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Je weiter die Zeit vorrückte, um so nervöser wurde Direktor Ziehmer. Die Generalversammlung stand vor der Tür, der Diebstahl ließ sich nicht länger verheimlichen. Er machte sich bittere Vorwürfe, daß er nicht seine erste Absicht ausgeführt und den wertvollen Brief selbst zum Patentamt gebracht hatte, anstatt ihn dem Doktor Hölzer und der Post anzuvertrauen. Es war eben ein Pech, daß gerade an diesem Abend die große Aufsichtsratssitzung war, und daß er vorher noch einmal heim mußte, um mit seiner Frau zu reden.
Jeden Morgen war es das erste, daß er die amerikanischen Zeitungen durchforschte, in der Angst, es könne schon etwas darin stehen, und die Post, ob sie keine Nachricht vom amerikanischen Patentamt brachte.
Dabei fehlte ihm im Büro überall die geschickte, eingearbeitete Hand Dr. Hölzers. Freilich, je mehr er es sich überlegte: Der junge Ingenieur war eigentlich schon in den letzten Wochen verändert gewesen, hatte unter Vorwänden abgelehnt, wenn der Direktor ihn, wie das früher öfter geschah, zum Essen in seine Villa einlud, um dann noch allerhand über die bevorstehenden Arbeiten mit ihm zu plaudern.
Hölzer war ihm geradezu aus dem Wege gegangen! Immer mehr erinnerte sich Ziehmer an auffallende Dinge. Bisweilen hatte Hölzer ihn geradezu schuldbewußt angesehen, mit einen verschüchterten, ängstlichen Blick, und hatte auf Fragen, ob ihm irgend etwas fehle, ausweichend geantwortet. Dafür aber hatte er eifriger und unermüdlicher gearbeitet als je.
War denn Ziehmer wirklich ein so schlechter Menschenkenner, daß er auch jetzt noch nicht einig mit sich war? Daß er es noch immer nicht glauben konnte, daß Hölzer an ihm zum Diebe geworden?
Dieser stille Mann, der immer zurückgezogen gelebt hatte?
Da endlich bat ihn der Kriminalkommissar Jobst um seinen Besuch.
»Verehrter Herr Direktor, wir sind eigentlich um keinen Schritt weiter, denn dieser Hölzer ist einfach nicht zu finden. Weiß der Teufel, wo er steckt! Vielleicht sitzt er unter falschem Namen und Paß, denn einem solchen Menschen ist ja alles zuzutrauen, in irgendeinem Sanatorium für Nervenkranke oder so. Da er lange in Amerika war und ja noch jetzt einen ausländischen Akzent hat, spielt er vielleicht unter falschem Namen den Amerikaner.
Ins Ausland gekommen ist er wohl bestimmt nicht. Wenigstens nicht nach Amerika. Das wäre bei unserem Überwachungsdienst unmöglich. Außerdem aber schreibt mir der Detektiv Pinkerton in Neuyork, daß er die Firma Smith, Rockfield and Co. genau überwachen läßt. Mister Rockfield soll allerdings nach Europa unterwegs sein. Wahrscheinlich, um sich hier mit dem Diebe zu treffen und die Dokumente selbst in Empfang zu nehmen.
