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Wie es im Leben stets zu gehen pflegt, so ward es auch im Schicksalslaufe Lergetbohrers: Was dem einen Schaden bringt, gereicht dem anderen zum Nutzen. Die Aufdeckung der großartigen Steuerhinterziehung bei Wüsteler und Merkle wurde dem Oberaufseher zum Verdienst angerechnet, Anton avancierte zum Finanzwache-Bezirksleiter. Doch er vermochte sich dieser Beförderung nicht zu freuen; sie ist zu teuer erkauft durch den Ruin Wüstelers und die Verarmung Zenzis. Das arme Mädchen war gezwungen, sich das kärgliche Brot durch Näharbeit zu verdienen. Still und tief gedemütigt arbeitete Zenzi in einem bei Handwerksleuten gemieteten Stübchen, und erst zur Dämmerstunde verließ sie das Haus, um möglichst unbeachtet die fertige Ware den Kunden zuzutragen. Aus dem einst so stolzen, hochmütigen Mädchen ist eine arme, doch tapfer ringende Nähmamsell geworden.
Monate vergingen gleichförmig unter steter stiller Arbeit. Eines Tages sollte Zenzi jäh aufgeschreckt werden durch eine erschütternde Kunde, die sie in die Krankenabteilung des Gefängnisses rief. Der Vater ist, gebrochen durch das über ihn eingestürmte Schicksal, schwer erkrankt und aus der Gefangenenzelle ins Krankenhaus verbracht worden, Wüsteler konnte den Freiheitsverlust nicht verwinden, die Kerkerstrafe beschleunigte den Krankheitslauf, Als Gefahr drohte, wurde Zenzi geholt, und das Wiedersehen galt einem Sterbenden.
Wenige Tage darauf wurde der alte Wüsteler begraben.
Allein stand nun das arme Mädchen und verlassen, gemieden als die Tochter eines im Kerker verstorbenen Verbrechers.
In diesem Jammer konnte die Endabrechnung aus dem »Falle Wüsteler« mit der Überantwortung eines Restbetrages zugunsten Zenzis aus dem Zwangsverkauf des väterlichen Anwesens nur neuen Schmerz erzeugen, und die wenigen Geldscheine brannten in des Mädchens Hand wie Feuer.
Am liebsten hätte Zenzi die Annahme verweigert, doch der alte Überbringer, ein Bote des Steueramtes, riet in väterlich guter Absicht, diesen Notpfennig aufzubewahren und den Schmerz tapfer niederzukämpfen.
Von diesen Ereignissen hatte Lergetbohrer keine Ahnung, denn er war in den Außendienst und provisorisch nach einer Außenstation versetzt worden. Das war so rasch geschehen, daß Anton sich von Zenzi nicht verabschieden und auch sein Hündchen, das bei dem Mädchen verblieben, nicht abholen konnte. Erst durch eine zufällige Bemerkung eines durchreisenden Kollegen, daß Wüsteler verstorben sei, erfuhr Anton von dem neuen Schicksalsschlage, und sofort erbat er einen kurzen Urlaub zu einem Besuch Zenzis in Bregenz, der indes nach Lage der Dienstverhältnisse erst nach einigen Tagen gewährt werden konnte.
Anton kam mit der Bahn nach Bregenz und stand nach dem Verlassen des Bahnhofes völlig ratlos da. Wo soll er Zenzi suchen? Das Nachfragen an sich ist schon eine mißliche Sache und wird dem Ruf des Mädchens schaden. Kann sich Lergetbohrer doch denken, was die Leute sagen werden. Erst bringt der Finanzer die Familie um Haus und Hof, den Vater in den Kerker, die Tochter ins Elend, und hintendrein versucht der Verräter gar noch eine Annäherung an die unglückliche Waise. In Uniform bei den Leuten anzufragen, ist undenkbar. Zum Respizienten zu gehen, vermag Anton nicht, und eine Anfrage beim Kommissar ist zwecklos und wenig taktvoll. Ob die Kollegen von Zenzis Aufenthalt Kenntnis haben werden? Anton verwirft auch diesen Gedanken, um üblen Nachreden auszuweichen.
