Gustave Aimard
Freikugel
Gustave Aimard

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23

Der Operationsplan

Die Nacht war finster und schwarz, und der Himmel hing voll Gewitterwolken. Der Wind pfiff kläglich in den Zweigen der Bäume. Bei jedem Windstoß bewegten sich die feuchten Wipfel und ließen einen kurzen Regen auf die Büsche herunterfallen. Der stahlgraue Himmel sah düster und drohend aus. Die Stille, die in der Wildnis herrschte, war so groß, daß man das Fallen jedes abgestorbenen Blattes und das Knistern jedes dürren Zweiges vernahm, den irgendein unsichtbares Tier im Vorüberkommen streifte.

Ivon drang mit seinen Führern behutsam durch das Dunkel vor, und über den Hals ihrer Pferde gebeugt, suchten sie durch die Nacht ihren Weg zu erkennen, um die Äste zu vermeiden, die ihnen fortwährend ins Gesicht schlugen, und den Boden zu prüfen, auf dem sie standen, den sie aber in der Finsternis kaum unterscheiden konnten. Sie sahen sich gezwungen, so unzählige Umwege zu machen, daß fast zwei Stunden verstrichen, ehe sie aus dem Wald traten. Endlich gelangten sie wieder in die Ebene und standen bald dicht an den Ufern des Missouri. Der von Regen und Schnee angeschwollene Strom floß laut rauschend unter ihnen vorüber.

Die Flüchtlinge folgten dem Ufer in südwestlicher Richtung. Jetzt, wo sie den Fluß erreicht hatten, hörte jede Ungewißheit auf, und ihr Weg lag deutlich und unverkennbar vor ihnen, ohne daß sie zu fürchten brauchten, sich zu verirren. Als sie an eine gewisse Stelle kamen, wo sich eine Landzunge mehrere Ellen weit ins Wasser erstreckte und eine Art Vorsprung bildete, von dessen Spitze aus man trotz der Dunkelheit dank der Durchsichtigkeit des Wassers die Gegenstände auf eine gewisse Entfernung unterscheiden konnte, winkte der Rote Wolf seinen Begleitern, zu halten, und stieg selbst vom Pferd.

Lianenblüte und Ivon folgten seinem Beispiel.

Ivon war erfreut, sich ein wenig ausruhen zu können und besonders Erkundigungen einzuziehen, ehe er weiterging. Im ersten Augenblick hatte er sich von dem heftigen Drang seines Herzens hinreißen lassen, das ihn trieb, seinen Herrn so bald wie möglich und auf jede Weise, die sich ihm bieten würde, zu retten, und er hatte daher kein Bedenken getragen, seinen beiden seltsamen Führern zu folgen. Aber mit der Überlegung kehrte auch das Mißtrauen wieder, und der Bretone wollte sich mit den Leuten, denen er begegnet war, nicht weiterwagen, bis er sichere Erkundigungen eingezogen und unzweideutige Beweise ihrer Ehrlichkeit erhalten hatte. Ihre Eigenschaft als Indianer und der Umstand, daß sie demselben Stamm angehörten wie der Mann, der seinen Herrn gefangen hatte, waren mehr als genügend, um sein Mißtrauen zu rechtfertigen, das um so stärker erwachte, als sie während des ganzen Rittes nicht nur keinen Beweis der Hingebung, deren sie sich gerühmt hatten, gegeben hatten, sondern im Gegenteil in das tiefste Schweigen versunken blieben.

Ivon kannte wie die meisten Menschen, wenn sie auch den größten Teil ihres Lebens in Amerika zugebracht haben, die Indianer nur aus den lügenhaften Schilderungen, die ihre Feinde von ihnen entwarfen. Unglücklicherweise hatte, seitdem Ivon die Prärien betreten hatte, eine Reihe von Ereignissen jene Erzählungen bestätigt und den Bretonen in der schlechten Meinung gefestigt, die er sich von den roten Menschen gebildet hatte.

Sobald er vom Pferd gestiegen war und diesem das Gebiß abgenommen hatte, damit es die jungen Keime der Bäume und Sträucher abnagen konnte, trat Ivon entschlossen zum Roten Wolf und schlug ihn auf die Schulter.