Wir haben natürlich angeordnet, daß Rockfield, der, wie Pinkerton schreibt, mit dem Lloyddampfer ›Bremen‹ kommt, vom Augenblick seiner Landung an, die heute erfolgt, genau überwacht wird. Es ist leicht möglich, daß uns nun Rockfield selbst auf die Spur bringt, wo wir Hölzer zu suchen haben.«
»Sie sind immer noch überzeugt, daß der Doktor der Dieb ist?«
»Vollkommen! Erstens hätte er doch gar keinen Grund gehabt, zu fliehen und sich zu verstecken, wenn er sich nicht schuldig fühlte. Zweitens haben wir festgestellt, daß Hölzer schon seit Monaten ein Doppelleben führte. Er ist, wie jetzt nach Photographien festgestellt wurde, sehr oft nachts in sehr eleganter Damenbegleitung in teuren, aber zum Teil recht zweifelhaften Lokalen gesehen worden.«
»Aber der Mann hatte doch gar kein so großes Gehalt.«
»Dafür aber Schulden! Seine Post ist beschlagnahmt. und wir haben ein Mahnschreiben eines recht wenig gut beleumundeten Geldverleihers gefunden, dem Hölzer nicht weniger als hunderttausend Mark schuldet.«
»Es kann doch niemand einem jungen Ingenieur, der noch dazu von unbemittelten Eltern stammt, eine solche Summe leihen.«
»Erstens hat er selbstverständlich nur einen Bruchteil der Summe erhalten, dann aber – ist es ja gar nicht unmöglich, daß dieser Geldverleiher Wüllner von allem gewußt und den geplanten Diebstahl der Dokumente, den Hölzer voraussichtlich schon seit langem geplant hat, sozusagen finanzierte. Wüllner allerdings will von nichts wissen, weigert sich aber auf das Allerbestimmteste, irgendwelche näheren Angaben zu machen. Da es sich bisher ja um eine einfache Geldforderung Wüllners handelt und wir, ehe Hölzer gefaßt ist, nicht wissen, ob eine Bewucherung stattfand, können wir den dunklen Ehrenmann leider nicht verhaften.«
»Ganz furchtbar! Man sollte wahrhaftig alles Vertrauen zu den Menschen verlieren!«
Die Tür wurde geöffnet und ein Telegramm gebracht:
»Dr. Hölzer soeben in Dresden im Park des Sanatoriums ›Weißer Hirsch‹ verhaftet. Bereits im Flugzeug nach Berlin unterwegs. Polizeipräsidium.«
»Dann also stehen wir vor der Aufklärung des Falles, und der Verhaftete kann in zwei Stunden hier sein. Am besten, Sie bleiben gleich in der Nähe, Herr Direktor.«
»Ich bin viel zu nervös, um jetzt meinen Angestellten gegenüberzutreten, – wenn Sie gestatten, warte ich hier.«
Es vergingen drei Stunden, die Ziehmer zu einer unendlichen Qual wurden. Ruhelos wanderte er in dem Wartezimmer, das ihm der Kommissar angewiesen hatte, auf und nieder und rauchte eine Zigarre nach der anderen. War bald voller Hoffnung, dann wieder niedergeschmettert von der Gewißheit, daß Hölzer ein Dieb sei. Er war froh, daß der Himmel wenigstens an diesem Tage die Verhaftung ermöglicht hatte, ehe Rockfield mit ihm zusammentraf.
Endlich kam der Kommissar.
»Es ist, wie ich gedacht hatte. Wir hatten die Überwachung der Sanatorien angeordnet. Heute morgen erschien Dr. Hölzer im ›Weißen Hirsch‹ und nannte einen unverständlichen, amerikanischen Namen. Das verstörte und für einen wohlhabenden Mann, der das teure Sanatorium aufsuchen konnte, sehr wenig vornehme Aussehen machten den Beamten stutzig. Er verlangte eine Legitimation, und der seltsame Patient behauptete, sie erst aus seinem Hotel holen zu müssen. Er verließ fast fluchtartig das Gebäude, der Beamte machte die Polizei aufmerksam, und Hölzer wurde noch im Park verhaftet.
Er gab ohne weiteres zu, daß er es sei, und behauptete, die ganze Zeit über in Dresden gelebt zu haben.
Jetzt ist er hier eingeliefert, und ich bitte Sie, gleich bei der Vernehmung zugegen zu sein.«
Mit stark klopfendem Herzen folgte der Direktor dem Kommissar in das Verhörzimmer.
Bleich, in seinem Anzug verwahrlost, trat Dr. Hölzer, von dem Kriminaloberwachtmeister geführt, in das Zimmer, in dem der Kommissar mit Direktor Ziehmer saß.
»Nun also, Herr Doktor, Sie hätten es uns allen bequemer machen können.«
Hölzer sah wortlos zu Boden.
