Willibald Alexis
Der Neue Pitaval
Willibald Alexis

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Kaspar Trümpy aus Bern

(Giftmord durch eigene oder fremde Hand)
1864

Zu den Criminalfällen von trauriger Berühmtheit, an denen das gegenwärtige Jahrzehnt nur zu reich ist, hat auch die Schweiz ihr Contingent gestellt. Bald nachdem, am Morgen des 16. Febr. des Jahres 1864, der Bankier Kaspar Trümpy auf seinem Landgut zu Wabern, eine halbe Stunde von der Stadt Bern, gestorben war, verbreitete sich das Gerücht, sein Tod sei kein natürlicher gewesen. Erst sprach man von Selbstmord, dann flüsterte man sich zu, Trümpy sei umgebracht worden. Die Behörde hatte ein leises Ohr für die Stimme des Argwohns, sie schritt ein und die Chemie feierte einen neuen Triumph: das furchtbar tödliche Element aus nux vomica, Strychnin, das seine Opfer in wüthenden Krämpfen zerreißt und emporschnellt, bevor der Tod ihren Qualen ein Ende macht, wurde in zwanzigfachem Uebermaß über die genügende Dosis in dem Leichnam gefunden. Ja der Scharfsinn der Gerichtsärzte wußte aus diesem unzweifelhaften Ergebniß, in Verbindung mit manchen andern Umständen, der Strafjustiz ihren schweren Weg noch weiter zu bahnen und gelangte zu dem Schlusse, daß Trümpy nicht mit eigener Hand das Gift genommen habe. Nun war der Strich unter der langen Reihe groß- und kleinzifferiger Factoren bereits gezogen, jeder Schüler konnte die Addition vornehmen: Trümpy war auf Antrieb seiner eigenen Frau von seinem Arzt und Hausfreund, dem Dr. Karl Hermann Demme, vergiftet worden. Die Verdächtigen wurden in Haft gebracht, die Untersuchung gegen sie eingeleitet und aus den Blättern der Schweiz wiederholten es die Zeitungen aller Nationen. Sie reihten den Namen Demme's den schrecklichen Namen Palmer, Castaing, de la Pommerais und Jahn, den Namen derjenigen Aerzte an, welche das Vertrauen ihrer Opfer zum kaltblütigsten, unmenschlichsten Verbrechen misbraucht und dabei vor der gerechten Strafe hinter dem Schilde ihrer Wissenschaft sich zu decken gesucht hatten.

Hier schwankte das Zünglein der Wage herüber und hinüber, und wenn sein endlicher Ausschlag, nach unserer festen Ueberzeugung, zuletzt auch auf die unzweifelhafte Wahrheit gezeigt hat, war doch sein Abirren, nicht ohne Schuld der davon schwer Betroffenen, sehr verzeihlich, und um selbst der Pflicht unparteiischer Gerechtigkeit zu genügen, müssen wir uns zunächst auf den Standpunkt derer versetzen, welche durch ihr Amt berufen waren, als Diener der Gerechtigkeit hier einzugreifen und dem Einfluß der stürmisch aufgeregten öffentlichen Meinung um sie herum desto weniger sich ganz entziehen konnten, als eine sittliche Verderbnis sich vor ihnen aufhat, deren Sumpfboden nur zu sehr geeignet war, auch der Giftpflanze eines solchen Verbrechens reichliche Nahrung zu gewähren.

Darum entwerfen wir vor allem ein möglichst getreues Bild der Personen, welche später in diesem Drama hauptsächlich mit gehandelt haben, jedoch so, wie es vor der Katastrophe und ehe deren Schatten auf sie fiel, bevor ihre geheimen Sünden an das Licht der Oeffentlichkeit gezogen wurden, ihren Mitbürgern erschien.

Kaspar Trümpy kam in seinem sechzehnten Jahre nach Bern und trat in das Commissionsgeschäft seines betagten Oheims ein. Schon ein paar Jahre darauf starb der Oheim, und Trümpy übernahm das Geschäft, erweiterte es, dehnte es namentlich auf Spedition mit aus und war unermüdlich thätig. Von morgens 6 oder 7 Uhr bis mittags und nachmittags von 1 Uhr regelmäßig bis um 9 Uhr, oft aber auch bis gegen Mitternacht wurde von ihm und seinen Angestellten auf dem Bureau gearbeitet. Es gab damals kein zweites Speditionsgeschäft in Bern und noch keine Eisenbahnen durch die Schweiz, darum war der durch Trümpy vermittelte Güterverkehr ein sehr bedeutender und der Gewinn dabei dem entsprechend. Schon sehr bald, noch vor Vollendung seines zwanzigsten Lebensjahres, verheirathete sich Trümpy mit Sophie Elisabeth Müller aus Glarus. Die Braut war zwei Jahre älter als der Bräutigam, von nicht sonderlicher geistiger Befähigung und nicht für den geselligen Verkehr in den Formen der höhern Stände erzogen, aber sie war herzensgut und arbeitsam. Sie war katholischer Confession und brachte ihrem Manne ein zwar nicht beträchtliches, ihm aber damals, wo er sein Geschäft fast ohne Mittel begonnen hatte, gewiß sehr förderliches Heirathsgut zu. Die Ehe war aus gegenseitiger Liebe geschlossen worden und in den ersten Jahren auch eine glückliche. Die junge Frau arbeitete wie der fleißigste Commis mit auf dem Comptoir ihres Mannes. Das einzige Kind aus der Ehe ist die Tochter Flora, welche im Jahre 1847 geboren wurde.

Hören wir, was ein scharfer Beobachter ferner über Trümpy, mit dem er in langjährigem, jedoch nicht intimerm Verkehr stand, zur Charakterschilderung sagt:

»Trümpy hatte in seinem Umgange viel Herzliches und Angenehmes. Wenn er kam, hatte er gewöhnlich einen freundlichen Gruß. »Grüß Gott, Herr Nachbar! wie geht's?« pflegte er zu sagen, und man konnte ihm unmöglich gram sein. Herr Trümpy war auch ein generöser Mann, aber ich muß bekennen, es war nicht die Generosität, die aus dem Herzen kommt, sondern es war die Generosität des Verschwenders, und ich komme hier auf die erste schlimme Seite Trümpy's, die zu seinem Ruin geführt hat. Trümpy hat im Luxus gelebt. Obschon er kein kolossales Vermögen besaß – ich nehme an, er habe damals höchstens 160.000 - 180.000 Frs. besessen – hatte er doch Equipage und prächtige Pferde. Er besaß schöne Wagen, Schlitten, Kleider u.s.w., kurz, alles war flott und nobel. Als er in Konstantinopel war (Frühjahr 1863), kaufte er sich einen Türkenschimmel. Aber es blieb nicht bei dieser Ausgabe von 2 - 3.000 Frs., sondern er nahm auch einen Türken in seinem Nationalkleide mit, der den Schimmel begleiten sollte. Der Türke begleitete das Pferd nur bis Airolo, dort erschrak er über die Schneeberge, und Trümpy war genöthigt, durch Schweizer den Schimmel weiter führen zu lassen. Trümpy hat aber auch in anderer Beziehung flott gelebt. Er trank gute Weine, besaß einen vollen Keller, an Sonntagen war er selten oder nie daheim. Er fuhr mit Freunden und der Familie aus, ließ sich in Gasthöfen nobel bewirthen, lud anwesende Bekannte sehr generös ein, mitzuhalten, und fuhr manchmal nicht ganz nüchtern heim. Wie es zum vornehmen Herrn gehört, mußte er auch eine Campagne haben. Er kaufte zuerst eine solche in Scherfigen bei Thun, ein kleines Gütchen, aber in einer herrlichen Lage. Seine Familie machte dort Sommeraufenthalte und er besuchte sie häufig. Nachher kaufte er ein anderes Landgut dazu, in Aetendorf; allein auch das genügte nicht, vielmehr erwarb er schließlich einen schönen Landsitz in Wabern um den Preis von 70 - 80.000 Frs. und vergeudete noch 50.000 Frs., um dasselbe zu verschönern. Von da an hatte er stets ein Zweigespann, sein Kutscher mußte eine Silberborte um den Hut tragen, dazu sollte später noch ein galonirter Lakai gehalten werden. Deshalb nannte das Publikum ihn auch häufig den Herrn Baron Trümpy. ›Da kommt der Herr Baron Trümpy‹, hieß es, wenn er mit seiner Equipage daherfuhr. Er trieb seinen Hochmuth so weit, daß er sich eigenes Papier mit seinem Namen und eine Grafenkrone darüber stempeln ließ. Seinen Namen verschönerte er auf diesem Papier in ›Trympy de Wabern‹. Trümpy kannte daher den Luxus und war ein Verschwender. Wäre er etwas sparsamer gewesen, so hätte er viel reicher sein können als in den letzten Zeiten, wo er noch gut stand.

»Man redet dem Handelsstand nach, nach außen thue er groß und im Geschäft sei er karg und knauserig. Wenn dieser Vorwurf begründet ist, so war Trümpy ein vollendeter Handelsmann, denn bei Geschäftssachen war er durch und durch interessirt, um nicht mehr zu sagen; ja man hörte sogar den Vorwurf, er sei nicht ganz redlich. Namentlich über seine übertriebenen Forderungen wurde viel geklagt. Er halte ein sehr gewinnendes Aeußere, er wußte den Leuten leicht etwas aufzuschwatzen, ohne daß das Geschäft schriftlich abgemacht wurde, und wenn dann Streitigkeiten über solche Verträge entstanden, so gewann er, wenn ihm der Eid zugeschoben wurde, verlor aber den Proceß, wenn der Eid seiner Gegenpartei zukam. Auch in andern Sachen war er hart. Personen, deren Reellität freilich im besten Falle auf der gleichen Stufe stand, sagten: wenn man mit Trümpy zu thun habe, bliebe einem nichts mehr übrig als die Augen zum Weinen. Einer Schneiderin, die schon lange ihre Rechnung eingereicht und auf Geld gehofft hatte, zahlte er endlich im Januar, zog aber Zinsen für das ganze laufende Jahr ab. – Dafür war er allgemein bekannt, nicht minder aber auch für seinen Jähzorn und, in den letzten Jahren, für seine Trunksucht. Wenn alle Leute, außer in den obigen Geschäftsbeziehungen, sehr gern mit ihm verkehrten, solange er bei guter Laune war, so reizten ihn doch Aerger und Trunk oft zu maßlosem Zorn, und dann konnte er sogar gefährlich werden. Am härtesten trafen solche Ausbrüche immer seine Frau.«

Wir schalten hier ein, daß dabei noch ein anderes, nicht minder starkes Motiv oft gewirkt haben mag: die Eifersucht.

Er hat seine Frau oft ganze Nächte lang aus dem Hause ausgeschlossen. Er hat sie, wenn sie im Geschäft fleißig arbeitete, vor den Angestellten an den Ohren von ihrem Platze weggerissen, sodaß sie weinte und die Commis aus Scham und Schande über ihren Principal hinausgingen. Er hat sie so behandelt, daß einmal sein früherer alter Hausarzt, der Professor Vogt, der es mit ansah, ihm ein paar Ohrfeigen gab. Er hat, als er einst mit Frau und Tochter ausfuhr und erstere einen Schrei ausstieß, weil das Pferd einen Seitensprung that, sie mit dem Geiselstock über den Kopf blutig geschlagen. Er hat, noch kurze Zeit vor seinem Tode, seiner Frau eine Ohrfeige gegeben, nur weil sie ihm anrieth, sich wegen seiner Krankheit einem ordentlichen Arzt, statt einem Quacksalber, anzuvertrauen.

Von jenen Zornausbrüchen mögen die meisten schwerlich über den Kreis der Hausgenossen hinaus bekannt geworden sein, Ein Vorfall aber konnte nicht verborgen gehalten werden.

Lassen wir Frau Trümpy selbst darüber sprechen, wie sie es, auf die Frage des Präsidenten, im Sitzungssaal gethan hat:

»Wir hatten einen Knecht, der sehr unzuverlässig war. Ich fand, Hr. Trümpy sei für denselben sehr eingenommen. Er war allerdings gut zum Arbeiten, aber, wie gesagt, unzuverlässig und man konnte ihm das Haus nicht anvertrauen. Als wir Flora aus der Pension zurückholten (Frühling 1862), empfahlen wir dem Knecht noch besonders, zu Hause zu bleiben. Bei unserer Rückkehr theilen uns die Dienstboten mit, er hätte es gemacht wie immer. Ich bat meinen Mann, dem Knechte doch vorzustellen, was hätte geschehen können, wenn er fort gewesen wäre und die Schlüssel bei sich gehabt hätte. Es schien mir nun nicht, daß Trümpy dies thun werde, und ich sagte ihm: ›Du bist kein Mann, du darfst ihm nichts sagen!‹ Da nahm er eine Lampe, die gerade auf dem Tische stand, und warf sie mir auf das linke Auge.«

Die Splitter vom Glas drangen in das Auge und es rann aus. Trümpy brachte seine Frau in ein Privathospital nach Bern und ließ sie dort verpflegen. Schon damals zeigten sich bei ihr so heftige Nervenaffecte, daß man auf einen vorübergehenden Irrsinn schließen konnte. Als Trümpy sie eines Tages im Spital besuchen wollte, hatte sie sich eingeschlossen und weigerte beharrlich, die Thür zu öffnen, drohte sogar, sich aus dem Fenster auf die Straße zu stürzen. Trümpy dagegen drohte in seinem Jähzorn, er werde ihr auch noch das andere Auge ausschlagen, und versicherte, wenn die Wärterin nicht zugegen wäre, würde er mit einer Axt die Thür aufbrechen.

Wir erwähnten oben Trümpy's Eifersucht. Frau Trümpy sagt darüber: »Es wäre besser, er wäre in den ersten Jahren unserer Ehe eifersüchtiger gewesen, später war er es oft, wenn er keinen Anlaß dazu hatte.« Dieser Gegenstand wird bei Erwägung des Verhältnisses der Frau Trümpy zu ihrem Mitangeklagten, Dr. Demme, noch eingehender zu prüfen sein. Im allgemeinen und aus früherer Zeit beschuldigt sich Frau Trümpy selbst, daß sie ihrem Manne nicht immer die eheliche Treue gewahrt habe. Bestimmte Anhaltepunkte dafür fehlen, bis auf ein mysteriöses Verhältnis; zu einem österreichischen Grafen, von dem es sehr zweifelhaft ist, nicht nur ob ein strafbarer Verkehr, sondern auch ob überhaupt, ein solcher Graf existirt habe. Trümpy ging in sehr jungen Jahren und, wie wir nicht anders annehmen können, aus Herzensneigung die Ehe mit seiner Frau ein. Hat Frau Trümpy die Wahrheit gesagt, so muß seine Liebe sehr bald erkaltet sein, denn schon in den ersten Jahren kümmerte er sich nicht mehr um seine Frau, obwol er damals gerade Ursache gehabt hätte, seine Hausehre zu hüten. Freilich erfahren wir, daß er selbst die eheliche Treue in sehr offenkundiger, schamloser Weise brach. Er knüpfte mit feilen Dirnen an, besonders wenn seine Frau ihren Sommeraufenthalt auf einem der auswärtigen Güter nahm, er ist krank geworden und soll seine Frau angesteckt haben. Erst später erwachte bei Trümpy die Eifersucht, und dennoch ließ er selbst nicht ab, seinen Lüsten nachzugehen. Zu Ende des Jahres 1863 oder zu Anfang 1864 ist er infolge dessen abermals erkrankt. Seine Frau und andere Hausgenossen erriethen die Natur seiner Krankheit, sein Lebenswandel entging auch in dieser Beziehung dem scharfen Blicke vieler seiner Mitbürger nicht. Ebenso wenig blieb den kaufmännischen Kreisen verborgen, daß das früher blühende Speditionsgeschäft Trümpy's durch Concurrenz, unreelle Handlungsweise und die Ungunst der veränderten Zeiten gar sehr ins Stocken gerathen war, daß Trümpy, ohne hinlängliche Geldmittel, Bankiergeschäfte und zwar ziemlich bedenklicher Art betrieb, daß er sich auf Verbindungen mit unsichern Häusern und auf Wechselreiterei einließ und mit so viel eigenen und fremden Geschäften verschuldet war, daß man zu zweifeln begann, ob er im Stande sei, allen Verbindlichkeiten gerecht zu werden, und gegen die Sicherheit seiner Unterschrift Verdacht schöpfte. Indeß galten doch noch die meisten seiner Geschäftsfreunde als solvent und er selbst für einen begüterten Mann.

So ungefähr mag man im Publikum über Trümpy, seinen Charakter, seine Familien-, Geschäfts- und Vermögensverhältnisse bis zum Eintritt der Katastrophe geurtheilt haben.

Es liegt uns nun ob, von gleichem Standpunkte aus, ein Bild von der zweiten Hauptperson zu entwerfen.

Dr. Karl Hermann Demme ist im Jahre 1834 zu Bern geboren, wo sein Vater bis zu seinem Mitte Januar 1867 erfolgten Tode Professor der Medicin an der Hochschule war. Er hat in Bern, Berlin und Paris Medicin studirt. Professor Studer sagt über ihn und seine Familie Folgendes: »Seit ungefähr zwanzig Jahren bewohnen wir mit der Familie Demme dasselbe Haus und sind mit ihr stets in freundlichen, obgleich nicht in intimen Beziehungen gestanden. Die Söhne Demme lernten wir kennen, als sie noch ganz jung waren, und ich kann bezeugen, daß wenige Familien in Bern sind, welche so viel Sorgfalt und Pflichttreue auf die Erziehung ihrer Kinder verwendet haben. Die Aeltern Demme haben fast unausgesetzt nur mit ihren Söhnen gelebt. Aus diesem Grunde wiesen sie alle andern socialen Beziehungen ab und unterließen es, anderer Gesellschaft sich anzuschließen. Der Abend wurde fast regelmäßig in der Familie theils mit Musik und theils mit der Lektüre ästhetischer Werke zugebracht und über Tag spazierten sie mit ihnen. Auch haben sie bisweilen Reisen zusammen unternommen. Der Hauptzweck bei dieser Erziehung scheint mir der gewesen zu sein, den Charakter der Söhne auszubilden und zwar zu einer größern Selbständigkeit, vielleicht nur etwas zu viel, indem sich namentlich in Dr. Hermann Demme später ein größerer Eigenwille erkennbar gemacht hat. Man ließ den Söhnen freie Hand, ihren Beruf selbst zu wählen, und ließ sie dabei ihren eigenen Weg gehen. So sind denn allerdings hier und da Misgriffe in der Befolgung des Studienganges vorgekommen. Hermann Demme z.B. ist, nachdem er einige Jahre auf dem Gymnasium gewesen, aus demselben ausgetreten, ohne sein Maturitätsexamen abzulegen, was sich nachher dadurch gerächt hat, daß, als ihn später wegen seiner ausgezeichneten Studien alle vier Facultäten für die Haller-Medaille, den größten Preis, welchen unsere Universität ertheilen kann, vorschlugen, ihm diese Medaille nicht ertheilt werden konnte, weil in seinen Studien das im Reglement verlangte Maturitätsexamen fehlte. Auf der Universität ging er ebenfalls seinen eigenen Weg. Ohne sich länger bei den propädentischen Studien aufzuhalten, wandte er sich sogleich zum Praktischen, indem er die praktischen gleichzeitig mit den propädeutischen Studien betrieb. Er zeichnete sich auch aus durch seine Absonderung von den übrigen Studirenden, was ihm den Vorwurf seiner Altersgenossen zuzog, er erhebe sich über sie und er halte sich zu hoch für den Umgang mit ihnen, und es mag daher überall eine gewisse Abneigung gegen ihn geherrscht haben. Neben seinen wissenschaftlichen Studien that er sich übrigens auch hervor durch Kunstsinn und ästhetische Richtung, durch phantasiereiche Auffassung und Darstellung, was ihn wol auch hier und da zu Uebertreibungen hinreißen mochte. Er hat etwas vom Künstlercharakter an sich und längere Zeit fragte es sich, ob er sich nicht ganz der Kunst widmen wolle. Auch wurde ihm von seinen Altersgenossen etwas übel vermerkt, was, wie ich aus den öffentlichen Blättern gesehen habe, auch hier keinen guten Eindruck gemacht hat. Sein ganzes Wesen, sein gewöhnlicher Ausdruck enthält nämlich etwas von der gewöhnlichen Haltung anderer Abweichendes: er ist zu freundlich und hat lebhafte Bewegungen, welche der Schweizer nicht gern sieht, sondern leicht als Affectation betrachtet. Es war vor hundert Jahren üblich in der deutschen Schweiz, jede zu große Freundlichkeit als Falschheit, jede Grobheit als Ehrlichkeit auszulegen. In diesem Sinne hat man vielfach auch Hermann Demme falsch beurtheilt. Die ihm übel gedeutete Freundlichkeit hatte er aber von jeher, sie ist ihm angeboren. Mit dieser Freundlichkeit verbindet sich bei ihm große Gutmüthigkeit und eifriges Bestreben, andern dienstfertige Hülfe zu leisten. Nach allen Seiten hin machte er Geschenke und entschieden muß ich jeden Vorwurf von Habsucht und Geldgier von ihm abweisen. Nachdem er vom Auslande zurückgekehrt war und bald eine sehr schöne Praxis als Arzt gefunden hatte, legte er dieselbe fast ganz beiseite, um einzig der Wissenschaft zu leben. Die schönen Einkünfte, welche er sich durch ärztliche Praxis hätte schaffen können, vernachlässigte er und machte dagegen bedeutende Ausgaben zu wissenschaftlichen Zwecken. Ueberhaupt scheint wissenschaftlicher Ehrgeiz seine Haupttriebfeder gewesen zu sein, niemals aber Geldgier.«

Professor Studer's treue und unparteiische Schilderung ist von großem Werthe für die Beurtheilung nicht nur Demme's und seiner Familie, sondern auch der Stellung, in welcher sie sich zu ihren Mitbürgern befanden. Wenn Professor Studer in seiner milden, gleichwägenden Weise einen Theil der unleugbaren Antipathie, die im Publikum herrschte, der misverständlichen Aufsagung von Herrmann Demme's Wesen, den andern Theil aber den altverjährten Vorurtheilen der Berner zuschreibt, so berührte er eben nur mit schonender Hand einen ebenso wenig löblichen als für den Gang der ganzen Untersuchung einflußlosen Umstand. Es ist nicht unbekannt, mit welchem abgeschlossenen Mißtrauen noch ein großer Theil des Schweizervolks deutscher Zunge allem, was von außwärts zu ihm kommt, begegnet, und selbst innerhalb der Schweiz scheint der altverrufene Cantönligeist noch nicht völlig verschwunden zu sein. Dafür legen Aeußerungen welche im Plaidoyer sowol von der Anklage als von der Verteidigung gebraucht worden sind, ein offenes Zeugniß ab. Der Staatsanwalt beklagt, gewiß mit Recht, die vielfachen Intriguen, welche versucht haben, die Untersuchung irrezuleiten, freut sich indeß, »daß wenigstes in bedeutenderen Momenten von Intriguen kein einziger Berner verwickelt ist, sondern daß es andere Personen sind«. Er rechnet also weder den Dr. Demme noch die Frau Trümpy unter die Berner, trotzdem, daß Demme's Vater Lehrer an der dortigen Universität und Hermann Demme in Bern geboren und erzogen ist, daß Frau Trümpy seit achtzehn Jahren dort verheirathet war. Außer diesen beiden wird namentlich der Gerichtsarzt Professor Emmert von der Verteidigung der Intriguen und der gehässigen Parteilichkeit beschuldigt. Auch Professor Emmert's Vater ist als Lehrer an die berner Hochschule aus Deutschland berufen, er selbst in Bern geboren worden. Der Vertheidiger bezeichnet die beiden Söhne als »Deutsche« und hätte es erklärlicher und entschuldbarer gefunden, wenn in der Untersuchung der eine dem andern zu helfen gesucht hätte, statt daß sie sich feindlich gegenübertraten.

Folgen wir nun der Entwickelung der Ereignisse.

Dr. Hermann Demme, der sich von aller übrigen Gesellschaft, außer der seiner Familie, fern zu halten liebte, in einer besondern Wohnung mit einer alten, treuen Magd haushielt, seine große Praxis freiwillig einschränkte, um hinlängliche Muße für seine wissenschaftlichen Studien und die schriftstellerische Veröffentlichung ihrer Ergebnisse übrigzubehalten, kam im Jahre 1863 in das Haus Trümpy's nach Wabern und wurde dort bald ein täglicher Besucher, Arzt und Hausfreund. Der Hausherr nicht minder als seine Frau und die eben erst aus der Pension zurückgekehrte Flora, damals noch ein halbes Kind, scheinen gleiche Zuneigung zu ihm gefaßt zu haben. Zu Flora gestaltete sich das Verhältinß anfangs wie das eines Lehrers zu seiner Schülerin. Er bemühte sich um ihre wissenschaftliche und ästhetische Fortbildung, und sie hing dafür mit inniger Dankbarkeit an ihm.

Wie zwei so grundverschiedene Charaktere als Trümpy und Demme sich anziehen konnten, wäre schwer begreiflich, wenn man nicht den psychologischen Erfahrungssatz zur Erklärung hätte, daß auch in der Freundschaft die Gegensätze sich oft suchen. Alle Hausgenossen Trümpy's bestätigen, daß er, wenn nicht gerade ein Anfall von Jähzorn, vielleicht auch durch Eifersucht erregt, dazwischenkam, immer nur gut auf den Doctor zu sprechen war. Ein vollgültiges Zeugniß hierfür legen zwei Briefe ab, welche zwischen Demme und Trümpy bei dem Jahreswechsel von 1862 auf 1863 ausgetauscht worden sind und welche hier Platz finden mögen:

»Dienstag, 30. Dec. 1862, nachts 11½ Uhr.

Mein lieber Herr Trümpy!

Ich habe Ihnen, bei Gelegenheit der schweren Ereignisse, welche in diesem Jahre Ihr Haus betreffen, zwar schon hinlänglich bewiesen, daß ich die Stellung des Arztes Ihnen und Ihrer Familie gegenüber längst mit der eines aufrichtigen und treuen Freundes vertauschte. Ich möchte Ihnen aber als solcher, beim Abschiede dieses Jahres, noch einen besondern, innigen Wunsch für das kommende Jahr und allezeit ans Herz legen. Möge die Harmonie Ihres häuslichen Lebens und der Friede Ihres Herzens nie mehr durch jene Ihren Charakter entstellenden Momente der Aufwallung und des Zornes entstellt werden! Mögen Sie, durch die entsetzliche Erfahrung dieses Jahres belehrt, einen Theil jener den echten Mann zierenden Ruhe gewinnen, welche allein vor Reue bewahrt. Seien Sie des Wortes eingedenk: ›Wenn der Pfeil ist abgeschossen, ist kein Gott mehr, der ihn hemmt.‹ Dies aus treuem Herzen und dem innigen Wunsche, Sie vor neuem Unheil zu bewahren. Möge es mir in der Stellung, die Sie mir jetzt in Ihrem Hause eingeräumt haben und um deren Erhaltung ich Sie von Herzen bitte, vergönnt sein, etwas zur Verwirklichung dieses Wunsches selbst beizutragen, dann wäre dies der schönste Lohn, den meine ärztlichen Bemühungen jemals gefunden haben. Was den geschäftlichen Punkt in unserer Stellung betrifft, den man am Ende eines Jahres zu regeln gewohnt ist, so gebe ich Ihnen schließlich hier noch die Erklärung, daß ich meine bisher geleisteten und in Zukunft mit derselben Gewissenhaftigkeit und Treue zu leistenden Dienste jederzeit nur als Ausfluß meiner freundschaftlichen Stellung in Ihrem Hause betrachtet wissen will. Ich werde das mir bisher geschenkte Vertrauen auch in Zukunft zu rechtfertigen suchen, aber wünsche von ganzem Herzen, daß mein Erscheinen in Ihrem Hause im neuen Jahre möglichst selten durch die Nothwendigkeit ärztlicher Hülfe bedingt werden möge! Sie kennen meine Lebensanschauung hinlänglich, um zu begreifen, daß ich den Genuß der herrlichen Natur, der frischen Luft und die Abgeschiedenheit von dem Geräusche der Stadt, wie ich sie in Ihrem köstlichen Wohnsitz finde, allen andern Erholungen und Zerstreuungen weit vorziehe, und daß ich die Möglichkeit, mir diese Wohtthat zu jeder Stunde verschaffen zu können, für einen wesentlichen Gewinn dieses Jahres anschlage. Für die Liebenswürdigkeit und Freigebigkeit, mit der Sie mir die Anwesenheit in Ihrem Hause jederzeit würzten, sage ich Ihnen heute meinen besondern Dank. Bei Ihrer Heimkehr werden Sie einige gute Festcigarren antreffen, die Sie sich hoffentlich schmecken lassen werden. Zugleich habe ich mir erlaubt, das Zimmer Ihrer lieben, noch immer zu unfreiwilliger Internirung verdammten Frau mit einem neuen Bilde zu schmücken.

