Kabale und Liebe« gegeben, worin sie die Louise spielte. Nachdem sie das Gift genommen hatte, wurde sie hervorgerufen. Sie kam nicht. Ich freute mich unendlich. Das Rufen nach ihr wurde lauter, sie blieb noch standhaft, aber als das Rufen und Lärmen zu einem wahren Sturm wuchs, zeigte sie sich, und so hatte ich mit meiner Bekämpfung eines theatralischen Lasters keinen Erfolg.
Es ist ein herrliches Vergnügen und eine wahre Nothwendigkeit für mich, ein wenig in der Welt umherzureisen; Sparsamkeit und Genügsamkeit in der Heimat haben dies mir ermöglicht. Aber ich habe oft gedacht, wie viel schöner es doch sein würde, wenn man reich wäre, so daß man einen Freund mitnehmen könnte, und dies war mir trotz meiner beschränkten Mittel für eine kurze Zeit vergönnt. Ich habe mehrmals von Fürsten Brustnadeln und Ringe geschenkt erhalten, diese Kostbarkeiten – ich hoffe es, meine edlen Geber werden es mir verzeihen und damit einverstanden sein – schickte ich zum Juwelier, erhielt Geld dafür und konnte dann zu meinem lieben jungen Freunde, der nie etwas außerhalb der Heimat gesehen hatte, sagen: »Mache mit mir einen Ausflug auf einen oder zwei Monate, so lange als das Geld reicht.« Die strahlenden Augen, welche ich dann gewahrte, machten mir weit mehr Vergnügen, als die glitzernden Steine in den Busennadeln und Ringen. Diesmal begleitete mich von München aus Edgar Collin Edgar Collin ist am 26. October 1836 in Kopenhagen geboren; er wurde 1856 Student, nachdem er im Jahre zuvor mit Andersen nach Deutschland und der Schweiz gereist war. Nach beendigten Studien trat er in die Redaction des »Dagstelegrafen« ein und wurde später Mitbegründer der Zeitung »Dagens Nyheder« (Tagesneuigkeiten). Außerdem beschäftigte er sich literarisch. Er hat unter Anderen unter dem Titel » Fremragende Danske Frimurere« in zwei Bänden eine Reihe Biographien hervorragender dänischer Freimaurer herausgegeben, wofür er vom König Oscar II. von Schweden dekorirt worden ist. Außerdem hat er sich durch die Vollendung der von Th. Overskon (siehe S. 156 d. B.) begonnenen »Geschichte des dänischen Theaters«, die bei dessen Tode nur bis zum sechsten Bande gekommen war, ein wahres Verdienst erworben. Der Uebers., der durch sein Interesse für Alles, was er sah, durch seinen glücklichen, jugendlichen Humor und die liebevolle Aufmerksamkeit für mich die Reise höchst genußvoll machte. Durch Ulm und Würtemberg reisten wir nach Wildbad-Gastein, wo mein Freund, der Etatsrath Eduard Collin mit seiner Familie die Saison zubrachte.
Ich besuchte zum ersten Male den Schwarzwald, in welchem Auerbach's »Dorfgeschichten« spielen. Es war schönes, sonniges Wetter, und jetzt begann unser gemeinsames Reiseleben sich höchst glücklich zu gestalten. Dann wieder bestieg ich den Rücken des Dampfdrachens – wie Ingemann den Eisenbahnzug nannte –, um nach einer großartigeren Gegend zu gelangen, und zwar nach der Schweiz, mit ihren tiefen Seen und himmelanragenden Bergen. Von Luzern wollte ich mit meinem jungen Begleiter mit dem Dampfschiff nach Flüelen übersetzen; doch er wurde krank an Bord und fühlte sich immer schlechter; daher entschloß ich mich, an der nächsten Haltestelle auszusteigen, und dies geschah bei dem kleinen Orte Brunnen. Mein junger Freund wurde dort im Gasthofe sorgsam gepflegt und fühlte sich am nächsten Tage schon soweit hergestellt, daß er um ein Buch zum Lesen bat. Der Wirth selber brachte ihm verschiedene, und darunter war auch ein Schweizer Almanach. In demselben befand sich ein Bild von Humboldt, als Repräsentanten der Wissenschaft, und daneben war das Bild von H. C. Andersen, » dem Märchendichter.«
»Hier ist Ihr Portrait!« rief Edgar Collin aus. Der Wirth blickte auf das Bild und auf mich, schüttelte mir freundlich die Hand, und mit einem Male hatte ich Freunde in ihm, und seinen beiden Schwestern, welche die Wirthschaft führten. Eine von diesen, Agathe, war sehr musikalisch, ebenso ihr Bruder. Sie wollte mir mit ihrer Musik einen ganzen Künstler- Abend bereiten. So oft ich später nach der Schweiz kam, besuchte ich immer diese Freunde, die dort noch leben; sie sind vom alten schweizer Stamme; in Schillers » Wilhelm Tell« ist ihr Name genannt: » Auf der Mauer.«
Das Ungeschick der Reise, die Krankheit Collin's und die dadurch veranlagte Unterbrechung des ganzen Ausfluges über den See wurde in Wirklichkeit die Quelle vielen Vergnügens für uns beide, und für mich nicht nur damals augenblicklich, sondern auch in späteren Jahren. Bei einem späteren Besuche hatte ich einmal eine Ueberraschung, die ich mir nicht hätte träumen lassen.
Am Abend vor meiner Abreise glitt dem Gasthofe gegenüber ein Boot mit Fackeln und Musik auf dem See hin und her. Der Anblick war reizend und die Klänge der Melodien klangen zu uns empor. Alle anwesenden Fremden traten auf den Balcon heraus.
»Was soll dies bedeuten?« fragte ich Agathe.
»Dies ist ein Gruß für Sie!« erwiderte sie.
»O, bilden Sie mir so Etwas nicht ein,« antwortete ich – »Musik meinetwegen!«
»Dem ist doch so!« sagte sie.
»Unsinn!« sagte ich. »Das ist ein Zufall; und wenn ich hinausgehen und den Leuten danken würde, wie schrecklich lächerlich müßte ich erscheinen, wenn das Alles nicht mir gegolten hätte!«
»Dies ist aber für Sie,« versicherte sie auf's Neue. Ich wurde selber unschlüssig, ging indessen hinab nach dem Ufer, wo sich schon Leute versammelt hatten und wo nun das Boot anlegte. Ich wandte mich an den Ersten, der an's Ufer trat, indem ich sagte:
»Das war schöne Musik! Für wen war sie?«
»Für Sie!« antwortete er, und nun drückte ich ihm und einigen Anderen die Hand. Ob diese ganze Feier ein Akt der Höflichkeit des Fräulein Agathe » Auf der Mauer« gegen mich war, oder ob ich in diesem kleinen Flecken mir einige musikalische Verehrer meiner Poesie erworben hatte, weiß ich noch heute nicht zu entscheiden. Doch so viel steht fest, daß Brunnen für mich ein unvergeßlicher, märchenhafter Ort geworden ist.
In Zürich lebte der Componist Wagner im Exil. Ich kannte seine Musik, wie ich schon früher erwähnt habe. Liszt hatte zu mir mit großer Wärme von dem Manne gesprochen. Ich kam nach seinem Hause und wurde sehr freundlich von ihm aufgenommen. Von dänischen Componisten kannte er nur Gade Siehe den vorigen Band S. 119. Der Uebers. genau; er sprach sich über dessen Bedeutung als Musiker aus, dann äußerte er sich auch über Kuhlau's Friedrich Kuhlau, geboren 1786 in Uelzen im Hannöverschen, kam 1810 nach Kopenhagen, wo er als Flötist zunächst Anstellung in der königl. Theaterkapelle erhielt. Später wurde er Kammermusikus und Professor der Musik. Er schrieb mehrere Opern, die heute noch zum Repertoire des Kopenhagener Theaters gehören. Er starb in Lyngbye bei Kopenhagen 1832. Der Uebers. Compositionen für die Flöte, aber von dessen Opern kannte er keine. Hartmann Siehe Seite 86 im vorigen Bande. Der Uebers. war ihm nur dem Namen nach bekannt. Ich fand dann Gelegenheit, ihm von den reichen Schätzen und dem großen Repertoire der dänischen Opern und Singspiele, von Schultz, Kuntzen und dem älteren Hartmann Siehe S. 209 Bd. I. der Märchen. Der Uebers. an bis auf Weyse Siehe S. 408 Bd. II. der Märchen. Der Uebers., Kuhlau, Hartmann und Gade zu erzählen. Ich nannte verschiedene Werke dieser Componisten und erzählte ihm von Schall's Ballet-Composition, und Wagner hörte mir mit sichtlichem Interesse zu.
»Es ist ja, als erzählen Sie mir ein Märchen aus der Musikwelt und ziehen den Vorhang auf, welcher mir Alles jenseits der Elbe verdeckte,« sagte er.
Ich erzählte ihm von dem Schweden Bellman, dem Wagner darin gleicht, daß sie beide selber den Text für ihre Musik schrieben, doch in anderen Beziehungen einer vom anderen ganz verschieden. Wagner machte auf mich den vollen Eindruck einer höchst genialen Natur, und dies war eine unvergeßliche, glückliche Stunde für mich – wie ich sie später nicht wieder erlebt habe.
Auf der Reise nach der Heimat, die durch Cassel führte, besuchte ich Spohr Siehe den vorigen Band S. 101. Der Uebers.; er wohnte noch immer in demselben alten Hause in der Straße, die jetzt seinen Namen trägt. Ich hatte ihn seit 1847, wo wir uns öfter in London begegneten, nicht mehr gesehen, und jetzt war es das letzte Mal; denn ein paar Jahre später (1859). ging die Botschaft durch die Lande: Spohr ist todt. Wie munter war er, als ich ihn bei diesem letzten Besuche sah! Wir sprachen über Hartmann's Oper: » Der Rabe«, welcher er einen hohen Werth beilegte und in Kassel auf die Bühne zu bringen wünschte; er hatte sogar deshalb einmal an Hartmann geschrieben, aber es konnte nicht durchgesetzt werden, weil es dem Theater an den nöthigen künstlerischen Kräften gebrach.
Von Cassel ging die Reise nach Weimar zu meinen Freunden, wo ich am Hofe herzlicher als jemals zuvor empfangen wurde. Das Interesse des Großherzogs Carl Alexander und das des Kapellmeisters Liszt an der Musik Hartmann's brachte die kleine romantische Oper » Liden Kirsten (Klein Christine)«, wozu ich den Text geschrieben hatte, auf die Bühne unter dem Titel: » Klein Karin.« Die Musik fand die größte Anerkennung und großes Lob bei allen Musikkennern.
Am Ende des Jahres 1855 war ich wieder in Kopenhagen, wo man im Casino-Theater Mosenthal's Volksschauspiel: » Der Sonnwendhof«, dem ich einen bei uns besser verständlichen Namen, nämlich: » Eine Dorfgeschichte« gegeben hatte, auf's Neue zur Aufführung brachte. Das Stück machte mit meinen früheren zugedichteten Gesängen und Chören ferner großes Glück.
Mit wenigen Worten aus einem Briefe an Ingemann, den ich am letzten Abend des Jahres schrieb, will ich die Erinnerungen aus dem Jahre 1855 schließen:
»– Draußen ist es nicht winterlich, sondern rauh, herbstlich, Regen und Schnee; schmutzige Straßen, die sich mit ihrem tiefen Schlamm gar einbilden mögen, am Nil gelegen zu sein. Daher fühle ich Freude an diesem Leben zwischen den vier Pfählen, und wenn diese Stimmung noch eine Zeit lang fortdauert, dann werde ich vielleicht etwas schaffen. Möchte ich nun, da » das Märchen meines Lebens« erschienen ist, »ein neues Leben«, beginnen mit einem Wert, das den Namen eines »Werkes« verdient. Ich wünsche, daß ich gleich Ihnen meine Geistesfrische mir erhalten und wie Sie etwas vollenden könnte!«
*
Schon am zweiten Tage des Jahres 1856 kam Ingemann's Gruß und Dank für den Brief, welchen ich ihm geschrieben hatte:
»– Es ist sehr schön und liebevoll von Ihnen, am Abend vor Neujahr die Hand hier zu uns in Sorö auszustrecken, so daß wir am Neujahrsmorgen den Handdruck im Geiste fühlen konnten. Sie besitzen eine treue und liebevolle Seele, und wir würdigen das vollkommen!«
Das Jahr war nicht so glücklich und licht wie Ingemann es mir gewünscht hatte. Man kann Tage haben, in denen gleichsam alles Unglück sich zusammenhäuft, und ebenso steht es fest, daß man auch solche Jahre haben kann, und ein solches wurde für mich das Jahr 1856. Der Wassertropfen des Jahres war, wie mir schien, voll kleiner lästiger Infusions-Thierchen, – Unannehmlichkeiten, Quälereien und Kränkungen, welche ich nicht unter das Vergrößerungsglas setzen werde, um sie zu zeigen: gegenwärtig sehen sie so klein, wie Sandkörnchen oder kleine Insekten aus, die Einem in's Auge fliegen, und belästigen und brennen können, so lange sie dort verbleiben: doch nimmt man sie heraus und sieht sie sich an, sagt Jeder: – »Das kleine Ding!«
Mein ganzes Denken und Streben war darauf gerichtet, etwas Tüchtiges zu liefern. Ich war nicht – wie Sibbern Siehe den vorigen Band Seite 175. Der Uebers. geglaubt und ausgesprochen hat – eine fromme, träumerische Kindesseele: manchen religiösen Kampf hatte ich in meiner Seele ausgekämpft: Glauben und Wissen hatten sich oft in der geheimen Kammer meines Herzens gegenüber gestanden. Ich schrieb: » Sein oder Nichtsein«, einen Roman, der sich ans dänischem Leben während der Kriegszeit bewegt. Ich machte deswegen viele Studien und las aus dem Grunde eine Menge Schriften, und namentlich über den Materialismus.
