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Vierzehntes Capitel.
Von Januar 1848 bis März 1851.

König Christian s VIII. Tod. – König Frederik VII. und der Schleswig-Holsteinische Krieg. – Brief an Mr. Jerdan in dieser Veranlassung. – Der Enthusiasmus der jungen dänischen Soldaten. – Der Herrensitz Glorup erhält Einquartirung von Schweden. – Der »Nordische Telegraph« in Leipzig. – Abreise der Schweden. – Intervention zu Gunsten eines deutschen Gefangenen in Kopenhagen. – Mein Roman »Die beiden Baronessen« erscheint. – Hundertjähriges Jubelfest des dänischen National-Theaters. – »Die Dannewirke der Kunst«. – »Die Hochzeit am Comersee«. – Der Capellmeister Gläser. – Frederike Bremer's Besuch in Kopenhagen. – Bischof Martensen. – Das Linienschiff »Christian VIII.« springt in die Luft. – Lieutenant Ulrich. – Reise nach Schweden. – Götaborg (Gothenburgl. – Commerzienrath Wist. – Die Schriftstellerin Frl. Bolander. – Der Trollhätta-Wasserfall. – Kanalreise nach Stockholm. –Dr. Leo. – Der Componist Adolf Lindblad. – Die Oper »Königin Christine«. – Literaturgesellschaft in Stockholm. – Baron B. von Beskow. – Audienz bei König Oscar I. – Upsala. – Besuch der königlichen Familie. – Prinz Gustaf. – Die Prinzessin Eugenie. – Der Kronprinz (Carl XV.). – Prinz Oscar (der jetzige König). – Emilie Flygare-Carlén. – Die Schriftstellerin »Wilhelmina« (Stâberg). – Die Schauspielerin Strandberg. – Der Dichter Mellin. – Der Schriftsteller I. G. Carlen. – Der Lustspieldichter Jolin. – Die Opernsänger Strandberg, Wallin und Günther. – Nach Dalarne (Dalkarlien). – Der Dichter Fahlkranz. – Der Dichter C. W. Böttiger († 22. Dezember 1878), Tegner's Schwiegersohn. – Der Dichter Wennerberg. – Der Dichter Atterbom. – Reise in Schweden. – Prof. Schröder. – Leksand. – Der Maler Prof. Marstrand. – »Was die Halme erzählten«. – Falun. – Geste. – Dannemora. – Die Königsgräber in Alt-Upsala. – In Upsala. – An den Gräbern schwedischer Dichter. – Rückkehr nach Stockholm. Einladung zu Hofe. – Graf Saltza. – Heimreise. – Der Componist Josephson. – Besuch bei Graf Saltza, der die Geschichte der Kaiserin Katharina I. von Rußland erzählt. – Eine deutsche Gouvernante. – Linköping. – Der Dichter Ridderstad. – Motala. – Graf Hamilton. – Trollhätta. – Gothenburg. – Das Seebad Marstrand. – Mein Buch »ZuSchweden« erscheint. – Die Kritik in Schweden, Dänemark und England darüber. – Mary Howitt wird mir böse. – In Weimar. – Oehlenschläger s Tod. – Die Theater in Kopenhagen. – Das Casino-Theater. – Capitain Georg Carstensen. – Der Schauspiel-Direktor Lange. – Die Zauber-Comödien: »Mehr als Perlen und Gold« und »Ole Luköje« (Der Sandmann). – Brief von H. C. Oersted. – Oersted's »Geist in der Natur«. – Schlacht bei Idsted. – Oberst Lässöe. – Geheimrath Collin zieht sich in's Privatleben zurück (s. das Portrait). – Frau Hartmann's und H. C. Oersted's Tod.


 

Das Jahr 1848 brach an. Ein merkwürdiges Jahr, ein vulkanisches Jahr, in welchem die großen Zeitwogen auch blutig über unser Vaterland hinrollen.

Schon in den ersten Tagen des Januarmonats erkrankte König Christian VIII. Das letzte Mal, als ich ihn sah, war an einem Abend, zu welchem ich durch ein Schreiben zum Thee bei ihm eingeladen war, mit der Bemerkung, irgend etwas mitzubringen, um Sr. Majestät vorzulesen. Außer dem König fand ich auch die Königin anwesend, sowie eine Hofdame und einen Cavalier. Der König begrüßte mich so herzensmild und freundlich, allein er verblieb auf dem Sopha in sitzender Stellung. Ich las ein paar Capitel aus meinem damals noch nicht vollendeten Roman » Die beiden Baronessen« vor, außerdem noch zwei oder drei Märchen. Der König schien dadurch sehr erheitert, lachte und sprach lebhaft und theilnehmend. Als ich mich später verabschiedete, nickte mir der König sehr heiter und freundlich von seinem Lager zu, und die letzten Worte, die ich ihn sprechen hörte, waren: »Wir sehen uns bald wieder!« Dies geschah jedoch nicht. Er wurde sehr krank. Ich fühlte eine Unruhe, eine Angst, daß ich ihn, meinen Wohlthäter, verlieren würde, und ging täglich hinaus nach der Amalienborg, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen. Bald wurde es zur Gewißheit, daß die Krankheit seinen Tod herbeiführen würde. Ich kam mit dieser Nachricht innig betrübt zu Oehlenschläger, der, wunderbar genug, noch nicht wußte, daß des Königs Leben in Gefahr schwebte. Oehlenschläger sah meine Betrübniß und brach in Thränen aus, denn sein Herz hing innig an den König! Am nächsten Vormittag begegnete ich auf der Treppe der Amalienborg Oehlenschläger, sich auf Christiani Christiani war ein geborner Holsteiner. Er hatte in Kiel Jurisprudenz studirt und war bei Christian VIII. eine Art juristischer Rathgeber bei Ordnung der Erbfolge und anderen Schleswigschen und Holsteinischen Angelegenheiten. Er hatte vom Könige den Titel »Professor« erhalten und mehrere Schriften in der schleswig-holsteinischen Sache veröffentlicht. Soviel mir bekannt, war er von Christian VIII. zum Domherrn in Lüneburg ernannt und zog sich nach 1850 dahin zurück, wo er auch 1856 gestorben sein soll. Der Uebers. stützend. Sie kamen gerade aus dem Vorgemach. Oehlenschläger war blaß, sprach kein Wort, drückte mir im Vorübergehen die Hand und Thränen standen in seinen Augen. Der König war von den Aerzten bereits aufgegeben.

Am 20. Januar war ich mehrere Male im Palais gewesen; ich stand des Abends im Schnee auf dem Platze vor demselben und blickte zu dem Fenster hinauf, hinter welchem mein König sterbend lag. Um 10¼ Uhr war er entschlafen.

Am nächsten Morgen stand das Volk vor dem Palais, denn drinnen lag Christian VIII. todt! Ich ging heim und weinte, tief und innig betrübt über seinen Verlust, denn ich hielt unendlich viel von ihm, den ich jetzt in dieser Welt verloren hatte!

In tiefem Kummer und recht aus der Fülle meines Herzens schrieb ich über ihn einige Strophen; allein die Zeile in diesen:

»Das Tüchtige Du schätztest und verstandest!«

wurde mir gehässig ausgelegt, denn man deutete es als eine Anspielung auf mich selber.

Ganz Kopenhagen war in Bewegung. Eine neue Ordnung der Dinge brach an. Am 28. Januar wurde die freie Verfassung verkündet.

Christian VIII. lag auf seinem Paradebett. Auch ich kam dorthin, ich sah ihn und wurde so schmerzlich bewegt, daß ich in eins der anstoßenden Zimmer geführt werden mußte.

Am 25. Februar wurde des Königs Leiche nach Roeskilde gebracht und dort in der Domkirche beigesetzt. Ich saß in meinem Heim und hörte die Glocken läuten.

Durch ganz Europa gingen große Bewegungen. Die Revolution brach in Paris aus: Louis Philipp verließ mit seiner Familie Frankreich. Gleich gewaltigen See'n ging die Empörung durch Deutschlands Städte. Hier daheim lasen wir nur davon – denn hier allein war noch die Heimat des Friedens, hier allein vermochte man noch frei zu athmen, daran zu denken, die Kunst, das Theater und alles Schöne aufzusuchen.

Aber der Friede dauerte nur kurze Zeit. Die großen Brandungen erreichten uns bereits. Der Aufruhr brach nunmehr auch in Holstein aus. Die Nachricht von demselben schlug gleich einem Blitzstrahl in die Gemüther nieder, und alle Welt kam in Bewegung.

Eine unglaubliche Menschenmasse sammelte sich in dem großen Casino, und am nächsten Morgen zog die von der Versammlung gewählte Deputation zum König Frederik. Ich stand auf dem Schlossplatz und sah die große Schar – bald war in der Stadt die Antwort des Königs und die Verabschiedung des Ministeriums bekannt.

Ich war in verschiedenen Kreisen Zeuge des höchst verschiedenen Eindrucks der Begebenheiten. Durch die Straßen zogen am Tage und des Abends große Volksscharen, patriotische Lieder singend. Es kamen keine Excesse vor, allein es lag etwas Unheimliches darin, diesen sonst fremden Horden, diesen mir unbekannten Gesichtern zu begegnen; es war, als ob ein ganz anderes Geschlecht plötzlich aufgetaucht war. Viele Freunde der Ruhe schlossen sich deshalb den Volksmassen an, um sie von Abwegen abzulenken. Ich selbst wurde von dem Ordnungscomité angenommen, mit für dieses Ziel zu wirken, um eine gute Ordnung in der Stadt wieder herzustellen. Und es war keine schwere Aufgabe, denn wenn der Haufe den Namen einer Straße oder eines Hauses rief, wohin man vielleicht ziehen wollte, um dort Ausschreitungen zu verüben, brauchte nur ein Einzelner wiederholt: »geradeaus!« zu rufen, und dann ging der ganze Haufen »geradeaus!« – Im Theater sang das Publikum, das Orchester mußte patriotische Melodien spielen. – Ueberall wurde verkündet, daß die Stadt illuminirt werden sollte, und, komisch genug, Diejenigen, die dem neuen Ministerium am wenigsten zugethan waren, setzten Lichte in die Fenster, natürlich um dem Einwerfen ihrer Fenster zu entgehen.

Die schleswig-holsteinische Deputation kam nach Kopenhagen. Die Erbitterung war groß gegen sie; allein der König hatte in seiner Proklamation an das dänische Volk gesagt: »Die Sicherheit der Schleswig-Holsteinischen Abgesandten vertrauen Wir der Ehre unseres dänischen Volkes an!«

Die Studenten hielten dieselbe aufrecht, indem sie unter die Volkshaufen traten und sie zur Besonnenheit aufforderten. Soldaten wurden in den Straßen, durch welche die Abgesandten nach dem Dampfschiffe sich begeben sollten, aufgestellt; die Volksmassen harrten hier ihrer, indessen führte man sie vom Schlosse nach dem hinter demselben belegenen Kanal und von dort nach dem Hafen, wo sie ohne bemerkt zu werden, an Bord gelangten.

Die Rüstungen wurden zu Wasser und zu Lande in's Werk gesetzt. Jeder half nach seinen besten Kräften. Einer unserer tüchtigsten Beamten kam zu mir und sprach den Wunsch aus, daß es gut sein würde, wenn ich durch die Presse in England, wo ich bekannt und viel gelesen sei, für unsere Sache plaidiren würde! Ich schrieb in Folge dessen sofort an Mr. Jerdan, dem Redacteur der » Literary Gazette«, worin mein Brief, der ein treues Bild der Stimmung daheim abspiegelte, augenblicklich aufgenommen wurde:

 

Kopenhagen, den 13. April 1848.

»Lieber Freund!

Es sind nur wenige Wochen verflossen, seit ich an Sie schrieb, und dennoch haben sich in der Zeitgeschichte bereits eine Reihe Begebenheiten abgespielt, als ob Jahre inzwischen verflossen wären. Politik ist niemals meine Sache gewesen, der Dichter hat eine andere Mission; aber jetzt, wo die Bewegung alle Lande durcheilt, so daß man nicht auf dem Erdboden stehen kann, ohne die Erschütterung bis in die Fingerspitzen zu fühlen, muß man davon sprechen. Sie wissen, wie es augenblicklich in Dänemark steht: Wir haben Krieg! Aber einen Krieg, der von dem ganzen begeisterten dänischen Volke geführt wird, einen Krieg, wo der Edelmann und der Bauer erfüllt von seiner gerechten Sache, sich freiwillig in die Schlachtreihe stellt. Es ist diese Begeisterung, die ich Ihnen erzählen will, dieser vaterländische Sinn, der die ganze dänische Nation erfüllt und erhebt.

»Das falsche Licht, in das die parteiführenden Schleswig-Holsteiner in einer Reihe von Jahren durch deutsche Blätter uns bei dem ehrlichen, tüchtigen deutschen Volke gesetzt haben, die Art und Weise, mit der der Prinz von Noer Siehe den vorigen Band Seite 339. Der Uebers. die Festung Rendsburg genommen hat, indem er sagte, daß der dänische König nicht frei sei und daß er in dessen königlichem Interesse handle, hat die Dänen empört, und wie ein Mann hat dieses Volk sich erhoben; alle Kleinlichkeiten des Alltagslebens verschwinden vor den großen, edlen Zügen. Alles ist in Bewegung, aber mit Ordnung und Einigkeit. Geldbeiträge strömen in reichem Maße von allen Ständen und Gesellschaftsklassen herbei, selbst der arme Handwerksgesell und das Dienstmädchen bringen ihr Scherflein. Man hörte, daß Mangel an Pferden sei, und in wenigen Tagen sandte man von den Städten und vom Lande eine solche Menge, daß der Kriegsminister jetzt bekannt gemacht hat, er habe für Pferde nunmehr keine Verwendung mehr. In allen Häusern zupfen die Frauen Charpie; in den oberen Klassen der Schulen arbeiten die Knaben mit, um Patronen anzufertigen. Die Meisten, welche Waffen tragen können, üben sich darin, diese gebrauchen zu lernen. Junge Grafen und Barone stellen sich als Gemeine in die Reihen der Soldaten, und dieses, namentlich, daß Alle in gleicher Liebe zur Vertheidigung des Vaterlandes sich stellen und die Waffen ergreifen, stärkt den Muth und die Begeisterung des Soldaten.

»Unter den Freiwilligen befindet sich ein Sohn des Statthalters in Norwegen, ein junger Mann, der zu den ersten Familien gehört. Er befand sich diesen Winter zum Besuch hier und wünschte, hingerissen von unserer gerechten Sache, Theil am Kampfe zu nehmen, konnte aber als Ausländer nicht angenommen werden. Da kaufte er sich augenblicklich einen dänischen Hof, meldete sich nun als dänischer Bürger, zog die Soldatenjacke an und ging als Gemeiner mit einem der abmarschirenden Regimenter, entschlossen nur von seinem Kommisbrod und seinen zwölf Schillingen täglich zu leben, kurz das Loos seiner Kameraden zu theilen. Und gleich ihm haben dänische Männer aus allen Ständen gehandelt. Der Gutsbesitzer und der Student, Reiche und Arme gehen mit und mit Gesang und Jubel wie zu einem Fest! Unser König ist selbst in das Hauptquartier des Heeres gezogen; er ist dänischen Herzens und ehrlich entschlossen, für die gute Sache zu handeln. Seine Leibgarde befindet sich mit ihm; ein Theil von dieser besteht aus Holsteinern, und diese wurden beim Abmarsch, auf Befehl des Königs, vom Kampf gegen ihre Landsleute befreit, allein Alle erbaten es sich als eine Gnade, mit in den Kampf ziehen zu dürfen. Und diese Erlaubnis wurde ihnen gewährt.

»Bis zu diesem Augenblick, und wir hoffen, auch für ferner, ist der Herr mit uns. Das Heer rückt schnell siegend vorwärts vor. Die Insel Alsen ist bereits genommen, wie auch die Stadt Flensburg. Wir stehen an der Holsteinischen Grenze und haben über tausend Gefangene gemacht. Die meisten dieser sind nach Kopenhagen gebracht worden und sind höchlichst aufgebracht über den Prinzen Noer, der ungeachtet seines Versprechens, Leben und Blut mit ihnen zu opfern, sie in der Schlacht bei Bau verließ, sie verließ, als die Dänen mit Schuß und Bajonnet in Flensburg eindrangen.

»In unserer Zeit gehen die Stürme des Wechsels durch die Lande, aber Einer über sie alle wechselt nicht: Das ist Gott, der Gerechte! Er ist für Dänemark, das nur sein Recht will, und es wird und muß erkannt werden. Die Wahrheit ist die siegende Macht bei Völkern und Nationen.

»Den Nationalitäten ihr Recht, dem Tüchtigen und dem Guten, jedem Fortschritt, das ist und muß Europa's Losung sein, und mit dieser sehe ich getrosten Muthes in die Zukunft. Die Deutschen sind ein ehrliches, wahrheitsliebendes Volk; sie werden zur Klarheit über die Verhältnisse bei uns gelangen, und ihre Erbitterung wird sich in Hochachtung und Freundschaft verwandeln. Möge dieser Gedanke sich bald erfüllen! Gott lasse sein Antlitz leuchten über alle Lande!

Hans Christian Andersen«.

 

Dieser Brief war einer der wenigen von hier aus geschriebenen, der durch viele englische Blätter ging.

Mehr als viele Andere litt ich seelisch, während dieses unglücklichen, uns aufgedrungenen Krieges. Ich fühlte in einem Grade wie niemals zuvor, wie fest an den Boden der Heimat ich gewachsen, wie dänisch mein Herz war. Ich hätte mich in die Schlachtreihen stellen und frohen Muthes mein Leben hingeben können, um zu siegen und zum Frieden beizutragen. Aber gleichzeitig ging mir auch lebhaft durch die Gedanken all' das Gute, das ich in Deutschland genossen hatte, die große Anerkennung, die man meinem Talent erwiesen und die vielen einzelnen Personen, die ich lieben, und deren ich dankbar gedenken mußte; ich litt daher unendlich! Und wenn dann manch' ein stark bewegtes Gemüth, gleichsam in der Ahnung dessen, was in meinem Innern vorging, sich mit Zorn und Bitterkeit gegen mich wandte, da war es oft mehr, als ich zu ertragen vermochte. Beispiele solcher Scenen will ich nicht anführen; es ist am besten, daß alle bitteren Worte aus jener Zeit dem Gedächtniß entschwinden und daß die Wunden zwischen den verwandten Völkern geheilt werden. Hier war es auch H. C. Oersted, der mein Gemüth erhob und von dem Herannahen besserer Zeiten sprach, welche Gottlob nun gekommen sind.

Es herrschte Zusammenhalten, es herrschte Liebe. Mehrere meiner jungen Freunde gingen als Freiwillige mit und unter ihnen Waldemar Drewsen und Baron Henrik Stampe. Oersted war von dem Gange der Begebenheiten tief bewegt und er schrieb in einem unserer Tageblätter drei Gedichte: » Der Kampf«, » Der Sieg« und » Der Friede«.

»Tief fühlen wir, der Feind unser Bruder ist,
Jahrhunderte mit uns verbunden;
Doch selbst er zwang uns zum blutigen Zwist,
Drum gilt's jetzt Sieg oder Tod, Ihr Jungen!«

Das war der Grundgedanke.

Die rothe Jacke Damals trug die dänische Armee rothe Uniform. Der Uebers. anzuziehen, war früher ein Schritt der wahren Verzweiflung. Der dänische Landsoldat war damals nur noch ein armer, wenig angesehener Mensch; jetzt gelangte plötzlich die rothe Jacke zu Achtung und Ehre. Mit dem rothbejackten Soldaten Arm in Arm gingen Damen in Seide und Flor. Einer der Ersten der höheren Stände, den ich in dieser Gestalt sah, war Lövenskjold, der Sohn des Norwegischen Statthalters, und ebenso der junge Graf Adam Knuth, der ganz kürzlich erst confirmirt worden war. Er verlor in dein Kampf durch eine Spitzkugel das eine Bein. Lövenskjold fiel wie auch der Maler Lundbye. Allein des Letzteren Tod wurde durch eine Unvorsichtigkeit herbeigeführt. Ich hörte Augenzeugen davon sprechen. Lundbye stand, melancholisch gestimmt, sich an sein Gewehr lehnend. Einige Bauern gingen vorüber, wo die anderen Gewehre dicht vor ihm ausgestellt standen und sie stießen dieselben um. Man vernahm einen Schuß und sah Lundbye zur Erde stürzen; er stieß ein paar schwache Laute aus und hatte ausgehaucht. Er wurde in eine Danneborgflagge eingehüllt und in die Erde gebettet.

Die Begeisterung der jungen Leute ergriff mich bis zu Thränen, und als ich eines Tages eine heitere Erzählung von jungen Herren hörte, welche früher mit Glacéhandschuhen einherschritten, nun aber mit rothen schwieligen Händen Schanzarbeiten verrichteten, da sprang ich empor und rief aus vollem Herzen: »Ich könnte Ihnen diese Hände küssen!« – Fast täglich zogen Scharen junger Leute nach dem Kriegsschauplatz. Ich begleitete einen jungen Freund zur Bahn, und als ich heimkehrte, schrieb ich das Gedicht:

»Ich kann nicht bleiben, ich habe keine Ruhe!«

das bald auf den Lippen der Menge ertönte, weil es aus der Fülle meines Herzens erklungen war.

»Die Osterglocken ertönten« – der unglückliche Ostertag Am 23. April 1848. Der Uebers. bei Schleswig brach an. Die feindliche Stärke überwand unsere Truppen. Schwerer Kummer lag über dem Lande; aber der Muth war nicht verloren, die Kräfte sammelten sich um so mehr. Der Eine schloss sich fester an den Andern an, das zeigte sich im Großen wie im Kleinen.

Die Preußen drangen in Jütland ein Im Mai 1848 unter Feldmarschall Wrangel. Der Uebers.. Unsere Truppen gingen nach Alsen. Mitten im Maimonat reiste ich nach Fyen und fand ganz Glorup mit unseren Truppen erfüllt, deren Hauptquartier Odense war. Auf Glorup lagen vierzig Mann, außer mehreren höheren Offizieren. Der General v. Hedemann hielt Manoeuvre in der Umgebung des Herrenhofes ab.

Alle Freiwilligen unter den Gemeinen wurden von dem alten Grafen Moltke-Hvitfeldt als Offiziere behandelt und hatten täglich Platz an seinem Tische. Die meisten der Offiziere hatten den Feldzug auf dem Continent mitgemacht und erzählten in lebhaftester Weise von dem Erlebten. Bald hatten sie das Nachtquartier auf offener Straße in einem Dorfe gehabt, wo sie mit dem Tornister unter dem Kopf längs der Häuser in Sturm und Regen schliefen; oder sie waren in kleinen Kammern zusammengepfercht, wo das Lager oft eine Kiste, die mit Messing beschlagen war, das sich in's Fleisch drückte, und dennoch schlief man aus Ueberanstrengung und Müdigkeit. Ein junger Arzt erzählte von seinem Marsch mit den Soldaten über die Haide. Hier wurde ihm eine Kirche als Lazareth angewiesen. Die Altarlichte wurden angezündet, halb finster aber blieb es doch. Nicht fern ertönten Signalschüsse: Der Feind kommt! Die ganze nächtliche, spannende Scene, Alles vernahm ich, als ob ich es selbst erlebt hätte.

Die Preußen waren bis hoch hinaus nach Jütland vorgedrungen. Sie verlangten als Kriegscontribution vier Millionen Thaler, und bald ertönte die Nachricht von einer neuen Schlacht.

Alle Gedanken und alle Hoffnungen richteten sich nunmehr auf die Schweden, welche uns zu Hilfe kommen sollten. In Nyborg sollten sie landen. Alles war zu einem festlichen Empfang vorbereitet.

Der Herrensitz Glorup erhielt 16 schwedische Offiziere mit ihren Burschen, dazu 20 Hautboisten und Unteroffiziere. Unter den Schweden befanden sich – als Curiosum führe ich dies hier an – vier Leute, die der Herzog von Augustenburg hatte stellen müssen, oder richtiger, sein Gut in Schweden mußte diese vier Mann gegen seinen eigenen Herrn liefern.

Alles jubelte den Schweden entgegen! Charakteristisch und hübsch war der echte Eifer, den die Haushälterin auf Glorup zeigte. Die große Einquartirung, zu der der Hof Platz schaffen mußte, gab ihr genugsam zu denken. »Man muß ein großes Bett für sie in der Scheune bereiten!« wurde gesagt. – »Die Leute sollen nicht auf Stroh liegen!« sagte sie; »nein, ich werde schon Betten schaffen! Kommen die Leute her, um uns zu helfen, dann sollen sie auch ein Bett haben!« Und sie ließ zimmern und sägen und aus Brettern und Thüren in aller Eile zwölf Bettstellen in zehn bis zwölf Zimmern bereiten, Bettzeug wurde auch herbeigeschafft; grob war es freilich, aber weiße Laken glänzten in ihrer »Kaserne«, wie sie die Scheune nannte. Ueber den Aufenthalt der schwedischen Soldaten auf Fyen, wie ich ihn auf Glorup erlebt habe, gab ich später eine Schilderung im »Nordischen Telegraphen« Ein Blatt, das während des Krieges vom damaligen Buchhändler Carl Lorck in Leipzig (jetzigem dänischen General-Consul daselbst) mit Unterstützung der dänischen Regierung herausgegeben und längere Zeit von Dr. A. F. Leo im dänischen Sinne redigirt wurde. Der Uebers.. Die Nationen im Norden verstehen, schätzen und lieben einander. Möchte dieser Geist der Einigkeit und der Liebe alle Reiche der Welt umfassen!

