Gustave Aimard
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Gustave Aimard

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Die Wölfin der Prärien

Ungefähr vier bis fünf Stunden nach den verschiedenen Ereignissen, die wir in den früheren Kapiteln berichtet haben, überschritt ein Reiter, dessen Pferd auf indianische Weise aufgeschmückt war – d. h. viele bunte Federn trug –, einen schmalen Nebenfluß des Mississippi und sprengte im Galopp durch die Prärie nach der Richtung des Urwalds, den wir bereits mehrfach erwähnt haben. Seltsamerweise schien das Pferd gleich dem gespenstischen Renner in der Ballade der Lenore lautlos über den Boden zu gleiten, obwohl sein Lauf rasch war und die lange Mähne im Wind flatterte, während es dicken Dampf aus den Nüstern blies. Man würde sich vergebens bemüht haben, den Hufschlag des Pferdes auf dem steinigen Boden, über den es lief, zu vernehmen. Der Reiter trug die kriegerische Kleidung der Schwarzfußindianer, und an der Adlerfeder, die sich über seinem rechten Ohr erhob, konnte man ihn leicht als Häupding erkennen. Er lag über den Hals seines Tieres gebogen und trieb dieses fortwährend zu größerer Eile an.

Es war Nacht – aber eine amerikanische Nacht voll betäubender Wohlgerüche und geheimnisvoller Laute. Am tiefblauen Himmel glänzten unzählige schimmernde Sterne, und der Mond verbreitete sein silbernes Licht in reichem Maße über die Landschaft und beleuchtete die Gegenstände mit seinem unsicheren, trügerischen Schein. Alles schien in der Prärie zu schlafen; selbst der Wind bewegte die dichtbelaubten Wipfel der Bäume nur leise, und die wilden Tiere hatten, nachdem sie zur Tränke gegangen waren, ihre Schlupfwinkel wieder aufgesucht. Nur der geheimnisvolle Reiter jagte geräuschlos durch das Dunkel. Zuweilen hob er den Kopf, um den Himmel zu befragen, worauf er nach kurzem Aufenthalt seinen hastigen Ritt fortsetzte.

Viele Stunden verstrichen, ohne daß der Reiter daran dachte, haltzumachen. Endlich gelangte er an eine Stelle, wo die Bäume durch dicht ineinandergeschlungene Lianen, die sich von allen Seiten an ihnen emporwanden, so undurchdringlich miteinander verbunden waren, daß eine Art unübersteiglicher Wall dem Reiter plötzlich den Weg versperrte. Er war einen Augenblick unschlüssig, und erst, nachdem er sich aufmerksam nach allen Seiten umgesehen und sich überzeugt hatte, daß keine Öffnung oder Spalte einen Durchgang gestattete, sah er ein, daß seine Bemühungen erfolglos wären, und stieg vom Pferd. Er bemerkte, daß er vor einem Cannier stand – das ist ein undurchdringliches Gewebe von Lianen und Gestrüpp, durch das man nur mit Hilfe der Axt oder des Feuers einen Weg bahnen kann.

Die Indianer sind praktische Philosophen, die sich niemals abschrecken lassen, und wenn ihnen irgendein unüberwindliches Hindernis entgegentritt, fügen sie sich, ohne zu murren, darein und wissen sich bald darüber hinwegzusetzen, indem sie sich auf die Zeit oder den Zufall verlassen, um sich aus der Verlegenheit zu reißen.