»Wollen Sie jetzt ein Geständnis ablegen? Sind Sie während dieser Wochen einer sinnlosen Flucht vernünftig geworden?«
Langsam sah der junge Mann auf.
»Ich weiß von den gestohlenen Papieren nichts.«
Dem Kommissar riß die Geduld.
»Sie wollen also auch jetzt noch behaupten, daß Sie ein Unschuldsengel sind?«
»O nein, ich habe ein schweres, ein sehr schweres Unrecht auf meinem Gewissen, das ich tief bereue, auch wenn ich niemandem etwas davon sagen darf, aber, so wahr ich mich selbst wegen dieser anderen Sache verdamme, ich habe mit den gestohlenen Dokumenten nichts zu tun.«
»Wollen Sie auch jetzt noch verschweigen, mit wem Sie in jener Nacht zusammen waren?«
»Jawohl!«
»Wollen Sie leugnen, daß Sie trotz Ihres sehr anständigen Gehaltes bei dem Wucherer Wüllner hunderttausend Mark schuldig geworden sind?«
»Das kann ich nicht leugnen, denn es ist wahr.«
»Wo haben Sie das Geld gelassen?«'
»Darüber verweigere ich die Aussage.«
»Sie hatten eben ein verschwenderisches Doppelleben geführt.«
»Nein.«
»Zum Donnerwetter, das Geld muß doch irgendwo geblieben sein.«
»Ich habe es jemand gegeben.«
»Wem in drei Deibels Namen?«
»Darüber verweigere ich die Aussage.«
»So kommen wir nicht weiter. Jedenfalls, ganz gleichgültig, was aus dem Gelde geworden ist, Sie hatten die Absicht, die Schuld mit der Verkaufssumme der Papiere zu decken.«
»Nein.«
»Womit denn sonst? Haben Sie etwa nicht diesem Wüllner versprochen, die Summe in vierzehn Tagen, vom Tage jener verhängnisvollen Nacht an gerechnet, zurückzuzahlen?«
»Ganz recht.«
»Womit denn, wenn nicht mit der Summe, die Sie sich ergaunern wollten?«
»Der, dem ich das Geld gab, das mir Wüllner borgte, wollte es mir zurückgeben.«
»Nachdem er die Papiere verkaufte.«
»Es ist ganz ausgeschlossen, daß die Person überhaupt etwas von den Papieren gewußt hat!«
»Sie verlangen, daß wir Ihnen diesen Wahnsinn glauben?«
»Ich verlange gar nichts, denn ich weiß selbst nicht, was um mich vorgeht.«
»Seien Sie doch endlich vernünftig, helfen Sie uns, – wir wollen ja zu glauben versuchen, daß Sie selbst der Verleitete sind. Nennen Sie uns endlich jene sagenhafte Person.«
In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und – Mister Frank Allan trat ein.
»Sie hier? Ich denke, Sie sind in Rio?«
»Vorläufig hatte ich hier noch etwas zu tun. Ist das der verhaftete Dr. Hölzer?«
»Sie wissen – –?«
»Na, man liest doch Zeitungen, und – wenn ich offen sein soll, ich habe mich in diesen vier Wochen ausschließlich mit Ihrem Fall beschäftigt.«
»Und – –?«
»Herr Direktor Ziehmer, vielleicht haben Sie die Güte, einmal genau nachzusehen, ob dies die Dokumente sind, die Sie vermissen.«
»Sie haben – –?«
»Grundgütiger Himmel, das sind wahrhaftig – wo haben Sie die Papiere her? Was ist denn? Wer hat – –?«
»Bitte, fragen Sie mich nicht gleich hundert Dinge auf einmal. Wenn es die Papiere sind, kann ich Ihnen wenigstens die Beruhigung geben, daß sie noch von niemandem gesehen worden sind.«
»Wirklich nicht?«
»Und Dr. Hölzer?«
»Hat selbstverständlich davon keine Ahnung.«
Hölzer starrte ihn an, aber der amerikanische Detektiv hatte ein sehr strenges Gesicht.