Mit den innigsten Glück- und Segenswünschen für Sie und die Ihren verharre ich immer derselbe

Dr. Hermann Demme.«

Das schwere Ereigniß, auf welches Demme anspielt, ist die Verwundung der Frau Trümpy, welche unmittelbar nach der Rückkehr Flora's in das älterliche Haus erfolgte. Schon vorher hatte das Verhältniß Demme's zu diesem Hause begonnen. Als die verwundete Frau Trümpy in das Privathospital der Jungfer Hänni nach Bern gebracht worden war, widmete ihr Demme die sorgfältigste ärztliche Pflege, besuchte sie mehrmals des Tages und bemühte sich, auch ihre nervöse Reizbarkeit und deren oft sehr bedenkliche Ausbrüche zu lindern. Aus den Ermahnungen des Briefes an Trümpy geht hervor, daß Demme die vermittelnde Stellung eines aufrichtigen Freundes zwischen den Eheleuten einnahm. Auch die Uneigennützigkeit Demme's gibt sich in dem Briefe kund.

Die Antwort Trümpy's vom 31. Dec. 1862 lautet:

»Mein lieber, verehrtester Herr und Freund!

Ihre lieben, wohlgemeinten und von Herzen kommenden Zeilen haben mich innig erfreut und zur Rührung gebracht. Ich finde keine Worte, mein lieber Herr Doctor, Ihnen alle die Danksagungen herzusagen, die ich Ihnen von Grund meiner Seele schuldig bin. Nehmen Sie also mit kurzen Worten meinen herzlichsten Dank für alle Ihre Liebe und Güte hin. Glücklich schätze ich mich, in Ihnen einen treuen biedern Arzt und lieben theuern Freund zu haben. Ich wünsche nur, wie meine liebe Frau, daß Sie uns Ihre so theuere und vielbewährte Freundschaft erhalten mögen. Unsererseits geben wir Ihnen die Versicherung unserer vollsten Freundschaft und Liebe. Herzlichst sind Sie immer in unserm kleinen Familienkreise willkommen und stets als ein lieber, rettender Engel betrachtet. Genug, wir achten, schätzen und lieben Sie! Ich komme nun auf meine Schuldenpflicht zu sprechen, und wahrlich, mein lieber Herr Doctor, ich habe nicht Mittel und Wege, solche zu tilgen. Es ist dies viel gesagt, allein wahr bleibt es. Ein jeder ordentliche Kaufmann regelt seine Geschäfte, alles in seiner Art, und da ich zu wenig Kenner bin, um das herauszufinden, womit man Künstlern und Gelehrten Freude bereiten kann, habe ich Zuflucht zu dem genommen, womit Sie sich etwas, so Ihnen nützlich ist, verschaffen können. Für Ihre Baarauslagen und Anschaffungen muß ich als Freund Sie bitten, mir nur zu sagen oder mittheilen zu lassen, was es macht, damit ich mich dieser Schuld wenigstens entledige. Merkwürdigerweise erhalte ich soeben zwei Muster Upman von Rotterdam und bin so frei, das eine Ihnen zu bestimmen. Heute war ich so frei. Ihnen eine Uhr als Andenken zu bestimmen und zu übersenden und inliegend folgt ein kleines Papier aus Paris, das Sie zu Ihrem Nutzen verwenden wollen. Ich schließe, indem ich noch für das Viele herzlichst danke und Ihnen alles Gute und Schöne wünsche, versichere Sie meiner warmen Freundschaft, Hochachtung und Liebe gegen Sie.

Ihr treuergebener Freund Trümpy-Müller.«

An der Aufrichtigkeit der hier ausgesprochenen Gesinnungen läßt sich gewiß nicht zweifeln, am wenigsten bei einem Manne wie Trümpy, der seine Affecte durchaus nicht zu beherrschen vermochte.

Dr. Demme bewies übrigens, daß seine Uneigennützigkeit keineswegs eine nur erheuchelte war, indem er das Werthpapier alsbald zurücksandte. Er hat überhaupt niemals ein Geldhonorar von Trümpy angenommen und Geschenke einigermaßen erwidert.

Er setzte seine sehr häufigen Besuche in Wabern fort, hatte dort ein Zimmer, in welchem er hier und da arbeitete, und die beiden Damen vom Hause fertigten ihm Abschriften von seinen Manuscripten. Auch bei allen übrigen Hausbewohnern, den Comptoiristen wie der Dienerschaft Trümpy's, war er sehr beliebt. Die wichtigste Frage bleibt aber die: in welchem Verhältnisse stand Demme zu der Frau Trümpy?

Demme behauptet, sein Verhältnis zu Frau Trümpy sei nie ein unerlaubtes gewesen, Frau Trümpy habe ihren Mann, trotz alles dessen, was sie von ihm erduldet, stets innig geliebt. Hinwieder sagt Demme auch: »daß sie an mir das innigste Interesse genommen und mich sehr lieb hatte und daß sie unendlich dankbar gegen mich war, ja, daß vielleicht ihre Phantasie noch weiter gegangen, gebe ich zu, aber ich behaupte, keine Veranlassung zu dem letztern gegeben zu haben.« Er räumt ein, daß Frau Trümpy ihn mitunter des Abends in seiner Wohnung in Bern besucht habe, behauptet jedoch, sie sei dann nie allein, sondern stets in Gesellschaft, meist von ihrer Tochter, gekommen. Er gibt ferner zu, mit Frau Trümpy in Briefwechsel gestanden und einen Theil dieser Briefe beiseitegeschafft zu haben, doch wären das nur ganz gleichgültige gewesen. Da auch die vorgefundenen Briefe gleichgültigen Inhalts sind, sieht man nicht ein, warum er nicht alle aufbewahrt oder alle vernichtet hat. Von den Dienstboten ist bemerkt worden, daß einmal Demme, in Abwesenheit des Herrn Trümpy und dessen Tochter, in Wabern mit Frau Trümpy in ein anderes Zimmer gegangen sei, dies hinter sich abgeschlossen und sehr lange mit ihr darin verweilt habe. Dies erklärt Demme durch eine von Frau Trümpy begehrte ärztliche Untersuchung. Endlich muß hier schon erwähnt werden, daß Trümpy oft und gegen mehrere Personen den Wunsch ausgesprochen hat, der Doctor möchte Flora heirathen, dann sollte ihnen das eine, nicht benutzte Wohnhaus in Wabern (der Stock) hergerichtet und eingeräumt werden. Noch in den letzten Wochen seines Lebens hat Trümpy sich ärgerlich darüber geäußert, daß Demme nicht Ernst mache mit der Verlobung. An Anspielungen, ja sogar an einem directen Anerbieten hat er es dem Doctor gegenüber nicht fehlen lassen.

Wenn der Vater so sehr wünschte und so rücksichtslos aussprach, daß seine Tochter sich mit Demme vermählen möchte, so sollte man schließen, daß dieser Wunsch noch stärker bei der Mutter vorgewaltet hätte, welche dem Doctor so viel verdankte und ihn so hoch verehrte. Die Mütter sind ja überhaupt eifriger in derartigen Bemühungen für ihre Töchter, als die Väter es zu sein pflegen, Hier war es seltsamerweise ganz anders.

Wie dunkel auch die Untersuchung in vielen Hauptpunkten geblieben ist, den meisten Widerspruch und Verworrenheit enthält sie in diesem Punkte.

Von allen Hausgenossen, die doch gern alles hervorsuchen, was zu Gunsten der Herrschaft und des Doctors dienen kann, weiß keiner von einer Liebschaft, geschweige denn einer Verlobung Demme's mit Flora irgendeine Spur vor dem Tode Trümpy's anzugeben. Ein einziger sagt, er schließe aus einer Beobachtung der beiden auf einem Spaziergang, daß Demme an Fräulein Flora Gefallen gehabt haben möge. Die Briefe zwischen beiden, welche man in Beschlag genommen hat, sind ganz ceremoniell, selbst einer nach dem Tode Trümpy's spricht von nichts anderm als dem Befinden der Mutter, bedient sich des »Sie« als Anrede und läßt auch keine Spur von einer innigern Beziehung durchschimmern. Wenn auch die Briefe zwischen Demme und Frau Trümpy, soweit sie erhalten sind, nur gleichgültige Gegenstände behandeln, so ist ihre Form, im Gegensatz zu jenen, doch um so viel wärmer, daß man diese weit eher Liebesbriefe nennen könnte.

Im Mai oder Juni 1863, nach der Rückkehr von der Reise in den Orient, über welche wir später berichten müssen, zogen Frau Trümpy und ihre Tochter für einige Wochen nach Weissenburg. Herr Trümpy und Demme besuchten sie dort, letzterer verweilte um zwei oder drei Tage länger als ersterer. Trümpy schien, darüber in Eifersucht gerathen zu sein. Er schrieb an seine Frau einen äußerst heftigen und bedrohlichen Brief, befahl ihr, augenblicklich heimzukommen, und schloß Geld zur Zahlung der Rechnung bei. Frau Trümpy reiste mit ihrer Tochter bis Thun. Dort wurde die Furcht vor ihrm Manne so lebendig in ihr, daß sie an Demme telegraphirte, er möge sogleich nach Thun kommen. Demme kam mit dem nächsten Zuge und billigte nicht nur, daß die Frauen jetzt nicht nach Wabern zurückkehrten, sondern schlug ihnen auch vor, sie möchten mit ihm ins Ausland flüchten. Davon wollte Frau Trümpy nichts wissen, sie kehrte mit ihrer Tochter nach Weissenburg zurück und schrieb von dort aus an ihren Mann. Inzwischen hatte auch Demme seinen persönlichen Einfluß auf Trümpy geltend gemacht, dieser beruhigte sich dadurch, reiste selbst nach Weissenburg, zeigte sich versöhnt und gerührt und nahm Frau und Tochter mit sich nach Wabern zurück.

Flora Trümpy scheint in der Voruntersuchung nicht vernommen worden zu sein, das Erscheinen in der Hauptverhandlung hat man ihr wenigstens erspart. Aus ihrem Munde wissen wir daher nichts. Frau Trümpy und Demme stimmen dagegen überein, daß Flora – jedenfalls kurz vor oder während des Aufenthalts in Weissenburg – einen Brief an Demme geschrieben habe, in welchem sie ihm ihre Liebe erklärte. Demme will dadurch überrascht und erstaunt gewesen sein. Er hat Flora bisher nur als ein halbes Kind und als seine Schülerin betrachtet. Das Benehmen Trümpy's soll seine Gesinnungen so weit umgestimmt haben, daß noch in Weissenburg eine Verständigung und ein stilles Verlöbnis; zwischen ihnen erfolgt sei.

Dies hat Demme der Frau Trümpy entdeckt, sie aber hat vorerst davon nichts wissen wollen und als Grund dagegen wie gegen den Plan einer gemeinschaftlichen Flucht in das Ausland geltend gemacht: »Sie sei schon vor ihrer jetzigen Ehe mit einem österreichischen Grafen verlobt oder verheirathet gewesen, dessen Vater aber zu dieser Ehe seine Einwilligung nicht habe geben wollen. Die Ehe sei dann ohne Einwilligung des Grafen abgeschlossen worden und der Zwiespalt zwischen Vater und Sohn habe den letztern veranlaßt, in Italien Militärdienste zu nehmen. Vor seinem Tode habe er aus Rache gegen seinen Vater zu Gunsten der jetzigen Frau Trümpy ein Testament gemacht, das aber erst nach dem Tode des Vaters in Kraft trete, und worin er der Erbin ein bedeutendes Vermögen (an Gütern bei Graz) vermacht habe. Darum habe Frau Trümpy immer gesagt, sie lasse die Tochter nicht heirathen, bis ihr Stand und damit auch der Stand ihrer Tochter ein anderer geworden sei.«

Frau Trümpy will zwar von dieser ganzen Geschichte in der Hauptverhaudlung kein Wort mehr wissen, obwol sie dieselbe in der Voruntersuchung wiederholt hat, Demme beharrt jedoch dabei, da ihm alles das viel zu systematisch und bis ins Detail ausgearbeitet von Frau Trümpy oft mitgetheilt worden sei. Er meint, er glaube nicht an eine Lüge, wohl aber an eine fixe Idee der Frau Trümpy.

Einig sind beide darin, daß Frau Trümpy, wenigstens zur Zeit, von der Verlobung ihrer noch so jungen Tochter nichts habe wissen wollen. Ferner stimmen beide darin überein, daß Demme auch Herrn Trümpy seine Verlobung mit Flora kundgethan habe, daß man aber allerseits übereingekommen sei, der Jugend Flora's wegen dies noch vor den Hausgenossen geheimzuhalten.

Wir unsererseits hegen erhebliche Zweifel, daß, wenn wirklich das Verhältniß zwischen Demme und Flora damals schon so weit gekommen, Trümpy etwas davon gewußt habe. Trümpy war nicht danach, seine Freude hierüber zu verstecken, und welchen denkbaren Grund hätten die Verlobten wol gehabt, sich sogar im Briefwechsel einen solchen peinlichen Zwang aufzuerlegen?

Ob nun aber auch nur ein Korn Wahrheit in der mysteriösen Grafengeschichte der Frau Trümpy enthalten oder das Ganze als ein Hirngespinst zu betrachten sei, einen vernünfiigen Grund für eine Mutter, das Glück der Tochter darum hinauszuschieben, kann niemand darin finden. Trotz aller seltsamen Einbildungen, auf welche wir später zurückkommen müssen, war aber Frau Trümpy zu damaliger Zeit zweifellos im Besitze ihrer gesunden Geisteskräfte.

Wußte also Frau Trümpy durch keinen vernünftigen Grund ihr Widerstreben gegen die Verlobung ihrer Tochter mit Demme zu erklären, so bleibt nur übrig, daß sie einen Vorwand suchte, hinter dem sie das wahre Motiv ihres Widerstandes verbergen wollte, wenn nicht die ganze Behauptung der damals schon beschlossenen Verlobung als nachträglich erlogenes Schutzmittel gegen die hereinbrechende Untersuchung hat dienen sollen, denn auch in diesem Falle bedurfte man eines Vorwandes, warum denn die ganz unverfängliche Verlobung der jungen Leute selbst vor den vertrauten Hausgenossen so geheimgehalten werden mußte.

Demme selbst behauptet, um der Sache einen bessern Anschein zu geben, seine Mutter sei im Sommer 1863 einmal nach Wabern gekommen, um die Braut ihres Sohnes kennen zu lernen.

So stehen wir wieder bei dem Ausgangspunkte unserer Frage nach dem Verhältnisse zwischen Demme und Frau Trümpy.

In Frau Trümpy herrscht ein seltsames Gemisch von Offenheit und Verschlossenheit, reuigem Bekenntniß und starrem Widerruf, praktisch klarem Verstand und schwärmerischen, ja irrsinnigen Einbildungen vor. Doch die Zone der Vergangenheit ist niemals – wenn wir die Geschichte mit dem Grafen etwa auch ausnehmen wollen – von einem Wahn getrübt.

Frau Trümpy bekennt sich, in der Voruntersuchung wie in der Hauptverhandlung, in Einem Punkte gleichmäßig schuldig. Sie gesteht ein, daß sie schon früher ihrem Manne die Treue gebrochen habe, sie bekennt, daß ihr Verhältnis zu Demme schon seit dem Jahre 1862 ein strafbares gewesen und so geblieben sei bis nach dem Tode ihres Mannes. Da habe sie dem Doctor gesagt, es sei besser und schicklicher, wenn er sich jetzt zurückziehe, es zieme sich nicht, daß er ihr Haus noch wie ehedem besuche. Das zu unterlassen hat Demme sich geweigert und offen gesagt, er komme nicht ihretwegen, er komme wegen Flora's. Darum habe man nunmehr die Verlobung vor aller Welt anerkannt.

Dieses Geständniß stimmt so sehr zu dem sonst unerklärlichen Verhalten der Frau Trümpy gegenüber ihrer Tochter und Demme, zu den Anfällen von Eifersucht bei Trümpy, zu dem Fluchtvorschlag in Weissenburg, zu einzelnen Wahrnehmungen der Zeugen, zu der Beseitigung eines Theils der Briefe und zu dem charakteristisch verschiedenen Tone in den Briefen an die Mutter und in denen an die Tochter: als daß wir nicht der Frau Trümpy in dieser Selbstbeschuldigung Glauben schenken und das keineswegs energische, sondern bis zu einem gewissen Punkte nachgiebige Leugnen Demme's nur für eine Lüge der Nothwehr halten sollten.

Das Verhältniß der Frau Trümpy zu Dr. Demme war ein ehebrecherisches, war es schon vor der Rückkehr Flora's in das älterliche Haus, blieb es selbst zu einer Zeit noch, als Flora bereits eine reine, jungfräuliche Liebe zu Demme gefaßt hatte, blieb es, als Demme's Zuneigung zu der Tochter allmählich erwachte und die zu der Mutter erkaltete, wurde erst abgebrochen, als Trümpy gestorben war und nunmehr Frau Trümpy gegen ein Verlöbniß nichts mehr einwenden konnte, welches ihr Verhältniß zu Demme in den Schatten stellte und ihr wie Demme der sicherste Schutz gegen die herandrohende Untersuchung zu werden versprach.

Halten wir daran fest, so wechselt allerdings die Beleuchtung sehr plötzlich und läßt uns diejenigen Personen, welchen man die Handlung in dem spätern Drama aufbürdete, viel anders als vordem erscheinen. Frau Trümpy, die arbeitsame, häusliche Gattin, der wir unser innigstes Mitleid und unsere höchste Achtung schenkten, weil sie Jähzorn, Tyrannei, Untreue und schändliche Mishandlung nicht nur mit stiller Ergebung, sondern sogar mit unwandelbarer Liebe ertrug, fröhnt heimlich strafbarer Leidenschaft und legt der reinen Neigung ihrer, Tochter wie dem berechtigten Wunsche ihres Mannes Hindernisse in den Weg, um sich den Besitz des Buhlen zu erhalten. Mögen wir der sündhaften Schwäche des Menschenherzens darum noch nicht alles Mitleid entziehen und uns auch den mannichfachen Entschuldigungsgründen nicht verschließen, welche für sie sprechen: der lichte Schein des Märtyrerthums erlischt dennoch vollständig, und nicht ohne Bangen vor einem noch tiefern Fall verfolgen wir den Gang der Ereignisse. Um wie viel mehr seiner sittlichen Würde entkleidet, erniedrigt und verzerrt erscheint uns aber das Bild des Dr. Demme! Gleichviel ob verführt oder Verführer, seine Erwiderung der Freundschaft Trümpy's verwandelt sich in Falschheit, seine Uneigennützigkeit verliert allen Werth, seine Mahnungen zu Beherrschung jähen Zornes sind mit dem Stempel der Heuchelei gezeichnet, sein Erwärmen an der unschuldigen Liebe der Tochter, während er noch seine sinnliche Glut im verbotenen Umgang mit der Mutter befriedigt, ist widerwärtig und gemein. Es kann nicht nur die Verschwiegenheit eines im stillen begünstigten Liebhabers sein, es ist auch die Scheu vor einer Darstellung in solcher Blöße, welche Demme zur Ableugnung jedes strafbaren Umgangs mit Frau Trümpy bestimmt hat. Ideale Anlagen und Strebungen fallen um so tiefer in die Verstrickungen sinnlicher Begierden, wenn ihnen nicht ein gereifter und gefesteter sittlicher Wille die Wage hält. Desto hartnäckiger klammern sie sich dann auch an den Schein der Ehrbarkeit, den sie nicht vermissen mögen. – Wir wissen nicht mehr, als wir berichtet haben, von dem Verkehr Demme's mit der Familie Trümpy bis zum Schluß des Jahres 1862 und bis zum Anfang des nächstfolgenden. Im März 1863 las Demme in öffentlichen Blättern, daß am 21. desselben Monats von Wien aus eine Gesellschaftsreise über Triest, Korfu und Athen nach Konstantinopel und zurück, unter sehr billigen Bedingungen für die Theilnehmer, veranstaltet werden solle. Als er dies in Wabern erzählte und seinen Beschluß kundgab, sich zu betheiligen, erklärte Trümpy sogleich, daß er und seine Frau die Reise mit unternehmen würden. Man beharrte bei diesem Entschlusse und löste die Billets. Als jedoch die Reise angetreten wurde, war Frau Trümpy in einem so krankhaften Zustande, daß es oft zur Erörterung der Frage kam, ob eine Fortsetzung der Fahrt für sie möglich wäre. Dennoch entschloß man sich dazu, weil die Einstandssumme der Zurückbleibenden sonst verloren gewesen sein würde, aber manche Unbequemlichkeit, Störung und gebotene Rücksicht, sogar mancher Aufenthalt der Gesellschaft entstand daraus. Frau Trümpy blieb während der ganzen Zeit sehr leidend, mußte in den Gasthöfen der Stationen meist das Zimmer hüten und kam in einem Zustande zurück, welcher die obenerwähnte Cur im Weissenburg-Bade erheischte. Demme versichert, daß Trümpy dies keineswegs mit Seelenruhe ertragen hätte, sondern vielmehr in eine sehr gereizte und mismuthige Stimmung dadurch versetzt worden wäre. Das soll bis zu Aeußerungen von Lebensüberdruß gegangen sein. Auf der See hätte er gar keine Freude an Naturschönheiten gehabt, sich selbst bei schönstem Wetter in die Kajüte zurückgezogen, ohne mit jemand zu verkehren. Auch an den Stationsplätzen, namentlich in Athen und Konstantinopel, trennte er sich auf halbe Tage und noch länger von der übrigen Gesellschaft und trieb sich allein oder mit irgendeinem einzelnen Gefährten umher. Dies wird auch von andern, unparteiischen Zeugen bestätigt. In Konstantinopel ist er häufig allein auf dem Bazar gewesen, wo auch Droguen aller Art verkauft werden, und hat zur Entschuldigung seiner öftern Abwesenheit erzählt, er habe Sämereien gekauft, welche er auf seinem Gute zu gebrauchen gedenke.

Wir gelangen nun zu einem seltsamen Ereignisse, dessen Wirklichkeit freilich nur durch Frau Trümpy behauptet und durch Demme unterstützt wird.

In Korfu, auf der Rückreise, war Frau Trümpy besonders leidend und ihre heftigen Hustenanfälle brachten ihren Mann um alle Geduld. Da soll er gesagt haben, er wolle diesem Husten jetzt einmal abhelfen, habe ein weißes Pulver in ein Glas geschüttet und seine Frau zum Einnehmen des ihr Dargebotenen nöthigen wollen. Als sie sich beharrlich geweigert, habe er die Flüssigkeit über den Balkon hinuntergeschüttet und das Glas ausgeschwenkt.

Diesen Vorgang will Frau Trümpy dem Dr. Demme erst einige Zeit nach dem Tode Trümpy's mitgetheilt haben. Demme hat bedeutendes Gewicht darauf gelegt und aus seiner Vermuthung, Herr Trümpy habe seine Frau damals vergiften wollen, kein Hehl gemacht.

Frau Trümpy hat während ihrer Untersuchungshaft gleichfalls diesen Vorfall erwähnt und zwar so, daß man schließen mußte, sie theile den Argwohn Demme's. Von besonderm Interesse ist das, was sie in der Hauptverhandlung auf die Fragen des Präsidenten hierüber äußert.

Präsident: Sie haben in Ihrem Verhör in der Voruntersuchung angedeutet, Trümpy habe Sie in Korfu vergiften wollen. Die Tendenz in Ihrer Erzählung war wenigstens diese...

Frau Trümpy: Er wollte mir allerdings etwas zu trinken geben.

Präsident: Aber Sie hatten doch keine Vermuthung, daß dasselbe schädlich für Sie sei?

Frau Trümpy: Nein, allein ich wollte doch nicht trinken, weil er es mir auf sehr unartige Weise anbot.

Präsident: Wie hat er es Ihnen denn angeboten?

Frau Trümpy: Ach, ich will es lieber nicht wiederholen. Ich habe es schon anfänglich gesagt, ich glaube, ich wolle mich nicht einmal vertheidigen lassen. Ich mag ihm im Grabe nichts mehr nachreden.

Präsident: Sie sind nicht die einzige Beklagte. Wenn Sie also Gründe haben zu glauben, Trümpy habe Ihnen nach dem Leben trachten wollen oder er habe sich selbst das Leben nehmen wollen, so sind Sie verpflichtet, es zu sagen.

Frau Trümpy: Ich kann hierüber nichts Bestimmtes sagen. Er hat mir vieles zugefügt, aber ich kann nicht glauben, daß er mir nach dem Leben getrachtet habe.

Diese ganze Erzählung klingt nicht unverdächtig für diejenigen, welche sie vorgebracht haben, ja sie paßt so gut in deren Vertheidigungssystem, daß wir auch an ihr den Stempel des Gemachten und Erfundenen wahrznunehmen glauben.

Warum hätte Trümpy seiner Frau nach dem Leben trachten sollen? Sie stand ja seinen Ausschweifungen nicht im Wege, er hatte ihr Leben nicht versichert, wir haben nicht den geringsten Anhalt, daß er etwa auf eine andere, reiche Heirath speculirt hätte. Im Jähzorn wäre er wol fähig gewesen, seine Frau durch einen Schlag niederzustrecken. Doch der Jähzorn mischt kein Gift, die Anwandlungen von Eifersucht waren bei Trümpy eben auch nur rasch vorüberbrausende zornige Aufwallungen, und die Ungeduld über einen auch die Umgebung belästigenden Husten kann selbst bei einem so haltlosen und jeder Stimmung unterthängen Menschen wie Trümpy nimmermehr als Motiv zu einem tückischen Morde angenommen werden. Freilich wäre die versöhnliche und demüthig duldsame Art und Weise, in welcher Frau Trümpy während der Hauptverhandlung alles zurücknimmt, wodurch sie ihren Mann während der Voruntersuchung verdächtigt haben könnte und doch bei den Thatsachen gewissermaßen gezwungen stehen bleibt, der vollendetsten Heuchlerin würdig – aber als solche erscheint Frau Trümpy durchaus nicht, ihre nachweisbaren Lügen sind stets ein plumper Nothbehelf. Es bleibt kaum eine andere Annahme übrig, als daß Trümpy irgendein unschädliches Mittel seiner Frau damals in rauher, ungeduldiger Weise angeboten, daß sie es mit nervöser Heftigkeit zurückgewiesen und später, schon, in krankhaftem Gemüthszustande, dem unverfänglichen Vorgange eine übertriebene, argwöhnische Deutung gegeben und Demme diese in seinem Sinne ausgebeutet hat. Er konnte dies der leichtgläubigen Frau, auf welche er so großen Einfluß übte, leicht einreden.