Der indianische Häuptling band sein Pferd an einen Baumstamm, warf ihm Gras und Erbsenranken vor, worauf er sich in der Überzeugung, daß sein Tier während des übrigen Teils der Nacht nichts weiter benötigen werde, auch nicht mehr darum kümmerte. Vor allen Dingen erweiterte er mit seinem Bowiemesser den Ort, an dem er sich befand, nach allen Richtungen und beseitigte Bäume und Pflanzen, die ihm hinderlich waren, sein Lager aufzuschlagen, worauf er mit der Sorglosigkeit eines Bewohners der Prärien ein Feuer von trockenem Holz anzündete, um seine Abendmahlzeit zu bereiten und zugleich die wilden Tiere fernzuhalten, die etwa Lust verspüren sollten, ihn während seines Schlummers zu besuchen. Unter dem Holz, das er zu diesem Zweck verwendet hatte, befand sich eine ziemliche Menge jenes Stinkholzes, das die Mexikaner Palo mulato oder Palo hediondo nennen. Er war vorsichtig genug, es herauszulesen, da der durchdringende Gestank jenes Baumes den Indianern seine Gegenwart bis auf zehn Meilen im Umkreis verraten haben würde, und aus allen Vorsichtsmaßnahmen zu schließen, die der Reiter getroffen hatte, schien er zu fürchten, entdeckt zu werden. Der Umstand, daß er die Hufe seines Pferdes mit Säcken umwickelt hatte, die mit nassem Sand gefüllt waren, bewies deutlich genug, daß er sich verborgen halten wolle.

Als das Feuer, das so angelegt war, daß es auf zehn Schritt Entfernung nicht bemerkt werden konnte, lustig loderte, zog der Indianer etwas indianisches Korn und Pemmikan aus seinem Vorratssack aus Elentierfell und verzehrte es mit gutem Appetit, wobei er aber nicht unterließ, forschend in die Dunkelheit zu blicken, die ihn umgab, und zuweilen innehielt, um auf jene geheimnisvollen Laute zu lauschen, die von Zeit zu Zeit ohne ersichtlichen Grund die Stille der Wildnis unterbrechen.

Als der Indianer seine einfache Mahlzeit beendet hatte, stopfte er seine Pfeife mit gewaschenem Tabak, zündete diese an und fing an zu rauchen. Er war aber trotz seiner scheinbaren Ruhe keineswegs unbesorgt. Von Zeit zu Zeit nahm er das Rohr seines Kalumets aus dem Mund und warf durch eine Lichtung des Blätterdachs über seinem Kopf einen angstvollen Blick gen Himmel.

Endlich schien er einen entscheidenden Entschluß gefaßt zu haben, denn er legte die Finger an den Mund und ahmte dreimal den Schrei des Blauvogels, des ausschließlichen Sängers der Nacht, mit unglaublicher Vollkommenheit nach. Hierauf beugte er sich vor und lauschte aufmerksam. Nichts schien darauf hinzudeuten, daß sein Signal vernommen worden war.

»Geduld!« sagte er mit leiser Stimme, worauf er sich wieder gelassen vor dem Feuer niederließ, in das er eine Handvoll Holz warf und dann fortfuhr, zu rauchen.

Mehrere Stunden verstrichen auf diese Weise; endlich verschwand der Mond am Himmel, die Luft wurde kälter, und der Himmel, an dem die Sterne allmählich verlöschten, fing an, sich mit grünlichen, rötlich gefärbten Streiflichtern zu schmücken.

Der Indianer hatte eine Zeitlang zu schlafen geschienen; jetzt richtete er sich aber plötzlich auf, streckte sich wie ein Mann, der eben vom Schlaf erwacht, warf einen mißtrauischen Blick um sich und murmelte in dumpfem Ton: »Sie muß aber doch in der Nähe sein«, worauf er dasselbe Zeichen, das er vor mehreren Stunden gegeben hatte, wiederholte.

Kaum war der dritte Schrei verhallt, als sich in geringer Entfernung ein Geknurr vernehmen ließ.

Anstatt durch einen so unheimlichen Laut unruhig zu werden, lächelte der Indianer und sagte in lautem, festem Ton: »Seid willkommen, Wölfin; Ihr wißt ja, daß ich es bin, der auf Euch wartet.«

»Aha! Bist du also da?« antwortete eine Stimme.

In den Waldbäumen, die dem Indianer gegenüberstanden, raschelte es laut; die Lianen wichen unter dem Druck einer kräftigen Hand zu beiden Seiten zurück, und in der dadurch entstandenen Lücke wurde eine Frau sichtbar. Ehe sie hervortrat, schaute sie sich mit vorgestrecktem Kopf behutsam um.

