Arthur Achleitner
Der Finanzer
Arthur Achleitner

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III.

Die Meldung zum Dienst im Bahnhofe Buchs hatte Lergetbohrer ordnungsgemäß erstattet und darauf vom dortigen Kommissär die Weisung erhalten, in besonderem Maße die vollste Aufmerksamkeit auf den schwungvoll betriebenen Zigarrenschmuggel aus der Schweiz zu verwenden. Daß geschwärzt werde, unterliege keinem Zweifel, nur sei es bisher nicht gelungen, jemanden trotz schärfster Kontrollierung abzufassen. Von Wien sei ein Erlaß gekommen, besonders in Buchs scharf aufzupassen, denn es würden in der Reichshauptstadt auffällig viele Schweizer Zigarren vertrieben, die mutmaßlich über Buchs nach Oesterreich eingegangen sein dürften. Begreiflicherweise wirkte solcher Wink von oben in Buchs aufregend, und die Vorgesetzten schärften das strengste Vorgehen ein.

Anton hatte schweigend zugehört; die Unterweisung ist wertvoll, doch glaubt der Oberaufseher nicht, daß Reisende den ob der enormen Strafhöhe gefährlichen Zigarrenschmuggel betätigen, wenngleich Anton zur Stunde nicht sagen kann, wer solchen Schmuggel, und zwar im großen betreibt.

Nach der Entlassung vom Kommissär wurde Lergetbohrer in den Dienstturnus eingereiht, der infolge der Erkrankung zweier Revisionsaufseher begreiflicherweise anstrengend sein muß. Jede zweite Nacht trifft Anton der Nachtdienst im Bahnhofe, und auch tagsüber ist viel Dienst zu machen.

Lergetbohrer benützte den nächsten dienstfreien Tag zu einem Orientierungsgang in das Städtchen. Viel ist ja nicht zu sehen, ein kleiner Ort wie andere auch, doch belebt durch den Grenzverkehr. Beim Anblick der Zigarren- und Tabakhandlungen, die im Gegensatze zu österreichischen Verhältnissen meist mit Spezerei- und sonstigen Handlungsgeschäften verbunden sind, gedachte Anton unwillkürlich der Weisung, im Zolldienst auf den Zigarrenschmuggel besonders zu achten; doch mußte der Oberaufseher lächeln bei dem sich aufdrängenden Gedanken. So dumm wird ja doch wohl kein Mensch sein, am hellen Tage hier Zigarren kistchenweise einzukaufen und zur Bahn zu bringen. Vollzieht sich der Schmuggel jedoch im Landwege, so hat das die Zöllner im Bahnhofe nichts zu kümmern.

Behaglich des freien Tages sich freuend, schlendert Anton durch die Gasse und gönnt sich in einem Brauhause einen Trunk Schweizer Bieres. Der Zufall gibt anregende Unterhaltung mit Buchser Bürgern, aus dem einen Glase wurden mehrere, die Stunden schwinden. Ein niedergehender Platzregen vereitelte die Heimkehr; man muß warten, und so wird es Abend, als Lergetbohrer durch die Dämmerung und den feinrieselnden Regen den Weg zum Bahnhofe antrat.

Wie Anton abermals an einem Tabakgeschäft vorüberkommt, verläßt ein Mann den Laden, umhüllt von einem Mantel. Vorsichtig blickt der Mann um sich und schlägt die Richtung zum Bahnhof ein. Das scheue Gebaren und die Stellung der Arme unter dem Mantel erregen die Aufmerksamkeit Lergetbohrers. So hält man die Arme nur, wenn selbe irgendwelche Last zu umfangen und zu tragen haben.

Unauffällig folgt Anton jener Gestalt, die indes nicht in den Bahnhof eintritt, sondern seitlich des Gebäudes die Schienen überquert und vor einem österreichischen Bahnpostwagen anhält. Um eine Hand frei zu bekommen, legt der Mann eine Anzahl Pakete auf das Laufbrett, öffnet rasch die Türe, gibt den Ballast hinein und verschwindet dann selbst im Dienstwagen.

Überrascht steht der Oberaufseher hinter einem in der Nähe befindlichen Güterwagen und luegt vorsichtig aus. Wenn da nicht ein postalischer Schmuggel inszeniert wird, dann versteht Anton vom Finanzdienst nicht das mindeste.

Doch zum Einschreiten ist es zu früh. Einstweilen kann der Mann, welcher ein Ambulanzbeamter zu sein scheint, Waren im Bahnpostwagen aufstapeln, so viel er will. Wird aber der zusammengestellte Zug morgen vor Abfahrt revidiert, dann haben die Waren großes Interesse für die Zöllner.

