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An den Jahren 1835 und 1836 waren wol Wenige in Berlin, die nicht von der Goldprinzessin gehört hatten. Wer sie nicht selbst gesehen, hatte sich doch von Andern erzählen lassen, wie sie aussah. Der allgemeine Gegenstand der Unterhaltung, beschäftigte sie die höhern Kreise der Gesellschaft und war doch noch mehr Gegenstand der Neugier, der Bewunderung und des Staunens in den untern. Wenn ihr Wagen durch die Straßen rollte, raunte man sich zu: dort kommt sie. Wenn er vor einem Hause, einem Laden hielt, sammelten sich Neugierige in ehrerbietiger Entfernung, aber auch die umliegenden Fenster öffneten sich, und selbst Personen, welche sonst dem Kitzel für Wunderdinge mit ungläubiger Miene oder einem verächtlichen Achselzucken begegnen, widerstanden doch nicht, einmal den Kopf hinaus zu stecken, um zu erfahren, wie denn das Wunderkind aussah.
Man hat die Bemerkung gemacht, daß Berlin, gleich andern großen Städten, wo viel Müßige sind, wenn nicht alljährig, doch Jahr um Jahr, zur Auffrischung aus dem Alltagsleben, einer allgemeinen Nahrung aus dem Reiche des Wunderbaren bedarf, und wenn dieses Bedürfniß recht lebhaft geworden, bietet der Stoff sich von selbst dar. Es wäre nicht ohne Interesse, die Geschichte dieser Chimären, Hoaxe, wie der Engländer sie nennt, zu sammeln und in historischer Reihenfolge aufzuschreiben; wenn auch nur zum Belege dafür, daß die großen Wahnbilder, welche im Mittelalter Länder und Völker in Aufruhr brachten, mit unseligen, doch zuweilen auch heilsamen Folgen, in der modernen Zeit nicht ganz ausgegangen sind, daß Luft- und Dunstgestalten vielmehr noch immer strichweise eine Wirkung auf die Massen ausüben, die unsere Vernunft nicht erklären kann, als wolle so das von der Kritik geächtete Mysterium sich rächen. Wir erinnern nicht sowol an das Choleragespenst, den Wahnglauben von den inficirten Brunnen, der, von Petersburg und Moskau bis Madrid sich erstreckend, uns auf einen Augenblick aus unserer gewöhnten Civilisation in die finstersten Zeiten des Mittelalters versetzte. Wir erinnern nur an die kleinen Spukbilder der Phantasie, die neckend von Ort zu Ort ziehen, wie das von der Dame mit dem Todtenkopf. Sie tauchen aber auch in anmuthigerer, schalkhafter Gestalt auf, wie die Geschichte von der schönen Henriette, oder auf dem Gebiete der Visionen, der Panaceen und für die Menschheit allgemein heilsame Erfindungen. Somnambule, Clairvoyante, kluge Schäfer müssen in einem Reigen mit Tänzerinnen, Sängerinnen oder Hochstaplerinnen den Heißhunger der Blasirten, Müßigen nach dem Pikanten befriedigen. Und die Verständigen werden mit fortgerissen.
Die Goldprinzesin in Berlin schien zu den Spukgestalten schalkhafterer Art zu gehören; sie war ein anmuthiges Märchen. Denn daß hinter ihrer Erscheinung eine Mystification ruhe, behauptete die Kritik, die mitten im Fanatismus der Illusionen in Berlin thätig ist, schon bald nach ihrem Auftreten. Es war zu auffällig.
Aufgetaucht, man wußte nicht wie, entfaltete die junge Dame einen Glanz und Aufwand, der den Neid erregte. In der elegantesten Equipage fuhr sie durch die berliner Straßen und Spaziergänge, anfänglich mit gemietheten Pferden und Wagen, bald darauf mit eigenen. Wenigstens hatte sie zwei schöne Pferde gekauft, deren Furagelieferung allein monatlich über 50 Thaler kostete und – bezahlt wurde. Außerdem mußten für eine gleiche Summe noch täglich zwei Pferde bei einem Fuhrherrn zu ihrer Disposition stehen. Sie hatte anfangs mit bescheidenen Wohnungen sich begnügt, bald miethete sie größere, kostbarere, eine ganze Villa, zuerst in Charlottenburg, dann im Thiergarten. Sie meublirte sie selbst mit den ausgesuchtesten Gerätschaften. Sie hielt einen Livreebedienten, der sehr im Vertrauen seiner Herrin zu stehen schien, einen Kutscher, Köchin, Dienstmädchen und – eine Gesellschafterin!
Man sah diese Equipage und die Dame mit ihrer Begleiterin Tag für Tag auf den Straßen; im Winter war sie fast alle Abende im Theater. Sie hielt Stunden lang vor den besuchtesten Modeläden und kaufte dort kostbare Zeuche, Bijouterien, Uhren, silberne Leuchter, Geschirr, auch Kunstsachen. Die Goldprinzessin war bald die gefeiertste Kundin für die Kaufleute, von ihnen aufgesucht, mit Anerbietungen, Anliegen bedrängt. Aber nicht von diesen allein. Mit den Wagenfabrikanten stand sie noch im lebhaftesten Verkehr. Sie tauschte ihren Wagen mehrmals auf deren Vorstellungen ein, um immer den elegantesten zu haben, und diese Fabrikanten und Kaufleute machten mit der liebenswürdigen Dame doppelt gute Geschäfte; sie war nicht schwierig im Handel und producirte dem Publicum die neuesten Moden. War doch ihre Equipage vor den Kaufläden schon zu einer Schaustellung geworden. Zugänglich, freundlich, verschaffte sie Dem und Jenem, der Capitalien bedurfte, dieselben, wenigstens hieß es so, und die Armen umlagerten ihre Thüre mit mündlichen und schriftlichen Bittgesuchen. Es verlautete, sie gibt Allen.
Man sprach von Reisen, die sie nach Brüssel, London unternommen; gewiß wußte man, daß sie mehrmals nach Hamburg und in die böhmischen Bäder gefahren war. Nach Karlsbad und Prag fuhr sie mit vier Pferden Extrapost. Von dort aus hatte sie reiche Geschenke mitgebracht, und auch in Berlin machte sie sehr kostbare, an silbernen Kronleuchtern, Uhren, Gemälden an ihre Bekannten. Der Gattin eines reichen jüdischen Banquiers, mit welcher sie früher in Verbindung gestanden, hatte ein Wagen beim Sattler Konrad sehr gefallen; die Banquierfrau stand mit ihm deshalb in Unterhandlungen. Als die Goldprinzessin dies erfuhr, kaufte sie den Wagen schnell für 1500 Thaler und bot ihn der Dame zum Geschenk an. Das Geschenk ward abgelehnt, die Geschichte aber Verlautbarte. Sie hatte Bekannte, das wußte man, aber ihr eigentlicher Umgang entsprach doch dem Glänze nicht, mit dem sie auftrat. Sie kam in keine Gesellschaft, was man in der fashionabeln Sprache so nennt, noch sah sie Gesellschaft bei sich.
Dies konnte den Verdacht gegen sie bestärken, und der Grund, der dafür angeführt ward, war nicht geeignet, ihn zu schwächen. Man sagte, und Einige versicherten es, sie sei die Braut eines reichen brasilianischen Grafen – Villamor, der sich in Hamburg, Brüssel oder Baden in sie verliebt, mit ihr verlobt und sie jetzt reisen und in Berlin verweilen lasse, um sich für die höheren Kreise, in die er sie einführen wolle, auszubilden. Nach Andern war es ein überaus reicher Senator in Hamburg, dessen Name damals viel in Berlin aus Grund einer andern Heirathsangelegenheit genannt wurde. Auch deutsche Grafen, ja sogar Fürsten hatten die Ehre, als Verlobte der interessanten Fremden genannt zu werden. Indessen hatte doch der Brasilianer die meisten Stimmen für sich. Daher ihr ungeheurer Reichthum, – sie sollte oft Weisungen von ihrem Bräutigam erhalten, sich von ihren früheren ökonomisch bürgerlichen Begriffen zu emancipiren und mehr auszugeben, als sie that – daher aber auch ihre anderweite Zurückhaltung von der Gesellschaft. Der brasilianische Graf kannte entweder die berliner Gesellschaft nicht, oder – er wollte seine Braut aus der Ferne beobachten und prüfen. – Henriette Wilke, diesen bescheidenen Namen führte die reiche Dame, war nicht schön; wenigstens lag in den gewöhnlichen Zügen ihres sonst regelmäßig hübschen Gesichtes nichts von einem ungewöhnlichen Zauber, der auf den ersten Blick fesseln kann. In den Gesellschaften, wo sie früher gesehen worden, galt sie für unbedeutend. Wie konnte ein reicher Graf sich so sterblich in sie verliebt haben, daß er mit so ungeheuern Kosten die junge Dame zum Heirathen sich erziehen ließ? Dafür wußte der Volksmund eine ausreichende Erklärung: Henriette hatte einen blendendweißen Teint und in's Röthliche streifende blonde Haare; Graf Villamor war ein Mulatte, oder gar ein Schwarzer. Man weiß, welche brennende Leidenschaft die Farbigen für weiße Frauen entzünden kann. Weiße Haut ist in Amerika Adel, Schönheit; der Farbige, auch reich, auch Graf, ist ein Wesen niederer Art, der seine Blicke zu keiner einheimischen weißen Schönheit erheben darf. Er muß Länder suchen, wo dieses Vorurtheil nicht herrscht. Wer an die andern weißen Bräutigams, Senatoren oder Grafen, glaubte, wußte von einer so abschreckenden Häßlichkeit derselben, daß es schon für eine Art Opfer galt, wenn ein einigermaßen wohlgebildetes Mädchen sich entschloß, ihnen die Hand zu reichen.
Alle diese Umstände erschienen als dringende Indicien, daß man einen weiblichen Glücksritter, eine Avanturiere vor sich habe. Es sprechen aber auch ebenso viele Indicien dagegen:
Henriette Wilke war keine Fremde, Unbekannte. Sie war ein berliner Kind, oder vielmehr aus Charlottenburg gebürtig. Von armen Aeltern, nachdem sie früh Vater und Mutter verloren, hatte eine sehr geachtete wohlhabende Familie, bei der ihre Großmutter als Wirthschafterin diente, sich ihrer angenommen und ihr eine Erziehung geben lassen, die über ihren Geburtsstand hinausging. Sie war von einem Familienmitgliede zum andern übergegangen, überall mehr als eine Pflegetochter, denn als Dienstbote behandelt. Nachdem sie als Bonne in einer jüdischen Banquierfamilie eine Zeit verbracht, auch hier dem Familienkreise näher stehend als es in der Regel bei Bonnen der Fall ist, war sie zu einer alten, unverheiratheten Dame nach Charlottenburg gezogen, von der noch viel die Rede sein wird, eine bejahrte Dame, die selbst des besten Rufes genoß, aus einer angesehenen Familie, mit ihr schon durch ihre Aeltern bekannt, und mit der sie, man wußte nicht in welchen Verhältnissen, aber doch auf dem vertrautesten Fuße lebte.
Schon die Namen aller dieser Familien und das Ansehen, dessen sie sich in Berlin erfreuten, waren für sie eine gewisse Bürgschaft, wenigstens in so weit, daß die Polizei keinen Anlaß hatte, sie mit lästigen Fragen und einer strengen Beobachtung zu verfolgen. Ihre Person, ihr Herkommen waren bekannt, und sie machte keinen Hehl daraus. Nur die Quelle ihres Reichthums war unbekannt; da aber nirgend die Spur eines großen Diebstahls, einer Betrügerei sich zeigte, da Niemand gegen sie Klage erhob, nicht einmal Verdächtigungen einliefen, so war kein Grund vorhanden, um deshalb gegen sie einzuschreiten, weil sie mehr ausgab, als man vernünftigerweise annehmen durfte, daß sie eingenommen habe. War die Polizei auch nicht verpflichtet, zu glauben, daß sie einen reichen Brasilier zum Bräutigam habe, so war sie doch auch nicht berechtigt, es zu bezweifeln.
Ueberdem, wenn sie eine Abenteuerin gewesen, was konnte der Zweck ihres Auftretens sein? – Sie drängte sich nicht in die Gesellschaft reicher und vornehmer Familien, wie Personen dieses Gelichters thun, um die Gelegenheit zum Diebstahl und Betruge abzulauschen, sie lebte eigentlich ganz isolirt. Die Personen, mit denen sie sich zunächst umgeben, waren durchaus nicht gefährlicher Art. Ihr Bediente, ein unverdächtiger Mann, hatte früher bei den achtbarsten Herrschaften, zu deren Zufriedenheit, in Diensten gestanden. Ihre Gesellschafterin war eine gebildete Dame, die Tochter eines ehemaligen höhern Justizbeamten, eines akademischen Lehrers und namhaften Schriftstellers seiner Zeit. Hier war also alles Licht ohne Schattenseiten; denn auch als die Polizei aufmerksam wurde, fand sie auch keine Spur einer verdächtigen Verbindung zwischen Henrietten und gefährlichen Subjecten. –
Und wen hätte sie betrügen sollen und um was? – Dummköpfe um Geld und Güter? – Sie sagte ja selbst, daß sie persönlich nichts im Vermögen habe, daß sie Alles der Großmuth ihres Bräutigams verdanke. Durch ihre Reize konnte sie Niemand ins Garn locken wollen, da sie sich als Braut eines angesehenen Fremden ausgab, der jeden Augenblick kommen und sie abholen konnte. Außerdem traf sie auch nicht der leiseste Verdacht eines unsittlichen Wandels. Ihr ganzes Auftreten hatte vielmehr etwas Bescheidenes. Während sie ihre Gesellschafterin mit Ketten und Federn ausschmückte, ging sie verhältnißmäßig einfach gekleidet, doch in kostbaren Stoffen.
Was sie kaufte, bezahlte sie baar, sehr hoch; man kann eher nach den spätern actenmäßigen Ermittelungen annehmen, daß sie betrogen ward. Sie nahm, was ihr gefiel, sie fragte wenig nach dem Preise, und die Verkäufer wußten den Glanz des Reichthums, den sie um sich verbreitete, und die Wahrnehmung, daß das Geld, als etwas Neues, leicht in ihrer Hand saß, zu ihrem Vortheil auszubeuten.
Sie war auch außerordentlich wohlthätig. Die Armen, die ihre Thür belagerten, gingen nie mit leeren Händen fort. Sie gab nicht groschen-, thalerweis, sondern ihre einzelnen Almosen gingen bis in die Hunderte. So rettete sie einen verarmten Edelmann durch eine solche außerordentliche Gabe. Erst als der Ruf ihrer Großmuth sich durch die Stadt verbreitete und die Hülfsbedürftigen von nah und fern sich scharenweis zu ihr drängten, sah sie sich zu Einschränkungen, zu ernstern Prüfungen genöthigt. Auch in dieser Absicht sah man sie umherfahren. Ihre Kutsche hielt vor den Thüren der Armuth, und sie hörte die Bitten der Preßhaften selbst an, oder schickte ihre Gesellschafterin an deren Krankenlager. Selten oder nie fuhr sie ohne Gabe fort, wenn gleich diese Gaben allmälig kleiner wurden. Einer heruntergekommenen Familie hatte sie Hülfe versprochen, um wieder einen Erwerbszweig anzufangen, wenn die Verhältnisse sich so fänden, wie sie dieselben vorgestellt. Die Verhältnisse fanden sich wirklich so, sie konnte aber nun nur 10 Thaler senden. Es geschah mit einem in edlem Stile abgefaßten Begleitschreiben: die Hülfe jedes Menschen, auch dessen, dem das Glück anscheinend vor Allem lächle, sei eine beschränkte, im Uebrigen müsse man Gott vertrauen und Den walten lassen, der unser bester Rath und Helfer sei.
Sie schämte sich ihrer armen Verwandten nicht; auch vor deren Thüren hielt oft ihr Wagen. Sie ging zu ihnen hinein, häufiger ließ sie dieselben zu sich herauskommen und pflog mit ihnen von ihrem Wagensitz aus freundliche Gespräche. Würde eine Glücksritterin das gethan, namentlich so öffentlich sich als Verwandte armer Leute aus den niedrigsten Ständen vor aller Welt gezeigt haben?
Alles dies sprach allerdings für sie. Und gegen zwei Jahre schon hatte diese Sache gedauert; der Glanz ihrer Erscheinung hatte sich nicht gemindert. Warum will man die einzige gegebene Erklärung nicht annehmen? Warum will man etwas Merkwürdiges und Ungewöhnliches für ein Märchen erklären, wo doch sonst keine andere vernünftige Erklärung ausreicht? Dies war die vorherrschende Stimme im Publicum geworden. Ihre Wohlthaten waren von den Armen laut gepriesen worden; man dürfte sich daher nicht wundern, daß nicht allein Diejenigen, welche für das Wunderbare schwärmen, sondern auch die andern Gemüther für sie und ihre Wahrheit eingenommen waren. Von dieser Seite hörte man die Besorgniß aussprechen: Wenn der brasilianische Graf nur nicht das arme Mädchen sitzen läßt!