»Ich bin allein«, sagte der Indianer als Antwort auf ihre stumme Frage, »Ihr könnt unbesorgt näher treten.«

Ein seltsames Lächeln flog um den Mund der Neuangekommenen, als sie die Antwort vernahm, die sie keineswegs erwartet zu haben schien. »Ich fürchte mich nicht«, sagte sie, indem sie entschlossen an die Seite des Häuptlings trat.

Ehe wir fortfahren, wollen wir über jene Frau einige unumgänglich notwendige Bemerkungen vorausschicken, die zwar nur sehr ungenügende Auskunft geben, indem sie nur die Vermutungen enthalten, die die Indianer über sie aufstellten, dem Leser aber doch zum besseren Verständnis der kommenden Ereignisse dienen werden.

Niemand wußte, wer die Frau sei, noch, wo sie hergekommen war, ja selbst die Zeit ihres ersten Erscheinens in der Prärie war ebenso unbekannt wie alles andere. Was trieb sie? Welcher Ort diente ihr als Zufluchtstätte? Niemand vermochte es zu sagen. Alles an ihr war in rätselhaftes Dunkel gehüllt.

Sie sprach zwar die zahlreichen Dialekte der Prärie ebenso geläufig als rein, doch gaben gewisse Reden, die ihr eigentümlich waren, und ihre Hautfarbe, die weniger dunkel war als die der Eingeborenen, Veranlassung zu der Vermutung, daß sie einer anderen Rasse angehöre; doch blieb es eben bei der Vermutung, denn ihr Haß gegen die Indianer war zu bekannt, als daß selbst die Unerschrockensten unter ihnen je gewagt hätten, sich ihr genug zu nähern, um sich Gewißheit darüber zu verschaffen.

Sie verschwand zuweilen wochen-, ja monatelang, ohne daß es möglich gewesen wäre, ihre Spur zu entdecken. Dann sah man sie plötzlich hier und da umherschweifen und mit sich selbst reden. Sie wanderte größtenteils nur während der Nacht, häufig von einem ungestalten Zwerg begleitet, der zwar stumm und blödsinnig war, ihr aber gehorchte wie ein Hund und den der leichtgläubige Wahn der Indianer für ihren dienstbaren Geist hielt.

Jene Frau erschien zwar immer düster und schwermütig – ihr Blick war scheu und ihre Gebärden hastig –, doch trotz der Furcht, die sie allgemein einflößte, konnte man sie nicht beschuldigen, irgend jemandem etwas Böses zugefügt zu haben. Trotzdem schrieb man ihr wegen ihres seltsamen Lebens, das sie ohne allen Grund führte, alles Mißgeschick zu, das den Indianern auf der Jagd oder im Krieg zustieß. Die abergläubische Furcht der Indianer stempelte sie endlich zu einem boshaften Kobold, und sie gaben ihr den Namen Böser Geist.

Es ließ sich daher voraussetzen, daß der Mann, der ihretwegen so weit hergekommen war und sie so entschlossen herbeigerufen hatte, nicht nur mit ungewöhnlichem Mut begabt wäre, sondern auch einen wichtigen Grund haben müsse, so zu handeln. Da jener Schwarzfußhäuptling berufen ist, eine ziemlich bedeutende Rolle in unserer Erzählung zu spielen, wollen wir ihn in wenigen Worten schildern.