Es interessirte Ingemann, über diese neue Lehre zu hören und ich veranlagte ihn daher, das gerade damals erschienene bemerkenswerthe Buch: » Eritis sicut Deus« zu lesen. Ich besuchte auch Professor Eschricht's Daniel Fredrik Eschricht, von deutschen Eltern (Pommern) abstammend, wurde am 18. Marz 1798 in Kopenhagen geboren und starb daselbst am 22. Februar 1863. Er wurde 1817 Student und studirte Anfangs auf Wunsch seines Vaters Medizin, dann Jura, Theologie und schließlich aus Neigung Medizin, der er bis an sein Lebensende treu blieb. Er vollendete 1822 seine Studien und wurde schon in demselben Jahre, erst 24 Jahre alt, Landphysikus auf der Insel Bornholm. Getrieben von einer unwiderstehlichen Reiselust, machte er eine wissenschaftliche Reise nach Paris und London, die ihm Stoff zu der Abhandlung über Physiologie, welche er für Erlangung des Doktorgrades 1825 schrieb, lieferte. Er gab sein Amt auf und erhielt dann ein dreijähriges Stipendium zu einer neuen wissenschaftlichen Reise, auf welcher er in Berlin, Leipzig, Prag, Wien und Heidelberg studirte. Nach seiner Heimkehr 1829 wurde er Lektor der Physiologie an der Universität und bereits im Jahre darauf Professor. – Bereits während der ersten Jahre seiner Lehrerwirksamkeit fühlte er, daß die Naturwissenschaft kein Mysterium für die Uneingeweihten bleiben dürfe, sondern daß dieselbe allen Ständen zugänglich gemacht werden müßte. Er verband sich 1833 zu diesem Zweck mit dem Naturforscher Professor Schouw und Conferenzrath Jonas Collin zur Stiftung eines »naturgeschichtlichen Vereins«, der seitdem höchst segensreich gewirkt hat. – 1851 hielt er ebenfalls in Berlin Vorträge, die später in Deutschland unter dem Titel »das physische Leben« herauskamen. – Sein besonderes Streben war die Wahrheit zu ergründen und daher war er ein abgesagter Feind aller gehaltlosen Hypothesen und Theorien, wie er auch einer der eifrigsten Bekämpfer des Aberglaubens und Charlatanismus war. Seine Entdeckungen auf dem Gebiete der Physiologie werden für immer seinen Namen der Nachwelt bewahren. Der Uebers. Vorlesungen über Materialismus, und ich erhielt von Ingemann in dieser Veranlassung einen Brief, der ihn und seine Ansicht in dieser Sache charakterisirt:
»– Wenn Sie mich wieder mit einem Briefe beglücken, lassen Sie mich wissen, was Eschricht gegen den Materialismus aufstellt. Er greift denselben an, als wenn er ein persönlicher, lebender Gott oder eine der Urkräfte der Natur, der höchste Gesetzgeber der Welt, oder eine abstrakte Idee der Ideen wäre, aus welcher jene Gesetze bewußtlos sich entwickelten, und die erst in der Menschennatur zum Bewußtsein kämen, eine todte prima causa. In letzterem Fall haben Sie ja selbst in Ihrem frommen, innigen Glauben an Gott, an den man sich halten kann, weit mehr als worauf die Naturwissenschaft hinweist. Uebrigens ist es für uns stets nützlich, bei den Naturforschern in die Schule zu gehen, wie alt wir auch werden mögen.«
Im Sommer war ich wieder auf einer Reise und längere Zeit in Maxen bei der Familie Serre, von wo ich an Ingemann schrieb: –
»Theurer Freund!
Von der Station bei Sorö sandte ich Ihnen einen Gruß, als ich dort vorüberfuhr. Sorö strahlte mir höchst freundlich entgegen; der See erglänzte in Gold und Purpur. Jetzt bin ich in Maxen, wo Alles in Sommerpracht angethan ist; die Kirschen sind reif, die Rosen stehen in Blütenpracht, und mein Baum steht frisch und kräftig an dem Abhange des Felsens. Wir haben hier den Dichter Gutzkow Carl Ferdinand Gutzkow, geb. den 17. März 1811 in Berlin, gestorben den 15. Decbr. 1878 in Sachsenhausen, hat sich durch seine Dramen und Romane einen hoch angesehenen Namen in der deutschen Literatur erworben. Er studirte Theologie und Philologie, später auch Jura und Staatswissenschaften. 1831 ging er nach Stuttgart, kam dann nach Berlin zurück und studirte zeitweise Jura in Heidelberg und München. Er lebte dann abwechselnd in Leipzig, Hamburg, Frankfurt a. M. und mußte wegen mehrerer seiner Schriften eine dreimonatliche Strafhaft in Mannheim verbüßen, hielt sich dann bald wieder in Hamburg, bald in Frankfurt auf und kam 1837 nach Dresden, wo er am Hoftheater als Dramaturg wirkte. Er gab aber 1848 diese Stellung auf und lebte dann in Weimar, Leipzig, Berlin, Frankfurt u. s. w., wo er rastlos arbeitete, ohne indeß von alltäglichen Sorgen des Lebens befreit zu sein. Das Schauspiel »Ella Rose« erschien 1854 und der Roman »Die Ritter vom Geiste« – sein gediegenstes Werk – kam 1850 zum ersten Male heraus, hat aber viele Auflagen erlebt. Der Uebers. zu Besuch, dessen letztes Stück »Ella's Erfolg« (Ella Rosa?) Sie ebenso wol kennen werden, wie seinen berühmten Roman: » Die Ritter vom Geiste.« Wenn der Roman nicht aus neun Theilen bestände, dann hätte ich denselben gewiß gelesen. Ich beabsichtige am Sonntag einen Besuch in Weimar abzustatten. Der Großherzog feiert seinen Geburtstag am 24. Mai. Der zweite Theil von Goethe's »Faust« soll in dieser Veranlassung gegeben werden. Ich bin dazu eingeladen worden und freue mich sehr darüber, dorthin zu kommen.«
Im September war ich wieder in Kopenhagen; alle meine Gedanken und meine ganze Zeit waren auf den Roman » Sein oder Nicht-Sein« gerichtet, von welchem ich mir große Freude verspreche. Es zeigte sich indessen später, daß Alles das, was ich gesammelt und mir angeeignet hatte, weniger ansprach, als das ursprünglich Gegebene, das Dichterische in dem Buche.
*
Im April 1857 schrieb ich an Ingemann:
»– Von Charles Dickens habe ich kürzlich einen höchst willkommenen Brief erhalten. Er schreibt mir, daß er in diesem Monat seinen Roman, » Klein-Dorrít«, beenden werde und dann ein »freier Mann« sei. Er hat einen hübschen Landsitz zwischen Rochester und London, wohin er im Anfang Juni mit seiner Familie sich zurückzieht, und dort erwartet er mich. Ich werde dort ein schönes Heim mit herrlicher Aussicht und theure Freunde finden. Ich bin über diese Einladung entzückt, und ich will sehen, ob ich nicht Ende Mai den Weg über Sorö antreten kann, um am 28. Mai, Ihrem Geburtstage, bei Ihnen zu sein. Ungefähr acht Tage zuvor wird mein Roman, » Sein oder Nicht-Sein«, erscheinen. Ich habe mir die Freiheit genommen, denselben dem Dichter Ingemann und dem Philosophen Sibbern zu dediciren: Sie werden verstehen, weshalb ich das that.«
Eine der ersten Personen, welcher ich mein neues Buch sowie es erschienen war, vorlas, war Ihre Majestät die Königin-Wittwe Caroline Amalie. Sie und ihr königlicher Gemal König Christian VIII. Der Uebers. sind stets huldvoll und gut gegen mich gewesen. Ich verbrachte diesmal einige Tage in dem schönen, waldigen Sorgenfri. Dem Wittwensitz der Königin, 1½ Meilen von Kopenhagen entfernt. Der Uebers. Der Wald bedeckte sich mit Blättern, während ich dort war. Jeden Abend las ich einige Capitel aus dem Roman vor, welcher sich auf den ersten, bitteren, aber dennoch erhebenden Krieg Der deutsch-dänische Krieg 1848-1850. Der Uebers. bezieht. Während des Lesens sah ich die edle Königin oft tief gerührt, und bei dem Schluß des Buches sprach sie mir auf innige und hübsche Weise ihren Dank aus.
Die Königin-Wittwe gehört zu den edlen, gedankenvollen Frauen, deren hohen Rang man vergißt, wenn man sich in ihrer Nähe befindet, und man freut sich wahrhaft über ihre edle Menschenliebe. Eines Abends unternahm Ihre Majestät einen Ausflug durch den Thiergarten und nach dem »Strandweg.« Der Name des Weges hart am Strande der Ostsee, der von Kopenhagen nach dem bekannten Badeort Klampenborg und weiter nach Helsingör führt. Der Uebers. Ich hatte in einem andern Wagen bei zwei Hofdamen Platz erhalten. Als Ihre Majestät an einer Stelle des Weges vorüberfuhr, wo eine Schar Kinder spielte, wurde sie von diesen erkannt; sie stellten sich in eine Reihe auf und riefen »Hurrah!« Dicht hinterher kam der Wagen, in welchem ich saß. »Da ist Andersen«, riefen die Kleinen; »Hurrah!« Als wir nach Sorgenfri heimgekehrt waren, sagte die Königin, lächelnd: »Ich glaube, uns beide kennen alle Kinder. Ich hörte ihre Hurrahrufe!«
In den Straßen und aus den Fenstern nickten nur oft freundliche Kindergesichter zu. Eines Tages begegnete ich einer elegant gekleideten Dame, die mit ihren Kindern spazieren ging; das kleinste riß sich los, lief auf mich zu und ergriff mich bei der Hand. Die Mutter rief ihn zurück und sagte, wie ich es später erzählen hörte: »Wie wagst Du es, einen fremden Herrn anzureden!« Aber der Kleine antwortete: »Das war kein Fremder, das war Andersen; alle Knaben kennen ihn.« –
Es war vor zehn Jahren, von diesem Frühling an gerechnet, daß ich in England gewesen war. In dieser Zeit hatte mir Dickens oft das Vergnügen gemacht, mir zu schreiben, und jetzt folgte ich seiner freundlichen Einladung.
Ich war glücklich! Der Aufenthalt in Dickens' Hause mußte ein Glanzpunkt meines Lebens werden und wurde es auch in der That. Ueber Holland erreichte ich Frankreich und schiffte mich in der Nacht des 11. Mai von Calais nach Dover ein. In meinen »Gesammelten Schriften« ist eine ausführliche Beschreibung dieses mir so lieben Aufenthalts enthalten, eines Besuchs, bei welchem der Mensch Dickens mir ebenso unvergeßlich theuer wurde, wie Dickens als Dichter mir war und ist. Hier möge ein kurzer Bericht über alles das, was mir in Fülle geboten wurde, folgen:
Am frühen Morgen erreichte ich mit der Eisenbahn London und begab mich sofort nach der Nordbahn, die mich bis nach Higham brachte. Hier war kein Wagen zu finden, daher ging ich zu Fuß, unter Führung eines Kofferträgers von der Eisenbahn, und so kamen wir nach Gadshill, wo Dickens seine hübsche Villa hat. Er empfing mich so freundlich, so herzlich; etwas älter, als wir uns das letzte Mal begegneten, sah er freilich aus; aber diesen Eindruck des Alters hatte er größtenteils seinem Bart zu verdanken, den er hatte wachsen lassen. Seine Augen glänzten ebenso wie früher, dasselbe Lächeln spielte um seinen Mund, dieselbe liebe Stimme tönte so vertraulich; ja, wenn es möglich gewesen wäre, mit noch mehr Herzlichkeit als früher. Dickens war jetzt in der Blütezeit seines Lebens, in seinem fünfundvierzigsten Jahre, – so jugendlich, voll Leben, beredt und reich an Humor, der durch seine herzliche Liebenswürdigkeit hindurchschimmerte. Ich weiß keine bessere Bezeichnung für ihn zu finden, als die Worte, welche ich über ihn in einem meiner ersten Briefe aus seinem Hause schrieb: »Nimm das Beste aus allen Schriften Dickens', forme Dir daraus das Bild eines Mannes und Du hast Charles Dickens. Und so wie er in der ersten Stunde meines Aufenthalts mir gegenüberstand, so war er und blieb unverändert derselbe während all' der Wochen, die ich mit ihm verlebte, immer voll Leben, glücklich, fröhlich und sympathisch-theilnehmend.«
Einige Tage vor meiner Ankunft war ein Freund von Dickens, der dramatische Dichter Douglas Jerrold Douglas Jerrold, geboren den 3. Januar 1808 bei Rochester, gestorben den 8. Juni 1857 in London, war erst Seemann, dann Buchdrucker und endlich, bevor er seine Dichterbahn betrat, Pächter des Drurylanetheaters in London gewesen. Der Uebers. gestorben; um der Wittwe einige tausend Pfund zu sichern, vereinigte sich Dickens mit Bulwer Siehe Seite 42 dieses Bandes. Der Uebers., Thackeray Der Romanschriftsteller William Makepeace Thackeray, geboren 1811 in Ostindien, bereiste Deutschland, Italien und Frankreich und lebte dann meist in London, wo er am 24. December 1863 starb. Seine sämmtlichen Romane, meist Sittenschilderungen, sind alle in's Deutsche übersetzt worden, die lange eine beliebte Lectüre bildeten. Der Uebers. und dem Schauspieler Macready, um eine Theatervorstellung zu arrangiren. Auf dem Programm befanden sich ein Drama und mehrere Verträge. Die ganze Arbeit, welche diese Vorstellung verursachte, fiel ihm zu, so daß er häufiger als sonst nach London gehen und dort ganze Tage lang bleiben mußte. Ich folgte ihm mehrmals und logirte in seiner prächtigen Winterresidenz in der Hauptstadt. Ich war mit ihm und seiner Familie bei der Händel-Feier im Crystal-Palast anwesend. Wir sahen beide zum ersten Male die unerreichte Tragödin Ristori Die berühmte italienische Schauspielerin Adelaide Ristori, geboren den 26. Januar 1824 in Cividale in Friaul, feierte in Italien und Frankreich große Triumphe, zog sich, jedoch, als sie sich mit dem Marchese del Grillo 1847 vermählte, von der Bühne zurück. Nachdem ihr Gatte jedoch den größten Theil ihres Vermögens verloren hatte, unternahm sie seit 1850 große Kunstreisen in den Hauptstädten Europas und Amerikas. Der Uebers. als » Camma« und als » Lady Macbeth«: besonders in der letzteren Rolle machte sie einen mächtigen Eindruck auf uns; in ihrer Darstellung war überall psychologisch-erschütternde Wahrheit, schrecklich und dennoch in den Grenzen der Schönheit. Es ist unmöglich, daß man jemals ein mehr wahres und ergreifendes Bild von diesem an Leib und Seele zitternden Weibe geben kann.