Andere von kritischem Sinne ließen sich dagegen durch keine Argumente ihren Zweifel ausreden. Sie hörten mit sarkastischem Lächeln die Lobpreisungen der bekannten Unbekannten und antworteten darauf: daß ein Krug nur so lange zu Wasser geht bis er bricht, und der Tag werde schon eintreffen, wo die Polizei die bewunderte Prinzessin abholen werde.
Unter den gläubigern oder den sanfteren Gemüthern, die keinen Zweifel hegten, befand sich der Besitzer einer bekannten großen Meubelhandlung in Berlin, Schröder. Die Wilke hatte in seinem Magazin bedeutende Ankäufe zu ihrer Einrichtung gemacht. Sie hatte Alles baar bezahlt; er hielt sie für reich, und hatte sich eines Tages die Frage erlaubt: ob sie, die über so große Capitalien gebiete, auch ihm wol zur Vergrößerung seines Geschäftes einige tausend Thaler verschaffen könne? Die Wilke erwiderte, wenn sie majorenn würde (sie war 23 Jahre alt), wäre sie gern bereit, es ihm selbst zu geben; doch wolle sie auch inzwischen sehen, ob sie es ihm vielleicht bei einer guten Freundin, deren Vermögen disponibel wäre, verschaffen könne? Schon am folgenden Tage kam die Wilke von selbst zu Schröder und eröffnete ihm, daß ihre mütterliche Freundin, die Demoiselle Niemann in Charlottenburg, gern bereit sei, ihm 5000 Thlr. und nur zu 4% und ohne weitere Sicherheit zu seinem Geschäft zu leihen. Das Geld aber liege in Pfandbriefen gegen aufgenommene 500 Thlr. irgendwo deponirt. Diese Pfandbriefe auszulösen, bedürfe sie aber grade dieser Summe und wenn Schröder dieselbe vorstrecken wolle, könne das ganze Geschäft alsbald abgemacht werden. Schröder erkundigte sich nach dem Ruf und den Umständen der alten Niemann, und nachdem er nur Vorteilhaftes und ganz Beruhigendes über dieselbe erfahren, ging er selbst nach Charlottenburg und händigte die 500 Thlr. der alten Dame in Gegenwart der Wilke ein. Die 5000 Thlr. sollte er nun in einigen Tagen erhalten. Aber schon Tags darauf kam die Wilke wieder zu ihm: die Einlösung der Pfandbriefe lasse sich erst gegen Zahlung von 1000 Thlr. bewirken; die Niemann müsse daher noch 500 Thlr. haben; dagegen verspreche sie ihm statt der 5000 Thlr. ein Darlehn von 8000 Thlr. Schröder ließ sich, nach einigen Verhandlungen, auch zur Zahlung der zweiten 500 Thlr. bewegen, doch nur nachdem er die zuverlässigsten Nachrichten über die Solidität der Niemann eingezogen. Dieselbe verpflichtete sich dagegen schriftlich, ihm am 28. Juni 1836 ein Capital von 8000 Thlr. zu leihen und die 1000 Thlr. zurückzuzahlen.
Statt des Geldes kam abermals die Wilke zu ihm, und verkündete ihm, daß die Niemann sein Glück machen wolle. Sie habe sich mit ihrer Familie vereinigt, und statt 8000 Thlr. wolle sie ihm 20,000 Thlr. leihen, um den höheren Betrag der Pfandbriefe einzulösen, bedürfe sie aber noch 500 Thlr. Schröder wollte nicht; ein abermaliger Besuch bei den beiden Damen stimmte ihn indeß um. Er zahlte die dritten 500 Thlr. und dafür sollte ihm am 10. Februar ein Capital von 20,000 Thlr. ausgehändigt werden.
Der 10. Februar verstrich, aber das Geld kam nicht. Statt dessen die Antwort: daß er am nächsten Montag wenigstens 8000 Thlr. erhalten sollte. Am Montag erschien die Wilke, ohne Geld, aber mit der Nachricht, daß, da der Banquier ihrer Freundin die versprochene Zahlung nicht geleistet, werde sie es von einer andern Bekannten entnehmen. Schröder glaubte – wie sollte er die schon gezahlten 1000 Thlr. verloren geben! – er glaubte auch so weit, daß er der Wilke noch 100 Thlr. zahlte, die sie zur Einlösung bedürfe. Auch über diese letzte Einzahlung von 100 Thlr. erhielt er, bei einem neuen Besuche, von der Niemann einen Schein, und der 13. Februar ward jetzt als Zahlungstag bestimmt.
Aber noch am selben Tage erfuhr Schröder, daß andere Personen, namentlich ein Futterhändler in Charlottenburg, aus den Händen der Wilke von den Cassenscheinen erhalten, welche er ihr oder der Niemann zur Einlösung der Pfandbriefe gegeben. Ja für einen der Scheine von 300 Thlr. hatte die Wilke zwei Pferde gekauft.
Er stürzte nach Charlottenburg und traf die Wilke und ihre Gesellschafterin Alfrede bei der Niemann. Auf seine heftigen Vorwürfe antwortete auch mit Heftigkeit die Gesellschafterin: er urtheile voreilig, ihm könne es doch ganz gleich sein, ob die Wilke ihre Privatschulden mit dem von ihm geliehenen oder mit ihrem eigenen Gelde ausgezahlt habe; die Wilke selbst schien zuerst verlegen, später empört. Die heftige Scene endete mit einer Aussöhnung, welche die Gesellschafterin bewirkte. Schröder ließ sich bereden, noch bis zum 27. Februar zu warten.
Als auch am 27. Februar kein Geld kam, erwuchs bei Schröder eine sehr begreifliche Angst. Er ging zur Polizei. Der damalige Präsident Gerlach fand keinen Grund gegen die Wilke und noch weniger gegen die anerkannt unbescholtene und wohlhabende Demoiselle Niemann, die noch dazu Eigenthümerin in Charlottenburg war, einzuschreiten, und auch der berühmte Polizeirath Duncker mußte von seiner entgegengesetzten Ansicht abstehen, als die Wilke sich vollkommen gegen ihn legitimirt hatte.
Schröder blieb nichts übrig als gegen die Niemann klagbar zu werden. Inzwischen verständigte man sich. Schröder beschränkte seine Foderung auf die Rückzahlung der 1600 Thlr. und auf ein kleines Capital von 8000 Thlr. Beides ward ihm zugestanden. Damit er aber kein weiteres Mistrauen hegen solle, foderte die Wilke die Demoiselle Niemann auf, ihm wenigstens das Geld zu zeigen, welches er erhalten solle. Die Niemann holte aus ihrem Schrank ein versiegeltes Packet mit der Aufschrift: 10,000 Thlrn. in pommerschen Pfandbriefen. Schröder verlangte die sofortige Uebergabe, die Wilke, die immer für die Niemann das Wort führte, erklärte, daß dies wegen Familienverhältnisse nicht anginge, er könne die Pfandbriefe erst am 30. März erhalten.
Auch am 30. März erhielt er noch nicht sein Geld. Aber die Wilke kam mit ihrer Gesellschafterin zu ihm, und erklärte ihm: daß dieselben Familienverhältnisse auch jetzt es der Niemann noch immer unmöglich machten, ihr Versprechen zu erfüllen. Zu seiner vollkommenen Sicherheit und damit er keinen Verdacht schöpfe, händigte sie ihm aber Namens der Niemann das versiegelte Packet mit den 10,000 Thlrn. in Pfandbriefen ein, jedoch mit der Aufgabe: dasselbe erst am 5. April zu öffnen, wenn bis da keine anderweitige Zahlung erfolgt sei, die Pfandbriefe zu versilbern, 1600 Thlr. für sich zurückzubehalten, 8000 Thlr. als Darlehn anzunehmen und den Ueberrest der Niemann zurückzuerstatten.
Alle Theile schienen nun befriedigt. Zwar hatte Schröder den Versuch gemacht, die Erlaubniß zur Oeffnung auf den 2. April schon zu erwirken; aber als er scherzhaft gedroht, es auch ohne Erlaubniß zu thun, hatte die Gesellschafterin, Demoiselle Alfrede, ihm das Unziemliche dieser eigenmächtigen Handlung ernsthaft vorgestellt: es würde dies die gute Niemann aufs äußerste beleidigen; sie halte ihn aber für einen so ehrlichen Mann, daß sie des Vertrauens sei, er werde es nicht thun. »Aber am 5. werde ich die Oeffnung in Gegenwart von Zeugen vornehmen«, erwiderte Schröder. Bei dieser Aeußerung schien die Wilke und ihre Gesellschafterin sichtbar befangen.
Am 4. April ersuchte die Wilke den Schröder, das Packet bei der Niemann in Gegenwart ihrer Verwandten zu eröffnen. Schröder versprach es zwar, ging aber am 5. statt dessen, auf polizeiliche Anweisung, zu einem Notar, der die Siegel erbrach und statt der 10,000 Thlr. in Pfandbriefen in dem Couverte nichts fand, als – mehre Bogen leeres Papier.
So war das Räthsel denn mit einem Scherenschnitt bloßgelegt. Ein Betrug lag vor, der weit mehr ahnen ließ. Aber wer waren die Betrogenen, wer die Betrüger? Von jenen erschien auf dem Platze nur der Möbelhändler Schröder, dessen 1600 Thlr. aber unmöglich zu dem Aufwande der Wilke ausgereicht hätten, auch waren sie erst in letzter Zeit von ihm entlockt worden. Woher kamen ihr die Mittel zu ihrer Verschwendung bis dahin? Und war denn die Wilke die alleinige Betrügerin? Sie hatte ja nur als Vermittlerin für die Demoiselle Niemann gehandelt, diese hatte das Geld empfangen, diese darüber Verschreibungen ausgestellt, diese das Packet mit leerem Papier in ihrem Besitz gehabt und es Schröder gezeigt und später zugestellt. Die Gesellschafterin Alfrede hatte am lebhaftesten zu Schröder's Täuschung das Wort geführt.
Also erschien auf den ersten Blick hier ein ganzes Complot weiblicher Schwindler, welche insgesammt sofort hätten verhaftet werden müssen. – Dies geschah aber nicht, und mit Recht, wie sich bald ergab. Die Auflösung, die kaum einer gerichtlichen Untersuchung bedurfte, erfolgte schon auf polizeilichem Wege, und so schnell, als der Betrug lange und mit unglaublichem Glücke geführt worden.
Ehe wir zu dieser Auflösung schreiten, gehen wir neun Jahre zurück, um die Hauptpersonen in der Tragikomödie kennen zu lernen. Das überwiegende Interesse an diesem Rechtsfall ist ein psychologisches. Man muß die Persönlichkeit der Betrogenen kennen, um das kühne, leichtsinnige und schamlose Intriguenspiel zu begreifen, welches jedem mit dieser Individualität nicht Vertrauten ganz unglaublich erscheinen mußte.
In Charlottenburg lebte in ihrem eigenen Hause eine 70jährige, unverheirathete Dame, die wir Niemann genannt haben. Es wäre möglich, daß ihre achtbaren, noch lebenden Verwandten durch Nennung des Namens bei einer ohnedies für sie traurigen Erinnerung unangenehm berührt würden. Auch die jetzt verstorbene Demoiselle Niemann war eine durchaus achtbare, ganz unbescholtene Dame. Tochter eines längst verstorbenen Kriegs- und Domainenrathes, lebte sie von den Einkünften des ihr eigenthümlich zugehörigen Hauses und einem Vermögen von gegen 12,000 Thlrn., welches sie in Staatspapieren und Pfandbriefen selbst in Verwahrung hatte.
Sie lebte, von der Welt zurückgezogen, still und häuslich und genoß, weil sie Niemand wehe that und alle rechtlichen Verbindlichkeiten gewissenhaft erfüllte, die allgemeine Achtung, verbrauchte aber, bei ihrer großen, dem Rufe nach an Geiz grenzenden Sparsamkeit nicht alle Einkünfte, sodaß ihr Vermögen im Verlauf der Jahre noch anwuchs. Sie galt für sehr reich.
Man konnte sie, auch wie die spätere Untersuchung ergab, nicht für eigentlich schwachsinnig erklären; aber das Alter, die Zurückgezogenheit von der Welt, hatten sie, die immer beschränkten Verstandes war, schwach gemacht. Während sie, wie das häufig bei so ganz zurückgezogen lebenden ältlichen Frauen der Fall ist, mistrauisch war gegen ihre nächsten Verwandten, deren Aufmerksamkeiten und Liebesbeweise erwartend, und doch gelegentlich darin nur Zeichen einer klugen Berechnung und Speculation auf die Erblasserin fürchtend, immer gekränkt in ihrem Selbstgefühl, eigensinnig im Kleinen, konnte sie ohne Ahnung von den Ränken und Listen, die in der Welt wirklich vorkommen, ihr Vertrauen fremden Personen zuwenden, die sie nicht kannte, also auch nicht fürchtete, wenn diese in glücklichen Momenten ihre Lieblingsneigungen und Schwächen zu benutzen wußten.
Pauline Henriette Wilke war ihr von ihrer Geburt an wohl bekannt, als Tochter eines Hausdieners bei einer nahen Verwandten. Die Niemann hatte bei ihr Pathenstelle vertreten und sich schon früh für das Kind interessirt, besonders als eine andere Dame, die sich ihrer Erziehung aus Mitleid angenommen, die Niemann auf dem Todtbette gebeten, nun ferner die Sorge für dieselbe zu übernehmen. Pauline war auch wirklich, nach dem Tode der Madame Sanderath, bei der Niemann aufgenommen worden, bis sich eine Stellung für sie als Bonne in einer reichen Banquierfamilie in Berlin fand. Das freundschaftliche Verhältniß änderte sich auch jetzt nicht, vielmehr hinterbrachte Pauline der alten Dame Alles, was sie erlebt, und erzählte ihr von den Herrlichkeiten in dem reichen Hause, den Spazierfahrten, welche sie mit der Familie gemacht, und manchen interessanten und – vornehmen Bekanntschaften.
Pauline hatte auch die der Fürstin Radziwill gemacht. Diese erlauchte Prinzessin, aus königlichem Geblüt, war wegen ihrer Leutseligkeit, ihrer Bildung und ihres Wohlthätigkeitssinnes bekannt. Daß sie sich einer jungen, angenehmen Waise annahm, hatte nichts Auffälliges; sie hat sich vieler derselben angenommen und für deren Erziehung und Fortkommen Sorge getragen.
Pauline Wilke hatte eine Erziehung über ihren Stand hinaus empfangen, sie war schon in den letzten Jahren an Kenntnissen und Weltbildung sehr vorgeschritten; für die in ihrer Einsamkeit eingeschüchterte alte Dame konnte sie eine ebenso liebenswürdige, als imponirende Erscheinung sein. Die Fürstin hatte Paulinen, auf deren Bitte, ganz in ihren Schutz genommen, um ihr bei einer auf Staatskosten zu errichtenden Schulanstalt eine Stellung zu verschaffen. Hierzu aber war, hatte die Fürstin erklärt, ein gewisser Fonds erfoderlich; vielleicht dürfte die Niemann denselben für ihre Pathe hergeben.
Die Niemann, um das Glück Paulinens zu begründen, gab 500 Thaler, welche diese mit Dank annahm, um sie der Fürstin zu überbringen.
Das innige Verhältniß zwischen der Pathe und dem Pathenkinde wuchs dadurch. Voll Dankbarkeit besuchte Pauline ihre Wohlthäterin nur noch öfter, sprach mit Lebhaftigkeit über die Schule, daß sie auf Veranstaltung des Ministers Maaßen (Finanzminister) jetzt examinirt worden, daß man sich über ihre Fähigkeiten gewundert hatte, daß ihre Anstellung unzweifelhaft sei, die Fürstin Radziwill aber gewünscht habe, daß Pauline noch etwas reise, um sich zuvor auszubilden.
Pauline reiste auch wirklich fort, und während ihrer Abwesenheit in Hamburg empfing die Niemann einen ersten eigenhändigen Brief von der Prinzessin Radziwill. Da die Correspondenz zwischen der Fürstin und der alten Dame späterhin sehr lebhaft wurde, können wir nur einige dieser charakteristischen Briefe mittheilen, halten es aber doch für angemessen, diesen ersten (soweit er sich aus den von Staub und Alter angefressenen Actenstücken herstellen läßt) als den Anfang derselben hier ganz herzusetzen, obwol er an Interesse manchen der folgenden nachsteht.
»Werthgeschätzte Mademoiselle Niemann.