Der Indianer, dessen Blicke dem Lauf des Wassers neugierig folgten, drehte sich um. »Was will der bleiche Mann?« fragte er.

»Ein wenig mit dem Häupding reden.«

»Der Augenblick ist nicht gut gewählt, um zu reden«, antwortete der Indianer belehrend. »Die Bleichgesichter gleichen dem Spottvogel; ihre Zunge muß fortwährend in Bewegung sein. Mein Bruder mag warten.«

Ivon verstand die Satire nicht. »Nein!« erwiderte er. »Wir müssen gleich miteinander reden.«

Der Indianer unterdrückte eine ungeduldige Gebärde. »Die Ohren des Roten Wolfs stehen offen«, sagte er; »die Geschwätzige Elster kann reden.«

Die Rothäute haben große Mühe, die Namen der Fremden auszusprechen, mit denen sie zufällig entweder auf der Jagd oder im Handelsverkehr zusammenkommen; sie pflegen diese daher durch andere zu ersetzen, die sich entweder auf den Charakter oder das Äußere des Fremden beziehen. Die Schwarzfußindianer hatten Ivon den Beinamen »Geschwätzige Elster« gegeben; wir enthalten uns aber, dessen mehr oder weniger glückliche Wahl näher zu beleuchten.

Der Bretone schien von der Antwort des Indianers nicht verletzt zu sein, denn er war dermaßen mit dem einen Gedanken beschäftigt, daß ihm jede andere Rücksicht gleichgültig blieb. »Ihr habt mir versprochen, das Gläserne Auge zu retten«, sagte er.

»Ja«, antwortete der Häuptling lakonisch.

»Ich habe eure Vorschläge angenommen, ohne diese näher zu prüfen. Ich folge euch bereits seit drei Stunden, ohne ein Wort zu reden, doch bekenne ich, daß es mich freuen würde, ehe ich weitergehe, zu erfahren, welche Mittel ihr anzuwenden gedenkt, um ihn aus den Händen seiner Feinde zu befreien.«

»Ist mein Bruder taub?« fragte der Indianer.

»Ich glaube nicht«, antwortete Ivon, dem die Frage ziemlich unzeitig vorkam.

»Dann höre er!«

»Ich tue es.«

»Hört mein Bruder nichts?«

»Nicht das geringste, das muß ich gestehen.«

»Die Bleichgesichter sind Füchse ohne Schwänze«, sagte der Indianer verächtlich, »und in der Wildnis schwächer als ein Kind. Mein Bruder öffne die Augen!« fügte er hinzu, indem er den Arm in der Richtung des Flusses ausstreckte.

Ivons Blicke folgten der angedeuteten Richtung; er legte die Hand wie einen Schirm vor die Augen und strengte seine ganze Sehkraft an.

»Nun?« fragte der Indianer nach einer Weile. »Hat mein Bruder gesehen?«

»Gar nichts!« antwortete Ivon entschlossen. »Der Teufel soll mir auf der Stelle das Genick brechen, wenn ich imstande bin, das Geringste zu erkennen.«

»So muß mein Bruder ein wenig warten«, fuhr der Indianer gleichmütig fort; »dann wird er sehen und hören.«

»Aber«, murmelte Ivon, dem diese Auskunft sehr unbefriedigend vorkam, »was werde ich denn in einer Weile sehen und hören?«

»Mein Bruder wird sehen.«

Ivon wollte eingehender fragen; der Häuptling nahm ihn aber beim Arm, führte ihn rasch ein Stück weit weg und verbarg ihn und sich selbst hinter einer Baumgruppe, wo Lianenblüte bereits eine Zuflucht gesucht hatte.

»Still!« flüsterte der Rote Wolf in so eindringlichem Ton, daß dem Diener der Ernst des Augenblicks einleuchtete und er seine Fragen für eine gelegenere Zeit aufsparte.

Einige Minuten vergingen. Der Rote Wolf und Lianenblüte standen vorgebeugt da, bogen behutsam die Zweige auseinander und schauten angelegentlich und mit verhaltenem Atem zu dem Fluß hinaus.