Ich sah die großartige und phantastische Pracht, mit der Director Kean Der große englische Mime Edmund Kean, ist in London den 4. November 1787 geboren und betrat 1814 zum ersten Male die Bühne; er starb den 15. Mai 1823 in Richmond. – Sein Sohn Charles, gleichfalls ein hervorragender Schauspieler, ist geboren den 18. Januar 1811 in Irland, gestorben den 23. Januar 1868 in London. Er war seit 1851 Direktor des Princeß-Theaters in London. Der Uebers., der Sohn des berühmten Schauspielers, Shakespeare's Dramen zur Aufführung brachte: die erste Darstellung des » Sturmes«, wo die mise en scène übertrieben war. Die kühne Dichtung wurde gewissermaßen durch die Illustrationen versteinert, das lebende Wort verschwand; man genoß nicht das geistige Gericht und vergaß dasselbe vor der goldenen Schüssel, in welcher es aufgetragen wurde.
Ein Werk Shakespeare's, künstlerisch dargestellt, macht mir, selbst wenn auch nur zwischen drei Tapetenwänden, mehr Vergnügen, als ich es hier empfand, wo es in der Staffage der Schönheit verschwand.
Von den Vorstellungen, die zum Besten der Wittwe Jerrold's gegeben wurden, bot besonderen Genuß diejenige, in welcher Dickens mit einigen seiner Familienmitglieder auftrat; es war ein neues romantisches Drama » The frozen deep« (die gefrorene Tiefe) von Wilkie Collins Der Dichter William Wilkie Collins ist den 10. Jan. 1824 in London geboren. Er hat sich durch seine auch in's Deutsche übertragenen Sensationsromane einen angesehenen Namen zu verschaffen gewußt. Der Uebers., der selber die eine der Hauptrollen übernahm, während Dickens die andere übernommen hatte.
In Dicken's Hause wurden oft dramatische Vorstellungen für gute Freunde gegeben. Die Königin hatte schon längst gewünscht, einer derselben beizuwohnen, und jetzt beehrte sie mit ihrer Gegenwart die Vorstellung in dem kleinen Theater: » The Galery of illustration«. Als Zuschauer waren dort außer der Königin, dem Prinzen Albert, den königlichen Kindern und dem jungen Prinzen von Preußen Wahrscheinlich meint Andersen den jetzigen Kronprinzen des Deutschen Reichs und von Preußen (geboren den 18. October 1831), der sich, wie bekannt, erst am 25. Januar 1858 mit der Prinzessin Victoria (geboren den 21. November 1840) von England vermählte. Der Uebers. und dem König von Belgien Dies war der König Leopold I., geboren den 16. December 1790, gestorben den 10. December 1865. Siehe S. 82 d. B. Der Uebers. nur eine auserwählte Schar intimer Freunde der Darsteller. Aus Dickens' Hause waren nur seine Frau, seine Schwiegermutter und ich anwesend.
Dickens gestaltete seine Rolle im Drama mit einer schlagenden Naturwahrheit und großer dramatischer Begabung. Die kleine Posse: » Two o'clock in the morning« (Zwei Uhr Morgens) wurde sehr lebhaft von Charles Dickens und Herrn Mark Lemon, dem Herausgeber des Witzblattes »Punch« gegeben; der letztere ist seither, wie ich hörte, mit großem Erfolg als » Falstaff« öffentlich aufgetreten.
Nach der Vorstellung verbrachte ich einen großen Theil der Nacht in Gesellschaft mit all' den Mitwirkenden. Es waren dies lichte Stunden in den Räumen der » Houshold words office«, wo man dies heitere kleine Fest arrangirt hatte, das später auf dem Lande im Hause von Albert Smith, dem Besteiger des Montblanc, erneuert wurde.
In Dickens' Landhause sah ich Englands reichste Dame, Miß Burdett Coutts, welche von Allen als eine der edelsten und wohlthätigsten Frauen bezeichnet wurde. Nicht nur hat sie mehrere Kirchen erbaut, sondern sie sorgt auch auf eine höchst rationelle und christliche Weise für die Armen, Kranken und Bedürftigen. Sie lud mich ein, sie in ihrem Hause zu London zu besuchen. Ich folgte dieser Einladung und sah ein englisches Haus der reichsten Art, in dem doch die edle, echt weibliche, höchst liebenswürdige Miß Coutts mir am Unvergesslichsten blieb. Jonas Collin bemerkt in seiner Ausgabe in einer Note Folgendes: Aus der mündlichen Schilderung, die Andersen ihm seiner Zeit über seinen Aufenthalt bei Miß Coutts machte, erinnere er sich folgenden kleinen Zuges, der sowol für Andersen als für seine gastfreie Wirthin und ihre Dienstleute bezeichnend sei. Andersen war gewohnt, seine Bett auf eine eigene Weise zurecht gemacht zu sehen, namentlich liebte er es, mit dem Kopfe hoch zu liegen. Er wünschte bald nach seiner Ankunft im Hause der Miß Coutts sein Lager verändert und mit mehreren Kopfkissen versehen zu haben; allein Miß Coutts' Diener und Mädchen traten ihm gegenüber mit solch vornehmem Wesen auf, daß er es nicht wagte, sie darum zu bitten. Er ging daher direkt zur Herrin des Hauses und bat sie, sein Bett seinen Gewohnheiten gemäß verändern zu wollen, da die Dienerschaft ihm viel zu vornehm erschien. Miß Coutts amüsirte sich über diesen komischen Einfall und, unterstützt von Andersen, bettete sie selbst sein Lager ganz nach seinen Wünschen. Der Uebers.
Bei aller Abwechselung und dem Glanz des Lebens in London freute ich mich immer, wenn ich nach meinem eigentlichen Heim in Gadshill kam: es war so gemüthlich in diesem kleinen Zimmer, wo Dickens mit seiner Frau und seinen Gästen sich aufzuhalten pflegte. Das waren glückliche Stunden; aber in diese tauchten dennoch schwere, finstere Augenblicke, nicht von innen, sondern von außen auf. Besonders erinnere ich mich aus dieser Zeit einer Kritik meines letzten Buches: » Sein oder Nicht-Sein.« Dieselbe versetzte mich in schlechteren Humor, als sie es hätte verursachen dürfen; aber gerade während meines Kummers und meiner Verstimmung mußte ich erkennen, daß auch diese Prüfung mir eine Freude bereiten sollte, indem sie mir einen Beweis von Dickens' unveränderlicher Güte und Herzlichkeit brachte.
Als er von seiner Familie hörte, wie verstimmt ich war, liest er ein wahres Feuerwerk von Witzen und geistreichen Worten los, und als auch dieses ihren Weg in die dunkle Ecke meiner schlechten Laune nicht finden konnte, sprach er ernst zu mir in so beredter und anerkennender Weise, daß ich mich erhoben, gestärkt und von dem Wunsche erfüllt fühlte, solche Worte zu verdienen. Ich blickte in die milden, strahlenden Augen meines Freundes und fühlte, daß ich meinem »strengen Kritiker« zu Dank verpflichtet sei, weil er mir einen der köstlichsten Augenblicke in meinem Leben verschafft hatte.
Die glücklichen Tage in Dickens' Hause verschwanden viel zu schnell. Der letzte Morgen kam. Ich sollte noch vor meiner Rückkehr nach Dänemark der Apotheose der Dichterfürsten Deutschlands beiwohnen. Ich war nach Weimar zum Enthüllungsfeste der Bildsäulen Goethe's, Schiller's und Wieland's eingeladen.
In der frühen Morgenstunde hatte Dickens seinen kleinen Wagen vorspannen lassen; er nahm Platz als Kutscher und fuhr mich nach Maidstone, von wo ich den Zug nach Folkestone benutzen sollte. Er zeichnete zu meiner Orientirung eine Karte aller Stationen. Dickens war den ganzen Weg über lebhaft und herzlich, aber ich saß fast schweigend da, denn ich war betrübt über unsere bevorstehende Trennung. Auf der Station umarmten wir uns, und ich blickte in seine seelenvollen Augen, ich sah ihn vielleicht – zum letzten Mal, ihn, den ich als Dichter bewunderte und noch mehr als Mensch liebte. Ein Händedruck – und er war fortgefahren, und ich brauste mit dem Zuge davon.
»Alles ist aus, und dies geschieht mit allen Märchen!«
Von Maxen bei Dresden sandte ich folgenden Brief an Dickens: –
»Theurer, bester Freund!
Endlich kann ich schreiben! der Aufschub hat lang genug, viel zu lange gedauert; aber jeden Tag, fast jede Stunde haben Sie in meinen Gedanken geweilt. Sie und Ihr Heim sind mir gleichsam ein Theil meines seelischen Lebens geworden, und wie könnte es anders sein? Seit Jahren habe ich Sie geliebt und bewundert; anfangs durch Ihre Schriften, aber jetzt kenne ich Sie selber. Keiner Ihrer Freunde kann fester an Ihnen halten als ich. Der Besuch in England, der Aufenthalt in Ihrem Hause ist ein Glanzpunkt in meinem Leben; daher blieb ich so lange, und daher wurde es mir so schwer, Lebewohl zu sagen. Als wir zusammen von Gadshill nach Maidstone fuhren, war es mir fast unmöglich, eine Unterhaltung zu führen; ich war dem Weinen nahe. Seitdem empfinde ich recht lebhaft, wenn ich an den Abschied denke, wie hart es für Sie gewesen sein muß, als Sie ein paar Tage später Ihren Sohn Walter an Bord seines Schiffes begleiteten und wußten, daß Sie ihn während sieben langer Jahre nicht wiedersehen würden. Es fehlt mir an Ausdrücken, selbst wenn ich meinen Brief dänisch schreiben würde, um Ihnen zu sagen, wie glücklich ich bei Ihnen war – wie dankbar ich Ihnen bin. Ich sah in jeder Minute, daß Sie mein Freund sind und daß es Ihnen Freude machte, mich in Ihrer Nähe zu haben. Sie können mir glauben, ich verstehe dies zu schätzen! Auch Ihre Gattin begrüßte mich, den ihr Fremden, so herzlich. Ich kann mir denken, daß es nicht so angenehm für Ihren Kreis gewesen sein kann, ganze Wochen lang Jemanden um sich zu haben, der so schlecht englisch spricht wie ich, Jemanden, von dem man glauben möchte, daß er vom Himmel gefallen sei; doch wie wenig ließ man mir dies fühlen. Erstatten Sie meinen Dank an Alle! » Baby« sagte zu mir am ersten Tage nach meiner Ankunft: » I will put you out of the window«, aber nachher sagte er, er wolle mich » put in of the window«, und ich halte diese seine letzten Worte für diejenigen der ganzen Familie.
»Nach meinem Aufenthalt in einem solchen Heim und erfüllt von Glückseligkeit, wie ich war, konnte selbstverständlich Paris kein Aufenthaltsort für mich werden. Ich hatte dort das Gefühl, als ob ich mich in einem heißen Bienenkorb befände, wo kein Honig zu finden ist. Die. Hitze war erdrückend, ich beeilte mich, fortzukommen, aber in kurzen Tagereisen. Ich brauchte volle fünf Tage, um Frankfurt zu erreichen; nicht vor dem siebenundzwanzigsten kam ich nach Dresden, wo mich die Familie Serre erwartete. Am Tage darauf war gerade der Geburtstag des Hausherrn, und dieser wurde im Hause einer meiner Freunde, des berühmten Pianisten und Tondichters Henselt gefeiert, welcher den größten Theil des Jahres in Petersburg lebt, aber im Sommer auf seinem Gute in Schlesien. Wir kamen hier zu einem wahrhaft großartigen Feste. Gestern erst kehrten wir nach Serre's Heim in Maxen zurück. Ich schreibe diesen Brief am frühen Morgen und mir ist es ganz ebenso, als ob ich ihn selber Ihnen überbrächte. Ich stehe in Ihrem Zimmer in Gadshill, sehe, wie am ersten Tage nach meiner Ankunft, die blühenden Rosen am Fenster, die grünen Felder, welche sich bis nach Rochester hin ausdehnen; ich spüre den apfelähnlichen Duft der wilden Rosenhecken draußen auf dem Felde, wo die Kinder Cricket spielen. O, vieles wird sich ereignen, bevor ich dies in Wahrheit wiedersehe, wenn es überhaupt der Fall sein wird! Doch, wie viel Zeit auch bis dahin entrinnen mag, mein Herz wird Ihnen stets treu und dankbar verpflichtet sein, mein großherziger Freund! Bereiten Sie mir bald das Vergnügen eines Briefes; sagen Sie mir, wenn Sie mein » Sein oder Nicht-Sein« gelesen haben werden, was Sie darüber denken. Vergessen Sie freundlichst meine Schattenseiten, welche vielleicht in unserem Zusammenleben zum Vorschein gekommen sind. Ich möchte nur zu gern bei Demjenigen in lieber Erinnerung leben, den ich wie einen Freund und Bruder verehre.
Ihr aufrichtiger
Hans Christian Andersen.«
Ich erhielt bald darauf einen sehr inhaltsreichen, herzlichen Brief von dem edlen, herrlichen Dickens, mit besonderen Grüßen von Jedem, selbst von dem alten Monument Ein alter, aus Backsteinen erbauter Obelisk, der aber bereits ziemlich verfallen war, als Dickens einst im Scherz denselben » Andersen's Monument« nannte. Der Uebers. und dem dortigen Schäferhund.
Später kamen die Briefe seltener und während der letzten Jahre überhaupt nicht mehr.
»Alles ist aus, aus und das geschieht in allen Märchen.« Jonas Collin, von dem auch obige Notiz geliehen ist, bemerkt, daß Dickens' Abbruch seiner Correspondenz mit Andersen dem letzteren eine Quelle großer Verstimmtheit wurde. Er schrieb mehrmals an ihn, ohne Antwort zu erhalten und daher gab auch er das Schreiben an ihn auf. Doch seine Freundschaft für Dickens hörte damit nicht auf, und noch während seiner letzten Lebensjahre sprach er oftmals mit Liebe und Bewunderung, aber nie mit Bitterkeit von ihm. Der Uebers.