Demme hat noch anderes Material, welches sich zu gleichem Zwecke brauchbar erwies, benutzt oder selbst herbeigeschafft. Er behauptet, Trümpy habe ihm einmal, einige Zeit nach der Rückkehr, von einem in Konstantinopel auf dem Bazar gekauften Gifte erzählt. Damit stimmt das überein, was Frau Gseller, welche oft als Schneiderin zu Frau Trümpy nach Wabern kam, aussagt. »Im Sommer, als ich einmal draußen war, sah ich Ratten und Mäuse bei der Scheune herumspringen. Wir kamen gerade vom Essen und ich machte Herrn Trümpy auf diese Ratten und Mäuse aufmerksam und fragte ihn, warum diese noch da herumliefen, ich hätte geglaubt, er würde ihnen mit dem Gifte abhelfen, welches er aus dem Orient mit nach Hause gebracht habe. Er hatte mir nämlich nach seiner Zurückkunft die Sachen gezeigt, welche er mitgebracht, und dann fügte er bei, er habe auch von dem berühmten Pflanzengifte mitgebracht, von den Hindus, und dazu sagte er, jetzt wolle er den Ratten und Mäusen abhelfen. Auf meine Frage, warum er das jetzt nicht thue, gab er keine Antwort, sondern ging in den Garten.« Zeuge Flottron, Ausläufer in Trümpy's Comptoir, sagt, daß Trümpy Gift besessen, sei ihm bekannt, derselbe habe solches auf einen Giftschein in einer berner Apotheke erhalten, allein die Ratten und Mäuse im Magazin haben nicht davon fressen wollen und ein Hund, der einmal in das Magazin gekommen, habe davon gefressen, ohne Schaden zu leiden. Nachher sagte Trümpy einmal im Cabinet: »Dä Donners Dräck, wo mer der Müller gäh hät, ist nüt wärth, aber jetz han'i öppis anders, das wird de di chaibe Ratte sehr putze!«

Auch andere Zeugen bestätigen, daß im Haus zu Wabern Gift vorhanden gewesen und den Ratten und Mäusen gestellt worden sei, aber nichts geholfen habe. Hingegen ereignete es sich im Sommer und Herbst 1863, daß zu Wabern drei Hausthiere starben: ein Schaf, der Hofhund – ein besonderer Liebling Trümpy's – und ein Schwan. Schaf und Hund waren allerdings vorher schon krank gewesen, auffällig blieb nur, daß Trümpy, der sonst bei ähnlichen und geringfügigern Verlusten ganz außer sich gerieth, es hier ganz ruhig nahm. Das Paar Schwäne hingegen, welches sich auf dem Weiher aufhielt, war tags zuvor noch ganz gesund gewesen und der eine Schwan über Nacht gestorben. Man schrieb es dem Umstand zu, daß die Schweine zum Bad in den Weiher getrieben worden wären, der Schwan müßte Saumist gefressen haben und daran crepirt sein. Allein der andere Schwan blieb gesund, und als Demme den Rath gab, man möchte die Eingeweide des verendeten Thieres ausnehmen und einem Apotheker zur Untersuchung auf Vergiftung überantworten, wollte Trümpy davon nichts wissen.

Gegen Ende des Jahres 1863 bemerkte Trümpy, daß er sich abermals durch seine Ausschweifungen syphilitisch angesteckt hatte. Er vertraute sich zunächst nicht seinem Hausarzt Demme, sondern einem bei derartigen Krankheiten häufig zu Rathe gezogenen Chirurgen in Bern, Namens Bauer, an. Dieser nahm den Patienten in Behandlung, das Uebel besserte sich aber nicht, sondern griff weiter um sich, und Trümpy entschloß sich in der zweiten Hälfte des Januar 1864, sich dem Dr. Demme zu entdecken. Demme drang sofort darauf, daß sein Patient dem Wein entsagen, und als sich in der Leistengegend ein Geschwür (Bubo) bildete, daß Trümpy das Bett hüten sollte. Endlich mußte der Kranke der Notwendigkeit gehorchen. Am 11. Febr. (Donnerstag) lag er zu Bett, sagte aber der Anna Mürner, »wenn er verreckte, müßte er doch am Freitag noch in die Stadt«. Trotz seiner sehr heftigen und nichts weniger als geduldig ertragenen Schmerzen stand er am Morgen des Freitag auf, ging in die Stadt und kehrte erst mittags zurück. Er war in äußerst gereizter Stimmung. Barsch befahl er der Anna Mürner, sie solle die Katzen füttern. Als sie ihm erwiderte, das könne sie jetzt nicht thun, ging er in den Schopf. Nach einiger Zeit kam auch die Mürner dahin, sah Blut am Boden und fragte Trümpy danach. Er antwortete, das sei von einem Hunde. Sie erwiderte, das sei nicht wahr, und nun sagte er, er hätte zwei junge Katzen todtgeschlagen. (So war es auch wirklich.) Unmittelbar darauf sah er die Mürner an und fragte: »Nicht wahr, ich habe gemagert?« Sie erwiderte: »Nein, aber Ihr sehet so blau aus.« Er habe wirklich nicht nur blau, sondern ganz braun ausgesehen. Er ging auf sein Zimmer im ersten Stock und legte sich, zu Bett. In den folgenden Tagen ist er nur von Zeit zu Zeit einmal aufgestanden. Seit Samstag soll er gar nichts mehr oder kaum etwas von Speise zu sich genommen haben. Dagegen hat er am Samstag drei Flaschen, am Sonntag vier Flaschen schweren Xereswein getrunken, am Montag drei Flaschen Rothwein.

Uebrigens wurde der Zustand des Kranken von niemand für gefährlich gehalten. Auf seinen eigenen Wunsch nahm seine Tochter an einem Balle theil, welcher am Freitag stattfand, die Familie empfing am Sonntag Nachmittag Besuch von mehrern jungen Leuten, Trümpy selbst ebenfalls von verschiedenen Personen. Fremden gegenüber zeigte er sich heiter, scherzte wol auch in seiner altgewohnten, derben Manier, gegen Familie, Dienerschaft, Hausgenossen und Comptoiristen that er sich keinen Zwang an, erwies sich unbändig in seinem Schmerzgejammer wie in seiner Gereiztheit. Je nach Laune plagte er sie oder schalt sie hinaus; sogar seine zärtlich geliebte Tochter Flora mußte sich das gefallen lassen. Hatte er dann alle, bis auf irgendjemand, der zu seiner Hülfe und Bedienung nothwendig war, hinausgetrieben, so beklagte er sich wieder heftig, daß man ihn allein lasse, sich nicht um ihn kümmere.

Wol der einzige von den ihm am nächsten Stehenden, der unter diesen Launen nichts zu leiden hatte, nach dem er stets verlangte und schickte, den er nie zu chicaniren wagte, auf den er unbedingtes Vertrauen setzte und ihm Dank und Lob zollte, vor dem er sogar Respect hatte und seinen Befehlen gehorchte oder wenigstens den Schein des Gehorsams annahm: war Dr. Demme.

Am Sonntag, den 14. Febr., kam Demme nachmittags, untersuchte das Geschwür, das dem Kranken so viele Schmerzen verursachte, und öffnete es, nicht durch das Messer, sondern vermittels einer Paste, um geringere Schmerzen zu verursachen. Trotz der Operation und der Kataplasmen verringerten sich die Schmerzen nicht. Bei dem Zustande des Kranken war eine Nachtwache nöthig, und Demme übernahm sie persönlich. Dies geschah, wie mehrere Zeugen bekunden, auf Trümpy's ausdrücklichen Wunsch, trotzdem, daß Demme sich anfangs weigerte, daß der Wagen zu seiner Heimfahrt bereits angespannt war und einer der Comptoiristen sich zum Wachen angeboten hatte. Der Patient sagte: »Aber, Herr Doctor, Ihr wißt nicht, wie krank ich bin; ich bin ein armer Tropf; verlassen Sie mich nicht!« Am Montag Morgen bezeigte Trümpy ganz gerührt seinen Dank, daß Demme ihn nicht verlassen habe. Seine Worte lauteten, wie Demme versichert: »O, Herr Doctor, ich danke Ihnen, daß Sie bei mir geblieben sind. Wenn Sie nicht geblieben wären, wäre ich gestorben.«

Auch zwei Zeugen haben am Morgen des Montags gehört, daß Trümpy sagte, wenn Demme nicht dagewesen wäre, hätte er sich erschossen.

Zum Beweis seiner Dankbarkeit schenkte Trümpy dem Dr. Demme an jenem Morgen einen Pelzrock, den er kurz zuvor sich gekauft hatte.

Demme begab sich schon früh um 6 Uhr nach Bern zurück. Bereits gegen Mittag sendete ihm Trümpy Botschaft nach mit der Bitte, bald zurückzukehren.

Gegen Abend kam Demme wieder nach Wabern, begab sich zu dem Kranken und fand nichts an ihm, was eine Besorgniß hätte erregen können. Trümpy freute sich der Ankunft seines Arztes und soll abermals mit Dank über die gute Pflege in der vergangenen Nacht 12 gesprochen haben. Demme hat im Speisezimmer, im Erdgeschoß, mit der übrigen Familie zu Nacht gespeist und ist dann wieder zu Trümpy hinaufgegangen, um sich von ihm zu verabschieden. Demme erzählt hierüber: »Es ging wie am vorhergegangenen Abend. Alles hatte Mitleid mit Herrn Trümpy und bat mich, noch einmal, zu bleiben. Auch die Tochter bat mich darum, obwol sie zu dem Vater gegangen war und ihm vorgestellt hatte: ›Aber, Papa, bedenke doch, der Herr Doctor kann doch diese Nacht nicht wieder hier bleiben, laß ihn doch heimgehen!‹ Barsch erwiderte ihr aber Trümpy: ›Du verstehst das nicht!‹ Auch ich erklärte ihm: Nein, ich kann nicht bleiben, ich muß heim! Als aber Trümpy inständig bat: ›Herr Dcctor, Sie müssen bei mir bleiben, Sie glauben mir nicht, wie krank ich bin; ich bin so elend und ein armer Tropf!‹ und mich – was sonst gar nicht in seiner Art war – auf das Bett zog, mir sogar einen Kuß gab und mich mit convulsivischer Zärtlichkeit anfaßte: da ward mir so eigenthümlich zu Muthe und ich blieb.«

Frau Trümpy unterstützt diese Angaben und meint, Demme hätte nicht anders handeln können, wenn er nicht die Rücksichten verletzen wollte, welche man von ihm als Arzt und Hausfreund erwarten durfte.

Auch von den Hausgenossen wird ausdrücklich bestätigt oder wenigstens angenommen, daß Demme in der Nacht vom Montag auf den Dienstag (15./16. Febr.) nicht auf eigenes Anerbieten, sondern auf Wunsch und Bitte des Kranken zur Wache geblieben sei, wie in der vorhergehenden Nacht.

Zwischen 11 und 12 Uhr hielt er sich noch mit Frau Trümpy unten im Speisesaal auf. Demme sagt über dieses Zusammensein: »Frau Trümpy war unwohl. Sie legte den Kopf auf ihre Hände und stützte die Arme auf den Tisch. Sie klagte über Kopfschmerzen. Ich ermahnte sie, zu Bett zu gehen. Allein wenn sie unwohl war, war sie immer furchtbar eigensinnig, und blieb deshalb auch jetzt noch eine Zeit lang in der beschriebenen Situation. Es ist dieses die einzige Zeit, während welcher ich jenes Abends allein bei ihr war. Bald kamen noch andere Leute, Angestellte des Hauses, Anna Mürner u. a.«

Dies wird bestätigt. Anna Mürner ist gegen 11 Uhr aus dem Krankenzimmer gegangen, hat unten im Eßzimmer Gute Nacht gewünscht und sich zu Ruhe begeben. Gegen 12 Uhr ging Demme nach dem Krankenzimmer hinauf, Frau Trümpy begleitete ihn, und die zweite Magd, Anna Müller, schloß sich ihnen, von der Küche aus, an. Frau Trümpy unterstützt diese Aussage der Anna Müller. Sie äußert sich dahin, Trümpy sei überhaupt am Montag ganz verändert gewesen, wie sie ihn noch nie gesehen, traurig, schmerzlich bewegt, gut, wie noch nie vorher. »Freilich war er unruhig, allein er war es so, wie wenn er nicht recht bei Verstande oder wie wenn sein Geist an einem ganz andern Orte wäre. Bald schickte er mich dahin, bald dorthin, und wenn ich dann ging, so sagte er mir, ich solle doch bleiben. Er hatte mich ungemein gern bei sich. Ich war noch ungefähr um Mitternacht bei ihm und war schon vorher bei ihm gewesen.« Sie bestätigt, daß sie mit Demme die Treppe hinauf bis in Trümpy's Zimmer gegangen sei, Demme dort gelassen und ihrem Manne gute Nacht gewünscht habe. Anna Müller hat dies mit angehört.

Demme war mit dem Kranken allein. Was sich zwischen ihnen zugetragen hat, dafür gibt es keinen Zeugen, der uns mit durchaus glaubhaftem Munde darüber Aufschluß geben könnte. Alles schlief im Haufe, die Mägde in einer Kammer, gerade über dem Krankenzimmer, in demselben obern Stockwerk auch einer von den männlichen Dienstboten, Frau Trümpy und ihre Tochter eine Treppe tiefer in ihrem Schlafgemach, die männlichen Hausgenossen in entferntem Gebäuden. Das Haupthaus ist, nach einem bezeichnenden Ausdruck der schweizer Mundart, »ringhörig«. Das heißt, es ist so akustisch gebaut, daß alle darin Befindlichen auch das geringste, einigermaßen auffallende Geräusch vernehmen. Die Bewohner des Hauses haben in jener Nacht, wie sie versichern, nichts vernommen. Wir haben keinen Grund, ihnen bei dieser Versicherung zu mißtrauen. Alle Dienstboten im Hause haben die gleiche Anhänglichkeit an ihren Herrn und ihre Herrin bewiesen. Trotz aller seiner Schwächen war Trümpy ihnen ein guter, nachsichtiger Meister. Frau Trümpy war wegen ihrer Gutmüthigkeit und Duldsamkeit nicht weniger beliebt bei ihren Untergebenen als ihr Mann. Besonders Anna Mürner, »das Aenneli«, wie sie genannt wurde, hing mit ganzem Herzen an der Frau, deren Kindheit sie schon gepflegt hatte vor mehr als dreißig Jahren, der sie nach Bern und Wabern gefolgt war. Sie mochten alle den freundlichen Doctor gern leiden, doch zumeist nur deshalb, weil er der vorgezogene Hausfreund ihrer Herrschaft und vielleicht der zukünftige Gatte von Fräulein Flora war. Gegen die Herrschaft hätte er nimmermehr auf ihren Beistand zählen dürfen.

Die Mägde und alle Dienstboten im Hause schliefen ungestört bis sie geweckt wurden. Die einzige, die vielleicht nicht schlief, war Frau Trümpy. Sie hatte sich nicht zu Bett begeben, sondern lag angekleidet auf einem Ruhebett in der mit ihrer Tochter gemeinschaftlichen Schlafstube. Dennoch haben die Dienstleute und Demme sie in der Behauptung unterstützt, daß sie ebenfalls ausgekleidet im Bett gelegen hätte. Sie räumt ein, ihre Leute zu dieser Lüge vermocht zu haben. Sie wußte, wie sehr eine solche Behauptung in der Untersuchung zu ihren Gunsten sprechen würde. Sie ist freiwillig davon zurückgetreten und führt zu ihrer Entschuldigung an, sie habe schon seit lange »die wüste, dumme Gewohnheit«; sie sei schon oft so (angekleidet, auf dem Ruhebett) eingeschlafen; sie lese nämlich, da sie den Tag über meistens daran verhindert sei, oft des Nachts und schlafe nicht selten darüber ein.

So waren denn Trümpy und Demme in jener Nacht allein und ohne Zeugen miteinander. Es brannte eine alterthümliche Nachtlampe auf dem Nachttisch, nahe am Bett standen Wein- und Wasserflaschen und zwei Gläser von verschiedener Größe, eine Tasse und ein Kaffeelöffel.

Zwischen 2½ und 3 Uhr kam Demme eilends in das Schlafzimmer der Frau Trümpy und Flora. Er hatte ein Licht in der Hand, eine Kerze, und rief, Herr Trümpy sei am Sterben. Frau Trümpy fragte: Wer ist am Sterben? und Demme erwiderte, sie möchten hinaufkommen, Herr Trümpy habe einen Gehirnschlag – oder den Wundstarrkrampf. Frau Trümpy will sich nicht mehr entsinnen können, welchen Ausdruck Demme gebraucht habe. Sie weiß nicht anders in ihrer Bestürzung, als daß Demme augenblicklich wieder hinauf- und sie mit ihrer Tochter so rasch als möglich ihm nachgeeilt sei.

Die sämmtlichen Bewohner des Hauses und der Nebengebäude wurden, einer durch den andern, geweckt und versammelten sich nacheinander im Sterbezimmer.

Es ist – und gewiß mit vollem Recht – großes Gewicht in der Untersuchung darauf gelegt worden, möglichst genau festzustellen, um wie viel Uhr die Hausgenossen die Kunde von Trümpy's Tod erhalten haben, weil sich daraus Schlüsse auf die Todesstunde ziehen lassen. Nimmt man an, daß Demme keine Schuld am Tode Trümpy's trägt, so versteht es sich von selbst, daß er die Hausgenossen augenblicklich herbeigerufen hat, als er den Todeskampf oder den Tod Trümpy's wahrnahm. Bei einer entgegengesetzten Annahme würde es jedoch sehr wahrscheinlich sein, daß Demme, nach dem Eintritt des Todes, erst einige Zeit gebraucht habe, alle Verbrechensspuren hinwegzuräumen, dem Todten eine ruhige Lage zu geben, das Bett zu ordnen, zu warten, bis etwaige krampfhafte Verzerrungen des Gesichtsausdrucks verschwunden wären.

Von acht Zeugen – mit Ausschluß Demme's und mit Einschluß der Frau Trümpy – behaupten sechs, daß sie kurz vor oder kurz nach 3 Uhr morgens im Sterbezimmer eingetroffen wären. Sie haben dies an der dort stehenden Uhr gesehen. Eine solche Achtsamkeit auf die Stunde kann nicht auffallen, sie wird fast in allen Fällen von den Angehörigen geübt.

Ein siebenter Zeuge glaubt, daß es 2 Uhr oder 2½ Uhr gewesen sei, als er von den Mägden geweckt worden, doch hat er nicht selbst nach der Uhr gesehen, will die Zeitangabe von jenen gehört haben, jedoch für die Nichtigkeit seiner Erinnerung nicht einstehen.

Ein achter Zeuge hat ebenfalls nicht selbst nach der Uhr gesehen. Er ist alsbald fortgeschickt worden, um den Wagen anzuspannen und die nächsten Freunde der Familie aus Bern herbeizuholen. Nach einem Glockenschlage in Bern, wobei es jedoch ungewiß bleibt, ob der Zeuge nicht die Viertelschläge für die volle Stunde genommen hat, und nach der Zeit der Rückkunft wird berechnet, daß er die Todesnachricht schon um 2½ Uhr erhalten haben könne. Diese Berechnung ist natürlich eine ganz unzuverlässige, denn wer kann mit Sicherheit behaupten, wie viel Minuten der Kutscher zum Ankleiden, Anspannen, zur Hin- und Rückfahrt gebraucht, wie lange er auf seine Fahrgäste, welche er erst aus dem Schlafe wecken lassen mußte, gewartet hat?

Von allen angeblichen Widersprüchen in der Voruntersuchung, woraus man auf eine andere Zeitbestimmung gekommen wäre, ist keiner in der Hauptverhandlung bestehen geblieben, bis auf einen einzigen.

Dr. Haller, Verleger des »Bernischen Intelligenzblatt«, hatte am 4. März einen Artikel veröffentlicht über den Tod Trümpy's, der den Angehörigen der Familie äußerst unangenehm war. Alfons Bauer, Neffe der Frau Trümpy, Comptoirist in Trümpy's Geschäft und Hausgenosse in Wabern, kam am nämlichen Morgen zu Dr. Haller, um ihn zur Rede zu setzen. Dabei erzählte er auch die Vorgänge in der Nacht vom 15. zum 16. Febr. Diese Erzählung gibt Dr. Haller folgendermaßen wieder: »In der Nacht vom Montag auf den Dienstag habe Herr Demme wiederum gewacht, sei dann in das untere Zimmer gegangen, um einen Teller Suppe und ein Glas Wein zu nehmen, und dann sei er – hier schwanke ich (Haller) in meiner Erinnerung, ob er gesagt habe, in einer halben Stunde oder in einer Stunde – wieder hinaufgegangen und habe den Onkel, ich weiß nicht, ob er sagte todt oder am Verscheiden, gefunden. Der Doctor habe hierauf Belebungsversuche angestellt und den Onkel unter anderm auch auf den Kopf gestellt, damit das Blut herauslaufe; und dabei hat Herr Bauer noch gelächelt.«

Da Demme spätestens zwischen 11 und 12 Uhr im untern Zimmer gewesen ist und dort wol auch zu Abend gegessen, das Zimmer aber gegen 12 Uhr wieder verlassen hat, um sich zu dem Kranken zu begeben, würde der Tod schon in der letztgenannten Stunde eingetreten sein.

Wir können jedoch diese Haller'schen Angaben, welche Bauer übrigens bestreitet, nur für misverständliche, verschiedene Zeiten und Thatsachen verwechselnde halten. Die Wiederbelebungsversuche haben – um dies vorauszugreifen – nur in einem, in Gegenwart mehrerer Zeugen, auf Verlangen Frau Trümpy's und Bauer's vorgenommenen Aderlaß am Arm bestanden, sonst ist die Leiche in jener Nacht ganz so wie sie lag geblieben. Sie auf den Kopf zu stellen, würde gewiß kein Arzt begonnen haben. Auch hier liegt eine Verwechselung und ein Misverständniß mit etwas Aehnlichem vor, was sich bei der ersten Section zugetragen hat. Außerdem steht die Zeitangabe der Todesstunde, welche Dr. Haller gehört haben will, im offensten Widerspruch mit den Aussagen aller übrigen Zeugen, welche doch auch und unmittelbar gehört haben, was Demme über den Hergang erzählt hat. Frau Trümpy und Anna Müller haben ja Demme begleitet, als er in das Krankenzimmer gegen Mitternacht hinaufging, haben sogar zum mindesten Trümpy's Stimme noch gehört, wahrscheinlicherweise sogar das Zimmer mit betreten, um Anordnungen für die Nacht zu treffen.

Wir können darum der Haller'schen Aussage kein Gewicht beilegen.

Als die sämmtlichen Hausgenossen sich nach und nach, gegen 3 Uhr, im Sterbezimmer versammelten, nahmen sie sämmtlich wahr, daß Trümpy ruhig, wie schlafend, auf dem Rücken lag. Die Kissen und die Decken des Bettes waren in Ordnung, beide Arme lagen natürlich schlaff auf der Decke. Es machte den Eindruck, als ob Trümpy gar nicht gestorben sein könne. Seine Frau warf sich über ihn, küßte ihn und gab sich dem heftigsten Schmerze hin. Sie sagt, sie habe trotzdem keine Acht darauf gehabt und könne nicht sagen, ob die Leiche schon kalt oder noch warm gewesen sei. Hingegen behaupten die beiden Mägde und Bauer, welche Trümpy berührt haben, daß er allerdings entschieden noch warm gewesen sei. Wenn auch einleuchtet, daß ein Leichnam, der im gewärmten Bett und in einer Krankenstubentemperatur bleibt, langsamer erkalten wird und daß die Empfindung von Wärme oder Kälte bei Berührung eine relative, von dem Temperaturunterschied zwischen dem Berührenden und dem Berührten abhängige ist: so schreitet doch die Erkaltung eines Leichnams trotz jener sie etwas aufhaltenden Umstände rasch vorwärts bis zu demjenigen Grade von Marmorkälte, dessen sich jeder erinnern wird, der auch nur einmal einen Todten berührt hat, und bei den beiden Mägden und Bauer, welche eben erst aus tiefem Schlafe geweckt worden und in das Sterbezimmer geeilt waren, ist nicht anzunehmen, daß ihre Hände noch kälter gewesen wären als die Haut eines bereits vollkommen erstarrten Todten. Darum bestätigt ihre Wahrnehmung die Behauptung, daß Trümpy erst kurz vorher verschieden sei.

Dieser Punkt fällt zu Gunsten der später Angeklagten schwer ins Gewicht.

Von noch größerm Belang ist die Erörterung dessen, was Demme, in der Erregung des Augenblicks, am Sterbelager den Zeugen von den Ereignissen der letzten Stunden erzählt hat. Aufgeregt war er in jener Stunde jedenfalls, mochte er von einem plötzlichen Tode seines Schutzbefohlenen überrascht worden sein oder auch vor dem Opfer seiner eigenen verbrecherischen That stehen. Selbst im letztern Falle hätte er, nach seiner Jugend und Eigentümlichkeit, schwerlich schon die Besonnenheit und Ueberwindung gewonnen gehabt, ein vollkommen ausgeführtes Trugbild vorzubringen, das ihn gegen jede Beschuldigung geschützt hätte. Gerade das Bild von Trümpy's Tode, das Demme – nicht ohne wesentliche Abweichungen und Veränderungen – den Behörden entworfen hat, ist eine Hauptveranlassung zu der verhängnißvollen Wendung der Sache und Gegenstand eingehendster wissenschaftlicher Prüfung geworden.

Wir stellen die Zeugenaussagen der Reihe nach zusammen, bevor wir auf das kommen, was Demme unmittelbar, in verschiedenen Variationen, angibt.

Frau Trümpy: »Demme sagte, Trümpy sei blitzschnell gestorben. Es sei leicht gegangen und blitzschnell, ein Moment und es sei alles vorüber gewesen. Demme habe eine Zeit lang mit Herrn Trümpy gesprochen, und es habe darauf dieser eine längere Zeit geschlafen. Demme habe auch – soweit sich Frau Trümpy erinnert – das Zimmer, vielleicht auf zehn Minuten, verlassen.«

Anna Mürner: »Der Doctor hat erzählt: Trümpy habe eine curiose Miene gemacht, sich im Bett noch aufgerichtet, dann sei er sogleich verschieden. Er (Demme) glaube an einen Gehirnschlag oder Schlagfluß. Der Doctor sei kurz vorher aus dem Zimmer gegangen, als er zurückgekehrt, habe Trümpy eben aus einem Glase getrunken und dieses bei seinem Eintritt auf den Tisch gestellt.«

Anna Müller: »Trümpy habe gesagt, er könne die linke Seite nicht mehr brauchen, der Doctor solle ihm das Kissen zurechtmachen. Nachher sei er roth geworden im Gesicht, später habe er blaue Lippen bekommen, und dann sei er schnell gestorben, worauf er (Demme) Frau Trümpy gerufen. Der Präsident halt der Zeugin vor, was Demme über die Sterbescene erzählt habe. Sie bestätigt es als wahr. Zehn Minuten vorher sei Demme aus dem Zimmer gegangen und wie er wieder dahin zurückgekehrt, habe Trümpy ein Glas abgestellt. Er habe ihm Vorwürfe darüber gemacht, daß er es ausgetrunken, worauf Trümpy sich auf das Kissen zurückgelegt und gesagt habe, er wolle schlafen.«

Heinrich Baumann (Knecht bei Trümpy) weiß nichts davon, daß Herr Demme gesagt habe, er sei zehn Minuten vor dem Tode Trümpy's hinausgegangen. Auch davon weiß er nichts, daß Trümpy in jener Nacht ein Glas ausgetrunken habe.

Jakob Roth (Gärtner bei Trümpy): »Herr Demme hat uns mitgetheilt, er sei im Fauteuil gesessen und hätte mit Trümpy über Schleswig-Holstein gesprochen. Auf einmal habe Trümpy gesagt, es werde ihm schwer und es schmerze ihn auf der einen Seite. Herr Demme habe ihn gefragt, ob er ihm etwa das Bett zurechtmachen solle und ihm dann ein Kissen untergeschoben. Bald sei aber Trümpy verschieden. Dies sei vorgefallen, während die beiden sich miteinander unterhalten. Der Doctor habe nicht gesagt, er sei zehn Minuten vorher einmal draußen gewesen.«

Jakob Reusser (Kutscher bei Trümpy) erinnert sich nicht, daß, während seiner Anwesenheit im Zimmer, Herr Demme den Hergang des Todes erzählt habe. Später hingegen hat er von andern gehört, Trümpy sei an einem Schlagfluß gestorben, es sei geschwind gegangen. Er hat auch die Dienstmägde sagen hören, Doctor Demme sei kurz vorher hinausgegangen; bei seinem Wiedereintritt habe Trümpy gerade ein ausgetrunkenes Glas abgesetzt. Adam Schmid (Commis bei Trümpy) hat vom Doctor nur erfahren, Trümpy sei an einem Schlagfluß gestorben, er habe sich blos etwas bewegt und umgekehrt und dann sei es fertig gewesen. Der Zeuge ist nicht lange im Sterbezimmer geblieben, sondern mit dem Kutscher Reusser nach Bern gefahren.