Ivon fühlte sich durch das sonderbare Benehmen unwillkürlich getrieben, dem Beispiel seiner Gefährten zu folgen. Bald vernahm er ein Geräusch, aber so leise und flüchtig, daß er anfangs meinte, er habe sich geirrt. Das Geräusch wurde aber allmählich stärker und glich Ruderschlägen, die behutsam geführt wurden; hierauf zeigte sich ein anfangs kaum wahrnehmbarer Punkt auf dem Fluß, der allmählich größer wurde. Der Diener konnte nicht mehr zweifeln: Der schwarze Punkt war eine Piroge.

Als sich diese bis auf eine gewisse Entfernung genähert hatte, hörte das Geräusch auf, und die Piroge blieb unbeweglich in ziemlich gleicher Entfernung von beiden Ufern liegen. In dem Augenblick tönte der Schrei der Elster durch die Luft und wurde dreimal mit solcher Vollkommenheit wiederholt, daß Ivon unwillkürlich zu den oberen Ästen des Baumes emporblickte, hinter dem er stand. Auf dieses Zeichen setzte die Piroge ihren Weg fort, steuerte auf die Landzunge zu und erreichte bald das Ufer. Ehe aber die im Fahrzeug befindliche Person ausstieg, erhob sie ihr Ruder zweimal in die Luft.

Wieder ertönte dreimal hintereinander das Geschrei der Elster. Hierauf sprang die im Kahn befindliche Person, nachdem sie vollkommen sicher war, an Land, zog den Kahn halb auf den Sand und schritt entschlossen auf die Baumgruppe zu, die Ivon und seinen Gefährten als Beobachtungsposten diente.

Diese hielten es nicht für nötig, länger zu warten; sie verließen daher ihr Versteck und gingen der neu angekommenen Person entgegen, nachdem sie Ivon eingeschärft hatten, sich ohne ihre Erlaubnis nicht blicken zu lassen.

Letzterer hütete sich wohl, dem Befehl zuwiderzuhandeln, aber mit der Vorsicht, die ihn auszeichnete, lud er seine Pistolen, nahm je eine in jede Hand und wartete, durch diese Maßnahme beruhigt, gelassen, was geschehen würde.

Die neu aufgetretene Person hat der Leser sicherlich bereits als Frau Margarete, die die Indianer die Lügenhafte Wölfin der Prärien nannten, erkannt; sie hatte Major Melville seit kaum einer Stunde verlassen, nachdem sie die Unterredung, die in einem früheren Kapitel mitgeteilt wurde, mit ihm gehabt hatte. Obwohl sie nicht erwartete, Lianenblüte hier zu treffen, schien sie doch keineswegs überrascht, sie zu sehen, und nickte ihr freundschaftlich zu, welchen Gruß das junge Mädchen mit einem Lächeln beantwortete. »Was gibt es Neues?« fragte sie den Indianer.

»Vieles«, anwortete dieser.

»Rede!«

Der Rote Wolf erzählte hierauf alles, was während der Jagd vorgefallen war, auf welche Weise er es erfahren hatte und wie Ivon entkommen sei, um Hilfe für seinen Herrn zu suchen.

Margarete hörte die lange Erzählung an, ohne ein Zeichen der Bewegung an den Tag zu legen, sondern ihr tiefgefurchtes und durch Leiden und Entbehrungen verwüstetes Gesicht blieb starr und steinern. Als der Rote Wolf geendet hatte, bedachte sie sich eine Weile, richtete sich dann auf und sagte: »Wo ist jenes Bleichgesicht?«

»Hier!« antwortete der Indianer, auf die Baumgruppe deutend.

»Er soll kommen.«

Der Häuptling wollte eben den Auftrag vollziehen, aber Ivon hatte das letzte Wort, das englisch gesprochen wurde, gehört, und da er überzeugt war, daß er gemeint sei, trat er, nachdem er seine Pistolen wieder in den Gürtel gesteckt hatte, aus seinem Versteck hervor und näherte sich den übrigen.

In dem Augenblick fing der Tag an, am Horizont zu dämmern; das Dunkel schwand schnell, und ein rötlicher Streifen am Himmel verkündete, daß die Sonne bald aufgehen würde. Die Wölfin heftete ihr scheues Auge starr auf den Bretonen und schien die geheimsten Tiefen seines Herzens erforschen zu wollen.