*

Den größten Theil des Sommers verbrachte ich auf dem Gute Glorup. Ich blieb dort während des Frühlings und des Herbstes und war daher Zeuge der Ankunft und der späteren Abreise der Schweden; jedoch nach dem Kriegsschauplatz kam ich nicht. Es trafen Leute auf Glorup ein, die von dort kamen, Neugierige und Verwandte, die ihre Lieben besuchten. Aber gleich einem Duft kamen doch erhebende Züge vom Kriegsschauplatz zu mir und gingen in meine Seele auf. Ich hörte von einer alten Großmutter, welche mit ihren Enkeln am Wege stand, als unsere Truppen vorüberkamen; sie hatten Sand und Blumen für sie auf den Weg gestreut und sie rief mit den Kleinen: »Gott segne die Dänen!« Ich hörte von einem Naturspiel erzählen, daß in dem Garten eines Bauern im Herzogthum Schleswig rothe Mohnblumen mit weißen Kreuzen wuchsen, ein vollständiger Danneborg. Einer meiner Freunde besuchte Alsen und ging von dort nach Düppel, wo alle Häuser durch Risse oder Löcher von Kanonenkugeln oder Kartätschen Zeugniß ablegten von dem stattgehabten Kampfe, und dennoch stand auf einem der Häuser das Symbol des Friedens, ein Storchnest, die ganze Familie enthaltend. Das starke Schießen, das Feuer und der Rauch hatten die Eltern nicht von den Jungen zu verjagen vermocht!

Spät im Sommer brachte die Post mir vom Ausland einen Brief von einer mir unbekannten Hand; aber sein Inhalt bewegte mich tief und gab mir zugleich Aufschluß darüber, wie oft und schnell die Begebenheiten sich im Auslande verbreiten. Der Brief war von einem hohen Beamten, dem Unterthan eines fremden Monarchen. Er schrieb mir, daß er mich niemals gesehen, nicht die geringste Bekanntschaft mit mir habe, und er glaube doch, durch meine Schriften, besonders durch die kleine Ausgabe » Das Märchen meines Lebens« zu wissen, daß er Vertrauen zu mir haben könne. Und nun erzählte er, daß in einer Morgenstunde sich in der Stadt, in der er wohne, das Gerücht verbreitet habe, daß die Dänen einen Angriff auf Kiel gemacht und die Stadt in Brand geschossen hätten. Die ganze Jugend kam dadurch in Bewegung und in der Begeisterung des Augenblicks zog auch sein jüngster Sohn mit anderen jungen Leuten von dannen, um den Bedrängten zu helfen. In der Schlacht bei Bau Am 9. April 1848. Der Uebers. wurde der junge Mann zum Gefangenen gemacht und auf dem Linienschiff »Königin Marie« untergebracht. Nach einem langem Aufenthalt daselbst befand er sich unter denjenigen Gefangenen, denen es gestattet war, das Schiff zu verlassen. Allein nachdem sie an's Land gekommen waren, hatten Einige Excesse verübt, so daß später auch den Anderen freie Bewegung nicht gestattet werden konnte, außer Denjenigen, für dessen gute Aufführung ein Kopenhagener Bürger die Verantwortung übernehmen wollte. Der Briefschreiber kannte nicht einen einzigen Menschen in Kopenhagen, ich sei der Einzige, den er durch meine Schriften dem Namen nach kenne, und daher nähre er Zutrauen und Hoffnung zu mir und bitte mich, die Bürgschaft für den Sohn zu übernehmen, der ein braver, herzensguter Mensch sei. Er bat mich gleichzeitig, diesen bei einer Kopenhagener Familie, »die die Deutschen nicht zu sehr hasse«, unterbringen zu wollen.

Dieses Vertrauen rührte mich, und ich schrieb dieserhalb augenblicklich an einen meiner einflußreichsten Freunde in Kopenhagen, legte den deutschen Brief ein, damit man aus demselben die Sache klar ersehen könne, so wie sie mir zugegangen war, und fragte nun an, ob man hiernach auf meine Verantwortung das Verlangte bewilligen und ich daher dem jungen Mann nützlich werden könne. Jede Stunde, die sich diese Sache verzögerte, wußte ich, war eine Stunde der Gefangenschaft, deshalb sandte ich sofort einen reitenden Boten mit Briefen in die nächste Stadt. Am Posttage darauf erhielt ich Antwort, daß es keiner Bürgschaft mehr bedürfe, da alle Gefangenen gerade während dieser Tage ausgeliefert und mit dem Dampfschiff nach Kiel gebracht worden wären. Ich war herzlich froh, des trauernden Vaters wegen, froh, gleich gethan zu haben, wozu mich mein Herz drängte, allein ich beantwortete den Brief nicht, denn dessen bedurfte es ja nicht. Der Mann hat niemals etwas von meiner Theilnahme erfahren, und erst hier in den gesegneten Tagen des Friedens sende ich ihm jetzt meinen Gruß, den früher zu bringen ich oft gedacht, und ich darf wol hinzufügen, daß ich durch seinen Brief tief gerührt wurde und gethan habe, was gewiß Viele meiner Landsleute gethan haben würden, wenn sie mit demselben Vertrauen beehrt worden wären.

Spät im Herbst verließ ich Glorup. Die Nähe des Winters brachte Stillstand in den Kriegsoperationen. Die anscheinende Ruhe wandte die Gedanken und die Wirksamkeit während einer kurzen Zeit zurück zu den gewohnten Beschäftigungen, und ich vollendete im Laufe meines Aufenthalts in Glorup meinen Roman » Die beiden Baronessen«, welcher durch diesen Sommeraufenthalt gewiß an Frische und Wahrheit, besonders was die Inselnatur betrifft, gewann.

Die englische Ausgabe dedicirte ich meinem englischen Verleger, dein ehrenwerthen und bekannten Richard Bentley.

Das Buch erschien und wurde nach Zeit und Umständen recht gut aufgenommen. In einem unserer Tageblätter vermischte man freilich den Roman und die Zeitbewegungen durcheinander, weil man es nicht für passend hielt, daß die alte Baronesse in der Freude über ihres Günstlings, des Kammerjunkers, Zufriedenheit mit London ein Hoch auf England ausbrachte, und man bemerkte, daß es zu früh sei, sie das thun zu lassen, da England noch nichts für uns Dänen gethan hatte.

Heiberg las dieses Buch. Er schrieb mir ein paar freundliche Worte und lud mich gleichzeitig mit mehreren Freunden zu sich ein. Bei dieser Gelegenheit brachte er einen hübschen Toast auf mich aus: »Für den Roman, den man erfrischt wie eine Frühjahrswanderung im Walde verläßt.« Das war das erste, wirklich herzliche Entgegenkommen, das ich während vieler Jahre bei diesem Dichter gefunden hatte. Es that mir daher wol, und »das Bittere wurde vergessen, das neue Gute bewahrt.«

Das hundertjährige Fest des dänischen Theaters sollte am 18. Dezember 1848 gefeiert werden. Heiberg und Conferenzrath Collin waren einig darin, mir die Abfassung des Vorspiels zu diesem Feste zu übertragen. Bournonville sollte ein Ballet aus derselben Veranlassung verfassen, und er componirte » Alte Erinnerungen« ( Gamle Minder). Man sah gleichsam in einer Laterna magica all' die malerischen Scenen in den Ballets des Repertoires. Mein Plan zum Vorspiel hatte den Beifall der Direction gefunden, da sie meine Idee, welche gänzlich auf dem Zeitgeist beruhte, vollkommen billigte. Ich wußte nur zu wol, mit welcher Stimmung die Leute damals in's Theater kamen, wußte, wie geringe Bedeutung es gerade jetzt für sie hatte, denn der Gedanke weilte drüben bei den Soldaten im Kriege; ich mußte in meiner Dichtung ihnen folgen und von drüben her versuchen, den Gedanken zu dem dänischen Schauplatz zurückzuführen, denn meine Ueberzeugung sagte mir, daß heutigen Tages unsere Stärke nicht im Schwert liege, sondern in der Tüchtigkeit des Geistes, und ich schrieb die » Dannewirke der Kunst« Der Name des Walles, den die Königin Margaretha zuerst südlich vor der Stadt Schleswig errichten ließ, daher hier die Bedeutung von »Bollwerk der Kunst!« Der Uebers., was in meinen gesammelten Schriften Aufnahme gefunden hat. Es wurde am Festabend mit großem Beifall aufgenommen; aber daß man es vor allen Abonnenten die Woche lang wiederholte, war ein Mißgriff. Man benutzte es als Zugmittel für eine ganze Woche. Am ersten Abend wurden die Leute ergriffen – aber nun kamen die Zeitungen und einige dieser warfen mir besonders vor, daß sich in dem Vorspiel ein unerträgliches Geplauder von Dänemark und Danneborg befinde, daß Andere uns loben müßten und nicht wir uns selbst, da es sonst klinge wie die Prahlereien des Jakob Thybo in Holberg's Komödie. – Ein anderes Blatt referirte das Vorspiel derartig, daß ich nicht recht wußte, ob der Referent es in Einfältigkeit oder aus bösem Willen geschrieben hat. Bei der vierten Vorstellung war es schon eine alte Geschichte; man applaudirte nicht mehr, und von dieser Vorstellung datirt sich die Anmeldung in der Monatsschrift » Nord und Süd«, dessen Redacteur Meïer Goldschmidt, der frühere Redacteur des »Corsaren«: s. S. 264 des vor. Bandes. Der Uebers. mit meiner Dichtung nicht zufrieden war. Dennoch hatte sie die Wirkung, die sie hervorbringen sollte, und ich halte noch immer die Idee und die ganze Form für glücklich und als die einzig richtige während dieser Tage und während der gedrückten Stimmung des Volkes.

Im Januar 1849 kam » Die Hochzeit am Comersee« zur Aufführung, und nun wurde der Componist Gläser Der Componist Franz Joseph Gläser, geboren den 19. April 1799 in Obergeorgenthal in Böhmen, gestorben in Kopenhagen den 29. August 1861, war der Sohn eines armen Musikers, der ihm den ersten Unterricht in Musik und Gesang ertheilte. 1810 kam er wegen seiner herrlichen Stimme nach Dresden, wo er in der dortigen berühmten Hofkapelle Platz fand und vom Kammersänger Miksch weiter ausgebildet wurde, dem später der berühmte Componist Bellini folgte, der damals Director der italienischen Oper in Dresden war. Gleichzeitig erhielt er Anleitung in der Harmonie- und Compositionslehre vom Violinisten Franz Schubert und dem italienischen Componisten Francesco Morlacchi. Im 16. Jahre verlor er seine ausgebildete schöne Stimme und warf sich nun ausschließlich auf die Musik, besuchte das Conservatorium in Prag unter Dionys Weber und wurde vom Violinvirtuosen Friedrich Wilhelm Pixis zu einem tüchtigen Violinisten ausgebildet. 1817 ging er nach Wien, um sich als Componist unter Ignatz von Seyfried, Musikdirector am Theater an der Wien, und dem Gelehrten der Musik, dem kaiserlichen Kapellmeister Heydenreich, auszubilden, welch' Letzterem es durch seinen Einfluß gelang, seine erste Composition »Bärenburg's Sturz« im Leopold'schen Theater, das von Marinelli geleitet wurde, zur Aufführung zu bringen, die so viel Glück machte, daß Gläser erst als Vice-Kapellmeister und dann als erster Dirigent von Marinelli angestellt wurde. Seine ferneren Opern machten Glück und als sein Freund Carl Hensler, der die Texte für ihn schrieb, das Josefstädtische Theater übernahm, folgte Gläser ihm und während seines 13jährigen Aufenthalts in Wien, wo er schließlich vom Director Carl für das Theater an der Wien wieder gewonnen wurde, lieferte er ca. 90 verschiedene Compositionen, von denen mehrere 100 Vorstellungen erreichten. 1830 kam er nach Berlin an's Königstädtische Theater unter Cerf, für das er »Die Brautschau«, »Der Bernsteinring«, » Des Adlers Horst« (seine bekannteste Oper), »Aurora«, »Der Rattenfänger von Hameln« u. a. m. componirte. Ein Anerbieten, eine königliche Anstellung mit Pensionsberechtigung zu erhalten, veranlagte Gläser Berlin mit Kopenhagen zu vertauschen) wo er die Stellung als erster Kapellmeister am königlichen Theater einnahm. 1843 wurde er Hof-Kapellmeister und 1851 erhielt er den Professortitel und componirte für die dänische Bühne das von Andersen verfaßte Libretto » Die Hochzeit am Comersee«, Oper in 3 Acten, »Der Nix« in 1 Act und »Der vergoldete Schwan« in 1 Akt. Seine letzte Composition war ein Festmarsch, König Frederik VII. dedicirt. Der Uebers., dem man lange Gleichgiltigkeit, ja, Ungerechtigkeit erwiesen hatte, sehr gewürdigt und seine Musik mit stürmischem Beifall aufgenommen. Die Recensionen waren sehr anerkennend für ihn. Seine Musik und Bournonville's Balletarrangement wurden belobt, allein meiner wurde gar nicht erwähnt. Dagegen sprach Gläser sich mit Wärme und innigen Worten über die Ehre aus, zu deren Erreichung ich so wesentlich mitgewirkt hätte.

Ungefähr zur Weihnachtszeit war Fredrike Bremer zum ersten Mal nach Kopenhagen gekommen. Ich war der Einzige, den sie persönlich kannte, und ihre übrige Bekanntschaft beschränkte sich auf einen Briefwechsel mit dem gegenwärtigen Bischof Martensen Der gegenwärtige Primas der dänischen Staatskirche, der Bischof Hans Lassen Martensen ist am 19. August 1808 in Flensburg geboren, wo sein Vater Schiffer war. Nach dessen Tode kam er mit seiner Mutter nach Kopenhagen, um dort – trotz der geringen Mittel – die Schulen zu besuchen und zu studiren. 1827 wurde M. Student und absolvirte bereits 1832 seine theologischen Examina mit Auszeichnung. Von großem Einfluß auf ihn war Schleiermacher, den er 1833 persönlich kennen lernte, als jener in Kopenhagen predigte, und Hegel, dessen System ihn mächtig ergriff und dessen Philosophie damals gerade durch I. L. Heiberg in die dänische Literatur eingeführt worden war. 1834 trat M. eine zweijährige Reise in's Ausland an. Den ersten Winter verlebte er in Berlin, wo er sich an Henrik Steffens (s. vor. Bd. S. 330) und Marheinike anschloß. Dann weilte er während des Sommers 1835 in Heidelberg, wo er seine Studien unter Daub fortsetzte. Im Winter darauf lebte er in München, wo die Philosophen Schilling (s. vor. Bd. S. 159) und Franz Baader ihn fesselten. In Wien schloß er intime Freundschaft mit Lenau(s. vor. Bd. S. 234), der ihm seinen »Savonarola« dedicirte, und schließlich ging er nach Paris, um dort die Theologie des Mittelalters zu studiren. Nach seiner Heimkehr im Frühjahr 1836 schrieb er seine Disputation »Die Autonomie des Selbstbewusstseins« zur Erlangung des Licentiatgrades, die er auch vertheidigte und 1837 herausgab und großes Aufsehen im In- und Auslande machte (erschien Lateinisch, Dänisch und Deutsch), weil sie den Anfang einer neuen Theologie in Dänemark bildete, da die Schrift sich polemisch zur damaligen Dogmatik, die die Religion von der Spekulation abhängig machte, verhielt, während M. – wie in seinem ganzen ferneren Wirken – getrieben von einem wahrhaften christlich-mystischen Element, von dem Glauben als Voraussetzung aller christlichen Erkenntniß ( credo ut intelligam) ausgeht, eine Anschauung, die in seiner 1849 erschienenen »Dogmatik« zum vollen Ausdruck gelangte. Die Universität zu Kiel creirte ihn für seine erste Abhandlung 1840 zum Ehrendoctor der Theologie. 1838 wurde M. zum Lektor und 1840 zum Professor der Theologie au der Kopenhagener Universität ernannt, dem 1845 das Amt eines Hofpredigers folgte, denn seine gründlichen und klaren, geistreichen und erbaulichen, tiefsinnigen, echt christlichen Vorträge sammelten einen großen Kreis von Andächtigen um ihn. Es folgte die Schrift: »Meister Eckart«, eine Darstellung der deutschen Mystik im 14. und 15. Jahrhundert, die er als einen Beitrag zu der inneren Geschichte des Menschengeschlechts bezeichnete, eine Schrift, die sich durch Elasticität, welche M. eigenthümlich ist, auszeichnete. 1841 erschien »Grundriß des Systems der Moralphilosophie«, die auch bald in's Deutsche übersetzt wurde. M.'s »Predigten« (1847-59) nehmen einen hervorragenden Platz in der homiletischen Literatur ein. Seine »Dogmatik« ist sein Hauptwerk; die deutsche Uebersetzung derselben hat bereits viele Auflagen erlebt und wird zu den wichtigsten theologischen Werken der letzteren Zeit gerechnet. Leider gestattet mir der Raum nicht, seine fernere literarische Wirksamkeit weiter zu verfolgen; ich erwähne nur noch, daß M. nach des Bischofs Mynster's Tode (siehe diesen Bd. S. 11) zum Bischof von Seeland ernannt wurde, in welcher Stellung er für die schwierige Ordnung der verfassungsmäßigen Entwickelung der kirchlichen Stellung zum Staate eifrig bemüht ist. Eine von M. jüngst erschienene Schrift »Die sociale Ethik« begegnet einer starken Opposition, namentlich von Seiten des ehemaligen Ministerpräsidenten, Bischof Monrad, der in seinen »Politischen Briefen« mit spielendem Witze für die Freiheit des Glaubens und der Anschauungen eintritt, eine wahre Erquickung in dieser Zeit der allgemeinen Reaction. Er wirft ihm vor, daß Martensen's Begriffe von Geselligkeit, zweiter Ehe und dem Segen, Kinder zu besitzen, nichts mit dem Christenthum gemein haben, daß seine socialistischen Betrachtungen zum Theil auf fehlender Kenntniß der ökonomischen Gesetze, sowie daß sein Haß gegen die Juden und seine Furcht vor dem »gegenwärtigen Judenregiment« nur auf Einbildung beruhen, und endlich, daß die, welche die Leichenverbrennung vertheidigen, keine Heiden zu sein brauchen. Der Uebers.. Ich hatte daher die Freude, sie bei ihrer Ankunft zu empfangen; ich war ihr dienstbar, wo ich konnte und führte sie in der Stadt umher, und dies war für mich ebenso leicht wie angenehm, besonders mit einer Frau von ihrer Bedeutung. Sie verweilte den ganzen Winter bis lange in den Sommer hinein in Kopenhagen, während welcher Zeit sie Ingemann Siehe den vor. Bd. S. 56. Der Uebers. in Sorö besuchte und die Stadt Svendborg auf der Insel Fyen und die Kreidefelseninsel Möen bereiste. Ihr Herz schloß sich der dänischen Sache an und dies leuchtete aus ihrem kleinen Buch, der sichtbaren Blume ihres hiesigen Aufenthalts, hervor, ein Buch, das in schwedischer, englischer, deutscher und dänischer Sprache unter dem Titel: » Das Leben im Norden« erschien. Ihr kleines Buch fand indessen nicht die Anerkennung, ja, man ist versucht zu sagen, durchaus nicht den Dank, den sie mit Recht dafür verdiente. Wir Dänen kritisiren stets und beständig, wo wir sehen, daß das Herz eine Rolle spielt. Man hielt sich bei uns sehr über die etwas übertriebene Schilderung des Gedränges auf der Ostergade Die Hauptstraße der Stadt, in der das Geschäftsleben sich concentrirt, um so mehr, als sie sehr schmal ist. Der Uebers. auf, an das wir gewöhnt sind; aber sie war es nicht, denn sie hatte damals noch nicht London oder Amerikas große Städte besucht. Ihr kleines Buch, das von Interesse für Dänemark zeugte, erhielt, wie gesagt, hier im Lande nicht die Anerkennung, die wir ihr schuldeten, und dennoch leuchten aus dessen Blättern die Theilnahme, die Thränen, die ich oft in ihren Augen erblickte, indem sie theilnahmsvoll erregt war für das Schicksal des dänischen Volkes und Reiches. – Sie hielt sich in Kopenhagen während der schweren, lebensvollen Tage auf.

Eines Abends im April kam die Nachricht, daß am Gründonnerstag Am 5. April 1849. Der Uebers. das Linienschiff » Christian VIII.« mit der Besatzung in die Luft geflogen sei. Die Leute befanden sich im Theater. Das Gerücht von dem Unglück gelangte auch dort hinein; es ging ein Murmeln durch die Menge. die Meisten verließen natürlich sofort das Theater; es wurde leer drinnen, während sich die Straßen mit Menschen füllten. Ein Wehe der Trauer durchtönte erschütternd die Straßen. – Ein einziges gerettetes Menschenleben von diesem Schiffe war gleich einem Siege, einem gewonnenen Reichthum. Auf der Straße begegnete ich meinem Freunde, dem Capitänlieutenant Christian Wulff. Sein Auge strahlte; er drückte meine Hand. »Weißt Du, wen ich heimbringe?« fragte er. »Den Lieutenant Ulrich! Er ist nicht mit in die Luft geflogen, er hat sich gerettet, indem er sich eine Minute vor der Katastrophe in's Wasser stürzte, an's Land schwamm, entfloh und glücklich unsere Vorposten erreichte, und nun bringe ich ihn heim!« – Ich kannte den Lieutenant Ulrich durchaus nicht, aber ich brach vor Freude in Thränen aus. »Wo ist er? Ich muß ihn sehen!« – »Er ging zum Marineminister und von dort zu seiner Mutter, die glaubte, er sei ebenfalls todt!«

Ich trat in einen Kaufladen, um einen Wohnungsanzeiger zu leihen, und fand gar bald, wo Ulrich's Mutter wohnte. Als ich indessen dahin kam, wurde ich ängstlich, ob sie vielleicht nicht noch ganz unbekannt mit der Sache sei, und ich fragte daher das Mädchen, welches mir die Thür öffnete: »Sind sie betrübt oder froh hier im Hause?« Da strahlte das Gesicht des Mädchens. »O!«, erwiderte sie, »sie sind froh, denn der Sohn ist gleichsam wie vom Himmel gefallen!« – Und nun trat ich ohne Weiteres in's Zimmer, wo die ganze Familie in Trauerkleidern saß; gerade an diesem Morgen hatten sie dieselben zum ersten Male angelegt – und nun stand der vermeintliche todte Sohn frisch und froh mitten unter ihnen. – Ich flog ihm um den Hals. Ich konnte nicht anders, ich mußte weinen, und man fühlte und verstand, daß ich nicht als Fremder kam. Als ich Fräulein Bremer diese Geschichte erzählte, die sie später in ihren Buche berührte, wurde sie fast ebenso gerührt, wie ich es gewesen war. Ihre Seele war weich, wie sie edel und gut war.

Mein Gemüth war krank. Ich litt geistig und körperlich und bedurfte einer andern Umgebung. Fredrike Bremer sprach von ihrem schönen Vaterlande. Auch dort hatte ich Freunde, und ich entschloß mich zu einer Reise, entweder hinauf nach Dalkarlien (Dalarne) oder vielleicht nach Haparanda, um dort die Sonne des Mittsommertages zu sehen. Fräulein Bremer's Mittsommer-Reise hatte mir Lust dazu gemacht. Diese war unermüdlich, Briefe für mich an ihre vielen Freunde rundum im schwedischen Lande zu schreiben, denn in diesem Lande bedarf man solcher, weil man nicht überall Wirthshäuser findet, wo man Unterkommen kann, sondern man muß sich ein Unterkommen bei Predigern oder auf Gütern suchen.

Vor der Abreise arrangirte sie für mich ein Abschiedsfest auf schwedische Weise, die wir in unserem reflectirenden Kopenhagen nicht kennen, oder denen wir keinen Geschmack abgewinnen können. Es fand Maskirung und Teclamation statt. Viele Gäste waren anwesend, und unter diesen befand sich H. C. Oersted, Martensen und Hartmann. Ich erhielt einen hübschen silbernen Becher mit der Inschrift: »Eine Erinnerung an Fredrika Bremer«, und diesem Becher folgte ein kleines Gedicht.

Am Christi-Himmelfahrtstage reiste ich von Kopenhagen ab nach Helsingborg. Es war herrlicher Lenz. Die jungen Birkenbäume dufteten so erfrischend und die Sonne schien warm. Die ganze Reise wurde gleichsam zu einer Dichtung und ebenso erklingen sie aus den gegebenen Bildern und Stimmungen aus dem Buch: » In Schweden

Wie eine halb englisch-holländische Stadt lag Götaborg (Gothenburg), großartig und lebhaft, von vielen Gasflammen erhellt, bei der Einsegelung im Hafen vor mir, ganz anders, wie es schien, vorgeschritten mit der Zeit, als die anderen schwedischen Städte. Nur das Theater schien keine Fortschritte bemerken zu lassen, und das Originalstück, das man aufführte, war häßlich – roh will ich es gerade nicht nennen. Die Hauptrolle darin, erzählte man mir, wurde von dem Verfassen selbst ausgeführt. Das, was mich in dem Stücke empörte, war, daß die ganze Handlung sich buchstäblich um eine noch lebende Person drehte: einen alten gelehrten Magister, den man im Scherz wegen seiner Kenntniß der orientalischen Sprachen »Arab« nannte. Dieser wollte sich in dem Stück gern verheirathen. Es waren Anekdoten aus dem Leben des Mannes, die man aufgenommen hatte, und das Stück selbst bestand nur aus losen Scenen ohne Handlung und Entwickelung des Charakters; allein die Hauptperson, die, wie gesagt, noch lebte, erzählte man mir, befand sich im Armenhause in Stockholm. Der Darsteller gab seine Person, sein wahres Porträt, worauf man stürmisch applaudirte. Ich verließ bereits nach dem zweiten Act das Theater. Es empörte mich, Personen lächerlich gemacht zu sehen, was man nur dadurch erreichte, daß man Possen mit seinen Schwächen trieb.