Alfons Bauer (Neffe der Frau, Commis bei Herrn Trümpy): »Sehr bald nachdem ich ins Zimmer kam waren auch die Knechte da und ich gab ihnen Auftrag einzuspannen, um Herrn Leuzinger zu holen. Ich erinnere mich nicht mehr, aber ich glaube, es war gegen 4 Uhr, als Papa (Bauer's) und Leuzinger kamen. – Frau Trümpy war am Sterbebett ihres Gatten in Jammer aufgelöst. – Den Aderlaß habe ich mit angesehen, und denselben in Gemeinschaft mit Frau Trümpy provocirt, Herr Demme wollte anfänglich den Aderlaß nicht vornehmen, sondern sagte, es nütze nichts mehr. Herr Trümpy sei schon todt. – Ueber den Todeshergang machte uns Herr Demme folgende Erzählung: Während seiner Anwesenheit im Zimmer sei es Herrn Trumpy auf einmal eng geworden und er habe gesagt: es wird mir so eng! und er habe hierauf einen Schlag bekommen. Trümpy sei blitzschnell gestorben, habe nach Athem geschnappt und sei verschieden.«

Hauptmann Leuzinger-Schnell (Geschwisterkind und bis 1856 Associé von Trümpy) ist aus der Nachtruhe geweckt worden und etwa gegen 4 Uhr nach Wabern gekommen. Im Sterbezimmer sagte der Doctor, Trümpy sei an einem Schlagfluß gestorben, nachdem er vorher gesagt, das eine Bein schlafe ihm ein oder werde steif oder so etwas. Er kann auch von einer Lähmung der Seite gesprochen haben. Metzger Bauer (verheirathet mit der Schwester der Frau Trümpy, Vater des Alfons Bauer). Das Fuhrwerk, das ihn und Leuzinger abholte, kam gegen 4 Uhr und mußte bei letztem noch ziemlich warten. Also kamen die beiden erst gegen 4½ Uhr frühestens in das Sterbezimmer. Die Hand Trümpy's, welche Bauer ergriff, war auch damals noch warm. Frau Trümpy war in einem furchtbaren Zustande und alles weinte. Der Herr Doctor sei dagewesen und habe erzählt, Trümpy sei in der Nacht einmal erwacht (um welche Zeit, sagte er nicht), zuerst unruhig, dann wieder ruhiger geworden und habe dann den Geist aufgegeben. – Demme sagte, Trümpy habe eine Zeit lang geschlafen, sei dann erwacht und habe bemerkt, er habe gut geschlafen, habe dann wieder eine Weile geschlafen und eine Erschütterung bekommen. Ich glaube, er hat noch beigefügt, er habe Trümpy einmal »gelüpft«. Daß Demme zehn Minuten vorher einmal aus dem Zimmer gegangen, davon hat Zeuge nichts gehört. Zeuge ist nur etwa eine halbe Stunde an jenem Morgen draußen geblieben, da die Marktgeschäfte ihn in die Stadt zurückriefen.

Der hauptsächlichste Widerspruch zwischen den Aussagen dieser Zeugen ist, daß die einen behaupten, von Demme gehört zu haben, daß Trümpy mitten im Gespräch oder Zeitungsvorlesen, die andern, daß er, aus dem Schlafe erwachend, nach einer kurzen Klage über Beängstigung und Lähmung, verschieden sei. Von noch größerer Bedeutung erscheint aber die Verschiedenheit, daß nur einige Zeugen vernommen haben, Demme sei etwa zehn Minuten vor der Katastrophe aus dem Zimmer gegangen und habe, bei seinem Wiedereintritt, gesehen, daß Trümpy soeben ein ausgetrunkenes Glas auf den Tisch stellte. Von dem letztern will nicht einmal Frau Trümpy etwas wissen, obwol sie sich erinnert, Demme sei zehn Minuten vorher einmal hinausgegangen. Hingegen sind es die beiden Mägde, welche das eine wie das andere bestätigen und es dem Kutscher Reusser erzählt haben. Frau Trümpy ist jedoch von dem plötzlichen Todesfall so erschüttert gewesen, daß es nichts sehr Befremdendes hat, wenn sie sich auch eines wichtigen Umstandes nicht mehr erinnert. Die dazwischenliegende Geisteskrankheit macht dies noch erklärlicher. Jedenfalls aber würde das Nichtwissen der Frau Trümpy ganz undenkbar sein, wenn man annähme, daß Frau Trümpy mit Demme zusammen ein Verbrechen gegen das Leben ihres Gatten verabredet gehabt. Frau Trümpy hätte in einem solchen Falle ganz gewiß das Austrinken und Abstellen des Glases zuerst und am kräftigsten bestätigt. So aber will sie hierüber aus Demme's Mund gar nichts gehört haben.

Von größtem Belang ist es, daß gerade die beiden Mägde es sind, welche jene wichtigen Umstände bestätigen denn sie sind, nächst der Frau und Tochter, zuerst in das Sterbezimmer gekommen und am längsten, wie es scheint und ununterbrochen darin geblieben. Die Männer sind später, einzeln, einer nach dem andern, eingetreten, zum Theil in Geschäften bald wieder fortgesendet worden, zum Theil freiwillig bald wieder hinausgegangen. Nur von dem Neffen Alfons Bauer kann man es anders annehmen, doch ist auch er später als die Frauen gekommen und durch die Befehle, welche er zu ertheilen hatte, wol auch mehrfach abgezogen worden.

Da nun Demme den ganzen Hergang der Ereignisse nicht jedesmal von vorn erzählt haben wird, sobald einer der Dienstleute oder jungen Angestellten, neu in das Zimmer hereintrat, so ist es sehr Wohl möglich, daß die Mehrzahl der Zeugen nur einen Theil der Erzähung mit angehört oder, auf Befragen, nur einen kurzen, unvollständigen Bericht erhalten hat.

Anders steht es hingegen mit den Herren Leuzinger und Bauer sen. Diese mußte auch Demme nach ihrer Geltung in der Familie behandeln und ihnen war er eine ausführliche Erzählung des Hergangs schuldig. Da man nicht wohl annehmen kann, daß diese beiden einen ihnen mitgetheilten, so äußerst wichtigen Umstand überhört oder inzwischen vergessen haben könnten, erübrigt nur, daß Demme diesen Umstand geflissentlich vor ihnen verschwiegen hat. Ja vielleicht hat er überhaupt nur einmal im Sterbezimmer davon gesprochen und auch gegen die später eintretenden Hausgenossen absichtlich nichts mehr davon erwähnt.

Entweder glaubte nämlich Demme zu damaliger Stunde, daß Trümpy an einem Schlagflusse gestorben sei; dann war es nicht von großer Bedeutung, daß Trümpy kurz vor seinem Tode verstohlen noch Wein getrunken. Oder Demme hatte einen Selbstmord erkannt und suchte diesen hinter dem Vorwand eines Schlagflusses zu verstecken: dann sprach er wol, in der ersten Aufregung, noch vor der Frau, der Tochter und der altbewährten Anna Mürner, ohne auf die Anwesenheit der Anna Müller zu achten, von allem, was sich zugetragen, ließ aber später, bei kälterer Ueberlegung, dasjenige weg, wodurch die Zuhörer gleichfalls auf den Gedanken eines Selbstmordes gebracht werden konnten. Oder Demme hatte einen Mord begangen; dann war jenes heimlich hastige Trinken Trümpy's in Abwesenheit des Arztes natürlich nur eine Erfindung, um einen Selbstmord plausibel zu machen. Aber freilich eine für den Verbrecher höchst gefährliche Lüge, denn sie führte das herbei, was auf alle Weise zu hintertreiben gewesen sein würde: die Untersuchung der Leiche durch den Anatomen und den Chemiker. Das einfache Beharren auf einem Schlagfluß als Todesursache würde der natürlichste und sicherste Weg gewesen sein, die Leiche rasch unter die Erde zu bringen. Ein Mensch von Trümpy's Beschaffenheit und Lebensweise, der selbst bei einer verschlimmerten Syphilis von seiner Trunksucht nicht abläßt und noch auf seinem Schmerzenslager starke Weine und andere Spirituosen in Unmassen zu sich nimmt, ist gewiß zu einem jähen Tod bestimmt und es kann niemand wundernehmen, wenn ein Schlagfluß seinem Leben ein Ende macht. Warum da noch so gefährliche Fabeleien vorbringen! Auch diesen Zweifel könnte man mit der Annahme des Verbrechens noch vereinigen. Der Mörder hätte sein Märchen geflissentlich nicht überall verbreitet, sondern nur wenigen, ihm besonders gewogenen Personen in das Ohr geraunt, damit er sich auf ihr Zeugniß berufen könnte, wenn es, wider Erwarten, dennoch zum Einschreiten des Gerichts und zu einer Section kommen sollte. Undenkbar wäre eine solche Verschlagenheit gerade nicht, Demme's scharfer Verstand hat sich nie verleugnet und die Untersuchung gibt Proben genug davon, daß er auch die Lüge und Intrigue als Schutzwaffen nicht verschmähte. Nur das will nicht passen, daß er dann nicht zuerst seine sicherste Vertraute, Frau Trümph, in den Plan eingeweiht und zur Unterstützung desselben gehörig unterrichtet hätte. Ja selbst wenn er ohne ihr Mitwissen das Verbrechen verübt hätte, würde es ihm leicht gewesen sein, ihr zuerst den Glauben an die Wahrheit seiner Verteidigung zu befestigen und einzuprägen.

Nach diesen bei der Wichtigkeit des Umstandes, von dessen Prüfung die endliche Entscheidung zum größten Theile abhing, unerläßlichen Erwägungen hören wir das, was Demme selbst über die Vorgänge von Mitternacht bis gegen 3 Uhr sagt.

Seine erste officielle Aeußerung ist vom 17. Febr. Infolge der umgehenden Gerüchte hatte der Regierungsstatthalter den Dr. Demme zu einem Bericht aufgefordert. In diesem Berichte sagt Demme zunächst in wahrheitswidriger Weise, er habe Trümpy seit etwa vier Wochen an einer Contusion am Bein mit nachmaliger Geschwürsbildung behandelt. Demme erzählt die Vorfälle bis zum Abend des 15. Febr. Kopfschmerz, mehrmaliges Erbrechen, leichte Fieberbewegung, beseitigt durch die am Morgen des 15. Febr. dargereichten Mittel. Keine einzige besorgniserregende Erscheinung. Er war gesprächig, ungewöhnlich versöhnlich und zufrieden. Damit contrastirte die bisweilen durchschlagende Todesahnung. Er machte übrigens auch während der Nacht vom 15. auf den 16. Febr. Pläne für die Zukunft, die Verschönerung seines Gutes betreffend, und fragte mich wiederholt, ob er nicht am Morgen in die Stadt, ins Geschäft dürfe. Auf sein inniges Bitten hin wachte ich auch diese Nacht an seinem Bette. Einen ärztlichen Grund konnte ich nicht einsehen. Wiederum schlief er sehr unruhig. Ich mußte das Lager wiederholt ändern, Kissen unterschieben u.s.w. Er trank viel Wasser. Ich gab ihm wieder einige beruhigende Mittel, nach denen er bis um 2 Uhr ruhig und sanft schlief. Als er erwachte, sprach er vollkommen ruhig mit mir, klagte nur über einige Uebligkeit und Eingenommenheit des Kopfes und meinte, jetzt bis am Morgen gut schlafen zu können. Ich hatte kein Auge geschlossen und konnte ihn gut beobachten. Einviertel vor 3 Uhr sagte er: »Mir wird so eng und angst!« Ich hebe ihn und lege ein Kissen unter. Einen Augenblick darauf lispelt er: »Ich kann die rechte Seite nicht bewegen.« Eine plötzliche congessive Röthe des Gesichts, Wachsblässe unmittelbar folgend. Ein leichtes Zucken der untern Extremitäten, Starrwerden des Ausdrucks. Auf meinen Ruf keine Antwort. Rasch eine Ader geöffnet. Es floß kein Blut. Ich mache die Acupunktatur des Herzens. Keine Pulsation, kein Athemzug. Die Probe ist überzeugend. Angehörige fanden keine Lebenszeichen mehr.

Demme sagt später über diesen Bericht, derselbe sei allerdings tendenziös, indem er die Absicht gehabt habe, seiner Ueberzeugung gemäß die Apoplexie als Ursache eines natürlichen Todes darzustellen und daß er deswegen alles dem Widersprechende weggelassen habe.

Wir bemerken hierzu, daß durch die Schönfärberei mit solchen Sophismen die Pflichtwidrigkeit dieses Berichts nicht verdeckt werden kann. Der Regierungsbeamte hatte von dem Arzte die Wahrheit und zwar die ganze Wahrheit zu fordern.

Nachdem die Untersuchung bereits eingeleitet und in vollem Gange war, erstattete Demme einen zweiten, sehr ausführlichen Bericht (unter dem 28. Febr.). Wir lassen die hauptsächlichsten Theile hier folgen:

Etwa drei Wochen vor seinem Tode nahm Trümpy wegen seiner durch pfuscherhafte Behandlung sehr verschlimmerten syphilitischen Infection Demme's Hilfe in Anspruch. Trotz rationeller Behandlung entstand, da Trümpy nicht nachließ, zu laufen und zu reiten, eine rechtseitige Leistendrüsenentzündung. Er war in Verzweiflung, jammerte wie ein Kind über Schmerzen und sagte mir, trotz aller Tröstungen, er leide zu sehr, er überlebe das nicht, er schäme sich so sehr, und drohte wieder mit Selbstmord. Diese Aeußerung that er Freitag, 12. Febr., an welchem Tage er mich zum letzten male in meinem Hause besuchte. Ich erklärte ihm, er müsse in der nächsten Zeit das Bett hüten.

Während der folgenden Tage bot Herr Trümpy das Bild einer höchst unruhigen, umnachteten und exaltirten Gemüthsstimmung. Die hervorragendsten Symptome, die in meine eigene Beobachtung fielen und welche durch die Aussagen des Hausgesindes vervollständigt werden können, waren folgende:

1) Die äußerste Sorge und Unruhe wegen seiner Krankheit vorherrschend. Beständiges Jammern, Wehklagen u.s.w., die mir durch den objectiven Befund nicht genügend erklärt wurden.

2) Unmöglichkeit, allein zu sein. Kaum war eine herbeigerufene Person aus dem Zimmer getreten, so rief und pfiff er von neuem und klagte dem Eintretenden: »Man läßt mich immer allein; man ließe mich sterben, ohne nach mir zu sehen!« Ich machte ihm Vorstellungen. Vergeblich. Ich sah wohl, daß die Wurzel dieses Verhaltens mehr in einem abnormen psychischen als in dem physischen Zustand gelegen sei.

3) Wer seine Klagen über Leiden und Schmerzen vernommen hatte, bekam bald darauf von Geschäftsverdrießlichkeiten zu hören. So erzählte er mir eine Masse Geschichten von Verleumdungen, Intriguen, Betrügereien, Verlusten, die ich nur zum kleinsten Theile verstand, weil ich seine Verhältnisse viel zu wenig kannte. Er schloß sein Klagelied stets mit der Versicherung: »Ich bin des Lebens überdrüßig. Ich bin nicht mehr der, welcher ich war. Ich fühle mich elend, krank und schwach, und auch mein Geschäft ist mir verleidet. O, wäre ich todt!«

4) Am Abend des 13. Febr. erzählte er mir, daß er während längerer Zeit eine geladene Pistole neben seinem Bett habe, um sich zu erschießen; alle Leute wüßten von seiner Krankheit, Bauer habe geplaudert. Am selben Abend las ich ihm aus dem berner Blatt die letzten Ereignisse vom Kriegsschauplatz vor. »Läge ich doch auch wie so ein zerschossener Däne hinter einem Zaune!« Das war der Wunsch, welcher der Lektüre folgte. Ich redete ihm mit allen Kräften in die Seele, seinen Muth wieder anzufachen. Die Wirkung war stets eine vorübergehende.

Demme hielt Trümpy für viel zu feig, Hand an sein Leben zu legen.

Folgt nun die Erzählung der Ereignisse bis zum Abend des 15. Febr. ohne erhebliche Abweichung von dem oben schon Dargestellten. Demme will da dem Kranken zwei Chininpülverchen von etwa sechs Gram, im Verlauf einer Stunde, gereicht haben. Trümpy habe einige Stunden recht gut geschlafen. Als er erwachte, war er unruhig, sprach von Wechseln, von dem Betrüger Helbing, von seinen Verwandten, die seinen Credit ruinirt hätten, und meinte wieder: »Wenn ich doch schon todt wäre!«

Auf abermaliges, inständiges Bitten bleibt Demme auch diese Nacht dort.

Auf dem Tisch stand eine alte, seit Jahren nicht gebrauchte Nachtlampe, die er zum Lesen bestellt hatte. Daneben eine Flasche Xeres, aus der etwa zwei bis drei Glas fehlten. Außerdem Suppe auf einer Wärmelampe und mehrere Resterflaschen mit Gläsern. Neben ihm auf dem Nachttischchen stand ein halbes Glas Xeres (wie er mir sagte): »Er habe es nicht austrinken mögen, der Wein däuche ihn nicht mehr gut; er habe auch nur wenig heute getrunken.« Aufgeregt erzählte er mir von Wechseln, Verleumdungen. Dann kam er auf das Unglück mit dem Auge seiner Frau zurück. Er könne es nie vergessen, nie wieder gut machen. Er habe seine Frau lieber als je, um dessentwillen, was sie gelitten habe. Dann verlangte er, ich solle ihm etwas erzählen. »Er könne alles vergessen, wenn ich spräche.« Ich muß gestehen, daß ich dazu wenig aufgelegt war und daß mir, wenn er einen Augenblick schwieg, die Augen unwillkürlich zusanken. Indessen war er so unruhig, daß ich zu einem wirklichen Schlafe nicht kommen konnte. Oefter warf er auch die Decke herab, daß ich sie aufheben mußte. Trinken wollte er diese Nacht nicht, obschon ich ihn öfter danach fragte. Auch Suppe bot ich ihm vergebens an. Gegen 1 Uhr schien wieder ein heftiger Schmerzensanfall aufzutreten. Er bezeichnete mir die Samenstranggegend als Sitz. Druck war ihm nirgends empfindlich. Auch verneinte er die Frage, ob der Schmerz sich über den Leib ausdehne. Er wollte Chinin nicht, weil es ihn nicht schlafen mache, und drang flehentlich in mich, ich möchte ihn chloroformiren. Ich that es nicht und ermahnte ihn zu Geduld und Muth. Wiederholt fragte er mich, wie viel Uhr es sei, die Nacht wolle nicht enden.

Um 2 Uhr 25 Minuten etwa ging ich wegen eines dringenden Bedürfnisses hinaus. »Aber kommen Sie gleich wieder!« bat er flehentlich. Nach höchstens fünf Minuten kehrte ich zurück. Als ich eintrat, stürzte er eben das auf seinem Nachttischchen stehende Glas Xeres hinunter. Ich fand die Bettdecke am Boden, hob sie auf und legte sie auf ihn. »Jetzt haben Sie den Wein doch getrunken, den Sie nicht mochten. Haben Sie Durst? Wollen Sie Wasser?« Das waren meine Fragen. Gleich nachdem er das halbe Glas Xeres ausgetrunken hatte, kehrte er sich auf die rechte Seite von mir ab, gegen die Wand, und sagte: »Jetzt kann ich schlafen!« Es war etwa 2½ Uhr 2 – 3 Minuten. Ich legte mich in meinen Lehnstuhl und schloß die Augen. Als er sich bald darauf unruhig umherwarf, fragte ich nochmals, ob er etwas wünsche. Es war ein Viertel vor 3 Uhr. Die Uhr stand mir gegenüber, von der Nachtlampe erleuchtet, und ich stellte eben Betrachtungen darüber an, daß ich in zwei bis drei Stunden überstanden haben würde, weil dann alles im Haus aufstand und ich abgelöst werden konnte. Da höre ich eine Bewegung und mit dem Ausdruck der höchsten Noth den abgebrochenen, durch die Zähne gesprochenen Ruf: »Mir wird es so eng, ich kann die rechte Seite nicht rühren!« Ich springe von meinem Lehnstuhl auf, will die Kissen aufrichten, sehe, daß er mit intensiv rothem Gesichte, verzogener Stirn, geschlossenem Kiefer, vordringendem Auge, den Kopf rückwärts ins Kissen gedrückt, die Muskeln gespannt, daliegt. Keine Zuckungen. Es war ein Moment. Ich rufe ihn an. Keine Antwort. Es war auch in demselben Augenblicke vollste Erschlaffung eingetreten. Wachsblässe trat an die Stelle der Röthe. Ich rufe in der furchtbarsten Bestürzung nach Frau, Knechten, Mägden. Ich selbst mache schnell einen Aderlaß am linken Arm. Blutwasser, kein Blut fließt. Ich senke die Acupunkturnadel in das Herz ein. Keine Regung, kein Lebenszeichen. Das auf die Herzgegend aufgelegte Ohr vernimmt nicht einmal das bekannte Muskelgeräusch. Währenddessen hat sich das Zimmer mit allen im Hause Anwesenden gefüllt. Herr Trümpy lag wie ein Schlafender da. Man sah es an der Leiche, daß der Tod ein blitzähnlicher gewesen war, daß kein Todeskampf vorausgegangen sein konnte. Alle riefen dies einstimmig aus: »Er schläft nur, er kann nicht todt sein!«

Demme entschuldigt in diesem zweiten Bericht vom 28. Febr. den ersten vom 17. Febr. mit seiner damaligen Ansicht von der Natürlichkeit des Todes und dem damit harmonirenden Leichenbefunde.

»In diesem Sinne und in der festen und ruhigen Ueberzeugung, daß es sich ja im äußersten Falle um einen Selbstmord handeln konnte, schrieb ich am Nachmittag des 17. Febr., ehe ich in meine Vorlesung ging, in größter Eile die Beantwortung der kurzen Anfrage des Herrn Regierungsstatthalters.«

Am Nachmittag des 16. Febr. war die von Demme unternommene Privatsection erfolgt, von deren Ergebnisse sowie von dem der am 18. Febr. stattgehabten gerichtlichen Section später die Rede sein wird. Am 25. Febr. vernahm Demme, wie er schreibt aus sicherer Quelle, daß die Chemiker in den ihnen überlieferten Eingeweiden Trümpy's Gift gefunden hätten – was für Gift, will er damals und bis zu Absendung seines zweiten Berichts nicht vernommen haben. Von diesem neugewonnenen Standpunkte aus betrachtet Demme jetzt die Vorkommnisse. Den Drohungen mit Selbstmord ist endlich, bei der Häufung von Reue, Zerfallenheit, Geschäftsunfällen, physischen Schmerzen und Muthlosigkeit, die Ausführung gefolgt. Anfangs wollte Trümpy sich erschießen, war aber theils zu unentschlossen dazu, theils fürchtete er die Offenkundigkeit eines solchen Todes. Darum entschloß er sich zur Vergiftung. Gift konnte er von seinen Speditionen her oder aus dem Orient mitgebracht haben. Unendlich viel scheine Trümpy daran gelegen gewesen zu sein, daß Demme in den beiden letzten Nächten bei ihm wache. Das bewiesen die dringenden Bitten und Nöthigungen sowie die überströmende Dankbarkeit, als die erste Nacht vorüber gewesen. Nun wirft Demme die allerdings sehr geforderte Frage auf, aus welchem Motiv Trümpy denn seine Anwesenheit so unabweislich begehrt habe. Er beantwortet diese Frage folgendermaßen: »Daß er den wirklich teuflischen Plan gehabt haben sollte, einen unschuldigen Menschen, der ihm so viele Dienste erwiesen, mit einem furchtbaren Verdachte zu belasten, das kann ich dem Todten nimmer zutrauen. War doch sein Benehmen gegen mich zu aufrichtig, sein Dankgefühl zu unmittelbar. Wenn er auch oft verschlagen und verlogen war, so halte ich ihn einer so feinen und consequent durchgeführten Verstellung für absolut unfähig. Ich habe vielmehr die Ueberzeugung, daß folgende psychologische Motive bei ihm wirkten:

a) er mochte wol die sichern Qualitäten seines Giftes kennen, aber doch nicht recht gewiß sein, ob dem Tode nicht ein längerer, schmerzhafter Kampf vorausgehe. Davor wollte er geschützt sein. Er erwartete von mir für einen solchen Fall Linderung seiner Leiden, Erleichterung seines Endes. Diese neue und natürliche Feigheit bleibt mir als Hauptmotiv stehen.

b) Vielleicht rechnete er auch darauf, ich werde zur Verheimlichung eines zweifelhaften Endes beitragen. Daß ich dies den Hinterlassenen zu Liebe gethan haben würde – das konnte er meinem Charakter schon zutrauen.

Offenbar hatte er schon den Plan, sich in der Nacht vom 14. zum 15. Febr. zu vergiften. Weshalb er ihn nicht ausführte, läßt sich verschieden erklären: Zaghaftigkeit, Unschlüssigkeit, er fühlte sich zu sehr durch mich bewacht oder auch zerstreut. Ich verließ ihn diese Nacht nicht. Er hatte offenbar ein erleichtertes glückliches Gefühl, als der Morgen anbrach. Daher das aufrichtige Dankgefühl gegen mich und der jetzt sehr leicht verständliche Ausspruch: »Wenn Sie nicht bei mir gewesen wären, so wäre ich gestorben.«

Offenbar steckte das fragliche Gift in dem halben Glase Xeres (wenn es solcher war), das er auf seinem Nachttisch bei meinem Eintritt stehen hatte. Er benutzte meine Abwesenheit aus dem Zimmer, um es zu leeren. Es war dies die einzige Flüssigkeit, welche er kurz vor seinem Tode zu sich nahm. Ich bemerke übrigens, daß ich das Glas am Morgen sah und daß einige weinartige Tropfen, aber kein Bodensatz irgendeiner Art in demselben bemerkbar war. Dasselbe sagte mir auch die alte Magd, welche später aufräumte und die Gläser wusch. Ich sah nirgends ein verdächtiges Gefäß, eine Papierkapsel, und glaube, daß der Trank schon längst zubereitet und vielleicht in ähnlicher Weise zögernd aufbewahrt wurde wie seinerzeit die Pistole.«

Am 4. März, nachdem der Artikel im Intelligenzblatt erschienen war, beschwerte sich Demme über dessen Inhalt gegen den ihm befreundeten Buchdruckereibesitzer Herrn Haller jun., den Sohn des Redacteurs. Bei dieser Gelegenheit erzählte er den Hergang in der Nacht vom 15. zum 16. Febr. ebenso, wie er ihn ein paar Tage vorher dem Regierungsstatthalter geschildert hatte. Er fügte hinzu, er könne es dem Trümpy nie vergessen, daß dieser nichts Schriftliches hinterlassen und darin erklärt habe, nicht ein anderer habe Hand an ihn gelegt, sondern er an sich selbst.

Bei dieser Schilderung ist Demme auch in der Voruntersuchung und in der Hauptverhandlung fast bis auf das Wort getreu stehen geblieben. Auch an der Zeitangabe zwischen Austrinken des Glases und Todeseintritt sowie an der Schilderung des Todesbildes ändert Demme nicht das Geringste, obwol er nunmehr weiß, welches Gift von den Chemikern gefunden worden ist und daß die Wahrnehmungen, welche er angibt, sehr wenig mit den furchtbaren Erscheinungen übereinstimmen, welche die Aerzte als charakteristische Symptome der Strychninvergiftuug anzunehmen gewohnt sind.

Hält man den ersten Demme'schen Bericht an den Regierungsstatthalter mit dem zweiten und den spätern Angaben zusammen, so kommt man zu der Ueberzeugung, daß Demme dort manche Umstände geflissentlich verschwiegen hat, um Trumpys Ruf zu schonen, vielleicht auch um einen wissenschaftlichen Irrthum und einen Selbstmord zu verbergen, daß aber der Umstand mit dem verstohlenen Austrinken des Glases schwerlich ersonnen ist, um ein eigenes Verbrechen zu verdecken. Dazu würde er schulmäßig richtiger eingefügt und von viel drastischern Momenten des Todeskampfes begleitet worden sein.

Am Morgen des 16. Febr., als der Familienrath versammelt war, warf Demme die Frage auf, ob Trümpy sein Leben bei einer Bank versichert gehabt habe oder nicht. Im erstern Falle würde er eine amtliche Section des Leichnams für geboten achten, im andern aber eine Privatsection genügen.

Die Frage konnte ihm von den Anwesenden nicht mit Bestimmtheit beantwortet werden. Darum beschloß man, auf dem Stadtcomptoir sich aus den Büchern zu überzeugen. Demme selbst wollte sich dahin mit begeben und, je nach dem Resultat, seine Anordnungen für die Section treffen. Dabei übernahm er auch die Bestellung des Sarges. Zugleich war die Ausfertigung von Todtenscheinen nothwendig, des einen für das Pfarramt Köniz, wozu Wabern gehört, des andern, um damit die Bewilligung für die Beerdigung Trümpy's auf dem Friedhofe Monbijou in Bern zu erlangen.

Demme fertigte auch diese Todtenscheine aus und zwar den einen (für Köntz), wie er selbst zugibt, vor der Section. Er bekundet in beiden, daß Trümpy an Hirn-Rückenmarksapoplexie gestorben sei.

