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In der langen Reihe von merkwürdigen Criminalfällen, die der »Neue Pitaval« seinen Lesern vorgeführt hat, ist der Proceß: »Karl Friedrich Masch, sein Räuberleben und seine Genossen« einer der merkwürdigsten, und unter der großen Zahl von psychologisch interessanten Verbrechern, die wir im Laufe der Zeit zu schildern Veranlassung hatten, nimmt Karl Friedrich Masch einen hervorragenden Platz ein. Der blutbedeckte Räuber hat, wie in neuester Zeit in civilisirten Ländern kein anderer, jahrelang im Kriege gelebt mit der Obrigkeit und der bürgerlichen Gesellschaft. Er gleicht an Schlauheit und an Grausamkeit den Raubthieren: er lebte wie diese in den Höhlen des Waldes und zog am liebsten des Nachts von dannen, um hier in ein friedliches Haus zu brechen, dort die Brandfackel in ein Gehöft zu werfen und sich in der durch die Feuersbrunst entstandenen Angst und Verwirrung seine Beute zu holen. Bald lauerte er tückisch dem Wanderer auf und jagte ihm aus sicherm Versteck eine Kugel durch den Kopf, bald erzwang er sich mit Gewalt den Eingang in wohlverschlossene Häuser, erschlug die Bewohner, Mann und Weib, alt und jung, plünderte ihre Habe und frevelte noch an den Leichen. Jetzt hatte man ihn aufgescheucht, aber schnell entschlossen verlegte er den Schauplatz seiner Thätigkeit in eine andere Gegend. Seine Verhaftung war nicht das Verdienst der Polizei, sondern seine Trunkenheit und daß er die gewohnte Vorsicht einmal vergaß, wurde die Ursache seines Verderbens.
Wir haben versucht, das Bild des furchtbaren Bösewichts vollkommen treu und wahr zu zeichnen. Wenn dennoch Räthsel übrigbleiben, so ist das nicht unsere Schuld. Masch war eben nicht blos ein verruchter Räuber, nicht blos ein verhärteter Mörder. In der Gefangenschaft löste sich allmählich die Eisrinde seines Herzens, und es ist etwas Tröstliches, daß wir auch in dieser Seele rein menschliche, edlere Regungen entdecken, daß auch ein solcher Mensch noch Reue empfinden und versöhnt sterben konnte. Ob er wirklich zuletzt die Wahrheit gesagt, ob er den entsetzlichen Mord in Chursdorf allein verübt und allein sechs Menschen daselbst umgebracht hat, ob die Hand seines Bruders Martin wirklich rein geblieben ist von Blut, das sind Fragen, die für uns auch heute noch nicht völlig entschieden sind. Die Leser mögen sich selbst ein Urtheil bilden, indem sie vergleichen, was der würdige Beichtvater des Delinquenten hervorgehoben hat und was von uns darauf erwidert worden ist.
Benedict Accolti war ein exaltirter Mensch, »ein närrischer Tropf« wie es in den Acten heißt, der den Papst Pius IV. im Jahre 1565 umbringen wollte. Ueber die Verschwörung, die ihrerzeit ein ungeheueres Aufsehen erregte, bringen wir einen Bericht an den Kurfürsten August von Sachsen.
Unter der Ueberschrift »Kaspar Trümpy aus Bern« hat ein dem Herausgeber befreundeter deutscher Jurist den berühmten Proceß wider Dr. Hermann Demme und Sophie Elisabeth Trümpy wegen Giftmords dargestellt. Die beiden Angeschuldigten wurden von den Geschworenen freigesprochen und es erhob sich seinerzeit in der Schweiz ein lebhafter Streit darüber, ob dieser Wahrspruch ein gerechter gewesen sei oder nicht. Die Ansichten sind noch jetzt getheilt. Wir selbst hatten Gelegenheit, in dem verwichenen Sommer an Ort und Stelle mit Fachmännern und mit gebildeten Laien über den Fall zu reden, und überzeugten uns davon, daß namentlich in Bern, wo Dr. Demme gelebt und ein sehr böses Andenken hinterlassen hat, die öffentliche Meinung dahin ging, daß der Angeklagte entweder mit oder ohne Wissen der Frau Trümpy dem Verstorbenen Gift eingegeben habe.