»Schämen Sie sich, Herr Dr. Hölzer! Ich weiß alles! Verstehen Sie, alles! Sie haben ebenso undankbar wie unbesonnen gehandelt. Herr Kommissar, wollen Sie die Güte haben, den Herrn Doktor, über dessen Geschick allein der Herr Direktor zu entscheiden hat, vorläufig abführen zu lassen?«
Hölzer knickte vollkommen zusammen.
»Herr Direktor, ich kann Ihnen nur wiederholen, daß ich meinten Leichtsinn, ja, meine schwere Schuld von ganzem Herzen bereue.«
Während Hölzer abgeführt wurde und der Kommissar und der Direktor sich verwundert ansahen, zündete sich Frank Allan langsam eine Zigarre an.
»Herr Direktor und Herr Kommissar, wir sind jetzt hier unter sechs Augen. Es tut mir außerordentlich leid, Herr Direktor, daß ich in Gegenwart des Herrn Kommissars hier Dinge erörtern muß, die Ihnen außerordentlich peinlich und schmerzlich sein müssen, aber ich kenne den Kollegen Jobst, und weiß, daß er zu niemandem etwas verlauten lassen wird. Andererseits muß er die volle Wahrheit mit anhören um sich zu überzeugen, daß hier ein Diebstahl überhaupt nicht stattgefunden hat.« – Allgemeine Verblüffung. »Nicht stattgefunden? Ja, wollen Sie etwa behaupten, daß ich etwa selbst –?«
»Durchaus nicht, aber ›Diebstahl unter Ehegatten‹ ist straflos.«
Während Frank Allan diese Worte leise, aber bedeutungsvoll aussprach, war Ziehmer aufgesprungen.
»Soll das heißen – –?«
»Ganz recht, die Person, mit der Dr. Hölzer an jenem Abend zusammen war und die, ohne, daß er es ahnte, ihm die Dokumente aus dem Briefe stahl, um sie an die amerikanische Firma Smith, Rockfield and Co., zu verkaufen, war leider Ihre Frau Gemahlin.«
»Mister Allan, das ist so ungeheuerlich – –.«
»Darf ich Ihnen diesen Brief zeigen, aus dem klar hervorgeht, daß Ihre Gattin Herrn Dr. Hölzer, der sich sinnlos in sie verliebt hatte, die Summe von hunderttausend Mark schuldete, und daß sie ihm versprach, ihm diese Summe innerhalb vierzehn Tagen zurückzugeben?«
Fast willenlos nahm der Direktor ein Papier, das Frank Allan ihm gab, dann schrie er auf.
»Es ist ihre Handschrift!«
Er ließ sich gebrochen in einen Sessel sinken.
»Jetzt sagen Sie schonungslos alles!«
»Sie erinnern sich, daß Sie mich zuerst in den Fall einweihten. Ich tot mit Absicht so, als interessiere mich dieser Fall nicht. Es war auch nicht schwer, das Leben Dr. Hölzers genau festzustellen, und mir kam der Umstand zu Hilfe, daß ich ihn und Ihre Gattin erst wenige Tage vorher in einem Lebeweltlokal zusammen gesehen habe.
Ich kannte die gnädige Frau bereits aus der Zeit, als sie noch nicht Ihre Sekretärin war – Sie haben sie ja aus dieser Stellung heraus geheiratet – sondern als sie noch in Diensten des damaligen amerikanischen Sachwalters in Deutschland, James Rockfield, stand.«
»Grundgütiger Himmel!«
»Nun, ich bekam heraus, daß Ihre Gattin bereits seit drei Monaten den sinnlos verliebten Dr. Hölzer vollkommen im Bann hatte. Ich weiß auch, daß Ihre Ehe unglücklich war, daß Sie Ihrer Gattin wiederholt Vorwürfe gemacht haben wegen ihrer Verschwendungssucht, und daß Sie sich in der letzten Zeit freuten, daß sich diese gebessert hatte. Das war eben jene Zeit, in der sie Dr. Hölzer veranlaßte, die Schulden zu machen.«
»Wie konnte aber dieser Geldgeber solche Summen – –?«
»Sie wissen, daß Sie die Absicht hatten, sich von Ihrer Gattin zu trennen und ihr einen sehr hohen Abstand zu zahlen, um den Skandal zu vermeiden. Ich habe mit dem Geldleiher gesprochen. Hier ist der Brief, in dem Ihre Frau ihm bestätigt, daß sie sofort nach ausgesprochener Scheidung den Herrn Dr. Hölzer heiraten und von der Abstandsumme das Geld zurückgeben würde.«
»Ich hatte die Scheidung zurückgezogen.«
»Ganz recht, deshalb stand jetzt der Zusammenbruch vor der Tür, deshalb suchte Ihre Gattin nach einem anderen Mittel, weil der Wucherer gedroht hatte, Ihnen diesen Schuldschein einzusenden.