Lergetbohrer braucht nicht lange zu warten; der Mann kommt wieder aus dem Wagen und begibt sich, jetzt erheblich schlanker an Gestalt, abermals zur Stadt zurück.

Eine weitere Beobachtung hält der Oberaufseher für unnötig; auch ruft ihn der in einer halben Stunde beginnende Nachtdienst zu Amt. Birgt der Bahnpostwagen Konterbande, wird sich das ja morgen vor Abgang des Zuges nach Innsbruck zeigen.

An nächsten Tage hatte Anton turnusgemäß den Mittagsschnellzug nach Innsbruck-Wien zu revidieren, und dieser Dienstarbeit sah er mit großer Spannung entgegen.

Der Zug von Paris-Zürich lief mit kleiner Verspätung ein, und alsbald entwickelte sich der übliche Rummel, der diesmal dadurch gesteigert wurde, daß zahlreiche Russen ankamen, die von Zollrevision ihres Gepäck nichts wissen wollten und sich nur schwer begreiflich machen ließen, daß ohne Revision das Gepäck nicht durchgelassen werde.

Anton stand am Zug und wartete auf den diensttuenden Assistenten zur Kontrolle des Bahnpostwagens. Der schweizerische Bahnpostwagen war schon abgekuppelt und weggefahren worden; eben schob die Maschine den österreichischen sogenannten Ambulanzwaggon heran, aus dessen einem Fenster der Beamte heraussah. Die Eisenpuffer erklangen hell, ein kurzes Rütteln, der Bahnpostwagen wird angekoppelt, die Zugleine gezogen, worauf die Dampfpfeife gellend ertönt. Es folgt die Probe der Vakuumbremse; der Eisenbahnbeamte vom Dienst überprüft die Ausfahrtswechsel, das Zugschlußsignal und überreicht dem Zugführer den Fahrbericht. Drinnen in der Halle ist zum größten Teile die Revision beendet, die Reisenden stürmen heran und nehmen die Plätze wieder ein. Ein Hasten und Jagen, Lärmen, wie es bei Schnellzügen nun mal üblich und nicht zu vermeiden ist.

Das erste Zeichen zur Abfahrt ist gegeben, der Portier mahnt die Nachzügler zum Einsteigen. Lergetbohrer hat sich vor dem österreichischen Bahnpostwagen aufgestellt, und kaum ist der Postbeamte seiner ansichtig geworden, beginnt er, der bisher gemächlich vom Fenster aus das Getriebe betrachtet hatte, mit großer Hast Briefe zu sortieren, und gebärdete sich, als sei er enorm mit dringender Arbeit überlastet.

Dies ist Anton nicht entgangen; mit einer gewissen Sehnsucht erwartet er den Assistenten und den Befehl zur Durchsuchung. Schon taucht der schweizerische Bahninspektor auf, der als gewissermaßen Hausherr der Abfahrt des österreichischen Zuges beizuwohnen pflegt, und sein Erscheinen ist immer das Signal, daß zur Abfahrt nur noch wenige Minuten fehlen.

Anton ist's, als stehe er auf glühendem Eisen, er brennt vor Ungeduld. Endlich springt der Zollassistent Ribler herbei und fragt Lergetbohrer, ob alles revidiert sei im Zuge.

»Der Bahnpostwagen ist noch nicht revidiert!«

»Also flink hinein!«

Mit einem Satz schwingt sich Anton in den Wagen und richtet an den wie toll mit den Briefen herumwerfenden Postbeamten die scharfklingende Frage: »Haben Sie Zigarren mit?«

Nervös antwortet der Postbeamte: »Nein! Was glauben Sie denn? Sie sehen, daß ich vollauf beschäftigt bin! Ich habe keine Zeit zum Schwärzen!«

An der offenen Türe erscheint der ungeduldige Assistent und ruft herein: »Sind Sie fertig, Lergetbohrer?«

»Nein, Herr Assistent! Ich will eben die Untersuchung des Wagens vornehmen!«

»Dann rasch vorwärts! Wir haben nur noch eine Minute!«

Flink und gewandt durchsucht Anton den Wagen, fordert die Öffnung aller Behältnisse und guckt hinein. Die Postbeutel werden in die Höhe gehoben, nichts liegt unter denselben. Alles, selbst die Toilette wird besichtigt. Nichts zu finden.