Doch nun zurück zu den Begebenheiten.
In Weimar befand sich Alles in festlichem Schmuck; Leute strömten aus allen Gauen Deutschlands herbei. Ich hatte indessen das beste, traulichste Heim bei meinem Freund, dem Hofmarschall Beaulieu. Mehrere der ersten Schauspieler Deutschlands waren eingeladen, um Rollen auf der Bühne, wo Goethe gewirkt hatte, zu übernehmen und seine Bedeutung darzuthun. Es wurden Scenen aus dem zweiten Theil von Goethe's » Faust« gegeben, wie auch ein ansprechendes Vorspiel, verfaßt von Dingelstedt Siehe Seite 189 d. B. Der Uebers., der zu der Zeit Theater-Intendant in Weimar war. Am Hofe fanden glänzende, interessante Feste statt, wo sich Fürsten und Künstler begegneten.
Die Enthüllung der Wieland-, Schiller- und Goethe-Statuen erfolgte bei herrlichem, sonnigem Wetter. Als die Hülle von den Gestalten dieser beiden letztgenannten Meister fiel, sah ich einen von den poetischen Momenten des Zufalls: ein weißer Schmetterling flog über Goethe's und Schiller's Haupte, als ob er nicht wüßte, auf welchem von ihnen er sich niederlassen sollte – als Sinnbild der Unsterblichkeit. Nach kurzem Schwärmen erhob er sich in das klare Sonnenlicht und verschwand. Ich erzählte diese kleine Begebenheit dem Großherzoge, einer nahen Verwandten Goethe's und dem Sohne Schiller's. Ich fragte diesen letzteren eines Tages, ob es wahr sei, was Viele in Weimar behaupteten, daß ich Aehnlichkeit mit seinem Vater habe. Er antwortete, daß dies allerdings der Fall sei, aber die Aehnlichkeit liege meist im Eindruck meiner ganzen Erscheinung, in der Haltung des Körpers und dem Gange. »Mein Vater«, sagte er, »hatte große blaue Augen, sein Gesicht sah dem Ihrigen sehr wenig ähnlich und er hatte rothes Haar.« Das Letztere hatte ich früher nicht gehört.
Liszt hatte die Musik für das Fest im Theater componirt; sie fand stürmischen Beifall und er wurde herausgerufen; mich sprach die Musik nicht an. Der Fehler war sicherlich mein. Sie erklang vor meinen Ohren wie Wogen von Dissonanzen, welche wol in Harmonie zusammenflossen, aber mich nicht zu ergreifen vermochten. Ich fühlte mich von dem Gedanken gepeinigt, daß ich nicht so wie die Anderen sein konnte, und fühlte mich ganz besonders verlegen aus Rücksicht auf Liszt, den ich als Künstler verehrte und zu ihm in seinem Gedankenfluge emporschaute. Am nächsten Tage war ich bei ihm zu einem Diner eingeladen; er empfing eine Gesellschaft von Freunden bei sich, sämmtlich unleugbar Bewunderer. Ich fühlte, daß ich ehrlicherweise nicht in den allgemeinen Beifall einstimmen konnte; es that mir leid und so faßte ich den raschen Entschluß, noch an demselben Tage von Weimar abzureisen; aber es erregt in mir noch immer lebhaftes Bedauern, wenn ich daran zurückdenke und geht mir wirklich nahe, daß ich infolge meiner Mißstimmung nachlässig geworden war und von dem Fürsten der Pianisten nicht Abschied genommen hatte. Ich habe ihn später nicht mehr wieder getroffen, ihn, der in seiner Kunst zu den großen Phänomenen der Zeit gehört.
Die Heimreise ging über Hamburg. Die Cholera hauste dort, und so wandte ich mich nach Kiel, wo ich hörte, daß die Epidemie auch in Dänemark ausgebrochen war und namentlich streng in Korsör, wohin mich gerade der Dampfer führte. Das Wetter war prachtvoll, die Ueberfahrt fast zu kurz, und wir erreichten die von der Cholera heimgesuchte Stadt einige Stunden vor dem Abgange des Zuges und blieben im Wartesaal zusammen mit einem Theil der Stadtleute, die sehr niedergeschlagen waren.
In Kopenhagen begegnete mir mein Arzt mit der Frage, was ich da wollte, wo sich mehrere Cholerafälle schon selbst gezeigt hatten. Ich beeilte mich daher, so schnell wie möglich wieder auf's Land zu kommen, zuerst zu Ingemann und von da nach dem gastfreundlichen Basnäs; aber in dem kleinen nahebelegenen Orte Skjelskör war auch die Cholera: Ich wußte es nicht, fühlte mich aber dessenungeachtet außergewöhnlich ängstlich.
Meinem Gemüth kehrte jedoch bald die Ruhe wieder, und nun arbeitete ich den Plan zu einer neuen Zauber-Comödie: » Das Irrlicht« aus. Ingemann gefiel die Idee wol, aber auf dem Papier war sie nur eine flüchtige Skizze und erst nach mehreren Jahren später wurde sie in ganz veränderter Form und Gestalt als Märchen: » Die Irrlichter sind in der Stadt.« Siehe Band II der Märchen Seite 61. Der Uebers.
Der Director des königlichen Theaters übertrug mir, zu einem Feste der Bühne am 5. December einen Prolog zu schreiben. Der hervorragendste Schauspieler Dies war der hochbegabte Tragiker Nielsen, dessen biographische Notiz sich Seite 200 des vorigen Bandes befindet. Der Uebers. sollte denselben vortragen, aber, hoch in den Jahren schon, hatte er nicht mehr das rechte Lerngedächtniß. Er pflegte bei solchen Gelegenheiten zu vergessen und sich zu versprechen. Ich fürchtete, daß dies auch diesmal eintreten möchte, und das war auch der Fall. Mit seinem prächtig tönenden Stimmorgan declamirte er das Gedicht, aber so lückenhaft, daß es mir nicht wie ein wehendes Festtagsbanner erschien, sondern wie ein zerfetzter Lappen.
Die Kritik schwatzte von dem schönen Vortrag des Künstlers, aber »der Prolog sei eben nicht recht zusammenhängend gewesen«; es war natürlich des Dichters und nicht des hochgeschätzten Schauspielers Fehler. Am Tage danach ließ ich den Prolog drucken, damit man ihn lesen und verstehen sollte, aber es war eben der »Tag nach dem Feste«. Diese kleine Geschichte ist längst vergessen, aber ein Schreiben Ingemann's, das ich am zweiten Weihnachtstage 1857 erhielt, bleibt mir als ein poetisches Gedenkzeichen dessen, was so entehrt wurde.
*
Seit langen Jahren war es mir schon gesagt worden, so daß ich es schließlich selbst glauben mußte, daß nämlich meine Märchen in das beste Licht rückten, wenn ich sie selbst vortrüge. Ich habe Andersen mehrmals seine Märchen in dänischer Sprache vorlesen hören. Die Aussprache war in hohem Grade edel und ansprechend, während sein Organ nur schwach, aber nicht klanglos war. Wenn er vorlas, erhielt Alles, Menschen und Thiere, Leben, ja sogar leblose Gegenstände, wie die Puppe, der Halskragen, die Stopfnadel u. s. w. schienen Gestalt anzunehmen und zu athmen. Leute, die A. seine Märchen in deutscher Sprache vorlesen gehört haben, berichten Aehnliches, fügen aber noch hinzu, daß seine fremde Aussprache eine unvergleichliche Kindlichkeit und Naivität annahm, die namentlich das weibliche Geschlecht entzückte. Der Uebers. Je größer die Versammlung, desto mehr rühmt man meinen Vortrag; doch noch immer gehe ich zu solch einer Versammlung mit einem zweifelnden, ängstlichen Sinn. Anfangs hatte ich stets zuvor eine schlaflose Nacht, und als der Abend kam, war ich wie im Fieber.
Es war nicht der Einzelne, selbst der bedeutendste Mann, der als Zuhörer meine Angst erweckte, nein! die Menge, die Vielheit ist es, die eine Art Nebel um mich verbreitete und mich bedrückte. Und dennoch habe ich nur immer Freude und lautes Lob angetroffen.
Während der letzten Jahre hatte sich in Kopenhagen ein Arbeiterverein Der hier von Andersen erwähnte » Arbeiterverein« wurde 1851 gegründet und namentlich wirkte für denselben der Candidat der Philosophie Christian Wilhelm Rimestad (geboren den 16. Januar 1816 in Kopenhagen). Aus diesem anfänglichen Verein bildete er 1860 den heute noch in voller Blüte stehenden »Arbeiterverein von 1860«, dessen Hauptzweck besteht in der Hebung der Arbeiterklassen durch den Unterricht zur Bildung, weil dies die nothwendige Bedingung und die wahre Trägerin des Wohlbefindens dieser Klassen, auch die der materiellen Interessen ist. Dieser Verein, – zu dem auch » der Bauverein der Arbeiter« gehört, welcher die Aufgabe hat, dem Arbeiter eine heimische und gesunde Wohnung zu schaffen, weil diese die einzige wesentliche Hilfe ist, die man ihm zu bereiten vermag, denn ohne diese ist jeder Fortschritt unmöglich – hat allen ähnlichen Vereinen in ganz Skandinavien zum Muster und mit voller Berechtigung gedient. Der Uebers. gebildet, der dem jetzigen voranging. Zwei der Mitglieder, die ein spezielles Interesse für Vorlesungen und Vorträge lehrreicher Art zeigten, waren der Professor der Medizin Hornemann und der Redakteur des »Dagbladet« Carl Bille. Sie wendeten sich an mich mit dem Ersuchen, einige meiner Märchen in dem Vereine vorzutragen.
Es war eine unbehagliche, aufgeregte Zeit infolge der Choleraepidemie in Kopenhagen. Mehr Leute strömten herbei als Plätze in dem großen Saale vorhanden waren; die Menge draußen drang geschlossen zu den Fenstern hinauf und forderte deren Oeffnung; für eine nervöse, ängstliche Seele wie die meinige war das ganz überwältigend, aber sobald ich auf der Rednerbühne stand, verschwand meine Furcht.
Ich begann mit folgenden Worten, die damals sicherlich zeitgemäß schienen:
»Unter den lehrreichen Vorträgen, die in dem Arbeiter-Verein gehalten werden, giebt es einen, von dem man wünscht, daß er nicht unterlassen werden möchte, und das ist einer aus dem Gebiete der Poesie, der Kunst, die unsere Augen und unsere Herzen öffnet für das Schöne, Wahre und Gute.
»In England, in der königlichen Marine läuft durch alles Takelwerk, durch große und kleine Taue, ein rother Faden, der anzeigt, daß sie der Krone gehören; so läuft durch aller Menschen Leben ebenfalls ein Faden, ein unsichtbarer Faden freilich, der darauf hindeutet, daß wir Gott angehören.
»Um diesen Faden im Großen und im Kleinen, in unserem eigenen Leben und in Allem, was uns umgiebt, aufzufinden, hilft uns des Dichters Kunst und sie thut dies in verschiedenen Formen. Der Dichter Holberg Siehe die Note Band I der Märchen S. 206. Der Uebers. zeigte sie uns in seinen Lustspielen, indem er uns die Menschen seiner Zeit mit ihren Schwächen und ihren lustigen Eigenthümlichkeiten vorführte, und wir können Manches daraus lernen. – In den frühesten Zeiten wirkte die Dichtkunst meist als das, was man Märchen nennt. Die Bibel selbst hat Wahrheit und Weisheit in eine Form gekleidet, die wir Parabeln und Allegorien nennen. Jetzt wissen wir Alle, daß die Allegorie nicht im buchstäblichen Sinne der Worte zu verstehen ist, sondern dem Inhalte gemäß, der in ihnen liegt, nach dem unsichtbaren Faden, der durch sie läuft. Wir wissen, daß, wenn wir das Echo vom Walde, von den Felsen und von den Hügeln hören, es nicht der Wald, nicht der Felsen und nicht der Hügel ist, der da spricht, sondern ein Rückschall unsrer selbst; und ebenso müssen wir auch in dem Märchen, in der Allegorie oder im Vergleich suchen uns selbst zu finden, müssen wir die Bedeutung, die Weisheit, die Freude finden, welche wir aus demselben herauszuziehen vermögen.
»So stellt sich die Dichtkunst selbst an die Seite der Wissenschaft und öffnet unsere Augen für das Wahre, Schöne und Gute; und so wollen wir hier einige Märchen lesen.«
Und ich las; man folgte mir mit größter Aufmerksamkeit; ein einstimmiger aus dem Herzen kommender Beifallsausbruch ließ sich vernehmen. Ich war erfreut und befriedigt von der Vorlesung. Später hielt ich noch mehrere Vorträge und andere Autoren folgten meinem Beispiele.
Im Jahre 1860 wurde der jetzige Arbeiterverein zu großer, bedeutungsvoller Wirksamkeit gegründet, und jeden Winter fast mußte ich dort Vorträge halten und begegnete dafür großer, herzlichster Anerkennung und Theilnahme. Mehrere unserer dänischen Dichter und Schriftsteller, wie auch die größten Schauspieler haben dort Gedichte und selbst dramatische Werke vorgetragen.
Bei einem der jährlichen Stiftungsfeste des Vereins, zu welchem ich eingeladen war, wurde ein enthusiastischer Toast auf die Zierde der dänischen Bühne ausgebracht, auf den seitdem verstorbenen Michael Wiehe Michael Rosing Wiehe starb im Alter von 44 Jahren am 31. October 1864. Der Uebers., er wurde der Erste genannt, der das Eis gebrochen, der Erste, der das Geschenk der Poesie dem Arbeitervereine gebracht hatte, und als er den Weg angebahnt hatte, folgten wir Anderen nach. Im Arbeiterverein von 1860 war Wiehe sicherlich der Erste gewesen, welcher dort einen Vortrag gehalten hatte, und so weit ich mich dessen entsinne, war es ein Gedicht von Oehlenschläger; aber Jahre früher, als die arbeitenden Klassen sich zum ersten Male in dem Verein versammelten, war ich derjenige gewesen, der im Jahre 1858 das Eis gebrochen hatte, und das ist eine Ehre, auf die ich nicht verzichten will.