Es war recht unklug, daß Sie Ihrer Gattin von dem Dokument und auch von den unlauteren Konkurrenzabsichten der amerikanischen Firma erzählten. Darf ich Ihnen diesen weiteren Brief zeigen, aus dem hervorgeht, daß Rockfield Ihrer Gattin zweihunderttausend Mark bietet, und daß er die Absicht hatte, gerade heute Ihre Gattin aufzusuchen und Geld gegen Dokumente zu tauschen?«
»Mister Allan, woher wissen Sie das alles?«
»Sie selbst hatten mir erzählt, daß Ihre Gattin gerade an dem Tage, nachdem sich der Diebstahl ereignete, wegen ihres schweren Lungenspitzenkatarrhs das Sanatorium des Dr. Gelbhaar in Hörbersdorf aufsuchte. Sie können sich denken, daß ich diese Abreise genau an jenem Tage, und nachdem sie noch einen letzten Abend mit Dr. Hölzer verbracht hatte, zusammenreimte. Sie hatten mir ja auch gesagt, daß Sie an diesem Abende, ehe Sie in die Aufsichtsratssitzung gingen, noch einmal heimfuhren, um sich von Ihrer Gattin zu verabschieden, die mit dem Nachtzuge reiste, und daß Sie aus diesem Grunde Ihre Absicht, den wichtigen Brief selbst zur Post zu geben, aufgaben. Auch das haben Sie leider Ihrer Gattin gesagt.«
»Woher wissen Sie das alles?«
»Aus dem Munde Ihrer Gattin. Ich habe es aus ihr herausgepreßt, nachdem ich erst die Dokumente und den Brief an Hölzer gefunden hatte, es für sie also keinen Zweck mehr hatte, noch, zu leugnen.«
»Sie waren in Hörbersdorf?«
»Selbstverständlich! Ich habe allerdings fast drei Wochen dazu gebraucht, bis ich alles entdeckte.«
»So weiß man auch dort – –?«
»Ich vermute, daß Sie heute noch einen Brief erhalten werden, in dem man Ihnen mitteilt, daß Ihre Gattin kränker geworden ist. Sie hat leider infolge der unvermeidlichen Aufregungen eine Lungenblutung gehabt.«
»Aber man weiß, daß Sie, der Detektiv – –?«
»Durchaus nicht. Man weiß nichts, als daß ein seltsamer Kauz, ein Mister Wilson aus Chikago, trotzdem er vollkommen gesund war, behauptete, schwer krank zu sein, und sich für drei Wochen als Patient aufnehmen ließ.«
»Sie sind – –?«
»Ganz recht. Der Professor wollte mich nicht aufnehmen, da habe ich mich allerdings hinter eine junge Ärztin gesteckt. Habe erst versucht, ihr einen Bären aufzubinden, aber als das nicht verfing, habe ich mich ihr zu erkennen gegeben und ihr klargemacht, daß ich gezwungen sei, irgendeinen Kranken in der Anstalt zu beobachten, und daß es auch für den Professor besser sei, er wisse von nichts und hielte mich für einen Kranken.