Für den Fall, daß Trümpy sein Leben nicht versichert habe, erklärte Demme, es werde die Section nur unter Beistand Bollinger's, des bewährtesten Wärters in Professor Demme's (des Vaters) Spital, vornehmen. Frau Trümpy hat gefragt, ob es nicht besser sei, dann einen zweiten Arzt zuzuziehen, Demme jedoch geantwortet, Bollinger sei darin so erfahren wie ein Arzt und verschwiegener. Man war übrigens allgemein mit Vornahme einer Section einverstanden.

Die Nachforschungen im Comptoir ergaben, daß Trümpy sein Leben nicht versichert hatte.

Der Spitalwärter Bollinger wurde auf nachmittags 3 Uhr nach Wabern bestellt. Demme war nach 2 Uhr wieder draußen und speiste mit der Familie und den Angestellten. Dort wurden bereits die Gerüchte besprochen, welche in Bern über den plötzlichen Todesfall umgingen. Trümpy sollte sich erhängt oder erschossen haben. Demme ließ sich jedoch auch dadurch nicht von seinem Vorsatze abbringen, die Privatsection vorzunehmen. Er behauptet, damals von dem Vorhandensein eines Schlagflusses fest überzeugt gewesen zu sein.

Um 3 Uhr schritt er zur Section. Wir fügen dasjenige hier ein, was Demme in seinem ausführlichern zweiten Berichte vom 28. Febr. 1864 an den Regierungsstatthalter sagt:

»Nach der aus der Beobachtung des Todesbildes in mir befestigten Ansicht mußte ich blos Gewicht auf die Schädelhöhle legen. Von seiten keines andern Organs hatte sich ein auffallendes Sympton kundgegeben. Ich schritt sogleich zu der Schädeleröffnung. Schon unter der Kopfschwarte fiel der beträchtliche Füllungszustand der Venen und eine ausgedehnte Röthung des über dem Perikranium gelegenen Zellgewebes auf (Leichenstase). Das Schädeldach war sehr schwer zu entfernen, weil es mit der dura mater fest und ausgedehnt verwachsen war. (Ich schob dies wol mit Recht auf die häufig stattgefundenen Alkoholhyperämien. Auch litt der Verstorbene in früherer Zeit an anhaltenden und heftigen Kopfschmerzen.) Die Diploe des Schädeldaches bot, gegen das Licht gehalten, gleichfalls eine ausgebreitete Venenüberfüllung. Die Meningealgefäße stark injicirt. Im Bereiche des Kleinen Gehirns findet sich ein intrameningealer Bluterguß. Das Gehirn wohlgebildet, schwellend, stark durchfeuchtet (Leichenerscheinung). Die Gyri stellenweise sehr abgeplattet. Nach der Exenteration des Gehirns zeigt sich ein freier, nur stellenweise intrameningeal geronnener, größtentheils flüssiger Bluterguß von wenigstens sechs bis acht Unzen, welcher vorzüglich das Verlängerte Mark und das Kleine Gehirn umspielt. Bei der Entfernung des Verlängerten Markes stießen noch weitere beträchtliche Quantitäten eines dunkeln, flüssigen Blutes nach dem Foramen magnum aus, sodaß kaum eine Möglichkeit bestand, dasselbe behufs des Wiederschlusses der Schädelhöhle mit Schwämmen genügend zu entfernen. Zu diesem Behufe senkten wir die Leiche nach dem Kopfende, wobei sich der Blutabfluß in verstärkter Weise fortsetzte. Was das Gehirn selbst betrifft, so waren seine Gefäße keineswegs stark gefüllt. Capilläre Apoplexien in die Nervensubstanz und die Meningen eingestreut. Die Nervenmasse resistent, auf dem Durchschnitte glänzend, leicht ödematös (Leichenerscheinung).

Dieser Befund stimmte in schlagender Weise mit der Beobachtung des Todesbildes überein. Wie ich dieses mit dem obenerwähnten Falle (sc. eine Frau war im Januar im Inselspital ganz unvermuthet und rasch an einem Schlagflusse gestorben) verglichen hatte, so rief jetzt Bollinger, welcher mir damals bei der Section gleichfalls behülflich war, unwillkürlich aus: Genau so war der Leichenbefund in jenem Falle bei der Frau auf Nr. 7!« (Gollinger hat dies alles bei seiner Vernehmung bestätigt.)

Demme fügt hinzu, der Befund habe ihn wissenschaftlich so sehr befriedigt, daß er deshalb von einer Oeffnung der übrigen Cavitäten abgesehen habe. Merkwürdig ist ihm nur noch die Schlaffheit und Gelenkigkeit der Glieder sowie die bereits weit vorgeschrittene Fäulniß (Todtenflecken und Zersetzungsblasen an der ganzen Rückseite des Körpers und an den Bauchdecken) gewesen.

Hatte diese Privatsection ohne Zuziehung eines andern Arztes etwas Auffälliges und, nach den spätern Entdeckungen, sehr Verdachterregendes, zumal da Demme bereits von den Selbstmordgerüchten gehört hatte, so drängt sie uns doch auch eine Erwägung von höchster Wichtigkeit zu Gunsten des Angeklagten auf, von der es uns wundernimmt, daß sie von keiner Seite während der Hauptverhandlung angestellt worden ist. Wenn Demme damals wußte, daß Trümpy sich selbst vergiftet habe und dies verbergen wollte, oder wenn er gar selbst der Mörder war, warum begnügte er sich dann mit der Oeffnung der Schädelhöhle? Warum öffnete er nicht vor allen Dingen die Bauchhöhle und beseitigte den Inhalt des Magens und der Eingeweide? Warum entleerte er nicht die Leber so viel als möglich ihres Blutgehalts? Niemand hätte ihn daran gehindert, er war mit Bollinger allein, dieser gehorchte nur seinen Befehlen, konnte sogar hinausgeschickt werden. Hätte Demme sich einer Vergiftung schuldig gefühlt, so hätte er gewiß die Gelegenheit benutzt, dasjenige beiseitezuschaffen, woraus die Chemie den Giftstoff am sichersten herstellen konnte. Da eine solche Unterlassung bei einem Manne von Demme's Kenntnissen und Scharfsinn undenkbar ist, erscheint der Rückschluß so natürlich als gerechtfertigt, daß er wenigstens von einer Vergiftung Trümpy's nicht überzeugt war, und seine Behauptung, er habe anfangs an einen allerdings ungewöhnlichen Schlagfluß geglaubt und, nur im Interesse seiner Wissenschaft, lediglich die Oeffnung der Schädelhöhle vorgenommen, nicht mehr auffällig und unwahrscheinlich.

Am Nachmittage des 16. Febr. war die Privatsection vorgenommen worden, am Morgen des 18. Febr. folgte die gerichtliche Section, welcher beizuwohnen Demme von dem Regierungsstatthalter eingeladen wurde. Bei dieser Ankündigung zeigte er Bestürzung und fragte, ob man seinem Berichte keinen Glauben schenke? Man erwiderte ihm, die Section solle nur geschehen, um die schlimmen Gerüchte, welche umgingen, im Interesse der Trümpy'schen wie der Demme'schen Familie zu widerlegen. Demme begab sich mit den Gerichts- und Physikatspersonen nach Wabern.

Aus dem Sectionsprotokoll ist zu bemerken, daß dadurch dasjenige bestätigt wird, was Demme in seinem Berichte über die Schädelhöhle gesagt hatte, mit Ausnahme einer später zu würdigenden Differenz zwischen Bluterguß und Blutüberfüllung der Gefäße. Ueber die andern Cavitäten lautet der Befund folgendermaßen:

»Die Lungen auf beiden Seiten mit der Thoraxwand verwachsen, von etwas reducirtem Volumen, an einzelner Stellen emphysematös aufgetrieben, hypostatisch in den untern, hintern Partien, im übrigen blutreich. Im Herzbeutel etwas blutig seröse Flüssigkeit. Das Herz von normaler Größe, mit Fettmassen bedeckt, schlaff. Der rechte Vorhof weit, der linke klein. Die Venen des Herzens injicirt, im rechten Herz flüssig dunkles Blut, das linke leer, die Klappen normal. Der Magen von Luft sehr ausgedehnt, eben so die dicken Gedärme, in geringerm Grade die dünnen; sämmtliche Theile leicht hyperämisch. Gallenblase mäßig mit gelblicher Galle angefüllt. Leber nicht groß, normal, blutreich. Milz verhältnißmäßig größer, sehr blutreich. Harnblase etwa ½ Schoppen saturirten Harn enthaltend. Die Nieren von bedeutender Fettmasse eingehüllt, leicht vergrößert, sehr schlaff, in hohem Grade hyperämisch, namentlich die rechte. Nach Eröffnung des Magens und Austritt der Gase fällt derselbe zusammen und enthält eine sehr geringe Menge einer der Schleimhaut anhängenden, breiartigen, schiefergrauen Masse, ohne einen auffälligen Geruch und ohne irgendwelche erkennbare Speisereste. Die Schleimhaut unverändert, mit Ausnahme des uncus ventriculi, woselbst sich einige röthliche Stellen befinden, die als kleine Blutextravasate in der Schleimhaut angesehen werden können. Die Schleimhaut der dünnen wie der dicken Gedärme bot nichts Abnormes, erstere enthielten wenige gelbliche, schleimige Flüssigkeit, letztere eine den Wandungen anliegende breiartige, bräunliche Masse.«

Magen, Dünn- und Dickdarm wurden in besondere Gefäße gethan und den Chemikern übergeben.

Das ist dasjenige, was bei der Section gethan worden ist. Der Angeklagte Demme hat später die Section eine leichtfertige genannt. Sein Verhältnis zu dem einen Gerichtsarzt, Professor Emmert, schon früher durch wissenschaftlichen Ehrgeiz etwas gespannt, hat sich allerdings während der Untersuchung zu einem gereizten verschärft. Professor Emmert wirft Demme nicht ohne Grund vor, warum er denn seine Ansichten und Forderungen nicht während der Section geltend gemacht habe, da er ja nicht wie ein Verdächtiger, sondern wie ein College behandelt und immer um seine Beistimmung befragt worden sei. Demme ist jedoch damals mit keiner Einwendung hervorgetreten. Für die Oeeffnung der Unterleibshöhle und des Magens, deren Nothwendigkeit durch die Frage eines der Untersuchungsbeamten angezweifelt wurde, ist er allerdings sofort eingetreten. Das verstand sich freilich von selbst. Die Gerichtsärzte geben zu, daß sie manches Erhebliche unterlassen haben, weil sie von vornherein zu arglos gewesen und weil man ihnen, nachdem sie die oben mitgetheilten Erhebungen gemacht, gemeldet habe, der Leichenwagen und Leichenconduct warteten bereits. Nicht untersucht worden sind die syphilitischen Geschwüre (erst später hat deswegen eine Wiederausgrabung stattgefunden, aber zu keinem Resultat geführt), die Speiseröhre, die Rückenmarkshöhle, nicht herausgenommen und zur chemischen Prüfung abgegeben worden sind Leber und Blut.

Auf die chemische Untersuchung haben jedoch diese Unterlassungen insofern keinen nachtheiligen Einfluß geübt, als es ihr gelungen ist, aus dem ihr übergebenen Material sowol durch physiologische Experimente die Anwesenheit von Strychnin nachzuweisen, als auch das Alkaloid selbst und zwar in der verhältnismäßig enormen Menge von ungefähr zehn Gran darzustellen. Schon ein halbes Gran kann zur Tödtung eines Menschen hinreichen. Die Verbreitung des Giftes beschränkte sich jedoch auf den Magen und das obere Ende des Dünndarms. Arsenik und metallische Gifte waren entschieden nicht vorhanden, auch weder von Chloroform noch Morphium, Chinin und andern Arzneistoffen eine Spur zu finden.

Ohne den Weg mit zu verfolgen, auf welchem die Chemiker zu ihrem zweifellosen Resultat durch die Analyse gelangt sind und der von keiner Seite angefochten worden ist, obwol die schärfste Nachprüfung von sehr bedeutenden Fachmännern stattgefunden hat, heben wir nur das höchst anschauliche physiologische Experiment hervor.

Von der aus dem Magen gewonnenen Flüssigkeit wurden einem kräftigen lebenden Frosche 2 Tropfen in eine Hautwunde geträufelt. »Nach 5 Minuten verfiel das Thierchen in die heftigsten Manischen Streckungen, welche sich nach kurzen Pausen immer wiederholten, besonders nach Erschütterung des Tisches immer mit erneuter Heftigkeit wieder eintraten. Noch nach 5 Stunden konnte das regungslos in größter Streckung daliegende Thier durch ähnliche Stöße oder die leiseste Berührung einer Zehe in diese Reflexkrämpfe versetzt werden; nach dieser Zeit trat der Tod ein.«

Ein charakteristischer Zug im Benehmen Demme's ist hier einzuschalten. Am 22. Febr. hatten die Chemiker ein Alkaloid gefunden, ohne es jedoch schon klassifiziren zu können. Die Nachricht, daß Gift gefunden worden sei, wurde nicht so geheimgehalten, daß nicht ein Gerücht in das Publikum gedrungen und auch zu Demme's Kenntniß gekommen wäre. Er begegnete dem Staatsanwalt und fragte diesen: »Wenn Gift gefunden würde, würden Sie mich dann verhaften lassen?« Der Staatsanwalt gab eine ausweichende Antwort. Nunmehr verfaßte Demme seinen zweiten Bericht an den Regierungsstatthalter, in welchem er den ersten zu entschuldigen sucht und den Selbstmord Trümpy's behauptet.

Nunmehr griff er auch zu den Vertheidigungsmitteln, welche wir zum Theil schon kennen gelernt haben. Namentlich betrieb er jetzt die Verlobung mit Flora.

Als fernere wichtige Resultate der chemischen Expertise, welche durch die Fragen in der Hauptverhandlung gewonnen sind, stellen wir noch folgende hier zusammen.

Da die genaueste mikroskopische Untersuchung des Magens durchaus keine krystallinischen Giftkörper gefunden hat, ist mit Gewißheit anzunehmer, daß das Strychnin in vollkommen aufgelöster Form bereits in den Körper gebracht worden ist. Von nux vomica, dem organischen Stoffe, aus welchem das Alkaloid gewonnen wird, war keine Spur zu entdecken.

In den bereits todten Körper kann das Gift nicht gebracht worden sein, denn es hatte sich schon mit dem dicken zähen Schleim verbunden, welcher die Magenwände überzog und so fest saß, daß er nicht abgespült werden konnte, sondern abgeschabt werden mußte. Außerdem war es auch schon aus dem Magen bis in das obere Ende des Dünndarms vorgeschoben worden.

Das Alkaloid kommt regelmäßig in salpetersaurer Form in den Verkehr der Apotheken. Solches Strychnin würde sich in nicht zu langer Zeit in Wasser oder Wein vollständig auflösen, zumal wenn es gepulvert in die Flüssigkeit käme, die letztere einen höhern Temperaturgrad hätte und öfter geschüttelt würde; 10 Gran salpetersaures Strychnin können sich in einem halben Glase südlichen Weines (Xeres) etwa in einer Viertelstunde auflösen.

Eine kleine Dosis Chinin, wie sie von Aerzten in ähnlichen Fällen gegeben zu werden pflegt, kann in der Zeit vom Abend des einen Tags bis gegen 3 Uhr morgens am andern Tage so vollständig vom Magen absorbirt werden, daß die später erfolgende chemische Prüfung des Magens keine Spur mehr davon entdeckt.

Chinin ist bitter, hinterläßt aber keinen Nachgeschmack auf der Zunge. Strychnin hingegen ist furchtbar bitter. Selbst wenn man einen Theil davon in hunterttausend Theilen Wassers auflöst, ist jeder einzelne der Gesundheit noch nicht nachtheilige Tropfen dieser Lösung noch von außerordentlicher Bitterkeit und hinterläßt einen der Wirkung des Kupfervitriols ähnlichen, metallischen Nachgeschmack auf der Zunge.

Die auffällige Leere des Magens, welche bei Trümpy gefunden wurde, kann zwar durch häufiges Erbrechen entstanden sein, ebenso wol aber durch eine mehrtägige Enthaltung von Speise, verbunden mit dem Genüsse großer Weinquantitäten, und der Zustand des Magens Trümpy's entspricht sehr wohl der Beschreibung der Lebensweise Trümpy's in den letzten Tagen, daß er nämlich vom Samstag an gefastet und täglich mehrere Flaschen Xeres und Rothwein zu sich genommen hat.

Dieses war der Haupttheil des Materials, das den Gerichtsärzten für ihr Gutachten vorlag oder doch zugänglich war. Sie kamen zu dem Schlüsse, daß Trümpy an den Folgen einer Vergiftung gestorben, daß diese Vergiftung durch Strychnin bewirkt worden, daß der Tod suffocatorisch-apoplektisch, sehr wahrscheinlich in einem tetanischen Anfalle, erfolgt sei.

Weiter wurde aber den Gerichtsärzten die bedenkliche Frage vorgelegt, ob der Vergiftungstod des Herrn K. Trümpy zufällig, durch eigene oder fremde Schuld, erfolgt sei? Daß die Gerichtsärzte zu Beantwortung dieser Frage über die Sphäre ihrer Wissenschaft hinausgehen und in das Bereich der richterlichen Beurtheilung eingreifen mußten, war ihnen klar, dennoch glaubten sie, diese Beantwortung nicht ablehnen zu dürfen. Sie schlossen zunächst die zufällige Vergiftung durch Getränke oder Nahrungsmittel, durch technische Beschäftigung oder Verwechselung von Arzneimitteln aus, weil es in den Acten an jedem Anhaltepunkte hierfür fehle. Die Gerichtsärzte glaubten ferner, auch keinen Selbstmord annehmen zu dürfen, weil

1) in dem Charakter des Herrn Trümpy keine psychologische Disposition und daher auch kein erklärendes Moment für eine während zweier Nächte hindurch versuchte Selbstvergiftung zu finden sei;

2) weil auch das Benehmen des Herrn Trümpy in den letzten Tagen seines Lebens weder für einen Selbstmord überhaupt noch für eine Selbstvergiftung im besondern spreche;

3) weil Herr Trümpy nie von Selbstvergiften, sondern nur von Erschießen gesprochen, und zwar unter Umständen, unter welchen es nicht Ernst damit gewesen sein könne;

4) weil niemals jemand irgendein Gift bei Herrn Trümpy gesehen oder bemerkt habe;

5) weil man bei der Untersuchung seines Zimmers und seines Secretärs keine Spur von Gift oder irgendeinen Gegenstand gefunden, in welchem das Gift hätte aufbewahrt sein können;

6) weil der deprimirte Gemüthszustand des Herrn Trümpy in den letzten Wochen seines Lebens sich natürlich und erfahrungsgemäß mit seinen syphilitischen Leiden erklären lasse;

7) weil endlich auch die Beschaffenheit des Giftes, den bekannten Erfahrungen zufolge, nicht für eine Selbstvergiftung spreche.

Nachdem die Gerichtsärzte zu diesem folgenschweren Resultat gekommen sind, gehen sie an die Beantwortung der dritten Frage: »ob fremde Schuld?«, schon unter dem Zwange logischer Consequenz. Sie müssen ihr unausbleibliches Ja rechtfertigen.

Sie finden das, was Demme als Grund seiner beiden Nachtwachen angegeben hat, ganz unglaubhaft, darum wären noch andere Gründe zu vermuthen. Sie muthmaßen aus einzelnen Krankheitserscheinungen schon in der Nacht vom 14. zum 15. Febr. auf die Möglichkeit einer endermatischen (in die Wunde des Bubo) gebrachten, leichten Vergiftung (die sich, wie wir wissen, nicht bestätigt hat), sie kritisiren die medicamentale Behandlung mit Chininpulvern und Chloroform als ungewöhnlich und weisen auf den gleichbittern Geschmack des Chinins und Strychnins hin, sie legen es Demme zur Last, daß er das Weintrinken Trümpy's zugelassen habe. Natürlich legen sie ein Hauptgewicht auf den Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Berichte Demme's, obwol sie eigentlich nur einen einzigen erheblichen Widerspruch darzuthun vermögen, daß nämlich Demme im ersten Berichte sagt: »leichtes Zucken der untern Extremitäten«, im zweiten dagegen: »keine Zuckungen«. Ferner halten sie es für sehr unwahrscheinlich, daß der Tod in der vom Arzte beschriebenen Weise erfolgt sei, nämlich fast plötzlich, ohne Vorausgang von Muskelspannungen oder Zuckungen, mit Eintritt einer halbseitigen Lähmung, denn etwas Aehnliches sei beim Menschen in glaubwürdiger Weise noch nicht beobachtet worden. In allen ihnen bekannt gewordenen Fällen gingen dem Tode stets kürzere oder längere Zeit die sogenannten tetanischen Zufälle, Muskelspannungen und Zuckungen, meistens ausgebreitet, zuweilen auch nur auf einzelne Muskelgruppen beschränkt, vorher, durch welche sich die tetanische Vergiftung auszeichne. Auch bei Strychninvergiftungen mit 40 Gran sei der Tod erst nach 1½ Stunden, nach vier der heftigsten tetanischen Anfälle, eingetreten. Wenn Herr Trümpy das Gift um 2 Uhr 30 Minuten genommen hätte, könnte er nicht fast noch eine halbe Stunde gelebt haben, ohne daß eine tetanische Erscheinung sich eingestellt hätte, bei der Schnelligkeit, mit welcher Strychnin absorbirt wird, zumal von einem leeren Magen. Die Gerichtsärzte nehmen ferner an und finden darin ein sehr belastendes Moment, daß Demme, erst als Trümpy's Tod eingetreten und als er bereits einen Aderlaß sowie die Acupunktur des Herzens vorgenommen, ja nachdem er wol gar den Leichnam zuvor noch in eine geordnete Lage gebracht, die Angehörigen herbeigerufen, (Wir wissen bereits, daß sich diese Thatumstände ganz anders verhalten haben.) Als fernere Belastungsmomente erscheinen den Gerichtsärzten, daß Demme bereits vier Stunden nach Trümpy's Tode den Sarg bestellt habe, weil die Leiche schon »stinke«, was nicht der Fall gewesen sein könne, und daß er eine Privatsection nur mit Hülfe eines Krankenwärters im Spital seines Vaters vorgenommen habe.

Danach gelangen die Gerichtsärzte zu folgenden Schlüssen:

a) Im Falle der Beteiligung einer fremden Hand an der Vergiftung kann, der Wirkung des Giftes nach, welches bei einer vergiftenden Gabe in 2 - 3 Stunden weitaus in der Mehrzahl der Fälle tödtet, zunächst nur an diejenigen Personen gedacht werden, welche bei Herrn Trümpy in den letzten Stunden seines Lebens waren.

b) Die Anwesenheit des Arztes bei Herrn Trümpy an seinem Bette während der zwei letzten Nächte seines Lebens war durch die Krankheitsverhältnisse desselben nicht ausreichend begründet.

c) Die arzneiliche und diätetische Behandlung des Herrn Trümpy in den letzten Tagen seines Lebens standen miteinander in entschiedenem Widerspruche, die diätetische war eine in jeder Beziehung dem Zustande des Herrn Trümpy nicht entsprechende, und bezüglich der arzneilichen bestehen Zweifel, ob Herr Trümpy die seinem Zustande angemessenen Arzneimittel erhalten hat.

d) Die von dem bei der Vergiftung anwesend gewesenen Arzte gegebene Schilderung desselben enthält so viele unwahrscheinliche, unglaubwürdige, auch widersprechende und mit der medicinischen Erfahrung nicht in Einklang zu bringende Angaben, daß wir dieselben unmöglich als wahr und richtig ansehen können.

e) Das Benehmen des bei der Vergiftung anwesend gewesenen Arztes während und nach derselben war ein so ungewöhnliches und auffallendes, daß es mit seiner damaligen Annahme eines natürlichen Todes sich nicht erklären läßt.

Die Gerichtsärzte summiren:

»Daß allerdings vom gerichtlich-medicinischen Standpunkte aus Gründe vorliegen, welche für die Betheiligung einer fremden Hand an der Vergiftung sprechen, denn

1) ist an eine zufällige Vergiftung nicht zu denken;

2) können wir zur Annahme einer Selbstvergiftung nicht ausreichende Gründe finden;

3) können wir uns die bei der Vergiftung durch fremde Schuld angeführten Umstände, nämlich Nr. b, c, d und e, ganz besonders die unter Nr. d und e angegebenen auf eine vernünftige oder irgend glaubwürdige Weise nicht erklären ohne Annahme der Betheiligung einer fremden Hand an der Vergiftung.

So nach Wissen und Gewissen.

Bern, 8. Mai 1864.
(Gez.) Professor Dr. C. Emmert.
(Gez.) Dr. Fr. Küpfer.«

Die Aussagen der Zeugen und der Angeschuldigten lieferten alfo den Gerichtsärzten zum großen Theil die Vordersätze ihrer Schlußfolgerungen. Wie ungesichtet liegt jedoch dies Material der Voruntersuchung, auch der bestgeführten, in den Acten! Es sichten, ans dem aufgehäuften Bedeutungslosen hervorziehen und in Zusammenhang bringen, Widersprüche aufklären, Wahrheit von Irrthum und Lüge sondern, überall die skeptische, juristische Kritik üben, ist zunächst, nach Schluß der Voruntersuchung, die schwierige Aufgabe der Staatsanwaltschaft und des Gerichts, der Gewinn aber dessenungeachtet ein sehr schlackenhaltiges Erz, das noch in den Hohofen der öffentlich-mündlichen Verhandlung gebracht werden muß. Wie viel Neues tritt da hinzu, wie verändert und verwandelt sich oft noch das, was man als sicherstes Resultat der Voruntersuchung annahm, wie verbleicht und verschwindet oft das frühere Gesammtbild, und welch ungeahntes, gänzlich verschiedenes tritt an seiner Stelle hervor!

Diese allgemeine Erfahrung, die jeder zugeben wird, hat ihre Gültigkeit auch in unserm Falle bewährt, wie wir zum Theil schon gesehen haben und zum Theil noch erkennen werden, und ganz andere Fundamente zu Tage gefördert, als worauf die Gerichtsärzte ihre Schlußfolgerungen gestützt haben.

Schon das Sanitätscollegium des Cantons Bern, dessen oberer Instanz das Gutachten der Gerichtsärzte unterbreitet wurde, geht bei weitem vorsichtiger zu Werke. Darin, daß eine Strychninvergiftung anzunehmen und eine zufällige Ursache zu verwerfen sei, schließt es sich zwar dem ersten Gutachten an, hingegen gehen ihm sehr gewichtige Zweifel gegen den unbedingten Ausschluß des Selbstmordes bei. Es findet im Magen und Gehirn, wie in den notorischen Lebensumständen Anhaltspunkte für die Annahme der habituellen Trunksucht Trümpy's und weist auf die unter solchen Vorkommnissen gewöhnlichen Alkoholdelirien hin. »Freilich wissen wir, daß Trümpy ein lebensfroher, lebenslustiger Mann unter frohen, lustigen Brüdern gewesen ist. Es handelt sich aber hier um etwas anderes, nämlich um den inneren Seelenfrieden dieses Mannes oder um den moralischen Zwiespalt seines Ichs, der ihn zur Selbstvernichtung treiben konnte. Was finden wir in dieser Beziehung? das Bild eines Trinkers, eines Ehebrechers, eines jähzornigen, aufbrausenden Wüstlings, der seiner Gattin schon vor längerer Zeit ein Auge ausgeschlagen hatte und selbst dann sie noch schlug und sich betrank, als er auf dem Krankenbette lag, der endlich, namentlich in letzter Zeit, oft mit Selbstmord drohte. Alle diese Eigenschaften führten um so mehr zu einem innern Zwiespalt in Trümpy's Seele, als er zwischendurch wieder ein gutmüthiges Wesen hatte und selbst noch, als er mit Todesgedanken rang, mit weichem Herzen gute Vorsätze in sich aufkommen ließ, deren Nichthalten ihn dann ohne Zweifel immer tiefer beugen mußte. In welch inniger Wechselbeziehung ein solches Leben nicht selten zum Selbstmord steht, darüber gibt jede gerichtliche Psychologie hinlänglichen Aufschluß, und Hofbauer, in seiner gekrönten Abhandlung über die Ursachen des Selbstmords, beweist, daß das leicht erregbare und schnell wechselnde Temperament der ›Brauseköpfe‹ unglückliche äußere und Familienverhältnisse, Ausschweifungen im Trunk und in der Liebe, Actienschwindel u.s.w. dem Selbstmord Vorschub leisten. Wie genau passen solche Angaben auf den vorliegenden Fall!«

Gegen die Gerichtsärzte, welche aus dem Umstände, daß Trümpy stets jemand bei sich haben und unterhalten sein wollte, namentlich den Arzt in den zwei letzten Nächten, den Schluß ziehen, daß Trümpy gar nicht die Absicht der unbemerkten Selbstvergiftung gehabt haben könne, bemerkt das Sanitätscollegium äußerst treffend: »Wir wären auf ganz falschen Wegen, wenn wir an das Thun und Lassen eines Menschen, der den fürchterlichen, abnormen Gedanken der Vernichtung seiner selbst in sich bewegt, den Maßstab des Alltagslebens und gewöhnlicher Verhältnisse anlegen wollten. Wie viele Factoren bewegen in den letzten Zeiten eines Selbstmörders dessen Seele! Einerseits halten ihn die natürlichen Fäden der eingewurzelten Liebe zum Leben, der angeborenen Furcht am Dasein fest, während andererseits die Verzweiflung, die Verachtung seiner selbst, eine trostlos sich vor ihm entfaltende Zukunft, selbstverschuldete Krankheiten ihn den finstern Mächten eines unnatürlichen Todes unwiderstehlich entgegenführen. Wer kann sich bei den Seelenqualen, an denen Trümpy laut den Acten zeitweise litt, ein schwankendes, furchtsames, unschlüssiges Gebaren, ein räthselhaftes Betragen, eine zeitweise weiche Abschiedsstimmung nicht erklären? Kann man, wie die Herren Experten, mit Gewißheit in Abrede stellen, daß ein solcher Mensch, von sich selbst verlassen, ja in unruhiger Furcht vor sich selbst und der That, die er in sich bewegt, einen Dritten und zwar den Hausfreund und Arzt bitten werde, die Nacht über bei ihm zu bleiben, auch ohne daß das körperliche Leiden ihn dazu zwingt?«

In ebenso treffender Weise widerlegt das Sanitätscollegium, durch psychologische Gründe wie durch beglaubigte Beispiele, die fernern Behauptungen der Experten gegen den Selbstmord: daß jemand sich nicht am Tage vorher noch rasiren lasse, der seinem Leben ein Ende machen wolle, daß er sich nicht vergifte, wenn er immer von Erschießen gesprochen habe, daß diejenigen, welche am häufigsten von Selbstmord sprechen, ihn am seltensten ausführen.