»Erlauben Sie, daß ich Sie so nennen darf, denn ein Vertrauen verdient das andere. Ich wollte Ihnen nur zu wissen thun, daß die Sachen der Schulübernahme, unserer guten Jettchen betreffend, jetzt ganz (in Ordnung) sind, und daß Sie, gute Mademoiselle Niemann, die Sparkassenbücher, sowie die 100 Thaler vom Schuldepositorium am 1. October eigenhändig werden ausgeliefert bekommen. Empfangen Sie meinen, des Schulraths und der Stadt allerherzlichsten Dank; denn durch Ihre große Güte, liebe Mademoiselle, haben wir etwas Großes zu Stande gebracht. Das Mädchen hat einen außerordentlichen gescheidten Kopf, hellen Verstand, sodaß man bedauern muß, daß es kein Mann ist. Was besser für König und Vaterland wäre! – –
»Unser gutes Jettchen befindet sich jetzt in Hamburg bei Herrn Humbert; indeß wir erwarten sie alle Tage zurück. Wir haben nämlich noch eine kleine Schwierigkeit zu überwinden. Wir hatten nämlich die 500 Thaler zum Schulfonds bestimmt, allein es haben sich doch noch einige Ausgaben eingefunden, auf denen wir nicht gerechnet hatten, sodaß uns jetzt noch 250 Thlr. übriggeblieben sind; der König, der mit dieser unserer Unternehmung außerordentlich zufrieden ist, und den Unternehmungsgeist des jungen unschuldigen Kindes bewundert und anstaunt, wünscht aber, daß der Fonds um 400 Thlr. vermehrt werden möchte, sodaß er doch aus 650 Thlr. bestehe; der König erbietet sich, alle halbe Jahre 6 Procent zu erstatten, damit diese Summe sobald als möglich abgetragen werden kann: So werde ich nun von Sr. Majestät, unserm gnädigen Könige, beauftragt, Sie, beste Mademoiselle, zu fragen, ob Sie bereit wären, dem Staate zu diesem Unternehmen auch diese Summe noch auszuzahlen. Der König bewundert Ihre Liebe und Güte und beauftragt mich, Ihnen zu sagen, daß er gern Höchstselbst Sie mit einem eigenhändigen Schreiben beehrt haben würde, wenn sich Se. Majestät nicht in Teplitz befänden. Der Herr Justizminister Maßen (!Es ist stark, daß die Fürstin Radziwill nicht einmal den Justiz- vom Finanzminister zu unterscheiden weiß!) wird Ihnen im Namen Sr. Majestät des Königs sobald als möglich seine Aufwartung machen, weil der König wünscht, daß diese Sache nur durch Sie, gute Mademoiselle Niemann, durch mich, durch (Name, der nicht zu lesen) und durch ihm abgemacht werden soll; weil es dann eine königliche Schule ist, und nicht allein dem Staate, sondern auch der jungen Unternehmerin einen unberechenbaren Nutzen einbringen kann. So habe ich nun den Antrag Sr. Majestät an Sie, beste Mademoiselle, ausgerichtet und hoffe im Vertrauen zu Gott und Ihre Liebe, daß das Unternehmen gesegnet sein möge. Sie erwarten Ihr Jettchen ganz gewiß, ihr erster Gang ist dann zu (Ihnen?), sowie sie aus dem Postwagen steigt, fährt sie nach Charlottenburg, bitte, aber ihr nichts vom Könige zu sagen, der König will durch ein eigenhändiges Schreiben überraschen, zeigen Sie ihr auch nicht diesen Brief, sondern sagen ihr, ich wäre bei Ihnen gewesen und hätte mit Ihnen darüber gesprochen. Wollen Sie nun gütigst des Königs Bitte erfüllen, so schreiben Sie gefälligst am Minister Maaßen ein Paar Zeilen, siegeln Sie die Staatsschuldscheine gut zu und geben Sie Beides der Jettchen und sagen Sie ihr, daß sie dies gleich zum Minister Maaßen bringt – – (eine unleserliche Zeile) denn wohl gute Mademoiselle Niemann, der Himmel segne Sie, ich werde nächstens so frei sein und Sie besuchen Jettchen soll mich den Tag zuvor bei Ihnen anmelden.
Louise Fürstin Radziwill
Königl. Hoheit.«
Wie hätte die alte, gerührte Dame einer fürstlichen Bitte, vorgetragen in einem so mehr als leutseligen Briefe, widerstehen können! Ihr Herz war erweicht, ein Acker, fruchtbar gemächt für weitere Aussaat. Sie that, um was sie gebeten war, schrieb an den Minister Maaßen, siegelte die 400 Thlr. ein und händigte ihrem Jettchen, das zu rechter Zeit kam, den Brief ein.
Bald darauf erhielt sie durch deren Vermittelung auf einem 15 Silbergroschen Stempelbogen folgende Quittung:
»Ein Königlich preußisches Schuldepositorio bescheinigt hiermit, daß es von Demoiselle Henriette Niemann aus Charlottenburg 900 Thlr. (schreibe neunhundert Thaler) in Staatsschuldscheinen gegen 12 Procent Zinsen jährlich geliehen bekommen hat.
Berlin den 9. August 1834.
Ein Königl. Preuß. Schuldepositorium.
Unterschrift der Schulvorsteherin
H. L. P. Wilke.
Maaßen
Staatsminister.«
Wenn noch ein Zweifel in der alten Dame obgewaltet hätte, müßte ein solches Document ihn vollständig beseitigt haben. Es war auf einem Stempelbogen, der Name eines Ministers stand darunter, ihr Jettchen hatte es schon als Schulvorsteherin mit unterzeichnen müssen und ihr waren 12 Procent Zinsen versprochen.
Aber Pauline (oder Jettchen, so ward sie gewöhnlich genannt) mußte sich weiter ausbilden, sie mußte weiter reisen. Eine Gräfin Osten Sacken, eine specielle Freundin der Fürstin Radziwill, nahm sie mit nach Frankreich und England. Doch kehrte sie schon Anfang October 1834 zurück, nachdem sie ihrer Pathe von Hamburg aus geschrieben, daß sie auf einem Schiffe in der Nähe dieser Stadt die Bekanntschaft des Grafen Villamor gemacht und sich mit demselben verlobt habe.
Ihre Erzählungen bei der Rückkehr flossen über von Seligkeit und Entzücken. Wie reich hatte der großmüthige Graf sie beschenkt; von seinem Gelde konnte sie eine eigene Wohnung miethen, eine bessere Einrichtung sich beschaffen. In einem halben Jahre wollte er sie abholen. Die Fürstin Radziwill hatte sich dahin geäußert, daß dem Könige der Graf Villamor bekannt sei. Aus der Schule dürfte nun wohl nichts werden.
Pauline Wilke fuhr nun häufig zur Fürstin Radziwill, wo sie auch die Bekanntschaft des Königs Friedrich Wilhelm III. machte, eine für sie und die alte Niemann höchst einflußreiche Bekanntschaft, von der wir demnächst reden wollen. Zuvor müssen wir indeß die minder hohe mit der Fürstin Radziwill noch näher ins Auge fassen. Die alte Dame war ohne ihr Wissen und Willen in eine Correspondenz mit der edlen Fürstin gerathen, die immer inniger werdend, endlich in eine Art von Freundschaftsbund zwischen Beiden, die sich nur aus ihren Briefen kannten, ausging.
Die Briefe der Fürstin athmen sämmtlich eine Güte und Herzlichkeit, die auch in Romanen selten vorkommt, sich oft in weiblicher Schwatzhaftigkeit ergeht, doch aber auch hier und da ihre reellen Zwecke hat. So heißt es in dem einen (sie sind meistens ohne Datum):
»Meine gute, liebe Niemann, allemal freue ich mich, wenn mein Paulinchen mir einen Brief von Ihnen bringt. Aber gute Niemann, warum sagen Sie mir so vielen Dank für das, was ich an Sie zu thun schuldig bin, waren Sie denn nicht gegen mich so liebevoll und freundschaftlich! Das werde ich Ihnen nie vergelten können.« Die Prinzessin verspricht ihr dafür nächstens Moirée zum Sophaüberzuge. Zum Schluß aber bittet sie, wenn die Niemann Pfandbriefe von verschiedenen kleineren Summen habe, ihr dieselben zu schicken, sie werde ihr dafür andere zum Silberbetrage »durch Fräulein von Langen (ihre Hofdame) zurückschicken. Fräulein von Langen möchte Sie so gern einmal sprechen.«
Die Prinzessin schüttete aber auch ihr Herz vertrauensvoll gegen die neue Freundin aus, sie machte sie zur Mitwisserin ihres Kummers.
»Meine gute, liebe Mamsell Niemann, wie könnte ich es wol länger anstehen lassen, Ihnen zu sagen, was für ein freundschaftliches Gefühl ich für Sie beste Seele in meinem Herzen trage! Sie nehmen an all meinen Schicksalen einen so innigen, so ungeheuchelten Antheil und ich sollte Ihnen meine Dankbarkeit dafür nicht an den Tag legen? Gerne wäre ich schon zu Ihnen gekommen, meine Beste, um an Ihrer Seite, an Ihrem theilnehmenden Herzen meinen Kummer auszuschütten, allein meine Umstände wollen es mir nicht erlauben, auch eine Fürstin kann sich in einer traurigen Lage versetzt sehen, in einer solchen Lage, die sie Niemanden beschreiben darf, sondern ausharren muß, bis Gott sie ändert! – Unser Jettchen ist eine glückliche Braut! Wohl ihr, sie verdient es, glücklich zu sein, sie ist ohne Falsch und ein gutes Kind, die kleinen Faseleien habe ich von Herzen verziehen! Jetzt meine liebe Freundin will ich Ihnen Lebewohl sagen, bald werde ich einmal bei Ihnen sein, leider ohne mein Kind: schreiben Sie mir ein Briefchen und schicken Sie's mir durch das gute Jettchen, nicht mit der Post, indem ich die Briefe von der Post nicht selbst öffne, ich erwarte ihn mit Sehnsucht, könnte ich Sie doch nur erst sprechen, ich fuhr eines Tages vorbei und sah Sie mit einigen Damen vor der Thür stehen, ich wäre gern ausgestiegen, aber ich wollte Sie nicht stören, indeß ich habe keine Ruhe, bald werde ich bei Ihnen sein und mir Ihre Freundschaft ausbitten.
»Noch einmal leben Sie wohl, meine gute Mamsell Niemann, und erfreuen Sie bald mit einem Brief Ihre Sie aufrichtig liebende Freundin
Louise de Radziwill.«
Ueber diesen seltsamen Brief mit der deutungsvollen Stelle: »Auch eine Fürstin kann sich in einer traurigen Lage versetzt sehen« gab Pauline der alten Dame auf deren Befragen eine für die Niemann allerdings zuerst überraschende Aufklärung: die Fürstin liege mit ihrem Bruder, dem wohlbekannten Prinzen August, in einem Processe wegen Brillanten. Deshalb befinde sie sich in Geldverlegenheiten und gebrauche grade 700 Thlr., die sie nirgend auftreiben könne, wenn die Niemann ihr dieselben nicht verschaffen wolle.
Daß die edle Fürstin in einer solchen Lage sich befand, geht auch aus andern Briefen derselben an ihre Freundin hervor, die, beiläufig gesagt, wie die meisten Damenbriefe ohne Datum sind. In dem einen heißt es: »Daß Sie betrübt sind, liebe Gute, kann ich mir sehr gut denken und es Ihnen nicht verargen, denn es geht mir ebenso, ich muß mir das meinige erbetteln, und habe es vor Weihnachten nicht zu erwarten. Ich möchte gern reisen, auch hierzu weigert der Eigensinn des Monarchen mir zu zahlen.«
Die gute Niemann half der Prinzessin aus ihrer Noth, indem sie derselben 700 Thlr. durch die Wilke übersandte, und es war dies nicht das letzte Mal. Die Correspondenz zwischen Beiden drehte sich von nun an um die drückenden Verhältnisse der Fürstin, um ihre Dankbarkeit, um ihre Geschenke, die sie der Niemann sandte, um ihre Wünsche, die edle Dame doch endlich einmal persönlich zu sehen, Wünsche, deren Realisirung aber immer etwas in den Weg trat. Da heißt es denn: »Von der Dankbarkeit Ihres Herzens bin ich fest überzeugt und es thut mir weh, wenn Sie mir danken für das, was ich Ihnen zu geben schuldig bin. Die Reihe zu danken ist an mir.« – Die Prinzessin »nimmt sich die Freiheit«, der Niemann etwas von ihrem Weihnachtstische zu schicken. Dann heißt es im Briefe weiter:
»Auch war ich so frei, für Sie, meine Gute, Thibet zu kaufen zu einem Oberrock, allein Jettchen ist so eigensinnig dieses Zeug nicht mitzunehmen, denn sie sagt Sie möchten sonst glauben, sie hätte mir gesagt dieses Zeug für Sie zu kaufen, was doch der Fall nicht ist; Ich bin auf Jettchen entsetzlich böse, denn ich will meinen Willen durchsetzen, sie soll es Ihnen übergeben. Was sagen Sie zu unserm guten Monarchen, er meint es so gut mit Sie und spricht so gern von Ihnen, er hat Ihren Herrn Bruder, den Bergcommissarius, den Sie am liebsten haben, die Sache anvertraut, bitte aber Jettchen nicht zu sagen, daß ich Ihnen dies geschrieben. Denn sie ist mit dem König sehr vertraut, was mir sehr viel Freude macht. Ende Mai wird der Graf Villamor hier sein, er wird sie überraschen, meine Freude ist groß. – Was mögen Sie von mir denken meine gute Niemann, so oft habe ich versprochen Sie zu besuchen, oder Sie zu mir kommen zu lassen, indeß der passende Augenblick war immer noch nicht da doch bald wird er erscheinen. – Dann wollen wir manches Stündchen uns von den Bildern der Vergangenheit erzählen die noch so lebhaft vor Augen stehen. – Nur meine Elise fehlt dann – – Bitte Paulinchen den Kopf zu waschen, schicken Sie mir bald eine Antwort durch das liebe Mädchen.«
Es hatte nicht an mancherlei Störungen dieses schönen Verhältnisses von anderweits her gefehlt. Nicht daß die Familie der alten Dame von deren Verbindung mit der Fürstin Radziwill oder der spätern mit dem Monarchen mehr als dunkle Andeutungen erfahren (allein durch Paulinens scherzhaftes Gelüst und Eitelkeit, denn mit loyaler Gewissenhaftigkeit beobachtete die Niemann, wie ihr anbefohlen, das unverbrüchlichste Schweigen); aber das immer engere Zusammenhalten ihrer Schwester und Tante mit Pauline Wilke hatte dem Bruder und den Nichten Besorgniß eingeflößt. Es fehlte nicht an Winken, Warnungen, Reibungen. Die Nichten konnten es nicht verbergen, daß Paulinens Anwesenheit bei der Tante sie in Unruhe versetzte, die von derselben ihnen übersandten kleinen Geschenke waren ihnen ein Aergerniß, es gab Verstimmungen, Reibungen.