Ivon hatte sich nichts vorzuwerfen – im Gegenteil –; er ertrug daher den forschenden Blick gelassen.

Die Wölfin war mit dem Resultat ihrer stummen Musterung zufrieden, gab daher ihrem Blick einen sanfteren Ausdruck und redete ihn schließlich in einem Ton an, dem sie einen begütigenden Ausdruck zu geben suchte. »Höre aufmerksam!« sagte sie.

»Ich höre.«

»Du bist deinem Herrn treu ergeben?«

»Bis in den Tod!« antwortete der Diener standhaft.

»Gut. Ich kann also auf dich rechnen?«

»Ja.«

»Du wirst einsehen, nicht wahr, daß wir vier nicht imstande sind, deinen Herrn zu retten.«

»Das scheint mir allerdings kaum möglich.«

»Auch wir wollen uns an Natah-Otann rächen.«

»Schön.«

»Wir haben seit langer Zeit bereits die nötigen Maßnahmen ergriffen, um zu einer bestimmten Stunde unser Ziel zu erreichen; jene Stunde ist gekommen, doch wir haben Bundesgenossen, die wir davon in Kenntnis setzen müssen.«

»Ganz recht.«

Sie zog einen Ring vom Finger. »Nimm den Ring! Ich setze voraus, daß du ein Ruder zu führen verstehst.«

»Ich bin ein Bretone, das heißt ein Seemann.«

»Steig also in die Piroge dort und rudere ungesäumt den Strom hinunter, bis du an ein Fort gelangst!«

»Ja. Ist es sehr weit?«

»Wenn du dich beeilst, wirst du es in einer knappen Stunde erreicht haben.«

»Seid unbesorgt.«

»Sobald du beim Fort angekommen, verlangst du, mit Major Melville zu sprechen; du zeigst ihm dann den Ring und erzählst ihm die Ereignisse, deren Augenzeuge du gewesen bist.«

»Ist das alles?«

»Nein. Der Major wird dir eine Abteilung Soldaten geben, mit denen du nach der Ansiedlung von John Bright ziehst, wo du uns treffen wirst. Meinst du, daß du sie wiederfinden wirst können?«

»Ich glaube ja, denn die Ansiedlung liegt, wenn ich nicht irre, am Ufer des Flusses.«

»Du mußt daran vorüber, um zum Fort zu gelangen.«

»Und was fange ich mit der Piroge an?«

»Du wirst sie im Fort lassen.«

»Wann soll ich gehen?«

»Sofort! Die Sonne ist aufgegangen; wir müssen uns beeilen.«

»Und was werden Sie tun?«

»Ich habe dir schon gesagt, daß wir nach der Niederlassung des Squatters gehen und dich dort erwarten wollen.«

Ivon bedachte sich eine Weile. »Hören Sie auch mich an!« sagte er. »Gewöhnlich rechte ich nicht mit den Leuten, die mir Befehle geben, sobald ich diese für billig halte. Ich kann nicht glauben, daß Sie bei einer so ernsten Gelegenheit die Absicht haben können, sich über einen armen Teufel lustig zu machen, der vor Schmerz halb von Sinnen ist und sein Leben mit Freuden opfern würde, um seinen Herrn zu retten.«

»Du hast recht.«

»Ich werde also gehorchen.«

»Du solltest es bereits getan haben.«

»Wohl möglich; doch habe ich noch ein Wort hinzuzufügen.«

»Ich höre.«

»Wenn Sie mich täuschen sollten; wenn Sie mir nicht wirklich – wie Sie es versprochen haben – behilflich sind, meinen Herrn zu retten, so werde ich Sie, so wahr ich Ivon heiße, niederschießen; und wenn Sie sich auch im Schoß der Erde verborgen hätten, würde ich Sie sogar dort suchen, um mein Versprechen zu halten. Sie haben mich verstanden, nicht wahr?«

»Vollkommen. Bist du zu Ende?«

»Ja.«

»So geh!«

»Eben tue ich es; leben Sie wohl!«

»Auf Wiedersehen!«

Ivon verneigte sich ein letztes Mal, ging zum Kahn, schob ihn wieder ins Wasser, sprang hinein, ergriff das Ruder und entfernte sich mit einer Geschwindigkeit, die zu der Hoffnung berechtigte, daß er sein Ziel bald erreichen würde.

