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Was seit Monaten in Bregenz gerüchtweise im Umlauf gewesen, hatte Bestätigung gefunden zu Schrecken der Weinwirte und Mosthändler. Bislang war die allgemeine Verzehrungssteuer von Wein und Most aus Wein und Obst in der Weise verpachtet gewesen, daß ein Generalpächter die vom Ärar für den Stadtbezirk Bregenz angesetzte Summe zahlte und sich bezüglich der von den Steuerpflichtigen zu erlegenden Teilsummen mit den Parteien abfand.
Nun kam aber der Bregenzer Finanzwachkommissär auf Grund genauer Erhebungen und Berechnungen für Einfuhr und Verbrauch von Wein und Obst seitens der Wirte und sonstigen Verkäufer zu der Überzeugung, daß die Pachtsumme in einem Mißverhältnis zum Konsum stehe, und daher wurde bei der Oberbehörde der Antrag auf Erhöhung jener Generalsumme aus der Verzehrungssteuer gestellt und angenommen. Die Folge davon war, daß der Pächter verhalten wurde, eine höhere Summe an das Finanzärar zu bezahlen. Das konnte und wollte jedoch der Pächter nicht; er trat von der Pachtung zurück, um sich mit den Steuerpflichtigen nicht zu sehr zu verfeinden, was bei schärferem Anziehen der Steuerschraube unvermeidlich erscheinen mußte.
Der Rücktritt des Pächters hatte die Folge, daß die Finanzverwaltung die erhöhte Verzehrungssteuer selbst erheben mußte, und zwar durch die Finanzwache für den Innendienst.
Dieser Modus der Einhebung hatte die Weinwirte in Aufregung gebracht, denn nun ist jeder Weinschenker gehalten, jedes Weinquantum, das im Umkreise einer halben Stunde von seinem Keller- und Schanklokale eingebracht wird, vor der Einkellerung anzumelden und beim Anzapfen jedes Weinfasses zu versteuern. Und über die Einkellerung, Versteuerung und Auskellerung bzw. Ausschank müssen Revisionsbogen geführt werden, deren Kontrollierung zu jeder Tages- und, wenn es nötig befunden, auch zur Nachtzeit der Finanzwache obliegt.
Diese Kontrolle ist für die Betroffenen ebenso lästig wie für die Organe der Finanzwache, doch für die genaue Erhebung der Verzehrungssteuer unerläßlich; sie rückt außerdem die Gefahr einer Aufdeckung von Steuerhinterziehungen nahe, da das Ausschanksquantum immer mit der Quantumsziffer des Faßinhaltes im Revisionsbogen stimmen muß, und eine Differenz schon eine Steuerhinterziehung bedeutet. Es ist sonach die Steuereinhebung in eigener Regie der Finanzverwaltung von einschneidender Wirkung, eingreifend in die Verhältnisse der Wirte und in den Weinverkauf im kleinen. Der neue Modus trat zum bestimmten Termin in Kraft und brachte eine völlige Umwälzung im Verzehrungssteuerwesen mit sich. Die Finanzwache für diesen Innendienst bekam Arbeit in Fülle, denn kontrolliert ein Finanzwachmann am Vormittag, muß ein zweiter am Nachmittag dessen Eintrag im Revisionsbogen und den Faßinhalt abermals revidieren. Der geringste Verdacht einer Absicht zur Steuerhinterziehung genügt, um auch noch eine dritte Kontrolle an einem Tage vorzunehmen.
Es läßt sich denken, wie die Steuerpflichtigen diese Umwälzung aufnahmen, aber Kontrolle muß der Ärar haben, es geht nicht anders.
Bei Wüsteler wirkte die amtliche Mitteilung der Regiesteuereinhebung geradezu niederschmetternd. Just ihm hatte das nur gefehlt, daß die Finanzer in seinem Keller aus- und eingehen, und daß die Gücksler Stammgäste werden.
Stundenlang saß er mit dem Nachbar Merkle in der Wohnstube oben zu Rate, und der Fall wurde nach allen Richtungen hin durchbesprochen, bis sie ein befriedigendes Resultat fanden, über welches strengstes Stillschweigen beiderseits gelobt wurde. Um die Zeit der Erhebung der Verzehrungssteuer im Regiewege kam Lergetbohrer von Buchs nach Bregenz zurück und wurde zu seiner Überraschung dem Innendienst zugeteilt. Diese Versetzung erfolgte gewissermaßen aus Gründen der Anerkennung, und der Kommissär erhofft sich von diesem tüchtigen Finanzer nun im Innendienst ähnliche Resultate, wie sie die Dienstleistung Antons in Buchs im Revisionsdienst ergeben hat.