Auch von diesen häuslichen Verhältnissen hatte die gütige Prinzessin Notiz genommen; auch hier griff sie als wahre Freundin rächend, tröstend ein. Da heißt es in einem Schreiben:
»Nun aber meine Freundin ein Wörtchen über meine Pauline, die mir jetzt mein Alles ist. Wie weh thut es mir, daß sie um Ihre lieben Nichten so kummervolle Tage verleben muß, wie traurig ist ihr Aufenthalt in Karlsbad gewesen (wohin sie damals eine Badereise gemacht) und wie grausam von Beiden ... (der zurückgebliebenen Schwester und Mutter ihrer Gesellschafterin Alfrede) sie nicht zu trösten und gut zu sprechen. Jene ihre (deren?) Liebe für Friedrikchen (?) ist grenzenlos. Was thun ... 's für Kabale und Hinterlist und nur aus Habsucht. Prüfen Sie doch selber, liebe treue Niemann. Sehen Sie doch zu, daß Sie das alte ehemalige Verhältniß wieder herstellen können und dringen Sie darauf, daß Pauline die Geschenke, die den beiden Damen bestimmt waren, abliefert, denn eben dies ist es, was ihr melancholisch macht. Genaue Nachrichten über Ihre Fräulein Nichten haben mir sie in einem schönen Lichte kennen gelernt, und ich glaube besser als Sie sie selbst kennen, da Ihnen rechtschaffene Leute zur Schilderung fehlten. Sagen Sie meiner Pauline, sie möchte nicht glauben was sie neulich gehört, es wäre nicht kalter, stolze... der die beiden Damen beherrschte, es wäre der treue biedere Sinn der Niemann'schen Familie, durch welchen sie den ersten ihrer Urväter noch ehren. (?) Gräßliche Verleumdung ist hier im Spiel von einer Seite, wo sie es gar nicht ahnten. Beachten Sie aber keine glatten Worte, eben diese sind es, die so gefährlich sind. Thun Sie mir die Liebe und sorgen Sie für meine Pauline, denn sie ist mein Alles! und meine Freude; sobald ich zurückkehre, treffe ich mit ihrer Umgebung eine Veränderung.« – In einem andern Briefe heißt es: »Mit Ihrem Herrn Bruder kann ich wahrhaftig gar nichts anfangen, als Ihnen nur den Rath geben, daß Sie ihn nach vier Wochen ganz kühl behandeln, ebenso wie er (thut oder verdient?) nur auf solche Weise können Sie – – ihm zeigen, daß Sie keine Wünsche haben. Mein Name würde in seinem Munde eben solchen Affront erleiden, wie – – also über Alles Verschwiegenheit.«
Wie unglücklich die gütige Prinzessin war, daß immer Hindernisse einer persönlichen Zusammenkunft zwischen ihr und der alten Dame in den Weg treten mußten: »Die Prinzessin der Niederlande wird heute erwartet, und da sind sämmtliche Damen vom Hofe bestellt selbige in ihrem Palais zu bewillkommnen. Sie, gute Niemann, werden mir die Freude machen, am Mittwoch ein Täßchen Kaffe bei mir zu trinken, und dabei soll uns Niemand stören. Paulinchen weiß noch von gar nichts, bitte ihr auch ja nichts zu sagen, denn das liebe Kind würde sich gewiß grämen.– – – Was sagen Sie zur Beleidigung, die Pauline wieder hat erleiden muffen. Das liebe Mädchen hat viel zu kämpfen!«
Solche familiaire Briefe wurden dann durch andere Briefe erwidert, in denen die gute alte Dame nicht Worte genug für ihre gerührte Dankbarkeit und Beschämung zu finden wußte, wovon die Concepte (und auch die Originale!) sich ziemlich vollständig in den Acten wiederfinden. Ihr Charakter erscheint uns darin von einer ehrenwertheren Seite:
»Gott legt den Menschen Prüfungen auf (schreibt sie der Prinzessin, welche kurz vorher ihre Tochter verloren hatte), die wir mit Vertrauen zu ihm ertragen müssen, indem er die schöne Hoffnung des Wiederfindens in unsere Herzen gelegt hat, welches uns die Beruhigung gibt, daß sie für uns nicht verloren seien, sondern in einer bessern Heimath als verklärte Engel wieder begrüßen werden. Gott wolle Ew. Königl. Hoheit mütterliche Trauer auch darin lindern. – Die Verwandlung mit Paulinens Schicksal war mir sehr überraschend, es soll mir freuen wenn es zu ihrem Glück ist, oft ist es der äußere Glanz nicht; will nur wünschen daß ihr Gegenstand recht gut mit ihr meint, es ist ein starker Entschluß von ihr, so weit in ein fremdes Land zu gehen, wo sie Niemand kennt. Es scheint daß sie zu etwas außerordentliches bestimmt ist; ich hätte gewünscht, daß sie sich Ew. Königl. Hoheit früher entdeckt hätte, da lediglich Höchstdieselben den Weg zu ihrem Glücke bereitet haben.«
Der Glaube in der alten Dame war übrigens erst durch Zeit und Umstände gewachsen. Zu Anfang schien es doch ihr selbst überraschend und kaum glaublich, daß ein so einfaches Mädchen wie ihre Pauline nicht allein Zutritt, sondern auch ein solches Vertrauen bei der Fürstin und in so kurzer Zeit sich erworben haben sollte. Während Paulinens erster Reise nach Hamburg hatte sie deshalb mit der Post zwei Briefe an die hohe Dame gerichtet, in denen sie, dunkel auf die Verhältnisse anspielend, um eine Audienz bat. Das erste Mal ward ihr dieselbe abgeschlagen, weil die Fürstin krank sei, auf den zweiten erhielt sie unterm 10. November 1834 folgende Antwort von der Hofdame der Fürstin, Fräulein von Langen:
»Ew. Wohlgeboren muß ich im Auftrag Ihrer Königl. Hoheit sagen, daß ihr leider der Brief, den Sie ihr geschrieben, ganz unverständlich ist. Die Prinzessin weiß nicht, wen Sie unter Jettchen verstehen, auch hat sie nichts erhalten, wie Sie es zu vermuthen scheinen. Sie ersucht daher Ew. Wohlgeboren, ihr deutlicher auseinanderzusetzen, welcher Art Ihr Anliegen ist und wer Jettchen ist. , Mit u.«
Ein solches Schreiben hätte der Niemann vielleicht die Augen geöffnet, aber ehe sie es empfing, war Pauline von ihrer Reise zurückgekehrt. Sie kam plötzlich, wie in Affect zu ihr in die Stube mit der Nachricht: eben habe die Prinzessin Radziwill einen reitenden Jäger zu ihr geschickt und ihr sagen lassen, sie sei in hohem Grade darüber aufgebracht, daß die Niemann sich erdreiste, direct durch die Post Briefe an sie zu schicken und in Briefen, die, wenn sie auf diesem Wege ankämen, auch durch andere Personen erbrochen würden, von ihren gegenseitigen Verhältnissen zu sprechen. Dadurch werde ein Geheimniß veröffentlicht, dessen gewissenhafte Bewahrung Se. Majestät der König ausdrücklich verlangt habe. Sie, die Niemann, möge sich nicht wieder unterfangen, sei der ausdrückliche Befehl der hohen Frau, so wenig dem allerhöchsten Vertrauen des Königs zu entsprechen. Diesmal wolle sie noch den gethanen Schritt vergeben; die Fürstin habe sich aber nicht anders zu helfen gewußt, als zur Täuschung höchstihrer Umgebungen ihre Verwunderung auszusprechen und ihr schreiben zu lassen, als wisse sie von dem ganzen Verhältnisse nichts.
Erst nach diesem Auftritte kam der Brief der Hofdame an. Nur wer ein Auge und Ohr in den geheimsten Zimmern der prinzlichen Hofhaltung hatte, konnte die Sendung des Briefes und seinen Inhalt vorauswissen. Durfte sie nun auch an der Wahrheit von Allem, was Pauline ihr mittheilte, zweifeln? Und was wollten jetzt alle Warnungen, die verdeckter oder offener Weise von ihren Nichten kamen, bedeuten? Was die Notiz, die im Briefe einer dieser Nichten vorkommt: daß, als Jemand, der dem Dinge mistraute, sich beim Portier des Radziwill'schen Palais nach den Besuchen der Fraulein Wilke bei der Fürstin erkundigt und gefragt habe, ob sie denn wirklich zu jeder Stunde aus und ein ginge, wie sie behaupte? dieser Portier halb verächtlich, halb entrüstet geantwortet: Wie man sich denken könne, daß eine solche Person bei seiner Fürstin Zutritt habe! – Alles dies war Verleumdung, schändliche Verleumdung, angestiftet von ihren nächsten Anverwandten, die das Mädchen von ihr entfernen wollten. So hatte dieser eine von der Niemann selbständig gewagte Schritt, die Wahrheit zu erfahren, zur unmittelbaren Folge, daß ihr Glaube immer fester wurde. Die hohe Verehrung, welche sie für die Fürstin Radziwill hegte, die tiefste Ehrfurcht und Liebe, mit welcher ihr loyales Gemüth für den König erfüllt war, hielten sie von nun ab gefesselt und untersagten ihr, irgend etwas zu wagen, welches bei diesen hohen Personen ein Misfallen erregen könne. Bis zu welchem Grade diese Devotion der alten Dame ging, werden wir später sehen.
So stand Pauline Wilke's Verhältniß zur Fürstin Radziwill nach den Angaben der Niemann. Nicht so deutlich ist dasjenige, in welchem sie zum Könige Friedrich Wilhelm III. stand. Es ist bekannt, daß dieser Fürst, der bei einer spröden, ja herben Maske, von einem nichts weniger als passiven Humanitätsgefühl tief durchdrungen, in der verschwiegenen Ausübung desselben seine Lust fand, daß er in der Stille Wohlthaten im ausgedehntesten Maße austheilend, auch eine besondere Erholung darin suchte, als Pater Familias, deutscher Hausvater, in einem kleinen Kreise guter Vertrauter zu walten und zu beglücken. Den harmlosen Intriguen, welche in diesen kleinen Kreisen unter Anleitung eines alten erprobten Dieners spielten, hat man mit Unrecht eine schlimme Bedeutung gegeben. Wenn die Sinnlichkeit überhaupt in diesen Kreisen eine Rolle mitspielte, so war es doch nur eine Nebenrolle, sie war weder der Zweck, noch durfte sie frech auftreten. Dem Könige galt es, sich von der Last der Regierungssorgen und der ihm noch unangenehmeren Repräsentation unter jugendlich vergnügten frischen Gesichtern und Gemüthern frei zu sehen. Er erging sich dort als Mensch, seine Lust war zu beglücken, sein Herz trieb ihn dazu. In den Jahren, wo die stürmischen Leidenschaften vorüber sind, wollte er als geliebter Vater unter lieben Kindern, die Herzen der Andern erfreuend, sein eigenes erfreuen. Man hat viel von einer Camarilla gesprochen, die sich in diesen Kreisen gebildet; so war es wenigstens die unschuldigste Camarilla, die je existirt; sie beschränkte sich darauf, in der Coulissenwelt kleine Einschiebungen zu bewirken, Tänzerinnen, Schauspielerinnen zu Rollen, Gehaltserhöhungen zu verhelfen. Wenn es hoch kam, wurden hier die Seufzer eines unglücklichen Liebespaars erwogen, und eine Braut, die nicht heirathen konnte, erhielt eine Aussteuer, ein Officier, der, lange verlobt, umsonst auf einen Zuschuß gehofft, die Anweisung darauf aus der königl. Chatoulle. Manche Gunst ist den einzelnen Glücklichen, die hier Zugang fanden, von der Huld des Fürsten zugeflossen, Niemandem ein Schade, oder nur eine Zurücksetzung; am wenigsten aber äußerten sich die Wirkungen auf die höheren Kreise des Staatslebens. Wenige Monarchen wußten mit ähnlichem Takt die eigenen Liebhabereien von Dem zu sondern, was ihre Pflicht, was das Bedürfniß des Staates erforderte.
Aber wer eine Thür zu diesen Kreisen offen fand, hielt sein Glück für gemacht; der günstige Augenblick, wenn er ihn zu erwarten, zu fassen verstand, blieb nicht aus für ihn. Schon es glauben zu machen, daß man dort zugelassen, aufgenommen sei, galt Manchem für ein Stück der Klugheit.
Die Wilke hatte den guten König bei der guten Fürstin Radziwill kennen gelernt; er hatte ein Wohlgefallen an ihr gefunden; er hatte sie oft gesehen; sie war in seinem Palais gewesen und hatte fortwährend dort Zutritt; er interessirte sich für sie und ihren Schulplan; später für ihre Verlobung, die er billigte, für ihren Bräutigam, den Grafen Villamor, den er kannte, wenigstens dem Rufe nach; sie durfte ihn »Papa« nennen, eine vertrauliche Benennung, die der König, dem allgemeinen Glauben nach, gern von den jungen Mädchen, für die er sich interessirte, hörte, eben wie sie auch die Fürstin Radziwill nur »Mama« nannte.
Dies Alles hatte die Niemann von Paulinen gehört, und sie durfte es glauben, denn es war nichts Unerhörtes, es war vielmehr in der Ordnung, sobald Pauline wirklich das Glück gehabt, dem Könige bekannt zu werden und ihm zu gefallen, sei es durch ihre Anmuth, Frische, Witz, Natürlichkeit. Der König wollte in diesen Kreisen nichts, was Prätensionen machte, nichts Gelehrtes, Geistreiches, Vornehmes, der Zauber der Natur, des gesunden Menschenverstandes, der Schalkheit, der Herzensgüte zog ihn an. Wer ihn so gewonnen hatte, für den mochte er sich so bis in die Details seines Familienlebens interessiren, als wir es von der Fürstin Radziwill in den Paulinischen Briefen sehen.
Aber die Vertraulichkeit oder Theilnahme des Königs wuchs bis ins Unglaubliche. Und darüber blieb Pauline die Erklärungen schuldig, oder die alte Dame erinnerte sich mehr der Brücken, welche vom ersten Wohlgefallen bis dahin führten. Von Dem, was jener Zeit im Publicum über die Wundergeschichte erzählt wurde, daß die Wilke sich einmal als Geliebte, einmal als Tochter des Königs gegen die Niemann ausgegeben, findet sich in den Acten keine Erwähnung.
Genug, nachdem die Niemann schon sehr viel Geld zu verschiedenen Malen hergegeben, um den neuen Schulfonds zu dotiren, ward sie zu Opfern für noch größere Dinge gewürdigt. Pauline Wilke wußte vom Könige, daß es seine Absicht sei, ein Capital von einigen seiner Unterthanen aufzunehmen, um die sonst nöthige Erhöhung der Abgaben zu vermindern, und erklärte der Niemann, daß Seine Majestät von ihrem bekannten loyalen Charakter erwarte, daß sie nicht anstehen werde, wie sie zum Besten der Schulen von dem Ihrigen hergegeben, auch zum Besten des Ganzen ein Capital vorzuschießen. Fast zur selben Zeit empfing sie auch folgende Cabinetsordre:
»Wir von Gottes Gnaden Friedrich Wilhelm III. König von Preußen ec. ec. »Thun der Mlle. Ch. Niemann hierdurch kund und zu wissen, daß Wir ihr für so viele Uns in treuer Freundschaft geleistete Dienste, wieder einen Freundschaftsdienst erzeigen wollen. Wir haben nämlich beschlossen, Ihnen die Abgaben, die Sie auf Ihrem Grundstücke und Aeckern erlegen möchten, abzuerlassen, und Sie werden denn daher solcher vom 1. Januar 1834 enthoben, und hierüber vom Polizeipräsident Gerlach eine Bescheinigung erhalten. Bitte aber bis dahin Niemandem von dieser Sache, sei es auch den nächsten Blutsverwandten, etwas wissen zu lassen. Unsere kleine Gesandte wird Ihnen wiederum eine dringende Bitte von Uns ans Herz legen, die Wir nicht gern zu Papier bringen möchten. Leben Sie wohl und noch lange zum Wohl meiner Unterthanen.
Ich verharre Ihr
in Freundschaft Ihr
Friedrich Wilhelm.«
Die mündliche Bitte betraf ein Capital. In Unterwürfigkeit übergab die dadurch hochgeehrte Darleiherin ein Capital aus ihren Staatsschuldscheinen an die »kleine Gesandtin«, um es dem Könige einzuhändigen.
Aber der König brauchte immer mehr Geld. Nachdem die Niemann ihre Staatsschuldscheine fortgegeben hatte, kamen ihre Pfandbriefe an die Reihe, und als auch diese zu Ende waren, ward sie bewogen, auf ihr Haus in Charlottenburg zuerst 4000, dann noch 3000 Thaler aufzunehmen – wahrscheinlich über den Werth des Hauses, Alles – für ihren König.
Sie oder Pauline Wilke empfing darüber gegen zwölf Briefe des Königs oder Kabinetsschreiben, alle eigenhändig, – denn von diesem Geheimniß durfte Niemand wissen – und sie sind interessant genug, wenn nicht für die Geschichte des verewigten Monarchen, doch für die Geschichte der Zeit, und was in ihr noch geglaubt werden konnte, um hier in ihrer ganzen Gestalt Platz zu finden.
»Unserer lieben treuen Niemann Unser herzliches Willkommen!
»Zuerst Unserer guten Niemann Unseren herzlichen Dank für die 3000 Thaler, die richtig in Unsere Hände gekommen sind, nicht im Stande sind Wir, Euch diese Gefälligkeit zu lohnen, wie sichs gebüret. Euch aber nach Euer Verdienst zu lohnen, schwöre ich, betheuern Wir Euch hiermit. Im Vertrauen auf Eure unbegrenzte Liebe und Gefälligkeit wagen Wir noch eine Bitte: Wäre es Euch wol möglich, Uns Euer Capital noch bis zum 1sten Januar in Händen zu lassen, worauf Wir Euch bei der Wiederkehr von Fräulein Pauline Wilke in vier Wochen 1000 Thaler auszahlen werden. Die Schulden der Elberfelder Feuerkasse haben die Gebrüder Rothschild unternommen zu decken. Der Kassenschaden darf nicht publicirt werden, d. h. müssen Wir Gelder aufnehmen, so fordern Wir denn auch das Capital der Fürstin Radziwill. Erhalten zu eben diesem Zweck.
»Willigen Sie ein, Unsere gute Niemann, so lassen Sie Uns bald durch wenige Zeilen wissen. Wir gehen nach Kalisch, Werden aber nur kurze Zeit dort sein. Wir bitten Euch aber, auch hierin, wie schon in den andern Angelegenheiten, die größte Verschwiegenheit zu beobachten, besonders gegen Eure Verwandte.