Jener Mann hatte das Alter erreicht, das man im allgemeinen als die Mitte des Lebens bezeichnet - er war nämlich ungefähr fünfundvierzig Jahre alt. Sein Wuchs war hoch, wohlgebildet und von wundervollem Ebenmaß; seine starken und stahlharten Muskeln verrieten ungewöhnliche Kraft. Die Bildung seines Kopfes verriet Verstand, seine Züge Scharfsinn, während er die Augen fast immer halb geschlossen hielt und selten offen aufblickte, wodurch seine Miene einen Ausdruck von Arglist und roher Grausamkeit erhielt, der denjenigen, der sich die Mühe gab, ihn genau zu beobachten, mit unüberwindlichem Widerwillen erfüllte. In der Prärie sind aber die Beobachter selten, und der eben geschilderte Häuptling erfreute sich bei den übrigen Indianern nicht nur eines weitverbreiteten Rufs, sondern war auch wegen seines bewährten Mutes und der Rednergabe, die er bei den Beratungen entwickelte, allgemein beliebt, da jene Eigenschaften bei den Rothäuten in hohem Ansehen stehen. –

Nachdem wir nun die beiden Personen, die wir auf den Schauplatz brachten, näher beschrieben haben, wollen wir sie handeln lassen und werden dadurch vielleicht gewisse wichtige Umstände über sie selbst erfahren, die niemandem sonst bekannt sind.

»Die Nacht ist noch dunkel; meine Mutter kann näher treten«, sagte der Indianer.

»Ich komme«, antwortete die Frau trocken, indem sie sich einige Schritte näherte.

»Ich warte schon lange.«

»Ich weiß es, aber was liegt daran?«

»Der Weg war weit.«

»Hier bin ich, rede.« Bei diesen Worten lehnte sie sich gegen einen Baumstamm und kreuzte die Arme über der Brust.

»Was kann ich sagen, wenn mich meine Mutter nicht vorher fragt?«

»Ganz recht; antworte mir also!«

»Ich bin bereit.«

Es folgte eine Pause, die nur durch das Rauschen des Windes in den Blättern unterbrochen wurde.

Nachdem die Frau sich lange bedacht hatte, ergriff sie endlich das Wort. »Hast du getan, was ich dir befohlen hatte?« fragte sie.

»Ich habe es getan.«

»Nun?«

»Meine Mutter hatte richtig erraten.«

»Und?«

»Alles bereitet sich vor, die Waffen zu ergreifen.«

Sie lächelte mit triumphierender Miene. »Bist du dessen gewiß?«

»Ich habe dem Rat beigewohnt.«

»Wo fand die Versammlung statt?«

»Unter dem Baum des Herrn des Lebens.«

»Ist es schon lange her?«

»Die Sonne ist seitdem achtmal untergegangen.«

»Gut. Was ist beschlossen worden?«

»Was Ihr schon wißt.«

»Die Vernichtung der Weißen?«

»Ja.«

»Wann soll das Zeichen zum Kampf gegeben werden?«

»Der Tag ist noch nicht bestimmt.«

»So?« fragte sie in bedauerndem Ton.

»Doch muß es bald geschehen«, fügte er eifrig hinzu.

»Warum glaubst du das?«

»Weil dem Grauen Bären daran liegt, ein Ende zu machen.«

»Und mir auch«, murmelte die Frau in dumpfem Ton.

Hier stockte die Unterhaltung wieder. Die Frau schritt mit gesenktem Kopf hastig auf

der Lichtung auf und nieder. Der Häuptling folgte ihr mit forschenden Blicken.

Nach einiger Zeit blieb sie vor ihm stehen und sah ihn durchdringend an. »Bist du mir ergeben, Häuptling?«

»Zweifelt Ihr daran?«

»Vielleicht.«

»Ich habe Euch aber vor wenigen Stunden einen Beweis meiner Ergebenheit gegeben.«

»Welchen?«

»Diesen«, sagte er, indem er auf den linken Arm deutete, der mit Baumrinde umwickelt war.