Ebenso kritisch verhält sich das Sanitätscollegium zu dem dritten Theile des Gutachtens der Gerichtsärzte, und bemüht sich dabei immer, die juristischen Beweisfragen aus dem Bereiche seiner Erwägungen zu lassen.

Daß Demme auch ohne alle andern Gründe, als wegen der Bitten seines Freundes und künftigen Schwiegervaters, die Nachtwachen übernommen haben könne, ist nicht unwahrscheinlich.

Mehrere Krankheitserscheinungen Trümpy's sind dem Collegium so räthselhaft wie den Experten, die Eröffnung des Bubo durch die bei weitem schmerzhaftere, für solche Fälle langst beseitigte Chlorzinkpaste sehr auffallend; daß Demme nicht energischen Einspruch gegen Trümpy's Völlerei gethan, verdiene ernsten Tadel. Hingegen findet das Collegium die Differenzen zwischen der Darstellung in den beiden Demme'schen Berichten zum Theil wenig erheblich und durch die Umstände des Falles gemildert.

Die wichtigste Frage: ob der Tod des Herrn Trümpy in der vom Arzte angegebenen Weise erfolgt sein könne? beantwortet das Collegium nach einer äußerst gründlichen wissenschaftlichen Prüfung, welche wir jedoch hier übergehen können, da die Hauptverhandlung zu theilweise abweichenden Resultaten geführt hat, dahin, daß das von Demme gegebene Vergiftungsbild in manchen wichtigen Punkten höchst wahrscheinlich von der Wahrheit erheblich abweiche, namentlich sei es höchst unwahrscheinlich, daß der Tod nach einem einzigen und dazu blos 1 - 2 Minuten währenden strychnotetanischen Anfalle eingetreten sei. Es sei vielmehr nach den Sectionsresultaten anzunehmen, daß dem Tod entweder ein einziger, aber viel länger dauernder, oder aber, was viel wahrscheinlicher, mehrere solcher Anfälle vorausgegangen. Die Angaben Demme's hinsichtlich der zwischen den Häuten des Rückenmarks und Hirns und in der Substanz des letztern vorgefundenen Blutergüsse verdienten wenig Glauben.

Schlußfolgerungen.

1) Herr Trümpy ist an den Folgen einer Vergiftung durch Einnahme einer starken Gabe Strychnin gestorben.

2) Der Tod erfolgte suffocatorisch-apoplektisch, sehr wahrscheinlich in einem tetanischen Anfalle.

3) Der Gemüthszustand des Herrn Trümpy in den letzten Tagen vor seinem Tode muß als ein deprimirter bezeichnet werden, theils wegen seiner selbstverschuldeten Krankheit, theils wegen mislicher Geschäftsverhältnisse.

4) Die Angaben des Herrn Dr. Demme über die Vergiftungsgeschichte sind in mehreren Punkten sich widersprechend und unwahrscheinlich.

5) Das Benehmen des Herrn Dr. Demme als Arzt verdient ernsten Tadel.

6) Es liegt kein Grund für die Annahme einer Vergiftung durch Zufall vor.

7) Für eine Vergiftung durch eigene Hand können in den unter 3 genannten Verhältnissen ausreichende Motive gefunden werden.

8) Vom rein gerichtlich-medicinischen Standpunkte aus kann keine bestimmte Thatsache als Grund für die Annahme eines Todes durch fremde Hand geltend gemacht werden. Außerhalb dieses Gebiets liegende Gründe hat das Sanitätscollegium nicht in Betracht zu ziehen.

Der Präsident: (Gez.) Dr. Bourgeois.
Der Secretär: (Gez.) Dr. Ziegler.

Prüfen wir nun weiter, von unserm Standpunkte aus, die Gesammtergebnisse der Untersuchung, wie sie durch die Hauptverhandlung festgestellt, berichtigt oder ergänzt worden sind.

I. Der Vorwurf, welchen die Gerichtsärzte dem Dr. Demme gemacht haben, daß er dem unmäßigen Weintrinken Trümpy's nicht gesteuert habe, ist vom ärztlichen Standpunkte aus gewiß gerechtfertigt. Bei der Constitution Trümpy's und bei seiner Krankheit war eine solche Völlerei fast dem Versuche eines Selbstmords gleich. Trümpy hat, außer den enormen Quantitäten schweren Weins, auch Branntwein und Bier getrunken. Man könnte fast vermuthen, daß er seinen Tod dadurch habe herbeiführen wollen, fast auch, daß Demme dies wenigstens nicht habe hindern wollen. Dennoch wissen wir, daß Demme sein ärztliches Verbot dagegen mehrmals erlassen hat. Es half jedoch nicht weiter, als daß Trümpy seine Trunkenheit vor dem Arzte zu verbergen suchte. Den Schlüssel zum Weinkeller führte die alte Anna Mürner, und sie versichert, sie hätte den Befehlen des Herrn nicht widerstehen dürfen, er wäre bei jedem Versuche der Art zu wüthend geworden.

II. Ein anscheinend geringfügiger Umstand ist leider nicht aufgeklärt worden. Demme will in der Nacht vom 15. zum 16. Febr. nur in das anstoßende Zimmer gegangen sein, um ein Bedürfniß zu befriedigen. Diese kurze Abwesenheit soll Trümpy benutzt haben, das halbe Glas Wein zu trinken. Das Nachtgeschirr in jener Stube ist aber am Morgen des 16. Febr., wie die Mürner und die Müller behaupten, leer gefunden worden. Freilich ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß Demme es nach dem Gebrauch entleert oder daß er, wie die Mürner von ihm vernommen haben will, sich auf den Abtritt begeben habe.

III. Ueber die Arzneimittel, welche er angewandt, sagt Demme, er habe dem Kranken am 11. oder 12. Febr. 3 Gran Morphium in ½ Unze Kirschlorberwasser, jedesmal 30 Tropfen zu nehmen, verordnet. Gegen die heftigen Schmerzanfälle der nächsten Tage habe dies nicht mehr geholfen. Während und nach der Operation, auch noch ein drittes mal, habe er Trümpy chloroformirt. Das Chloroform hat Demme selbst zur Hand gehabt, auch Frau Trümpy ist gegen ihre Nervenschmerzen im Besitze von solchem gewesen. Trümpy hat jedoch das Chloroform nicht mehr nehmen mögen, ein anderes Schlafmittel verlangt. Darum habe Demme am Abend des 15. Febr. Chinin in einer Schachtel mitgebracht und ihm zweimal, jedesmal eine Messerspitze in Wein oder Wasser eingerührt, gegeben, dabei aber bemerkt, es sei sehr bitter. Trümpy habe erwidert: »Das ist nicht das Bitterste, es gibt noch viel bitterere Sachen«, und auf die Frage danach hinzugefügt: »Es hat mir einer ein Pulver gegeben, das ist noch viel bitterer.« Lassen wir die Glaubwürdigkeit dieser Behauptung dahingestellt sein. Trümpy hat allerdings häufig mit Quacksalbern verkehrt und an sich selbst gedoctert, aber seine angebliche Erwiderung scheint einem ungeschickten Fabrikat zu ähnlich, das nicht nur über aus dritter Hand erhaltenes Strychnin quittiren, sondern zugleich auch ein vorläufiges Kosten des Geschmacks verrathen soll. Letzteres wäre wol in den Annalen des Selbstmords unerhört und 10 Gran Strychnin kann Trümpy nicht bereits zu jener Stunde (gegen 8 Uhr abends) eingenommen haben, sonst würde der Tod nicht erst gegen 3 Uhr erfolgt sein.

Frau Trümpy will gesehen haben, wie um jene Stunde Demme ihrem Manne ein Pulver in ein Glas gerührt mit den Worten: »Da, mein lieber Herr Trümpy, habe ich etwas recht Gutes.« Sie sei gerade im Hinausgehen begriffen gewesen.

Es ist Gegenstand vielfacher Erörterungen gewesen, woher Demme das Chinin bezogen habe, und seine Angaben (theils noch von Würzburg, theils aus der Kulver'schen Apotheke auf ein Recept pro me) sind nicht ohne Grund anzuzweifeln; allein daß Demme im Handverkauf Chinin nach dem Gewicht aus der Apotheke erhalten haben kann, ist weder zu widerlegen noch unglaubhaft. Auch bei einer Haussuchung hat sich Chinin in seiner Wohnung gefunden, aber kein einziger Giftstoff. Daß aber Demme nicht an jenem Abend zwischen 8 und 9 Uhr Trümpy 10 Gran Strychnin gereicht haben kann, erhellt daraus, daß Trümpy bis abends 11 Uhr, als wie lange Anna Mürner an seinem Bett sitzen blieb, kein Symptom von Vergiftung gezeigt hat, auch gegen 12 Uhr (Aussage der Anna Mürner) noch ruhig und am Leben gewesen ist. IV. Wir haben schon oben berichtet, daß es in den letzten Jahren mit Trümpy's Geschäft rückwärts gegangen ist und warum, daß er sich auf Wechselreiterei eingelassen, daß sein Credit schon sehr zweifelhaft geworden. Wie es aber eigentlich stand, wußte gegen Ende des Jahres 1863 vielleicht nur Alfons Bauer, nicht einmal Trümpy selbst ganz genau, denn Trümpy war nicht mehr der frühere, unermüdliche Arbeiter, er spürte den Rückgang, fürchtete, daß er sich mit ungewissen Leuten zu tief eingelassen hatte, kam unregelmäßig auf sein Comptoir, hatte die Lust am Geschäft verloren. Während er früher ein prompter Zahler gewesen war und oft recht prahlerisch mit Geld um sich geworfen hatte, hielt er seit dem December zurück, berichtigte selbst kleine und wiederholt gemahnte Schuldposten nicht, kargte gegen seine Frau und seine Leute in den notwendigsten Ausgaben, Selbst gegen seine Dienstboten klagte er über den schlechten Gang des Geschäfts und seine Sorgen, sagte, das Leben sei ihm verleidet, wenn er nur sterben könne, sprach davon, den Stock (das eine Wohnhaus in Wabern) verkaufen zu wollen. Er wandte sich, jedoch vergeblich, gegen Ende December an einen Freund mit der Bitte um eine Bürgschaftsleistung von 15.000 Frs.

Freilich wies ein zu Neujahr 1864 gefertigter Buchauszug noch ein Vermögen von 150.000 Frs. nach, doch dabei waren die Guthaben an Häuser mit eingerechnet, deren Fall in nächster Aussicht stand. Die Comptoiristen wenigstens ließen sich dadurch nicht täuschen, und an der Börse wurde Trümpy's Unterschrift nicht mehr mit dem frühern Vertrauen angenommen. Alfons Bauer unternahm es zu Weihnachten 1863, in einem Briefe, der ihm alle Ehre macht, seinem Oheim den trostlosen Stand der Sache klar darzulegen und ihn aufs treulichste und innigste zu beschwören, sich von den Schwindlern zurückzuziehen, da es jetzt hoffentlich noch Zeit dazu sein werde, und dadurch das Mistrauen zu beschwichtigen. Es war schon zu spät. Auch Frau Trümpy, welche wenigstens eine Ahnung von dem drohenden Ruin hatte, warnte ihren Mann und beschwor ihn, die Verbindung, namentlich mit Helbing, abzubrechen. Er versprach es ihr für den April, der Februar und März wären allerdings noch schwere Monate für ihn. Im Februar, März und April wurden 132.000 Frs. eigene Engagements fällig, außerdem 82.000 Frs. Retouren von scontirten Papieren, und dafür stand ihm nur Deckung von etwa 12000 Frs. an Waaren zu Gebote. Die vorausgesagten Hiobsposten blieben nicht aus. Am 13. oder 14. Febr. erhielt Trümpy die Nachricht, daß er bei dem Falliment des Hauses Büttiker alles verlöre. Die Gesammtsumme seiner Verluste stieg dadurch auf ungefähr 350.000 Frs. Daran rechnete er in einem fort an den beiden letzten Tagen seines Lebens. Er wußte, daß er ein ruinirter Mann war, daß er seinen Verbindlichkeiten unbedingt nicht nachkommen, solche Summen auch als Darlehn nirgends auftreiben konnte. Selbst im besten Falle, bei einem sehr vortheilhaften Verkaufe der Güter, wären höchstens 40.000 Frs. für die Frau und Tochter übriggeblieben.

Der spätere Masseverwalter hingegen erklärt, daß selbst bei einer gütlichen Verständigung nichts übrig bleiben werde.

Alle diese Verluste hatte Trümpy nicht standhaft ertragen, sondern gejammert und war kaum im Geschäft aufrecht zu erhalten gewesen. Da erhielt er am Sonntag vor seinem Tode ein Telegramm, welches von einem Unbekannten aus Bern an das Haus Mojon in Lenzburg gesendet und von diesem Hause, nach Tilgung des Datums und der Unterschrift, an Trümpy's Geschäft mitgetheilt worden war. Das Telegramm enthielt: »Ueber die Activen und Passiven Trümpy's lauten die Ansichten verschieden, allein man glaubt an eine baldige Zahlungseinstellung.«

Trümpy war aufs äußerste erregt hiervon und muthmaßte in dem Absender einen seiner nächsten Verwandten. Darin sind die Urtheile aller ihm Nahestehenden übereinstimmend, daß ihm die kaufmännische Ehre über alles ging, daß er ein Falliment nicht überlebt haben, auf einen Vergleich mit seinen Gläubigern nie eingegangen sein würde. Außerdem hat eine ferner stehende Zeugin gehört, daß, als man einmal in Wabern von jemand sprach, der fallirt hatte, Trümpy äußerte: der sei ein Narr, daß er sich nicht eine Kugel durch den Kopf schieße, und überhaupt, wenn man solche Widerwärtigkeiten habe, sei es am besten, sich das Leben zu nehmen.

V. Im engsten Zusammenhange mit diesen Verhältnissen stehen die Wahrnehmungen, welche von verschiedenen Zeugen über Trümpy's Gemüthszustand und seine Aeußerungen und Vorbereitungen, sich selbst das Leben zu nehmen, gemacht worden sind.

Trümpy konnte weder seine Begierden und Leidenschaften meistern, noch Schmerzen und Widerwärtigkeiten ertragen. Schon seit Jahren hatte er oft, im Zorn und Rausch, gedroht, er wolle sich erschießen. Das haben auch seine Dienstboten gehört.

Frau Trümpy erzählt, er habe Pistolen gehabt, damit in frühern Jahren nach der Scheibe geschossen, später nicht mehr. Dennoch habe er die Pistolen geladen, im thörichten Spiel sich selbst und zuweilen auch sie damit bedroht. Dann habe er in Zornanfällen von Erschießen geredet und eine geladene Pistole nachts unter sein Kopfkissen gelegt. Frau Trümpy ist anfangs über diese Dinge in Schreck und Angst gerathen und hat, so oft sie konnte, die Pistolen weggenommen. Später hat sie nicht mehr viel darauf gegeben, hat geglaubt, er liebe das Leben zu sehr, als daß er zur Ausführung dessen käme, was er so oft, namentlich bei jedem Unwohlsein, zu drohen pflegte. Trümpy verwahrte in der letztern Zeit seine Pistolen im Secretär, zu dem er stets den Schlüssel bei sich führte.

Gegen Ende des Jahres 1863 trat jedoch eine auffällige Veränderung mit Trümpy ein, er war nicht nur krank, heftig, sorgenvoll, sondern oft tief niedergeschlagen, lebensüberdrüßig und wünschte sich in solchen Stunden den Tod. Ja er glaubte auch und sprach es gegen mehrere ihm ferner stehende Personen aus, daß er nicht mehr lange leben werde. Als er dem Leichenbegängnisse eines Kindes, dessen Pathe er gewesen, beiwohnte, sagte er zu dem Vater: »Nun, trifft es dann mich, dann kannst du auch zu meiner Beerdigung kommen.« Am Sonntag nach Neujahr 1864 saß man in Wabern in größerer Gesellschaft zu Tisch. Man zählte die Gäste und es waren dreizehn. Da sagte Trümpy: »Aha, ich weiß schon, wen es angeht; es geht mich an.«

Mehrere Personen fragte er, ob er nicht gemagert habe, klagte, etwa vier Wochen vor seinem Tode, über beständigen Frost, und setzte hinzu, ich werde nun bald sterben.

Von einem andern Vorfall weiß freilich nur Demme. Als Trümpy seine syphilitische Ansteckung ihm offenbarte, setzte er hinzu, das sei das Fürchterlichste, was ihm hätte begegnen können, er ertrage es nicht, er bringe sich um. Als er dabei auf dem Kaminsims ein Fläschchen mit der Aufschrift Laudanum stehen sah, ergriff er es und sagte: »Wüßte ich, daß dieses mich sogleich tödten würde, so würde ich es zu mir nehmen.«

Zweifellos hingegen ist, daß Trümpy vor mehrern Jahren mit Hrn. Leuzinger-Schnell eine Unterhaltung über den Selbstmord durch Erschießen gehabt und Herr Leuzinger gesagt hat, wenn sich jemand das Leben nehmen wolle, so solle er nur kein Blei laden, sondern einen Wasserschuß. Am Morgen nach Trümpy's Tode hat man im Secretär die Pistole stark mit Pulver, aber ohne Kugel, mit einem naßgewesenen, bereits eingerosteten Papierpropf geladen gefunden. Diese Ladung konnte nach dem Urtheil Sachverständiger etwa drei Wochen alt sein; sie sprach deutlich für die Absicht eines Selbstmords.

Am Dienstag vor dem Todestage wurden Trümpy's Hemden geglättet und die Glätterin machte ihn, weil er sonst Freude daran hatte, aufmerksam, wie gut die Kräglein gestärkt wären. Er sagte: »Ja, sie sind sehr gut, aber ich brauche sie nicht mehr.« Die Kräglein waren aber erst gekauft und nach dem neuesten Schnitt. Am nämlichen Tage befand sich Trümpy im Glättezimmer, als zum Essen gerufen wurde. Flora lehnte sich liebkosend an die Brust ihres Vaters. Er wurde nachdenkend, es traten ihm die Thränen in die Augen, dann hieß er die Leute zum Essen gehen. Wieder am Abend dieses Tags fiel der Glätterin Trümpy's Wesen auf und sie fragte ihn, ob er nicht wohl sei? Darauf sagte er: »Ja, ich bin foutu, mit mir ist's fertig!« Als die Glätterin erwiderte, er habe ja noch rothe Backen, meinte er, darauf kommt es nicht an, blieb noch ein wenig sitzen, nahm dann das Licht, sagte in einem eigenthümlichen Tone: Lebet Wohl! und ging hinaus. »Sein ganzes Benehmen fiel uns auf und wir haben den Herrn fast gar nicht mehr gekannt.« Darum sagte die Glätterin zu den andern: »Mit dem Herrn ist etwas gegangen, der lebt nicht mehr lang!«

Am Montag (15. Febr.) war Trümpy, wie wir schon oben erwähnt haben, äußerst weich und liebevoll gegen seine Frau, da sprach er auch davon, daß er der alten treuen Dienerin Anna Mürner ein Legat aussetzen wolle.

Am Nachmittag unterhielt er sich mit dem Gärtner Roth und sprach namentlich von einer »Pelzkappe«, welche er sich aus Konstantinopcl mitgebracht und welche er im Bett auf dem Kopfe hatte. Plötzlich sagte er: »Wer hätte wol geglaubt, daß ich die Pelzkappe noch auf meinem Sterbelager tragen würde?« Das sagte er nicht etwa im Scherz, wie der Zeuge ausdrücklich bemerkt.

Abends gegen 11 Uhr brachte ihm die jüngere Magd, Anna Müller, Wasser und fragte ihn, wie es gehe. Er sagte, es gehe nicht gut. Die Müller meinte, es werde schon besser gehen, und darauf erwiderte er in einem ihr auffallenden Tone: »Ja, es kommt nun bald besser!«

Endlich behauptet Demme, am Abend des 14., wie am Abend des 15. Febr. habe Trümpy wiederholt geäußert: »Wenn's nur fertig wäre!«

Das sind die in ihrer Gesammtheit schwer in die Wage fallenden Umstände, welche für einen Selbstmord sprechen und, im Zusammenhange mit dem gänzlichen Vermögensruin, einen Selbstmord fast unzweifelhaft erscheinen lassen.

In diesem Urtheile stimmen aber auch alle, welche als Verwandte, Freunde, Angestellte, Dienstleute in einem nähern Verhältnisse zu der Familie gestanden haben, überein. Darunter sind viele Personen, denen man eher das Gegentheil als ein Voreingenommensein für Demme und selbst für Frau Trümpy zutrauen kann. »Wenn Trümpy nicht eines natürlichen Todes gestorben ist, hat er sich selbst vergiftet; sein kaufmännischer Stolz hätte den Bankrott nicht ertragen.«

Das härteste, darum aber doch nicht ungerechte Urtheil fällt der junge Underwerth, Commis Trümpy's, über ihn: »Nach seinem Lebenswandel, seiner Geschäftsführung, seiner Frechheit, seinem Hochmuth, seiner Eitelkeit und seinen Gewissensbissen hat er nicht anders gekonnt, als sich das Leben nehmen.«

Die alte Anna Mürner aber sagt bestimmt: »Der Doctor hat den Herrn nicht vergiftet!«

VI. Es reiht sich hier die Frage an, ob denn Strychnin in Bern oft gebraucht werde und leicht zu erhalten sei?

Allerdings wendet man es, mit Zucker vermischt, häufig an, um Ratten und Mäuse zu vertilgen. Auch gegen Füchse ist es in den Wäldern gelegt worden. Man beizte nicht nur, in weidmännischer Weise, Vögel damit, sondern, wie es heißt, auch einmal Würste, und so kam es, daß nicht nur Füchse, sondern auch ein paar Jagdhunde dadurch getödtet wurden.

Wie jedes andere Gift sollte es allerdings nur in den Apotheken, gegen ärztliche Bescheinigung, verkauft werden, indeß hielt es nicht schwer, wie durch ein Beispiel belegt wurde, solch eine Bescheinigung für sich und wol auch für einen guten Freund zu erlangen. Auch andere Personen befaßten sich mit dem Verkaufe dieses Giftes (z.B. ein Mechaniker) und vom Auslande kann man es ohne alle Schwierigkeiten erhalten.

Auf den anonymen Brief, der über Paris gekommen ist und welcher dem Präsidenten des Gerichtshofs versichert, der Schreiber habe seinem guten Freunde Trümpy Strychnin verkauft, welches dieser zu Experimenten mit Hunden benutzen wollte, legen wir natürlich gar kein Gewicht. Mehr schon auf den Brief eines Teilnehmers an der Vergnügungsfahrt, welcher Umstände anführt, aus denen hervorgeht, daß Trümpy manche Ausflüge in Konstantinopel mit Personen gemacht hat, welche dort genau Bescheid wußten. Dazu erzählt Herr Professor Schwarzenbach, daß er selbst auf dem dortigen Bazar Gifte der verschiedensten Art, nur gegen die Versicherung, daß er Arzt sei, gekauft habe.

Allein man braucht gar nicht so weit zu suchen. Von angesehenen Apothekern wird aus eigener Erfahrung bestätigt, daß Trümpy sehr oft, bis in die letzte Zeit Apothekerwaaren spedirt habe, darunter unzweifelhaft auch Giftstoffe, und daß er unter der Aufschrift »moimême« Waaren jeder Art leicht habe beziehen können und bezogen habe.

Der auf dem Güterbahnhofe zu Bern angestellte Zeuge Abt erinnert sich bestimmt, in der Zeit vom September 1863 bis Januar 1864 ein Colli zwischen 30 und 40 Pfund, declarirt »Drogueriewaaren«, mit einem Frachtbrief auf Trümpy auf dem Bahnhofe gesehen zu haben. In diesem Frachtbriefe sei der Inhalt des Colli genau specificirt gewesen und es habe in demselben neben »Thee« auch »Strychnin« gestanden. Die genaue Specification war nothwendig, weil das Colli aus Deutschland hereinkam.

Endlich ist von größter Bedeutung noch die Aussage der Frau Jaumann, Bierwirthin zu Bern. Ihr Mann war früher Apotheker, ist jetzt nach Amerika ausgewandert, hat aber vorher an den Regierungsstatthalter, dann an den Untersuchungsrichter geschrieben, hat sich auch persönlich bei letzterm gemeldet und sich abhören lassen wollen, man hat jedoch gemeint, seine brieflichen Auslassungen genügten schon. Diese werden nun allerdings durch Frau Jaumann gänzlich bestätigt. Sie sagt: »Trümpy kam eines Vormittags, da sonst niemand im Gastzimmer war als mein Mann und ich, und sagte zu meinem Manne: «Du bist ein alter Apotheker, gib mir doch einige Auskunft!» Er fragte, was das stärkste Gift sei? ob es nicht Strychnin sei? wie es wirke und wie schnell es tödte? Mein Mann sagte ihm, es gehe immerhin einige Zeit, bis der Tod erfolge; was er (Trümpy) denn mit dem Gift anfangen wolle? Trümpy erwiderte, er wolle einen Hund vergiften. Es fiel mir auf, daß Trümpy meinen Mann, gleichsam als Belohnung für dieses Wirthshausgespräch, auf den gleichen Abend ins Schwellen-Mätteli zu einem Forellenschmaus einlud.«

VII. Wir meinen, es hätte nicht mehr bedurft als ein wenig klare Ueberlegung und ein reines Gewissen, um bei aller Klatschsucht und feindlichen Machination standhaft zu bleiben, die lautere Wahrheit zu sagen und getrost zu erwarten, daß die Untersuchung nichts anderes ergeben könne, als was sie wirklich ergeben hat und was, bei jeder irgend unbefangenen Prüfung, der Unschuld zum glänzenden Siege verhelfen mußte. Doch gerade an der Grundbedingung eines überall reinen Gewissens fehlte es den beiden Angeklagten, darum suchten sie schon von Anbeginn ihre Sicherheit im Verbergen, Vertuschen, Verleugnen und Erdichten; darum glaubten sie, auch gegen die gehässigen und ungerechten Angriffe ihrer Feinde der zweischneidigen Waffen der Lüge nicht entrathen zu können. Nur der vollen Unschuld genügt der unzerstörbare Schild ihres Bewußtseins und die einschneidige, aber unfehlbare Waffe der rückhaltlosen Wahrheit. Erwägen wir aber das schuldvolle Verhältniß, in welchem die beiden Angeklagten zueinander standen, und die leidenschaftlichen Angriffe, die sie zu erdulden hatten und welche wir theils schon kennen, theils sogleich erfahren werden: so darf es uns, bei reichlichen psychologischen Erfahrungen auf diesem der Nachtseite der Menschheit zugehörenden Gebiete nicht wundernehmen, daß sie auch in der Lüge ihr Heil suchten.