Den Hafen der Stadt und das prächtige Badehaus mit marmornen Badewannen, glaube ich, schuldet die Stadt dem tüchtigen und verdienstvollen Commerzienrath Wijk, Der Kaufmann Olaf Wijk gründete im Anfang dieses Jahrhunderts »sein Haus«, das zu den geachtetsten in Gothenburg gehört. Er war – wie später sein Sohn Olaf, der 1856 das große Geschäft des Vaters übernahm, – Reichstagsabgeordneter für Gothenburg und Vicepräsident im Reichstage, der Vater im Bürgerstande, der Sohn in der 2. Kammer. Der Uebers. in dem ich zugleich einen höchst liebenswürdigen Wirth fand, und in dessen behaglichem Heim ich während weniger Stunden Bekanntschaft mit Gothenburg's hervorragendsten Persönlichkeiten machte. Unter diesen muß ich von den Damen die geistvolle Romanschriftstellerin Fräulein Bolande Sophie Bolander ist 1807 in Gothenburg geboren und daselbst 1869 gestorben. Sie schrieb einige Novellen und historische Romane, die jedoch meines Wissens noch nicht über die Grenzen ihres Vaterlandes hinausgekommen sind. Der Uebers. erwähnen.

Ich sah wieder den mächtigen Trollhätta-Wasserfall Man sehe den vor. Bd. S. 188. Der Uebers., und habe später in Worten denselben zu beschreiben versucht. Der Eindruck desselben bleibt ewig neu und großartig; doch ebenso lebhaft bewahrt mein Gedanke den neuen Eindruck, der diesem folgt: nämlich eine Begegnung außerhalb der Stadt Wenersborg, wo das Dampfschiff der Aufnahme von Passagieren wegen anlegt. Bei der Landungsstelle hier stand ein kleiner Knabe in der Uniform eines Hornisten, der die Flöte bließ, den ich im Jahre vorher mit den schwedischen Truppen auf Fyen gesehen hatte. Er begrüßte mich fröhlich als Bekannten, ganz überrascht, mich in seinem Vaterland wiederzusehen. Als er mit den schwedischen Soldaten auf dem Gute Glorup einquartirt war, sollten sie eines Tages zur Uebung ausmarschiren. Der Knabe hatte ein wenig Magenschmerzen, und die brave, alte Haushälterin erlaubte daher nicht, daß er mit hinausmarschire. Das Kind sollte Hafersuppe haben! Der Offizier sagte, daß ihm nichts fehle. »Hier bin ich seine Mutter!« sagte sie. »Das Kind ist krank, und er geht heute nicht mit hinaus, um Ihnen was vorzupfeifen!« Der Knabe erkundigte sich nach der alten Jungfer und dem alten Grafen; allein die alte Jungfer war doch für ihn die Herrscherin.

Ich kam nach Stockholm und kleidete mich sofort um, um unsern Gesandten, bei dem ich etwas über den Krieg, der mich ganz erfüllte, zu hören hoffte, zu besuchen. Auf dem Wege dahin hatte ich das Unglück, dem Dr. Leo, Siehe den vor. Band S. 298. Der Uebers. einem dänisch redenden Deutschen zu begegnen, den ich von Kopenhagen her kannte, wo ich ihm freundlich entgegengekommen war und ihn zu Fräulein Bremer, welche bei uns zum Besuch war, führte. Und diese Dame und mich hat er später in seinen » Charakterbeschreibungen aus meiner skandinavischen Mappe,« abgedruckt als Feuilleton in der »Novellen- Zeitung«, nicht sehr hübsch besprochen. Er giebt eine Art Carricaturbild von mir aus der Begegnung hier aus der Straße in Stockholm, wo ich sofort, nachdem ich das Dampfschiff verlassen hatte, auf der Straße erschien, wie er sagt: in festlicher Toilette, mit weißen Glacéhandschuhen und mich auf der Promenade zeigte, um gesehen zu werden und damit meine Ankunft am Tage darauf in die Zeitungen komme. Er hat mir darin Unrecht gethan und mich betrübt; – allein ich muß es ihm auch hier gedenken, daß er ebenfalls mehrere meiner Bücher hübsch übersetzt hat, daß er freundlich und gut zu anderen Zeiten und an anderen Orten von mir gesprochen hat. – Ich reiche ihm wieder die Hand – und zwar ohne »Glacéhandschuhe.«

Lindblad, Der Componist Adolf Lindblad, geboren den 1. Februar 1801 in Skeninge, wo sein Vater Rathsherr war, gestorben den 22. August 1878 auf dem Gute Löfvingsborg, bei Linköping, gehörte zu den wenigen Auserkornen, denen es vergönnt ist, ihre Zeitgenossen auf die edelste Weise zu erfreuen. Seine Lieder, oftmals eine Verschmelzung der Dichtkunst mit der Tonkunst, sind mehrere Decennien in allen gebildeten Kreisen des In- und Auslandes erklungen, und sind von dort in's Volk gedrungen, so daß seine Gesänge in Schweden in der That zu »Volksliedern« geworden sind und »in Wäldern, auf Bergen und in Thälern« erklingen. Lindblad erhielt seinen ersten musikalischen Unterricht in Norrköping, wo er Flöten- und Pianofortespiel erlernte. Die ökonomischen Umstände zwangen ihn jedoch, Kaufmann zu werden, und er kam in Folge dessen nach Hamburg, wo er ein Jahr verblieb; aber anstatt das Geschäft zu erlernen, saß er von früh bis spät am Piano, wo stets Beethoven's phantastische Compositionen aufgeschlagen waren. Indessen studirte er fleißig Schiller, Goethe, Shakespeare, Jean Paul und bildete daher mehr seine Seele als seine Talente aus. 1819 kehrte er nach Norrköping zurück. 1822 machte er des Dichters Atterbom's Bekanntschaft, der ihn veranlaßte, nach Upsala zu gehen und beim Capellmeister Häffner, dem Gründer des schwedischen Studentengesanges, den er bereits 1824-25 vertrat, Musiktheorie zu studiren. 1824 erschien im Verein mit dein Dichter Geijer sein erstes Heft »Musik für Gesang und Piano« und erhielt er darauf hin ein Reisestipendium in's Ausland. Er wählte Berlin als Aufenthaltsort und Professor Carl Friedrich Zelter (geboren 1758 bei Potsdam, Director der Singakademie in Berlin, gestorben den 15. Mai 1832 das.) und den großen Componisten Felix Mendelssohn als Lehrer, mit welch' letzterem er innige Freundschaft schloß, wovon ein interessanter Briefwechsel zeugt. Er gab in Berlin 1826 »Der Nordensaal« heraus, zwei Hefte schwedischer Volksgesänge, die er Mendelssohn dedicirte und wozu die Dichterin Amalia von Helwig (geborne von Imhoff die Worte in's Deutsche übersetzt hatte. Diese Dame ist geboren den 16. August 1776 in Weimar; wurde Hofdame der Herzogin; ging mit ihrem Gatten nach Stockholm und kam dann nach Berlin zurück, wo sie den 17. December 1831 starb). Dann ging er nach Paris, wo er J. B. Logier's Methode im Pianospiel studirte, die er nach seiner Heimkehr in die Musikschule einführte, der er bis 1860 vorstand, und die dann von dem Componisten Ivar Hallström übernommen wurde. Er ist der Lehrer der Könige Oscar I., Carl XV., Oscar II., wie der anderen Prinzen und dürfte auf den Prinzen Gustav, der als Componist sich einen Namen machte, von großem Einfluß gewesen sein. Die Namen und Titel seiner Compositionen hier anzuführen, übersteigt unsern Raum, aber alle zeugen von der gründlichen Erfassung seiner Aufgabe, einem edlen und warmen Herzen und großer Liebe zum Vaterlande. 1860 zog er sich auf's Land zu seiner Tochter, die mit dem Capitain von Feilitzen verheirathet war, zurück. Sein dortiges Heim, wo er auch seine Augen schloß, wird als echt künstlerisch, umgeben von einer herrlichen Natur, die er so oft besang, geschildert. Der Uebers. dessen schöne Melodien Jenny Lind in die Welt hinausgetragen hat, war einer der Ersten, denen ich begegnete. Er sieht Jenny Lind ähnlich, wie ein Bruder immer nur einer Schwester gleichen kann: dasselbe Gepräge der Melancholie; allein bei ihm bildet dieselbe einen stärkeren Charakterzug. Er bat mich, für ihn einen Operntext zu schreiben, und wahrlich ich hatte große Lust, denselben zu verfassen, damit die Worte durch die Macht seiner Töne auf den Flügeln des Volksgesanges in alle Welt hinausgetragen werden konnten.

Im Theater gab die italienische Gesellschaft eine hier in Stockholm von dessen italienischem Kapellmeister Foroni componirte Oper » Königin Christine«. Der Text war von dem Sänger Casanova. Es schien mir eher eine großartige Harmonie als Melodie zu sein. Der Act, in dem die Verschworenen auftreten, hatte die größte Wirkung. Schöne Dekorationen und gute Costüme fehlten nicht und bei » Christine« und » Oxenstjerna« Christine von Schweden, die Tochter des großen Gustaf Adolf, geboren den 6. December 1626, bestieg nach dessen Heldentode 1632 den Thron unter der Vormundschaft des berühmten Kanzlers, Grafen Oxenstjerna (geboren den 16. Juni 1583, gestorben den 28. August 1654), die 1644 beendigt wurde. Sie war sehr extravagant, launenhaft, aber sehr fein gebildet und hat nicht wenig philosophische Abhandlungen französisch und schwedisch geschrieben, die zum Theil in Archenholz' Memoiren (Amsterdam u. Leipzig 1751 bis 1760) veröffentlicht worden sind. Sie entsagte zu Gunsten ihres Vetters Carl Gustav (Carl X. Gustaf) von Pfalz-Zweibrücken 1654 dem Thron und begab sich auf Reisen. Längere Zeit lebte sie in Fontainebleau, wo sie ihren Geliebten, den Marquis Monaldeschi aus Eifersucht ermorden ließ, und dieserhalb vom Cardinal Mazarin aus Frankreich ausgewiesen, nach Rom ging, wo sie, nach ihrem bereits früher erfolgten Uebertritt zum Katholicismus, vom Papste gut aufgenommen wurde. Sie starb daselbst den 19. April 1689 und würde in der Petrikirche beigesetzt. Ihr Leben ist oft dramatisch behandelt worden, von Laube, vom Dänen Carl Bagger, vom Prinzen Georg von Preußen und kürzlich von dem jungen talentvollen Norweger John Paulsen in einer Tragödie » Christine in Fontainebleau«, welche demnächst in einer von mir gefertigten autorisirten Uebersetzung an die Bühnen versandt werden wird. Der Uebers. hatte man versucht, Portraitähnlichkeit hervorzurufen. Das Eigenthümliche der ganzen Vorstellung war übrigens, in Christines schwedischer Hauptstadt Christine selbst als Gesangsfigur auf der Scene zu sehen.

Durch den Buchhändler, Magister Bagge, war ich in die Literaturgesellschaft eingeführt worden und erhielt bei Gelegenheit eines Festes hier in Stockholm meinen Platz neben dem Dichter, Kammerherrn Baron von Beskow Freiherr Bernhard von Beskow, geboren den 19. April 1796 in Stockholm, als Sohn wolhabender Eltern, zeigte unter der Anleitung seines Hauslehrers, des Dichters Stjernstolpe, des Uebersetzers von Wieland's »Oberon«, Blumauer's »Aeneide« u. s. w. große Neigung zur Musik, zu Gesang und Malerei. Als Beskow nach Upsala kam, um dort zu studiren, schloß er sich, im Besitze einer herrlichen Stimme, dem Häffner'schen Studenten-Gesangverein an; aber auch als Dichter versuchte er sich und erlangte schon dadurch Bedeutung und Anerkennung, daß die schwedische dramatische Literatur damals auf sehr schwachen Füßen stand und fast ganz ungeübt war, während Poesie auf dem Gebiete der Lyrik sehr üppig florirte; denn Schweden ist hauptsächlich das Land des Gesanges. Beskow versuchte nun im Verein mit dem Dichter Börjesson ein nationales Drama zu gründen. Er schwur anfangs seiner Wirksamkeit als Dichter zur Goethe'schen Schule und blieb stets dieser Anschauung ziemlich treu. Daher behandelten seine Schauspiele nur vaterländische Geschichte: »Erich XIV.«, »Thorkel Knutson«, »Birger und sein Geschlecht«, »Gustaf Adolf in Deutschland.« Eins seiner besten Gedichte ist »Carl XII.«, das Tegnér's (s. v. Bd. S. 192) Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. Seine Biographien seines Lehrers Stjernstolpe, des Dichters Carl Gustaf von Leopold (geboren 1756 in Stockholm, gestorben 1829; er war s. Zt. Professor in Greifswald und später Führer der klassischen Schule in Schweden), des Ingenieurs Carl Bernhard Wadström, der für die Emancipation der Neger in beredter Weise in die Schranken trat (geb. 1764 in Stockholm, gestorben 1799 in Paris) sind hervorragende Arbeiten. Ferner beleuchtete er Gustaf III. Geschichte und vertheidigte seinen Nationalhelden Carl XII. gegen die harten Angriffe des Geschichtsschreibers Fryxel (geb. in Dalsland 1795, gest. 1873), – Beskow wurde 1814 in der Kanzlei des Königs angestellt, 1825 Privatsekretair des kunstliebenden Kronprinzen Oscar ( Oscar I.) und 1826 geadelt. Dann unternahm er 1827-1828 Reisen im Süden und wurde nach seiner Heimkehr Mitglied der Akademie (der sog. 18 Weisen), während der Jahre 1831-1832 leitete er das Nationaltheater, 1831 folgte er dem Dichter Franz Michel Franzèn (geb. den 19. Februar 1772 in Finnland, starb als Bischof von Hernösand den 15. August 1847) als beständiger Secretair der Akademie, in welcher Eigenschaft er eine Menge »Erinnerungsrunen« großer Männer verfaßte, die ihm für ewig einen Platz in der schwedischen Literatur bewahren. Er stand mit den hervorragendsten Männern Europas in Briefwechsel, als Oehlenschläger, Baggesen, Goethe, Tieck, Matthison u. s. w. Er wurde 1833 Hofmarschall und starb in Stockholm in der Nacht vom 17. bis 18. October 1868. Der Uebers.. Der früher von mir erwähnte Dr. Leo war ebenfalls Gast, und der Präsident nahm Veranlassung, ein Hoch auf die beiden Fremden, Andersen von Kopenhagen, den Verfasser des »Improvisator« und den »Märchenerzähler für Kinder« und Dr. Leo von Leipzig, Redacteur des »nordischen Telegraphen« auszubringen. Später brachte Magister Bagge auf hübsche und herzliche Weise einen Toast auf mich und mein Vaterland aus und bat mich, meinen Landsleuten von der Begeisterung und der Theilnahme des ganzen schwedischen Volkes für uns zu berichten.

Ich antwortete mit Worten aus einem meiner Gesänge: daß die Dichter Tegnèr und Oehlenschläger den Öresund, der bis vor kurzer Zeit Dänemark von Schweden getrennt habe, überbrückt hätten, und fügte hinzu, daß viele Dichter seitdem sowol auf schwedischer als dänischer Seite für dasselbe Ziel gewirkt und durch diese die Nationen einander immer mehr kennen und verstehen gelernt hätten. Indeß mir die Thränen vor Rührung in die Augen traten, ertönte rundum das kräftige, schwedische neunmalige Hurrah!

Freiherr von Beskow führte mich zum König Oscar. König Oscar I. von Schweden und Norwegen, geboren den 4. Juli 1799 in Paris, wurde, nachdem sein Vater Marschall Bernadotte, Prinz von Ponte-Corvo, vom kinderlosen König Carl XIII. adoptirt worden war, zum Erbprinzen von Schweden ernannt. Er besuchte die Universität zu Upsala und betrieb namentlich staatsrechtliche und kriegswissenschaftliche Studien. 1818 wurde er Kronprinz, bereiste 1822 Deutschland und Italien und 1830 Rußland. Er beschäftigte sich mit dem »Gefängnißwesen«, worüber er eine Schrift veröffentlichte, die auch in's Deutsche (1841) übersetzt worden ist. Schon damals vertrat er die humanen Ansichten, die auf den sog. »Gefängnißcongressen«, vornehmlich in Stockholm im August 1818, zur Geltung gelangten, worauf sein Sohn, König Oscar II. bei dieser Gelegenheit in schwungvoller Rede hinwies. Am 4. März 1844 bestieg er den Thron und unter seiner Regierung geschah viel für Verbesserung der Criminalgesetzgebung, des Gefängnißwesens, der Nahrungsfreiheit, des Unterrichtswesens und der Anlage von Eisenbahnen. 1853 mußte er seinem Sohn Earl Krankheits wegen die Regierung übertragen, was sich 1857 wiederholte. Er starb den 8. Juli 1859. Er vermählte sich den 19. Juli 1823 mit der schönen und hochbegabten Prinzessin Josephine, einer Tochter des Herzogs von Leuchtenberg – geboren den 14. März 1807, gestorben den 7. Juni 1876. – Sie war die liebevollste Mutter, die treueste Gattin und von tiefem, religiösem und edlem Gemüth und unzählig sind die Wolthaten, die sie erwies und noch heute tragen viele wolthätige Anstalten als Gründerin ihren Namen. Sie war starken Charakters, denn ihrem Herzen wurden durch den Tod ihres Gemals und dreier Söhne tiefe Wunden geschlagen; aber sie war verehrt und geliebt wie wenige Königinnen. Der Uebers. Dieser begabte Monarch kam mir sehr herzlich entgegen, so daß es mir schien, als ob wir bereits öfter miteinander gesprochen hätten und dennoch war es das erste Mal, daß wir uns begegneten. Ich dankte dem König für den Nordsternorden, mit dem er mich früher so gnädig geehrt hatte, sprach von Stockholms Aehnlichkeit mit Constantinopel, von dem See Roxen mit dem südlichen Theil von Lochlomond, von der Disciplin und der Gottesfurcht der schwedischen Soldaten. Der König erwiderte, daß er gelesen hätte, was ich über den Aufenthalt der Schweden auf Fyen geschrieben und sprach sein inniges, theilnehmendes Gefühl für das dänische Volk und seine Freundschaft für dessen König aus. Wir sprachen vom Krieg. Er sagte, es liege im Charakter der Nationen, wenn diese fühlen, daß sie Recht haben, dann halten sie daran fest und vergessen, daß sie nur ein kleines Volk repräsentiren. Ich verstand die schöne Gesinnung des edlen Königs vollkommen.

Ich sagte, daß all' das Gute, das er den Dänen angedeihen lasse, ihm die Dankbarkeit des ganzen Volkes einbringe. Wir sprachen ferner vom Erbgroßherzog von Weimar Dem jetzt regierenden Großherzog. Der Uebers., dem er ebenfalls sehr zugethan war. Dann fragte mich der König, ob ich bald von Upsala zurückkehren würde, wohin ich nun zu gehen gedachte, denn er wolle mich einen Mittag bei sich sehen: »Auch die Königin, meine Frau,« sagte er, »kennt Ihre Schriften und möchte Sie gern persönlich kennen lernen.«

Nach meiner Rückkehr von Upsala war ich zur königlichen Tafel geladen. Die Königin, welche ihrer Mutter, der Herzogin von Leuchtenberg Die Herzogin Auguste Amalie von Leuchtenberg war die Tochter des Königs Maximilian Josef von Baiern – geboren den 21. Juni 1780, gestorben den 13. Mai 1851 – und wurde am 14. Januar 1806 mit Eugene Rose de Beauharnais, Herzog von L. und Fürst von Eichstädt – geboren den 3. September 1781 und gestorben den 21. Februar 1824 in München – vermählt. Eugene war der Adoptivsohn Napoleons I. Der Uebers., die ich in Rom gesehen hatte, sehr ähnlich sah, kam mir herzlich entgegen und sagte mir, daß sie mich bereits lange aus meinen Schriften kenne und besonders aus dem » Märchen meines Lebens«. Bei der Tafel hatte ich meinen Platz neben Beskow, der Königin gegenüber. Prinz Gustaf Der Prinz Gustaf, geboren 1827, war der zweite Sohn des Königs Oscar I. und der Königin Josephine. Er war allgemein wegen seiner Leutseligkeit beliebt; auch war er musikalisch sehr begabt und einige seiner Compositionen haben allgemeine Verbreitung erlangt. Er starb 1852 in Folge einer Erkältung. Der Uebers. sprach ganz besonders lebhaft mit mir. Nach Tisch las ich die Märchen: » Der Flachs«, » das häßliche Entelein«, » Geschichte einer Mutter« und » der Halskragen« Siehe die »Märchen« Bd. III. S. 37, 494, 506 und S. 80. Der Uebers. vor. Beim Vorlesen des Märchens » Eine Mutter« gewahrte ich Thränen in den Augen des edlen Königspaars. Sie sprachen sich dann so warm, so theilnehmend gegen mich aus. Wie waren sie beide liebenswürdig und gradezu! Beim Abschied reichte mir die Königin ihre Hand, die ich an meine Lippen drückte. Die sowol als der König beehrten mich mit einer erneuten Einladung, um mich noch einmal vorlesen zu hören. Ein sympathisches Gefühl, wenn ich dieses Wort hier gebrauchen darf, zog mich ganz besonders zu dem jungen liebenswürdigen Prinzen Gustaf hin, seine großen, blauen, seelenvollen Augen besaßen eine Innigkeit, die eine große Macht ausübten, und sein ungewöhnliches Talent für Musik interessirte mich. Es war etwas so Anziehendes, Treues in seiner Persönlichkeit, und wir beide begegneten uns in unseren Gesinnungen für den Erbgroßherzog von Weimar. Ueber ihn sprachen wir, sowie über den Krieg, über Musik und Poesie.

Bei dem nächsten Besuch auf dem Schlosse war ich mit Beskow angesagt, eine Stunde vor der Tafel in den Zimmern der Königin zu erscheinen. Die Prinzessin Eugenie Die Prinzessin Eugenie, geboren den 24. April 1830, zeichnet sich durch Herzensgüte und Wolthätigkeit gleich ihrer Mutter aus. Leider ist sie kränklich und führt daher ein sehr zurückgezogenes Leben, das sie durch Skulpturarbeiten und Dichtungen zu erheitern versteht. Sie schrieb »Kurze Biographien schwedischer Prinzessinnen« 1864; »Abendgedanken«, Gedichte 1865; »Königinnen« 1867; und übersetzte aus dem Englischen 1864: »Die Schule des Kreuzes«. Der Uebers., der Kronprinz Der spätere König Carl XV. wurde am 3. Mai 1826 geboren. Er ging 1814 gleichzeitig mit seinem Bruder Gustaf nach Upsala, um dort zu studiren, und namentlich hörte er Geijer's Vorlesungen über Geschichte. Er machte dann Reisen in Deutschland, Frankreich und Italien und vermählte sich am 19. Juni 1850 mit der Prinzessin Louise der Niederlande (geboren den 5. August 1828, gestorben am 30. März 1871), aus welcher Ehe nur eine Tochter Louise (geboren den 30. October 1851) entsproß, die sich 1870 mit dem Kronprinzen von Dänemark vermählte. 1857 übernahm Kronprinz Carl wegen Krankheit seines Vaters die Regierung und bestieg nach dessen Tode 1859 den Thron. Am 22. Juni 1866 verlieh er Schweden eine neue freisinnige Verfassung und viel geschah für die Religions- und Nahrungsfreiheit, sowie auf den Gebieten des Handels und des Zollwesens. Während des deutsch-dänischen Krieges hielt er zu Dänemark und wäre demselben gern zu Hilfe geeilt, wenn nicht Graf Manderström, damals Minister des Aeußern, durch sein kluges Auftreten dies zu verhindern gewußt hätte. König Carl war eine hochbegabte Natur, vom Volke wegen seiner Gradheit geliebt; er liebte Kunst und Poesie und als Maler war er mehr als Dilettant. Seine »lyrischen Gedichte« sind in einer Uebersetzung von G. v. Leinburg in Berlin erschienen. Seit dem Tode seiner Gemalin kränkelte der König, und nachdem er die Heilquellen in Aachen zur Herstellung seiner Gesundheit vergebens besucht hatte, wurde er vom Heimweh ergriffen und starb, in Malmö angekommen, am 18. September 1872 daselbst. Der Uebers., sowie die Prinzen Gustaf und Oscar Der Prinz Oscar Fredrik, jetzt König Oscar II., war der dritte Sohn des Königs Oscar I. und ist am 21. Januar 1829 in Stockholm geboren. Noch ganz jung wählte er, von einem unwiderstehlichen Drange getrieben, das Seemannsleben zu seinem vornehmsten Studium und trat als Kadett bei der Königlichen Flotte ein. Mit der größten Auszeichnung ging er mit hohem Ernst und mit niemals ermüdendem Fleiß die ungleichen Grade durch; er legte nach vollendetem Cursus das Examen als Seeoffizier ab und wurde zum Lieutenant befördert. Gleich darauf unternahm er eine längere Reise an Bord der Fregatte » Eugenie« nach dem Mittelländischen Meer, während welcher er seine Kenntnisse weiter ausbildete und manche Erfahrung machte; aber gleichzeitig die innige Liebe und Hingebung der schwedischen Orlogsmänner gewann. Von Jahr zu Jahr nahm der Prinz später an vielfältigen Expeditionen theils als Chef des Schiffes, theils in der Eigenschaft als Flaggenkapitän größerer Schwedisch- Norwegischer Geschwader Theil, schließlich in der Eigenschaft als Admiral und Geschwaderchef der vereinigten Seemacht. Während der fünf und zwanzig Jahre, die der Prinz bei der Seewehr diente, entwickelte er Eigenschaften, die ihm im hohen Grade die Liebe und die Bewunderung der Schwedischen Flotte einbrachten. Er studirte ebenfalls in Upsala und machte auch auf dem Continent große Reisen. Er vermählte sich, nachdem sein älterer Bruder, Prinz Gustaf, gestorben war, als nächster Thronerbe am 6. Juni 1857 mit der Prinzessin Sophia von Nassau (geboren den 9. Juli 1836), die im Rufe großer Geistesbildung und Herzensgüte steht. Aus dieser Ehe entsprossen der Kronprinz Gustaf, geboren den 16. Juni 1858, welcher, nachdem er die Universität Upsala besucht, jetzt eine Reise in Deutschland, Frankreich und Italien macht. Außerdem hat der König noch drei Söhne: Oscar (geboren den 15. November 1859), Carl (geboren den 27. Februar 1861) und Eugen (geboren den 1. August 1865). Prinz Oscar bestieg am 18. September 1872 den Thron, den Wahlspruch: »der Brüdervölker Wohl!« erwählend. Er hat bereits viel für die materielle Entwickelung seiner Länder gethan, als Förderung der Eisenbahn- und Kanalbauten, des Unterrichtswesens, der Gesetzgebung u. s. w. Er machte 1875 als König Reisen in Deutschland, besuchte die Höfe zu Kopenhagen, Berlin, Weimar, Dresden und Petersburg, und hegt innige Freundschaft für den Kaiser Wilhelm, den deutschen Kronprinzen und den Großherzog Carl Alexander von Sachsen. Als Dichter steht er weit über dem Bruder, und unter seinen Originaldichtungen, die in meiner autorisirten Uebersetzung 1877 in Berlin bei A. Hofmann und 1879 in Leipzig und Oberhausen bei Ad. Spaarmann erschienen sind, stehen die » Svenska flottens minnen« (Erinnerungen der schwedischen Flotte), in dem letztgenannten Bande enthalten, obenan. Daneben hat er Herder's »Cid« und Goethe's »Torquato Tasso« und Gedichte anderer fremder Verfasser hoch verdienstvoll übersetzt. Außerdem schrieb er »Beiträge zur Kriegsgeschichte Schwedens« und »Carl XII.« (von mir übersetzt, 1875 in Berlin bei E. Bichteler u. Co. erschienen). Der Uebers. befanden sich dort und bald kam auch der König. »Die Poesie rief mich von den Geschäften«, sagte er. Ich las dann die Märchen: » Der Tannenbaum«, » die Stopfnadel«, » das kleine Mädchen mit Schwefelhölzern« Siehe die »Märchen« Bd. III. Seite 466, 284 und Bd. II. Seite 57. Der Uebers. und auf Verlangen » der Flachs« vor. Der König folgte mit großer Aufmerksamkeit. »Die tiefe Poesie, welche in diesen kleinen Dichtungen liegt«, so geruhte er sich auszudrücken, sprach ihn an, und er sagte, daß er auf seiner Reise nach Norwegen die Märchen und unter anderen den » Tannenbaum« gelesen habe. Alle drei Prinzen drückten mir die Hand, und der König lud mich ein, zu seinem Geburtstage am 1. Juli wieder zu kommen, bei welcher Gelegenheit Beskow mein Cicerone sein würde!