Im Studentenverein hatte ich als junger Student mein erstes Märchen vorgetragen. Die Jahre sind lange darüber hingegangen. Jetzt, 1858, las ich dort wieder meine Märchen vor und wurde so herzlich bewillkommnet, so freundlich aufgenommen, daß ich, wenn meine Aengstlichkeit, vor größeren Kreisen vorzulesen, auch nicht verschwand, hier und im Arbeitervereine gewißlich fühlte und erkannte, daß ich vor jungen Leuten, vor warmen Herzen, natürlichen Menschen, las, die diese Abende, von denen ich jetzt gesprochen habe, zu herrlichen, festlichen Momenten erhoben.
In den letzten Jahren erschien zu Weihnachten, oder etwas später im Frühjahr ein kleiner Band Märchen, auf dessen gelben Umschlage ein Bild des Storches prangte, der mit dem Frühling auf seinem Rücken herbeiflog. Dieses letzte Bändchen enthielt das größere Märchen: » Die Tochter des Schlammkönigs.« Siehe die Märchen Band II. Seite 418. Der Uebers. Ingemann schrieb mir darüber in höchst anerkennender Weise; denn ich hätte im Schlamm einen Edelstein gefunden!
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Im Juni war ich schon wieder unterwegs auf einem Besuche bei Serre's und bei meinen Freunden in Brunnen. – Das Vergnügen dieses Touristenlebens endete bald. Ich hörte zufällig Nachrichten von Hause, die mich erschütterten, mich mit Sorgen erfüllten, und die immer wieder und ebenso schmerzlich und abschreckend in meiner Erinnerung zurückgerufen werden, wenn Freunde aus Amerika mich nach ihrer Heimat, jenseits des Oceans, einladen. Auf den ersten Blättern des » Märchens meines Lebens« Band I. Seite 47. Der Uebers. habe ich vom Hause des Admiral Wulff in Kopenhagen, von seiner Gattin und seinen Kindern gesprochen, ebenso von der ältesten Tochter Henriette, die immer in schlimmen und guten Tagen eine so beharrliche Theilnahme an den Tag legte in Allem, was mich betraf. Nach dem Tode der Eltern lebte sie bei ihrem jüngsten Bruder Christian Wulff, Lieutenant zur See. Niemals gab es einen zärtlicheren und hingebenderen Bruder. Für sie war es eine Nothwendigkeit, ja, man möchte sagen, eine Gesundheitsangelegenheit, zu reisen, und sie liebte das Meer leidenschaftlich. Sie begleitete ihren Bruder auf mehreren großen Reisen; sie besuchte Italien mit ihm und ging mit ihm nach Westindien und Amerika. Auf der für sie vorletzten großen Reise befanden sie sich beide auf einem Schiffe, auf welchem das gelbe Fieber ausbrach. Der Bruder wurde davon ergriffen, und sie, das schwache Mädchen, war seine Pflegerin, saß an dem Bett des Fieberkranken, wischte mit dem Taschentuch seine heiße, schwitzende Stirn und trocknete dann auch ihre Augen mit demselben Tuche; aber sie, die Schwache, blieb gesund; sie entging der Krankheit, während ihr lebenskräftiger Bruder unterlag. Vom Kummer überwältigt, fand sie ein liebevolles Asyl in Eaglewood bei New-York bei dem großherzigen Marcus Spring und dessen trefflicher Frau Rebecca, deren Bekanntschaft sie durch die schwedische Schriftstellerin Frederike Bremer gemacht hatte. Ein Jahr darnach kam Henriette Wulff nach Kopenhagen zurück; wir sahen uns fast alltäglich. Die Nachwehen über den Verlust ihres Bruders waren in vieler Beziehung für sie ganz außerordentlich. Ihre Gedanken flogen oft hinüber nach dem Lande, wo ihres Bruders Asche ruhte; sie mußte noch einmal dort hinüber und bestimmte dazu den Sommer 1858. Im Monat September reiste sie mit dem Hamburger Dampfer » Austria«; von England aus sandte sie ihr letztes Schreiben an ihre Schwester: sie sagte darin, daß sehr viele Passagiere an Bord wären, aber nicht ein Einziger, zu dem sie sich hingezogen fühlte, ja, als sie in England an's Land gingen, überkam sie ein so großer Widerwillen gegen die Reise, daß sie fast entschlossen war, zurückzukehren; doch schämte sie sich ihrer Schwäche und blieb auf dem Schiffe.
Nicht lange nachher lasen wir die Nachricht in der Zeitung, daß der Dampfer » Austria« auf dem Atlantischen Ocean verbrannt sei. Mich überwältigte diese Nachricht. Ihre Schwester, der ältere Bruder, ihre Verwandten und Freunde lebten in einer Todesangst von Zweifel. Bald kamen auch Schilderungen der schrecklichen Scenen in dem Augenblicke des Unterganges, Berichte von einzelnen Personen, die allein gerettet worden waren. Aber wer waren diese? War sie, das kleine, schwächliche, zarte Wesen, unter ihnen? Wir erhielten keine sichere Kunde, daß sie auf dem Grunde des Oceans gebettet sei. Wenn Kummer in Worte sich kleiden kann, dann gewiß erscheint er in dem, was ich in dem ersten Augenblick der Betrübniß in einem Gedicht an sie niederschrieb.
Meine Gedanken waren Tag und Nacht von diesem Ereigniß erfüllt. Ich konnte an nichts Anderes sonst denken, und manche Nacht in der Zeit unserer Ungewißheit betete ich zu Gott in meinem Herzen, mir, wenn überhaupt eine Verbindung zwischen der Welt der Geister und der Menschenwelt bestehen möchte, einen Lichtblick zu gewähren, irgend ein kleinstes Zeichen, und wenn auch nur im Traume von ihr; aber wiewol meine wachen Gedanken ganz und gar sich nur mit der Freundin meiner Jugend beschäftigten und im Schlaf ich von ihr träumte, so offenbarte sich doch nichts, nichts regte sich, um meiner Einbildung eine solche Verbindung zu zeigen. Die ununterbrochene Thätigkeit meiner Gedanken in dieser Richtung griff mich so an, daß eines Tages, als ich auf der Straße ging, die Häuser mir plötzlich wie Riesenwogen erschienen, die gegen einander rollten. Ich sah die Bewegung, aber in demselben Moment war ich auch so bestürzt über mich selbst, daß ich mit aller Kraft meines Willen dieses auf ein und denselben Gegenstand gerichtete Denken unterbrach; ich fühlte, daß es zum Wahnsinn führen mußte. Es kam nun plötzlich Ruhe über meinen Geist, ein Vertrauen zu Gott, und der Kummer löste sich in Wehmuth auf. Ingemann schrieb mir am 19. October einen trostreichen Brief, in dem es unter Andern heißt: »Dem Dichter von » Das sterbende Kind« und von » Sein oder Nichtsein« brauche ich wol nicht die Lichtseite, das Bild des irdischen Unterganges auszumalen, das uns für einen Augenblick zu überwältigen vermag. Haben Sie – wie ich erwarte – bereits dem Schmerze und der Liebe in einem Abschiedsgedicht an den befreiten Geist Ausdruck gegeben, dann hat der Schmerz den Stachel verloren, bevor diese Zeilen zu Ihnen gelangen.«
Der ältere Bruder des Fräulein Wulff, Peter Wulff, Kapitän zur See, schrieb an einen der geretteten Schiffsoffiziere, und Alles, was er erfuhr, war, daß Henriette Wulff bei der Frühstückstafel gesehen worden war; darnach pflegte sie, wie man wußte, nach ihrer Kajüte zu gehen und dann erst wieder bei der Mittagstafel zu erscheinen. Während dieser Stunden ereignete sich das schreckliche Unglück. Das Schiff entzündete sich dadurch, daß man dasselbe auslüften wollte und dazu Theer benutzte, den man anzündete; aber unglücklicher Weise stürzte die Theertonne um; dem brennenden Stoff entströmten Rauch und Flammen, die bald das ganze Schiff einhüllten. Es war zu vermuthen, daß sie durch den Rauch erstickte und in ihrer Kajüte starb. Diese ist nun ihre Grabkammer in der Tiefe des Atlantischen Oceans.
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Hartmanns melodische Operette » Liden Kirsten« Die ich unter dem Titel »Kleine Else« übersetzte. Der Uebers., die in den Volksgesang übergegangen ist, und wozu ich den Text geschrieben hatte, wurde nach einer langen, unverdienten Pause zu Anfang des Jahres 1859 wieder auf die Bühne gebracht und erregte großes Interesse; mein Text wurde sogar gelobt. Der Kritiker in der in Kopenhagen erscheinenden Zeitung »Fädrelandet« (das Vaterland) nannte ihn ein ächtes Gedicht, eine Inspiration: » un rêve de l'idéal au milieu des tristes réalités de la vie.« – »Schöne, freundliche Bilder gleiten vorüber, die so natürlich und unschuldig zu uns sprechen, und die Ausarbeitung der Sprache ist so phantasievoll und plastisch, daß man das Gedicht nicht lesen kann, ohne gerührt zu werden.« Eine so liebenswürdige Würdigung wurde meiner Dichtung zu Theil, und Hartmann's ungewöhnlich schöne Musik wurde ebenso mit dem größten Lobe gerühmt.
Später im Frühling erschien ein neues Heft » Märchen und Geschichten«, darunter » Was der Wind von Waldemar Daa und seinen Töchtern erzählt« Siehe die »Märchen« Band II. Seite 13. Der Uebers., mit der Widmung für meinen Freund, den Componisten Hartmann.
Die Bäume trieben wieder ihre Blätter, das Wetter war warm und schön. König Frederik VII. residirte auf dem alten prächtigen Schlosse Frederiksborg Das Schloß Frederiksborg – mit der Eisenbahn in einer Stunde von Kopenhagen aus zu erreichen – ist ursprünglich ein Gebäude Christians IV., der dies prachtvolle Schloß mitten im See in einem gemischten gothisch-byzantinischen Styl erbaute. Auf unerklärliche Weise brach in der Nacht zum 17. October 1859 daselbst Feuer aus, das dasselbe mit fast allen hier angesammelten Schätzen – die reichen Privatsammlungen des Königs Frederik VII., die Portrait-Galerie berühmter Personen, die herrliche Schloßkirche und den unvergleichlichen Rittersaal – gänzlich zerstörte, nur die nackten Mauern blieben stehen. Der König und seine Gemalin, die Gräfin Danner, mußten den Flammen entfliehen. Aber durch freiwillige Gaben baute die Liebe des Volkes die alte Königsburg wieder auf und bereits 1862 konnte die prachtvolle Schloßkapelle, die ganz im früheren Geschmack wieder hergestellt worden war, eingeweiht werden. Der Rittersaal wird ebenfalls ganz in seiner früheren Gestalt hergestellt und das ganze Schloß nach und nach vollendet werden. Die heiligen Bilder in der königlichen Betkapelle, die ihrer künstlerischen Vollendung wegen weit berühmt geworden, sind vom Professor Carl Bloch gemalt. Der Uebers., in der wundervollen Waldnatur. Er ließ mich einladen, um meine neue Dichtung von mir selbst vorlesen zu hören. Mit der offenen, herzlichen Freundlichkeit, die dem König eigenthümlich war, bewillkommnete er mich, und ich verbrachte in der stolzen Residenz Christians IV., durch welche Hauch's Gedicht: »Frederiksborg« in's Leben gerufen wurde, zwei höchst angenehme Tage.
Ich sah all den Glanz und den alten Ruhm, der in diesen Hallen wandelte, saß an des Königs Tafel, die an dem schönen, sonnigen Tage unten im Garten gedeckt wurde.
Als die Tafel beendet war, wurde das Ruderboot des Königs auf dem das Schloß umgebenden See bestiegen und hier – unter dem freien Himmel – meinte der König – sei es am geeignetsten, die Geschichte vorzutragen, welche der Wind von Waldemar Daa und seinen Töchtern erzählte. Siehe die »Märchen« Band II. S. 13. Der Uebers.
Der König nebst Gemalin, der Gräfin Danner Die Gräfin Louise Christine Danner war die Tochter eines Unteroffiziers, Namens Rasmussen. Sie wurde am 21. April 1814 zu Kopenhagen geboren und trat ganz jung in die Tanzschule des königlichen Ballets in Kopenhagen ein. Sie soll sogar einige Male kleine Rollen im Schauspiel ausgeführt und schon damals durch ihren hervorragenden Geist und schöne Gestalt die Aufmerksamkeit des damals sehr jungen Prinzen Frederik Christian (Frederik VII.) auf sich gelenkt haben. Später, nachdem sie längst das Theater verlassen hatte, etablirte sie in Kopenhagen ein Putzgeschäft, und als in ihrem Hause während der Nacht großes Feuer ausbrach, wobei auch der Kronprinz sich einfand, wurde die Bekanntschaft erneuert. Als Frederik als der Siebente seines Namens den Thron bestieg, erhob er sie zur Baronin Danner und am Tage ihrer Vermählung, 16. Juli 1850, zur Gräfin. Sie zeichnete sich durch Klugheit und Wohlthätigkeit aus und unterstützte stets die Sache des Volkes; sie war ihrem Gemal eine wahre Freundin und in gewisser Beziehung mehr Mutter als Gattin. – Als der König im November 1863 starb, zog sich die Gräfin geräuschlos in's Privatleben zurück. Sie machte oftmalige und große Reisen und starb plötzlich an der Gesichtsrose, welcher Krankheit auch der König erlag, in Genua im März 1874, ihr über 6 Millionen Kronen betragendes Vermögen den von ihr gestifteten großartigen Wohlthätigkeitsanstalten hinterlassend. Der Uebers., nahmen im Königsboote Platz, wo auch ich meinen Platz hatte; einige andere Boote mit anderen Gästen folgten. Wir glitten über das blaue Wasser, in welchem der prächtige Horizont im Abendroth sich spiegelte. Ich las die Geschichte, wie Reichthum und Glück zerrinnen, vor; das, wie der Wind saust: »Her–a–u–s! Fahr' hin!« Als ich den Vortrag beendet, trat ein Moment tiefen Schweigens ein; ich selbst fühlte mich sonderbar wehmüthig gestimmt, und man wird verstehen, daß die Erinnerungen, diese Augenblicke im Königsboote, wo der See, die Luft und das Schloß entzückend strahlten, lebhaft wieder in mein Gedächtniß trat, als im Herbst desselben Jahres die traurige Nachricht kam: »Schloß Frederiksborg steht in Flammen!«
Der Sommer rief mich nach Jütland, den malerischen Theil von Dänemark. Das Andenken daran ist aufbewahrt in: » Eine Geschichte von den Dünen« Siehe die »Märchen« Band I. S. 76. Der Uebers. und einer Beschreibung von » Skagen«.