Es begann ein Kreuzfeuer von anonymen Briefen, die an Demme, dessen Vater, Anna Mürner, Professor Schärer, den Regierungsstatthalter gerichtet waren und Haß gegen Demme athmeten, ihn des Mordes beschuldigten.

Nunmehr schrieb Demme ebenfalls einen anonymen Brief an Anna Mürner, welcher jedoch nicht zur Absendung gelangte, und zwei dergleichen an sich selbst, welche er sich durch die Post zukommen ließ. In zweien steigerte er die Anschuldigungen gegen sich, um die Behörden gegen dieses Denunciationswesen aufzubringen, im dritten fingirte er eine Person, welche Trümpy Strychnin zum Selbstmord geliefert haben wollte. Demme bereut offen, daß er sich in einer schwachen Stunde zum Gebrauche derartiger Mittel habe hinreißen lassen.

Ferner erschien in der Neuyorker Zeitung eine Correspondenz, welche für Demme's Unschuld in die Schranken trat und die ganze Untersuchung als eine Machination des Professors Emmert darstellte, der sich eines wissenschaftlichen Nebenbuhlers entledigen und wol auch Demme's Vater durch Kummer tödten wolle, um das Directorium der chirurgischen Klinik zn erlangen.

Hinsichtlich der ersterwähnten echten anonymen Briefe wurde der Verdacht der Urheberschaft von Demme auf Professor Emmert gelenkt. Die Handschriftenvergleichung, immer ein Beweismittel von zweifelhaftem Werthe, sobald das Ergebniß affirmativ ausfällt, fand nur eine gewisse, keineswegs überzeugende Ähnlichkeit mit der Handschrift Herrn Emmert's. Hingegen sagen die Sachverständigen: »Es sei sehr wahrscheinlich, daß die anonymen Briefe von einer und derselben Hand geschrieben seien, wie das Haushaltungsbuch und der unter Dictat geschriebene Brief der Frau Emmert.« Sie begründen dies näher, namentlich auch durch absichtlich versuchte Entstellung der Handschrift beim Dictat und durch zwei auffallende Abweichungen von der Rechtschreibung.

Hingegen hat wieder Demme die Handschrift des Anonymus auf der Adresse seines Briefes an Anna Mürner genau nachgemalt und eine täuschende Aehnlichkeit erzielt.

Daß Demme der Frau Trümpy das Concept zu dem Briefe an den Regierungsstatthalter entworfen oder verbessert hat, in welchem der Zeitpunkt der Verlobung mit Flora fälschlicherweise auf den Sommer 1863 zurückverlegt wurde, ist zugestanden und bereits erwähnt. Ebenso die Lüge, daß Frau Trümpy beim Empfang der Todesnachricht entkleidet im Bett gelegen habe.

Frau Trümpy ist aber, und schwerlich aus eigenem Antrieb, in der Voruntersuchung noch weiter gegangen. Dort hat sie erzählt: »Am Montag Vormittag habe sie ihrem Manne Briefe an das Bett gebracht. Da habe er sie gebeten, ihm aus dem Secretär ein Flacon zu geben, woraus er auf seine Wunde tröpfeln müsse. Ihre weitere Beihülfe habe er abgelehnt und das Flacon unter das Kopfkissen geschoben.« Dies hat sie später zurückgenommen, dann wieder behauptet und dann abermals widerrufen.

Ferner hat sie in der Voruntersuchung gesagt, sie sei zum Professor (?) Demme gegangen, habe ihm den Inhalt eines Verhörs mitgetheilt, worauf er ihr Strychnin zu kosten gegeben habe. Später habe sie im Garten Glasscherben gefunden und da sei ihr der Gedanke gekommen, das ließe sich in Zusammenhang bringen mit jenem Flacon, welches Trümpy zum Fenster hinausgeworfen haben könnte.

Auch diese wie die vorige Erzählung nimmt Frau Trümpy in der Hauptverhandlung als erlogen zurück. Sie habe geglaubt, es könne das zur Entlastung des unschuldigen Demme dienen.

Uebrigens bleibt Frau Trümpy dabei, sie habe im Secretär ein Fläschchen mit einer Flüssigkeit gesehen, welches nach ihrer Meinung keine von Bauer oder Demme herrührende Medicin gewesen sei.

VIII. Aber nicht immer hat Frau Trümpy an Demme's Unschuld am Tode ihres Mannes geglaubt, nicht immer ihre eigene Unschuld behauptet. Wir gelangen jetzt zu einer der bedeutsamsten und räthselhaftesten Epochen der Untersuchung.

Am 9, Mai 1863 wurden Demme und Frau Trümpy in Haft genommen, letztere in die oberste Zelle des Käfigthurms gebracht. Das war, nach der Schilderung des Untersuchungsrichters, ein kleines Zimmer oberhalb der Thurmuhr in wahrhaft schwindelerregender Höhe und unmittelbar unter demselben die Thurmuhr, welche jedesmal, wenn sie schlägt, einen schrecklichen Lärm verursacht. In diesem Gemache blieb sie den ganzen heißen Sommer hindurch bis zum 20. Sept.,wo sie in das Spital versetzt wurde.

Mache man sich ein deutliches Bild von diesem Aufenthalt für eine schon seit lange an Nervenzerrüttung leidende Frau, die in solcher Ehe gelebt, solche Mißhandlungen erduldet, auf schreckliche Weise den Mann verloren hatte, aus Reichthum in Armuth gestürzt worden war, den Geliebten zum Bräutigam ihrer Tochter hatte werden sehen und jetzt, von ihrem reizenden Landsitz und all den Ihrigen getrennt, unter der Anschuldigung des Giftmordes im Käfigthurme eingekerkert war! Und in dieser furchtbaren Bedrängniß hörte die unglückselige Frau in ihrem Innern nur die Anklagen eines von anderer Schuld belasteten Gewissens, suchte nicht da Trost, wo er den Mühseligen und Geladenen verheißen ist. Das Wort, das der Dichter einem ähnlich stürmischen Herzen leiht: »Wer da nicht den Verstand verliert, hat keinen zu verlieren!« ist hier nicht minder zutreffend.

Der Gensdarm Portner, Wächter im Käfigthurm, berichtet am 18. Mai an den Untersuchungsrichter, vergangene Nacht, 1½ Uhr, sei ihm von der Schildwache gemeldet worden, daß aus der Zelle 19, wo Frau Trümpy sich befinde, unablässig ein heftiges Geschrei und Gepolter gehört werde und sogar etwas zum Fenster hinausgeworfen worden sei. Portner hörte selbst dieses Geschrei und sämmtliche Gefangene auf dem vierten Boden klagten, sie hätten schon manche Nacht vor diesem Poltern und Lärmen nicht schlafen können, Mehrere haben auch gehört, daß die Frau Trümpy in jener Zelle in einem fort schrie: »Trümpy, Trümpy, komme wieder und bezeuge, daß ich dich nicht vergiftet habe, du mußt kommen und dies vor den Herren sagen!« Als Portner noch in jener Nacht Frau Trümpy zu Rede setzte, antwortete sie, man sei hier in einer freien Republik und könne sich für das Recht wehren, man schreie auf der Straße auch, der Herr Dr. Schärer sei in der Vestibule draußen und lärme auch die ganze Nacht, das Recht habe sie auch« u. s. w.

Solche Vorfälle wären aber auch bei Tage schon oft vorgekommen, Frau Trümpy schwatze oft das verrückteste Zeug, hauptsächlich, daß ihre Tochter Flora gleichfalls hier gefangen sei, in drei Tagen zwei Kinder geboren habe, das erstgeborene sei von einer Frau ermordet worden, Flora werde mishandelt und gemartert u.s.w. Unmittelbar darauf befände sich Frau Trümpy aber manchmal wieder bei ganz gesundem Verstande.

Frau Trümpy erhielt seit dem 19. Mai zwei verständige Wärterinnen in ihr Gefängniß und wurde von dem Gefangenenarzt, dem eben erwähnten Hrn. Dr. Schärer, regelmäßig behandelt.

Stellen wir die hauptsächlichsten Erscheinungen, welche an Frau Trümpy beobachtet wurden, gleich aus dem Gutachten der drei dazu verordneten Aerzte zusammen:

Frau Trümpy ist von zarter Constitution, nervösem Temperament, gemüthlich sehr erregbar, leicht aufwallend in Freude wie in Zorn, aber ebenso rasch wieder beschwichtigt; intellectuell nicht unter der durchschnittlichen Höhe der Frauen ihres Standes und ihrer Bildung. Als sie verhaftet und in den Käfigthurm gebracht worden war, stellte sich bei ihr eine sehr hochgradige Aufregung des Nervensystems und des Gemüths ein. Sie hörte Stimmen von sehr verschiedenen Personen, theils von ihrer Tochter, von Verwandten und Bekannten, häufiger noch von Unbekannten, welche ihr über jene ersterwähnten die verschiedensten Dinge sagten. Die Stimmen schienen aus allen möglichen Richtungen herzukommen, von oben, unten, rechts, links. Ihre Zurufe und Aussagen waren bald tadelnd oder spottend, bald beschimpfend, bald schmeichelnd, bald befehlend. (Bald so komisch, schalten wir nach den Wahrnehmungen der Wärterinnen hier ein, daß Frau Trümpy stundenlang in einem fortlachte.) Sehr häuftg scheinen auch die Stimmen Unschickliches, Obcönes zu flüstern, worüber sich Frau Trümpy nicht näher ausläßt. In den ersten Wochen glaubte und behauptete sie fest, daß die Stimmen von wirklichen Personen herrührten, welche in andern Zellen eingesperrt oder in geheimen Räumen zwischen den Mauern verborgen wären. Sie antwortete den Stimmen und forschte horchend nach deren Ursprungsquelle, kroch unter das Bett, riß verschiedene Mobilien, ja selbst einmal das Brusttäfel von der Wand weg, um ihnen auf die Spur zu kommen. Diese Nachforschung wurde oft die ganze Nacht hindurch in großer Aufregung fortgesetzt und erst gegen Morgen gelang es, die erschöpfte Frau zu Bett zu bringen, worauf sie einigen Schlaf fand. Dann glaubte sie tagelang, ihre Tochter Flora um Hülfe schreien zu hören, eingesperrt und mishandelt in einer Zelle des untern Gestocks. Um ihr dieses Wahnbild zu benehmen, ließ man Flora zum Besuch kommen und vor den Augen der Mutter wieder fortgehen. Viermal hintereinander hörte und befolgte Frau Trümpy den Befehl der Stimmen, hinunterzugehen, sie werde die untere Thür offen finden, was natürlich nicht der Fall war. Dann meinte sie einmal, der Käfigthurm stehe in Flammen; dann verschmähte sie ein aus einem der ersten Gasthöfe Berns ihr zugesandtes Ragout, weil sie lauter zerhackte Mäuse darin sah; dann glaubte sie, in ihrem Kaffee sei das Indianergift Curare; dann glaubte sie sich Tag und Nacht durch Oeffnungen in ihrem Gefängnisse von außen beobachtet Zweimal gehorchte sie den Stimmen, welche ihr befohlen, sich um das Leben zu bringen, und machte ganz wirkungslose Versuche, sich die Pulsader zu durchschneiden und sich eine Nadel in das Herz zu stechen. Wieder einmal schnitt sie sich die linken Haarlocken ab, weil die Stimmen es befahlen. Von ihrem Manne sprach sie, daß er sie oft besuche und sich freundlich mit ihr unterhalte über alle möglichen Wirthschaftsangelegenheiten, als wäre er gar nicht gestorben. Gegen Demme legte sie während dieser Zeit einen ihre Umgebung befremdenden Haß an den Tag. Alle diese Hallucinationen nahmen ab und zu, steigerten sich bis zum heftigsten Grade vor dem Eintritt der Menstruation, wechselten ab mit anscheinend ganz vernünftigen Stunden und Tagen. Dennoch behauptete Frau Trümpy selbst noch in der öffentlichen Verhandlung, als man sie danach befragte, daß die Stimmen sie nie verließen und oft beeinflußten. Den Gedanken irgendwelcher Verstellung weisen alle Sachverständigen entschieden zurück. Nur über die Fortdauer und den Grad der Geistesstörung in der letzten, hier besonders wichtigen Zeit (10.-20. Sept.) sind sie verschiedener Ansicht.

In dieser Zeit, wieder vor dem Eintritt der Menstruation, trat abermals eine gewaltige Exaltation bei Frau Trümpy ein. Sie hatte dem Untersuchungsrichter gesagt, sie müsse ihm etwas Wichtiges mittheilen, könne es aber nur schriftlich thun. Mehrmals fragte er sie danach, sie war aber nie zu Stande gekommen, hatte das Begonnene auch wieder zerrissen. Die Wärterin sagte: »Sie gerieth während des Schreibens in eine solche Exaltation, daß wir ihr mehrmals das Schreibzeug wegnahmen. Sie fing den Brief am Morgen an und war damit den ganzen Tag beschäftigt, ohne zn Mittag zu speisen. Sie ging oft dazu und davon. Sie weinte und sagte stets (zu den Stimmen): «Um Gottes willen, laßt mich doch schreiben und brüllt mir nicht so in die Ohren; ich muß den Brief fertig machen!» Sie war in furchtbar aufgeregtem Zustande. Nach mehrfachen Unterbrechungen wurde der Brief abends gegen 6 Uhr fertig.«

In Wahrheit ist der Brief jedoch gar nicht fertig geworden. Frau Trümpy hat ihn abgebrochen und in ein Buch gelegt. Von dort hat man ihn weggenommen und zu den Acten gebracht. Er lautet:

»Herr Untersuchungsrichter Bircher!

Wie Ihnen früher einmal und heute Morgen wieder mit schwerem Herzen mittheilte, habe ich vieles auf dem Gewissen, das mich quält und mir keine Ruhe läßt.

Wie oft war ich auf dem Punkte, Sie einen Blick in meinen Lebenswandel thun zu lassen; aber ich gewann es, trotz harten Kämpfen, nicht über das Herz, weder mündlich noch schriftlich, Ihnen hierüber Aufschluß zu geben. Heute will und muß ich es thun, soll ich dieses qualvolle Leben länger ertragen!

Ich bin ein schlechtes, charakterloses Weib; ich habe mehr Sünden und Vergehen auf dem Gewissen, als ich jemals gutmachen kann. Ich bin eine Lügnerin, Diebin, Ehebrecherin und zur Mörderin meines Mannes geworden. Nicht durch die Verhältnisse, allein aber durch die Lüge und die Angewöhnung des Trinkens. Diese Laster haben mich die Pflichten als Gattin, Mutter und Hausfrau vergessen lassen. Durch mein Beispiel sind Gatte und Kind, wie die Dienstboten zur Sünde verleitet worden.

Mein Gatte sel. und ich haben uns zärtlich und aufrichtig geliebt. Beide jung und unerfahren, lebhaft und leidenschaftlich, kam es mitunter zu Zwisten, welche das sonst heitere, glückliche Eheleben verdüsterten. Vom Glück begünstigt wurden wir nicht arbeitsscheu, aber leichtsinnig, und der Leichtsinn brachte für mich den Verführer ins Haus. Der Weg der Sünde war damit angebahnt. Es war der erste Treubruch, durch die Verhältnisse fortgesetzt, abgebrochen und nach Jahren wieder angeknüpft.

Doch eine Sünde bringt die andere zur Welt. Geschäftliche und freundschaftliche Beziehungen brachten noch anderes Verderben ins Haus, denen ich theils zum Opfer, theils zur Verführerin wurde. Es konnte meinem Gatten nicht fremd geblieben sein, er mußte es geahnt haben, aber es blieb zu unserm Unglück unbesprochen, was auf den Weg des Verbrechens führte. Der unglückliche Verlust meines Auges rief Herrn Dr. Demme ins Haus. Nicht der Arzt, aber der Freund wurde durch meinen Hang zur Lüge, welche ein kolossales Lügengespinst zu nennen war, das Opfer. Der Freund wurde zum Geliebten, durch meine Schuld zum wahrscheinlichen Mörder meines Gatten. Das Maß der Sünden war voll, ein unseliger Moment ließ mich unbedachtsame Worte sagen, welche ebenso schnell wieder vergessen waren. Es muß die Folge der Trunksucht gewesen sein, denn auch nicht eine Ahnung ließ mich an das Gesagte erinnern, bis es unglücklicherweise viel zu spät war.

Die versöhnliche Stimmung des Kranken in seinen letzten Tagen gab mir nach seinem Tode die Veranlassung, Sie und den Herrn Regierungsstatthalter auf fluchwürdige Weise zu belügen. Ich that es in der Absicht, die Ehre dreier Familien zu retten, und habe nicht daran gedacht, daß durch den auf ihn gewälzten Verdacht auf Korfu und mit dem Flacon Strychnin dem Verstorbenen eine Schuld aufgewälzt worden sei!«

Der nicht ganz vollendete Schluß des Briefes enthält nur eine Bitte um Verzeihung, eine Versicherung der Besserung, und ist für die Schuldfrage ohne Belang.

Hören wir, welche Deutung die Angeklagte in der Hauptverhandlung ihren Worten gibt, als sie der Präsident fragt, in welchem Sinne sie sich Mörderin ihres Mannes nenne. »Ich habe ihm so viel Verdruß gemacht, daß ich glaube, er sei so gequält gewesen bis zu seinem Lebensende. Allein, so wahr ein Gott im Himmel lebt, so viel ich mich erinnere, war es das. Eines Abends, als er kam, wir hatten manche Hausmittel, fragte ich den Herrn Doctor: können Sie ihm nicht etwas geben zur Beruhigung?«

Präsident: »Haben Sie dabei nicht daran gedacht, es solle einmal diesem Zustande ein Ende gemacht werden?«

Frau Trümpy: »Nein, wenn so etwas je gesagt worden ist, aber nicht in einem schlimmen Sinne, wie man es nun mir zuschreibt, so muß es in einem Briefe gewesen sein.«

Präsident: »Allein warum nennen Sie das denn unbedachtsame Worte?«

Frau Trümpy: »Das ist mir erst durch die Gefangenschaft, durch die Stimmen, welche mich beherrschten, beigebracht worden. Ich weiß, daß niemand dem Trümpy etwas hätte zu Leide thun können.«

An demselben dritten Tage der Hauptverhandlung, 27. Oct. 1864, fragte der Präsident Frau Trümpy, ob sie jetzt noch einen Haß gegen Demme hege. Sie verneinte es. Sie wollte auch keinen Haß gegen ihn gehegt haben: »Man hat ihn verdächtigt und ihm Sachen vorgehalten, die ich nie für wahr gehalten habe. Aber immer, wenn ich ins Verhör kam oder wenn ich mich mit jemand über ihn unterhalten habe, so ist es anders gekommen,«

Frau Trümpy wurde von der Hauptverhandlung so angegriffen, daß sie mehrern Sitzungen nicht beiwohnen konnte, an Schlaflosigkeit litt und beständig von den Stimmen geplagt wurde. Am elften Sitzungstage (5. Nov.) fragt sie der Präsident nochmals, aus welchem Grunde sie in ihrem Briefe Herrn Demme den wahrscheinlichen Mörder ihres Gatten nenne. Sie antwortet jetzt: »Trümpy war mehr als lebensmüde. Ich fragte den Herrn Doctor, können Sie ihm nichts geben, das ihn beruhigen würde? und dachte dabei: er stirbt ja so gern! Ich dachte nicht mehr daran, bis ich in der Gefangenschaft war und die Stimmen hörte. Und dann dachte ich, ob dieses Wort vielleicht den Herrn Doctor veranlaßt haben könnte ... Ich weiß nicht, ob ich es gesagt habe oder nicht. Wenn ich aber das Wort gesagt hätte, so wäre ich nicht schuld daran, aber ich hatte keine Ahnung an so etwas, bis mir es die Stimmen gesagt haben.«

Präsident: »Können Sie uns versichern, daß Sie vom Sterben Trümpy's nichts gewußt haben, bis Sie in sein Zimmer kamen?«

Frau Trümpy: »Nein, ich hatte keine Ahnung, auch nicht die geringste Ahnung.«

Von nicht minderer Bedeutung ist ein anderer früherer Brief, welchen sie »im Stadtgefängniß zu Bern, genannt Käfigthurm, berühmt durch seine Akustik, Montag den 16. oder 17. Mai 1864« an die Familie Demme geschrieben hat. Er ist nicht minder als der spätere der Erguß eines tiefaufgewühlten, zerrissenen und gemarterten Herzens, nur ist er mit einem oft bewundernswürdigen Schwung geschrieben, mit einem begeisterten Aufblick zur ewigen Gerechtigkeit und himmlischen Vergeltung, in phantasievollen Visionen, dennoch unter den Qualen ihrer Wahngebilde von der eingekerkerten Tochter und dem fürchterlichen Weibe. Dann sagt sie: »Ich habe mein eigenes Schicksal, mein Elend vergessen, seitdem ich weiß, daß es noch Unglücklichere gibt als unschuldig Angeklagte. Ich weiß, der Schein liegt schwer auf mir und ich habe ihn verdient, aber wenn ich nicht zurückkehre, was ich, so Gott will, nicht hoffe, so schwöre ich vor Gott dem Allmächtigen: ich bin unschuldig, so gut wie die andern! Haß, Verleumdung, Verkennung haben uns in den Kerker geworfen, wo wir Gelegenheit haben, Schwachheiten zu büßen, welche die Grundlage zu dieser fürchterlichen Anklage wurden.«

Noch eins, was uns einen tiefen Blick in das Herz der unglückseligen Frau gestattet.

Als Anna Mürner ihre Aussage beschwören sollte und die ergreifende Eidesverwarnung ihr geschehen war, sagte Frau Trümpy: »Aenneli, du sollst nicht alles beschwören, was du gesagt hast. Du hast gesagt, ich habe nicht getrunken; wohl, ich habe getrunken.«

Anna Mürner entgegnet: »Nein, Frau Trümpy, Ihr habt nicht getrunken. Es war stets mein Amt, in den Keller zu gehen, und ich hatte die Schlüssel in den Händen. Ihr konntet gar nicht trinken, ohne daß ich es genau gewußt hätte. Ihr habt bloß ein Glas Wein getrunken, wie es erlaubt ist.«

Frau Trümpy: »Aenneli, du hast gesagt, ich sei stets geduldig gegen meinen Mann; auch das ist nicht richtig.«

Anna Mürner: »Ja wohl, Frau Trümpy, Ihr seid immer sanftmüthig und geduldig gewesen gegen Euern Mann, wie es sonst wol keine Frau gewesen wäre.«

Darauf leistete Anna Mürner den Eid, und wir meinen mit gutem Gewissen.

Vergleichen wir dieses Urtheil mit den Selbstbeschuldigungen im Briefe an den Untersuchungsrichter, wägen wir genau ab, wie bestimmt und feierlich die Unschuldsbetheuerungen lauten im Gegensätze zu den aus grübelnder Selbstqual und durch Wahngebilde verdüsterter Seele hervorgepreßten Vermuthungen und unsichern Schlüssen: »Ich könnte das gesagt oder geschrieben haben; es könnte anders verstanden worden sein, als ich es meinte; es hätte vielleicht den Doctor veranlaßt...«, so dünkt uns die Entscheidung nicht schwer, wo die klare und sichere Wahrheit und wo der vom Irrsinn heimlich immer wieder zugeflüsterte, bekämpfte, aber nicht ganz zu unterdrückende argwöhnische Wahn liegt.

Wir sagten oben, daß die Sachverständigen in Bezug auf den geistigen Zustand der Frau Trümpy drei Perioden sehr starker (bis zum Eintreten der Wärterinnen), minder heftiger (bis zur Versetzung in das Spital) und sehr abnehmender, nicht mehr großen Einfluß übender Hallucinationen zu unterscheiden hatten. Verschiedene Ansichten walten schon darüber vor, ob Frau Trümpy während des langen Verhörs in der Hauptverhandlnng an Hallucinationen gelitten habe: bejahende, verneinende und zweifelhafte. Ueber den Werth und die Bedeutung des Briefes an den Untersuchungsrichter lauten die Ansichten dahin: 1) es habe vermuthlich ein psychisch-krankhaftes Moment mitgewirkt; 2) es sei dem Briefe keine sehr hohe Bedeutung beizulegen, und man könne nicht sagen, ob er einzig hervorgegangen sei aus einem Gewissensdrange oder einzig aus der Wirkung der Stimmen, vielleicht habe beides zusammengewirkt; 3) der Brief enthalte eine übertriebene Selbstanklage, sei jedoch logisch von einem Ende zum andern.

Herr Dr. Schärer, Director der Irrenanstalt zu Waldau, einer der beiden Berichterstatter des Sanitätscollegiums, hatte bereits während eines Zwischenverhörs mit Frau Trümpy, am Tage nach dem Hauptverhör derselben, die Bemerkung gemacht, Frau Trümpy sei offenbar körperlich sehr angegriffen und ihre Physiognomie biete durch das jeweilige Aufblicken nach bestimmten Richtungen den Ausdruck einer mit Hallucinationen Behafteten dar; das stelle sich heute noch viel unzweifelhafter heraus als gestein. Director Schärer wurde ersucht, auch über den Geisteszustand der Frau Trümpy ein Gutachten abzugeben. Er nimmt als unzweifelhaft an, daß zu gewisser Zeit ein krankhaft gestörter Seelenzustand vorhanden gewesen, sogar der bei Irren besonders prägnante Wahn des Verfolgtseins. Auch er nimmt einen Wechsel im Zustande an, der aber noch jetzt fortdauere, einen Wechsel, welcher jedoch nach einer Wellenlinie, bald höher, bald tiefer ginge, und nicht in gerader Linie zur Besserung führte. Die charakteristischen Intermissionen oder Remissionen, diese Zwischenräume in der Krankheit, in welchen es bald besser und bald wieder schlechter geht, sind bei Seelenstörungen ganz besonders in Betracht zu ziehen. Dieser charakteristische Wechsel der Stimmung spricht sich besonders in den beiden Briefen an die Familie Demme und den Untersuchungsrichter aus. Der erste zeigt offenbar ein gehobenes Selbstgefühl. Sie sagt darin: Ich bin unschuldig! Sie vergleicht sich darin mit der vornehmen Welt, welche in schönen Kleidern, aber verdorbenen Herzens einhergeht. Sie setzt sich über dieselbe und sagt: Es wird einmal die Zeit kommen, wo diese glänzende Welt vergeht und die arme Gefangene wieder anerkannt wird. Sie ruft darin Halleluja. Im andern Briefe findet sich das Gegentheil. Da zeigt sich die größte Depression und Selbstanklage. Sie nennt sich Ehebrecherin und Mörderin ihres Mannes, erhebt die schrecklichsten Anklagen gegen sich, welche man gegen jemand aussprechen kann. Nicht nur selbst nennt sie sich Mörderin, sondern sie sagt, sie möchte auch noch einen andern zu einer schrecklichen That veranlaßt haben. »Ich möchte die Herren Geschworenen ganz besonders auf diesen Umstand aufmerksam machen, denn die Psychiatrie kann mit Bestimmtheit sagen: wenn bald solche Depression und bald wieder ein gehobenes Selbstgefühl sich zeigt, so hat man es mit einer Störung und zwar mit einer entschiedenen Seelenstörung, mit einer entschiedenen Geisteskrankheit zu thun. Man darf nicht annehmen, daß wenn eine Person einen logisch geordneten Brief schreibt, an dessen Form nichts auszusetzen ist, sie deshalb im gegebenen Moment gesund gewesen sein muß. Ich könnte Ihnen jede Woche Briefe von durchaus geisteskranken Personen vorlesen, in welchen man von der Geisteskrankheit nicht das Geringste merkt. Aus den Briefen der Frau Trümpy wird geschlossen, daß der erste, weil die Delirien darin deutlicher zum Vorschein kommen, krankhaften Inhalts sei, der zweite dagegen müsse die Wahrheit enthalten und sei ein Zeichen aufrichtiger Reumüthigkeit. Ich gebe das nicht zu, sondern behaupte, daß beide Briefe in Wechselbeziehung zur damaligen Seelenstörung gestanden haben; nur ist beim ersten ein offenbares Delirium eingelaufen. Allein im einen zeigt sich deutlich das krankhaft gehobene und im andern das krankhaft gesunkene Bewußtsein.«

Herr Director Schärer weist dann auf ein Zeugniß des frühern Hausarztes hin, welches behauptet, daß sich Frau Trümpy nicht über die geistige Mittelmäßigkeit erhebe. Dagegen bekunden beide Briefe einen mit diesem Urtheil unvereinbaren Schwung. Auch das ist als ein Hinweis auf einen krankhaften Seelenzustand zu betrachten. Beide sind während einer entschiedenen Seelenstörung geschrieben und beide enthalten, nach ihrem Inhalt, das Dictat einer krankhaft exaltirten und deprimirten Gemüthsstimmung. Das ist mein Urtheil über den Zustand der Zurechnungsfähigkeit, in welchem sich Frau Trümpy beim Schreiben dieser Briefe befunden haben muß.