Gräfin Eleonore Christine Ulfeld

Gräfin Eleonore Christine Ulfeld.

 

Man wollte mir in Stockholm öffentlich eine Huldigung, eine Ehre erweisen. Ich wußte, wie sehr man mir solche in der Heimat beneiden und daß sie Stoff zu boshaften Bemerkungen geben würde. Dieser Gedanke verstimmte mich, und ich war fieberhaft erregt bei dem bloßen Gedanken, an einem Abend der König des Festes zu sein. Ich fühlte mich gleich einem Delinquenten und fürchtete die vielen Toaste und den langen Abend.

Hier war auch die geistvolle, berühmte Frau Carlén Frau Emilie Carlén, geborne Smith, ist den 8. August 1807 in Strömstad, an der von wilden Scheeren und Brandungen umbrausten Westküste Schwedens, die auf ihre Phantasie so lebhaft einwirkte, geboren. 20 Jahre alt wurde sie mit dem Distriktsarzt Dr. A. Flygare verheirathet, dem sie dann nach der Provinz Småland folgte. Sie gab einem Sohn und einer Tochter das Leben und zog, als ihr Gatte 1883 starb, in ihre alte Heimat zurück, wo sie einige Jahre verblieb. Eine neue Ehe, die sie mit dem Juristen Dalin zu schließen beabsichtigte, wurde durch dessen plötzlichen Tod kurz vor der Hochzeit verhindert. Bald nach diesem Unglück trat sie mit ihrer ersten Arbeit »Waldemar Klein« 1838 hervor. Das Glück, das dieser Roman zunächst in Schweden machte, veranlagte sie auf Andringen ihres Verlegers mit ihrem Sohn 1839 nach Stockholm zu ziehen. Die Tochter war indessen gestorben. Von nun an folgte, von rastlosem Fleiße und Eingebungen getrieben, der eine Roman nach dem andern, in welchen sie das Leben der Mittelklassen, namentlich an den Küsten und aus den Scheereninseln, verbunden mit dem Leben und Wirken der Seeleute, schilderte. Nachdem ihr Roman »Die Rose auf der Tistelinsel«, 1842, der im In- und Auslande allgemeinen Beifall erlangte, erschienen, wurden ihre Arbeiten bald unter dem Namen Emilie Flygare bekannt, dem sie später den Namen Carlén hinzufügte, als sie sich 1843 mit dein Schriftsteller Johan Gabriel Carlén vermählte (siehe Seite 125). Sie hat im Ganzen einige fünfzig Romane und Novellen geschrieben, die gegen 60 Bände umfassen. Ihre Arbeiten sind alle in deutscher Sprache erschienen (Frankfurt, Stuttgart 3 Aufl.), sowie in die meisten europäischen Sprachen übersetzt worden. Ich habe 1875 eine Sammlung Novellen unter dem Titel »Schattenbilder« (Leipzig bei Günther), 4 Bde., und 1876 eine andere Sammlung Novellen unter dem Titel »Lebenswege« (Hartleben in Wien), 2 Bde., in autorisirter Uebersetzung herausgegeben. In dieser ihrer schriftstellerischen Wirksamkeit trat jedoch 1852-59 eine Pause ein; Frau Carlén verlor nämlich am Weihnachtsabend 1852 ihren einzigen Sohn aus ihrer ersten Ehe, einen liebenswürdigen Jüngling von 23 Jahren, der durch mehrere kleinere Arbeiten und namentlich durch die Erzählung »Ein blasirter Mann« zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. Am 6. Juni 1875 starb ihr Gatte, und wiederum trat eine Pause in ihrem Schaffen ein. Zum Gedächtniß ihres unvergeßlichen Sohnes hat sie 1876 der Universität Upsala ein Geschenk von 40,000 Kronen zu einem Stipendienfond, der dessen Namen trägt, gemacht. Sie lebt fortgesetzt in Stockholm und von den Fenstern ihrer comfortablen Wohnung blickt sie auf Stockholm und die »Salzsee« hinab, ein Anblick, der sie – wir sie mir sagte – zu neuen Arbeiten anrege – und ich begreife das! Sie ist in ihrem hohen Alter vollkommen geistesfrisch und rührig und weiß viel aus dem Leben der Schriftsteller ihrer Zeit zu erzählen, davon hat sie kürzlich einige Proben in der officiellen »Posttidning« veröffentlicht, die für die schwedische Literatur von hohem Interesse sind. (Jetzt in Buchform unter dem Titel: » Minnen of Svenskt Författarlif« in Stockholm erschienen.) Der Uebers. anwesend, ferner die unter dem pseudonymen Namen » Wilhelmina« Fräulein Karolina Wilhelmina Stålberg ist am 26. November 1803 in Stockholm geboren. Weiteres wußte sie selber nicht, denn sie gehört zu der großen Zahl elternloser Kinder, die gewissenlos in die Welt gesetzt werden. Sie wurde im Hause des Kriegskämmerers Stålberg erzogen und veröffentlichte in den Jahren 1819-26 mehrere kleine Poesien unter dem pseudonymen Namen » Wilhelmina«, den sie auch später, als sie sich einen Namen durch ihre historischen Romane erworben hatte, beibehielt. Sie schrieb einige sechszig Novellen, Romane, Gedichtsammlungen u. s. w.; aber merkwürdig genug wurde ihr 1839 erschienener Roman »Emma's Herz« mehrfach unter Frau Carlén's Namen in's Deutsche übersetzt, und ebenso übersetzte man ihre Novelle »Major Müller's Töchter« in's Dänische und schrieb die Verfasserschaft dem bekannten Pseudonymen »Onkel Adam« (Carl Anton Wetterbergh) zu. Sie liebte die Zurückgezogenheit und zog aus dem Grunde auch wenige Jahre vor ihrem Tode, dem 23. Juli 1872, nach dem kleinen Städtchen Mariefred am Mälarsee; aber sie öffnete gern die Thür für Nothleidende und Verlassene. Ihr Staub ruht auf dem Johannis-Friedhof in Stockholm. Die in's Deutsche übertragenen Romane sind: »Emma's Herz«, 1842, 1851 und 1856; »Königin Philippa«, 1850 u. 51; »Die Familie Schütte«, 1852; und »Die Brüder Stålkrona«, 1865. Der Uebers. in meinem Vaterland weniger bekannte, aber vortreffliche Romanschriftstellerin, und auch die vortreffliche Schauspielerin Frau Strandberg; und endlich nahmen mehrere andere Damen Theil an diesem festlich arrangirten Abend. Frau Carlén lud mich ein, mit ihr einen Spaziergang zu machen Frau Emilie Ftygare-Carlén theilte mir während meines Aufenthalts in Stockholm im Sommer 1878 mit, als die Rede auf Andersen kam, daß er ihr bei Gelegenheit eines Besuches bei ihr erzählt habe, er habe in den nächstfolgenden Tagen, nachdem ein neues Buch von ihm im Buchhandel erschienen war, kaum gewagt, sich auf der Straße zu zeigen, aus Furcht, auf den Gesichtern der ihm begegnenden Personen lesen zu können, ob diese Personen sein Buch gelesen hätten oder nicht. Zeigten sie einen gleichgültigen oder kalten Ausdruck, dann ging er nervös erregt heim und war dort die Beute eines entsetzlichen Leidens. Es sei ja möglich, daß keine einzige dieser ihm begegnenden Personen eine Ahnung von der Existenz seines neuen Buches hatte; aber dann sei sein Zustand um so schlimmer gewesen. – »Er meinte, die ganze Welt müsse ihn lesen!« fügte Frau Carlén ironisch hinzu. Der Uebers. und nahm meinen Arm; aber ich durfte nicht in den Garten gehen, wohin ich wollte, da ich dort nicht so viele Zuschauer gewahrte, wir sollten und mußten einen bestimmten Weg wandern: das Publikum wollte auch Herrn Andersen sehen, sagte man mir. Es war ein Arrangement zwar wolgemeint, aber für mich nicht wenig peinlich. Ich sah schon im Geiste das Ganze in Holzschnitt daheim im » Corsar« wiedergegeben, daheim, wo ja Oehlenschläger lebte, zu dem das Volk doch gewöhnt war, mit einer Art Pietät hinaufzusehen, und der dennoch damals abgezeichnet worden war, umringt von schwedischen Damen, als er seinen ehrenvollen Besuch in Stockholm ablegte. Vor mir in der Allee gewahrte ich eine ganze Schar Kinder mit einer unendlich großen Blumenguirlande uns entgegenkommen; sie streuten Blumen vor mir und umringten mich, während das Gedränge der Leute rundum sehr groß war und man, mich ehrend, den Hut abnahm. Aber welche Gedanken beherrschten mich? »In Kopenhagen wird man mich deshalb zum Besten haben. Was werde ich alles Uebles zu hören bekommen!« Ich war ganz verstimmt, mußte aber dennoch fröhlich aussehen zwischen den freundlichen, guten Menschen. Ich versuchte, das Ganze als einen Scherz aufzufassen, küßte eins der Kinder und plauderte ein wenig mit einem andern. Beim Abendtisch brachte der Dichter, Pastor Mellin Der Dichter Gustaf Henrik Mellin, geboren den 23. April 1803 in Finnland, wo sein Vater Geistlicher war, kam mit ihm nach Schweden und wurde nach dem Tode desselben vom Dichter Franzén (geboren in Uleåborg 1772, gestorben den 14. August 1847 als Bischof in Hernösand) erzogen. 1829 wurde er Geistlicher und wirkte bis 1852 in Stockholm, von wo er nach dem Stift Lund versetzt und 1853 Probst wurde. Mellin gehörte zu den Dichtern, die der Schule des » jungen Schweden« angehörten, die wie das »junge Deutschland« Nachfolgerin der Romantiker wurde. 1829 trat er mit seiner ersten Novelle »Die Blume auf Kinnekulle« auf (von M. Arndt 1838 übersetzt), die großes Aussehen erweckte. Er war sehr vielseitig und thätig. Seine letzte Arbeit, die 1871 erschien, war ein Heft »Winterblumen« und soll sich nach seinem Tode, den 2. August 1876, ein literarischer Nachlaß vorgefunden haben. Der Uebers. einen Toast auf mich aus. Nachdem er auf meine dichterische Wirksamkeit hingedeutet hatte, wurden einige festliche Verse vorgetragen, die von der Romanschriftstellerin Wilhelmina verfaßt waren. Endlich folgte ein schönes Gedicht vom Schriftsteller Herrn Carlén, dem Gatten der Dichterin. Der Schrittsteller Johan Gabriel Carlén, geboren den 9. Juli 1814 in Westgothland, gestorben den 6. Juli 1875 in Stockholm, war ursprünglich Jurist, hat auf dem Gebiete der Literatur nicht eben sehr Großes geleistet. Er war von 1864-66 Redacteur der »Illustrerad Tidning«, für das seine Gattin fleißig Beiträge lieferte. Später war er eine kürzere Zeit Mitarbeiter der »Ny Illustrerad Tidning« und verfiel in Melancholie, von der ihn, »den Misanthropen, der doch sonst sehr freundlich gegen Damen« – wie er selbst einst schrieb –, der Tod befreite. Der Uebers.

Ich erwiderte, daß ich diese Herzlichkeit, welche man mir erwies, als eine Vorausbezahlung betrachten müßte: ich hoffte, daß Gott mir Kraft verleihen würde, durch eine Arbeit, die meine Liebe für Schweden bekunde, meine Schuld zurückzuzahlen. Und in der That habe ich versucht, mein Versprechen einzulösen. Der Lustspieldichter und Schauspieler Jolin Johan Christopher Jolin ist den 28. December 1818 in Stockholm von armen Eltern geboren. 1839 ging er nach Upsala; er zeigte bei mehreren Gelegenheiten als Student große Begabung für die Schauspielkunst, und betrat, angeregt von Geijer und Atterbom im November 1845 die Bühne in seinem eigenen – ersten Stücke: »Eine Comödie«, mit welchen beiden Debuts er große Erfolge erzielte. 1849-56 war er Dramaturg des königl. Theaters und 1857 wurde er Vorsteher der Elevenschule, eine Stellung, die er bis zu seinem Abgänge vom Theater, 1868, inne hatte. Er hat eine Reihe Theaterstücke, von denen sein »Meister Smith« auch in Deutschland zur Aufführung gelangte, und eine Menge Novellen und Plaudereien geschrieben, welch' letztere er pseudonym unter » Jo-Jo« veröffentlichte. Der Uebers. trug im Provinzialdialekt die »Geschichte eines Dalkarliers« vor. Die Sänger vom königlichen Theater Strandberg, Wallin und Günther Julius Günther ist am 1. März 1818 in Gothenburg geboren; er wählte zunächst die militärische Laufbahn, trat aber, 25 Jahre alt, in der Oper in Stockholm auf und gewann durch seine schöne Stimme und sonstige äußere Eigenschaften bald die volle Gunst des Publikums. 1845 machte er eine Kunstreise in's Ausland und trat namentlich in Hamburg mit großem Beifall als Don Octavio im »Don Juan« auf. Dann ging er nach Paris, wo er ein Jahr bei dem berühmten Garcia studirte, und bald nach seiner Heimkehr, 1850 zum Gesanglehrer beim königl. Theater angestellt wurde, an dem er bis 1862 verblieb, um sich dem Dienste des Musikconservatoriums zu widmen. 1864 wurde er zum Professor ernannt und endlich gründete er 1870 die »neue harmonische Gesellschaft«, deren Leiter er noch heute ist. Der Uebers. sangen schwedische Weisen. Das Orchester spielte und begann mit der dänischen Melodie: »Es ist ein reizend Land.« Eines der vielen schönen dänischen Nationallieder: » Det er et yndigt Land.« Der Uebers. Um 11 Uhr Abends fuhr ich heim, frohen Herzens über die freundlichen Menschen, froh, zur Ruhe zu kommen.

Bald war ich auf dem Wege nach Dalkarlien. Ein Brief von Friederike Bremer führte mich in Upsala bei dem Dichter Fahlkranz Der Dichter Christian Erik Fahlkranz, geboren den 30. August 1790 in Dalkarlien, wurde 1829 Professor der Theologie, 1835 Professor der Dogmatik in Upsala, 1849 Bischof von Westerås und starb den 6. August 1866. Die von Andersen angezogenen Werke: »Noah's Arche«, eine ganz vorzügliche humoristische Dichtung, erschien 1825 und »Angarius« (der erste Bischof des Nordens), ein vaterländisches, tiefreligiöses Gedicht, erschien 1846. – Sein Bruder, der Landschaftsmaler, hieß Carl Johan (geboren 1774, gestorben 1. Januar 1861. Der Uebers., dem Bruder des berühmten Landschaftsmalers, ein, der selbst ehrenvoll bekannt durch seine Dichtung » Ansgar« und » Noah's Arche« ist. Hier traf ich mit dem Freunde desselben, dem Dichter Böttiger Der Dichter Carl Wilhelm Böttiger ist 1807 in Westerås geboren und soll von dem Erfinder des Porcellans, Johann Friedrich Böttiger in Dresden, abstammen (?). 1845 wurde er Professor der Literatur in Upsala. Er bereiste Deutschland, Holland, Frankreich und Italien. Er erhielt von der Akademie zweimal den Dichterpreis. Mehrere von seinen prosaischen und lyrischen Arbeiten sind in's Deutsche übersetzt worden. Seine Gesammtwerke kamen 1869 in Örebro heraus. In Veranlassung der von mir Seite 195 im vor. Bande erwähnten Literatur-Skizze über Esaias Tegnér von Dr. Georg Brandes hat der alte Dichter nach langer Zeit im Sommer 1878 wieder zur Feder gegriffen und Herrn Brandes gerade nicht sehr zart behandelt wegen seiner in der erwähnten Schrift niedergelegten Irrthümer. Der Uebers., verheirathet mit Tegnér's Tochter Disa, zusammen, zwei glückliche Menschen, deren Heim von dem Sonnenschein und der Poesie des häuslichen Lebens erfüllt war.

Mein Zimmer im Hôtel stieß an einen großen Saal, in dem gerade die Studenten eine Sexa Sexa nannte man ursprünglich ein Abendessen, das stehend und zwar um sechs Uhr ( sex) Nachmittags eingenommen wurde, heute hat es letztere Bedeutung verloren. Der Uebers. feierten, und als sie hörten, daß ich ihr Nachbar sei, trat eine Deputation bei mir ein und bat mich um Erlaubniß, mir einige Gesänge vortragen zu dürfen. In diesem Kreise herrschte Heiterkeit und Freude und herrlicher Gesang. Ich suchte sofort nach dem Eindruck, den die Gesichter auf mich machten, Einen von ihnen herauszufinden, dem ich mich anschließen konnte. Ein hoher, bleicher Mann fiel mir auf, da seine Züge mich angenehm ansprachen, und wie ich bald in Erfahrung brachte, war die Wahl eine durchaus richtige. Er sang so schön, declamirte so vollkommen richtig und war der Genialste von Allen; es war, wie ich später erfuhr, der Componist der »Gluntarne« Ein Studentengesang »die Burschen.« Der Uebers., kurz, der Dichter Wennerberg. Später hörte ich ihn mit Beronius seine Bellman'schen Gesänge der Gegenwart singen. Es war bei dem Gouverneur der Provinz, in dessen Kreis ich mit Upsala's bedeutendsten Männern und Frauen versammelt war und dort auf die herzlichste Weise aufgenommen wurde. Zum ersten Mal begegnete ich hier Atterbom Der Dichter Peter Daniel Amadeus Atterbom, geboren den 19. Januar 1790 in Ostgothland, gestorben in Stockholm den 21. Juli 1855, studirte in Upsala, wo er 1807 den sog. »Aurorabund« stiftete, dessen Mitglieder nach der von A. herausgegebenen Zeitschrift »Phosphor« (1810-13) Phosphoristen genannt wurden. Der Zweck dieses Vereins war, den französischen Geschmack in der schwedischen Literatur zu bekämpfen. Ihre Nachfolger, die die Romantik ebenfalls vertraten, vereinigten sich unter der Bezeichnung »junges Schweden« (siehe die Notiz über Mellin Seite 125 d. B.). Atterbom bereiste Deutschland und Italien in den Jahren 1817-19 und lebte lange mit dem deutschen Dichter Friedrich Rückert (geboren den 16. Mai 1789 in Schweinfurt, gestorben den 31. Januar 1866 bei Koburg, siehe Dr. Conrad Beyer's Biographie, 1868) zusammen. Er wurde nach seiner Heimkehr Lehrer der deutschen Sprache beim Kronprinzen Oscar (I.) und 1821 Lehrer der Geschichte in Upsala, 1828 Professor der Philosophie, Logik und Metaphysik. Das Märchen »Die Insel der Glückseligkeit« erschien 1824 bis 1827 (Deutsch 1831-1833). Sein Werk »Aufzeichnungen über berühmte deutsche Männer und Frauen, nebst Reiseerinnerungen aus Deutschland und Italien 1817-19« ist von Franz Maurer (Berlin, E. Bichteler u. Co.) übersetzt worden. Der Uebers., dem Dichter » der Blumen«, der von » der Insel der Glückseligkeit« sang. Es giebt, sagt Marmier, eine Art Freimaurerei zwischen den Dichtern; sie kennen und verstehen einander. Und die Wahrheit dieses Satzes fühlte und erkannte ich bei diesem liebenswürdigen alten Skalden.

Behåll, hur tidens stridsvagn än må dundra,
Ditt lif af dikt och frojd i Sagans werld!
Liuft är att älska, herligt att beundra;
Jag minnes Dig – med denna dubbla färd.

Atterbom. In wörtlicher Uebersetzung:
Bewahr', wie der Zeiten Kampf auch mög' lärmen,
Dein Leben der Dichtung und Freude in der Sagenwelt!
Hehr ist's zu lieben, herrlich zu bewundern;
Ich denke Dein – mit diesem doppelten Gefühl.
Atterbom.

Um in Schweden zu jener Zeit zu reisen, mußte man einen eigenen Wagen besitzen. Ich wäre genöthigt gewesen, mir einen zu kaufen, wenn nicht der Landeshauptmann freundschaftlich mir den seinigen für die ganze Landreise angeboten hätte. Professor Schröder Johan Henrik Schröder, geboren 1791 in Westerås, gestorben den 8. September 1857 in Upsala, wurde 1815 Docent und 1830 Professor der Literaturgeschichte und Oberbibliothekar in Upsala. Der Uebers. versah mich mit kleinen Kupfermünzen und einer Peitsche; Fahlkranz schrieb die Reiseroute, und eine für mich und mein Reiseleben eigenthümliche Fahrt begann, nicht ungleich der, welche man in Amerika macht, wo noch keine Eisenbahn gebaut ist. Es war noch ganz so, wie das Reiseleben vor hundert Jahren gewesen ist, besonders im Gegensatz zu dem, woran ich gewöhnt war.

Als ich Leksand erreichte, wo der Siljan-See Seiner herrlichen, naturschönen Umgebung wegen » Dalkarliens Auge« genannt, ca. 6 deutsche Meilen von Falun entfernt und 570 Fuß hoch über dem Meere gelegen. Zwischen dem Orte Leksand und der Stadt Mora verkehrt ein Dampfschiff auf dem See, in den die große Dalelfe (Fluß), die schiffbar ist, einmündet. Der Uebers. in seiner ganzen großen Ausdehnung von der Sonne glänzend beschienen vor mir lag, wand man Kränze für die sogenannte Maistange zum Feste des Mittsommerabends Der Abend vor dem 24. Juni, dem Johannestage, der in ganz Schweden gefeiert wird. Der Uebers.. Mächtige Weidenbäume hingen über die schnell dahinfließende Dal-Elf hinaus, wo die wilden Schwäne nisten. Jenseits Mora, gegen die norwegische Grenze zu, tauchten die Berge in blauen Tinten auf. Die ganze Landschaft verrieth Leben und Bewegung, verschönert durch die malerischen Trachten der Bewohner Dalkarliens. Die Sommerwärme hatte die ganze Landschaft in Festpracht gekleidet; Alles war so verschieden von dem, was ich mir hier oben gedacht hatte. Und welches Leben nun bei dem Mittsommerfest! Böte in Menge kamen, überfüllt mit den festlich gekleideten Kirchgängern, Alt und Jung, selbst mit Säuglingen, herbei. Es war ein Gemälde so lebensvoll, so großartig, daß ich es mit Worten nur dürftig wiedergeben kann. Professor Marstrand Wilhelm Nikolai Marstrand, geboren 1810 in Kopenhagen, gestorben daselbst im September 1865, wählte anfangs das Volksleben und Holberg's Komödien als Motiv seiner charaktervollen Genrebilder. Dalkarlien bereiste er 1850 und 1851 und endlich schmückte er die Grabkapelle Christian IV. im Dom zu Roeskilde mit seinen historischen Bildern al fresco. Die meisten seiner Bilder sind in der königlichen Bildergalerie gesammelt bei einander. Der Uebers., den meine Schilderung dieses Bildes und meine mündlichen Erzählungen später lebhaft interessirten, machte während zweier Sommer gerade während des Mittsommerfestes eine Reise hier hinauf und gab in Geist und Farbe das reiche Bild auf der Leinwand wieder.

In Leksand war noch ein Wirthshaus für die Reisenden zu finden, aber höher hinauf gab's keins mehr. In Rättvik mußte ich daher, dem Gebrauch des Landes folgend, bei dem Prediger absteigen, um Nachtquartier zu erlangen. Aber bevor er noch meinen Namen hörte, war ich ihm bereits willkommen, dann aber wurde es gleichsam ein Fest im Hause, und als ich mit ihm am folgenden Tage zu der nahe gelegenen Wasserheilanstalt ging, stand an der Brücke eine große Schar Kinder, die die Mützen schwangen, denn sie kannten ihn, der die »Märchen« geschrieben hatte. » Andersen befindet sich hier oben in Dalkarlien!« verkündeten gestern als Neuigkeit die Kleinen jubelnd und trugen die Nachricht von Haus zu Haus. Ich dachte in dieser Stunde an meine kleinen, armen Freunde in Heriots-Hospital Siehe S. 60 d. Bds. Der Uebers.« in Edinburgh, dachte an Schottlands Jugend, während ich jetzt in dem frohen Kinderkreise oben in Dalkarlien mich befand, und mein Herz wurde demüthig und weich. Gott tief dankend, bat ich ihn, die Seufzer und die Schmerzen, die ich vor ihm in schweren Stunden, in bitteren Augenblicken meines Lebens aussprechen könnte, zu verzeihen.