Die Zurückbleibenden folgten ihm mit den Blicken, bis er hinter einer Biegung des Ufers verschwunden war.

»Und wir?« fragte Lianenblüte. »Was beginnen wir?«

»Wir gehen zur Ansiedlung John Brights, um uns mit ihm zu verständigen.«

Margarete bestieg das Pferd Ivons, Lianenblüte und der Rote Wolf setzten sich auf die ihrigen, worauf alle drei im Galopp davonsprengten. –

Ein glücklicher Zufall fügte es, daß es der Tag war, den der Squatter zum Rasttag für seine Familie bestimmt hatte. Dieser war, wie bereits erwähnt wurde, mit seinem Sohn William ausgeritten, um sein Gebiet zu durchstreifen. Nach einem ziemlich langen Ritt, während dem der Squatter beim Anblick der schönen und fruchtbaren Ländereien, die ihm gehörten, und des herrlichen Materials, das seine Wälder enthielten, öfter in jenes Entzücken ausgebrochen war, das nur die Grundeigentümer kennen, waren die Reiter eben im Begriff, den Rückweg zu ihrer Festung anzutreten, als William seinen Vater plötzlich auf drei Reiter aufmerksam machte, die mit verhängtem Zügel auf sie zukamen.

»Aha!« sagte John Bright. »Es sind Indianer. Das ist keine gute Begegnung; treten wir daher hinter jenes Gebüsch und suchen wir zu ergründen, was sie von uns wollen.«

»Halt, Vater«, antwortete der junge Mann, »ich glaube, daß diese Vorsicht überflüssig ist.«

»Warum das, Junge?«

»Weil zwei von jenen Reitern Frauen sind.«

»Das ist kein Grund!« sagte der Squatter, der seit dem Angriff der Rothäute ausnehmend vorsichtig geworden war. »Du weißt ja, daß unter jenen verwünschten Stämmen sich die Frauen ebensogut zu schlagen wissen wie die Männer.«

» Wohl wahr! Aber siehe, jetzt lassen sie zum Zeichen des Friedens ein Bisonfell flattern.«

In der Tat ließ einer der Reiter ein Bisonfell im Wind flattern.

»Du hast recht, Junge«, fuhr der Squatter nach einer Weile fort. »Wir wollen sie hier erwarten; und zwar um so mehr, als ich, wenn ich nicht sehr irre, unter ihnen eine alte Bekannte erkenne.«

»Die Frau, die uns gerettet hat, nicht wahr?«

»Richtig! Die Begegnung ist wahrlich seltsam. Die arme Frau – es freut mich, sie wiederzusehen.«

Zehn Minuten später waren die drei Reiter vollends herangekommen. Nachdem man sich gegenseitig begrüßt hatte, ergriff die Wölfin das Wort: »Erkennt Ihr mich wieder, John Bright?« fragte sie ihn.

»Gewiß erkenne ich Euch, ehrwürdige Frau«, antwortete er mit Wärme; »denn obwohl ich Euch nur flüchtig und bei einer furchtbaren Gelegenheit gesehen habe, hat mich doch die Erinnerung an Euch keinen Augenblick verlassen. Seien Sie versichert, daß ich nur den Wunsch habe, daß Sie mir Gelegenheit bieten möchten, es Ihnen durch die Tat beweisen zu können.«

Die Augen der Wölfin leuchteten vor Freude auf. »Ist das Ihr Ernst?« fragte sie.

»Stellen Sie mich auf die Probe!« erwiderte er lebhaft.

»Gut, so habe ich mich nicht in Ihnen getäuscht. Ich freue mich meiner Tat, weil ich sehe, daß das Gute, das ich Ihnen erwiesen habe, keinem Undankbaren zuteil geworden ist.«

»Redet!«

»Nicht hier! Was ich zu sagen habe, ist zu lang und zu wichtig, als daß es angemessen erschiene, es hier zu erörtern.«

»Wollen Sie in meine Wohnung kommen? Dort haben wir nicht zu fürchten, daß man uns störe.«

»Wenn Sie es erlauben.«

»Wie? Wenn ich es erlaube, verehrte Frau? Als ob nicht mein Haus mit allem, was es enthält, samt seinem Besitzer vor allem Ihr Eigentum wäre!«

Margarete lächelte traurig. »Ich danke Euch«, sagte sie und reichte ihm die Hand.