Unschlüssig und planlos schlenderte er durch die Gassen, und absichtslos, rein zufällig, geriet er in die Nähe der ehemaligen Wüsteler Wirtschaft. Anton merkte das erst durch die Wahrnehmung, daß die Ladeninhaber auf die Gasse traten und zu tuscheln begannen. Sie haben den Finanzer erkannt, der Wüsteler ins Unglück gebracht, und ereifern sich nun nicht wenig über die Tatsache, daß jener Mensch, gleichsam um sich zu brüsten mit seiner Heldentat, an der Stätte des Unheils vorüberstolziert.
Lergetbohrer beeilte sich, diese Gasse zu verlassen, und bog in ein Seitengäßchen ein, das in die Oberstadt hinaufführte.
Dort ist's kirchenstill und ruhig auch in den kleinen alten Häusern. Am Ende eines Gäßchens spielen zwei Hunde miteinander, deren einer eine seltsame Ähnlichkeit mit Flock hat. Sollte das Hündchen wirklich Flock sein? Anton pfeift, um sich zu vergewissern, und tritt näher hinzu. Der Hund stutzt, horcht auf, und nun erkennt er seinen Herrn, auf den er freudig bellend losstürmt.
»Flock, Flock, mein Liebling!« begrüßt Anton sein Hündchen, das an ihm emporspringt und einen tollen Freudenlärm vollführt. Kaum kann sich Anton der Liebkosungsversuche seines Hundes erwehren, der Spektakel ist schier betäubend.
Da öffnet sich an einem nahegelegenen Häuschen ein Fenster; ein gramerfüllter Frauenkopf wird sichtbar, und eine Stimme ruft Flock herbei. Anton blickt auf und erkennt zu seiner Herzensfreude die treue Pflegerin seines Lieblings. Jubelnd ruft er hinauf: »Zenzi! Liebe Zenzi!«
Jäh errötend zieht sich das Mädchen zurück.
Anton aber stürmt, vom bellenden Flock begleitet, in das Häuschen. Gefunden, gefunden durch Flock!
Schmerzlich freilich ist dieses Wiedersehen. Anton erzählt, daß er vor wenigen Tagen erst die traurige Kunde erfahren, auf welche hin er nach Bregenz geeilt sei.
Still weint Zenzi vor sich hin, umschmeichelt von Flock, der das arme Mädchen sichtlich zu trösten bestrebt ist. Und auch Anton versucht zu trösten und seiner innigsten Anteilnahme Ausdruck zu verleihen.
Dankend reicht Zenzi ihm die Hand; eine letzte Zähre rollt über die Wange, müde lächeln die seelenvollen Augen.
Auf Wiedersehen!
Flock bleibt auf die Bitte Zenzis zurück, und gern gewährt Anton diese Bitte.
Als das Trauerjahr abgelaufen war, wagte Lergetbohrer, der nach Bregenz als Bezirksleiter zurückversetzt worden, um Zenzis Hand anzuhalten. Schlicht und ehrlich gab er seinen Gefühlen warmen Ausdruck. Doch das Mädchen erklärte, den Antrag ablehnen zu müssen, weil er dem Mitleid entsprungen sei.
Lange mühte sich Anton, diesen Gedanken zu verscheuchen. Die Liebe wurzelte ja schon in seinem Herzen, ehe er ahnen konnte, welches Geschick hereinbrechen werde. Daß seine Hand und sein Dienst dieses Unglück über Zenzi brachte, niemand könne es schmerzlicher sein als ihm selbst.
Zenzi betonte ihre Armut und verwies auf Antons Dienststellung, mit welcher es unverträglich sei, die Tochter eines Steuerdefraudanten und Schmugglers als Frau heimzuführen. Doch alle Gründe bestritt der Werber, und schließlich siegte seine ehrliche Bitte. Zenzi willigte ein, Antons Weib zu werden.
Welche Seligkeit, welches Glück!
Doch der hinkende Bote humpelt immer hinterdrein. Mit Schrecken erinnert sich Anton, daß zum Heiraten in seiner Dienststellung der Konsens des Finanzministeriums notwendig ist und daß diese Erlaubnis nur auf Grund eines sehr günstigen Führungsattestes bzw. Nachweises etwaig vorhandenen Vermögens erteilt werden wird.
Solche Gedanken dämpfen jegliche Begeisterung. Und völlig ernüchtert wurde Anton, als er gelegentlich eines Besuches vom Kommissär belehrt wurde, daß, die ministerielle Genehmigung vorausgesetzt, eine Heirat leichtfertig sei, solange Lergetbohrer nicht eine zehnjährige Dienstzeit bei der Finanzwache zurückgelegt habe, denn im Falle seines früheren Ablebens würde die Witwe nicht den geringsten Anspruch auf eine staatliche Sustentation haben. Der Kommissär fügte tröstend hinzu, daß er allerdings auch nicht befürchte, es werde Anton vor Erreichung des zehnten Dienstjahres mit Tod abgehen. Doch der Finanz-Wachdienst sei gefährlich, er kann jeden Tag den Tod bringen.