»Lebt wohl, gute Getreue, zürnt uns nicht, bei Unserer Rückkehr sprechen Wir Euch persönlich Unsern schuldigen Dank aus, noch einmal lebt wohl, behaltet in gutem Andenken Euern Euch wohlgewogenen
König Friedrich Wilhelm.«
»Bewahret diesen Brief als Sicherheit, als Pfand Eures Vermögens von 16,000 Thaler (in Unsern Händen), so auch die 3000, die Ihr auf Euer Grundstück aufgenommen.«
»Unserer treuen vielgeliebten Niemann Unseren herzlichen herzlichen Gruß!
»Wir freuen Uns herzlich zu hören, daß es Euch, Unsere gute Niemann besser geht, und daher sind Wir gesonnen, Euch am Freitag oder Sonnabend auszuzahlen und zwar auf Unserem Palais zu Berlin. Wir würden es eher gethan haben, wäre Uns nicht ein treuer Freund abberufen worden, was Uns in tiefste Trauer versetzt hat. Gute Niemann, die Zinsen von Eurem Capital wollen Wir Euch gern in Staatsschuldscheinen auszahlen, es fehlen uns deren, haben Sie doch die Güte, Ihren Bruder darum durch ein Paar Zeilen ersuchen zu lassen, weil er selbst Uns gesagt, daß er welche hat, wenn Noth am Mann sein sollte. Pauline wird Ihnen sagen, wie Sie es anfangen sollen, da Wir sie gestern schon durch der Fürstin Radziwill Königl. Hoheit davon in Kenntniß haben setzen lassen.
»Lebet wohl, ich erwarte Euch Freitag!
Euer wohlgeneigter
König Friedrich Wilhelm.
»Gott grüß Euch, liebe gute getreue Niemann!
Unzähliche Male haben Wir schon gewünscht, Euch kennen zu lernen und Euch bei Uns zu sehen! Was werdet Ihr von Uns denken, gute Niemann. Sie halten Uns für keinen gerechten Monarchen, doch Gott sei bei Uns, am Montag sollt Ihr es erfahren, daß Wir dennoch Einer sind. Montag Nachmittag, gute liebe Niemann, fahret hin zu unserer Cousine, der Frau Fürstin de Radziwill, trinkt dort Kaffee und kommt von da zu Uns mit Pauline. Die Fürstin ist auf Euren Besuch eingerichtet. Colmann könnt Ihr nicht eher kündigen, als am 1sten April, so ist es gerichtlich ausgemacht. Der Hermann dort ist eher ausgezahlt worden, als am Mittwoch oder Donnerstag. Am Dienstag kommen Sie noch einmal zu mir und zwar mit Ihrem Herrn Bruder, mit welchem ich sehr unzufrieden bin. Dafür zufriedener mit Sie. Eine zweite Niemann gibt es nicht, auch bringen Sie morgen Ihre Hausjungfer mit. Pauline oder Fräulein können – – – Bitte aber, sich übermorgen gegen 5 Uhr bei Uns einzufinden, nicht später. Uebermorgen werde ich Euch einen Brief, einen sogenannten Abbitte-Brief Eures Herrn Bruders überreichen. Ihr werdet bestimmt Alles von ihm wissen, wie er sich gegen Uns benommen und gewiß werden Wir dann Eure Verzeihung schon erhalten haben.
»In – – sehen wir uns.
Euer Euch wohlgewogener
König
Friedrich Wilhelm.«
»Unserer lieben und getreuen Niemann
Hiermit Unsere treue Freundschaft!
»Nicht wahr, Unsere gute Niemann, Sie sind sehr böse auf Uns, daß Wir die Geldaffairen nicht einmal beendigen, allein mit dem besten Willen, es läßt sich nicht thun. Wir mögen es anfangen, wie Wir wollen. Verloren gegangener Staatsschuldscheine wegen muß die Austheilung der neuen Coupons noch einige Zeit Aufschub erleiden, was Uns Höchstselbst unangenehm ist. Doch Unsere treue Niemann trage dieserhalb keine Angst, Ihr Capital liegt in Unsern Händen, und gewiß so sicher wie in den Ihrigen! Ja, es würde Uns erstaunt wehe thun, wenn Wir hören würden, daß Unsere treue Niemann um Ihres Gutes wegen in Aengsten wäre! Gott soll mich strafen, wenn ich böse Absichten hegen wollte, nein, ich bin ein guter König und bin gerecht, ich werde auch gut und gerecht bleiben, bis mir Gott einst die Krone abfordern wird! Bitte meine treue Niemann, mir zu antworten, wenn es Ihnen keine Mühe macht.
»Ihr Ihnen bis an's Ende seiner Tage wohlgeneigter
König
Friedrich Wilhelm.«
»Berlin, den 23/11.
»Wir thun Euch, Unsere vielgeliebte Pauline, hierdurch kund, daß Wir einige von den niedern Staatsschuldscheinen der Dlle. Niemann die Coupons wechseln lassen. Wir würden es gern sehen, wenn Ihr, Unsere liebe Pauline, versuchtet, heute eine mitzunehmen, damit ich sehe, ob man Euch gleich abfertigen wird, Ihr müßt aber den zu 5 Prozent fordern, Beneke hat ihn bei Seite gelegt. Dlle. Niemann kann Ihnen einen geben, was für einer es ist, sorget ja für die Fürstin ihre Papiere, sie verläßt sich ganz auf Euch. Wir haben für Unsere Niemann 14 zu 5 Procent angekauft. Dreizehn haben Wir uns besorget, Alles gut und zu beider Zufriedenheit.
Euer König
Friedrich Wilhelm.«
»Unseren herzlichsten Gruß und die innigsten Wünsche für Dero dauernde Gesundheit zuvor! Wohl haben Sie Ursache, gute treue Niemann, bös und zornig auf Uns zu sein, doch Gott sei mein Zeuge, daß Wir nie schlechte Absichten zum Grunde hatten.
»Leider müssen Wir noch einmal, aber zum letzten Mal aufschieben. Sonnabend Nachmittag, eher kann ich Sie nicht sehen, hielten Wir dann nicht Wort, dann sind Wir nicht würdig, von der Erde getragen zu werden. Sie haben viel, ja sehr viel für Uns gethan und gewirkt, nie können Wir Dank genug für Sie haben, doch wie als Mensch Wir danken können, werden Wir Ihnen danken, dazu möge Gott Uns helfen. Nun bitten Wir herzlich, Pauline keine Vorwürfe zu machen. Es ist nicht ihre Schuld. Das Nähere wird sie Ihnen erzählen. Sie weiß Alles. Sie wird Alles in Ordnung bringen.
»Halten Sie Uns immerhin für ungerecht, Wir sind überzeugt, daß Sie am Sonnabend Ihr strenges Urtheil über das zurücknehmen. Viel Aerger und Verdruß haben Wir durch Ihren Herrn Bruder gehabt, besonders bei der Aufnahme von 1000 Thaler – – –, den Gott möge selig haben. Noch einmal, treue Niemann, sein Sie Uns nicht böse, ich bitte Sie darum; zürnen Sie nicht Ihrem
Ihnen wohlgeneigten
König
Friedrich Wilhelm.«
»Unsere gute Niemann!
»Ihren Pfandbrief von 8000 Thaler haben Wir richtig empfangen, auch dabei versprochen, Ihnen Staatsschuldscheine dagegen zu schicken, doch Wir ließen Ihnen am Donnerstag sagen, Uns noch einen desgleichen von 1000 Thaler zu übersenden, Sie sollen dann am Sonnabend zu Uns kommen und das Ihrige in Empfang nehmen. Durch Paulinchens Ungehorsam aber hat sich die Sache wieder verzögert. Wir sind ob diesem Ungehorsam sehr erzürnt. Lassen Sie sich dies genauer erklären und ertheilen Uns dann genauen Bescheid hierüber, was der Sache zum Grunde liegt. Wir haben bis jetzo väterlich gehandelt und werden nie aufhören, es fernerhin zu thun.
Euer wohlgewogener
König
Friedrich Wilhelm.«
Berlin, den 21. December.
»Unserer vielgetreuen Niemann versichern Wir hiermit Unsere Liebe und Wohlwollen! Zu Unserem Bedauern haben Wir gehört, daß Ihnen die Fahrt nach Berlin ein Unwohlsein zugezogen hat. Gott gebe, daß es bald beendet ist. Wir wollen Euch hierdurch bekunden, daß Wir gesonnen sind, Euch nicht allein dies der Jettchen geliehene Capital in Staatsschuldscheinen zurückzuliefern, sondern auch das der Fürstin und Uns geliehene. Da aber jetzt die neuen Coupons zu Wege gebracht werden müssen, so sind Wir entschlossen, Euch diese noch zu besorgen, da dies doch für Euch viele Umstände verursachen würde. Zu den übrigen Staatsschuldscheinen, die Ihr noch habt, werden Wir das noch hinzuschicken, damit der kleine Banquier nur abschreiben darf. Bitte, meine treue Niemann, Uns in ein Paar Zeilen zu schreiben, ob Unser Wille Euch gefällt. Zu Mittwoch bitten Wir Uns ein Schreiben von Euch, durch Unsere kleine Schatzmeisterin aus.
»Gott erhalte Euch und schenke Euch frohe und zufriedene Festtage und fanget mit einem eben solchen Herzen das neue Jahr an, dies ist der aufrichtige Wunsch Eures Euch wohlgewogenen
Königs
Friedrich Wilhelm.«
»Einen schönen guten Morgen, meine gute Niemann! Ich habe ein großes Hokus-Bokus gemacht, am Sonnabend war ich so zerstreut, daß ich gar nicht wußte, wie Uns der Kopf stand, lade Sie anstatt zum Dienstag den Montag und haben statt morgen übermorgen geschrieben. Entschuldigen Sie mich durch ein Paar Zeilen bei meiner Cousine, bitte, ihr auch meinen Brief mitzuschicken. Befolgen Sie morgen all meine Bitten streng, bleiben Sie wohl, und gesund, damit morgen unser Vorhaben keinen Aufschub leidet, denn Wir sind in der heiligen Wochen. Mittwoch müssen Sie schon so gut sein, noch einmal zu mir kommen und bringen Sie an diesem Tag die Marie Schubert mit, damit sie sich bedankt.
Ihr Sie treu liebender
König
Friedrich Wilhelm.«
»Also auch Sie, meine vielgeliebte Pauline, sind im besten Wohlsein wieder eingetroffen. Was Ihr Schreiben anbetrifft, so habe ich es eigenhändig erbrochen und auch selber gelesen, aber mit Verdruß, man merkt, daß Politik bei Ihnen mit im Spiel ist, daher benutzt man diese Gelegenheit, wo Wir Hohe im Trubel leben, und sucht durch einen Vormund Ihnen politische Geheimnisse zu entlocken. Lassen Sie sich nicht schrecken, wählen Sie einen Vormund, er sei, wer er sei. Verrathen Sie aber die Geheimnisse Ihres Königs und Ihrer Fürstin und Wohlthäter nicht. Fräulein ......., eine eben so kluge als berathene Person, wird Ihnen gewiß rathen und fürsprechen. Witzleben hat Verräther gespielt, er hat seinen Lohn, gehen Sie also so vorsichtig als möglich und nennen Sie durchaus keine hohe Person. Fräulein ..... werde ich dann ihre Bemühung hoch anrechnen. Vor allem muß die gute Niemann sehen, daß sie die 3000 Thaler zurückliefert, welches mich von einem groben Verdruß befreit. Nostiz wird Ihnen Bescheid darüber geben, dies muß aber vor dem 1sten geschehen. Ich befinde mich in der größten Verlegenheit. Grüßen Sie die gute Niemann, sie soll ihrem König nicht zürnen und ihm noch einmal zu Gefallen leben. In ein Paar Tagen werde ich ihr ein Schreiben übersenden. Gehen Sie gleich nach Empfang dieser Zeilen zu Nostiz und zögern Sie keine Minute. Sprechen Sie mir dann jeden ihrer Wünsche aus, nur durch Erfüllung derselben kann ich ihr danken.
Ihr Ihnen wohlwollender
König
Friedrich Wilhelm.«
Auch der König hatte in dieser Correspondenz die unglückliche Angewöhnung der Damen, seine Briefe selten zu datiren, so daß wir nicht gewiß sind, ob sie in der historischen Reihe aufeinander folgen. Wenn auch Mehres in diesen Cabinetsschreiben undeutlich ist, so spricht doch der Gesammtinhalt deutlich genug. Der König ist wie die Fürstin Radziwill mit Allem, was in dem Hause der alten Dame vorgeht, vertraut, er kennt alle Klatschgeschichten, den Zwiespalt der Familie, auch er warnt vor den Verwandten, er kennt die einzelnen Gläubiger und Schuldner der Niemann, er gibt ihr guten Rath, wie sie mit ihnen verfahren soll, er scherzt unmuthig über die kleinen Unarten der liebenswürdigen Abgesandtin, er schreibt mit derselben holdseligen Popularität und ist endlich eben so dienstfertig und ebenso in Geldbedrängnissen als die Fürstin Radziwill.
Zur Erklärung einzelner Stellen hier nur: daß Pauline der Niemann bei Abfertigung der Pfandbriefe gesagt hatte, sie wären schon verloost, aber der König wolle sich der Mühe unterziehen, die Sache wieder in Ordnung zu bringen; daher die seinen Anweisungen, wie sie die Papiere bei der Kasse präsentiren und zurückfodern solle.
Was die Elberfelder Bedrängniß, in der sich der gute König befand, anlangt, so war die Niemann davon auch durch ein Schreiben der Fürstin Radziwill unterrichtet, wo es heißt: »Paulinchen hat Ihnen gewiß schon von der Elberfelder Feuerkasse gesagt, und daß der gute König Willens ist, Ihr und mein Capital zu gebrauchen, bis zum ersten Januar, daß er Ihnen aber bei Paulinchens Zurückkunft aus Karlsbad 1000 Thaler Zinsen auszahlen will, dies wird er Ihnen schriftlich geben, auch daß er durch Herrn P. Rother die 3000 Thaler, die Sie auf Ihrem Hause aufgenommen haben, erhalten hat, willigen Sie aber nicht ein, fordern Sie mit Gewalt Ihr Capital, dann mache ich es auch so. Diesen Gefallen thun Sie mir noch, ich bitte Sie herzlich darum.«
Die Niemann war jetzt ohne alles disponible, ja eigentlich ohne alles Vermögen, und erhielt nicht einmal Zinsen, weil immer etwas dazwischen kam, wenn der König ihr die Papiere zurückerstatten wollte. Jetzt sollte sie es erhalten, ehe der König nach Töplitz ginge, dann, wenn er zurückkehrte; dann hinderte der Besuch in Kalisch, dann sollte sie es zum 1. Januar 1836 haben.
Sie drang nun auf Rückzahlung, mehrmals, auch recht kurz und dringend. Wir lesen, wie der König sich selbst für einen unwürdigen König erklärte, wenn er es nicht wiedergebe; aber die Schuld war zu schwer für ihn, er konnte nur vertrösten.
Endlich erhielt die Niemann vom Könige durch die Wilke eine verschlossene Mappe mit dem dazu gehörigen Schlüssel, in welcher sich ihr Geld in Papieren befände. Aber zugleich ward ihr die Weisung ertheilt, daß sie sich ja nicht unterstehen solle, die Mappe zu öffnen, als bis der König selbst ihr den Zeitpunkt bestimmen werde. Er werde deshalb, wenn er gekommen, den Kammergerichtsrath Ballhorn zu ihr schicken. Aber der Kammergerichtsrath Ballhorn wurde krank, und so zog sich auch dieser ersehnte Zeitpunkt von Woche zu Woche hin.
Demoiselle Niemann war stärker in ihrem Vertrauen und nicht von der weiblichen Neugier geplagt, wie König Blaubarts Frauen. Obgleich sie den Schlüssel in Verwahrung hatte, obgleich die Wilke ihr gesagt, sie werde sich überrascht finden, wenn sie die Mappe öffne, denn der König habe sie königlich für ihr Vertrauen belohnt und anstatt der l9,000 Thaler, welche sie im Ganzen dem Staate geliehen, werde sie gegen 50,000 Thaler in Papieren finden, widerstand sie der Versuchung und öffnete nicht.