Die alten Erinnerungen, der Sonnenglanz, die Sagen und Geschichten sind es, die einer Gegend Macht und Bedeutung verliehen, oftmals größere als die malerische Schönheit. Hier oben haftet der Gedanke bei der Treue der Dalkarlier, bei Gustaf Wasa's Gustaf Wasa, der Gründer des königlichen Wasageschlechts, geboren den 12. März 1496 in Upland, Sohn des Reichsraths Erik Johansson, entfloh vor der dänischen Gewaltherrschaft nach Lübeck und kam, gejagt wie ein Wild, nach Dalkarlien, wo er Schutz, Unterkommen und Unterstützung fand. Er verjagte nach langen Kämpfen die Dänen und wurde 1523 zum König erwählt. Er starb den 29. September 1560. Der Uebers. Flucht und Heldenthaten. Hier ist die Scene des romantischen Theils seines Lebens in seiner ganzen Größe und Einsamkeit fast unverändert. In der Bilderreihe, die ich in meinem Buch » In Schweden« gegeben habe, wird man sehen, wie weit ich es vermochte, den Eindruck, den die Scenerie auf mich machte, wiederzugeben. Die unendlich großen, ausgedehnten Waldstrecken mit ihren einsamen Weilern, ihren tiefen, klaren Waldseen, wo die Linea auf den Felsblöcken blüht, und wo die wilden Schwäne nisten, war etwas Neues, fast Fremdes für mich. Ich fühlte mich gleichsam Jahrhunderte an Zeit zurückversetzt. – Falun mit seinen Kupfergruben und seiner schönen Umgebung besuchte ich, und von hier bewahrt die Erinnerung eine kleine Begebenheit, die man freilich zu den Zufälligkeiten rechnen darf, aber vielleicht von Vielen dennoch auf eine höhere Stufe gestellt werden dürfte. Ich habe in meinen schwedischen Bildern dieser Begebenheit die Ueberschrift gegeben: »Was die Halme erzählten.« Es ist keine Dichtung, sondern etwas Erlebtes,

Im Garten bei dem Landeshauptmann in Falun saß ein Kreis von jungen Mädchen, welche scherzend vier Grashalme in die Hand nahmen und die Enden zu je zwei zusammenbanden. Wenn es dann gelingt, daß alle vier Halme ein zusammenhängendes Ganze bilden, wird nach dem Volksglauben dasjenige in Erfüllung gehen, woran man dachte, als man dasselbe band. Es wollte keinem der jungen Mädchen gelingen, und nun wollten sie durchaus, daß ich es versuchen sollte. »Aber ich nähre keinen Aberglauben!« versicherte ich, nahm aber dennoch vier Halme und versprach, daß ich, im Fall mir das Zusammenknüpfen gelingen sollte, ihnen meinen Wunsch, den ich während der Zeit hegte, erzählen würde. Ich band die Halme zusammen, öffnete die Hand und das Ganze war geschlossen, Unwillkürlich stieg mir das Blut in die Wangen. Ich wurde abergläubisch, und trotz meines vernünftigen Gedankens glaubte ich an den Volksglauben, weil ich es gern wollte, »Und wie war der Wunsch?« fragte man mich. Ich antworte: »daß Dänemark einen großen Sieg gewinne und bald einen ehrenhaften Frieden erlange!« – »Möge es Gott geben!« brachen sie Alle aus. Und die Prophezeiung der Grashalme war an dem Tage – zufälligerweise – eine Wahrheit, denn bald ertönte es rundum in Schweden von der »Schlacht bei Fredericia.« 6. Juli 1849. Der Uebers.

Ueber Gefle kehrte ich nach Upsala und Dannemora Die weltberühmten Eisengruben, die zu Tage offen sind, sind ca. 4 Meilen von Upsala gelegen, wohin jetzt eine Eisenbahn führt. Der Uebers. zurück, dessen schwindelerregend tiefe Gruben ich von oben sah. Ich sah früher den Rammelsberg im Harz, die Baumannshöhle, Halleins Salzwerke und auch die Katakomben in Rom und auch Malta besuchte ich – es ist nirgends ein Vergnügen, sondern unheimlich, erdrückend, als ruhe ein Alp während des Besuchs auf der Brust. Ich werde nie mehr gern unter die Erde hinabsteigen, bis man meinen todten Körper dort versenkt.

Bei Alt-Upsala stieg ich vom Wagen, um jetzt die ausgegrabenen Höhen, welche die Namen von Thor, Odin und Freyr Man sehe den vorigen Band die Note 3 auf Seite 188 und 191. Der Uebers. tragen, zu sehen. Als ich vor dreizehn Jahren mich hier befand, lagen dieselben noch in ihrem tausendjährigen Verschluß. Die Alte, welche den Schlüssel nach dem Gange zur Höhe hatte und deren Tante mir damals das Methhorn kredenzte, wurde froh überrascht, meinen Namen zu hören und wollte nun, wie sie sagte, die Höhe für mich beleuchten wie für hohe Herrschaften, welche von Stockholm hierher gekommen wären. Während sie sich damit beschäftigte, bestieg ich allein die Höhe mit Gebet und Dank an Gott für alles Gute während der entschwundenen Zeit meines letzten Hierseins; von meinen Lippen flog das Wort: »Dein Wille geschehe, so auch mit mir!« Auf diese Weise habe ich unbewußt meinen Gottesdienst verrichtet, bald in der Waldnatur, bald auf den Gräbern des Alterthums und bald in der kleinen einsamen Stube. Als ich den Hügel hinabkam, hatte die Frau kleine Wachslichte rundum in dem Gange angebracht, und ich sah die alte Urne, deren Inhalt die Frau als Odin's Knochen bezeichnte, d. h. die seiner Nachkommen, des Ynglinga-Geschlechts. Der Name des Geschlechts, das während der vorgeschichtlichen oder Sagenzeit in Schweden herrschte, also bis Ende des 8. Jahrhunderts. Der Uebers. Rundum lag Asche von verbrannten Thieren.

Nachdem ich meine Freunde in Upsala wieder begrüßt hatte, erreichte ich Stockholm, wo ich bei der alten Frau Bremer wie ein Kind des Hauses aufgenommen wurde. Damals lebte noch die geistreiche, sehr kranke Agathe, die Schwester Frederike Bremer's, an die alle Briefe von Amerika gerichtet sind und die bei Frederike's Heimkehr gestorben war. Es war in dem Hause der alten Mutter heimisch und gut, wo ich nochmals mit einem Kreise von Familien versammelt war, die zu den besten in Schweden gehörten. Es war auf diese Weise ganz interessant, den Unterschied der Wirklichkeit gegen alle die Geschichten, welche in Dänemark und im weiteren Ausland über die Verwandtschaft und die Vermögensverhältnisse dieser Schriftstellerin circulirten, zu beobachten. Als sie zuerst als Schriftstellerin auftrat, hieß es, sie sei Gouvernante bei einer adligen Familie, und da erwies es sich, daß sie Besitzerin des Gutes Arsta und frei und selbstständig war.

Es ist mir in einer fremden Stadt gewissermaßen ein Bedürfnis, nicht blos den lebenden Tüchtigen und Herrlichen nahe zu treten, sondern ich muß auch die Gräber bekannter lieber Todten besuchen, ihnen eine Blume auf's Grab legen, oder mir eine solche von ihren Gräbern holen. In Upsala war ich an Geijer's Der Dichter Erik Gustaf Geijer war 1783 in Wermland geboren. Er ging, 16 Jahre alt, nach Upsala, wo er 1810 Docent und 1817 Professor der Geschichte wurde. Er starb daselbst 13. April 1847. Seine Gedichte befinden sich fast in jedem Hause in Schweden. Man trägt sich mit der Absicht, ihm in Stockholm ein Denkmal zu setzen. Sein 1849 gestorbener Sohn Knut war ebenfalls Dichter. Der Uebers. Grab gewesen. Das Monument war damals noch nicht errichtet worden, » der Dornrose« Grab war noch von Gras und Unkraut überwuchert. In Stockholm besuchte ich die Gräber, welche Nicander Der Dichter Carl August Nicander, geboren 1799 in Strengnäs, gestorben den 7. Februar 1837 in Stockholm, studirte in Upsala und trat 1824 in des Königs Kanzlei als Kanzlist ein; er machte 1827 eine Reise nach Dänemark, Deutschland, Schweiz und Italien und trat zu dem Buchhändler Hjerta in nähere Verbindung. Als Dichter gehörte er der romantischen Schule an. Von seinen Werken, die 1839-1854 in einer Gesammtausgabe in 13 Bänden erschienen, hat Mohnike 1829 »König Enzio, der letzte Hohenstaufe« übersetzt. Unter seinen Uebersetzungen befinden sich »die Räuber« und »die Jungfrau von Orleans.« Der Uebers. und Stagnelius Siehe Seite 187 im vorigen Bande. Der Uebers. bergen. Ich fuhr hinaus nach Solna bei Stockholm nach dem kleinen Kirchhof, aus dem Berzelius, Choräus, Ingelmann und Crusell Ungefähr ½ Meile in nordwestlichen Richtung, zwischen dem Carlberg- und dem Haga-Schlosse, liegt der Solna-Kirchhof mit einer merkwürdigen Kirche, einem der ältesten Gebäude Schwedens. Der runde Theil der Kirche ist aus ungeheuer großen Felsensteinen erbaut, von denen man glaubt, daß sie die Ueberreste eines thurmähnlichen, heidnischen Sonnentempels seien, welche dem im Norden damals herrschenden Baldurkultus geweiht war. Der Kirchhof aber birgt eine große Menge kostbarer Denkmäler, meist aus Porphyr, die die Namen großer Männer tragen. Sie Alle anzuführen, die hier ihre letzte Ruhestätte gefunden, übersteigt unsern uns angewiesenen Raum und wir beschränken uns daher auf die von Andersen erwähnten Namen. – Wegen des großen Chemikers, des Freiherrn Jacob von Berzelius siehe man die Note Seite 191 im vorigen Bande. – Der Dichter Michel Choräus, dessen Grab ein unbehauener Stein, auf dem nur der Name eingemeißelt ist, starb im Alter von 32 Jahren. Seine Muse war mild, froh, gutmüthig und religiös wie er selbst, erglüht für alles Schöne und Gute, aber ohne höheren Schwung und überlegene Kraft. Hätte der Sturm nicht die Blüte in ihrer Entwickelung gebrochen, wahrscheinlich wären vollsaftige Früchte daraus entsprungen. – Der Dichter Georg Gabriel Ingelmann, geboren 1788, ertrank durch einen unglücklichen Zufall im Hafen zu Stockholm anfangs 1845. – Der Komponist Henrik Bernhard Crusell, geboren 1775 in Nystad in Finnland, kam 1791 nach Stockholm, wo er als Clarinettist bei der Garde und 1793 in der Hofkapelle angestellt wurde. 1798 ging er nach Deutschland, wo er bis 1803 in Berlin blieb, hielt sich in Paris auf und machte dann von 1811-1822 Kunstreisen. Er starb 1838 in Stockholm, seine meisten Kompositionen, aus Concerten, Quartetten und Solos für Klarinette bestehend, sind in Leipzig seiner Zeit erschienen. Er componirte außerdem Lieder und die Musik zur »Frithjof's Sage.« – Auch Freiherr von Beskow ruht hier (siehe S. 116 d. B.) Der Uebers. ruhen. Auf dem großen Stockholmer Kirchhof hat Wallin Der neue große Friedhof bei Stockholm, nicht fern von dem bei Solna, ist ein Werk des berühmten Canzelredners, Bischofs Johan Olaf Wallin; er weihte denselben 1827 als Pastor Primarius der Nicolaikirche (Storkyrka) in Stockholm zu seiner Bestimmung ein und seit 1839 ruht er selbst hier von seinem segensvollen Wirken aus – ein antik gehaltenes Denkmal von polirtem Porphyr auf einem Sockel von Granit bezeichnet die Stelle. – Wallin wurde den 15. October 1779 in Dalkarlien geboren; er studirte in Upsala und wurde 1809 Lehrer an der Kriegsschule in Carlberg und Pfarrer zu Solna, 1812 kam er nach Stockholm, wo er 1818 an die Storkyrka kam, und 1830 Oberhofprediger und Ordensbischof wurde. 1837 kam er als Erzbischof und Canzler der Universität Upsala nach dort, wo er den 30. Juni 1839 starb. Als Dichter steht Wallin sehr hoch; es wurden mehrere seiner Gedichte von der Akademie gekrönt. 1819 verfaßte er im Verein mit Choräus und Franzén ein neues Gesangbuch, das in ganz Schweden eingeführt wurde. Eine Gesammtausgabe seiner Werke erschien 1866 in Stockholm. In seinem Geburtsorte beabsichtigt man, an seinem 100jährigen Geburtstage ihm dort ein Denkmal zu setzen. Der Uebers. sein Grab.

Mein eigentliches Heim in Stockholm war und blieb übrigens bei dem Baron von Beskow, den König Carl Johan in den Adelstand erhoben hat. Er gehört zu den liebenswürdigsten Personen, von denen gleichsam ein mildes Licht über das Leben und die Welt ausstrahlt. Herzlich und talentvoll ist er, davon zeugen seine Zeichnungen, seine Musik, selbst seine Stimme zeigt sich hier bei dem alternden Manne als weich und frisch. – Seine Bedeutung als Dichter ist bekannt, und durch Oehlenschläger's Uebersetzung sind auch seine Tragödien in Deutschland bekannt geworden. Geliebt von seinem Könige, ist er von seiner Umgebung geehrt, dazu ein Mann von selten hoher Bildung, ein treuer, lieber Freund.

Der letzte Tag während meines Aufenthalts in Stockholm war der Geburtstag des Königs Oscar. Ich war mit einer Einladung zum Feste beehrt worden. Der König, die Königin und alle Prinzen waren beim Abschied höchst mild und herzlich gegen mich. Ich war tief bewegt, wie wenn man sich von seinen Lieben trennt.

Oehlenschläger bespricht in seinen »Lebens-Erinnerungen« 4. Band Seite 85 den Grafen Saltza Der Graf Carl Anton Philip von Saltza war Ober-Ceremonienmeister und Cabinets-Kammerherr, ehemaliger Ordonnanz-Offizier bei König Carl XIV. Johan. Näheres ist mir über diesen Mann nicht bekannt geworden. Er muß einen hohen Grad in der Freimaurerei gehabt haben, denn ich finde ihn unter den Namen der Ritter des Carl XIII. Ordens (1864) ausgeführt. – Das Geschlecht der Salza ist sehr alt und stammt aus Thüringen; das Stammschloß soll in oder bei Langensalza gestanden haben. Der berühmteste dieses Namens war Hermann von Salza (1180-1239), der Großmeister des deutschen Ordens. Nebenzweige dieses um 1400 ausgestorbenen Hauptzweiges ließen sich in Braunschweig, Schlesien, Böhmen, Esthland und Schweden nieder. Ein Salza, Hugo Hermann (geb. 1726) war schwedischer General und Reichsmarschall und wurde 1778 in den schwedischen Grafenstand erhoben. – Dieser veränderte dann den Namen Salza in Salt-za, da das deutsche Wort »Salz« im Schwedischen »Salt« heißt. Der Uebers. und man wird in der That recht neugierig, zu erfahren, wer dieser Mann war. Allein man kommt beim Lesen seiner Notizen nicht zur Kenntniß darüber.

Im Vorzimmer bei König Oscar war ich von Beskow dem alten Grafen Saltza vorgestellt worden, der mich sofort freundlich und mit schwedischer Gastfreiheit einlud, ihn auf seinem Gute Mem Der Götakanal mündet bei dem Gute Mem in die Ostsee und bildet die erste Schleusen-Station, wenn man von letzterer kommt. Das Gut soll dem tapferen Seehelden Jakob Bagge unter Erik XIV. zugehört haben. Eine Sage berichtet, daß in den Kellern des Schlosses die großen silbernen Statuen der 12 Apostel vergraben sein sollen. Jetzt gehört das Gut dem Freiherrn von Saltza. – Wer sich über den Götakanal und seine Umgebungen näher informiren will, den verweise ich auf mein »Reise- und Skizzenbuch für Schweden«. 2. Auflage. Berlin, Bichteler & Co. Der Uebers. zu besuchen, im Fall er zur Zeit meiner Heimreise, wenn das Dampfschiff dort anlangt, dort sei, oder sonst auf seinem Gute Säby bei Linköping, das nicht fern von meiner Canalreise belegen sei. Ich nahm es für die gewöhnlichen freundlichen Worte, die man so oft im Leben hört und dachte nicht daran, einen Gebrauch von der Einladung zu machen, allein auf der Heimreise am Morgen, als wir den Roxen-See verließen und durch die dreizehn Schleusen bei der Wretakirche Siehe die Note daselbst: Den – Abend. Der Uebers., deren Königsgräber ich in dem » Bilderbuch ohne Bilder« besungen habe, hinauf wollten, kam plötzlich der Componist Josephson, Jacob Axel Josephson ist geboren den 27. März 1818; er studirte in Upsala und nachdem er 1842 den Doctorgrad der Philosophie erlangt hatte, widmete er sich ausschließlich der Musik. 1844 trat er eine längere Studienreise an, von der er 1849 heimkehrte und nach Nordblom's Tode zum Director musices in Upsala ernannt wurde. Er war der Erste, welcher an der Universität geordnete Vorlesungen über die Geschichte der Musik hielt und ein zahlreiches Auditorium um sich sammelte. Er ist der Schöpfer des berühmten »Studentengesangvereins«, der im Sommer 1878 in Paris, Cöln und Hamburg gerechtes Aufsehen erregte. Er stand lange an der Spitze der »harmonischen Gesellschaft« und des Gesangvereins »Orpheus' Söhne« ( Orphei Drängar) in Upsala, der sich meist nur aus Studenten rekrutirt. Er wurde 1868 zum Professor der Musik ernannt. Josephson's Kompositionen, namentlich seine Lieder, sind zum Theil auch in Deutschland bekannt geworden. Der Uebers. mit dem ich, wie ich früher erzählt, in Sorrent und auf Capri zusammengelebt und den ich später in Upsala wieder getroffen hatte, an Bord. Er war Graf Saltza's Gast auf Säby, und da man berechnet hatte, mit welchem Dampfschiff ich den Canalweg zurücklegen würde, war er hierher an die Schleusen geschickt worden, um mich mit dem Wagen abzuholen. Diese Aufmerksamkeit bewies mir den Sinn des freundlichen alten Herrn, und schnell bekam ich mein Reisezeug zusammen, und im strömenden Regen fuhr ich nach Säby, nach dem im italienischen Styl erbauten Schlosse, wo der alte Graf Saltza mit seiner geistreichen, liebenswürdigen Tochter, der Wittwe des Freiherrn von Fock, wohnte.

»Es herrscht eine geistige Verwandtschaft zwischen uns Beiden,« sagte der alte Mann. »Das fühlte ich sofort, als ich Sie sah! Wir waren einander nicht fremd.« Das waren die Empfangsworte, und der Greis, dem man so viele Eigenheiten nachsagte, wurde mir bald durch Geist und Liebenswürdigkeit theuer. Er erzählte von seinen Bekanntschaften mit Königen und Fürsten; mit Goethe und Jung-Stilling Der Schriftsteller Johann Heinrich Jung, genannt Stilling, geboren den 12. September 1740 im Nassauischen, starb den 2. April 1817 in Carlsruhe, hatte ursprünglich das Schneiderhandwerk erlernt; er studirte dann in Straßburg Medizin und verkehrte damals viel mit Goethe. 1772 ließ er sich als Arzt in Elberfeld nieder und wurde 1807 in Marburg Professor der Kammeralwissenschaften, ging 1804 in gleicher Eigenschaft nach Heidelberg, wo er den Titel eines Geheimraths erlangte. Außer seinen Fachschriften machten seine mystischen Arbeiten »Theobald, oder die Schwärmer« und »Theorie der Geisterkunde« großes Aufsehen König Gustaf IV. Adolf von Schweden soll gerade durch die Schriften Jung-Stilling's auf Abwege gerathen sein, die ihn um die Krone brachten. Der Uebers. hatte er im Briefwechsel gestanden. Er erzählte, daß seine Ahnen norwegische Bauern und Fischer gewesen, die nach Venedig gekommen, christliche Gefangene gerettet hätten und von Karl dem Großen zu Fürsten von Salza ernannt worden seien. Das Fischerlager, das dort gelegen war, wo jetzt Petersburg liegt, hatte seinem Urgroßvater gehört, und ich hörte erzählen, daß Saltza einst, als der Kaiser Nikolaus von Rußland sich in Stockholm befand, scherzend zum Kaiser gesagt haben soll: »Ihre Kaiserstadt liegt eigentlich auf dem Grund und Boden meiner Vorfahren!« Und der Kaiser soll ihm geantwortet haben: »Nun, dann kommen Sie und nehmen Sie sich denselben!«

Eine alte Sage erzählt, daß die Kaiserin Katharina die Erste von Rußland Andersen's Wiedergabe der Erzählung des alten Grafen Saltza weicht von allen anderen Berichten vollkommen ab, so daß ich die Aufmerksamkeit der Leser ganz besonders hierauf lenken will.
Katharina I. ist am 15. April 1684 geboren. 1107 soll Czar Peter der Große sich mit ihr heimlich vermählt haben. Er erkannte sie aber erst 1712 öffentlich als Gemalin an und 1724 wurde sie gekrönt. Nach Peter's Tode 1725 wurde sie als Kaiserin ausgerufen und starb nach einem wüsten Leben den 17. Mai 1727. Der Uebers.
von schwedischer Abkunft gewesen sei, und nach Saltza's Erzählungen und Aufzeichnungen wird dies bestätigt. Er zieht die Geschichte ihrer Kindheit in das Leben seines Ur-Großvaters hinein. Sehr interessant sind die Aufzeichnungen, die er gemacht hat und die er wie folgt erzählte:

Eines Tages las sein Vater einen Auszug aus der russischen Geschichte, legte aber gar bald das Buch fort und sagte, daß das, was in dem Buche über die Kaiserin Katharina gesagt sei, nicht mit der Wahrheit übereinstimme; er wisse das besser, und da erzählte er ihm Folgendes: »Der Großvater meines Vaters mütterlicher Seite war der General Hans Abraham Kruse, Oberst der grünen Dragoner. Als er Oberstlieutenant bei denselben war und auf dem zu seiner Charge gehörigen Besitzthum Braten wohnte, geschah es, daß sein Kammerdiener Jean Rabe sich mit der Kammerjungfer seiner Frau, Katharina Almpaph zu verheirathen wünschte. Die Frau des Obersten Kruse, eine geborene Annike Sinclair, veranstaltete eine prächtige Hochzeit, und das Brautbett wurde mit Goldgalonen geschmückt, die Frau Annike als ehemaliges Hoffräulein der Gemalin Carl X. an ihrer Scharlachschleppe getragen hatte. Es wurde später zu einem Sprichwort in der Familie: »stattlich wie Jean Rabe's Brautbett!« Jean wurde später Regimentsfeldwebel im Elfsborgs-Regiment, starb aber, wie auch seine Frau sehr früh und hinterließ eine einzige Tochter Katharina, die zur alten Generalin Kruse auf Hökälla kam, bei der sie während zweier Jahre blieb. Da kam Frau Annike's Cousine, die Gräfin Tisenhusen zum Besuch; sie fand, daß die achtjährige Katharina ein hübsches und kluges Kind sei und nahm sie zu sich. Sie verbrachten den Winter in Stockholm und reisten dann im nächsten Frühjahr nach Pommern, wo die Gräfin eine große Erbschaft übernehmen sollte. Als sie aber in die Nähe von Rügen kam, lag ein Wachtschiff da, das ihnen verbot, an's Land zu steigen, da die Pest dort ausgebrochen sei. Sie mußten also wieder nach Stockholm zurückkehren und verbrachten dort den kommenden Winter in dem sogenannten Ankercron'schen Hause. In Reval starb eine Tante der Gräfin, welch letztere deshalb im Mai hinüberreiste, ungeachtet die Russen gerade zu der Zeit oftmals in Esthland einfielen und es verheerten. Da die Gräfin in Esthland geboren war, sprach sie auch deutsch und hatte deutsche Dienstboten. Katharina mußte natürlicherweise auch diese Sprache erlernen. Die Reise verlief sehr glücklich, und nach einem dreitägigen Aufenthalt daselbst wurde Katharina mit einem Auftrage außerhalb der Stadt gesandt. Als sie zurückkehrte, stand auf der Thür des Hauses geschrieben, daß Niemand eintreten dürfe, weil dort die Pest herrsche. Katharina rief laut, der Pförtner antwortete von innen, daß die Gräfin und neun Personen bereits gestorben seien, und er selbst abgesperrt sei. Katharina lief aus Verzweiflung weinend die Straße hinauf, als sie dem Prediger Glück von Majam begegnete, der nach der Stadt gekommen war, um ein Kindermädchen für sein kleines Söhnchen, das der Brust entwöhnt werden sollte, zu miethen. Der Geistliche sah die Verzweiflung des wolgewachsenen, blühenden Mädchens, fragte, was ihr denn geschehen sei, und da er ihr Unglück vernahm, und daß sie nicht in dem angesteckten Hause gewesen sei, bot er ihr einen Dienst als Kindermädchen in seinem Hause an, ein Anerbieten, das sie in ihrer Verlassenheit annehmen mußte, obgleich sie es bisher besser gewohnt war. Bald war sie in dem Pfarrhofe sehr beliebt, und die Frau des Predigers vermochte sie schließlich gar nicht mehr zu entbehren. Graf Saltza's Urgroßvater pflegte, wenn er sich in der Gegend auf Jagd befand, in dem Pfarrhof zu übernachten. Nach der Schlacht bei Narwa Bei Narwa, am finnischen Meerbusen gelegen, siegte am 30. November 1700 Carl XII. über die Russen unter Czar Peter I. Der Uebers. unter Carl XII. verheerten die Russen Esthland; sie wurden von Anesen Laputschin (?) angeführt; er brannte die Majam-Kirche nieder, nahm die ganze Besatzung auf dem Saltza'schen Gute gefangen und sandte die getreuen Vasallen nach Sibirien. Als der Pfarrhof in lichten Flammen stand, sah er zum ersten Mal Katharina und behielt sie als Beute. Mentschikoff, Alexander Danilowitsch, geboren den 17./28. November 1672 in Moskau von armen Eltern, war ursprünglich Bäckerlehrling; er erweckte Peter des Großen Aufmerksamkeit und stieg so in seiner Gunst, daß er zu den höchsten Stellungen im Reiche gelangte. 1702 wurde er von Kaiser Leopold I. zum deutschen Reichsgrafen und 1706 zum Reichsfürsten und 1707 zum russischen Fürsten mit dem Namen Mentschikoff ernannt. Nach Peter's Tode wirkte er für die Thronbesteigung der Kaiserin Katharina und wurde dadurch allmächtig. Nach deren Tode führte er die Regentschaft während der Minderjährigkeit Peter's II.; schließlich wurde er durch die Macht seiner Feinde, namentlich durch die Grafen Osterman und Dolgoruki, gestürzt und nach Sibirien verbannt, wo er den 22. October (2. November) 1729 starb. – Sein Urenkel, Alexander Sergejewitsch Fürst von Mentschikoff (geboren 1789, † den 2. Mai 1869) spielte die bekannte herausfordernde Rolle in Constantinopel, in Folge dessen 1854 der Krimkrieg zwischen Rußland einerseits und der Türkei, Frankreich, England und Italien andererseits ausbrach. Der Uebers. des Czaren Günstling, der gefürstet worden war, äußerte, als er bei einem Besuch im Laputschin'schen Hause Katharina, die ihn bediente, sah, daß sie sehr schön sei. Am Tage darauf wurde sie ihm als seine Leibeigene zugesandt. Mentschikoff jedoch war kein großer Freund der Weiber und erblickte in ihr nur eine neue, hübsche Dienerin. Eines Tages, als Katharina den Boden scheuerte, trat der Kaiser ein, aber da Mentschikoff nicht zu Hause war, wandte er sich um, um sich zu entfernen. Da erblickte er auf dem Tisch einen Teller mit Confect, den man ihm stets vorsetzte, wenn er kam, und er bediente sich des Inhalts. Katharina, die ihn nicht kannte, fuhr mit dem Scheuern des Fußbodens fort. Der Kaiser sah ihr lange zu, strich mit der Hand das Haar aus ihrer Stirn und sagte: »Du bist ein schönes Mädchen!« Sie erröthete. Er streichelte ihr die Wangen, gab ihr einen Kuß und entfernte sich. Katharina erzählte Mentschikoff mit großem Verdruß von dem fremden Offizier, der gekommen sei, von dem Confect gegessen und sich erlaubt habe, sie zu küssen. Als sie denselben näher beschrieb, begriff Mentschikoff sofort, daß es der Kaiser war, und er benutzte diesen Zufall. Es war gerade Befehl gegeben worden, neue Kleider von anderer Art als die bisherigen zu tragen, und in eine dieser für die Frauen bestimmten Nationaltracht wurde Katharina gesteckt. Dieses Costüm war sehr kleidsam und dazu prachtvoll; die Haube glich denen der holländischen Landbewohner. Sie mußte dem Kaiser einen Teller Confect von gekochten Früchten mit einem unterthänigen, schmeichelhaften Schreiben, daß der Czar das Confect und sie, die es bringe, nicht verschmähen möge, überreichen. Wie sie dann später des Czaren Gemalin wurde, meldet die Geschichte.

»Der Urgroßvater Saltza's kam unter ihrer Regierung aus der sibirischen Gefangenschaft zurück, in der er sechszehn Jahre lang geschmachtet hatte. In Moskau war gerade im kaiserlichen Garten ein großes Fest veranstaltet worden. Er wurde eingeladen und erschien mit dem alten Knees Gagarin Knees (eigentlich Knjäs) bedeutet ein russischer Edelmann erster Klasse, was ungefähr dem Begriff eines deutschen Fürsten entsprechen mag. Besondere Rechte besitzen sie als solche nicht. Meist stammen die Inhaber aus alten Regentenfamilien der jetzigen russischen Provinzen. – Die fürstliche Familie Gagarin ist sehr alt. Der hier in Rede stehende Knees G. hieß Matwej; er war unter Peter dem Großen Statthalter, später Gouverneur von Sibirien. Er fiel beim Kaiser in Ungnade und wurde 1721 in Petersburg hingerichtet. Der Uebers., der während der Gefangenschaft Salza's wahrer Freund gewesen war. Der alte Gagarin konnte Mentschikoff nicht leiden, und da dieser bei Jenes Eintreten seinen Gruß nicht erwiderte, sagte er: »Siehst Du denn nicht, daß ich grüße?« Mentschikoff antwortete nicht, sondern lächelte höhnisch und wurde nun von dem Alten ausgescholten. Mentschikoff rief darauf seine Leute herbei, überwältigte den Alten und trat ihn mit Füßen. Salza, der seinen Freund vertheidigen wollte, wurde nun auch angegriffen. Aber Katharina, die dies von dem erhabenen Platze, wo sie stand, gewahrte und an der Stimme ihren alten Freund erkannte, rief Mentschikoff zu: »Berührst Du ein Haar auf Salza's Haupt, dann sitzest Du morgen im KremlSiehe die »Märchen« Band II. Seite 183. Der Uebers. Und der Streit hatte ein Ende.«

Später wurde Salza Präsident des Commerz-Collegiums und behielt stets die Gunst der Kaiserin. Seine Familie befindet sich noch in Rußland.

Der alte Graf Saltza gilt für einen Geisterseher. König Carl Johan, dem von der Lenormand Die berühmte Wahrsagerin und Kartenlegerin Marie Anna Adelaide Lenormand ist den 27. Mai 1772 in Alençon geboren; sie prophezeite Napoleon's Fall und schrieb mehrere Bücher; sie starb in Paris den 25. Juni 1843. Der Uebers. prophezeit worden war, er würde König werden, hatte Freundschaft und Vertrauen zu ihm, und wunderbar genug, der Todestag des Königs, so erzählt man, traf wirklich an dem Tage ein, den Saltza vorhergesagt hatte. Hier auf Säby in dem großen Rittersaal, wo jetzt Saltza und ich saßen, hatten Carl Johan und die Königin Eugenie König Carl XIV. Johan, Adoptivsohn und Nachfolger des Königs Carl XIII. von Schweden, hieß ursprünglich Jean ( Johan) Baptiste Julius Bernadotte und wurde den 26. Januar 1764 in Pau in Frankreich geboren, wo sein Vater Advokat war. (Der jetzige Kronprinz von Schweden ist der erste Nachkomme, der die Vaterstadt seines Stammvaters besucht, October 1878). 1780 trat er beim Militair ein und schwang sich zum Marschall empor (1804) und wurde von Napoleon am 5. Juni 1806 zum Fürsten von Ponte-Corvo ernannt. Am 21. August 1810 wurde er vom schwedischen Reichstag zum Kronprinzen berufen. 1813 erklärte er Napoleon den Krieg und nahm an der Bekämpfung desselben lebhaften Antheil. 1814 zwang er Dänemark zur Uebergabe Norwegens. Er bestieg den 5. Februar 1818 den Thron und starb in Stockholm den 8. März 1844. Er vermählte sich 1798 mit Eugenia Bernhardina Désidéria, der Tochter eines reichen Kaufmanns Clary in Marseille (geboren den 8. November 1781, gekrönt 1829 und gestorben in Stockholm den 17. Dezember 1860). Siebe die Note Seite 6 und 7 im vor. Bande. Der Uebers. oft gespeist. Rundum hingen Bilder von Saltza's ritterlichen Ahnen, und Roccocostühle und Möbel zierten die Wände. Der große Raum wurde von zwei Kaminen erwärmt. Hier saß ich mit dem würdigen alten Herrn. Wir sprachen über Geisterleben, und er erzählte mit großem Ernst und Ueberzeugung, wie sein Urgroßvater sich ihm des Nachts gezeigt und ihn gefragt habe, ob er mit ihm gehen und Gottes Himmel schauen wolle, und dann hinzugefügt habe: »Aber dann mußt Du erst zu sterben versuchen!« – »Er berührte mich«, fuhr der alte, würdige Mann fort, »und ich versank gleichsam in Ohnmacht!« – »Ist der Tod nichts Anderes?« fragte ich. – »Nein«, erwiderte mein Urgroßvater. Und so stand ich im Vorhofe des Himmels Gottes. Es war der herrlichste Garten! Die Beschreibung desselben, wie Saltza sie machte, war ganz so, wie hier auf Erden; ich fand nichts Neues darin. Er traf dort seinen Bruder und seine Schwester. Diese war als ganz kleines Kind gestorben. Er kannte sie nicht, bis sie ihm sagte, wer sie sei. »Es ist gut, daß Du jetzt kommst«, sagte sie. »Es ist heute Christi Namenstag, und da gehe ich aus dem Kinderhimmel hinein in den großen Himmel Gottes!« –

»Aber«, wandte ich ein, »weshalb kommt das Kind nicht sofort in den großen Himmel Gottes? Das sagt ja die Bibel!« – »Ja wol, aber ich habe es jetzt gesehen!« sagte er. – Indeß war es wahrhaft hübsch, was er von Gott sagte. »Ich stand dort im Himmel und gewahrte einen Glanz, den ich nicht ertragen konnte. Ich warf mich nieder auf die Knie. Es erklang wie Musik, und eine solche wie diese hatte ich nie zuvor gehört, und ich fühlte mich so froh, so unendlich wohl. – Wer war doch das?« fragte ich. – »Es war Gott, der an uns vorüberschritt!« antwortete mein Urgroßvater.

Alles dies erzählte der alte Mann mit einem Ernst, einer Ueberzeugung, welche einen eigenthümlichen Eindruck auf mich machte. »Dort oben erfuhr ich Alles, was geschehen wird!« sagte er. »Ich weiß von jedem Dinge, welchen Ausgang dasselbe nimmt! Damals war ich erst fünfzehn Jahre alt

Während meines Aufenthalts auf Säby traf der Fredrikstag ein, der Namenstag des alten Grafen, und es war recht interessant, hier die schwedischen Gebräuche zu sehen, wie man denselben feierte.

In der untern Etage in einem der Zimmer war ein Bogen von Eichenlaub errichtet und über dem Namenszuge des Grafen saß eine hübsche Eichenkrone mit Rosen anstatt der Edelsteine. Als wir am Kaffeetisch saßen, vernahmen wir draußen Schüsse von dem Landsee. Der Diener trat ein und meldete mit lauter Stimme, fast als habe er die Worte auswendig gelernt, während er gleichzeitig durch ein Lächeln verrieth, daß das lauter Komödie sei: »Ein Schiff, » der Nordstern«, liegt draußen vor Anker mit fremden Seefahrern!« Diese wurden nun eingeladen. Es ertönten Schüsse vom Schiff, und der Inspektor, seine Frau und zwei Töchter traten ein; sie waren von dem Gute jenseits eingetroffen – zum Mittagstisch fanden sich mehrere Inspektoren ein und eine Menge von Beamten des Gutes, und später kamen von den Nachbargütern Familien zur Begrüßung. Vor dem Schlosse marschirten alle Schulkinder, Mädchen und Knaben des Gutes, in Reihen auf. Jedes derselben trug einen kleinen grünen Zweig in der Hand. Die Schar war vom Schulmeister angeführt, der eine Rede in Versen an den alten Grafen hielt, welcher zu ihnen heraustrat und mit klingendem Hurrah empfangen wurde. Der Schulmeister bekam Geld, wie ich sah, die Kinder Kaffee und Essen und dann Erlaubnis;, in der großen Vorstube zu tanzen, wo ein Bauer die Violine spielte. Die Freiherrin Fock ging zu ihnen, unterhielt sich freundlich mit ihnen, zeigte den Bauern die Säle und Zimmer des Schlosses und versah sie reichlich mit Essen und Trinken. Es war ein wirklich vergnügtes Fest. Da kam zufälligerweise die Post mit Briefen und Zeitungen. »Neues aus Dänemark! Sieg bei Friedericia!« ertönte es jubelnd. Es war die erste vollständig gedruckte Nachricht von der Schlacht. Alles interessirte sich für dieselbe. Ich griff nach der Liste der Todten und Verwundeten.

Zu Ehren des dänischen Sieges ließ der alte Graf Saltza Champagner knallen. In Eile hatte die Tochter eine Danebrogfahne verfertigt, die nunmehr aufgesteckt wurde. Der alte Herr, der früher von dem Haß zwischen Schweden und Dänen in alten Zeiten gesprochen hatte und drei dänische Kugeln bewahrte, von welchen die eine seinen Vater verwundete, die andere seinen Großvater und die dritte seinen Urgroßvater getödtet hatte, erhob nun in der Zeit der Verbrüderung der Nachbarvölker das gefüllte Glas für das alte Dänemark und sprach so herzlich und hübsch über die Ehre und den Sieg der Dänen, daß mir die Thränen in die Augen traten.

Es befand sich in der Gesellschaft eine ältere deutsche Gouvernante, ich glaube, sie war aus Braunschweig. Während vieler Jahre hatte sie hier in Schweden gelebt, und da sie jetzt hörte, was der alte Graf in seiner Rede gegen die Deutschen erwähnte, brach sie in Thränen aus und sagte unschuldig zu mir: »Ich kann ja nicht dafür!« Und nachdem ich meinen Dank für Saltza's Hoch auf mein Vaterland ausgesprochen hatte, war es das Erste, was ich that, daß ich dem deutschen Mädchen die Hand reichte und sagte: »Es werden gute Tage kommen, Deutsche und Dänen werden sich wieder die Hände reichen, wie wir beide jetzt, und ein Hoch auf den gesegneten Frieden trinken!« Und dann stießen wir beide unsere Gläser an einander.

Auf dem Gute Säby war es heimisch und schön, denn eine schöne Natur, Wald, Felsen und Seen schmückten das Gut. Mit Wehmuth verließ ich das freundliche Heim und den eigenthümlichen Alten und schrieb zum Abschied einige Zeilen in sein Album.

*

Die Begeisterung für Dänemark und die Dänen, die ich hier fand, erklangen durch das ganze Land, und ich als Däne fühlte und hörte überall den Ausdruck dieser Gefühle.

In Linköping stieg ich bei dem Professor Omann ab und wurde hier dadurch überrascht, daß sich im Garten eine Menge junger Leute zu einem festlichen Empfang eingefunden hatten. Der Dichter Riddersted Siehe die Note im vor. Bande Seite 210. Der Uebers. hatte drei hübsche Gesänge verfaßt, der erste war an mich gerichtet, der zweite enthielt einen Gruß an Dänemark, und indem sie den Gesang anstimmten, leuchtete plötzlich der herrlichste Regenbogen am Himmel als das Zeichen des Friedens; dann ertönte ein Gesang an den Danebrog Der Name der dänischen Nationalflagge, ein weißes Kreuz auf rothem Grunde. Der Uebers., und zwischen jedem dieser wurden herzliche Reden über Schwedens Liebe zu Dänemark und Freude über den jüngst erfochtenen Sieg gehalten. Ich war über diese Huldigung bis zu Thränen gerührt und überall, wohin ich blickte, sah ich dänische und schwedische Flaggen wehen.

Als ich dann weiter nach der Station Berg zog, um von dort am nächsten Morgen mit dem Dampfschiff meine Reise fortzusetzen, folgten Ridderstad und eine Schar Freunde mir mit Gesang und Gruß.

Bei Motala wollte ich ein paar Tage verbleiben, denn die ganze Gegend von Berg bis dahin kann man mit Recht den Garten des Göta-Kanals nennen. Hier findet ein herrliches Zusammenschmelzen der dänischen und schwedischen Natur statt, reiche Buchenwälder, Felsen und brausende Ströme zeigen sich an den Seen. In dem kleinen Wirthshause bei der Fabrik räumte mir ein junger unverheiratheter Mann sein wahrlich heimisches Zimmer ein, während er selbst zu einem Freunde zog, damit ich es recht bequem während meines Aufenthaltes hierselbst haben sollte, obgleich es das erste Mal war, daß wir uns begegneten. Es war der jetzt verstorbene L. d. Nygrén, eine poetische Natur, ein Freund von Frederike Bremer und ein Bewunderer meiner Dichtungen. Zwischen Laubbäumen und Tannen vor meinem Fenster floß der Motala-Strom so schnell dahin, so grasgrün und durchsichtig, daß ich in dessen Tiefe jeden Stein, jeden Fisch gewahren konnte. Das mir gegenüberliegende Ufer des Kanals birgt Platen's Grab Graf Balzer Bogislaw von Platen, aus einem alten Rügen'schen Geschlecht stammend, ist 1766 auf Rügen geboren, wurde 1779 Seekadett; begleitete 1782 eine Gesandtschaft nach Marokko und wurde 1788 in der Seeschlacht bei Hogland im Finnischen Meerbusen von den Russen gefangen genommen. 1790 wurde er Capitain und nahm 1799 seinen Abschied. 1801 ward er Director des Trollhättakanals und entwarf 1809 den Plan zum Bau des Götakanals, als eine Verbindung zwischen Ost- und Nordsee, in Folge dessen der Staat den Bau unterstützte; Platen wurde vom König zum Staatsrath und Contreadmiral und endlich 1817 zum Grafen ernannt. Er leitete dann selbstständig den ganzen Bau, der jedoch erst nach seinem Tode (von Graf F. Sparre) 1832 ganz vollendet wurde. Er starb 1829 und wurde auf seinen Wunsch am letzten Ende des Götakanals, von Pappeln und Ulmen überschattet, beerdigt. Sein Monument, das nur seinen Namen trägt, ist vom Kanal aus sichtbar. Seit vielen Jahren salutiren die Schiffe nicht mehr das Grab des Erbauers, wie A. berichtet. Der Uebers., das von allen Dampfschiffen mit Kanonenschüssen begrüßt wird.

In dieser Natur erhielt ich einen herzlichen, frischen, liebenswürdigen Brief von Dickens, der meinen Roman » die beiden Baronessen« erhalten und gelesen hatte; dadurch wurde mir ein Festtag bereitet, und die schönsten Rosen, die man mir brachte, prangten auf meinem Tisch.

Von hier machte ich einen Ausflug nach dem alten Wadstena, dessen vormaliges prächtiges Schloß nur noch ein großes Getreidemagazin, dessen mächtiges Kloster zum Irrenhaus herabgesunken ist. Bei der Abreise von Motala wohnte ich in dem kleinen Wirthshaus unten an der Brücke; ich wollte vor Tagesanbruch weiter reisen, war deshalb früh zu Bett gegangen, fiel sofort in Schlaf, erwachte aber durch hübschen Gesang vieler Stimmen. Ich stand auf, öffnete die Thür und fragte das Mädchen, ob hier hohe Gäste wären, denen man diese Serenade bringe. »Sie sind es ja, Herr, dem man sie bringt!« sagte sie. – »Mir?!« brach ich verwundert aus und konnte es gar nicht begreifen. Die Fabrikarbeiter auf Motala hatten gehört, daß ich von Wadstena zurückgekehrt sei, und daß ich am nächsten Morgen weiter reisen würde. Die braven Menschen waren den langen Weg von der Fabrik bis hierher gegangen, um mir ein Zeichen ihrer Hochachtung und Theilnahme zu geben. Ich ging zu ihnen hinaus, drückte dem zunächst Stehenden die Hand. Ich war tief bewegt und dankbar. Natürlich schlief ich den übrigen Theil der Nacht nicht mehr ein.

An jedem Orte, wohin ich kam, und fast an jedem Tage bereitete man mir ein Fest! Freude und Gastfreiheit begegnete ich, selbst in dem kleinen Marienstad ließ man es nicht daran fehlen. Ueberall erhielt ich Einladungen, als Gast bei den angesehensten Familien zu verweilen. Man bot mir Wagen und Pferde an, kurz, man erwies mir alle erdenkliche Aufmerksamkeit.

Auf Kinnekulle brachte ich mehrere Tage in dem kleinen Schlosse des alten Grafen Hamilton zu, sowie auf Blomberg, wo einer seiner Söhne wohnte, der mit Geijer's Tochter verheirathet ist, die wunderbar Jenny Lind gleicht und dazu einen Klang ihrer Stimme besaß. Diese Dame sang die Gesänge ihres Vaters wunderbar schön. Das einzige Kind des Hauses, die kleine Anna, die sonst gegen alle Fremde scheu sein sollte, kam sofort zu mir, als wären wir alte Bekannte.

Auch Wenersborg bot mir einen Freundeskreis, der mich in die schöne Umgebung führte, und am Trollhättafall Man sehe die Notiz im vor. Bande Seite 188. Der Uebers. wurde mein Aufenthalt mehrere Tage verlängert. Hier im Walde bei den Schleusen fand ich ein herrliches Heim bei dem Oberstlieutenant Warberg und seiner Gattin. Man sorgte so umsichtsvoll und liebevoll für mich, so gut wie Fremde im Auslande es mir stets zu machen sich bestrebten.

Von Gothenburg machte ich einen Ausflug nach der Insel Marstrand, wo Frederike Bremer sich bei ihrer Schwester Agathe, die hier die Seebäder gebrauchte, zum Besuch befand. Die Scheeren bilden hier großartige Häfen mit tiefen Gewässern. Die wilden Rosen blühten auf den sonnenbeschienenen Klippen. Eine italienische Operntruppe gab hier Vormittags Concerte, kurz ich fand hier die Lebhaftigkeit eines südlichen Badeortes. Frederike Bremer wollte nach Amerika reisen und folgte mir bis Gothenburg. Auf dem Schiffe versammelte sich bald ein Kreis um uns und sang dänische und schwedische Lieder.

Einige Tage später befand ich mich wieder in Dänemark.

Mein gewiß am meisten durchgearbeitetes Buch » In Schweden« giebt das geistige Resultat dieser Reise wieder, und ich darf glauben, daß sich in diesem vor allen anderen Arbeiten, außer einzelnen meiner kleineren, hier das Eigenthümliche bei mir offenbart: Naturschilderung, Märchenhaftes, Humor und Lyrik, wie diese letztere in Prosa wiedergegeben werden kann. Das schwedische Blatt » Born« sprach sich zuerst hierüber aus: »Man findet in diesem Buch keine gewöhnlichen Touristeneingebungen und Reflexionen, das Ganze ist ein Gedicht in Prosa, vertheilt in mehrere unabhängige Bilder, die jedoch ein Ganzes ausmachen. Sie sind abgefaßt in dem naiven, kindlich treuherzigen Styl und mit dem offenen Blick für Natur und Volksleben, welche viele von Andersen's Dichtungen und Erzählungen hier in Schweden so beliebt gemacht haben. Bilder aus dem wirklichen Leben sind auf eine hübsche und ungezwungene Weise mit historischen Erinnerungen und Gestalten der Phantasie verwebt. Das ganze Werk wird dadurch zu einem echt poetischen Reisemärchen, ein Mittsommerbild vom hohen Norden.«

Auch in meiner Heimat, wo die Kritik während der letzten Jahre nicht allein einen anständigen Ton angeschlagen hatte, wenn sie meine Arbeiten besprach, sondern auch diesen größere Aufmerksamkeit und wahre Anerkennung geschenkt hatte, wurde dieses Buches mit Wolwollen und Lob gedacht, besonders wurde darin » Eine Geschichte« Siehe das Märchen »Ein Geistlicher« Band I., Seite 129. Der Uebers. hervorgehoben: »Es ist eine schöne Dichtung, beseelt von dem Geist der Poesie und der schönen, reinen Menschlichkeit und gleichzeitig mit einer erhebenden Kraft begabt. Es thut wohl, diesen Abschnitt zu lesen, der auch mit ruhiger Hoheit erzählt ist, ausgenommen das erste Blatt, das in der bekannten Märchenmanier, die hier nicht an ihrem Platze, gehalten ist!« – Und darin mag der Anmelder Recht haben. – » Das Kalifornien der Poesie« wurde besonders anerkannt: »Es zeichnet uns in trefflichen Bildern den Aberglauben und die Wissenschaft, diese beiden Pole, die sie mit Recht als Grundlage der beiden Richtungen der Dichtkunst, die kränkliche Romantik und die klare, lebensfrische, humane Dichtung bezeichnet. Unser Verfasser spricht sich mit Energie gegen die Romantik aus und verwirft mit Stolz all die bunten Fetzen, welche nur verhüllen und die klassische, nackte Schönheit entstellen. In diesem Abschnitt, wie überhaupt im ganzen Werke, zeigt Andersen sich von einem gesunden Stolz und Freude über den Menschengeist, eine wohlthuende, stille Zufriedenheit über all das Gute und Schöne im Dasein, und ist überhaupt von einer milden und humanen Weltanschauung beseelt.«

In England, wo » In Schweden« gleichzeitig mit dem dänischen Original herauskam, fand ich dasselbe Wolwollen, dieselben ehrenvollen Auslassungen, was, wie ich gestehen muß, fast immer der Fall gewesen ist, bis ich einem Angriff begegnete und zwar von einer Seite, von der ich ihn am wenigsten erwartete, nämlich von der Dame, die meine Schriften in England eingeführt und mich mit so großer Freundlichkeit empfangen hatte: Mary Howitt. Dies überraschte mich, betrübte mich aber auch, denn es kam mir so unerwartet, war so undenkbar. Ich habe früher unseres Zusammentreffens in London gedacht, wie meiner Freunde, welche sich für mich interessirten, während meines Aufenthalts daselbst es dahin brachten, daß die Gunst, welche meine Schriften in England fanden, mir auch in pekuniärer Hinsicht etwas zugute kam.