Da erinnerte sich Lergetbohrer, eine gesetzliche Bestimmung gelesen zu haben, wonach Finanzwachleute und deren Relikten auf Pension im vollen Betrage der Löhnung ohne Rücksicht auf die Dienstzeit Anspruch haben, wenn die Leute infolge einer im Gefällsdienste entweder im Kampfe mit Schmugglern oder durch sonstige Gewalttätigkeit erlittenen schweren Verwundung für den Finanzwachedienst untauglich würden. »Stößt mir also etwas zu, so wird das Ärar gemäß dieser Bestimmung die Pension gewiß nicht verweigern!« fügte Anton bei.
»Allen Respekt vor ihrer Gesetzeskenntnis, lieber Lergetbohrer! Aber die Auslegung der Paragraphen ist oft eine unberechenbare! Doch wagen Sie den Versuch! Daß Ihre Eingabe vom hiesigen Amt auf Grund Ihrer ansehnlichen Verdienste warm befürwortet wird, kann ich Ihnen heute schon zusichern!«
Damit war Anton entlassen. Was soll er nun tun? Er entschließt sich, die geliebte Braut zu verständigen, daß auf Pension vorläufig nicht zu rechnen sei, solange er die verlangten zehn Dienstjahre nicht zurückgelegt habe.
Die Antwort Zenzis war ein langer Kuß und die Versicherung, daß sie ihm seine treue Fürsorge niemals vergessen werde. Doch möge das Schicksal bringen, was Gott der Herr beschließe, sie werde sich fügen und dem Gatten ein treues, liebendes Weib sein bis zum Ende.
Jetzt reichte Anton sein Heiratsgesuch ein, das mit der Befürwortung hübsch gemächlich die Reise nach Wien antrat und gereift an Alter, versehen mit der ministeriellen Genehmigung, nach einigen Monaten wieder in Bregenz eintraf.
Eine stille Hochzeit folgte, ohne Mahl oder sonstige Festlichkeit.
In einer kleinen Wohnung baute sich das junge Paar ein bescheidenes Nest, und Zenzi war nun froh, jene Restsumme aus dem Steuerprozeß zur Vergrößerung des Haushaltes verwenden zu können. Nach Jahr und Tag strampelte ein kleiner Finanzer im Nest, unbekümmert um jegliche Dienstesvorschrift. Lergetbohrer freute sich wie ein Fürst, dem ein Erbprinz geboren ist, und im stillen berechnete er, daß ihm jetzt nur noch drei Jährchen zu den vorgeschriebenen zehn Dienstjahren fehlen. Dann ist die Pension sicher, und wenn der Finanzhimmel gnädig ist, kann nach bestandener Prüfung für Verzehrungssteuer und Zollprüfung für den Grenzdienst nach Umfluß weiterer Jahre die Ernennung zum Finanzwachekommissär zur Tat werden. Herrgott, wäre das ein Glück!
Dem Erbprinzen folgten noch zwei Geschwister nach auf der Reise ins Leben, so daß Lergetbohrer und Gattin drei richtige Seehasen, echte Brigantier, besaßen. Zenzi kargte im Haushalt, und dennoch schwamm sie im Meer des Mutterglückes.
Anton hatte viel Kanzleidienst, dazwischen auch Kontrolldienst zu leisten, und war bestrebt, durch außerordentliche Genauigkeit und größten Eifer sich immer mehr die Zufriedenheit der Vorgesetzten zu erwerben. Je näher das Dienstdezennium rückte, desto schärfer ward Lergetbohrer im Dienst; die Pensionsfähigkeit will er unter allen Umständen erringen im Interesse seiner Familie.
Es war Herbst geworden. Eines späten Abends kam Anton von einem Ausflug zu Wasser zurück, und auf dieser Bootfahrt fiel ihm die Lichtsignalisierung auf und rief ihm seine damaligen Beobachtungen wieder ins Gedächtnis zurück, denen er im Drang der Dienstgeschäfte nicht näher nachgeforscht. Das soll aber gleich morgen nachgeholt und so gut als möglich erforscht werden. Die Finanz muß wissen, was sich die Schmuggler durch farbige Lichter signalisieren; ohne genaue Kenntnis dieser Signale, ohne den Schlüssel zu diesem Geheimnis hat das Streifen zur See doch keinen rechten Zweck.