Da mich die junge Ärztin zufällig von Ghikago her kannte, vertraute sie mir und – vertauschte zwei Röntgenplatten, so daß selbst der Professor mich für krank hielt.
Gestern nun habe ich der Dame gesagt, daß meine Nachforschungen beendet seien und ich genau wüßte, daß ich auf falscher Spur war. Nach einer neuen Röntgenaufnahme wurde ich sofort als gesund entlassen, und der Herr Professor ist stolz über meine glänzende Heilung.«
»Und meine Frau?«
»Nachdem es mir gelungen war, mich an sie heranzupürschen, natürlich als reicher Amerikaner – Sie nehmen mir meine Offenheit nicht übel – gelang es mir zunächst, in einem unbewachten Augenblick ihre Koffer zu durchsuchen und die Dokumente zu finden.
Dann untersuchte ich selbstverständlich ihre Post, und – als ein Brief aus Chikago kam, habe ich diesen unterschlagen.
Darauf hatte ich eine sehr ernste Unterredung mit der Dame im Garten des Sanatoriums, bei der sie mir, der ich mich natürlich legitimierte, ein volles Geständnis ablegte. Sie hat an jenem Abend, als sie wußte, daß Hölzer den Brief bei sich trug, diesen in seine Wohnung begleitet und die Zeit, in der er sich im Nebenzimmer umzog, dazu benutzt, den Brief zu öffnen und wieder zu schließen. Es wird Ihnen unbekannt sein, daß die Dame schon einmal wegen eines ähnlichen Falles mit Gefängnis bestraft ist. Leider brach sie bei meinen Eröffnungen zusammen und hatte das Lungenbluten. Ich würde Ihnen raten, morgen hinzufahren.«
»Dann ist also Hölzer – –?«
»Am Diebstahl der Dokumente unschuldig, aber er leidet jetzt schwer darunter, daß er Ihr Vertrauen so sträflich hinterging.«
Langsam sah der Direktor auf.
»Kann ich auf diesen jungen Mann einen Stein werfen, wenn ich alter Esel selbst in die Netze dieser Person ging, die ich kaum kannte, von deren Vorleben ich nichts wußte, daß ich sie sogar heiratete?«
Frank Allan sagte leise:
»Ich muß Ihnen gestehen, hätte ich nicht gewußt, wen ich vor mir hatte, ich wäre selbst von ihrem Liebreiz bezaubert gewesen. Sie ist der erklärte Liebling des ganzen Sanatoriums.«
Der Kommissar nahm das Wort:
»Unter diesen Umständen ist also Hölzer –«
Der Direktor hatte sich gefaßt.
»Ich erstatte selbstverständlich keine Anzeige. Doktor Hölzer ist ja unschuldig, wie Mister Allan versichert, und – die Dokumente sind da!«
Hölzer wurde wieder hereingeführt.
»Es hat sich herausgestellt, daß die Dokumente nicht gestohlen sind, aber – warum sind Sie geflohen?«
»Ich konnte Herrn Direktor Ziehmer nicht mehr unter die Augen treten und hatte Angst, daß ich mich in den Kreuzverhören verraten würde.«
Der Direktor stand auf.
»Dr. Hölzer, es ist selbstverständlich, daß wir, nachdem ich alles weiß, nicht weiter zusammenarbeiten können. Sie scheiden aus, aber – es soll unter uns bleiben. Lassen Sie sich dies zur Lehre für Ihr ganzes Leben dienen. Ich werde es auch tun und – jetzt gehen Sie. Das Gehalt für die Kündigungszeit wird Ihnen zugeschickt werden.«
Hölzer begriff den Zusammenhang nicht und ging langsam zur Tür.
»Noch eins. Der Betrag, den Sie für die Dame verauslagten, wird von mir Herrn Wüllner zurückerstattet. Selbst, wenn Sie es könnten, käme es Ihnen nicht zu, für meine Frau zu bezahlen. Wenn Sie sich noch einen Funken von Ehre gerettet haben, werden Sie nie und zu niemanden von diesen Dingen sprechen. Es ist gut. Gehen Sie.«
Am nächsten Tage fuhr Direktor Ziehmer nach Höllersdorf, und Professor Gelbhaar empfing ihn mit ernstem Gesicht.