Der Luxus und Aufwand, den die Wilke machte, stach sehr auffällig von dem bescheidenen Haushalt der alten Dame ab, aber dies konnte das Band der Eintracht zwischen Beiden nicht stören. Die Niemann war so von ihrer Pathe eingenommen oder so durch das Glück bezaubert, welches ihren Liebling hob und trug, daß sie auch ihrerseits Alles that, ihr gefällig zu sein und das Leben angenehm zu machen. Sie glaubte ja dadurch nur ihrem König gefällig zu sein. Nicht allein mit ihrer Familie hatte sie sich um deshalb überworftn und mistrauisch von denselben zurückgezogen, sondern sie stiftete auch Versöhnung, wo ihre junge Freundin in Zwist mit anderen ihrer Bekannten gerathen war, z. B. mit ihrer Gesellschafterin und deren Familie. Es kam ihr nie in den Sinn, daß Pauline ihren Aufwand mit dem von ihr entnommenen Gelde bestreite. Sie war mit Allem zufrieden, sie glaubte Alles, was Pauline ihr sagte, sie folgte ihr in unterwürfiger Befangenheit in allen ihren wechselnden Angaben über den Quell ihres Vermögens und in den Sprüngen ihrer Phantasie, welche ihr neue Lebensplane eingaben. Anfänglich glaubte sie, daß ihr Geld von den Geschenken des Grafen Villamor herrühre, auch von einem Lotteriegewinnst, welchen Pauline in Hamburg gemacht haben wollte; später hatte sie es von »Mama« (der Fürstin Radziwill), dann von »Papa« (dem Könige) erhalten. Dies war auch nöthig, denn mit einem Male schienen die Heirathsplane mit dem Grafen Villamor in den Hintergrund zu treten. Er zögerte vielleicht zu lange, Brasilien war ihr zu fern, und sie hatte einen neuen Bräutigam, einen Adjutanten des Königs, Grafen von Witzleben, eine Partie, mit welcher der König anfänglich sehr zufrieden war. Sie blieb ja im Lande und in seiner Nähe. Sie hatte schon kostbare Ringe mit ihm gewechselt, die sie der alten Dame zeigte. Nur die Fürstin Radziwill war, wie wir aus einem ihrer Briefe ersehen, mit der Partie nicht einverstanden. Es heißt darin: »In Paulinchens Verlobung willige ich nicht ein, wie Sie schon wissen werden. Der Herr Graf von Witzleben ist – (der Grund am Rande des Papiers ist hier abgerissen). Ich habe einen Besseren für Paulinchen. – Thun Sie mir den Gefallen und verwahren den Ring noch acht Wochen.« – Späterhin ging die Partie auseinander, weil – der Graf von Witzleben, der Adjutant des Königs! sich eines Hochverraths schuldig gemacht hatte!
Die Niemann glaubte Alles: auch daß ihr König, der bekanntlich in seinen Privatfinanzen stets, was man nennt, sehr wohl arrangirt war, immerfort Geld bedurfte, daß er, um der Elberfelder Assecuranzkasse beizuspringen, nöthig habe, eine Privatperson anzusprechen, daß er nie sein Wort halten konnte, das Geliehene zurückzuerstatten, daß es ihm nicht einmal möglich war, die Zinsen aufzubringen. Ja sie glaubte, als sie heftig wenigstens auf die Zinszahlung drang, daß Pauline ein Recht habe, was ihr streng untersagt war; denn diese öffnete jetzt mit dem Schlüssel die geheimnißvolle Mappe und nahm ein Papier, angeblich 1000 Thaler heraus, um es zu diesem Zwecke zu versilbern, und sie blieb noch beim Glauben, als auch aus dieser Versilberung und Zinszahlung nichts wurde.
Und während die alte Dame schon die Entziehung ihrer Einkünfte schmerzlich zu empfinden anfing, fuhr ihre Pathe, das Glückskind, mit vier Pferden Extrapost, einer Gesellschafterin und Bedienten in den böhmischen Bädern umher und machte Ausflüge nach Prag. Ihre Briefe athmen Seligkeit über das freie wonnige Leben. Sie macht angesehene Bekanntschaften, sie sieht, besucht Alles, kauft ein und genießt das Leben wie die sorgenfreieste Person von der Welt. Geschenke werden gekauft, Einrichtungen für ihre Wohnung bestellt. Der Melnecker Wein schmeckt ihr besonders, sie will davon und eingemachte Forellen nach Berlin mitbringen, sonst aber nichts, ihre Verwandte und Freunde haben schon genug von ihr erhalten. Dafür aber überschüttet sie mit Erzählungen, Klatschereien und Liebesversicherungen ihre theure Niemann. Wie nur ein liebenswürdiges, unschuldiges Mädchen, das zum ersten Mal auf Reisen ist, berichtet sie Alles den Lieben nach Hause oder läßt es durch die Gesellschafterin schreiben. Alles, das Geringste, ist ihr von Wichtigkeit, sie erzählt die Sagen und Märchen des Karlsbader Thales, und wie sie von den Andern Glauben fordert, erscheint sie selbst gläubig. Man könnte eine verlorene Romandichterin in ihr bedauern. Auch dort, welche vornehme Bekanntschaften hat sie gemacht, die Tochter der Herzogin von Berry hat ihr Kußhände zugeworfen, wo sie sie nur erblickte, der und jener Prinz war erfreut, sie zu sehen, zu sprechen, und leider mußte sie nur Rücksichten nehmen, dem lieben »Papa« um den Hals zu fallen, der grade in Töplitz war.
Die Geldbedrängniß des Königs ward immer größer, das Geld immer knapper. Die 63jährige Magd der Niemann hatte ersparte 275 Thaler Staatsschuldscheine in Verwahrung liegen bei ihrer Herrin. Befragt, ob auch sie dieselben dem Könige leihen wolle gegen gute Verzinsung und eine angemessene Belohnung, willigte sie gern ein. Eine Köchin sollte die Ehre haben, ihrem Könige Geld zu leihen und dabei noch gewinnen! Sie willigte gern ein, warum sollte sie das nicht wagen, was ihre Herrschaft mit solcher Bereitwilligkeit that? Sie ward der Ehre gewürdigt und in das Geheimniß unter Angelöbniß tiefster Verschwiegenheit gezogen. Aber auch außerdem mußte sie der Wilke Geld borgen, etwa 30 Thaler von ihren Ersparnissen. In der letzten Zeit borgte diese überdies von ihrer Gesellschafterin, ihrem Bedienten; bei ihrer Verhaftung fand man nicht einen Thaler baares Geld vor!
Inzwischen hatte sich die Angelegenheit mit dem Möbelhändler angesponnen. Der Anfang war, wie derselbe ihn angegeben, er wünschte ein Capital zur Vergrößerung seines Geschäfts, die Wilke versprach es ihm zu besorgen.
Um Neujahr 1836 theilte Pauline ihrer mütterlichen Freundin mit, daß der König die Absicht habe, dem Möbelhändler Schröder ein Capital von 8000 bis 10,000 Thaler vorzuschießen, damit dieser im Stande sei, die Ausstattung für den Prinzen von Hessen-Darmstadt zu bewirken. Der König wolle indeß das Versprechen nicht im eigenen Namen geben, und wünsche, daß seine immer bereite Freundin, die Niemann, statt seiner mit ihrem Namen vertrete. Die loyale Unterthanin war auch wirklich dazu bereit, obgleich sie diesmal nicht einmal eine schriftliche Zeile vom Könige erhielt; so fest war in ihr die Ueberzeugung, daß die Wilke nur der Mund des Monarchen sei.
Die weitern Verhandlungen gingen so vor sich, wie sie oben nach den Angaben Schröder's erzählt sind. Er konnte das Geld nicht bekommen, er mußte erst 500, dann noch zwei Mal 500 und endlich 100, in Summa 1600 Thaler vorschießen, damit – der König seine versetzten Pfandbriefe einlösen könne! Davon war die Niemann fest überzeugt. Sie selbst empfing die ersten 1500 Thaler aus Schröder's Händen, quittirte darüber und übergab sie Paulinen, um sie dem Könige nach dem Palais zu überbringen. Daß dies wirklich geschehen, war für sie über allen Zweifel. Aber der König löste nicht aus und zahlte nicht Und Schröder wurde mit seinem Drängen sehr unangenehm, und ihr war es zur heiligen Pflicht gemacht, von dem wahren Verhältniß, von dem wirklichen Darleiher nichts zu verrathen.
Pauline vertröstete von Tag zu Tag, daß die Summe für Schröder nächstens vom Palais eingehen werde. Als indeß die Ungeduld der unglücklichen Alten, die nicht allein über die empfangenen 1600 Thaler quittirt, sondern auch die schriftliche Versprechung des großen Capitals gegeben, immer größer ward, sagte die Wilke, sie wolle ihrer Freundin helfen. Sie ließ sich die verschlossene Mappe des Königs geben, die doch nur der Kammergerichtsrath Ballhorn öffnen sollte, schloß sie auf und nahm ein Packet heraus, welches sie mit fünf Siegeln versah und die Aufschrift machte: »10,000 Thaler in Pommerschen Pfandbriefen für Herrn Schröder in Berlin.« Dieses Packet, von dessen der Aufschrift entsprechendem Inhalt die Niemann fest überzeugt war, ward dem Möbelhändler zuerst gezeigt, wie oben erzählt ist, dann von der Wilke ausgehändigt und der Termin zur Oeffnung bestimmt, der immer weiter hinausgerückt ward, weil kein Geld kam.
Erst am 5. April, dem letzten Termine, kam die Wilke mit einer seltsamen Aeußerung zur Niemann: Se. Majestät der König sei im höchsten Grade unwillig gewesen, daß sie, die Wilke, jenes Packet dem Schröder überliefert. In diesem Packete befänden sich nämlich leere Papiere und nicht Pfandbriefe. Se. Majestät hatten beabsichtigt, künftighin in die Stelle dieses leeren Papieres Staatsschuldscheine zu legen, und hegten nun die Besorgniß, daß Höchstihr Name beim Oeffnen des Packets compromittirt werden könnte. Nun komme Alles darauf an, den Schröder noch zu bestimmen, daß er noch bis zum 9. April warte, bis wohin der König gewiß das Geld auftreiben werde.
Aber Schröder ließ sich eben so wenig bestimmen, als die Niemann auch jetzt nach dieser Entdeckung in ihrem festen Glauben erschüttert wurde. Schröder machte bei der Polizei, nachdem er noch einmal zu einem letzten Versuche nach Charlottenburg gestürzt war und wenigstens ein letztes schriftliches Anerkenntniß des Schuldverhältnisses von der Niemann ertrotzt hatte, Anzeige und das Ungewitter brach herein.
Der Polizeirath Dunker erschien plötzlich in Charlottenburg. Die Wilke mußte, wenn sie einigermaßen mit ihren Gedanken zu Rathe gegangen war, darauf vorbereitet sein. Von einer so gewandten, listigen Person hätte man doch auch erwarten sollen, daß sie sich, wenn nicht auf eine Rettung, doch auf Ausflüchte müßte vorbereitet haben. Aber nichts davon. Als gedankenloses Kind des Augenblicks überließ sie sich dem Moment und seinen Eingebungen und die Spannkraft ihrer Phantasie schien mit einem Male versiegt.
Damals war zur eigentlichen und nächsten Kunde der Polizei nichts gekommen, als der an Schröder verübte Betrug. In diesem erschien, wie die Sachen lagen, die alte Demoiselle Niemann als wissentliche Betrügerin, als Hauptthäterin, die Wilke nur als Gehülfin, wahrscheinlich auch die Gesellschafterin Alfrede als solche. In den Befugnissen und gewissermaßen auch in der Pflicht des Polizeibevollmächtigten hätte es also gelegen, sich aller drei Personen zu versichern und sie verhaften zu lassen, um der Sache auf den Grund zu kommen, und jede Verschleppung und Durchsteckerei zu verhüten. Es gehörte Duncker's psychologischer Scharfblick dazu, hier zu sondern und, indem er die eigentliche und allein Straffällige zum Bekenntniß nöthigte, zwei durch den verübten Betrug und durch ihre Leichtgläubigkeit schon hartgestrafte Frauen vor der Beschimpfung einer Arrestation zu bewahren.
Die Wilke leugnete, aber schwankte; die Niemann, die wir so schwach gesehen, erhob sich zu einer merkwürdigen Stärke in ihrem Glauben, sowol der Polizei als den Gerichten gegenüber. Schon hatte Duncker aus geschickten Kreuz- und Queerfragen richtige Blicke in das wahre Verhältniß geworfen, schon sagte er der alten Dame auf den Kopf zu, daß sie betrogen worden, daß die Pflicht der Verschwiegenheit, die sie vorschütze, ihr zum Verderben gereichen werde, da er sich alsdann in die Notwendigkeit versetzt sehe, sie zu verhaften, als sie ihm erwiederte:
»Man mag mich für eine Betrügerin halten; ich weiß, ich bin es nicht. Man mag mich ins Gefängniß bringen und es schmerzt mich sehr, meine äußere Ehre gefährdet zu sehen, ich lasse mich aber getrost arretiren. Ich werde mein Geheimniß nicht verrathen, ich darf es nicht, und wenn es auch mein Leben mir kosten sollte. Sie, Herr Polizeirath, scheinen ein guter Mann zu sein und versichern, Sie könnten nicht anders handeln; ich will aber wünschen, daß Sie später selbst nicht bereuen, was Sie an mir thun und daß Sie sich nicht schaden. Ich weiß, daß ich wieder zu Ehren komme, ich habe einen Beschützer und Erretter, den ich nicht nennen werde, der aber meine Befreiung gewiß in wenigen Tagen erwirken kann und wird.«
Noch hatte Pauline Wilke die Frechheit, in Duncker's Gegenwart darauf zur Niemann zu sagen:
»Sie müssen am besten wissen, liebe Niemann, ob Sie Ihr Geheimniß dem Herrn Polizeirath offenbaren dürfen. Es thut mir leid, daß Sie zu mir nicht offen genug gewesen sind, um mich in den Stand zu setzen, selbst zu wissen, was ich sagen kann und soll. Hätten Sie mir doch gleich gesagt, was Sie vorhatten, wie viel Gelder Sie besaßen und woher Sie dieselben bekommen haben! Nun habe ich immer nur nach Ihrem Willen gehandelt und kann deshalb selbst über nichts weiter Auskunft geben.«
Die Niemann erwiderte darauf: »Sei ruhig und ängstige Dich nicht, mein Kind; ich verrathe nichts und bewahre unser Geheimniß.«
Pauline Wilke war nicht so stark; sie legte schon vor dem Polizeirath ein ziemlich vollständiges, außergerichtliches Geständniß ab. Derselbe veranlaßte hierauf noch am selben Tage eine gerichtliche Vernehmung der alten Niemann. Auch hier erklärte sie zuerst: »Wo ich mein Geld habe, ist ein Geheimniß, welches ich nicht verrathen darf.« Erst auf die dringende Vorstellung des Richters, daß es Geheimniß auch in den Acten bleibe, erklärte sie zitternd: »Ich habe es dem Könige in Verwahrung gegeben, er hat es, 12,000 Thlr., durch Pauline Wilke von mir fodern lassen; Pauline Wilke hat Sr. Majestät selbst auf dem Palais dieses Geld übergeben.« Hierauf folgte die Geschichte, die wir kennen, in ihren Grundzügen, und sie schloß mit den Worten: »Ich bin ganz fest von der Redlichkeit der Pauline Wilke überzeugt, weil es unmöglich ist, daß sie die Handschrift von so hohen Personen, wie Sr. Majestät des Königs und der Fürstin Radziwill nachgemacht haben kann!« Die Gerichtspersonen registrirten: Die Niemann erscheine in einem so hohen Grade von der Wilke eingenommen, daß sie nichts vom Glauben an ihre Redlichkeit abbringen könne. Ueber jede Miene von Ungläubigkeit, welche sie in den Gesichtern der Gerichtspersonen zu finden glaubte, ward sie entrüstet und forderte förmlich Verantwortung, weil die Ehre der Wilke dadurch gekränkt werde.