Etatsrath Taug, Eigenthümer des alten Norre-Vosborg, wo einst des Ritter Bugge's Hof stand, nahe beim Nyssum-Fjord, hatte mich in sein Haus geladen. Eine Schilderung des Platzes, des Baues und der Leute daselbst ist in einem Briefe an Ingemann vom 11. Juli 1859 enthalten. Siehe Band I. der »Märchen« Seite 90. Der Uebers.
Es war ein angenehmer Aufenthalt dort und nicht allzu kurz. Bei meiner Abreise begleitete mich die ganze Familie nach Lemvig. Hier, nahe bei dem Liim-Fjorde, befindet sich Hamlet's Grab, nicht bei Helsingör, wohin Shakespeare sein großes dramatisches Gedicht verlegt hat. » Amlet's Grab«, sagte der West-Jütländer. Ein Schafhirte sitzt hier so einsam auf dem Hügel und bläst seine eintönige Melodie auf der kleinen Flöte, die er aus einem alten Baumast oder einem Schafsknochen sich gemacht hat.
Wir erreichten Lemvig und kehrten im Gasthaus ein. Ich bemerkte bald den Dannebrog vom Dach herausragen, und ein wenig später wurde an dem entgegengesetzten des Nachbars ebenfalls eine Dannebrog-Flagge sichtbar.
»Wird hier etwas gefeiert?« fragte ich.
»Es ist Ihnen zu Ehren«, sagte der Etatsrath Tang.
Wir gingen mit einander aus, um die Stadt zu besehen. Freundliche Augen bewillkommneten mich, und von mehreren Häusern wehten die Flaggen. Ich konnte in der That nicht recht daran glauben, daß dies meinetwegen geschah, aber als ich am nächsten frühen Morgen an das Dampfboot kam, mußte ich mich überzeugen, daß ich in Lemvig Freunde besaß, von den Großen an bis zu den Kleinen.
In der Volksmenge befand sich ein kleiner, sorgsam eingehüllter Knabe. »Armer kleiner Knabe!« sagte ich, »so früh aus, um mit dem Dampfboot zu fahren?«
»Das soll er nicht«, antwortete die Mutter; »er hat keine Ruhe und keinen Schlaf gehabt, bis ich ihm versprochen hatte, daß er am Morgen hergehen könne, um Andersen abreisen zu sehen. Er kennt alle seine Märchen.«
Ich küßte den Kleinen und sagte: »Geh nach Haus und zu Bett, mein kleiner Freund; leb' wol, leb wol!« Ich freute mich selbst wie ein Kind. Ich wurde warm dabei und fror nicht, wie der kleine Bursche in dem kalten, frischen Morgenwestwind an dieser Küste.
Der Dampfer glitt an Oddesund vorbei, wo Deutschlands Kaiser Otto einst sein Banner aufpflanzte und befahl, daß das Dänenthum sterben sollte. Siehe die »Märchen« Band II. Seite 44. Der Uebers. Wir kamen nach Thisted, der Stadt der Hexenprozesse, von der uns Holberg erzählt. Wir landeten an der Hafenbrücke; ich saß in der Cabine, der Dampf zischte und pfiff, als Jemand kam und mich auf das Deck rief. Freunde meiner Dichtungen standen am Hafen-Quai und riefen mir ein schmetterndes Hurrah zu!
Später am Tage kam ich nach Aalborg; freundlich glänzende Augen begrüßten mich, und ich fühlte freundschaftliche Händedrucke. Mein Freund aus der Studienzeit, Kammerherr Dahlström, der Oersted's liebenswürdige Tochter Sophie geheirathet hatte, nahm mich bei der Hand und führte mich nach seinem Heim, dem alten Aalborghuus (Hause). Anders Sandö Oersted, Bruder des Entdeckers des Electro-Magnetismus, war hier zu Besuch. Ein Jurist von hohem Range und einer der einflußreichsten und bedeutendsten Staatsmänner Dänemarks. Siehe den Band I. der Märchen Seite 429. Der Uebers. Als wir noch bei Tisch in der Dämmerung zusammensaßen, meldeten die Diener, daß auf den Platze sich eine Menge Leute drängte und bald trat auch eine Deputation in das Zimmer. Der Aalborger Gesangverein wünschte mich mit einem Gesang zu bewillkommnen. Ich kam in Verlegenheit, daß sie mich ehren wollten und nicht Oersted. Ich konnte mich nicht an das offene Fenster stellen, wo wenige Jahre früher er gestanden hatte, um eine ähnliche Ovation entgegenzunehmen. Ich ging daher hinaus auf den Platz zu der versammelten Menge, das Lied begann und ich drückte Allen innig die Hände, so weit ich langen konnte, von Freude und Dankbarkeit erfüllt. Es war die erste Serenade, die mir in der Heimat gebracht wurde. Schwedische Studenten hatten mir früher einmal bei meinem ersten Besuche in Lund 1840, eine solche gebracht.
Von Aalborg setzte ich meine Reise nach Skagen, Dänemarks nördlichstem Punkte, fort, wo die Nordsee und das Kattegat als Arm der Ostsee sich begegnen.
Das alte Börglum-Kloster, wo einst die Macht der Kirche mehr galt, als der König selbst in seinem eignen Königreich, ist heute ein Landsitz. Der Proprietair Rotböll ist Eigenthümer. Ich erhielt von ihm eine liebenswürdige Einladung, bei ihm zu verweilen und mir das Land anzusehen, vielleicht würde ich Zeuge eines der westlichen Seestürme werden können. In meiner historischen Erzählung: » der Bischof von Börglum und seine Verwandten,« habe ich eine Schilderung des Ortes gegeben. Siehe die Märchen Band II. Seite 35 und 37. Der Uebers.
»Es spukt auf Börglum,« sagte man mir in Aalborg. »In einem gewissen Zimmer gehen die längst verstorbenen Mönche um.« Es wurde mir versichert, daß der Bischof des Stifts sie selbst gesehen habe. Ich wage nicht, die Möglichkeit eines Verkehrs zwischen der Geisterwelt und der Sinnenwelt in Abrede zu stellen, aber ich glaube nicht mit Gewißheit daran. Unser Dasein, die Welt in und um uns, ist voll von Wundern, aber wir sind so daran gewöhnt, daß wir davon als von etwas »Natürlichem« reden. Alles wird getragen und geregelt von den großen Gesetzen der Natur, den Gesetzen der Vernunft, Gesetzen, die in Gottes Allmacht, Weisheit und Gute liegen, und ich glaube nicht an eine Abweichung davon.
Nachdem ich die erste Nacht im Börglumkloster geschlafen hatte, konnte ich nicht umhin, den Herrn des Hauses und seine Frau beim Frühstück zu befragen, in welchem Zimmer der Bischof geschlafen hatte und von den Geistern besucht worden sei. Man fragte mich, ob ich mich etwa fürchte; man fügte aber sofort hinzu, daß der Bischof gerade in meinem Zimmer geschlafen habe und daß ihm dort die Gespenster der todten Mönche erschienen seien. Das Erste, was ich jetzt that, bestand darin, daß ich in das Zimmer ging und sorgfältig Flur und Decke untersuchte – ja, ich ging auf den Hofplatz hinaus, prüfte genau die Umgebungen, kletterte zu den Fenstern hinauf, um zu entdecken, ob sich der Platz zur Aufführung von Spukscenen eignete. Konnte ich wissen, ob nicht Mancher hier, wie es mir freilich in meiner frühen Jugend auf anderen Herrenhöfen begegnete, sich selbst vielleicht belustigen möchte, indem er einige nächtliche Geisterscenen aufführte? Aber ich entdeckte nichts, und schlief die Nacht und noch manche andere hier in Frieden und Sicherheit.
Eines Abends ging ich früher als gewöhnlich zu Bett und erwachte Mitternachts mit einem ungewohnten kalten Schauer, der mich durchrieselte; ich fühlte mich unbehaglich und dachte an die Geister, von denen man geschwatzt hatte, sagte aber zu mir selbst, wie thöricht doch solche Furcht wäre und aus welchem Grunde die Mönche sich gerade mir zeigen sollten. Hatte ich nicht, als ich noch in Unkenntniß über den Tod von Henriette Wulff war, Gott ernstlich gebeten, mir, wenn ein Schimmer irgend möglich war, irgend ein Zeichen für Auge oder Ohr aus der andern Welt zu senden, daß sie unter den Abgeschiedenen weilte? Aber nichts zeigte sich; ich bemerkte nichts.
Diese Gedanken rissen mich aus meiner verworrenen Lage, aber in demselben Moment sah ich im fernsten und dunkelsten Theil des Zimmers eine nebelhafte Gestalt wie einen Menschen. Ich sah und sah, und es durchlief mich wie Eis, es war nicht auszuhalten. Zwischen Furcht und einem Zwange, zu sehen und Gewißheit zu erlangen, war ich getheilt. Ich sprang aus dem Bett heraus und stürzte auf die Nebelgestalt und sah nun, als ich ganz nahe war, daß es die glänzende, gefirnißte Thür war, von welchem zwei hervorspringende Parthien, aus welche das Licht eines Spiegels fiel, der durch das Fenster das Licht aus der herrlichen Sommernacht empfing, so etwas bilden konnten, was wie die Gestalt eines Menschen aussah. Das war der Geist, den ich in Börglum sah.
Seitdem bin ich noch mancher Geistergeschichte begegnet, und es dürfte hier der geeignete Platz sein, sie hier mitzutheilen.
Es war ein Jahr später, als ich einen andern großen, alten Herrenhof besuchte. Bei hellem, lichtem Tage ging ich durch einen der großen Säle, da hörte ich plötzlich ein helles Läuten, wie das einer Tischglocke; der Ton kam von dem andern Flügel des Hauses, und ich wußte, daß die Zimmer nicht bewohnt waren. Ich fragte die Hausherrin, was das für eine Glocke wäre, die ich gehört hatte. Sie blickte mich bestürzt an. »Sie haben sie auch gehört?« sagte sie, »und hörten es jetzt bei hellem Tage?« und man erzählte sie mir, daß das oft vernommen wurde, namentlich spät am Abend, wenn die Bewohner gerade schlafen gingen, ja, daß der Ton dann so laut wäre, daß sogar die Leute im Keller ihn hörten.
»Da wollen wir das doch einmal näher untersuchen!« sagte ich. Wir gingen durch den Saal, wo ich die mysteriöse Glocke gehört hatte und trafen dort den Hausherrn und den Pastor der Gemeinde. Ich erzählte von dem Läuten der Glocke und protestirte, als ich an das Fenster trat, »daß es kein Geist sei;« aber als die Worte eben ausgesprochen waren, fing die Glocke noch viel stärker als das erste Mal an zu läuten. Da lief mir denn doch ein Schauer über den Rücken, und ich sagte, wenn auch nicht so laut: »Ich kann es jetzt nicht leugnen, aber ich glaube nicht daran.«
Bevor wir den Saal verließen, ertönte die Glocke noch einmal, aber in demselben Augenblicke fiel mein Auge zufällig auf den großen Kronleuchter unter der Decke. Ich bemerkte, daß die vielen kleinen hängenden Gläser in Bewegung waren. Ich ergriff einen Stuhl und stellte mich darauf, den Kopf gegen den Kronleuchter gerichtet.
»Geht schnell und heftig über den Fußboden,« bat ich die Anwesenden; sie thaten es und nun hörten wir alle den lauten Glockenton, der wie fernes Läuten klang – und alle Gespensterfurcht war verschwunden.
Eine alte Pastorswittwe, die davon hörte, sagte später zu mir:
»Diese Glocke war so hübsch. Wie konnten Sie nur, der Sie ein Dichter sind, selbst sie zerstören und so ganz ohne Grund?«
Noch eine andere Geistergeschichte – die letzte.
Ich war in Kopenhagen. Um Mitternacht wachte ich auf und sah vor mir am Fuße des Bettes auf dem Ofen eine kalkweiße Büste, die ich vorher nicht gesehen hatte. »Gewiß ein Geschenk,« dachte ich. »Wen mag sie vorstellen?« Ich erhob mich im Bette und starrte auf das weiße Bildniß, als es in demselben Augenblick verschwand. Ich schauderte, stand aber auf, zündete das Licht an und sah nach der Uhr, wie spät es gerade wäre. In diesem Augenblick hörte ich den Nachtwächter eins verkünden.
Ich schrieb den kleinen Vorfall nieder und legte mich wieder hin, aber ich konnte nicht einschlafen, als es mir durch den Kopf fuhr: »das muß das Mondlicht sein, das durch das Fenster auf die weiße Mauer scheint.« Ich stand wieder auf und sah hinaus; die Lust war bedeckt, der Neumond mußte auch schon längst untergegangen sein, alle Straßenlaternen waren ausgelöscht, also konnte das Lichtbild auch nicht von diesen ausgegangen sein.
Am nächsten Morgen untersuchte ich das Zimmer genau und sah über die Straße hin; drüben an des Nachbars anderer Seite befand sich eine Laterne. Das Licht derselben konnte durch die halb herabgelassene Gardine dem Segel eines Schiffes im Canal unter meinem Fenster die Gestalt eines menschlichen Hauptes bilden. Ich ging deshalb, als es Abend war, auf die Straße hinunter und fragte den Nachtwächter, zu welcher Zeit er die Lampe auslöschte.