»Es ist leider ein sehr trauriger Fall. Die Patientin hatte die Blutung gut überstanden, gestern nacht aber fanden wir sie auf dem Treppenflur. Ich kann mir nur denken, daß sie in einem Augenblick des Alleinseins in einem Fieberanfall hinausgelaufen ist. Der Blutsturz hat sich wiederholt, und – sie ist aus der Ohnmacht nicht wieder erwacht.«
Direktor Ziehmer war totenbleich, der Professor bewunderte diese Fassung.
»Wir sind todtraurig, es war eine so reizende Dame, wir hatten sie alle so lieb. Sie freute sich so auf Ihr Kommen. Noch gestern hat sie an Sie geschrieben, ich habe den Brief nicht mehr abgesandt, weil Sie Ihre Ankunft ja telegraphiert hatten.«
Direktor Ziehmer ließ sich ein Zimmer anweisen; dann las er den Brief.
Es war ein volles Geständnis, eine Entschuldigung Hölzers, und er schloß mit den Worten:
›Ich denke, der Blutsturz wird sich wiederholen, ich werde dafür sorgen, daß es geschieht.‹
Erschüttert stand Direktor Ziehmer vor der Toten, die, ein unschuldiges Kinderlächeln um den zarten Mund, in den Kissen des Sarges lag.
»Herr Direktor wollen die Leiche natürlich überführen?«
»Sie soll begraben werden, wo sie starb.«
Und wieder ein paar Wochen später erhielt Fräulein Dr. Ethel Schröder einen höchst seltsamen Brief.
›Sehr geehrtes Fräulein Doktor!
Sie hatten vor einigen Wochen die Liebenswürdigkeit, mir bei der Aufklärung eines höchst schwierigen Falles behilflich zu sein. Ich übersende Ihnen anliegend die fünftausend Mark, die von der ausgesetzten Belohnung auf Sie entfallen. Bitte, forschen Sie weiter nicht nach, und halten Sie auch dem Professor gegenüber reinen Mund.
Frank Allan, alias Wilson.‹
Fräulein Dr. Schröder begriff nicht.
Sie zerbrach sich vergebens den Kopf, kam mit keinem Gedanken auf die reizende, arme Frau Direktor, aber – fünftausend Mark? Nun, wenn der Detektiv Allan sagte, daß sie diese Summe verdient hatte? Es war ein großes Los, das ihr in den Schoß fiel und ihr ermöglichte, selbst eine eigene Röntgenpraxis in ihrer Heimatstadt zu eröffnen.
Direktor Ziehmer wurde ein wortkarger Mann, der sich bald von den Geschäften zurückzog. Dr. Hölzer ging ins Ausland – er soll in Bolivien eine neue Stellung gefunden haben.
Kommissar Jobst saß mit Frank Allan zusammen.
»Das haben Sie wieder einmal vortrefflich gedeichselt.«
»Ja, sehen Sie, das ist der Vorteil, wenn man freier Detektiv und kein Beamter ist. Wir können menschlich handeln und Verbrechen aufklären, ohne die Leute bloßzustellen. Im Vertrauen gesagt, diese Frau mit dem schlimmen Charakter und dem lieben Kinderlächeln hätte jeden betört. Es ist weder ein Wunder, daß der alternde Direktor, noch daß der junge, in Liebesdingen unerfahrene Mensch auf sie hereinfiel.«
»Mister Allan, ich glaube, Sie selbst haben etwas Feuer gefangen?«
»Sie wissen, ich bin ein eingefleischter Junggeselle, aber – wenn man über Verbrecher urteilen will, dann muß man die näheren Umstände zu Rate ziehen. Ein schönes und skrupelloses Weib aber ist das Gefährlichste, was es auf Erden gibt.
Schade trotz allem um das herrliche Geschöpf!«
Frank Allan bezahlte seine Zeche und ging in tiefen Gedanken zu seinem Hotel.
Ende