Endlich – die Wilke hatte jetzt erst das Bekenntniß abgelegt, daß sie auch sämmtliche Briefe der Fürstin Radziwill und des Königs selbst geschrieben – mußten ihr die Augen aufgehen. Mit dem Ausdruck des natürlichsten und tiefsten Schmerzes rief sie aus: »Wenn das so ist, da bin ich hintergangen. Ach Gott, ich bin um mein ganzes Vermögen betrogen!«
Und so war es. Die unglückliche Alte war durch ihr blindes Vertrauen nicht allein um ihr ganzes Vermögen gebracht, zur Bettlerin geworden und auf die Mildthätigkeit derselben Verwandten hingewiesen, deren Warnungen sie mit Entrüstung und verächtlich von sich gewiesen, mit denen sie durch die Intriguantin in ein gespanntes, feindliches Verhältniß versetzt worden, sondern überdem hatte sie sich zu einer schriftlichen Verpflichtung gegen den Möbelhändler Schröder verleiten lassen, der sie, von allen Mitteln entblößt, nicht mehr nachkommen konnte, ja sie hatte sich der nahen Gefahr ausgesetzt, als Betrügerin zur Untersuchung gezogen und gestraft zu werden. Wie diese Verbindlichkeit gelöst, oder wie sie derselben überhoben worden, ist uns weder bekannt, noch gehört es hierher. Dagegen beschäftigte eine andere Frage zur Zeit als diese Geschichte so großes Aufsehen erregte, die Gemüther in Berlin: ob nämlich der König der bejammernswerthen Dame, als Trost für ihre Leiden, als Belohnung für ihre mehr als loyale Aufopferung und blinde Unterwürfigkeit in seinen angeblichen Willen, ihr eine kleine Pension für die wenigen, ihr noch übrigen Lebenstage aussetzen werde? Ein Theil des Publicums hielt dies für gewiß, und menschlich betrachtet wäre es bei Friedrich Wilhelm's III. mildthätigem Charakter, der dem Leidenden, wo seine Mittel dazu ausreichten, gern, am liebsten im Stillen half, nichts Ungewöhnliches gewesen, zumal da die Geschichte fast unter seinen Augen, in seiner nächsten Nähe, in seinem geliebten Charlottenburg, vorgefallen war. Andererseits aber sprach ein zu gewichtiger Grund dagegen, welcher, so viel bekannt, veranlaßte, daß die Bitten deshalb entschieden abgewiesen wurden. Es wäre eine Aufmunterung für Betrüger geworden, den Namen des Königs zu mißbrauchen, wenn es bekannt geworden, daß der König sich verpflichtet halte, den Schaden zu ersetzen, der durch Mißbrauch seines Namens den Betrogenen erwachsen. Es ist die Pflicht jedes Bürgers, sich vorzusehen, und eine blinde Loyalität, die auf die Winke und Wünsche des Monarchen lauscht, ohne eigene Prüfung, ist auch im Codex einer absoluten Monarchie nirgend als Tugend verzeichnet; im Gegentheil kann in einem christlich gesitteten Staate aus solcher Unterwürfigkeit schon gegen die Athemzüge der Macht ein unermeßliches Unheil entstehen. Eine solche Loyalität begünstigen und aufmuntern, lag dem strengrechtlichen Sinne Friedrich Wilhelm's III. fern. Dann aber fragte sich: ob, selbst subjectiv betrachtet, die Aufopferung der alten Demoiselle Niemann als tugendhaft betrachtet werden konnte? Abgesehen von den dunkleren Gerüchten, daß die Wilke ein minder ehrenvolles Verhältniß zum Könige gegen ihre Wohlthäterin fingirt, so gab sie doch nicht, ohne an das Nehmen zu denken. Daß der Minister Maaßen ihr 12 Procent für ihr Capital bewilligte, und der König bei der Rückgabe es mehr als verdoppeln wollte, vertrug ihr Patriotismus und ihre loyale Hingabe.
Wer denkt nicht unwillkürlich bei diesem merkwürdigen Proceß aus der Gegenwart an die Halsbandgeschichte? Es sind hier wie dort dieselben Wunder von Leichtgläubigkeit und dieselben Motive. Der Cardinal Rohan schenkte in eben der Art den von der Lamotte geschmiedeten Briefen der Königin und ihren persönlichen Hinterbringungen Glauben, als die Niemann den von der Wilke fabricirten und ihren Fabeln. Waren jene feiner geschmiedet, war die Intrigue mit mehr Wahrscheinlichkeit und Beachtung der Verhältnisse angelegt, so war verhältnißmäßig, wenn man die Weltbildung, die Kenntnisse, den Geist und die mehre Vertrautheit des Betrogenen mit dem Hofleben in Anschlag bringt, der Betrug doch gröber und unglaublicher als die Täuschung einer alten, kränklichen Jungfer, die, einsam und verschlossen, nichts von der Welt wußte, sah, hörte, und doch einen ewigen Zug der Menschen- und besonders der Frauennatur nicht verleugnen konnte, den Hang nach dem Wunderbaren, als der eigenen Eitelkeit schmeichelnd. Die Niemann wie Rohan wurden von einer ungeheuern Eitelkeit zu einem blinden Glauben getrieben. Eine Fürstin ihre intime Freundin, ein König, der von ihr Geld borgte und sein Herz gegen sie aufschloß, das war mehr der Seligkeit für den Stolz der Alten, als des blasirten Rohan's galante Hoffnung, den Haß einer schönen Königin in Liebe und Gunst zu verwandeln.
Ihre Vertheidigung zu den Acten war einfach und natürlich. Sie hatte nie die Handschrift des Königs noch die der Fürstin Radziwill gesehen. Sie hatte kein Mißtrauen gegen die Wilke, die ihr als Pathe, als mütterlicher Freundin, als Wohlthäterin zum innigsten Dank verpflichtet sein mußte! Wie konnte sie es als möglich denken, daß gerade diese Person sie so hintergehen, als ein Vampyr so an ihrem Herzblute saugen könne? Ihr vor fürstlichen und königlichen Personen in Ehrfurcht erstarrendes Gemüth hielt es für absolut unmöglich, daß Jemand, und am wenigsten ein so junges Mädchen, auf der keine Schuld bis da haftete, es sich unterfangen können, die Handschrift ihres Königs nachzuahmen, ein solches Majestätsverbrechen zu begehen. Sie berief sich ferner darauf, daß sie sich nie um Staatsangelegenheiten gekümmert, nie etwas von den dahin einschlagenden Verhältnissen gewußt, und daß die Wilke nie in Verlegenheit gekommen, sondern stets mit der größten Bestimmtheit und Sicherheit ihre Angaben gemacht; auch daß sie auf die mehrfachen Verdächtigungen durch die Verwandten der Niemann und Andere nie die geringste Verlegenheit gezeigt, sondern immer mit völliger Ruhe geantwortet habe. Da ihr die tiefste Verschwiegenheit zur heiligsten Pflicht gemacht war, konnte und mochte sie mit Niemand darüber sprechen, und so war es möglich, daß sie so lange in ihrer Täuschung bleiben konnte.
Es bedarf nicht der Erwähnung, daß jede Rüge und Untersuchung gegen diese arme Betrogene unterblieb; sie war härter gestraft als ein Gericht sie strafen können. Ihre ganze äußere Existenz war vernichtet, und wenn die Alte noch Sinn dafür gehabt, mehr als Das. Ihr Alles, woran ihre Hoffnungen, Träume, ihre Eitelkeit, ihre Liebe zum Leben sich gerankt, war mit einem Male ausgerissen. Sie hatte eine Natter an ihrem Herzen genährt und geliebkost, die ihren letzten Blutstropfen ausgesogen, und nun, statt Bedauern für ihren Schmerz, ihr Unglück zu empfangen, hatte sie nichts als Lächeln und Gespött zu erwarten.
Auch gegen ihre Gesellschafterin Alfrede war kein Grund, einzuschreiten. Auch sie war benommen von der Vorstellung von Paulinens Rechtlichkeit, vielleicht auch vom Zauber des Wunderbaren, der selbst nach manchen bittern Störungen oder Weibergeklätsch nicht entwichen war. Mit dem edlen Eifer, oder Leichtsinn, mit dem Frauen sich oft für Dinge interessiren, die sie nicht verstehen, die aber ihr Gefühl angeregt haben, trat sie als Kämpferin für die Unschuld ihrer Gebieterin auf, glücklicherweise ohne sich für dieselbe in Geldsummen und durch Handschrift zu verbürgen.
Nur Pauline Wilke blieb als Schuldige übrig. Alle einzelne Spuren, auf Mitschuldige deutend, die man emsig verfolgte, führten irre. Alles, was sie war, war sie durch sich selbst, Alles, was sie erreicht, verdankte sie ihrem eigenen Genius; es finden sich nicht einmal, mit einer einzigen Ausnahme, Andeutungen, daß sie Lehrmeister gehabt, lebende oder todte. Von ihrer Lectüre geschieht nirgend Erwähnung.
In einem violettseidenen Kleide, einem bunt brochirten Atlastuche, in seinen weißen Strümpfen und gestickten Parisern wurde dieselbe Pauline Wilke ins Stadtvoigteigefängniß abgeliefert, um mit gemeinen Frauen in ein und derselben Stube zu verweilen, die wenige Monate vorher mit vier Pferden Extrapost in Karlsbad eingezogen war und durch ihren Luxus, ihre Ausgaben und Vergnügungspartien die reichsten und vornehmsten Besucher des Badeorts ausgestochen hatte, in deren Gesellschaft umherzufahren angesehene Fremde sich zur Ehre und Vergnügen rechneten. Ihr Glücksstern war erblichen, um nicht wieder aufzuleuchten. Bis heute hat sie die Gefängnißmauern nicht wieder verlassen. Einige Blätter weiter, wo jene ihre kostbare Kleidung verzeichnet steht, finden wir schon ihre Bitte um etwas neue Wäsche; aber der Bericht darunter zählt so weniges Weißzeug als in Beschlag genommen auf, daß man vermuthen muß, sie habe, wenn es ihr nicht gestohlen worden, in den letzten Jahren bereits das Nöthigste veräußert, um nur zu leben!
Vor dem Richter scheint alle ihre intriguante Kraft entwichen. Sie macht ein vollständiges Bekenntniß, zuerst zaudernd, auf die ernsten Fragen räumt sie indeß Alles ein. Mit weiblicher Schlauheit und Eitelkeit sucht sie hier und da Einiges zu beschönigen, weniger das Verbrecherische, als was sie in ungünstigem Lichte, als thöricht und unwissend darstellen könnte. Die Reihe ihrer unerlaubten Handlungen ward also durch die Untersuchung aufs vollständigste dargestellt, ohne daß wir nöthig haben, sie, nach der obigen Geschichtserzählung, noch einmal zu wiederholen. Es kamen noch einzelne versuchte Betrügereien zur Sprache, die ihr nicht geglückt und gegen die große, an der Niemann und dem Schröder verübt, unbedeutend, gegen die moralisch schändliche, am Sparpfennig einer armen alten Dienstmagd begangen, fast indifferent erscheinen. Das Maß ihrer Schuld war voll, und es kam deshalb auch nicht darauf an, ihre verdächtigen Reisen nach Hamburg strenger zu verfolgen, als geschehen. Auch dort war sie schon durch ihre Verschwendung der Polizeibehörde aufgefallen und hatte einmal wenigstens die Weisung erhalten, fortzugehen. Ob sie mit Sporen an den Füßen ausgefahren, einen Jockei als Vorreiter, und Cigarren im Munde, wie ein dortiger Wirth, bei dem sie gewohnt, behauptete, sie aber in Abrede stellte, thut zur Sache nichts, und würde nur zu ihrer Charakteristik einen Zug mehr liefern. Als ermittelt ist nur anzunehmen, daß sie einem Schiffscapitain, für ein werthloses Geschenk von exotischen Früchten oder Spielereien, eine Tabackspfeife für über 10 Ducaten kaufte und schenkte, daß sie einen Platz zur Ueberfahrt nach Havre bezahlte, aber nicht mitfuhr, weil das Wetter stürmisch wurde und der Muth ihr ausging, woraus sie für ihre berliner Freunde die interessante Geschichte machte, daß das Schiff bei Cuxhaven gescheitert und mit 50 Passagieren untergegangen, sie also durch eine besondere Fürsorge des Himmels gerettet sei, in Summa, daß sie auch in der Hansestadt ihre prahlerische Rolle, aber ungeschickter auf dem fremden Terrain, gespielt hat, ohne doch daselbst erweislich und wahrscheinlich Betrügereien vorgenommen zu haben. Es bleiben Zweifel, wie oft, in welcher Absicht und mit wem sie in Hamburg und Ludwigslust gewesen, die durch die Untersuchung nicht vollständig erledigt scheinen. Um eine Strafe und deren Maß zu finden, bedurfte es indeß hierfür keiner weitern Ermittelung, da das Resultat wenigstens gefunden war, daß sie bei diesen Hamburger Reisen nicht, wie es anfänglich schien, in Gemeinschaft mit andern Schwindlern gehandelt.
Und was war das Motiv eines so großen, mit solcher Ausdauer von einem jungen Mädchen verübten Betruges? – Nichts von Habsucht, Eigennutz, Rachsucht oder andern Leidenschaften, durch eine mächtige Sinnlichkeit angeregt. Diese, wie gesagt, spielt in ihrem Leben und ihrer Rolle gar nicht mit, bei der Untersuchung ward sie als unbefleckte Jungfrau erfunden! Es war ursprünglich nur der Kitzel, auch einmal zu glänzen und als vornehme Dame das Leben – zu genießen? Nicht ganz. Die Genußlust kam als Nebensache hinzu, das Principale war die Lust zu scheinen. Die Verbrecherin selbst gibt darüber den einfachsten Aufschluß in ihrer Aussage vom 4. Mai 1836:
»Zu den Betrügereien gegen die Niemann bin ich dadurch gekommen, daß ich durchaus keine Lust hatte, mir durch Conditioniren bei andern Leuten meinen Unterhalt zu verschaffen. Da ich selbst kein Vermögen besaß, kam ich auf den Gedanken, mir die Mittel zu einem selbständigen Leben durch Schwindeleien zu verschaffen. Als ich auf die Art erst einmal von der Niemann Geld erhalten hatte, wurde ich durch die Leichtigkeit, mit der ich das Geld von ihr erhielt, nur aufgemuntert, darin weiter fortzufahren. Anfänglich, und bis zu der Zeit, wo ich sah, daß die Niemann Geld auf ihr Grundstück aufnehmen mußte, hielt ich sie für sehr reich und glaubte, es machte auch keinen großen Schaden, wenn ich ihr von ihrem Ueberfluß abzapfte. Erst als sie auf ihr Haus mußte eintragen lassen, um das Geld zu bekommen, merkte ich, daß sie kein Vermögen mehr besäße, aber da war ich nun einmal drin, und konnte nicht mehr zurück.«
Befragt, ob sie denn aber nie weiter gedacht, und daß ihr Betrug entdeckt werden müsse, antwortete sie mit völliger Unbefangenheit:
»Mir ist nie der Gedanke gekommen, daß mein Verfahren entdeckt werden könnte, und ich habe auch nie daran gedacht, daß meine Betrügereien doch einmal ein Ende nehmen müßten, und daß ich dann nichts hätte, wovon ich meinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. – Ich habe Alles, was ich von der Niemann und Andern erhalten, ausgegeben, um meinen Hang, als große Dame in der Welt zu leben, ausführen zu können. Ich habe sehr viel Geld gebraucht, für meine Reisen, Wagen, Pferde, Dienstpersonal, für Geschenke an Reiche, für Almosen an Bedürftige, sodaß ich begreiflicher Weise nichts übrig behielt, als die paar Sachen, die man noch bei mir gefunden hat.«
In dieser einfachen Darstellung dürfte die ganze Wahrheit ihres Seins und Treibens ausgesprochen sein. Zwar berichtete Duncker auf mehre Erkundigungen bei Paulinens Verwandten und frühern Bekannten, daß sie »von Jugend auf ein höchst lügenhaftes und freches Mädchen gewesen«. Bei den gerichtlichen Vernehmungen hat sich aber ein anderes Resultat herausgestellt. Alle Zeugen, die sie früher gekannt, bekunden, daß sie an ihr eine stille, ruhige Person bemerkt; ein hervorstechender Zug sei ihre Gutmüthigkeit gewesen. Diese bezeugt auch ihre Gesellschafterin und ihr Bediente. So charakterisiren sie desgleichen ihre Verwandte, die sie von früh auf gekannt. Man hatte sie immer für gut und ordentlich gehalten und keine Anlage zum Lügen wahrgenommen. Dagegen hätten sie wol gedacht, daß man ihr eine für die Verhältnisse, in denen sie zu leben bestimmt war, zu gute Erziehung gegeben habe. Diese habe ihrem Leichtsinn Nahrung gegeben und den Hang zum vornehmen Leben in ihr erweckt.
Und spricht sich nicht Dasselbe in der ganzen Geschichte ihres Glanzlebens aus? Es ist das Leben eines Schmetterlings, die Gedanken reichen nicht weiter, als im Sonnenschein zu spielen und von einer Blume zur andern zu flattern; ohne Sorge, ohne Vorausbedacht, daß nach dem Tage die Nacht eintreten muß. Ein von Jugend auf ränkesüchtiges Gemüth, eine freche Natur spinnt weiter gehende Plane. Davon hier auch keine Spur; im Gegentheil gehorcht Pauline Wilke nur dem Augenblick, und wenn sie im Juni ihre Hand nach den verbotenen Kirschen ausstreckt, ist ihr Sinn weit davon entfernt, schon an die Aepfelernte im October für den Winter zu denken. Die Gelegenheit macht Diebe, aber auch Speculantinnen ihrer Art; sie fangen klein an, durch Umstände und Glück fortgerissen, wagen sie sich an Größeres. Die Lust zur Intrigue wächst mit deren Gelingen, endlich ist ihnen das Spiel ebensoviel werth, als der Gewinn ist, den sie daraus ziehen; sie können nicht mehr ohne dasselbe leben. Ein Zeuge erklärte, er habe sie immer für eine gutmüthige, aber auch für eine beschränkte Person gehalten. Wie ihre Einbildungskraft, so entwickelte sich auch ihre Fähigkeit zum Intriguiren. Sie hatte den Glanz, die Annehmlichkeit des vornehmen Lebens kennen gelernt, sie wollte nicht mehr dienen, das ist das Fundament, was feststeht. Aus einer Bonne wollte sie sich gern zu einer Gesellschafterin, einer Freundin ihrer Herrin erheben. Die Begünstigte, die Vermittlerin eines Königs ward sie erst, nachdem sie die Freundin, das geliebteste Schooßhündchen einer Fürstin geworden, und die Braut von Grafen und Herren erst da, als ihrem Ehrgeiz der Posten einer Schulvorsteherin nicht mehr genügte.