Angenehm ist dieser neue Dienst so wenig wie Streifung zu Wasser und Land, und nur das Pflichtbewußtsein vermag über die Mißhelligkeiten hinwegzuhelfen.
Lergetbohrer beeilte sich, den ihm verbliebenen dienstfreien Tag zu einem Besuche im Hause Wüstelers auszunützen; es drängte Anton, die schöne Zenzi zu begrüßen und seinen Flock zu holen, der bisher in Pflege bei der stolzen Wirtstochter sich befand.
Wie das Hündchen, dem das Läufel inzwischen verheilt war, jubelnd den Gebieter begrüßte! Das gab einen Freudenspektakel, daß man den Lärm häuserweit hören mußte. Dementsprechend polterte Wüsteler, der Weinwirt, und verschwor sich, den Besucher samt seinem Hunde schleunigst an die Luft zu befördern, wasmaßen ein Finanzer das überflüssigste Menschenwesen im Hause sei.
Zenzele benahm sich kühl, abweisend. Fast schroff ersuchte das Mädchen, den Hund mitzunehmen, und kalt lehnte Zenzi jeden Dank ab.
Anton ist sich nicht bewußt, zu solchem Verhalten des Mädchens den geringsten Anlaß gegeben zu haben; erstaunt betrachtete er das schöne, dem Sinne nach gänzlich veränderte Mädchen, und bat dann, gleichfalls im kühlen Tone, um gefällige Bekanntgabe der Futterkosten für Flock.
Schrill lachte Zenzele auf, und höhnisch klangen die Worte: »Das lassen S' nur gut sein! Ein Finanzer braucht seine paar Kreuzer notwendig genug, um nicht selber zu verhungern!«
Eine Falte des Unmutes erschien auf Antons Stirn, und bitter erwiderte er: »Ich glaube, Ihnen zu solchen Worten keine Veranlassung gegeben zu haben. Immerhin danke ich herzlich für Kost und Pflege meines Hündchens! Ich habe die Ehre!« Damit entfernte er sich aus dem Hause Wüstelers, und munter sprang Flock voraus.
Erst nach einer Weile kam Anton der Gedanke, daß wohl die neue Steuerkontrolle durch die Finanzwache diesen Umschwung herbeigeführt haben dürfte. Aber deshalb brauchte doch Zenzi ihm nicht solche Verachtung zu zeigen. Der einzelne Mann ist doch völlig unschuldig und muß seine Pflicht erfüllen, wie es der strenge, unerbittliche Dienst fordert. Unwillkürlich mußte Anton denken, wie mißlich es für ihn sein würde, just bei Wüsteler die Kontrolle vornehmen zu müssen.
Schon der nächste Tag brachte den gefürchteten Dienstbefehl: Revision bei verschiedenen Wirten der Stadt, darunter auch bei Wüsteler. Anton erschrak und sann nach, wie er von der Kontrolle dieser Weinwirtschaft loskommen könnte. Es gibt keinen Ausweg; der Befehl muß befolgt werden, um Privatgefühle eines Wachmannes kümmert sich die Behörde nicht.
So mußte denn der Dienst begonnen werden. Anton revidierte zunächst bei den nähergelegenen Wirtschaften; dann traf Wüsteler die Reihenfolge, und das Unangenehme mußte getan werden.
Zögernd trat Lergetbohrer in das Haus und verlangte den Wirt zu sprechen. Durch die halb offenstehende Türe drangen die Stimmen der gewaltig über Finanz und Steuer schimpfenden Gäste, und Anton konnte deutlich die krähende Stimme des Kafetiers Merkle erkennen.
Lergetbohrer hat in diesem Augenblick nur den einen Wunsch, mit Zenzi jetzt nicht zusammenzutreffen, da er dienstlich bei der ihm selbst peinlichen Revision anwesend sein muß.
Endlich kam der Wirt, der höhnisch und verletzend frug: »Was wollen denn Sie hier?«
Streng dienstlich und gemessen forderte der Oberaufseher den Revisionsbogen sowie die Begleitung des Wirtes zur Kontrolle der Weinmengen in den angezapften Fässern. Wüsteler erkannte, daß Ausflüchte unnütz sind und seine Lage nur verschlechtern können. Er führte den unbequemen Kontrolleur in den Keller, zündete unten eine Kerze an und schritt nun von Faß zu Faß. Was bisher unversteuert und ungeöffnet ist, wurde versiegelt; die am Zapfen liegenden Fässer kontrollierte Anton auf die vorhandene Inhaltsmenge, indem er den Matievicschen Faßmesser (eine Art Meterstab) durch das obere Spundloch einführte und an demselben die Flüssigkeitsmenge ablas. Das Ergebnis wurde sogleich notiert und im Revisionsbogen eingetragen.