Der Eindruck dieses Gutachtens muß auch in der damaligen Versammlung ein bedeutender, vollkommen überzeugender gewesen sein. Von den gerichtlich ernannten Sachverständigen schlossen sich ihm die Professoren Tribolet und Ionquière im wesentlichen an, soweit überhaupt noch Unterschiede zwischen ihnen und Director Schärer bestanden, und damit war dem Briefe der Frau Trümpy an den Untersuchungsrichter jede Bedeutung entzogen.

IX. Dessenungeachtet sind die Stimmen derer auch jetzt noch nicht verstummt, welche es sich nicht nehmen lassen wollen, daß hier kein Selbstmord vorliege, wie deren unsere nach Reichthum und Genuß jagende Zeit jährlich Tausende gebiert, ein Selbstmord, der bei einem Menschen von Trümpy's Charakter, bei seinem Misgeschick, nicht wundernehmen kann, sondern eins der furchtbarsten Verbrechen, wenn nicht am Gatten, doch am Freund und Pflegebefohlenen. Die sinnverwirrten Aussagen der beklagenswerthen Frau geben bis heute noch diesem Argwohn die letzte Nahrung. Es sei uns vergönnt, vorgreifend »die letzte« zu sagen, obwol wir erst im Folgenden darthun müssen, daß jeder andere Grund zum Argwohn mangelt.

Machen wir also hier halt, nehmen wir einmal an, Frau Trümpy habe nicht nur im Irrwahn eines gestörten Geistes die schreckliche Vermuthung ausgesprochen. Nehmen wir an, der Zustand Trümpy's sei für ihn selbst wie für seine Angehörigen ein unerträglicher gewesen, was in Wahrheit durchaus nicht der Fall; Frau Trümpy sei dadurch in Verzweiflung gerathen, wovon wir durchaus nichts wissen, und habe wirklich zu Demme gesagt: können Sie ihm nichts zur Beruhigung geben? und habe wirklich hinzugefügt: er stirbt ja so gern! Dann müssen wir zunächst fragen: hat Frau Trümpy dadurch Demme zum Mord verleiten wollen? Frau Trümpy antwortet zu allen Zeiten entschieden mit: Nein! Aber der Zusatz zu jener Frage klänge doch so bedenklich, daß man ein Misverstehen von seiten Demme's für nicht unmöglich halten könnte. Er hat also verstanden, Frau Trümpy wünsche, daß ihr Mann vergiftet werde, um ihn von den Leiden seines Zustandes zu befreien. Doch der Arzt konnte sich ja nicht im Zustande seines Kranken täuschen. Das Uebel war (laut Sectionsprotokoll) in der Heilung begriffen, die Schmerzen mußten binnen kurzem von selbst aufhören. Dieses konnte also nicht zum Morde bestimmen. Frau Trümpy müßte folglich in ihrem reumüthigen Geständnis zur Hälfte gelogen und in Wahrheit einen andern Beweggrund vorgebracht haben. Dann fiele freilich auch die Möglichkeit eines Misverständnisses hinweg, die Frau hätte den Tod ihres Mannes ernstlich beabsichtigt. Welchen Grund könnte sie dazu haben, der geeignet gewesen wäre, zugleich auch in Demme den nämlichen Entschluß hervorzubringen? Der drohende Bankrott? Der wurde durch Trümpy's Tod nicht abgewendet, sondern beschleunigt, niemand hätte ihn abzuwenden vermocht, wenn nicht Trümpy vielleicht noch selbst. Der Wunsch, von Trümpy erlöst zu werden? Demme war nicht mehr der Liebhaber der Mutter, sondern der Freier um die Tochter.

Die Mutter legte seinem Wunsche noch Hindernisse in den Weg, der Vater bot offen die Hand dazu, wollte dem jungen Paar schon die Wohnung einrichten, die Tochter liebte ihren Vater zärtlich, würde seinen Mörder verabscheut haben. Da trennen sich also nicht nur die Interessen, sondern das Demme's tritt dem Vorhaben der Frau Trümpy entschieden feindlich entgegen. Die frühere zum Mitleid erkaltete Liebe zur Mutter ist kein Motiv, das hier erheblich in die Wagschale fallen und einen Mann von Demme's Verstand und Willenskraft zur nichtswürdigsten Thal hätte bewegen können, welche ihm nicht nur keinen Vortheil bot, sondern, selbst wenn sie zwischen ihm und Frau Trümpy geheim blieb, ihn ganz in die Hand der letztern brachte und sein Leben mit Gewissensqualen erfüllte, wenn sie auch nur geahnt wurde, ihm schon das raubte, wonach seine Liebe und sein wissenschaftlicher Ehrgeiz strebten; wenn sie gar entdeckt wurde, ihn aus dem Buche der Lebenden ausstrich. Endlich, als letztes denkbares Motiv, eigener Haß gegen Trümpy? Wir wissen im Gegentheil, daß die beiden so verschiedenen Menschen sich zu einer gewissen Freundschaft zueinander gefunden hatten, daß sie einander zu vielfachem Dank verpflichtet waren, daß Demme eine große geheime Schuld gegen Trümpy auf dem Herzen trug und sie durch die Verbindung mit Flora gewiß am sichersten in Vergessenheit brachte. Von Haß zeigt sich nirgends eine Spur, im Gegentheil erscheint Demme überall (mit jener Ausnahme) als ein wohlmeinender, verständiger und aufrichtiger Freund Trümpy's.

Also lag für Demme kein irgend denkbares Motiv vor, Trümpy zu morden, Wohl aber Gründe des Interesses genug, eine Zumuthung der Art entschieden zurückzuweisen. Und nicht nur des Interesses. Mag auch manche Farbe in dem vortheilhaften Bilde verwischt sein, welches wir zu Anfang unsern Lesern mitgetheilt haben: trotz der sinnlichen Verirrungen und entstellenden Lügen bleibt von dem talentvollen, trefflich erzogenen, liebenswürdigen, humanen, uneigennützigen, rastlos auf den Bahnen edler Kunst und hoher Wissenschaft strebenden jungen Manne doch noch genug erhalten, was ihn nicht zum Abgrund des Mordes hinabstürzen läßt. Der Mord ist eine Ausgeburt dämonischer Leidenschaft, entmenschter Wildheit oder kalt berechnender Empfindungslosigkeit. Von keinem läßt sich eine Spur in Demme entdecken.

So führt uns denn auch der Rückschluß zu dem gleichen Ergebniß: weil kein denkbarer Grund für einen Mord spricht, den Demme an Trümpy verübt hätte, muß die halb ausgesprochene Beschuldigung der Frau Trümpy unglaubhaft und vom Irrwahn einer geistig Gestörten hervorgebracht sein.

Zu diesen Vor- und Rückschlüssen gesellt sich noch eine Bestätigung aus dem Gebiete der Erfahrung. Die gewichtigsten Gründe liegen vor zu der Annahme, daß Trümpy, getrieben von Lebensüberdruß, Scham über seine Krankheit, Verzweiflung beim unvermeidlichen Bankrott und der Aussicht auf Schande und Armuth seinem Leben in jener Nacht vom 15. auf den 16. Febr. freiwillig ein Ende machen wollte, daß er die Mittel zum Selbstmord vorbereitet hatte, und da gerade wäre seiner eigenen Hand eine fremde zuvorgekommen? Die reichhaltigen Annalen der Criminalistik werden kaum ein einziges Beispiel solch eines unwahrscheinlichen Zusammentreffens aufzuweisen haben, und wo das eine Verbrechen bis zu solchem hohen Grade der Wahrscheinlichkeit erwiesen ist, nimmt man kein anderes, unerwiesenes an.

X. So blieb denn gegen Demme nur noch das Gutachten der Gerichtsärzte und des Sanitätscollegiums bestehen. Die neunte und zehnte Sitzung, am 3. und 4. Nov., wurden den medicinischen und chemischen Erörterungen gewidmet, und es entspann sich im Gerichtssaale einer der glänzendsten Redekämpfe zwischen bedeutenden Vertretern dieser Wissenschaften mit sehr unerwarteten Erfolgen. Wir bedauern, daß der uns vergönnte Raum nur eine sehr skizzenhafte Schilderung zuläßt und uns hauptsächlich auf die Wiedergabe der Resultate beschränkt. Von besonderm psychologischen Interesse ist es, daß auch Demme mit einem Feuer, einer Gründlichkeit und Schärfe der Dialektik sich daran betheiligt hat, wir möchten sagen mit einer Unbefangenheit, als handle es sich für ihn um nichts mehr, als bei einer Disputation in der Aula der Universität seine Thesen zu vertheidigen.

Die Gerichtsärzte bleiben zunächst bei ihrem Gutachten (kein Selbstmord, fremde Schuld, Unwahrheit der Demme'schen Vergiftungsgeschichte) stehen und entnehmen auch aus dem erst durch die Hauptverhandlung ermittelten, gänzlichen Vermögensruin Trümpy's keinen ausreichenden Grund für einen Selbstmord; Trümpy hätte vielmehr dadurch angespornt werden müssen, sein Geschäft wieder in die Höhe zu bringen. Der Eindruck des bereits am Sonntag angelangten lenzburger Telegramms könne am Montag nicht mehr so tief gewesen sein.

Hingegen sind die Berichterstatter des Sanitätscollegiums (Dr. Bourgeois und Director Schärer) durch die in der Hauptverhandlung neu hervorgetretenen Umstände noch mehr davon, daß Trümpy mit Todesgedanken gerungen habe und ein Selbstmord wahrscheinlich sei, überzeugt worden.

In Bezug auf den Widerspruch in Demme's Berichten bleibt Dr. Bourgeois dabei stehen, daß Demme die Vergiftungsgeschichte unwahr dargestellt habe, um, im Interesse der Familie, zu vertuschen.

Anders Director Schärer. Er sagt: »Ich finde auch einige Widersprüche in dem Gutachten des Dr. Demme, allein dieselben stehen mir immer nicht im Wege, die Möglichkeit von Demme's Behauptungen des schnellen Todes Trümpy's und die Art und Weise, wie derselbe vor sich gegangen ist, anzunehmen. Ich halte nicht einmal dafür, daß Dr. Demme etwas habe vertuschen wollen, sondern ich glaube, er habe den Strychnintod wirklich nicht als solchen erkannt.«

Das Merkwürdigste, nach Demme's Erzählung, besteht nach Schärer darin, daß der erste Anfall des Strychnin und der Tod außerordentlich nahe aneinandergerückt wären, viel näher als bei irgendeinem andern bekannten Beispiel an Menschen. Daraus schlössen Experten und Collegium, Demme könne die Wahrheit nicht berichtet haben. Director Schärer hingegen zieht die Constitution und Vollblütigkeit Trümpy's, sein (geradezu braunes) Aussehen in der letzten Zeit, seine Trunksucht, die Verwachsungen der Hirnhäute mit dem Schädel, daher Disposition zu Kopfcongestionen, in Erwägung und meint, daß infolge dessen bei dem ersten Strychninkrampfe sehr wohl eine Blutanstauung im Gehirn habe stattfinden können, welche augenblicklich tödtete. Auch die große Dosis Gift, bei der Leere des Magens und der durch das Trinken erfolgten Herabstimmung und geringem Widerstandsfähigkeit der Nervencentren, könne dazu mitgewirkt haben. Darum hätte durch die Blutanstauung Schlagfluß und Lähmung eintreten können, als eben erst das Gift zu wirken begann, und mehrere tetanische Anfälle wären nicht nöthig gewesen.

 

Nach einer langem, in die einzelnen physiologischen Erscheinungen sich vertiefenden Disputation mit Herrn Dr. Bourgeois, bei welcher auch Demme sich lebhaft betheiligte, spricht Director Schärer offen aus, man hätte den tetanus strychnicus in diesem Falle verkennen können, wie selbst der berühmte Dr. Maschka geschrieben, er hätte ihn unter solchen Umständen verkannt; es hätte nämlich manches an dem Schulbilde der Strychninvergiftung hier gefehlt. »Allein wir haben in der Wissenschaft kein Recht, zu sagen: weil dieser Fall noch nicht beschrieben ist, konnte er nicht vorkommen. Man muß individualisiren und es kommen immer Fälle vor, die nicht zu dem Schulbild passen. Ich habe schon die größten Lehrer sagen hören, das und das habe ich in meinem Leben noch nie gesehen, und so werden immer Fälle vorkommen, die sich nicht unter die bisherigen Klassifikationen einreihen lassen. Bei Strychninvergiftung namentlich sind eine Menge von Fällen bekannt, die so oder anders abweichend von den gewöhnlichen Vorgängen verlaufen sind.«

Insoweit wie in der hohen Wahrscheinlichkeit der Annahme eines Selbstmords von seiten Trümpy's, nach den neugewonnenen Ergebnissen der Hauptverhandlung über Vermögens- und Creditverlust Trümpy's, stimmt Dr. Bourgeois mit Director Schärer überein. Director Schärer fügt hinzu, daß nach der Statistik Trunksucht und finanzieller Ruin die häufigsten Veranlassungen zum Selbstmord sind. Auch das Vorkommniß, daß Selbstmörder die Nähe eines Arztes bei Ausführung dieses Entschlusses suchen, bestätigt sich.

Herr Professor Aebi findet keine außerordentlichen Abweichungen in dem zweiten Berichte Demme's über den Todeshergang mit dem Schulbilde von dem Strychnintode, alle wesentlichen Momente wären vorhanden, darum brauche man keinen Zweifel in Demme's Angaben zu setzen.

Der als Autorität eingeladene Herr Professor Dr. Husemann aus Göttingen schließt sich im wesentlichen den Ansichten der Herren Schärer und Aebi an. Die Auffindung von Strychnin im Magen und Dünndarm beweise noch nicht die Resorption des Giftes durch den Körper. Zum Nachweise dessen hätte man noch Leber, Blut und Urin untersuchen müssen. Er nimmt nur den Beginn eines tetanischen Krampfes an. Die Angaben Demme's entsprächen vollständig der Möglichkeit. Der Tod sei, wie schon Dr. Schärer klar und deutlich ausgeführt, apoplektisch-suffocatorisch erfolgt, darum sei es auch möglich, daß Demme die Strychninvergiftung nicht erkannt habe. Wider Willen würde jemand eine Dosis von 10 Gran aufgelösten Strychnins nicht haben beigebracht werden können; er würde einen Theil davon wieder ausgespien haben. »Nach meiner Ueberzeugung gehört sogar ein fester Wille dazu, eine solche Portion Strychnin zu verschlingen. Die ungeheuere Bitterkeit des Mittels ist ein Indicium für Selbstvergiftung, wenn man 10 Gran im Magen findet, die wahrscheinlich oder gewiß in Lösung beigebracht sind.« Dr. Husemann hält es, bei der Größe der Giftdosis und der Leere des Magens, zumal bei der außerordentlichen Hyperämie der Gehirnhäute, nicht nur für recht wohl möglich, sondern sogar für wahrscheinlich, daß nur ein einziger (beginnender) tetanischer Anfall stattgefunden habe.

Herr Dr. Küpfer schließt sich nunmehr der Ansicht an, daß nur ein einziger tetanischer Anfall stattgefunden haben könne, und erklärt unverhohlen, daß das von ihm und Professor Emmert abgegebene Gutachten weiter gehe, als es jetzt, nach Anhörung der sämmtlichen Verhandlungen, noch gehen würde.

Herr Professor Emmert hingegen findet sich durch alle Erörterungen nicht im mindesten veranlaßt, von den Schlüssen seines Gutachtens abzugehen. Indeß scheint die leidenschaftlich erregte Weise, in welcher er seine anfängliche Meinung verfochten hat, weder auf die Geschworenen noch auf das zahlreiche Publikum eine Wirkung in dem von ihm beabsichtigten Sinne geübt, sondern nur den Anlaß zu nicht minder heftigen Angriffen gegen ihn, von seiten der Verteidigung, gegeben zu haben.

In aufmerksamer Verfolgung aller wissenschaftlichen Gründe für und wider können wir nur zu dem Schlusse gelangen, daß der von Demme in seinem zweiten Bericht geschilderte Hergang von Trümpy's Tode nicht nur nicht zu widerlegen ist, sondern höchst wahrscheinlich der Wirklichkeit entspricht.

Damit fällt aber auch der letzte Verdachtsgrund von allen, mit denen man Frau Trümpy und Demme des Verbrechens des Giftmordes am Gatten und dem Freunde beschuldigt hatte, wesenlos in sich zusammen.

Wir sprachen zu Anfang von dem Facit, welches die öffentliche Meinung alsbald nach Trümpy's Tode zog und das so sehr zu Ungunsten der Angeschuldigten ausfiel. Stellen wir jetzt in kurzer Recapitulation das Für und das Wider gegeneinander, wie die Untersuchung und Hauptverhandlung beides ergeben hat.

Demme hat in unerlaubtem Verhältnisse zu Frau Trümpy gestanden. Dieses war jedoch, wenn es wirklich je eine tiefere Leidenschaft gewesen, nicht nur lange über seinen Höhenpunkt hinaus, sondern auch in der neuen, stärkern Liebe zur Tochter untergegangen.

Gegen die ihnen bereits gedrohte Untersuchung haben sich beide Angeschuldigte durch eine Reihe von Lügen und Listen zu schützen versucht. Es war dies die Nothwehr eines vielleicht nur in einem andern Punkte belasteten Gewissens.

Demme's erster Bericht über Trümpy's Tod verschweigt Momente, welche unwesentlich erschienen, wenn Demme, was möglich war, eine Apoplexie annahm. Ahnte Demme hingegen schon eine Vergiftung, so ist es nicht unglaubhaft, daß er, der Familie wegen, einen Selbstmord verhehlen wollte.

Die Möglichkeit des Todeshergangs, wie Demme ihn später schildert, ist nunmehr in allen Punkten dargethan und von den bedeutendsten Aerzten sogar zur Möglichkeit erhoben.

Die Privatsection, aus welcher man einen schweren Verdachtsgrund gegen Demme hergeleitet hatte, spricht insofern für den Angeklagten, als dieser, bei dem Bewußtsein eines Verbrechens, die Spuren desselben durch Oeffnung des Unterleibs u.s.w. gewiß beseitigt haben würde.

Was Demme in der letzten Nacht dem Kranken erwiesenermaßen eingegeben hat, kann sehr wohl Chinin, kann aber nicht Strychnin gewesen sein.

Die halben, unsichern Anschuldigungen Demme's durch Frau Trümpy sind ein Erzeugniß ihres zweifellosen Irrwahns, einer fortbestehenden Geisteskrankheit.

Im Zusammenhang mit dem schon länger andauernden Geschäftsrückgang bei Trümpy, seinen gewagten und misglückten Geldoperationen, wie seinen Ausschweifungen und seiner maßlosen Trunksucht, steht seine Gemüthszerrüttung, Jähzorn, Wildheit, Todesahnungen, Selbstmorddrohungen, die Waffe, welche er zur Ausführung geladen hatte, ferner seine Niedergeschlagenheit, schmerzliche Bewegung, zärtliche Stimmung und bestimmte Voraussagung seines Todes in den letzten Tagen. Die abermalige Ansteckung, an welcher er litt, trug wesentlich zu dem einen wie zu dem andern bei. Von entscheidendem Einflüsse ist die nunmehr zweifellos gewordene Ueberzeugung von einem rettungslosen Bankrott und schließlich das Telegramm aus Lenzburg gewesen.

Daß Trümpy im Besitz von Strychnin gewesen sein kann, daß er schon vor längerer Zeit über die wahre Wirkung desselben sich erkundigt hat, steht fest. Daß er schon vorher Proben damit an Hausthieren angestellt, ist nicht unwahrscheinlich.

Die Dosis von mindestens 10 Gran dieses Giftes spricht gleichfalls für Selbstmord.

Betrachtet man unbefangen die zweifellose Thatsache, daß Demme nur durch dringende Bitten Trümpy's überredet worden ist, die beiden Nächte zu wachen, ursprünglich aber, am Sonntag wie am Montag Abend, sich bereits angeschickt hatte, nach Bern zurückzukehren: so wird man darin einen unter den vorliegenden Verhältnissen nicht ungewöhnlichen Freundschaftsdienst, gewiß aber nicht das berechnete Spiel eines lauernden Mörders erkennen.

Weder in Demme's Charakter noch in dem der Frau Trümpy sind Eigenschaften hervorgetreten, nach denen man sie für fähig halten könnte, einen Meuchelmord zu verüben. Hingegen trauen alle Personen, welche Trümpy näher gestanden haben, diesem zu, daß er unter dem Druck seiner Lage an sein Leben selbst Hand gelegt haben könne.

Noch weniger als bei Frau Trümpy kann man bei Demme, zu damaliger Zeit, ein genügend mächtiges Motiv, ja nur einen denkbaren Grund erkennen, warum er Trümpy nach dem Leben getrachtet haben sollte. Vielmehr walteten bei Demme genug Gründe des Verstandes und gemüthliche Einflüsse vor, welche ihn bestimmt haben müßten, jeden derartigen Plan nicht nur zurückzuweisen, sondern auch ihm entschieden entgegenzutreten.

Ziehen wir von diesen einzeln gewonnenen Ergebnissen die Summe, so geht alles, worauf sich die Anklage stützte, fast Null für Null auf, hingegen die Gründe für die Unschuld der beiden Angeklagten, welche anfangs hinter den Belastungsmomenten verschwanden, treten hervor und reihen sich mit unwiderstehlicher Macht aneinander.

Die Hauptverhandlung vor den Geschworenen währte vom 25. Oct. bis zum 6. Nov. 1864. Ihre Resultate haben wir bereits unserer Darstellung eingefügt. Sie wurde mit außerordentlicher Beherrschung des riesigen Stoffes, mit nie versagender Schärfe der Dialektik und dabei dennoch mit höchst anerkennenswerther Unparteilichkeit, Humanität und Würde von dem Herrn Oberrichter Moser, als Präsidenten, geleitet.

Die Staatsanwaltschaft, vertreten durch den Herrn Bezirksprocurator Haas, hielt die Anklage gegen Dr. Demme aufrecht, nahm aber bei Frau Trümpy augenscheinlich nur eine moralische, keine juridische Mitschuld an, begangen durch jene unbedachten und misverstandenen Worte. Also um Frau Trümpy gefällig zu sein, mußte Demme einen Giftmord begangen haben. Und der Preis für ein solches Verbrechen? Dessen hätte Demme sich bei dieser Annahme nicht einmal durch ein ausdrückliches Versprechen gesichert gehabt. Doch hoffte er, daß dankbare Erkenntlichkeit ihm dennoch diesen Preis gewähren würde, nämlich: die Hand Flora's! Wir wissen, wie Frau Trümpy hierüber gesinnt gewesen, daß hingegen Herr Trümpy die Tochter seinem Freunde fast aufdringen wollte und daß Flora ihren Vater zärtlich liebte.

Noch ein zweites Motiv figurirt im Beginn der Anklage, wird jedoch durch die schließliche Annahme derselben aufgehoben: Frau Trümpy habe wirklich den Mord betrieben, damit ein Theil des Vermögens gerettet werde. Alfons Bauer, der Neffe der Frau Trümpy, konnte ihr diese Täuschung benehmen. Die einzige Hoffnung stand darauf, daß Trümpy durch seine Gewandtheit die drohende Katastrophe vielleicht hinausschieben könnte und inzwischen besser speculirte als bisher. Verschwendung brauchte man nicht mehr von ihm zu besorgen, denn er war ja schon in der letzten Zeit zum Knauser geworden.

Die aufgetauchte Meinung, Demme könne vielleicht nur, auf Trümpy's Verlangen, Helfer bei dessen Selbstmord gewesen sein, weist der Staatsanwalt aus psychologischen Erwägungen zurück. Allerdings kommen auch derartige Fälle in den criminalistischen Annalen vor, allein unsers Wissens nur da, wo die That zu ihrer Ausführung eines Gehülfen bedurfte. Und das war hier nicht so. Trümpy konnte im Besitz von Gift sein und konnte es in einem Glase auflösen, dann bedurfte es nur einer halben Minute Entschlossenheit und die That war vollbracht.

Herr Fürsprech Aebi vertheidigte Frau Trümpy mit Meisterschaft, seiner Darstellung haben wir im Anfang den größten Theil von Trümpy's Charakterbild entlehnt; trefflich ist seine Schilderung der letzten Tage des Selbstmörders.

Herr Fürsprech Dr. Vogt führte die Verteidigung Demme's mit feuriger Beredsamkeit, welche ihn oft zu heftigen Angriffen hinriß. Doch auch die Sache verstand er einschneidend zu treffen, so z.B. in seinem Einwurf, daß ein Arzt, der einen Giftmord begehen wolle, gewiß nicht eine zehn- oder zwanzigfache Dosis Gift über das Hinreichende geben werde, theils wegen des Strychningeschmacks, theils wegen der Leichtigkeit späterer chemischer Darstellung desselben.

Die Geschworenen verneinten die an sie gerichtete Frage auf Giftmord in Bezug auf beide Angeklagte. Hingegen bejahten sie, »daß Demme sich einer groben Pflichtverletzung in seiner Stellung als patentirter Arzt und Wundarzt und in seiner Handlungsweise im Krankheits- und Sterbefalle an Kaspar Trümpy namentlich dadurch schuldig gemacht, daß er einen oder mehrere falsche Berichte dem Regierungsstatthalteramte eingereicht habe«. Sie nahmen jedoch hierbei das Vorhandensein mildernder Umstände an.

Der Gerichtshof sprach der Frau Trümpy 1540 Frs. Entschädigung zu, dem Dr. Demme rechnete er die ausgestandene Haft an und verurtheilte ihn zur Tragung von 2208 Frs. Untersuchungskosten.

Das den Angeklagten anfangs mißgünstige Publikum, zum größten Theile den höhern Ständen angehörig, begrüßte beide Freisprechungen mit lautem Beifall.

 

So hatte die Gerechtigkeit der Menschen des schönsten Theils ihres Amtes walten und die Angeklagten von der Schuld eines furchtbaren Verbrechens lossprechen können. Die andere schwere Schuld, für welche es keinen menschlichen Richter gab, verfiel dem Richter, der durch das Gewissen spricht.

Wir haben mit Schauder und Mitleid in die Seelenqualen der Frau des Selbstmörders geblickt. Die Last ihres Elends war noch nicht voll.

Wenige Tage nach dem Freispruch verschwanden Dr. Demme und Flora Trümpy aus Bern. Sie hinterließen Briefe, daß Demme die Verletzung seiner wissenschaftlichen Ehre nicht überleben könne, daß sie in der Tiefe des Genfersee ein gemeinsames Grab suchen wollten. Hinter ihnen erhob sich ein neues, schreckliches Gerücht. Einen kostbaren Diamantring, den er Flora geschenkt, sollte Demme einer fremden Dame in einem berner Gasthofe gestohlen haben.

Die Beschuldigung ist, nach Zeitungsnachrichten, gerichtlich begründet worden. Ob das wahr ist, wissen wir nicht. Mit Demme's sonstiger zweifellosen Uneigennützigkeit steht es im grellen Widerspruch. Er selbst hat sich gegen diesen schmachvollen Verdacht nicht mehr vertheidigen können. Doch selbst aus einem Diebstahl ließe sich kein Schluß auf einen an Trümpy begangenen Mord ziehen.

Daß aber die tiefe und leidenschaftliche Liebe Demme's und Flora's vorhanden, daß sie nicht eine Schutzlüge war, das ist durch die Flucht und durch den Todt besiegelt.

Die Flüchtigen gaben ihre erste Absicht, sich zu ertränken, auf, sie wanderten bis Mailand, fuhren nach Nervi und am andern Morgen fand man beide todt. Sie hatten Gift genommen. Dort fanden sie, was sie gesucht: ein gemeinsames Grab.


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