Der hochgeachtete, tüchtige Buchhändler Richard Bentley fuhr fort, mein Verleger zu sein. Ich mußte ihm von Kopenhagen das englische Manuscript übersenden. Dies geschah, und Mary Howitt konnte daher nicht » Die beiden Baronessen« oder » In Schweden« übersetzen. Aber daß sie mir deshalb böse sein und jetzt über mich in den härtesten Ausdrücken urtheilen würde, wie es der Fall in dem von ihr und William Howitt herausgegebenen Werk: » the literature and romance of northern Europe « (die Literatur und Romanzen Nord-Europas), hatte ich nicht erwartet. Alle dänischen Dichter, die großen und kleinen, waren darin auf freundschaftliche und hübsche Weise besprochen, aber ich nicht, der einst ihr Günstling zu sein schien. Sie schreibt, nachdem sie von meinen Büchern, die sie übersetzt hat, anerkennend gesprochen hatte:

»Aber Andersen's spätere Arbeiten sind mißlungene Versuche gewesen. Die, welche in England herausgekommen, sind fast todt aus der Presse gefallen, und die Ursache dafür liegt klar am Tage: Andersen ist eine sonderbare Mischung von Natürlichkeit und Weltlichkeit. Das kindliche Herz, das seinen besten Arbeiten das Leben verleiht, zeigt sich aber in der Wirklichkeit zum größten Erstaunen unter der Gestalt eines petit maître, der danach seufzt, von Fürsten bemerkt zu werden. Der Dichter geht in ihm für dich verloren und du behältst nur den Egoisten zurück; und wenn du einmal die Augen hierfür geöffnet hast, so weißt du auch, weshalb du so großes Behagen an einem oder zweien seiner Romane findest, während dir die übrigen als höchst unbedeutend vorkommen; denn er schildert stets sich selbst – seinen eigenen Geist, seine Geschichte und seine Gefühle. Dies reißt uns beim ersten Mal fort, weniger schon das zweite Mal und gar nicht mehr das dritte Mal, denn es ist nur crambe repetita.

Vielleicht ist Andersen's Berühmtheit bei uns zum größten Theil in der Thatsache begründet, daß wir vollkommen unbekannt damit waren, daß Dänemark eine Reihe wirklich großer und origineller Schriftsteller besaß. Andersen stand vor uns als Wunder aus einem Lande, von dessen literarischem Reichthum das englische Publikum nur sehr wenig kannte, während er in Wirklichkeit nur einem zahlreichen und gigantischen Geschlecht als einer ihrer mittelmäßigen Mitglieder angehörte.«

*

Wie ganz anders faßte mich dieselbe begabte Dame auf und besprach meine Werke einige Jahre vorher, als ich London besuchte. Da schrieb sie in dem verbreiteten » Howitt's Journal«:

»In diesem Augenblick, wo Hans Christian Andersen sich in unserem Lande befindet, glauben wir unseren Lesern keine willkommenere Gabe als ein vortreffliches Portrait und eine Lebensschilderung dieses ungewöhnlichen Mannes bieten zu können. Gleichviel, ob wir ihn als Mensch betrachten, der in seiner eigenen Persönlichkeit wahren Geistesadel und moralischen Werth an den Tag legt, oder als den genialen Mann, dessen Werke allein ihn aus der tiefsten Armuth und Niedrigkeit emporgehoben haben, um ein geehrter Gast bei Königen und Königinnen zu sein, so ist Hans Christian Andersen einer der merkwürdigsten und interessantesten Männer seiner Zeit u. s. w.«

Wie soll ich diese früheren und späteren Urtheile zusammenreimen, und zwar von einer Dame mit Geist, und wie es schien, mit Interesse für mich und meine Muse? Als Fräulein Frederike Bremer von Amerika zurückkehrend nach Kopenhagen kam und die Reise über London zurückgelegt hatte, fragte ich sie nach Mary Howitt, die sie, wie ich wußte, besucht hatte.

»Die gute Mary Howitt«, sagte sie, »sprach sehr gut von Ihnen, sprach mit Thränen in den Augen und sagte, ›er will nichts mit mir zu thun haben!‹ Wie sind diese freundlichen Worte und die so hart klingenden geschriebenen zu verstehen! Möglich, daß diese in einem Augenblick unmuthiger Stimmung, der wir Alle unterworfen sind, geschrieben wurden. Sie kann auch wiederum, wie sie es einst gethan hatte, ihre Meinung über mich geändert haben. Es herrscht nicht Zorn oder Aerger in meinem Gemüth darüber, freundlich reiche ich ihr über dem Meer durch diese Blätter meine Hand zur Versöhnung.

Der Roman » Die beiden Baronessen« wurde indeß ehrenvoll ausgenommen, » In Schweden« nicht weniger, ja, dieses Buch erreichte gerade in demselben Jahre, als Mary Howitt ihr strenges Urtheil aussprach, die Ehre recht volksthümlich gemacht zu werden, indem es im Verein mit » The story of my life« in » The popular library« aufgenommen wurde, welche allgemein bekannt unter dem Namen One Shilling-Ausgabe tausendfach Verbreitung finden. – Die Uebersetzung desselben ist vortrefflich und in einer Nachschrift spricht sich der Uebersetzer Kenneth Mackenzie so warm, so ehrend aus, daß Mary Howitt's scharfe Worte übertönt werden, und auch die Kritik in » the Athenaeum« über mein letztes in England herausgekommenes Buch »A Poets daydreams«, wie man meine »Geschichten« nennt, läßt dieselbe Theilnahme und Gunst gewahren.

*

Das neue Jahr 1850 brach mit Trauer für mich an, eine Trauer auch für Dänemark, sowie für alles Schöne, denn der erste Brief, den ich in diesem Jahre in Weimar erhielt, meldete mir:

» Oehlenschläger ist am 20. Januar, gerade an König Christian's VIII. Todestag, ja fast in derselben Stunde gestorben. Ich ging am späten Abend zweimal vorüber am Schlosse zu Oehlenschläger. Ich wußte von den Aerzten, daß sein Tod nahe war, und wunderbar war es mir bei der Amalienborg zu den finsteren Schloßfenstern hinaufzusehen und daran zu denken, daß ich vor zwei Jahren hier in Angst wegen meines theuern Königs stand, und jetzt ging ich wieder in ähnlicher Stimmung für einen König – einen Dichterkönig. Sein Tod war ohne Schmerz. Seine Kinder befanden sich um ihn, und er bat sie, eine Scene aus seiner Tragödie » Socrates« laut vorzulesen, wo dieser von der Unsterblichkeit und vom ewigen Leben spricht. Er war sehr ruhig, betete zu Gott, daß der Todeskampf nicht schwer sein möge, legte dann das Haupt nieder und war entschlafen. Ich sah seine Leiche. Die Gelbsucht hatte ihm das Aussehen einer Broncestatue verliehen. Der Tod hatte ihn nicht verändert, die Stirn war so schön, der Ausdruck so edel. Am 26. Januar wurde er vom Volke zu Grabe getragen, vom Volke in des Wortes voller Bedeutung, denn es waren Beamte, Studenten, Matrosen, Soldaten, alle Klassen, welche freiwillig abwechselten und den Sarg den langen Weg nach dem Kirchhof zu Frederiksberg Man sehe die Märchen Bd. II. S. 381. Der Uebers. hinaustrugen, draußen wo er geboren war, und wo er sein Grab gewünscht hatte. Das eigentliche Trauerfest fand in der Frauenkirche statt. Von dem Comité, das die Trauerfeierlichkeit leitete, waren zwei Dichter aufgefordert worden, die Cantate zu schreiben. Einer war der alte Grundtwig, Siehe den vorigen Band Seite 253. Der Uebers. der Andere war ich. Die Trauerrede hielt der Bischof von Seeland. Zum Trauerfest im Theater wurde die Tragödie »Hakon Jarl« bestimmt und die Scene aus » Socrates«, die man auf Oehlenschläger's Wunsch ihm in seiner Todesstunde vorgelesen hatte!

*

Während mehrerer Jahre war Oehlenschläger zu meiner Freude so mild und so herzlich gegen mich geworden und hat mir oft seine Anerkennung auf sehr innige Weise ausgesprochen. Als ich eines Tages durch den Spott eines Witzblattes über mich sehr erregt war, schenkte er mir einen kleinen Nordstern, zu dem ich das Original an König Christian's VIII. Beerdigungstag vom Könige von Schweden erhalten hatte. »Diesen Miniaturorden habe ich getragen!« sagte Oehlenschläger; »ich schenke Ihnen denselben als eine Erinnerung an mich! Sie sind ein wahrer Dichter! Das sage ich Ihnen. Lassen Sie doch die Anderen sprechen, was sie wollen!« Er überreichte mir bei diesen Worten den Nordsternorden, den ich noch besitze und bewahre.

Am 14. November 1849 hatte ein Fest für Oehlenschläger im königlichen Schießhause stattgefunden; nur gar zu bald darauf folgte das Trauerfest um ihn. Der Dichter selbst hatte gewünscht, daß man bei dieser Gelegenheit sein Trauerspiel » Socrates« aufführen möge, allein es geschah nicht. Wunderbar genug, daß der große Dichter im Sterben an das Arrangement einer solchen Ehrenbezeigung denken konnte. Beim Feste jedoch war das Theater überfüllt, und Alle erschienen schwarz gekleidet. Die Logen in der ersten Reihe waren mit Trauerflor behängt und Oehlenschläger's Platz im Parquet mit Flor und Lorbeerkränzen hervorgehoben.

Ich wende mich jetzt zu einem andern Theater, dem Casino. Man sehe die Notiz auf Seite 380 des III. Bandes der »Märchen.« Der Uebers. Die Kopenhagener hatten während der letzten drei Jahre ein Volkstheater bekommen. Man kann mit Recht behaupten, es war emporgeschossen, ohne daß man es selbst wußte. Niemand dachte daran und am allerwenigsten daran, daß es Anklang finden würde. Viele, unter Anderen Theodor Overskou Theodor Overskou, geboren den 11. October 1798 in Kopenhagen, gestorben den 2. Febr. 1871, wurde von seinen mittellosen Eltern im die Lehre bei einem Tischler gebracht; begeistert für die Schauspielkunst, ging er 1818 zum Theater und erlangte 1823 bereits ein festes Engagement am königl. Theater in Kopenhagen, wo er jedoch keine hervorragende Stellung einnahm, indessen als vortrefflicher Lustspieldichter sich bemerkbar machte. 1842 trat er in's Privatleben zurück und widmete sich ganz seiner Muse. Von 1849 bis 1858 wirkte er dann als Oberregisseur, mit dem Titel eines »Professors« am königl. Theater, und arbeitete dann, außer seinen dramatischen Werken, eine Geschichte des königl. Theaters aus, die jedoch von ihm nicht ganz vollendet, aber vom Schriftsteller Edgar Collin, einem Enkel des Geheimraths Jonas Collin, nach seinem nachgelassenen Material ausgearbeitet wurde. Mehrere seiner dramatischen Arbeiten sind f. Zt. in's Deutsche übersetzt worden und mit vielem Beifall in Deutschland zur Aufführung gelangt. Der Uebers., hatten an ein solches Theater gedacht, davon gesprochen und geschrieben; allein weiter kam es nicht. Wir besaßen damals einen jungen, talentvollen Mann, begabt mit einem merkwürdigen Talent, ohne selbst Mittel zu besitzen, diese doch zu beschaffen, wenn es galt, eine Idee durchzuführen. Er war ein wirkliches Genie in seiner Wirksamkeit, denn er wußte den Kopenhagenern das » Tivoli« Siehe die Märchen Bd. II. Seite 39. Der Uebers. zu schaffen, das sich nicht allein mit allen anderen ähnlichen Vergnügungsorten zu messen vermag, sondern diese auch in der Anlage und im Plan übertrifft. Er berichtete auch das »Casino«, wo man der Menge gegen einen billigen Preis Musik und Schauspiel zu bieten vermochte, und wodurch die Stadt selbst ein großes und geschmackvolles Lokal erlangte für Conzerte und Maskeraden, kurz ein Lokal zu eigentlichen Volksbelustigungen. Dieser Mann war Georg Carstensen! Siehe ebendaselbst. Der Uebers. Er war im Besitze einer seltenen Gutmüthigkeit, die ich höher veranschlage, als seinen größten Fehler: die Neigung zur Verschwendung. Er wurde oft verspottet, verlacht und » maître de plaisir« genannt, und dennoch war seine Wirksamkeit von fortdauerndem Nutzen und zur allgemeinen Freude und ist es bis auf den heutigen Tag.

Das Theater im » Casino« wurde, als man das Gebäude aufführte, nicht als Hauptsache betrachtet. Erst unter dem tüchtigen Schauspieldirector Lange Hans Wilhelm Lange, geboren den 18. Januar 1815 in Kopenhagen, gestorben daselbst den 29. Januar 1873, betrat schon in seinem 17. Lebensjahre die Bühne, der er bis an sein Lebensende treu blieb. Er gehörte bis zum Jahre 1845 einer reisenden Gesellschaft an, die die Skandinavischen Reiche bereiste. Dann gründete er eine eigene Gesellschaft, die bald in den Provinzen die erste Stelle einnahm. 1848 kam er nach Kopenhagen, wo er aus dem »Wintergarten«, dem Casino, ein Theater bildete, dem er 7 Jahre Vorstand. Dann gründete er ein zweites Secondtheater, das »Volkstheater«, wo er bis zu seinem Tode stets bemüht war, dem Volke gesunde Kost zu bieten, und ein Ensemble hervorzubringen, durch das sich überhaupt die dänischen Theater auszeichnen. Er trug nicht wenig zur Ausbildung des guten Geschmacks im dänischen Volke bei. Er war zum zweiten Male verheirathet mit der Tochter des berühmten Componisten Lumbye, Julie, einer der tüchtigsten Schauspielerinnen seines Theaters. Der Uebers. wuchs es in der Gunst des Publikums und gelaugte zu selbstständigem Leben. Eine lange Zeit standen die Actien der Casinogesellschaft so niedrig, daß man, wie man erzählte, sie einander für ein Glas Punsch abkaufte; allein bald erreichten dieselben einen großen Aufschwung.

Das Repertoire war sehr begrenzt; kein Dichter von irgend einer Bedeutung hatte Neigung gezeigt, bei dieser Bühne eine Arbeit einzureichen. Herr Lange ersuchte mich um meine Theilnahme, und mein Versuch wurde über alle Erwartung gut ausgenommen. In » Tausend und eine Nacht« hatte ich ein Märchen gelesen: » Geschichte des Prinzen Zeyn Alasnam und des Königs der Geister,« das sich zu einem Operntext ganz besonders eignete; aber wie sehr mich auch der Stoff interessirte, gab ich doch diesen Gedanken auf, da die Zauberoper in Dänemark so wenig verstanden und geschätzt wird, selbst mit der besten Musik. Ich hatte ja ein Beispiel an meinen » Raben.« – Als ich Gozzi Graf Carlo Gozzi, geboren 1722 in Venedig, gestorben den 4. April 1806, war wie sein Bruder Gasparo (geb. 1713, gest. 1786) Dichter, der gegen den Dichter Goldini (geb. in Venedig 1707, gest. 1793 in Paris) ankämpfte. Er schrieb Volks- und Feenmärchen in dramatischer Form, die alle in's Deutsche übersetzt worden sind. Am bekanntesten wurde er durch Schiller's Uebersetzung seines »Turandot.« Der Uebers. las, fand ich bei ihm den erwähnten Stoff als Märchencomödie behandelt; doch noch besser als dieser und mehr zur Aufführung geeignet war Raimund's Ferdinand Raimund, geboren den 1. Juni 1791 in Wien, entleibte sich daselbst am 6. September 1836, betrat 1810 in Petersburg zum ersten Male die Bühne und kam 1813 nach Wien an das Josefstädtische und später an das Leopoldstädter Theater, wo er bis 1830 verblieb. Er machte mehrere Jahre hindurch Kunstreisen in Deutschland und kam auch nach Berlin und Hamburg. 1834 kehrte er in seine Heimat zurück und lebte in der Nähe Wiens bis zu seinem Tode. Von seinen dramatischen Arbeiten, die sich vornehmlich auf dem Gebiete der Volkskomödien und Zaubermärchen bewegten, haben sich einige, namentlich »Der Verschwender« (1833 gedichtet) bis auf unsere Zeit erhalten. Der Uebers. Märchen: » Der Diamant des Geisterkönigs.« Ich hatte früher, wie man weiß, meine Kräfte in Märchencomödien versucht, für das königliche Theater » Die Blume des Glücks« geschrieben, die freilich schon nach der siebenten Vorstellung bei Seite gelegt wurde; allein sie hatte Beifall gefunden, und ich selbst hatte die Ueberzeugung, daß das Talent, welches die Welt bei mir als Märchendichter anerkannte, auch einige Blumen in dieser Richtung hervorzubringen vermochte. Ich gab daher Raimund's Dichtung in » Mehr Perlen als Gold« wieder, und dieses Stück, darf ich wol behaupten, brachte beim Publikum das Casino in Credit. Alle Klassen der Gesellschaft, vom Vornehmsten bis zum Aermsten, kamen, um dasselbe zu sehen, und obgleich das Casino 2500 Menschen faßte und das Stück in einer Reihe von Vorstellungen hintereinander gegeben wurde, waren doch stets alle Billets verkauft. Ich erlangte daher große Anerkennung und hatte besondere Freude an dieser Arbeit. Hundert Reichsthaler 225 Reichsmark. Der Uebers. waren mein bedungenes Honorar. Man muß sich dabei erinnern, daß zu der Zeit kein Theater hier im Lande außer dein königlichen einen Verfasser für seine Arbeiten bezahlte. Dies war schon etwas, und der Director sandte nur eine Zulage von noch hundert Thalern, weil das Stück stets »volle Häuser« machte. Später sind andere Verfasser meinem Beispiel gefolgt; Hostrup, Overskou, Erik Bögh, A. v. d. Recke und Chievitz lieferten dem Casinotheater ehrenvolle Arbeiten, und von Jahr zu Jahr hob sich das Personal, die Anforderungen des Publikums wurden stets größer und stets übertroffen. Die achtungswerthe Sorgfalt und das Bestreben, welches sich hier zeigte, ist natürlich von Einzelnen übersehen worden.

Ich hatte ein neues Stück für dieses Theater geschrieben, eine Märchencomödie unter dem Titel: » Ole Luköie.« Diesen nordischen Traumgott, den ich schon früher in einem meiner Märchen Siehe die Märchen Band II. S. 262. Der Uebers. zu verkörpern, Form und Charakter zu geben versucht hatte, wollte ich lebendig auf der Bühne vor das Auge führen und durch ihn die Wahrheit aussprechen lassen, daß Gesundheit, gute Laune und Seelenfriede mehr als Geld werth seien. – Ich durchdachte meine Dichtung und schrieb sie nieder. Direktor Lange zeigte die größte Sorgfalt, ja, Liebe, diese so würdig als möglich auf der kleinen, engen, gedrückten Bühne im Casino zur Aufführung zu bringen. Es ist ein Stück, daß eingentlich eine große Scene erfordert. Es war mir eine Freude, hier mit einem Personal zu thun zu haben, das sich für die Dichtung selbst interessirte, Achtung dem Verfasser erwies; sie waren zwar nicht die Allmächtigen, die tragenden Geister der Dichtung, wie ich solchen in dem »richtigen« Theater begegnet war. » Ole Luköie« sollte im Casino aufgeführt werden. Der Salon war überfüllt.

Der Abend der Vorstellung kam, und ich lebte während einiger weniger Stunden gleichsam in einem wogenden See, denn das Urtheil des Publikums zeigte sich bald im Sturm, bald in Meeresstille. Man verstand meine Dichtung nicht; beim ersten Akt wurde gelacht und gelärmt, beim Schluß des Zweiten Akts verhöhnte man das Ganze, und Viele gingen bei Beginn des dritten Akts fort und sagten im Club: »Das Ganze ist ein Gewäsch! Jetzt z. B. sind sie in China! Gott mag wissen, wohin seine Phantasie ihn noch weiter führt!«

Aber gleich am Anfange des dritten Akts trat ein Augenblick der Ruhe ein. Früher hatte man gesprochen, jetzt hörte man zu. Es wurde stiller und stiller. Plötzlich leuchtete ihnen die Idee ein, und es ertönte ein stürmischer, jubelnder Beifall durch das Haus. Als der Vorhang fiel, waren Alle ergriffen, klatschten in die Hände und sprachen ihre Anerkennung aus. Ich hätte während des Mißfallens, während des Hohns und Spotts, die mir Anfangs vom Salon entgegentönten, keine Betrübniß gefühlt, denn es war zum ersten Mal in meinem Leben, daß ich ein reges Bewußtsein von dem Unrecht, das ich erleiden mußte, hatte; ich fühlte mich der höhnenden Menge gegenüber beleidigt und gekränkt, und der Beifall, der mir jetzt entgegendrang, erschien mir leer und nichtssagend. Als ich das Theater verließ, kamen mehre Leute zu mir und sprachen ihren Dank aus, ich vermochte nicht, denselben entgegenzunehmen. »Man hat meiner gespottet und mich verhöhnt, das muß ich erst vergessen lernen!«

Das Stück wurde viele Abende bei vollem Hause und mit großer Anerkennung gegeben. Vom Volke selbst, von den Leuten aus dem Volke, wie man sie nennt, wurde mir letztere zutheil; ich erntete einen Dank, wie keine Blattkritik, keine dialektisch-interessante Abhandlung in den verschiedenen Klassen der Gesellschaft zu geben vermögen. Ein armer Handwerker stand eines Abends am Schluß der Vorstellung mit Thränen in den Augen beim Ausgang des Theaters, und indem ich mit einigen Herren hinausschritt, ergriff er meine Hand und sagte: »Dank, Herr Dichter Andersen, das war ein segensreich wirkendes Stück!« Diese Worte waren mehr für mich, als die glänzendste Anmeldung. – Einen Zug muß ich noch mittheilen. In einer Familie des Beamtenstandes, in einem Hause, wo ich oft verkehrte, erzählte mir die Frau, daß sie diesen Morgen über das ungewöhnlich zufriedene Aussehen ihres Kutschers sehr verwundert gewesen sei, als sie mit ihm sprach. – »Ist dem Hans etwas besonders Angenehmes widerfahren, daß er heute so ungewöhnlich vergnügt aussieht?« fragte sie eins der Mädchen. Und dieses erzählte, daß ein Billet, welches die Hausfrau dem Mädchen gestern geschenkt hatte, fast unbenutzt geblieben wäre, man habe es daher dem Kutscher Hans gegeben, und dieser Hans sei ganz und gar ein roher Bauernbursche, der halb im Schlaf umhergehe. »Es ist eine vollkommene Veränderung mit ihm vorgegangen,« sagte das Mädchen; »seit er gestern aus dem Theater heimkehrte. Er war so froh über Alles, was er gesehen und gehört hatte. Er sagte: »Ich habe immer geglaubt, daß diejenigen, die vornehm sind und Geld haben, sich glücklich fühlen. Aber das ist nicht wahr; nun sehe ich es ein, daß wir Anderen es eben so gut haben, das hat mich »Ole Luköie« gelehrt. Es war gleich einer Predigt, nur daß man die Leute selbst reden hörte. Und das war reizend!« Kein Urtheil hat mich so sehr erfreut und mir so geschmeichelt, als das des armen, ungebildeten Bauernburschen.

Das Stück erreichte eine Reihe von Vorstellungen vor guten Häusern; aber bald hieß es, daß ein anderer Verfasser, welcher während der letzten Zeit dem Casino die meisten Stücke geliefert hatte, im Verein mit einem jüngeren Schriftsteller, eine Parodie auf meine Märchencomödie geschrieben habe, und daß dieselbe dazu bestimmt sei, in den Provinzialtheatern oder gar auf Marionettentheatern aufgeführt zu werden. – Diese Mittheilung schmerzte mich sehr, um so mehr, als ich das Talent dieses Verfassers vollkommen anerkannte und ihm überall hin Anerkennung widerfahren ließ, daß er so gänzlich die Augen vor der dichterischen Idee, welche in meiner Arbeit lag, verschließen konnte ja, mich sogar persönlich darstellen und verspotten wollte. Ich erwartete Alles, was mich kränken und verletzen konnte, ich hatte es ja daheim so oft erlebt und litt schmerzlich darunter. In einer niedergeschlagenen und erdrückenden Stimmung erhielt ich, bevor ich die Parodie gelesen hatte, während meines Aufenthalts in Glorup von H. C. Oersted einen Brief, welcher seine Auffassung meiner Person als Dichter zeigt, ebenso unser liebevolles Verhältnis, und sicherlich als eine Beleuchtung der Sache hier an seinem Platze sein dürfte, indem der Brief selbst durch seinen Verfasser Bedeutung und Interesse gewinnt.

 

Kopenhagen, den 18. Juli 1850.

»Lieber Freund!