Assistent Ribler drängt auf Abfertigung. Anton wird nun auch erregt, weiß er doch bestimmt, daß der Wagen Konterbande birgt. Wo aber ist diese verborgen?

Draußen rufen die Kondukteure das »Fertig!« Der Abfertigungsbeamte läuft zum Zollassistenten und fragt: »Ist Zollamt fertig? Ich muß abfahren lassen!«

Der Assistent schreit in den Wagen: »Zum Teufel, Lergetbohrer, machen Sie, daß Sie 'rauskommen! Der Zug fährt ab!«

Jetzt schien der Posterer sich sicher zu fühlen; frech äußerte er: »Was wollen S' denn noch?«

Wütend rief nun Anton: »Geben Sie die Zigarren heraus! Gutwillig!«

»Ich habe keine Zigarren!«

»Heraus damit! Sie haben die Zigarren gestern abend halb neun Uhr selbst in den Wagen getragen!«

»Ich?« stotterte bestürzt werdend der Postbeamte.

Unterdessen war auch der schweizerische Inspektor zum Postwagen gekommen und rief ungehalten: »Was hent Ihr? Ab das Zügle!«

Und auch der Zollassistent forderte Schluß der Revision.

Lergetbohrer schwitzte vor Aufregung, trat an die Tür und meldete: »Herr Assistent! Bitte, lassen Sie diesen Postwagen abkuppeln und den Mann da verhaften!«

»Haben Sie Konterbande gefunden?«

»Noch nicht! Aber der Wagen hat Konterbande, ich weiß es bestimmt!«

»Sind Sie toll? Ich kann die Verspätung des Zuges und die Zurückhaltung der Post nicht verantworten!«

»Dann übernehme ich alle und jede Verantwortung bei Gefahr der Dienstentlassung!«

»Zum Kuckuck! Was wissen Sie, Lergetbohrer?«

Mit fliegendem Atem meldete Anton seine gestrige Beobachtung, und nun wendete sich das Blatt. Kategorisch und so laut, daß es auch der Fahrpostbeamte hören mußte, forderte der Zollassistent vom Jourbeamten sofortige Abkuppelung des Postwagens.

Alles schrie vor Überraschung.

Scharf befahl Ribler kraft seines Amtes: »Der Bahnpostwagen bleibt hier, wird plombiert. Polizei her, der Fahrpostbeamte wird verhaftet!«

»Abkuppeln!« schrien der schweizerische Inspektor sowie der österreichische Jourbeamte, und behende sprangen Arbeiter heran, diese Arbeit flink zu verrichten. Bleich bis in die Lippen stand der Ambulanzer, den Lergetbohrer zum letztenmal aufforderte, die geschmuggelten Zigarren herauszugeben.

»Ausg'hängt!« schrien die Arbeiter; der Wagen ist abgekuppelt.

Zitternd riß der Ambulanzer jetzt den Sortiertisch von der Wand und die gegen dieselbe gerichteten Schubladen auf, in welchen die Zigarrenkistchen lagen.

»Ha!« rief triumphierend Anton und packte die nun doch erwischte Konterbande.

Verzweiflungsvoll gebärdete sich der Ambulanzer und flehte händeringend um Barmherzigkeit. »Machen Sie mich im Dienst nicht unmöglich!«

Lergetbohrer reichte die gesamte Konterbande heraus, vier Kistchen Prisagozigarren, die der Zollassistent sofort ins Amtszimmer tragen und wiegen ließ.

Inzwischen wurde der Postwagen wieder angekuppelt. Voll der höchsten Neugierde betrachteten die Reisenden aus den Waggonfenstern den ungewöhnlichen Vorgang, der solche abnorme Verspätung verursacht.

Der Ambulanzer mußte mit in die Kanzlei, wo ein Protokoll aufgenommen wurde.

Das ermittelte Gewicht ergab 3,8 Kilo Zigarren. Rasch ward gerechnet: Bei einem Zoll von ö.W. fl. 52,50 pro 100 Kilo geben 3,8 Kilo aufgerundet fl. 2,–, hierzu Lizenzgebühr für Einfuhrerlaubnis mit fl.11,– pro 1 Kilo fl. 41,80, in Summa fl. 43,80. Laut Gesetz kommt dazu die fünffache Strafe für die Zollgebührhinterziehung, macht zusammen ö.W. fl. 219,–.

Der Ambulanzer fiel schier in Ohnmacht bei dieser für seine Verhältnisse entsetzlichen Ankündigung. Vier Monatsgagen sind verloren.