Wüsteler verhielt sich ruhig dabei, nur seine Augen verkündeten Haß. Als sämtliche am Zapfen liegende Fässer kontrolliert waren, gestattete der Wirt sich die Frage, wie denn die »Schererei« weitergehen solle.
Die dienstliche Antwort lautete kühl: »Wenn Sie Wein in Ihren Keller bringen, muß die neue Einfuhr vorher bei uns angemeldet werden. Jedes Anzapfen eines frischen Fasses muß ebenfalls angemeldet und der Faßinhalt versteuert werden.«
Zornig rief Wüsteler: »Da bring' ich ja die Finanz gar nimmer aus dem Keller!«
Anton zuckte die Achseln und erwiderte: »Die Kontrolle über den Weinausschank ist meine Pflicht! Ihre Wirtschaft in Bezug auf Weinabgabe zu überwachen, bin ich beauftragt! Ich warne Sie vor Steuerhinterziehung und deren schwere Folgen, wie vor jeder Berufsbeleidigung! Erschweren Sie mir mein Amt nicht, das ohnehin schwer genug ist!«
Wüsteler knurrte etwas Unverständliches und schritt in der Meinung, daß die Revision nun beendet sei, durch den Keller. In der Schenke mußte der Wirt den Revisionsbogen zur Bestätigung der von Lergetbohrer eingetragenen Befundziffern unterschreiben. Der Bogen verblieb sodann im Besitze des Wirtes.
Lergetbohrer entfernte sich hierauf. Der Wirt aber rief Seppl, den Schenkburschen, und hielt geheime Zwiesprache mit demselben.
Anton war nun für einige Stunden dienstfrei und nahm, in seiner kleinen Behausung angekommen, Flock, den gelehrigen Rattler, vor, um ihm wieder einmal Unterricht zu erteilen. Ist Flocks Nase auf Tabakgeruch geschärft, soll sie jetzt das Kaffeearoma kennen und unterscheiden lernen. Flock beschnupperte die Bohnen wohl und blickte mit den klugen Lichtern seinen Herrn an. Die Nachsuche wollte jedoch nicht recht von statten gehen. Anton versuchte es mit gebranntem Kaffee, und solchen fand Flock rasch in den Verstecken. Doch der Gebieter ließ nicht nach, der Hund mußte immer wieder ungebrannte Bohnen suchen, und um Flock um so sicherer an den allerdings schwachen Geruch ungebrannten Kaffees zu gewöhnen, verstreute Anton solche Bohnen in des Hundes Lagerdecke. Dann trat Lergetbohrer wieder seinen nichts weniger denn angenehmen Dienst an, indem er andere, in seinem Rayon gelegene Wirtschaften auf die steuerpflichtigen Weinvorräte kontrollierte.
Überall böse Gesichter, Ärger und Verdruß, spitze Redensarten.
Schon ging es dem Abend zu; Anton kam in die Nähe der Wirtschaft Wüstelers, die überfüllt war von Gästen. Die Dampfschiffe und Eisenbahnzüge mochten wohl viele Reisende gebracht haben, Touristen labten sich im Garten, und auch die Bürger hatten sich zum Dämmerschoppen eingefunden.
Zenzele amtierte mit zwei Aushilfskellnerinnen eifrig, das Geschäft ging flott. Die Weinwirtschaft ist eine Goldgrube, und wer Wüstelers Tochter einmal freien wird, der ist ein gemachter Mann.
Lergetbohrer stand in der Nähe des Schankgartens und überblickte das rege Getriebe. Was da Wein herbeigeschleppt wird, ist erstaunlich.
Der Befehl lautet, eine zweite Revision der am Zapfen liegenden Fässer bei Wüsteler vorzunehmen. Mit Zenzele zusammenzutreffen, mag unangenehm sein, der Dienst darf keine Rücksicht kennen. Kurz entschlossen begibt sich Anton, der den Faßmesser jetzt ständig bei sich führt, abermals in die Schenke, wo Wüsteler selbst die Flaschen aus den Weinkrügen füllt. Ein Kernfluch entfuhr seinen Lippen beim Erscheinen des Finanzers, und giftig schrie er, was denn der Oberaufseher schon wieder wolle.