»– – Von dem Mißmuth, von dem Sie an Mathilde Oersted's Tochter. Der Uebers. schrieben, müssen Sie sich losreißen, wenn Sie es nicht gethan haben, bevor dieser Brief in Ihre Hände gelangt. Sie haben die Literatur mit so viel vortrefflichen Arbeiten bereichert, daß Niemand als Sie selbst Sie beschuldigen kann, viel zu wenig geleistet zu haben, ja nicht einmal, daß Ihre Gegner nunmehr einer solchen Meinung sein dürfen. Aber wenn auch immerhin Dieser oder Jener Ihrer Gegner grob ist, dann mögen Sie sich damit trösten, das; fast alle ausgezeichneten Männer solchen Angriffen ausgesetzt gewesen sind. Ich habe oft gesehen, wie englische Journalisten die ausgezeichnetsten Männer ihres Landes mit Hohn behandelt haben. Unter Anderem entsinne ich mich, irgendwo gelesen zu haben, daß der große Staatsmann Pitt William Pitt, Sohn des berühmten engl. Staatsmannes gleichen Namens, der Frankreich Canada entriß, ist geb. den 28. Mai 1759, gestorben den 23. Januar 1806; er war die Seele der Coalition gegen Napoleon I., und mußte, weil er nichts gegen denselben durchzusetzen vermochte, von der Menge verhöhnt, 1801 aus dem Ministerium austreten, in das er jedoch 1804 wieder eintrat. Der Uebers. ein Dummkopf genannt wurde. Pope Alexander Pope, geboren den 22. Mai 1688 in London, gestorben den 30. Mai 1744, widmete sich von Jugend auf der Dichtung auf seinem Gute Twickenham, wo er auch die Augen schloß. Seine Arbeiten zeichnen sich durch Geschmack, Witz und Formschönheit aus und namentlich seine späteren Dichtungen durch eine geißelnde Satire. Viele seiner Werke sind mehrfach in's Deutsche übersetzt worden. Er hatte viele Gegner, die er aber in seinem Werke » Dunciade« (1728-42 in 4 Bänden) gehörig abfertigte. Der Uebers. im vorigen Jahrhundert, Byron in diesem, haben Beide über bittere Angriffe sich zu beklagen gehabt, und Goethe und Schiller ist es in Deutschland nicht besser ergangen. Oehlenschläger und Baggesen, so verschieden sie auch immer sein mochten und so feindlich sie einander gegenüber standen, haben doch das gemein, daß sie oft sehr hart angegriffen worden sind. Gehen Sie außerhalb der Reihe der Dichter, so kann ich noch meinen Bruder« Anders Sandö Oersted, Ministerpräsident und der größte Jurist Dänemarks, wurde von der »nationalliberalen« Partei im Reichstage und deren Presse sehr hart angegriffen, weil er ihr entschiedener Gegner war und die durch deren Gebühren nothwendig kommende Zersplitterung der Monarchie voraussah und nicht seine Hand dazu bieten wollte. Man vergleiche Band I. der »Märchen« Seite 430. Der Uebers. und Mynster Siehe Seite 11 dieses Bandes. Der Uebers. nennen, die den bittersten Anfällen ausgesetzt gewesen sind.

»Machen Sie sich daher so wenig als möglich aus diesen Angriffen. Es steht jetzt für immer fest, daß Sie ausgezeichnete Dichterwerke geliefert haben, die Ihren Namen sowol hier als im Auslande mit unvergänglichem Ruhm bewahren werden.

»Sie schreiben, daß Sie » Ole Luköie« wie Ihre anderen Dichtungen mit reiflicher Ueberlegung ausgearbeitet haben. Daran zweifle ich nicht. In Betreff der Hauptmotive in Ihren Dichtungen bin ich mir selbst so vollkommen klar, wie man es in einer Märchendichtung zu thun im Stande ist. Dasselbe gilt bis auf eine Ausnahme auch von » Ole Luköie«. Das Gedankenbild, welches in demselben dargestellt wird, erscheint mir klar genug; allein es däucht mir, als wäre es eine, wenn ich mich so ausdrücken darf, praktische Schwierigkeit, einen so umfassenden Traum zu sehen, worin so viele Personen handelnd und leidend auftreten, auf solche Weise darzustellen, daß diese Personen, welche während einer gewissen Zeit im Stück Traumbild sein sollen, zu einer andern Zeit wirkliche Personen darstellen. Vielleicht ist meine Meinung unrichtig; aber gesetzt den Fall, daß sie richtig sei, so würde » Ole Luköie« doch nicht aufhören, ein Gedicht voll von Geist und Kunst zu sein. Ich will noch weiter gehen und voraussetzen, daß man dieser Arbeit das gewöhnliche Lob nicht beilegen könnte, sondern daß sie weit unter Ihren anderen Arbeiten stände, so dürften Sie sich doch nicht darüber grämen, wenn es Sie auch ein wenig ärgern könnte, denn wer weiß nicht, daß Goethe, Oehlenschläger, Baggesen und sehr viele andere Dichter Arbeiten haben drucken lassen, die weit unter ihren Meisterwerken standen.

»Ich hoffe, daß Sie wie bisher Ihren Angreifern nicht antworten werden; ich will Ihnen sogar rathen, sich weder durch dieses oder jenes zu rächen, wenn auch durch einen noch so gut angebrachten Hieb; dagegen vermeine ich, daß es möglichenfalls sehr geeignet sein würde, wenn Sie einmal eine Abhandlung über die Aesthetik des Märchenhaften schreiben würden. Sie würden dadurch Leute von manchen Mißverständnissen befreien. Dabei müßten Sie aber unleugbar die Werke Anderer als Beispiel anführen, ohne natürlich Ihre eigenen auszuschließen, jedoch müßten Sie alle Polemik hiervon fern halten.

»Endlich muß ich Ihnen noch sagen, daß ich weit entfernt bin, Ihnen eine solche Arbeit anzurathen, wenn Sie diese in einem bedeutenden Grade von dem Schaffen eigentlicher Dichterwerke abhalten sollte; nein, in diesem Falle würde ich Ihnen unbedingt davon abrathen – – – –

»Stets Ihr
H. C. Oersted

Während dieses Sommers vollendete ich auf Glorup und auf dem schönen Gute Corselitze auf Falster mein vielleicht am sorgfältigsten durchgearbeitetes Buch » In Schweden«. Diese Arbeit war die letzte, die H. C. Oersted vorlesen hörte und die ihn in hohem Grade ansprach. Die beiden Abtheilungen: » Glaube« und » Wissenschaft«, sowie: » Das Californien der Poesie«, beide entsprangen durch seine geistvollen, einflußreichen Gespräche und durch die Auffassung seines berühmten Werkes » Der Geist in der Natur«, welche uns oft Stoff zu vielen Gesprächen gab. »Man hat Sie oft des Mangels an Studium beschuldigt«, sagte er eines Tages in seiner milden, scherzenden Weise. »Vielleicht werden Sie einer der Dichter, der am meisten für die Wissenschaft thun wird!« Ein Gespräch, das später als ein Postscriptum der englischen Ausgabe in » Routeledge's popular library « aufs Neue erklang. Man wird mich nicht mißverstehen, als ob ich daran dächte, für die Wissenschaft in der Bedeutung der Wissenschaft zu wirken, nein, das war nie meine Absicht. Als Dichter suchte ich den Stoff von den weniger gesuchten Gruben zu holen, wie z. B. den Stoff meines Märchens » Der Wassertropfen« Siehe die Märchen Band III., Seite 348. Der Uebers., das auch Oersted in seinem Buch » Der Geist in der Natur« nennt, indem er die wissenschaftlichen Entdeckungen, welche bereits Eingang in die Dichterwelt gefunden haben, hervorhebt.

Er verstand und freute sich über die Innigkeit und Liebe, womit ich all' die neuen Entdeckungen, alle diese materiellen Träger des mächtigen Geistes unserer Zeit umfaßte. – »Und doch haben Sie«, sagte er eines Tages im Scherz, »sich gegen die Wissenschaft versündigt, vergessen, was Sie ihr schulden – mit keinem Worte haben Sie derselben in Ihrem schönen Gedicht: » Dänemark, mein Vaterland« gedacht, und ich habe es daher versucht, dasselbe zu ergänzen!« Und er brachte mir einen Vers, den er geschrieben und zwischen dem dritten und vierten Vers eingeschoben hatte. –

Als ich ihm eines Tages » Glauben und Wissenschaft« und » Das Californien der Poesie« wieder vorlas, drückte er mir freundlich die Hand und sagte, daß ich dies hier wieder gut gemacht hätte.

Während meines Sommeraufenthalts auf Glorup sandte er mir den zweiten Theil seines Werkes » Der Geist in der Natur« und schrieb über dieses Buch:

»Ich darf nicht hoffen, daß dieser Theil denselben günstigen Eindruck auf Sie machen wird, wie ich die Freude hatte von Ihnen bei dem ersten Bande zu erfahren; denn dieses neue Buch hat es sich vornehmlich zur Aufgabe gestellt, das frühere näher zu beleuchten. Jedoch wird auch dieses nicht aller Neuheit entbehren, und daß der Gedankengang und der Ton in demselben ganz wie im ersten Bande ist, darf ich selbst versichern!« –

Das Buch erfüllte mich und ich sprach meinen Dank und meine Freude darüber in einem langen Briefe aus. Aus demselben Folgendes:

»– – Sie vermeinten, daß dieses Buch nicht einen solchen Eindruck auf mich machen würde, wie der erste Theil. Ich muß gestehen, ich vermag sie nicht von einander zu trennen. Beide erscheinen mir gleich einem Strom, und was mich besonders erfreute, war, daß ich hier vermeine, meinen eigenen Gedanken zu sehen, den ich mir selbst früher auf solche Weise nicht klar zu machen verstand. Es ist mein Glaube, meine Ueberzeugung, welche mir jetzt in deutlichen Worten vorliegen. Ich vermag den Bischof Mynster nicht zu begreifen; mir scheint doch, er müßte einsehen und verstehen, was hier als sonnenklarer Tag erscheint. Ich habe nicht nur die Abtheilung: » Das Verhältniß der Naturwissenschaft zu verschiedenen wichtigen Religionsgegenständen« gelesen, sondern dieselbe später auch Anderen vorgelesen, wozu sich diese Abhandlung ganz besonders eignet, und ich würde wünschen, daß ich alle Menschen derselben theilhaftig machen könnte. Ich schätze gewiß bei der frommen Menge, daß sie blindhin glaubt, aber ich finde es bei Weitem segensreicher, wenn man mit dem Glauben auch das Wissen verbindet. Gott kann es nur wolgefällig sein, daß man ihn durch den Verstand, den er uns selbst verliehen hat, sieht. Ich vermag nicht mit verbundenen Augen zu Gott zu gehen, ich muß sie offen haben, sehen und wissen, und komme ich auch nicht zu einem andern Ziel als diejenigen, die nur glauben, so ist mein Gedanke doch bereichert worden.

»Ich bin erfreut durch dieses Buch, erfreut über mich selbst, daß es mir so leicht begreiflich ist, daß es mir gleichsam vorkommt, als wäre es ein Resultat meines eigenen Gedankenganges. Es ist mir beim Lesen, als könne ich sagen: »Ja, das würde ich auch gesagt haben!« – Die Wahrheit, die dieses Buch enthält, ist in meine Seele übergegangen und ein Theil meiner selbst geworden. Indessen habe ich jetzt erst das halbe Buch gelesen, ich wurde von demselben durch die Nachricht vom Kriegsschauplatz abgewandt, und seitdem habe ich nur Gedanken für die dortigen Begebenheiten gehabt. Jedoch vermochte ich es nicht, mein Schreiben an Sie länger auszusetzen und Ihnen gleichzeitig aus voller Seele zu danken.

»– – – Gott möge bald den Frieden über die Lande leuchten lassen! Trauer sucht in dieser trüben Zeit die meisten Familien heim. Es sind bittere, ernste Tage! Eine fast unwiderstehliche Lust fühle ich, auf den Kriegsschauplatz zu eilen und dort das reichbewegte Leben zu sehen; aber ich muß diese Sehnsucht bekämpfen, ich weiß, ich würde beim Anblick all' des Elends ergriffen werden! – –

Leben Sie recht wohl!

Ihr kindlich ergebener
H. C. Andersen

*

Als die Nachricht von der siegreichen Schlacht bei Idsted Am 25. Juli 1850. Der Uebers. zu uns kam, vermochte ich nicht in den Siegesjubel einzustimmen, denn ich war von dem Tode meines Freundes Lässöe, des reichbegabten und hochgebildeten Jugendfreundes, der zwischen Schleppegrell und Trepka Der General Schleppegrell drang, begleitet von den Obersten Trepka und Lässöe, in das früher vom Feinde besetzte Dorf ein, ohne es zuvor absuchen zu lassen; sie fielen, an der Spitze ihrer Truppen, von den Kugeln der in den Häusern der Bewohner versteckten Schleswig-Holsteiner getroffen. Der Uebers., in einem kleinen Dorfe bei Idsted, gefallen war, sehr ergriffen. An seine alte, tiefgebeugte Mutter schrieb ich noch in derselben Nacht; ich wußte nicht, ob Gott ihr die Kraft verliehen hatte, diesen schweren Verlust zu ertragen:

Weine, arme Mutter, schwer gebeugt.
Sein Leben war so jung – doch ewig jung
Bewahrt ihn die Erinnerung.

*

Nach dem Kampf und Sieg kam der Friede, den ich mit jubelndem Herzen verkündigen hörte.

Die Heimkehr der Soldaten gestaltete sich zu Festtagen, die mein Herz erhellten und stets mit ihrer Schönheit in meinem Gedächtniß verbleiben werden. Für die schwedischen und norwegischen Freiwilligen schrieb ich einen Gesang, mit dem man an der Grenze Kopenhagens die Dänen empfing, und über dem Stadtthor prangte die Inschrift als Gruß:

 

»Sein Versprechen hielt er, der tapfere Landsoldat.« Refrain aus dem 1848 von Faber gedichteten und von Hornemann componirten Kriegsliede, das vom dänischen Volke zum Nationalliede erhoben worden ist. Der Uebers.

 

Alle Zünfte hatten sich mit ihren Fahnen und Emblemen eingefunden, die wir bisher nur in dem Drama » Hans Sachs« Der Dichter Hans Sachs, geboren den 5. November 1494 in Nürnberg, gestorben daselbst den 25. Januar 1576, war bekanntlich Schuster, aber ein fruchtbarer Dichter und Minnesänger. Der Uebers. zu sehen gewohnt waren. Es ergriff manchen Mann der Arbeit, die Bedeutung zu sehen, die sein Stand im Staate hatte und daß er sein eigenes Banner sein nannte.

Von allen Häusern wehten skandinavische Flaggen. Viele Inschriften waren sinnreich schön: »Sieg – Friede – Versöhnung«, stand an einer Stelle. Alles war so festlich, Alles fühlte sich so patriotisch gehoben, und als die ersten Soldaten sich zeigten, strömten mir die Thränen über die Wangen.

Das Reithaus im königlichen Schlosse Christiansborg war in eine Siegeshalle umgewandelt worden, wo Offiziere und Soldaten von Studenten und anderen jungen Leuten bedient wurden. Musik, Gesang und Reden wechselten mit einander ab, Bouquets und Kränze regneten von den Gallerien hinab. Es war herrlich mit anzuschauen, eine Freude für mich, mit den schlichten, braven Menschen zu sprechen, die nicht wußten, daß sie Helden waren! –

Der Director des Casino-Theaters, Lange, vertheilte jeden Abend eine große Anzahl Billets, damit eine Menge Soldaten das Theater besuchen konnte, und es war mir eine unnennbare Freude, ihnen dienstbar sein, mit ihnen sprechen, ihnen einen Platz verschaffen oder die gewünschte Auskunft geben zu können. Viel Eigenthümliches sah und hörte ich bei dieser Gelegenheit. Die Meisten waren vorher nie in einem Theater gewesen und hatten durchaus keinen Begriff davon – die Vestibüle und Gänge des Casino-Theaters waren festlich geschmückt. Während eines Actes traf ich zwei Soldaten in einem der Gänge. »Nun, haben Sie Etwas gesehen?« fragte ich. – »O, Alles dies ist herrlich hier!« – »Aber das Theaterstück drinnen?« – »Ist denn hier noch mehr zu sehen?!« sagten die beiden Soldaten, die bis dahin nur die Gasflammen und Flaggen bewundert, Kameraden und Civilisten die Treppen auf und ab hatten gehen sehen.

Während dieser Tage des Jubels wurde im Privatleben noch ein anderes Fest gefeiert – ein Familienfest vermag man es zu nennen. Zwei Jahre früher war der Geheimrath Collin unter dem Wechsel der Zeitbegebenheiten von seinen Aemtern zurückgetreten; sein Jubiläum traf am 8. Februar 1851 ein, und dieser Tag wurde im Familienkreise in aller Stille gefeiert.

Während derselben Tage, gerade während der festlichen Heimkehr der Soldaten, während Gesang und Freudenschüsse rundum ertönten, kamen auch trübe Tage. Frau Emma Hartmann Frau Emma Hartmann war die Gattin des Componisten Dr. J. P. Hartmann, die Mutter des Componisten Emil Hartmann und die Schwiegermutter des Componisten, Professor Gade. Der Uebers. und H. C. Oersted Oersted's Todestag ist der 9. März 1851. Der Uebers. starben in ein und derselben Woche!

Emma Hartmann, diese wunderbar reich begabte Frau, besaß eine Laune, eine Lebensfreude, die sich in einer Natürlichkeit offenbarte, die weder Falten noch Schatten warf. Alles stand bei ihr in einer Schönheitsharmonie, wie sie nur die Genialität zu verleihen vermag. Sie war eine der Personen, die mich in den Kreis ihres Geistes, ihrer Laune und ihres Herzens hineingezogen hatte und also auf mich einwirkte, wie das Sonnenlicht auf die Pflanzen wirkt. Es ist unmöglich, die Quelle der Freude und des Scherzes, die Innigkeit, welche von ihr ausströmte, in Worte zu kleiden. Es ist so wahr, was der Geistliche, der Dichter Boye, an ihrem Sarge sagte: »Ihr Herz war ein Gottestempel; sie füllte denselben ganz mit Liebe und aus demselben nahm sie so reichlich und vertheilte von diesem Schatz nicht nur an ihre eigenen Theuern, sondern auch an Viele außer diesem Kreise, an die Armen, Kranken und Traurigen, so lange ihr Vorrath reichte!« – Und stets mit einem freundlichen Wort, einem Scherz, gab sie diesen Allen das Beste! Ja, das Zeugniß an ihrem Grabe war wahr, »daß frohe Gedanken und heitere Gefühle in diesen! Herzen wohnten, und gern ließ sie alle hiuausflattern gleich dem Vogel mit heiterem Gesang, und es wurde zu einem freundlichen Lenztag für die, welche um sie versammelt waren!« Es war gleichsam, als ob die Worte veredelt würden, wenn sie sie gebrauchte; sie vermochte jedes Ding zu sagen, wie sonst gewöhnlich nur das Kind es kann. Man fühlte, daß es einer reinen Hülle entsprang. Mancher Scherz, manch komischer Einfall ertönte von ihren Lippen, aber daß man solches Geplauder auf's Papier, auf die Bühne bringen könnte, sagte sie, fand sie komisch-schrecklich, – Sie war sehr musikalisch und hatte mehrere Musiknummern, jedoch nicht unter ihrem Namen, veröffentlichen lassen. Mit ihrer ganzen genialen Seele faßte sie ihren Gatten Hartmann auf und verstand ihn. Sie sah die Anerkennung und Bedeutung, die er auch im Ausland erlangen würde, vorher und bei diesem Gedanken wurde sie tief ernst, dann leuchtete eine Klarheit aus ihren Gedanken, wo sonst »man sie nur lächeln und voll Scherz zu sehen gewohnt war.

Eins unserer letzten Zwiegespräche war über Oersted's »Geist in der Natur« und besonders über die Unsterblichkeit der Seele, »Es ist so schwindelhaft groß, daß es fast zu viel für uns Menschen ist!« brach sie aus. »Aber ich will es glauben, muß es glauben!« Und ihre Augen leuchteten. Aber schon im nächsten Augenblick kam wieder ein Scherz über ihre Lippen, Worte des Humors über uns jämmerliche Menschen, welche an »ein Hinaufkommen zu Gott« denken könnten.

Es war an einen: Morgen der Trauer. Hartmann schlang seine Arme um meinen Hals und sagte mit Thränen: » Sie ist todt!« – »Wo während der Tage des Lebens die Mutter zwischen Blumen gesessen hatte, wo sie als die segensvoll wirkende Fee des Hauses liebevoll dem Mann, den Kindern und Freunden zugenickt hatte, wo sie als Sonnenstrahl des Hauses Freude verbreitet hatte und das Centrum und das Herz des Ganzen gewesen ist, da thronte jetzt die Trauer!« –

In derselben Stunde, in der die Mutter starb, wurde das jüngste Kind, ein kleines Mädchen Namens Maria, plötzlich krank. In einem meiner Märchen: » Das alte Haus« Siehe die Märchen Band I., Seite 405. Der Uebers. habe ich einen Zug von ihm bewahrt. Es war dieses kleine Mädchen ein zweijähriges Kind, das stets wenn es Musik oder Gesang hörte, dazu tanzen musste, und als es an einem Sonntag Morgen in die Stube trat und die älteren Geschwister Psalmen singen hörte, begann es ebenfalls zu tanzen; allein sein musikalischer Sinn leitete es vollkommen dabei, denn es kam nicht aus dem Takt und blieb so lange bei jedem Ton stehen, so lange derselbe andauerte, erst ans einem Bein, dann ans dem andern. Es war ein completer Psalmentanz, den das Kind unwillkürlich tanzte. – In der Todesstunde der Mutter jedoch beugte es sein kleines Haupt. Es war, als ob sie Gott gebeten hätte, gib mir eins meiner Kinder mit, das kleinste, das mich noch nicht entbehren kann. Und Gott schien ihre Bitte erhört zu haben. An dem Abend, an dem der Sarg der Mutter nach der Kirche gebracht wurde, um am nächsten Tage nach einem feierlichen Gottesdienst der Erde anvertraut zu werden, starb das kleine Mädchen und wurde nach einigen Tagen dicht neben der Mutter, auf deren Grab sich noch einige Kränze frisch und grün erhalten hatten, gebettet.

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Vier Tage später war es, als ich H. C. Oersted verlor. Es war mir fast zu schwer, es zu ertragen, denn ich verlor in diesen beiden Personen so unendlich viel: Emma Hartmann, die durch Laune und Lebhaftigkeit, Scherz und Heiterkeit, so oft mein Gemüth erhoben hatte, wenn ich niedergebeugt und betrübt zu ihr kam, sie, bei der ich gleichsam den Sonnenschein des Lebens zu suchen mich gewöhnt hatte, und jetzt Oersted, den ich während fast aller Jahre, die ich in Kopenhagen war, gekannt und lieb gewonnen hatte, er, der einer der teilnehmendsten Menschen in dem Weh und Wohl meines Lebens gewesen ist. Während der letzten Tage ging ich wechselweise von Hartmann zu Oersted. Dem Freund, der in meinen geistigen Kämpfen und meinen Prüfungen mich geistig aufrecht erhalten hatte, sollte ich zum letzten Mal hier auf Erden begegnen. Doch noch kam dies nicht in meine Gedanken, denn Oersted war so jung an Seele und freute sich schon jetzt auf den kommenden Sommer und auf den Aufenthalt im Fasanenhof im Schloßgarten zu Frederiksberg Der Fasanenhof ist ein dem Staate gehörendes Gebäude im Schloßgarten zu Frederiksberg bei Kopenhagen, das hervorragenden Männern als Sommeraufenthalt gratis auf Lebenszeit überlassen wird. Der Uebers.. Ein Jahr früher, spät im Herbst, hatte er sein fünfzigjähriges Jubiläum gefeiert und die Stadt hatte ihm und seiner Familie während seiner Lebenszeit diesen Aufenthaltsort angewiesen, wo Oehlenschläger zuletzt gewohnt hatte. »Wenn die Bäume sprossen und die Sonne wieder etwas mehr hervorkommt, werden wir dort hinausziehen!« sagte er. Aber bereits in den ersten Tagen des Märzmonats erkrankte er; doch er war bei gutem Muth. Frau Hartmann starb am 6. März. Tief betrübt kam ich zu Oersted. Da hörte ich, daß seine Krankheit einen gefährlichen Charakter angenommen habe. Es war Lungenentzündung. »Das wird sein Tod!« Dieser traurige Gedanke erfüllte mich. Allein er selbst glaubte an Besserung. »Sonntag werde ich aufstehen!« sagte er – und am Sonntag stand er bereits vor seinem Gott!

Als ich dahin kam, kämpfte er mit dem Tode. Seine Frau und Kinder umstanden das Bett. Ich setzte mich in die nächste Stube und weinte – ich war dem Umsinken nahe – und dennoch herrschte eine Ruhe, die stille Ruhe eines wahren Christen hier in diesem Hause!

Am 18. März fand die Beerdigung statt. Ich litt körperlich. Es war ein Kampf und eine Anstrengung, den kurzen Weg von der Universität bis zur gegenüberliegenden Frauenkirche zu gehen. Der langsame Zug brauchte fast zwei Stunden. Der Probst Tryde hielt die Rede, nicht der Bischof Mynster; er war darum nicht ersucht worden! sagte man entschuldigend. Aber braucht der Freund erst ersucht zu werden, um einige Worte an dem Grabe des Freundes zu sprechen? Ich bedurfte des Weinens, um mein Herz zu erleichtern; allein ich vermochte es nicht; es war, als sollte mein Herz zerspringen!

In der Nähe, im Trauerhause, saß die Geheimräthin Oersted und ihre jüngste Tochter Mathilde. Sie hörten die Glocken läuten während der vielen langen Stunden der Beisetzung. Die Töne der Posaune thaten dem Herzen wohl. Ich kam später zu ihnen und wir sprachen über den sonderbaren Zufall, daß in der Kirche gerade Hartmann's Trauermarsch ertönte, den er zu Thorwaldsen's Beerdigung componirt hatte. Als wir ihn zum letzten Mal hörten, war Oersted in unserer Gesellschaft und Hartmann spielte denselben. Es war bei Fräulein Frederike Bremer, als sie bei meiner Abreise nach Schweden ein kleines Fest veranstaltete. Die kleine Maria Hartmann, welche gerade an diesem Morgen in's Grab gelegt worden, war damals als Engel verkleidet und sie sollte mir einen Kranz und einen silbernen Becher überreichen. Hartmann spielte einige Stücke. Da erhob sich Fräulein Bremer plötzlich und bat ihn um den » Trauermarsch«; allein, indem dieser von den Saiten erbrauste, wurde sie tief ergriffen, als ob eine Vorausbedeutung, eine Ahnung für mich darin läge, und sie ergriff meine Hand und bat mich, in diesem Zufall nichts Trauriges zu erblicken; »es bedeutet, zur Größe vorwärts zu schreiten!« sagte sie.

Heute war dieser Trauermarsch über Oersted's Leiche erklungen, über ihn, für den ich damals dieses Fest veranstaltet glaubte, erklang der Trauermarsch und über seinem Sarg erklang es: » Vorwärts zur Große

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