»Ich verstehe nicht.«

»Seht Ihr nicht, daß ich verwundet bin?«

»Ja – weiter?«

»Vor wenigen Stunden haben die Rothäute die Bleichgesichter angegriffen; schon stürmten sie die Umzäunung, die das Lager umgab, als sie plötzlich bei Eurem Erscheinen zurückwichen, trotzdem sie ihr Führer, der verwundet war und vor Verlangen brannte, sich zu rächen, anfeuerte, den Sieg zu vollenden.«

»Es verhält sich allerdings so, wie du sagst.«

»Gut. Und weiß meine Mutter, wer der Anführer war, der die Rothäute befehligte?«

»Nein.«

»Ich war es, der Rote Wolf! Zweifelt meine Mutter noch immer?«

»Die Bahn, die ich betreten habe, ist so düster«, antwortete sie traurig; »das Werk, das ich vollbringe, so ernst und so tief in mein Herz gewurzelt, daß zuweilen die Mutlosigkeit mich arme Frau übermannt, die ich allein und ohne Beistand gegen einen Riesen kämpfe und der Zweifel verfolgt mich. Ich trage den Plan, den ich heute ausführen will, seit langen Jahren mit mir herum; ja ich habe mein ganzes Leben zum Opfer gebracht, um das Resultat zu erstreben, nach dem ich trachte; ich fürchte daher in dem Augenblick zu scheitern, wo mir der Erfolg gesichert scheint. Kann ich Vertrauen zu einem Mann fassen, den die Selbstsucht jeden Augenblick verführen kann, da ich mir selbst nicht vertraue? Muß ich nicht fürchten, zum mindesten verlassen zu werden?«

Bei diesen Worten richtete sich der Häuptling auf; sein Auge blitzte. »Schweigt!« rief er im Ton verletzten Selbstgefühls. »Meine Mutter sage kein Wort weiter. Sie beleidigt gegenwärtig den Mann, dem am meisten daran gelegen ist, ihr seine Redlichkeit zu beweisen. Der Undank ist ein weißes Laster, die Dankbarkeit aber eine rote Tugend. Meine Mutter ist stets gütig zu mir gewesen; der Rote Wolf kann nicht mehr zählen, wie oft er ihr das Leben verdankt. Das Unglück hat das Herz meiner Mutter verwundet; die Einsamkeit ist eine schlechte Ratgeberin - meine Mutter leiht den Stimmen, die in der Stille der Nacht zu ihr reden, ein zu williges Gehör. Sie vergißt die Dienste, die sie erwiesen hat, um sich nur des Undanks zu erinnern, den sie auf ihrem Lebensweg geerntet hat. Der Rote Wolf ist ihr ergeben; er liebt sie. Die Wölfin der Prärien kann ihm ihr volles Vertrauen schenken, er ist dessen würdig.«

»Soll ich Euren Versicherungen glauben? Kann ich auf Euer Versprechen bauen?« murmelte sie unschlüssig.

Der Häuptling fuhr fort: »Wenn die Dankbarkeit, die ich meiner Mutter schulde, kein hinreichend starkes Band wäre, so sind wir durch ein stärkeres verbunden, dessen Unlösbarkeit sie über meine Aufrichtigkeit vollständig beruhigen kann.«

»Welches?« fragte sie mit durchdringendem Blick.

»Haß!« antwortete er mit Nachdruck.

»Das ist wahr«, sagte sie mit unheimlichem Lachen. »Du haßt ihn ja auch.«

»Ja, ich hasse ihn von ganzem Herzen, denn er hat mir die beiden Güter entrissen, die mir auf Erden die höchsten waren. Das Herz der Frau, die ich liebte, und die Gewalt, nach der ich strebte.«

»Aber Ihr seid ja ein Häuptling!« sagte sie mit Absicht.

»Ja!« rief er mit Stolz aus. »Aber mein Vater war ein Sachem der Schwarzfüße, der Kenhas vom Blut. Sein Sohn ist tapfer und schlau; die Skalps der Bleichgesichter trocknen in zahlloser Menge vor seiner Wohnung. Warum ist der Rote Wolf nur ein untergeordneter Häuptling, anstatt sein Volk in den Kampf zu führen, wie es sein Vater getan hat?«

Es schien der Unbekannten eine heimliche Freude zu bereiten, den Zorn des Indianers zu reizen, statt ihn zu besänftigen. »Wahrscheinlich«, fuhr sie mit Beziehung fort, »weil ein anderer, der klüger ist wie der Rote Wolf, das Vertrauen seiner Brüder gewonnen hat.«