»Um eins,« antwortete er, »gleichzeitig wenn ich die Stunde ausrufe.«
Es war der Widerschein auf der Wand, den ich gesehen und angestarrt hatte, der Nachtwächter hatte in demselben Augenblick die Lampe und auch den Geist ausgelöscht. –
Aber um auf Börglum-Kloster zurückzukommen, wo mehr als Einer von nächtlichen Erscheinungen zu berichten wußte, die ich nicht das Glück hatte zu sehen. Als ich auf meinem Heimwege nach Aalborg kam, mußte ich von dem Geiste erzählen und sprach mit dem ehrwürdigen Herrn, der die weißen Mönchsgestalten gesehen hatte. Ich versuchte nachzuweisen, ob der Anblick derselben nicht vielleicht in einem Augenfehler gelegen haben mochte, aber da antwortete er allen Ernstes: »Es kann sein, daß in den Ihrigen etwas fehlt, so daß Sie dergleichen nicht schauen können.«
Zehn oder zwölf Tage wurden in Börglum zugebracht, und während dieser Zeit besuchte ich die kleine Fischerstadt Lokken, wo es auf den Straßen Flugsand giebt, der bei verschiedenen Häusern ganz hoch emporragte. Man sagte mir, daß ich dies noch viel effectvoller beobachten könnte, wenn ich nach Skagen käme. Der Weg dahin führt über Hjörring; ich erreichte es erschöpft genug am Abend und war willens, sofort zu Bett zu gehen, aber der Besitzer des Gasthauses sagte mir im Vertrauen, daß ich am Abend Besuch erhalten würde, daß mehrere Damen und Herren im Begriff ständen, mich aufzusuchen und daß der Garten illuminirt werden würde.
Spät am Abend kam in der That eine Deputation. Man führte mich in den Garten hinunter und empfing mich mit einem hübschen Gesang. Provost Djörup richtete eine herzliche Empfangsrede an mich; es war ein Abend voller Freude, die Sterne blinkten klar und ich fühlte mich wahrhaft glücklich und erhoben.
Auch in Frederikshavn, von wo die Fahrt nach Skagen beginnen sollte, fand ich ein trautes Heim bei Freunden, die mir meinen Aufenthalt und die Reise so angenehm wie möglich zu machen suchten. Sie verschafften mir einen sicheren Fuhrmann, der mich am Seestrande entlang, wo die Brandung rollte, fahren sollte. Es war ein wolhabender, vorsichtiger Mann vom Lande, der wol wußte, wo sicherer Grund und wo der verrätherische Triebsand war.
Vorher hatten sie ihm mein Bild gezeigt und gesagt: »Das ist ein großer Dichter!« Und der Bauer lachte ein wenig und sagte: »Nein, das ist ein großer Lügner!« Auf dem ganzen Wege wollte er durchaus nicht mit mir in's Gespräch kommen, oder mir irgend was erzählen, aber bei allem, was ich ihm sagte, lachte er verschmitzt. Indessen, er fuhr mich gut, er war auch gastfreundlich und ich durfte nicht eher seinen Hof verlassen, als bis er mich mit Brathühnern, Pfannkuchen, Wein und Meth bewirthet hatte.
Wir fuhren über Weideland, Haide und Moorland; wir fuhren am Strande über den festen Sand innerhalb der Brandungen. Bald kamen wir zu den Dünen, die wie große Schneestürze zur Winterzeit daliegen. Das Gestade war dicht bedeckt mit zitternden, röthlich-braunen Medusen, großen Conchilien und runden, glatten Kieselsteinen. Wrack auf Wrack lag dort; wir fuhren mitten durch einen ehemaligen Dreimaster. Schreiende Seevögel flogen über uns herum. Der Thurm von der St. Laurentius-Kirche, Siehe die Märchen Band I, Seite 118 Der Uebers. halb verdeckt durch den Flugsand, wurde sichtbar und dort lag die Stadt Skagen vor uns. Sie besteht aus drei Theilen und der älteste Theil liegt eine halbe Meile von den beiden anderen entfernt. Dorthin fuhren wir. Die Straßenzüge sind, je nachdem der Flugsand es will, verschieden; sie werden mittelst Schiffstaue, die man an Stangen befestigt, angedeutet. Hier liegt ein Haus, halb verborgen vom Dünensande, dort ein finsteres, getheertes Gebäude mit Strohdach; in einem kleinen Kartoffelgarten sah ich ein Ferkel, das an eine Gallionsfigur, die Hoffnung, sich auf einen Balken stützend, gefesselt war. Hier guckt von dem Giebel eines Hauses eine kolossale Gestalt herab: Walter Scott als Gallionfigur von einem gestrandeten Schiffe.
Die Wüste hier oben in Jütland besitzt auch ihre Oase, eine frische, üppige Plantage mit Buchen, Weiden, Pappeln, Fichten und Tannen. Rasen bedecken den Sandgrund der Gänge, der sonst bald durch den Wind die Uebermacht erlangen würde.
Ich besuchte Stagens äußerste Spitze, die nicht breiter ist, als daß ein Mensch dort stehen und die Wogen der Nordsee über den einen Fuß dahin rollen lassen kann, während die Wellen des Kattegatt's über den andern dahin schlagen. Zahllose Seevögel erfüllen die Luft mit ihrem Geschrei und von dem unendlichen Wogenschwall ertönte ein tiefes Summen, das Rollen und Brechen der Brandung. Der Blick über die Fläche des am Horizont verschwindenden Meeres wird betäubend; man wendet sich unwillkürlich hier draußen auf dieser äußersten Spitze des Festlandes, um zu sehen, ob man festes Land hinter sich habe und daß man sich nicht auf der Meeresfläche befindet, ein Wurm nur für die Scharen schreiender, hungrigen Seevögel sei. Wrackstücke und Wracks von Schiffen stehen hier gleich den Knochen der Mammuthsthiere in dem klaren, durchsichtigen Wasser, das, wenn der Sturm über dasselbe dahin jagt, zu schäumenden Wasserfällen verwandelt wird, die über die Riffe an der Küste gegen die zusammengefegten Sandhügel sich wälzen.
Von Skagens » Green« Der dänische Name für den schmalen Landstreifen, der in's Meer hinausläuft. Der Uebers. fuhr ich über den tiefen Sand der Dünen nach Gammel ( Alt) Skagen, der seit Jahren immer mehr in das Land hineinrückt. Schwere Wogen rollten jetzt dort, wo das frühste Alt-Skagen lag. Wir erreichten die im Sande begrabene alte Kirche, die holländische und schottische Fischer hier hatten erbauen lassen, und die sie St. Laurentius weihten. Im Laufe der Jahre häufte sich der Sand selbst an den Kirchhofsmauern und bald lag er über ihnen und auf den Gräbern und Grabsteinen bis hoch hinauf zu den Mauern und Fenstern der Kirche. Siehe die Märchen Band I. Seite 118. Der Uebers. Noch immer konnte der Priester zur Kirche gelangen und dort Gottesdienst halten, aber bald konnte man nicht mehr, sich den Weg dorthin bahnen. Eines Sonntags, als die Mitglieder der Gemeinde und der Geistliche dorthin kamen, lag ein ungeheurer Sandhaufen vor dem Kirchenthor, und da sprach der Pastor ein kurzes Gebet und sagte: »Gott der Herr hat dieses sein Haus geschlossen, wir müssen ihm nun anderswo ein neues errichten!«
Am 5. Juni 1795 wurde die Kirche auf königlichen Befehl für immer geschlossen; nur der Thurm sollte als Seezeichen für Fischer bestehen bleiben, und heute noch dient er diesem Zwecke. Die alten Einwohner von Skagen mochten nicht den alten Kirchhof aufgeben: sie wünschten alle dort neben den Ihrigen zu ruhen, die ihnen vorangegangen waren; jedoch nur mit großer Schwierigkeit vermochte man den Platz zu benutzen; aber mit dem Jahre 1810 hörte auch dieses auf, denn der Kirchhof wurde so gänzlich vom Sande verschüttet, daß endlich ein neuer Friedhof angelegt werden mußte. Ich bahnte mir trotzdem einen Weg bis zur sandverdeckten, alten Kirche und legte den Eindruck, welchen dieser Anblick auf mich machte, in einer Beschreibung nieder, die ich » Skagen« überschrieb.
Nach einigen Tagen Aufenthalt hier in der großartigen, wilden Natur, die mit ihren kreischenden Scharen von Vögeln ganz gut den Hintergrund für die » Vögel« des Aristophanes Aristophanes lebte Ende des 5. Jahrh. v. Chr. in Athen als politischer Dichter; von seinen Komödien sind auf uns nur 11 bewahrt worden, die vielfach in's Deutsche übertragen sind. In seiner Komödie » Ornithes« (die Vögel) sucht er auf satirische Weise auszuführen, daß an eine Besserung Athens nicht zu denken und es daher am besten sei, einen andern Ort aufzusuchen. Der Uebers. hätte abgeben können, wandte ich mich wieder südwärts auf meinen Heimweg. Einer meiner jungen jütländischen Freunde und des Pastors Schwägerin begleiteten mich. Die hochgehenden Wogen waren zu gefährlich, als daß wir am Ufer hin hätten fahren können: wir waren gezwungen, unsern Weg durch den tiefen Sand zu nehmen und kamen daher außerordentlich langsam vorwärts. Ich plauderte und erzählte von fremden Ländern, die ich gesehen hatte, sprach von Italien und Griechenland, von Schweden und der Schweiz. Der alte Postillon lauschte begierig und sagte mit einer Art von Verwunderung: »Aber wie kann so ein alter Mann, wie Sie, damit zufrieden sein, so herumzubummeln?«
Ich fragte fast ebenso verwundert: »Finden Sie mich so alt?« – »Sie sind in der That ein alter Mann,« antwortete er. – »Wie alt schätzen Sie mich denn?« fragte ich. – »Nun, doch an die achtzig.« – »Achtzig!« rief ich aus. »Das Reisen hat mich gewiß angestrengt; sehe ich denn kränklich aus?« – »Ja, Sie erscheinen erschrecklich mager,« sagte er. Dickleibigkeit war seine Vorstellung einer guten Gesundheit.
Ich sprach von dem neuen, schönen Leuchtthurm in Skagen. »Der König müßte ihn sehen!« meinte der Postillon, und ich fügte hinzu: »Ich werde dem König davon erzählen, wenn ich mit ihm spreche.« Auf das hin lächelte der alte Bursche meine Reisegefährten an: »Wann der mit dem König spricht!« – »Ja, ich habe oft mit dem König gesprochen,« antwortete ich, »ich habe sogar auch schon mit dem König gespeist.« Da legte der alte Kutscher seine Hand an die Stirn, schüttelte den Köpf und lächelte schlau: »Der hat mit dem König gespeist!« Er dachte wol, ich sei ein wenig verrückt.
Von Frederikshavn, dessen Umgebungen eine außerordentlich liebliche Parthie Dänemarks bilden, mit den Haiden, Wäldern, Kornfeldern und dem offenen Strande, kam ich wieder nach Aalborg, wohnte auch wieder im Aalborghuus, wo ich abermals mit Bewillkommnungsgesängen geehrt wurde; es erschien wie ein Traum, wie ein lieblicher Traum, der mich glücklich machte und für den ich dem lieben Gott dankbar war. Ueberall sah ich milde Augen, warme Herzen und prachtvolles, sonniges Wetter in dieser wechselvollen jütländischen Natur. Auf dem Wege zwischen Randers und Wiborg entfloß meinem Herzen während der Fahrt das Lied: »Jütland«, das unser tüchtiger Komponist Heise so reizend in Musik setzte, daß es bald über ganz Dänemark erklang. Auf dem Gute Asmild-Kloster Ein 1163 von Wiborg verlegtes Nonnenkloster, das in Folge der Reformation von der Krone eingezogen wurde. Der Uebers., nahe bei Wiborg, trugen Freunde liebenswürdig für meine Unterhaltung Sorge und verschafften mir manchen heiteren Tag; aber der beste und unerwartetste Gruß wurde mir am Morgen meiner Abreise zu Theil. Ich war etwa eine Meile auf der Landstraße von Wiborg vorwärts gekommen, als ich am Wege eine junge Dame sah, mit der ich schon in Asmild-Kloster zusammengetroffen war, und daneben eine zweite. Da hält mein Kutscher die Pferde an, und ich bemerke sechs junge, hübsche, jungfräuliche Kinder, die dastanden und mich mit Blumenbouquets in der Hand erwarteten. Eine ganze deutsche Meile waren sie am frühen Morgen gegangen, um mir Lebewohl zu sagen, was sie in der geschäftigen Stadt nicht hatten thun mögen. Ich war gänzlich überrascht und tief gerührt, drückte aber meine Dankbarkeit nicht so aus, wie ich es hätte müssen; in der Ueberraschung sagte ich nur: »Meine theuren Kinder, daß Ihr so weit gegangen seid, um mich aufzusuchen! Gott segne Euch! Dank! tausend Dank!« und in demselben Athem rief ich dem Kutscher zu: »Fahr zu! fahr zu!« Ich war zu ergriffen und suchte darüber hinweg zu kommen; aber es war nicht der rechte Weg, meine Freude und meinen Dank zu zeigen; es war eine Art linkischer Verlegenheit.
Das Resultat meiner Reise nach Jütland selbst zeigte sich zu Weihnachten, als ich » Eine Geschichte von den Dünen« Siehe Band I. der Märchen Seile 76. Der Uebers. veröffentlichte, die sehr gut aufgenommen wurde; nur ein Kritiker dieses Buches war der Meinung, daß man sich sicherlich sehr enttäuscht finden würde, wenn man, nachdem man diese letzten Schilderungen und meine Skizzen aus Skagen gelesen hätte, einen Ausflug dahin machte in der Erwartung, ein so poetisches Land, wie ich es geschildert hatte, anzutreffen. Indessen erfreute mich der Besuch des Conferenzraths Brinck-Seidelin Ludwig Christian Brinck-Seidelin, geboren auf dem Gute Eriksholm am Isefjord den 20. December 1787, gestorben den 1. Juli 1865, wurde 1806 Student und vollendete seine juristischen Studien 1813, worauf er in die alte dänische Rentekammer als Beamter eintrat. 1815 wurde er Amtsverwalter des Hjörring-Amts, das er 30 Jahre lang bekleidete; er kam 1845 nach Kopenhagen und trat als Generaldecisor und Chef der dänischen Rechnungskammer ein, ein Amt, das er 17 Jahre lang verwaltete. Als national-ökonomischer Verfasser trat er 1814 zuerst aus und die von Andersen angezogene höchst interessante Schrift über Hjörring-Amt erschien 1828. Auch als Politiker nahm er an den Arbeiten in den Ständeversammlungen Theil und namentlich vertrat er die liberalen Anschauungen. Anfangs der 30er Jahre trat er als Vorkämpfer für die volle bürgerliche Freiheit der Juden in Dänemark auf, die auch 1834 durchgesetzt wurde. Er war Vorsitzender vieler philanthropischen und alles Gute und Schöne fördernden Gesellschaften und zeichnete sich durch große Wolthätigkeit aus. Der Uebers., eines Mannes, der am besten die Wahrheit dessen, was ich geschrieben, beurtheilen konnte, da er selbst eine ausgezeichnete Skizze von Skagen in seiner Beschreibung vom Hjörring-Amte gegeben hatte. In der wärmsten Art dankte er mir für die Genauigkeit und Wahrheit, mit der ich die Natur dieser Landschaft dargestellt hatte. Vom Geistlichen in Skagen erhielt ich einen Brief mit Dankesworten für die betreffenden Naturschilderungen und ausschließlich deshalb, weil sie so wahr wären. Er fügte hinzu: »Ich werde es jetzt auch glauben und den Fremden erzählen, wenn sie kommen und auf dem Hügel der im Sande begrabenen Kirche stehen: » Jörgen liegt dort drinnen begraben.« Die Pointe des oben angezogenen Märchens. Der Uebers.