Unser bewährter Mitarbeiter kommt zu einem andern Resultat: er hat das Für und das Wider mit der größten Sorgfalt gegeneinander abgewogen, die juristischen und die psychologischen Momente so zusammengestellt, daß sie eine vollendete Schlußkette bilden, und nicht blos behauptet, sondern bewiesen, daß Demme kein Mörder gewesen ist.
Von anderer hochachtbarer Seite, in den zu Schwyz erschienenen »Kritischen Briefen«, wird ebenfalls mit stattlichen Gründen für Demme's Unschuld gekämpft, aber doch nicht für seine volle Unschuld. Der Schreiber jener Briefe glaubt vielmehr an einen Selbstmord Trümpy's, und daß Demme ihm dabei geholfen, ihm insbesondere das Gift verschafft habe, mit welchem Trümpy seinem Leben ein Ende machte.
Nach unserm Dafürhalten steht so viel fest, daß Demme dem Trümpy das Gift nicht wider dessen Willen gereicht hat. Einmal fehlte es dazu an jedem Motiv und dann würde er bei der Privatsection, die er bald nach dem Tode vornahm, ganz gewiß nicht blos die Schädelhöhle, sondern vor allen Dingen auch den Unterleib geöffnet, die Eingeweide herausgenommen und damit jede Möglichkeit der Entdeckung beseitigt haben. Unser Berichterstatter weist sehr schlagend nach, daß Demme dies ohne alle Schwierigkeiten hätte thun können. Wenn er es dennoch unterließ und es der Chemie gelang, aus den innern Theilen der Leiche Strychnin darzustellen, so muß man daraus allerdings den Schluß ziehen, daß Demme entweder gar nichts von der Vergiftung gewußt, oder doch Trümpy nicht vorsätzlich mit Strychnin gemordet hat.
Die andere Frage, ob Demme den Tod Trümpy's gewünscht, ob er Trümpy's Gedanken an Selbstmord mit Freuden begrüßt und genährt hat, möchten wir dagegen bejahen. Wir nehmen an, daß Demme für den heruntergekommenen, dem Trunke und der Lust ergebenen, wüsten Trümpy keine Spur von freundschaftlichem Gefühl, von Mitleid und wahrer Theilnahme besaß. Frau Trümpy und ihre Tochter Flora litten unter der Tyrannei und den Wuthausbrüchen des Vaters, Demme hatte zu der Mutter in einem ehebrecherischen Verhältniß gestanden und auf die Tochter ein Auge geworfen: was war natürlicher, als daß er, um ihrem häuslichen Elend ein Ziel zu setzen, den Wunsch hegte, Trümpy möchte sterben? Wenn dieser selbst, wie er es erwiesenermaßen gegen andere Leute that, auch gegen Demme Lebensüberdruß und Selbstmordsgedanken aussprach, so mochte Demme darüber erfreut sein, und wir können uns wohl denken, daß er in dem schwachen und feigen Trümpy den Entschluß, sein trauriges Dasein zu endigen, allmählich fest gemacht, ihn über die dazu dienlichen Gifte belehrt und ihm entweder das Strychnin selbst übergeben, oder wenigstens ihn nach und nach so weit gebracht hat, daß er den Giftbecher trank.
Ein Correspondent der »Luzerner Zeitung« aus Bern hat unsere Darstellung heftig angegriffen und sich nicht entblödet, die Vermuthung zu äußern, daß die ganze Arbeit darauf hinauslaufe, die Ehre Demme's zu retten. Da der anonyme Correspondent nicht einen einzigen Grund gebracht und eine Widerlegung auch nicht einmal versucht, sondern es vorgezogen hat, zu schimpfen, so haben wir uns darauf beschränkt, den Angriff in der »Luzerner Zeitung« zurückzuweisen und zu erklären, daß weder der Herausgeber noch der Verfasser des Aufsatzes mit den betheiligten Familien in irgendeiner Beziehung stehen und daß der letztere völlig objetiv geschrieben hat.