»Meine Mutter würde sich richtiger ausdrücken, wenn sie sagte, daß er von einem anderen, der spitzbübischer war, betrogen wurde!« rief er heftig aus. »Der Graue Bär ist ein Hund von einem Komantschen, der Sohn eines Geächteten, den mein Stamm aus Mitleid aufgenommen hat! Bald soll sein Skalp am Gürtel des Roten Wolfs trocknen!«

»Geduld!« sagte die Unbekannte in dumpfem Ton. »Die Rache ist eine Frucht, die nur reif genossen werden darf. Der Rote Wolf ist ein Krieger und wird zu warten wissen.«

»Meine Mutter hat zu befehlen«, sagte der Indianer plötzlich besänftigt; »ihr Sohn wird gehorchen.«

»Ist es dem Roten Wolf gelungen, sich der Medizin zu bemächtigen, die Lianenblüte an ihrem Hals trägt?«

Der Indianer senkte verlegen den Kopf. »Nein«, sagte er finster. »Lianenblüte ist stets um den Weißen Bison; es ist unmöglich, sich ihr zu nähern.«

Die Unbekannte lächelte ironisch. » Wann ist der Rote Wolf je imstande gewesen, ein Versprechen zu erfüllen?« sagte sie.

Der Rote Wolf bebte vor Zorn. »Ich werde mir das Verlangte verschaffen, und sollte ich deshalb Gewalt anwenden müssen.«

»Nein«, antwortete sie; »nur durch List darf es geschehen.«

»Es soll geschehen; und ehe zwei Tage vergangen sind, werde ich meiner Mutter die Medizin überbringen«, entgegnete der Indianer.

»Nein«, erwiderte sie lebhaft, »in zwei Tagen ist es zu früh; mein Sohn mag sie mir am fünften Tag des jetzt beginnenden Mondes bringen.«

»Gut, ich habe es geschworen, und meine Mutter soll die Medizin von Lianenblüte haben.«

»Mein Sohn wird sie mir an den Baum des Bären bringen, unweit der großen Hütte der Bleichgesichter, zwei Stunden nach Sonnenuntergang; ich will ihn dort erwarten, um ihm meine letzten Verhaltensbefehle zu erteilen.«

»Der Rote Wolf wird da sein.«

»Bis dahin wird mein Sohn alle Schritte des Grauen Bären genau beobachten: sollte mein Sohn etwas erfahren, was ihm wichtig erscheint, so wird er hier an der Stelle eine Pyramide von sieben Bisonköpfen bilden und mich zwei Stunden später hier erwarten; ich werde das Signal verstanden haben und seinem Ruf folgen.«

»Oché! Meine Mutter ist mächtig; es soll geschehen, wie sie wünscht.«

»Hat mich mein Sohn richtig verstanden?«

»Die Worte meiner Mutter sind in die Ohren eines Häuptlings gefallen; sein Geist hat sie aufgenommen.«

»Am Horizont zeigen sich bereits purpurne Streifen, die Sonne wird bald aufgehen. Mein Sohn mag zu seinem Stamm zurückkehren; er darf durch seine Abwesenheit nicht den Verdacht seines Feindes erwecken.«

»Ich gehe. Kann mir aber, ehe wir uns trennen, meine Mutter, die Wölfin der Prärien, deren Macht so groß ist und deren Klugheit alle Kenntnisse der Bleichgesichter geraubt hat, nicht sagen, ob sie nicht eine große Medizin unternommen hat, um zu sehen, ob unser Unternehmen gelingen wird und wir unseren Feind besiegen werden?«

In dem Augenblick entstand ein lautes Geräusch im Röhricht, und ein gellendes Pfeifen ertönte; das Pferd des Indianers legte die Ohren zurück, strengte sich gewaltig an, die Leine zu zerreißen, an der es angebunden war, und zitterte am ganzen Leibe.