Am Morgen erholte Anton die Genehmigung des Kommissärs zu einer Erforschung des Signaldienstes, die anstandslos, wenn auch etwas spöttisch, erteilt wurde. Der Kommissär meinte, daß die Lichter zur Nachtzeit eben eine Warnung seien, falls sich die Finanzer auf dem See befinden. Da dies aber fast jede Nacht der Fall ist, könne der Warnung kein besonderer Sinn zugrunde liegen.
Lergetbohrer blieb bei seiner Meinung, daß mutmaßlich die Ausfahrt des Finanzerbootes beobachtet und später durch die Lichter den heimkehrenden Schmugglern signalisiert werde. Es müßte sich daher eine Ausfahrt ohne Überwachung betätigen lassen und hernach die Signalisierung auf das schärfste beobachtet werden. Hierzu legte sich Anton für den Abend einen Plan zurecht, von welchem zwei der findigsten Finanzaufseher und tüchtige Bootsleute dazu verständigt wurden. Anton will allein und in Zivil im Boot den Hafen verlassen, eine Weile kreuzen und während der Nacht zwischen Bregenz und Hard die Finanzer an Bord nehmen. Unauffällig begab sich Lergetbohrer in den Hafen, schlenderte wie zum Zeitvertreib am Kai herum und betrachtete sich die Boote und Leute. Niemand kümmerte sich um ihn. Endlich stieg Anton in das Zollboot, das unter Kettenverschluß hängt und sich im leicht bewegten Wasser schaukelt. Schon will Lergetbohrer den Schlüssel zum Schloß aus der Tasche ziehen, da taucht neben ihm ein Bursche auf, der bisher anscheinend teilnahmslos in der Nähe gestanden und nun in dummpfiffiger Weise den Herrn aufmerksam machte, daß der Herr mit diesem Schiff nicht fahren dürfe.
Augenblicklich kombinierte Anton, daß er es mit einem Ausspekulierer zu tun habe, und richtete sein Verhalten danach ein. Zunächst frug er harmlos nach dem Warum.
»Selles Schiff gehört der Finanzwach'!« antwortete der Spion.
»Um so besser! Haben die Grünen kein Schiff, können sie auch nicht fahren!«
»Herr! Wenn Sie erwischt werden, hat's was!« versicherte der Bursch und zwinkerte mit den Augen.
»Mich erwischen sie nicht! Ich muß ein Schiff haben, und gerade das Finanzboot paßt mir!«
»Sind sie Ihnen auf der Spur?«
»Und wie! Ich habe abgeliefert und bin gesehen worden. Jetzt will ich frische Sendung holen! Paß auf, Bub, wenn ich zurückkomme! Zwei Weiß und ein Rot, verstehst!«
»Falsch, Freunderl! Heut' gilt zwei Rot und ein Grün!«
»Von wo?«
»Vom Gallus Schalloch, wenn alles frei! Bringt Ihr?«
»Ja!«
»Was?«
»Bohnelen!«
»Zwei Gulden, gilt's?«
»Ja, es gilt!«
»Wann?«
»Ich werde gegen elf Uhr anfahren rechts vom Hafen auf der Harder Seite!«
»Gilt! Gute Fahrt!«
Es war ein Glück, daß der Ausspekulierer sich hinwegtrollte, denn Antons List hätte entdeckt werden müssen, weil das Boot nur durch Schloßöffnung fahrtfrei gemacht werden kann. Wer nun den Schlüssel zum Zollboot besitzt, muß doch zur Finanzwache gehören. Den hellsten der Spione haben die Schmuggler sonach diesmal nicht in Dienst gestellt. Anton stieß ab und fuhr aus dem Hafen. Auf See hatte er Zeit, über das Gehörte reiflich nachzudenken. Was wollte der Bursche nur sagen mit den Worten: »Vom Gallus Schalloch?« Das kann sich nur auf einen Turm mit Schallöchern beziehen, und der Turm wird jener der Stadtpfarrkirche sein, die mutmaßlich wie die meisten Kirchen im Umkreis und zu St. Gallen in der Schweiz dem heiligen Gallus geweiht ist.