Der »Mord im Criminalgefängniß von Nürnberg« ist ein grausiges Nachtstück aus der alten Reichsstadt und »Die Meuterei auf der Insel du Levant« ist eine noch viel schrecklichere That der Entartung jugendlicher Verbrecher. Der Aufruhr in jener Colonie, welche die Aufgabe hatte, verwahrloste Knaben und verdorbene Jünglinge zu bessern, die kalte Grausamkeit, mit welcher die Rädelsführer der empörten Rotte ihre Genossen dem Flammentode überlieferten, die unerhörte Pflichtvergessenheit und die Feigheit des Jammermannes von Director – das sind freilich traurige, aber doch sehr schlagende Illustrationen zu dem oft und lebhaft besprochenen Thema von der Gesunkenheit dieser verlorenen Jugend und von dem Werthe solcher Besserungsanstalten. Burschen [*typo] dieser Art können eben nur zur Ordnung gebracht werden, wenn sie gehorchen und arbeiten lernen.
Dr. Eduard William Pritchard hat eine gewisse Verwandtschaft mit demDr. Demme, nur daß man an seiner Schuld schwerlich zweifeln wird. Er unterscheidet sich von seinen Vorgängern, die einen Platz in unserm Werke gefunden haben, von Dr. Jahn in Dessau, der Coniin, von Dr. Palmer in Rugely in England, der Strychnin, von Dr. de la Pommerais in Paris, der Digitalin anwendete, hauptsächlich dadurch, daß er mit Antimon, einem mineralischen Gift, mordete. Während Jahn, Palmer und de la Pommerais feiner zu Werke gingen und Pflanzengifte wählten, die sich schnell mit dem Blute mischen und überaus schwer zu entdecken sind, machte Dr. Pritchard den Chemikern ihre Aufgabe viel leichter, denn der Brechweinstein war in den Leichen seiner Frau und seiner Schwiegermutter mit geringer Mühe wiederzufinden.
Pritchard hat wenigstens den einen Mord, nachdem er verurtheilt war, eingestanden; aber freilich ist damit noch lange nicht alles erklärt und das geheimnißvolle Dunkel, das über dem Feuertode seiner frühern Dienstmagd schwebt, wird niemals aufgehellt werden.
Der Raubmörder Jakob Friedrich Hadopp ist wol nicht unschuldig hingerichtet worden, obgleich er bis zum letzten Athemzuge dabei geblieben ist, daß die Zeugen gegen ihn falsch geschworen hätten. Uebrigens ist der Fall ein neuer Beleg dafür, daß man in Amerika weit weniger scrupulös ist als bei uns. In Deutschland würde sich doch manche Geschworenenbank bedenken, das Schuldig auszusprechen, wenn der Todte nicht einmal identificirt werden könnte, wie hier, wenn sie nur aus Beschreibungen seiner Kleider und seiner Person schließen sollte, daß der Ermordete wirklich der Freund des Angeklagten gewesen. Und ganz gewiß würde kein Fürst ein solches Todesurtheil bestätigen, denn ein Irrthum in der Person bleibt, wenn auch nicht wahrscheinlich, doch auch jetzt noch recht gut denkbar.
Johann Heinrich Furrer , der Mörder seiner Aeltern, der im Jahre 1864 vom Großen Rath in Zürich begnadigt, und Heinrich Götti, der Mörder seiner Kinder, der im Jahre 1865, nachdem der Große Rath in Zürich sein Gnadengesuch verworfen, hingerichtet wurde, sind zwei Verbrecher, die für den Seelenkundigen nicht leicht zu enträthseln sind. Die beiden Processe haben auch ein culturgeschichtliches Interesse, insofern sie die Frage über Beibehaltung oder Abschaffung der Todesstrafe praktisch erläutern.
Arnstadt in Thüringen, im November 1867.