Die Unbekannte erfaßte hastig den Arm des Häuptlings und sagte in dumpfem Ton: »Mein Sohn sehe sich um!«

Der Rote Wolf unterdrückte einen Schrei der Überraschung und blieb vor Schrecken starr vor dem seltsamen Schauspiel, das sich seinen Blicken bot.

In einer Entfernung von wenigen Schritten hatten sich ein Jaguar und eine Klapperschlange einander gegenübergestellt und schickten sich an, den Kampf zu beginnen. Ihre schillernden Augen leuchteten und schienen Funken zu sprühen. Der Jaguar stand mit gesträubtem Haar sprungfertig auf einem Ast, kauerte und miaute dumpf und folgte jeder Bewegung seines furchtbaren Gegners mit heimtückischen Blicken, indem er auf einen günstigen Augenblick zum Angriff harrte.

Die Schlange war um sich selbst geringelt und bildete, indem sie ihren scheußlichen Kopf zischend zurückwarf und anmutig hin und her schaukelte, eine schneckenförmige, ungeheure Säule, während es schien, als wolle sie versuchen, den Feind durch ihren Blick zu lähmen. Letzterer ließ ihr aber keine lange Frist. Plötzlich sprang er auf die Schlange, die sich mit unglaublicher Gewandtheit auf die Seite warf und der Katze in dem Augenblick, wo diese nach dem ersten Fehlschlag zu einem zweiten Sprung ausholte, einen furchtbaren Biß ins Gesicht versetzte.

Die Katze miaute vor Wut und stieß ihre langen, scharfen Krallen in die Augen der Schlange, der es trotzdem gelang, sie mit verzweifelter Anstrengung zu umschlingen. Nun rollten die beiden Gegner zu Boden, zischten und heulten, ohne sich indessen loszulassen, sondern sie strengten sich beiderseits an, sich ums Leben zu bringen.

Der Kampf dauerte lange; die beiden wilden Tiere wehrten sich mit merkwürdiger Kraft; endlich lösten sich die Ringe der Schlange, und ihr Leib sank kraftlos zu Boden, wo er lange Zeit regungslos liegenblieb. Der Jaguar entwand sich mit triumphierendem Miauen der furchtbaren Umschlingung und sprang auf einen Baum. Die Kräfte verließen ihn aber; er konnte den Ast nicht erreichen, auf den er sich schwingen wollte, und stürzte dumpf auf die Erde zurück.

Da raffte sich das wütende Tier, schon mit dem Tod ringend, auf, kroch mühsam, indem es sich in die Erde krallte, bis zum Körper seines Feindes und stieg darauf. Als es ihm gelungen war, auf die Leiche zu klettern, miaute es ein letztes Mal zum Zeichen des Sieges und stürzte dann selbst als Leiche neben der besiegten Schlange auf den Boden.

Der Indianer folgte dem Fortgang des erschütternden, blutigen Kampfes mit wachsender Spannung. »Nun?« sagte er dann zu der Unbekannten. »Was sagt meine Mutter?«

Letztere schüttelte den Kopf. »Unser Sieg wird uns das Leben kosten«, antwortete sie traurig.

»Gleichviel!« erwiderte der Rote Wolf. »Wenn wir nur unsere Feinde vernichten.« Hierauf zog er sein Messer und fing an, dem Jaguar das Fell abzustreifen, um den prächtigen Pelz an sich zu nehmen.

Die Unbekannte sah ihm eine Weile zu, winkte ihm dann ein Lebewohl und drang in das Dickicht, in dem sie bald verschwand.

Eine Stunde später sprengte der indianische Häuptling, mit dem Pelz des Jaguars und der Haut der Schlange beladen, nach der Richtung seines Dorfes davon. Ein spöttisches Lächeln umspielte seinen Mund, denn er mußte keinen Vorwand für seine Abwesenheit ersinnen, da die mitgebrachte Beute deutlich genug bewies, daß er die Nacht auf der Jagd zugebracht hatte.


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