»Faßkontrolle vornehmen! Bitte, gehen Sie mit!«
»Der Teufel soll mit Ihnen gehen! Ich habe keine Zeit!«
»Sie oder eine von Ihnen bezeichnete Vertrauensperson muß der Kontrolle beiwohnen!«
Wüsteler zeigte sich jetzt gedrückt, fast kleinlaut übergab er den Revisionsbogen, Schlüssel und Licht und rief Zenzi herbei zur Begleitung des Finanzers.
Das Mädchen guckte wohl groß, ging aber bereitwillig mit und leuchtete mit der Kerze zur Kontrollarbeit, ohne vorerst zu sprechen.
Anton begann die Revision gleich beim ersten, dem Kellerfenster am nächsten liegenden Faß und führte den Messer ein, welcher zu Lergetbohrers größter Überraschung jetzt einen größeren Inhalt anzeigte, als sich bei der vormittägigen Revision ergeben hatte. Waren früher achtundsechzig Liter in diesem Faß, so zeigte der Messer jetzt am Abend dreiundneunzig Liter an. Und dabei ist doch den ganzen Tag über dem Faß viel Wein entnommen worden!
Erregt über diese Entdeckung kontrolliert Anton die übrigen Fässer. Was am Zapfen liegt, hat durchgängig mehr Inhalt als heute früh. Intakt sind nur die versiegelten Fässer geblieben.
Zitternd steht Anton im Keller; die Erkenntnis, daß Wüsteler unlauter manipuliert, auf geheime Weise seine Fässer auffüllt, um der Versteuerung zu entgehen, wirkt erschreckend auf den Finanzer. Zeigt er diesen Vorgang pflichtgemäß an, so wird Wüsteler in die größten Unanehmlichkeiten verwickelt werden. Und was wird Zenzele sagen? Wird Anton nicht als gemeiner Denunziant erscheinen? Ist aber eine solche Anzeige des Betruges nicht beschworene Dienstpflicht?
»Heiliger Gott! Was tue ich nur?« murmelte Anton und begann, die Kontrollziffern in den Bogen einzuschreiben. Seine Erregung ist der Wirtstochter nicht entgangen; Zenzi trat näher und frug teilnahmsvoll, was denn dem Herrn Oberaufseher fehle.
»Nichts, nichts!« stammelte Anton und reichte ihr zitternd den Revisionsbogen zur Unterschrift.
»Muß das sein?« lachte schelmisch das herrliche Geschöpf. »Wenn ich da nur nicht mein Todesurteil unterschreibe?!«
Anton empfand Herzklopfen beim Anblick des schönen Mädels, und der Revisionsbogen zitterte in seiner Hand. Mit den Ziffern und der Unterschrift Zenzis wird dieses Papier eine flammende Anklage gegen Wüsteler sein; der Betrug, die Steuerhinterziehung liegen offenkundig zutage.
Zenzele kritzelte ihren Namen ein.
Anton steht bleich neben ihr. Hat das Mädchen eine Ahnung von dem verübten Betrug oder nicht?
Zenzi erklärte, nun wieder in den Garten und die Gäste bedienen zu müssen. Zum Abschied sagte sie: »Adjes, Herr Lergetbohrer! Wie geht's dem lieben Flock? Bringen Sie ihn mir doch recht bald wieder!« Dann eilte das Mädchen die Kellertreppe hinauf und wirbelte mit den Weinflaschen hinaus in den Garten.
Heiß überlief es Anton. Wie süß und lieb haben diese wenigen Worte geklungen! Oder war es Täuschung? Vor kurzem so schroff und abweisend, heute die Liebenswürdigkeit selbst und eine überaus freundliche Einladung! Wer kann aus diesem Geschöpf klug werden!
Nachdem Lergetbohrer Schlüssel und Leuchter und den Revisionsbogen abgegeben, schritt er schier taumelnd durch den Flur ins Freie.
Ein Glück nur, daß ihm jetzt nicht der Kommissär begegnet und Rapport verlangt. Anton möchte am liebsten stöhnen. Wie im Traum trollt er in die Kaserne, um in der Einsamkeit seines Stübchens nach Ruhe zu ringen, den rechten Entschluß für seine Amtshandlung zu erkämpfen. Und als er endlich müde die Augen schloß und in Schlaf fiel, da führten die Ziffern achtundsechzig und dreiundneunzig einen wirbelnden Tanz im Traume auf.