Wie ihre Phantasien Zug um Zug mit dem Glauben, den ihre Lügen fanden, mit dem Gelingen ihrer Listen, wuchsen und anschwollen, ist uns in den Acten nicht erzählt. Die Richter, mit Anderm beschäftigt, fanden keinen Anlaß, diesen psychologischen Entwickelungsproceß genauer zu verfolgen, und sie selbst, stets nur mit der Gegenwart, höchstens mit der nächsten Zukunft sich beschäftigend, noch weniger Vergnügen, dieser Vergangenheit sich so zu erinnern, daß wir eine vollständige Geschichte ihrer Entwicklung erhalten könnten. Aber in einer kleinen Nebenintrigue, die zu keinen Resultaten für den Richter führte, sind uns Züge geliefert, welche Lichter auf ihren Charakter werfen, die unsere Anschauung desselben rechtfertigen.
Im Hause des Banquiers, wo sie als Bonne in Diensten stand, hatte man durchaus keine Klage gegen sie während eines fünfvierteljährigen Dienstes. Sie galt wie überall für ein ordentliches, sittsames Mädchen, und ward nur entlassen, weil man eine französische Bonne nehmen wollte. Aber sie hing sich auch nach der Zeit an die Familie und entzückte durch kleine Aufmerksamkeiten, namentlich die Mutter ihrer frühern Herrin, die für dergleichen empfänglich war. Sie schickte zu den Geburtstagen Kuchen mit Namenszügen, zu Weihnachten saubere Stickereien. Die Geschenke wurden erwidert durch seidene Kleider, durch ein Paar brillantene Ohrringe und dergl. So erhoben kam die Wilke fast täglich zu ihrer früheren Herrschaft wieder ins Haus, jetzt ein willkommener Besuch, denn sie war die angenehmste Gesellschafterin für die ältere Dame, welche der geselligen Heiterkeit gern opferte. Ihre Erzählungen, ihre Enthüllungen unterhielten und entzückten. Für diese Gläubigen war sie aufgenommen im Hause einer Baronin Dankelmann, aber nicht als Bonne, nicht als Gesellschafterin, sie war die – heimliche Braut des Sohnes der Familie, des Grafen Cäsar von Dankelmann. Sie selbst war ein uneheliches Kind des Herzogs von Modena! Sie rühmte sich des Umgangs mit den höchsten Personen (in diesem Kreise aber blieb die Fürstin Radziwill fort), besonders der vortrefflichen Prinzessin Wilhelm. Heirathspartien fehlten ihr gar nicht. Ein anderer gewisser Graf umschwärmte sie und ließ nicht ab, ihr seine Hand anzubieten, aber sie konnte sich nicht entschließen, den »Lump« zu heirathen. Ihr besonderer guter Freund war der Herzog Karl von Mecklenburg- Strelitz, der ihr nicht allein zu ihrem Geburtstag den prächtigen Wagen, in dem sie fuhr, sondern auch – sein Lustschloß Monbijoux (an der Spree, aber in der Mitte von Berlin) geschenkt hatte! (Beiläufig hätte der Prinz hier mehr verschenkt, als er verschenken konnte, da er Monbijoux nur als ein ihm zuertheiltes Palais bewohnte; worauf es natürlich bei den Geschenken der Wilke nicht ankam.) – Noch mehr, oder wenn man will weit weniger: die Dame, welche an ihrer Gesellschaft so vielen Gefallen gefunden, hatte ihr einst eine Flasche Cardinal geschenkt, um sie ihrer Großmutter mitzubringen. »Wissen Sie, wer den Cardinal getrunken hat? rief die Wilke triumphirend am andern Tage. – Der Prinz August; er ist bei mir gewesen.« – Hier opferte das leichtsinnige Mädchen also selbst den Schein einer Tugend, die sie besaß, ihrer Eitelkeit, als Begünstigte eines durch seine galanten Neigungen bekannten Prinzen zu glänzen. – Uebrigens kannte sie überall ihre Leute, um ihre Lügen nach der Werthschatzung derselben von den Dingen und Verhältnissen einzurichten.
Erst als die Frau des Banquiers erfuhr, daß Pauline Schulden habe, kam sie auf den Gedanken, daß sie geprahlt habe und ihre Aussagen sich in Wahrheit nicht so verhielten! Da fuhr sie zur Gräfin Dankelmann und erfuhr von derselben, daß ein Graf Cäsar Dankelmann gar nicht existire, also nicht Bräutigam der Wilke sein könne; worauf der Wilke das Haus verboten wurde. Pauline versprach einst dem Friseur der Dame 100 Thlr. wenn er ihr wieder eine Zusammenkunft mit derselben verschaffe, worauf eine solche und eine Art Versöhnung auch im Garten von Monbijoux wirklich stattfand und Pauline viel weinte u. s. w.
Wer erkennt hier nicht den Muthwillen eines jungen, eitlen Mädchens, das sich in Aufschneidereien gefällt, und ohne besondern Zweck unsinnige Prahlereien vorbringt; je mehr ihr geglaubt wird, um so Tolleres und Abgeschmackteres. Das sind Erscheinungen, die Jeder, der viel unter Menschen kam, an bekannten Personen gefunden haben wird, ohne um deswillen die Gefängnisse der Criminalverbrecher durchsuchen zu müssen.
Die Wilke selbst erklärte sich deshalb: es habe so ziemlich Alles seine Richtigkeit, so wie der Zeuge es vorgegeben. Nur weil die Dame ihren Erzählungen Glauben geschenkt, sei sie mit ihr, der ehemaligen Bonne, spazieren gefahren, und es hätte ihr doch viel Vergnügen gemacht, mit ihr spazieren zu fahren. »Warum hat sie dergleichen geglaubt! Ich hatte keine andere Absicht dabei, als mir einen Spaß zu machen.« Sie wollte zu diesen Lügen hauptsächlich durch eine verstorbene Freundin Emilie A.....g angeregt sein, die sie dringend aufgefodert hatte, die eitle und stolze Närrin mit Lügen zu unterhalten und ihr etwas Tüchtiges aufzubinden.
Diese Erklärung klingt sehr wahrscheinlich. Die Niemann in ihrer altjüngferlichen Aengstlichkeit und Abgeschiedenheit konnte ihren wohlgeordneten Lügen aus Unkenntniß mit der Wirklichkeit und loyaler Unterwürfigkeit Glauben schenken; die lebenslustige Banquierfrau, weit mehr vertraut mit dem Gange der Welt, hätte schärfer blicken müssen, und doch glaubte sie. Hier kitzelte Pauline ihre Eitelkeit, oder die Schadenfreude plagte sie, die, wie sie meinte, eitle und aufgeblasene Frau zu mystificiren. Geld, oder gar Capitalien ihr zu entlocken, war nicht wol möglich, es galt nur einer Lust fröhnen, der sie nicht widerstehen konnte, und sie gab sich ihr rücksichtslos hin. Dies wird auch durch die letzte Anführung vom Cardinal und dem Prinzen August bestätigt. Ein junges Mädchen, welches sich in höhere Kreise hineinschwindeln und auf Achtung Anspruch machen wollte, hätte nie gewagt, sich zu rühmen, daß der Prinz August sie besucht und bei ihr Cardinal getrunken habe.
Pauline Wilke spielte übrigens die wohleingelernte Rolle noch im Gefängnisse fort. Mit in einem Fingerhut gesammeltem Blute – wie sie behauptet, aus dem Daumen einer Mitgefangenen – schrieb sie auf ein entwandtes Blatt Papier Folgendes:
»Eure Majestät unser allergnädigster König wollen huldvoll entschuldigen daß eine alte 70 jährige Person es wagt vor Allerhöchst Dero Thron eine Bitte zu legen. Von Ew. Majestät allbekannten Herzensgüte und Milde fest überzeugt hege ich schon im Voraus die feste Hoffnung daß Ew. Majestät sie mir erfüllen werden. – Ew. Königl. Majestät wird nicht unbewußt sein, wie vor einiger Zeit ein junges Mädchen mit Namen Wilke sowohl in Berlin, als auch in Charlottenburg, ihrem Wohnorte viel Aufsehen unter den Einwohnern erregte, weil sie von niederer Herkunft war und durchaus gar kein Vermögen besaß. Mit einem Mal trat sie auf, besaß ein Vermögen, lebte danach, theilte aber besonders reichlich davon unter den Armen aus, welches ihr die Liebe und Theilnahme Tausender zuzog. Auch hat sie sich nie einen Tadel oder Vorwurf zu Schulden kommen lassen, in Hinsicht eines schlechten lüderlichen Lebenswandels. – Doch jetzt machte es ein Umstand nöthig, daß es ans Licht kommen mußte, wo sie dies Vermögen herbekommen hatte. Dies junge Mädchen war von Jugend auf nie an Abhängigkeit gewöhnt, denn sie wurde erzogen beim verstorbenen Geheimrath – – –, hernach von dessen Schwagerin, nach deren Tode ihr nichts übrig blieb, als bei anderen Leuten ihr Fortkommen zu suchen. Der Zufall führte sie zu mir nach Charlottenburg; ich bin ihre Pathe, sie suchte Zuflucht bei mir, ich schenkte ihr häufig bedeutende Summen Geldes, welches in ihr vorzüglich den Grund zu einem leichtsinnigen Charakter legen mußte. Dies freudenvolle Leben gefiel ihr, sie suchte von dieser Zeit an sich in den Besitz meines Vermögens von 18,000 Thlr. zu bringen, dadurch daß sie mir vorspiegelte, sie stehe mit Ew. Königl. Majestät in Verbindung, Ew. Königl. Majestät wünschten dies Vermögen zu besitzen und brachte mir auch Schreiben von Ew. Majestät die sie aber selbst ausgefertigt hatte. – Jetzt befindet sich dies junge Madchen in criminalischer Haft und Untersuchung, was, mich tief, tief schmerzt und mich alte Person dem Tode nahe bringt, da ich die eigentliche Schuld bin mit meinem Gelde in ihr diesen Leichtsinn gebracht zu haben. Ew. Königl. Majestät Name ist gemißbraucht, doch allerhöchst Dero Gnade, die so manchem Uebelthäter schon das Leben schenkte, läßt mich mit fester Zuversicht hoffen, daß Ew. Königl. Majestät auch an diesem jungen Mädchen das Wort der Gnade und Milde werden ergehen lassen! ich bin alt, so lange ich noch leben werde, wird Gott mir durchhelfen, auch verlassen mich meine Verwandte, die vermögend sind, nicht; ich habe ihr vergeben was sie mir gethan hat, mein Tod würde es sein, wenn die Strafe an ihr vollzogen würde, die ihre Richter jetzt über sie verhängen. Ich werfe mich daher mit festem Vertrauen auf Ew. Königl. Majestät Gnade zu allerhöchst Dero Füßen und flehe Ew. Königl. Majestät an, diesem jungen Mädchen zu vergeben, die schwere Strafe von ihr zu nehmen und die Thüren ihres Kerkers zu öffnen! O! Ew. Majestät ich bitte Sie um Gotteswillen allerhöchst dieselben wollen mein Flehen erhören und mir die letzten Stunden meines Lebens durch dieses Gnadenwort versüßen! Um die Wunden und das Blut Jesu bitte ich Ew. Königl. Majestät um Erfüllung meiner Bitte! In tiefster Demuth verharre ich Ew. Königl. Majestät u. s. w. – –
Niemann.«
»Liebe gute Alfrede, nur diese Zeilen können uns alle wieder in Ruhe bringen. Die Niemann muß dies wörtlich abschreiben und Sie gute Alfrede müssen diese Zeilen dann dem König im Namen der Niemann selbst abliefern, sollten Sie aber den König nicht persönlich zu sprechen bekommen, wozu Sie sich bei Müller melden müssen, so binden Sie Müller dies Schreiben auf die Seele und bitten um schleunige Antwort, denn es gilt ein Menschenleben zu retten! oder sehen Sie zu, daß Sie die Liegnitz sprechen können. Doch wahrscheinlich wird der König die Bitte das erste Mal nicht gewähren können, dann verabsäumen Sie ja nicht zum zweiten und dritten Mal zu schreiben, aber nur so, daß jedes Schreiben sich auf obigen Brief bezieht; ja keine Erwähnung von meinem früheren Verhältnis, auch nicht bei einer persönlichen Unterredung; wenn Sie eine solche haben sollten, dann bitten Sie ja herzlich für mich; sagen Sie daß meine Reue groß wäre und ganz in Melancholie überginge. Das Uebrige wird Ihnen Gott eingeben. Die Niemann ist keinesweges um ihr Vermögen, sobald ich frei bin, ist sie in Besitz desselben, und wir alle glücklich; ich wollte keinen Verrath begehen, darum leide ich jetzt unschuldig; ich durfte mich nicht anders benehmen, ich durfte nicht anders handeln, ich redete stets die Wahrheit zur Niemann; glaubt die Niemann, daß dies Unwahrheiten sind und zeigt sie diesen Brief, so bin ich in drei Wochen todt und Alles ist unglücklich, denn ich sterbe unschuldig, mit meinem Gott bin ich versöhnt, ich sehne mich nur nach seiner Wohnung. Befolgen Sie alles pünktlich und wir sind glücklich.
Die Niemann soll sich nicht grämen, was ihr versprochen ist, kriegt sie, nur ich muß frei sein; sie muß nur nicht nachlassen mit Bitten beim König, sie soll die Gerichte nur thun lassen, was sie wollen, sie soll nur ruhig sein, nur Verschwiegenheit über diesen Brief gegen Jedermann.
Pauline.«
Der Inhalt bedarf keiner Erklärung. Die Sache ward durch eine Mitgefangene verrathen, der Zettel bei einer andern, als sie aus dem Gefängniß entlassen ward, vorgefunden. Die Schrift blieb natürlich ohne Wirkung, zeigt aber von ihrem Muth und ihrer Gewandtheit, die Intrigue auch aus den Mauern des Kerkers heraus fortzuspinnen; aber in welcher Art mußte das junge Madchen die alte Dame mit ihrem Lügengewebe umgarnt gehalten haben, daß sie auch jetzt an die Möglichkeit dachte, sie noch einmal zu täuschen und dahin zu bringen, daß sie sich für die Person beim Könige verwandte, welche sie um ihr Alles gebracht.
Das erste Erkenntniß erschien am 21. Mai 1836. Nach preußischen Gesetzen ward der Betrug nur durch eine Geldstrafe im doppelten Werthe der Summe, um die der Verbrecher Jemand übervortheilt, und erst im Unvermögensfalle mit einer gleich abzuschätzenden Leibesstrafe gebüßt. Dieses Duplum schätzte der erkennende Richter auf 42,450 Thlr. und arbitrirte, bei dem notorischen Unvermögen der Wilke, dafür unter Anführung der verschiedenen Verschärfungsgründe eine 12jährige Strafarbeit. In zweiter Instanz ward dieses Urtheil vom Kammergericht bestätigt.
Den polizeilichen Antrag, die Betrügerin auch wegen der beleidigten Majestät zur Untersuchung zu ziehen und zu bestrafen, hatte das erkennende Gericht nicht berücksichtigt. Wir glauben mit Recht. Es war kein Animus dem thörichten Mädchen beizumessen, weder den Landesherrn noch die andern hohen Personen zu beleidigen. Nur aus Eitelkeit und Prellerei handelte sie, und bediente sich dabei, ohne Rücksicht und Nachdenken, der Mittel, die ihr in den Sinn kamen. Was hatte diese gedankenlose Ephemere mit Politik zu thun, als, was ihr davon aufstieß und im Sinn blieb, zu ihren Zwecken zu gebrauchen. Wie man nicht Injurien begehen kann, ohne die Absicht zu beleidigen, sollte man auch die Majestät nicht beleidigen können, ohne daß der Wille und die Absicht der Verunglimpfung dargethan wäre. Hier streitet sogar die Vermuthung dagegen!
Im Zuchthause, früher zu Spandau, jetzt in Brandenburg, wird die Aufführung der Verurtheilten so gelobt wie früher, ehe sie den Verbrecherweg betrat. Sie beschäftigt sich mit Stickereien, die vortrefflich sein sollen. Ein vor einigen Jahren für sie eingereichtes Begnadigungsgesuch mußte indeß zurückgewiesen werden, da gar keine Gründe obwalteten, eine so gefährliche Betrügerin früher zu entlassen. Auch wenn der Zeitpunkt ihrer Loslassung kommt, darf diese nicht eher nach dem Erkenntniß erfolgen, als bis der Vorgesetzte der Anstalt sich überzeugt hat, daß sie durch die erlittene Strafe wirklich gebessert worden und, im Stande sich ehrlich zu ernähren, ihre Freilassung der öffentlichen Sicherheit nicht mehr schädlich sei.