Weihnachten sollte in dem theuren, heimischen Basnäs zugebracht werden; aber ich mußte, wie immer, erst Ingemann besuchen. Am Morgen des 17. Dezember brach ich auf; auf der Eisenbahn kam die traurige Nachricht: » das Schloß Frederiksborg steht in Flammen!« Die Erinnerung an meinen letzten Besuch daselbst trat wieder frisch in mein Gedächtniß, wie ich – ich erzählte es früher – dort in der königlichen Barke segelte, und während die untergehende Sonne den Horizont entflammte, vortrug, »was der Wind von Waldemar Daa erzählte, von Reichthum und Hoheit, welche dahin fahren!«
Bei Ingemann's erhielt ich einen Brief von König Max von Bayern. Er schrieb, daß er, als ich das Jahr zuvor auf dem Starenberger-See, im Königsboote, einige meiner Märchen vorgelesen, den Entschluß gefaßt hätte, mich zu einem seiner Maximiliansritter zu ernennen. Die Hindernisse, welche damals im Wege standen, waren nunmehr beseitigt, und er sandte mir diesen hohen Orden, Der bekannte Schriftsteller Edmund Lobedanz, ein geborner Schleswiger, der seit 1847 in Kopenhagen lebt und sich außer seinen eigenen Dichtungen einen Namen als Uebersetzer gemacht hat, bemerkt in seinen » Erinnerungen an Andersen« (Erindringer an H. C. A.), die er 1878 in der dänischen illustrirten Zeitung »Nutiden« (die Gegenwart) veröffentlichte, daß Andersen von sieben Fürsten Orden erhalten habe, »freilich wol in den meisten Fällen nicht ohne sein eigenes Zuthun, nämlich durch Vorlesen seiner Märchen, – aber ich vermag nicht daran zu glauben, daß er durch das Vorlesen der plumpen und unbeholfenen, unter seinem Namen herausgegebenen deutschen Uebersetzung – die gänzlich der Grazie ermangelt, durch die das dänische Original mit seinem meisterlich durchgeführten mündlichen Erzählerton sich auszeichnet – wirklich im Stande gewesen sein sollte, einen tieferen oder reinen Eindruck hervorzurufen. Indessen hat er,« fährt Lobedanz fort, »unter allen Umständen alle diese Orden verdient, mehr als viele Andere.« Der Uebers. den der König für Kunst und Wissenschaft gegründet hatte. Auf dem Orden befindet sich, wenn er für Dichter und Künstler bestimmt ist, das Bild eines Pegasus; wenn für Männer der Wissenschaft, Minerva's Eule.
Ich wußte, daß er in München an den Dichter Geibel, den Maler Kaulbach und den Chemiker Liebig verliehen worden war. Man hat mir gesagt, daß die ersten Fremden, welche diesen Orden erhalten haben, der Franzose Arago und der dänische Dichter Andersen gewesen seien.
Die Schätzung des edlen kunstliebenden Königs machte mich glücklich. Ingemann und seine Frau theilten meine Freude, und bevor ich ihr Haus verließ, kam noch ein anderes Zeichen, eine dänische und glänzende Anerkennung, von der Ingemann in freundschaftlicher Weise immer bedauerte, daß sie noch nicht erfolgt war. Jetzt hatte ich auch diese erreicht.
Gleich nach meiner Rückkehr aus Jütland ging ich eines Tages außerhalb der Stadt spazieren, auf dem Wege traf ich Bischof Monrad Ditlev Gothard Monrad, geboren den 24. Novbr. 1811 in Kopenhagen, besuchte die Gelehrtenschule in Wordingborg und wurde 1830 Student der Theologie. Er studirte daneben die deutsche Philosophie, Kant, Fichte, Schelling, Hegel u. s. w., sowie die morgenländischen Sprachen. 1838 vertheidigte er zur Erlangung des Magistergrades eine Abhandlung über die semitischen Sprachen, was ihm zugleich ein Stipendium zu einer Reise in's Ausland einbrachte, von der er 1839 zurückkehrte, und von dieser Zeit an datirt seine freisinnige politische Wirksamkeit. 1846 wurde er zum Geistlichen einer ländlichen Gemeinde auf der Insel Lolland ernannt; am Ende desselben Jahres wurde er Ständedeputirter und nach Frederik VII. Regierungsantritt (18. Januar 1848) trat er am 20. März in der unglückseligen Casino-Versammlung als scharfer Gegner der schleswig-holsteinischen Forderungen auf; er nahm am Tage darauf Theil an dem Volkszuge nach der Christiansborg, um die Entlassung des Ministeriums zu fordern und trat dann als Kultusminister in das sog. Casino-Ministerium ein, das bereits im November 1848 zurücktrat. Er wurde im Februar 1849 zum Bischof des Lolland-Falster-Stifts ernannt. Er wurde in das Folkething gewählt, wo er durch seine große Rednergabe und schneidende Dialektik den hervorragendsten Einfluß ausübte und das Ministerium Bluhme (1852) auf's Aeußerste bekämpfte. Er wurde in Folge dessen vom Kultusminister A. S. Oersted 1854 abgesetzt, aber 1855, als das Ministerium gestürzt war, Oberdirektor des Schulwesens in Dänemark und Departementschef und schließlich Direktor des Kultusministeriums (1858). 1859 trat er dann in das Ministerium Hall als Kultusminister ein. Gleich nach Frederik VII. Tode, wo die Politik der Regierung auf einen entscheidenden Krieg mit Preußen und Oesterreich hinarbeitete, bildete er im December 1863 ein neues Ministerium, dessen Conseilpräsident er wurde, außerdem das Portefeuille der Finanzen und die Verwaltung der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg übernahm. Der Krieg mit Deutschland brach aus und die Resultate desselben sind viel zu bekannt, um ihrer hier zu erwähnen. Am Tage des Friedensschlusses (Juli 1864) nahm er seinen Abschied. Er wanderte mit seiner Familie nach Australien aus, kehrte jedoch von Sehnsucht getrieben nach 3 Jahren wieder in's Vaterland zurück, und ward bald darauf Pastor einer kleinen Gemeinde auf der Insel Amager, und nach dem Tode seines Nachfolgers im Bischofs-Amte, wiederum Bischof des Falster-Lollandschen Stifts. Er hält sich – außer seiner literarischen Thätigkeit – von aller politischen Wirksamkeit fern. Der Uebers., der damals Kultusminister war.
Wir kannten uns einander seit einer langen Reihe von Jahren; als junge Studenten lebten wir in demselben Hause und er besuchte mich damals oft. Später, als er Pastor auf der Insel Falster war, und ich auf dem Wege von dem schönen Landsitze Coselitze Das Gut Corselitze auf Falster ist ein alter Herrensitz, von dem schon die Dokumente aus der Zeit Waldemars des Siegers sprechen. 1766 kaufte es der Prinz Carl von Hessen, der es wieder an den Generalmajor Johan Frederik von Classen (1725-92) verkaufte. Dieser erwarb noch andere Güter dazu und machte daraus ein Fideicommis, das er für gewisse Zwecke bestimmte. In seinem Testament heißt es unter Anderem: »Mein Grundsatz ist, daß mein ganzer Nachlaß für alle Zukunft zu einem gesammelten Fond vereinigt werde, der Verwendung finden soll, theils um nützliche Menschen auszubilden zum Wohle des Staats, um Wissenschaft und Arbeitssamkeit zu unterstützen und zu befördern, Armuth und Elend zu helfen und zu hindern.« – Das Vermögen, das sich jetzt auf mehrere Millionen beläuft, steht unter einer vortrefflichen Verwaltung, die schon viel Nutzen geschaffen hat. Der Uebers. mich befand, eines Sturmes wegen aber nicht von der Insel wegkonnte, brachte ich ein paar freudenreiche, geistanregende Festtage bei ihm und seiner Familie zu. Seitdem verkehrten wir nicht mit einander. Jetzt hielt er mich an und sagte, daß die Dichtergage oder Pension von 600 Reichsthalern 1350 Reichsmark. Der Uebers., die ich jährlich vom Staate bezog, viel zu klein sei; daß ich 1000 Reichsthaler 2250 Reichsmark. Der Uebers. haben sollte, dasselbe, wie die Dichter Henrik Hertz, Christian Winther und Paludan-Müller. Es war eine frohe Ueberraschung, doch war ich bestürzt; ich drückte seine Hand und sagte:
»Ich danke Ihnen! Ich brauche es in der That; ich werde ja alt. Das Verfasser-Honorar bei uns ist, wie Sie wissen, ziemlich gering. – Deshalb Dank, meinen herzlichsten Dank; aber mißverstehen Sie mich nicht, wenn ich sage, was Sie selbst fühlen werden, daß ich Sie niemals daran erinnern werde, was Sie gesagt haben – ich vermag das nicht!« – Wir trennten uns; lange Zeit hörte ich nichts mehr davon, bis jetzt, während meiner Anwesenheit bei Ingemann, wo die Zeitungen die Nachricht brachten, daß im Folkething (der zweiten Kammer) des Reichstags beschlossen worden sei, meine Pension von 600 Reichsthaler auf 1000 Reichsthaler zu erhöhen. Der liebe Ingemann brachte bei Tisch vor lauter Freude und Vergnügen meine Gesundheit in launevollster und herzlichster Weise aus, und meine Freunde sandten mir ihre Glückwünsche; mit tiefer Demuth fühlte ich, daß ich ein Glückskind sein müsse, immer beschützt und beschirmt, und ich wurde besorgt, wie es mir oft begegnet ist: daß solches Glück nicht dauerhaft sein könne, und daß sehr bald Sturmwogen, Tage der Trübsal nahen müßten.
Am Weihnachtsabend war ich in Basnäs, wo der Christbaum nicht nur für die Gäste des Hauses angezündet wurde; es war auch einer da für die armen Kinder des Gutes. Ihr Baum war ebenso reich und strahlend, wie der unsrige. Frau Scavenius hatte ihn selbst aufgeputzt und jedes Licht selbst angesteckt. Ich hatte Figuren ausgeschnitten und befestigt, die von den grünen Zweigen herabhingen; ein Tisch war darunter aufgestellt mit solchen Christfestgeschenken, wie sie besonders den Müttern armer Kinder zusagen: Tuch zu Kleidern, Leinen zu Unterkleidern, und manche andere nützliche Dinge. Die Armen wurden wol bewirthet und hatten einen glücklichen Abend, wir hatten mehrere. Der Schnee fiel: die Schlittenglocken erklangen, die wilden Schwäne sangen am Seeufer: es war draußen hübsch, und drinnen gemüthlich. Die Jugend tanzte, bis der Morgen anbrach. Aus der Nachbarschaft, und aus meilenweiter Ferne waren Verwandte und Freunde eingeladen. Von dem nahen Borreby, dem ehemaligen Schlosse des Ritters Waldemar Daa, kam die Familie des jetzigen Besitzers sammt deren Gäste: unter ihnen befand sich Einer, den ich mich besonders freute wiederzusehen; es war der Romandichter Saint-Aubain, der unter dem Pseudonym Carl Bernhard als Autor weithin bekannt ist. Andreas Nicolai de Saint Aubain, einem französischen Geschlecht entstammend, ist geboren in Kopenhagen den 18. November 1798, wo er am 25. November 1865 starb. 1819 wurde er Student, vollendete aber nicht sein Studium aus Lust zur Unabhängigkeit, die eine charakteristische Seite seines ganzen Lebens ausmacht, da er die diplomatische Bahn zu betreten mehrfach Gelegenheit hatte. Auf seine Entwickelung als Dichter wirkte der Verkehr mit Schöngeistern jener Zeit, die in seinem Elternheim aus- und eingingen, als Luise von Hegermann-Lindenkrone, Oehlenschläger, Heiberg Vater und Sohn und Frau Gyllemborg, die berühmte Verfasserin der »Alltagsgeschichten«. 1828 trat er zum ersten Male mit einer Novelle »Nummer sieben« auf, die sehr ansprach. Dann folgten Erzählungen aus dem Alltagsleben, in welche Periode sein Roman »der Günstling des Glücks« fällt, der seinen Ruf als Dichter befestigte. Dann ging er zu den geschichtlichen Romanen über. Seine Pseudonymität, die er unter dem Namen Carl Bernhard barg, hat er niemals officiell abgelegt; er mußte sich sogar, als er die dem Norden eigenthümliche Dichtergage bezog, der Vermittelung des Gebeimraths Jonas Collin bedienen, um diese zu heben. Der Uebers. Seine frischen, geistreichen, lebensvollen Schilderungen, und sein Charakter, eine so wahre dänische Natur, verschafften ihm einen hervorragenden Platz als Schriftsteller. Ueberdies war er freundlich und liebenswürdig, immer bereit zu helfen und Opfer zu bringen; kaum dürfte man es glauben, daß er schon in die sechzig war, so jugendlich erschien sein Aeußeres; er war unter den Tänzern und war unter den Erzählern, und mir gegenüber offen, herzlich, lächelnd über die Kleinlichkeiten der Welt, aber auch glücklich über den Segen, den er in derselben fand.
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