Ein Signal auf dem Kirchturm kann aber nur im Einverständnis mit dem Küster aufgestellt werden, folglich steckt der Türmer mit einer Schmugglerbande unter einer Decke, was zu merken ist. Also zwei rote Laternen und ein grünes Licht ist Signal für freie Landung, besagt daher, daß die Finanzwache nicht patrouilliert. Vermutlich wird in dieser Nacht ein Transport von Rorschach oder Romanshorn nach Bregenz unternommen werden. Meldet jener Spion, daß das Zollboot von einem Zivilisten ohne Erlaubnis entführt wurde, so kann das die Signalisten nur in Sicherheit wiegen oder es wird das Gegenteil erzielt. Man muß es also darauf ankommen lassen. Gibt der Küster ein Warnungszeichen, so nützt ein Kreuzen so viel wie nichts, und dürfte ein Zurückfahren und Landen besser sein. Anton beschloß zunächst, hinaus in See zu fahren. Seine Mannschaft soll im Röhricht verborgen nur warten.
So zog denn die Nacht ihre schwarzen Schleier über Wasser und Land; Bregenz steckte seinen Lichterschmuck auf, und drüben nicht minder die Inselstadt Lindau, das »bayerische Venedig«.
Daß die »Brähme«, ein weißgrauer Nebel, aufstieg, dem eine dickschwarze Wolke als Anzeichen eines richtigen Bodenseesturmes folgte, dessen achtete Anton nicht, da sein Augenmerk in größter Spannung auf den Turm der Pfarrkirche von Bregenz gerichtet war, der dunkel aufragte und lichtlos blieb. Am Kai gleißte das elektrische Licht, aus den Häusern glotzte der gelbrötliche Schein von Öllampen oder Gas.
Das schwäbische Meer begann zu murren, der Wellenschlag wurde stärker, der Föhn blies mit vollen Backen und wühlte das Wasser vom Grunde auf.
Angestrengt luegte Anton aus, und endlich kam das erwartete Signal vom Turm, zwei rote Lichter zur Seite, ein grünes inmitten. Seine Ausfahrt ist den Spekulierern also nicht verdächtig erschienen. Nun gilt es, rasch gegen die Harder Bucht zu fahren und die Mannschaft zu holen. Das war jedoch leichter gedacht als getan. Der Sturm ist bereits entfesselt, der See brüllt, das Grundgewell tobt. Der Vernünftige flüchtet, so rasch er nur kann, an Land. Lergetbohrer ist aber im Dienst und muß kreuzen, wenigstens solange er sich mit dem Boot einigermaßen halten kann. Und das bereitet nun schon Schwierigkeiten; das Zollboot tanzt einer Nußschale gleich auf den erzürnten Wogen. Der Wind treibt es mit grimmer Wut nordwärts; es ist unmöglich, auf der Bregenzer Seehöhe zu bleiben, geschweige denn Kurs auf Hard zu halten. Jetzt Segel zu entfalten, hieße mit vollem Wind nach Lindau oder Langenargen fahren.
Beharrlich kündigt das Gallussignal freie Einfahrt für die Schmuggler. Ein Hohn ist das, denn das Grundgewell wird jedes Landen vereiteln.
Schattengleich treibt im Sturm ein lichterloser Kahn vorüber, an dessen Mast zerfetzte Segel flattern. Das wird der Transport sein, dem das Signal vom Kirchturm gilt.
Herr des Himmels! Nur jetzt weniger Sturm und mehr Helle! Der Kahn ist vorüber, ehe Anton schlüssig ist, was er zur Verfolgung beginnen soll. Und plötzlich fällt ihm auch ein, daß er in Zivilkleidung und ohne Schußwaffe ist, zudem weit über die Grenzlinie hinaus, mit Kurs auf das nördliche Ufer. Verfolgung, selbst wenn sie noch möglich wäre, ist Wahnsinn. Es gilt, im rasenden Sturm das eigene Leben zu retten und anzulaufen, gleichviel, wo Land erreicht werden kann. Der Föhn tobt, haushoch steigen die brüllenden Wogen, weitum spritzt im zischenden Schaumregen der Gischt.
Anton kämpft um das Leben; mit der Kraft der Todesangst hält er das schwere Ruder, das stehend gehandhabt werden muß. Eine schwarze, schaumgekrönte Woge rauscht heran mit entsetzlicher Wucht, sie zerbricht mit elementarer Kraft die Ruderstange, mit furchtbarem Ruck wird Anton hinweggerissen, das Boot kentert und treibt, einem Spielball gleich, in der brüllenden Flut.