John Bright drückte ihr diese herzlich. »Da wir also nichts mehr hier zu tun haben, wollen wir gehen.«

»Gehen wir«, antwortete Margarete.

Sie schlugen den Weg nach der Wohnung des Squatters ein. Der Weg wurde schweigsam zurückgelegt; jedermann war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, um daran zu denken, seine Gefährten anzureden.

Sie hatten die Wohnung fast erreicht, als sie plötzlich aus einem dichten Gehölz, das sich zur Rechten ausdehnte, eine Anzahl von ungefähr zwanzig Reitern kommen sahen, die, soviel man erkennen konnte, die Kleidung der Waldläufer trugen.

»Was ist das?« rief John Bright verwundert aus, indem er den Zügel seines Pferdes an sich zog und anhielt.

»Schau!« sagte die Wölfin, ohne dem Squatter zu antworten. »Der Franzose hat sich gut gehalten!«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Das werde ich Ihnen später erklären; begnügen Sie sich für den Augenblick, jene braven Leute so gastfrei und gut aufzunehmen als nur immer möglich.«

»Ja«, antwortete John Bright mißtrauisch, »das will ich gern tun; doch möchte ich vorher wissen, wer sie sind und was sie von mir wollen.«

»Es sind Amerikaner gleich Ihnen, John Bright, und ich selbst habe den Kommandanten der Festung, wo sie in Garnison stehen, aufgefordert, sie hierher zu schicken.«

»Von welcher Festung und welcher Garnison reden Sie, gute Frau? Ich schwöre bei meinem Leben, daß ich Sie nicht verstehe.«

»Wäre es möglich, daß Sie während der Zeit, die Sie hier zugebracht haben, noch nichts von Ihren Nachbarn gehört hätten?«

»Ich habe also Nachbarn?« fragte er mißmutig.

»Das Fort Mackenzie ist kaum zweihundert Schritt von hier entfernt. Es steht unter dem Befehl eines wackeren Offiziers, der sich Major Melville nennt.«

Bei diesen Worten heiterte sich die Miene des Squatters auf, denn es war kein Konkurrent, sondern ein Beschützer, den er zum Nachbarn hatte; mithin war alles recht. »Wirklich? So werde ich gehen, ihm meine Achtung zu erweisen«, sagte er. »Ein Festungskommandant ist eine Person, deren Bekanntschaft man nicht vernachlässigen darf; besonders nicht in der Wildnis!«

Major Melville hatte die Truppenabteilung, die seine Schwester von ihm verlangte, sofort abgehen lassen; da er aber überlegte, daß Soldaten bei einem Handstreich weniger gut zu verwenden sein dürften als Jäger, schickte er zwanzig erfahrene und bewährte Waldläufer und Bedienstete unter der Führung eines vertrauten Offiziers, der bereits lange im Dienste der Pelzgesellschaft stand, die Wildnis gründlich kannte und mit den Kriegslisten der ränkesüchtigen Feinde vertraut war, die er bekämpfen sollte.

Die beiden Truppen stießen am Fuß des Hügels aufeinander. Obwohl John Bright noch nicht wußte, zu welchem Zweck man ihm die Leute schickte, nahm er doch die unverhoffte Verstärkung mit Zuvorkommenheit auf.

Ivon strahlte. Jetzt, wo er über eine so große Anzahl tüchtiger Schützen verfügen konnte, hielt er sich für versichert, daß er seinen Herrn werde retten können; er erschöpfte sich bei der Wölfin der Prärien und seinen beiden indianischen Freunden in warmen Danksagungen.

Sobald jedermann in der Wohnung untergebracht war und sich die Jäger zweckmäßig aufgestellt hatten, kehrte John Bright zu seinen Gästen zurück, und nachdem er ihnen Erfrischungen angeboten hatte, sagte er: »Ich sehe jetzt Ihrer Erklärung entgegen.« - Da wir den Plan, der bei jener Gelegenheit besprochen wurde, bald ins Leben treten sehen werden, halten wir es für überflüssig, hier näher darauf einzugehen.


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