In den Städten herrscht rings um den Bodensee allgemeine Besorgnis; viele Schiffe fehlen, Dampfer sind ausgeblieben, der Sturm war zu arg und gefährlich. Auf dem Bahnkörper zwischen Bregenz und Lindau war ein Kahn gefunden worden, den das Grundgewell dorthin geworfen.
In Wasserburg jammerte der Pfarrer, daß ihm die Wogen durch die Fenster des ersten Stockwerks unwillkommenes Naß ins Pfarrhaus geschleudert hätten.
Zahlreiche Kähne werden vermißt. Tags darauf kursmäßig in Lindau und Bregenz angekommene Dampfer kündeten, daß verschiedene Boote gekentert treiben.
Das österreichische Zollboot wurde denn auch in der Nähe von Wasserburg in Kenterlage an Land geworfen aufgefunden. Ein Telegramm meldete dem Fund nach Bregenz und brachte die Finanzwache in Aufregung. Der Kommissär forschte nach, ob Lergetbohrer zu seiner Familie zurückgekehrt sei, und nun erfaßte jähes Entsetzen die arme Zenzi.
Die in Lindau exponierten österreichischen Revisionsaufseher wurden angewiesen, nach dem Verbleib des vermißten Lergetbohrer zu forschen. Der Telegraph arbeitete fieberhaft zwischen den Bodenseestationen am nördlichen Ufer und brachte am Abend die Meldung, daß bei Langenargen die Leiche eines Zivilisten gefunden wurde, dessen Papiere auf den Namen Lergetbohrer aus Bregenz lauten.
Der Kommissar mit vier Mann holte zu Schiff den im Dienst gleich einem Helden gefallenen Finanzer heim an österreichisches Land. Er übernahm es auch, die arme Witwe auf das Unglück vorzubereiten, so schwer die Mission auch sein mochte.
Wenn auch ohne Ehrensalven, so doch mit den Ehren, die einem im Dienst Verstorbenen gebühren, ward die Leiche Lergetbohrers der Erde übergeben, und Finanzer aus allen umliegenden Orten wohnten der Beerdigung tieferschüttert bei. Mahnt doch dieses Ende scharf und deutlich an die Gefahren des Finanzerdienstes.
Ein treuer Freund in der Not ward der Kommissär, welcher zu Lebzeiten auf Lergetbohrer so große Stücke gehalten. Er übernahm die Vormundschaft über die armen Waisen, er erstattete den Bericht an die Oberbehörde, er war es, der sich bemühte, der Witwe die Pension zu erwirken, trotzdem der Verunglückte das Dienstdezennium nicht erreichen gekonnt.
Das Gesuch mußte abschlägig beschieden werden aus prinzipiellen Gründen. Das Dienstdezennium ist nicht erreicht, klar lauten die diesbezüglichen Vorschriften. Vergeblich bemühte sich der Kommissär um Anerkennung des Paragraphen zehn, des sogenannten Unglücksparagraphen, wonach die Pension gewährt wird ohne Rücksicht auf die Dienstzeit, wenn ein Finanzer im Kampfe mit Schmugglern oder durch sonstige Gewalttätigkeit dienstuntauglich geworden sei. Das Ministerium vermochte aber nicht anzuerkennen, daß ein Sturm auf dem Bodensee eine Gewalttätigkeit sei, und deshalb wurde auch dieses Gesuch abgewiesen.
Witwe und Waisen erhielten nicht einen Kreuzer Unterstützung. Und die wenigen, von karg besoldeten Finanzern aufgebrachten Groschen konnten nicht lange vorhalten.
Stück um Stück aus dem kleinen Haushalt mußte verkauft werden; die Not zog grinsend ein bei Zenzi und den Waisen, wiewohl die Witwe fleißig sich mühte, den Lebensunterhalt zu verdienen.
Einen letzten Versuch wagte der Kommissär: ein Majestätsgesuch. Lange blieb ein Bescheid aus. Und als er kam, wurde der armen Finanzerwitwe eine Gnadengabe von täglich fünfzehn Kreuzern und für jedes Kind bis zum vollendeten zwölften Jahre fünf Kreuzer täglich bewilligt.
Zenzi war auch für diese kleine Gabe dankbar und kämpfte weiter als Witwe eines – Finanzers.