»Das Geld haben Sie wahrscheinlich nicht bei sich!« meinte der Assistent. »Wir lassen Sie nach Unterzeichnung des Protokolls abfahren. Das Weitere wird die Untersuchung ergeben.«

Zitternd unterschrieb der schier gebrochene Fahrpostbeamte das Protokoll und wankte hinaus in seinen Dienstwagen.

»Gute Reise!« wünschte der Assistent, der nun mit schallender Stimme am Zuge verkündete: »Zollamt fertig!«

»Abfahrt!«

Ein Pfiff und der Schnellzug rollte mit zweiunddreißig Minuten Verspätung aus dem Buchser Bahnhof.

So ward ein Hauptzigarrenschmuggler abgefaßt. Und dieser geglückte Fang hatte zur Folge, daß tagtäglich die Tische der Postwagen untersucht wurden. Es fiel aber nur noch ein einziger Ambulanzer herein. Die anderen waren gewarnt und ließen die Finger von dem gefährlichen Schmuggel.

Doch verging kaum eine Woche, kam von Wien wieder ein Wink, daß trotz alledem immer noch Zigarren und Seidenwaren eingeschmuggelt würden, daher besonders in Buchs die größte Wachsamkeit betätigt werden solle.

Es war nun naheliegend, daß Lergetbohrer ersucht wurde, der verzwickten Angelegenheit in specie nachzuforschen, zu welchem Zweck er vom Bahnrevisionsdienst entbunden wurde und die Erlaubnis erhielt, in Zivil seinen Dienst ohne behördliche Kontrolle zu versehen.

Das ist nun auch zweifellos ein ehrenvoller Auftrag, aber ein ebenso heikler, denn es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, wo die Nachforschungen einzusetzen hätten.

Lergetbohrer beschloß, sein Äußeres etwas zu verändern und opferte den Schnurrbart, den er sich im Städtchen abnehmen ließ. Vor dem Spiegel im Friseurladen stehend, mußte Anton lächeln über den eigenen Anblick und die Verwandlung. Nützt selbe nichts, dann ist es wirklich schade um das gebrachte Opfer.

Wo nun beginnen?

Die österreichischen Kondukteure wurden scharf überwacht und Stichproben insofern vorgenommen, daß ihre Ledertaschen bei Dienstantritt untersucht wurden. Das Resultat blieb null wie bei den Wagenbremsern.

Einige Zeit überwachte Lergetbohrer unauffällig in Zivil auch die Wagenputzer bei ihrer Tätigkeit und untersuchte nach deren Arbeitsvollendung mit Zustimmung der Bahnverwaltung jedes Coupé auf das sorgfältigste. Von Tabak und Zigarren wurde nicht das geringste gefunden, dafür aber Kaffeebohnen, die sich in den Polstersitzen, vorwiegend in den Coupés erster Klasse, befanden.

Das ist eine hübsche, überraschende Entdeckung, welcher nachzugehen Anton in der nächsten Zeit beschloß.

Nachdem nun Postbeamte, Kondukteure, Bremser und Wagenputzer nicht schwärzen, wer vom Eisenbahndienst könnte des Schmuggelns verdächtig sein? Bleibt nur noch das Maschinenpersonal übrig, sofern überhaupt auf der Eisenbahn und von Eisenbahnern geschmuggelt wird.

Schon am gleichen Tage, da Anton auf diesen Gedanken gekommen, umschlich er die zur Abfahrt nach Österreich bereitstehenden Lokomotiven und gewahrte, daß merkwürdigerweise die Finanzwachaufseher an den Lokomotiven völlig achtlos vorübergehen und die Zugrevision stets erst vom Dienstwagen an beginnen. Bei solch obwaltenden Verhältnissen lag es nahe, das Verhalten des Maschinenpersonals zu überwachen. Doch so oft und scharf Lergetbohrer in harmlosester Weise die Leute auf den Lokomotiven beobachtete, es fand sich nicht der leiseste Anlaß zu einem Verdacht, oder die Maschinisten und Heizer fühlen sich sicher. Daß etwaige Konterbande nur im Tender, und zwar unter den Kohlen versteckt sein könne, davon war Anton überzeugt. Er meldete sich beim Kommissär und bat um Order, speziell und mit Legitimation in Zivil Stichproben vornehmen zu dürfen.

Der Kommissär schien aber eher geneigt, jeden Tender eine Zeitlang durchsuchen zu lassen.

Anton gab zu bedenken, daß schon die Untersuchung der Kohlen an einem Tage genügen werde, die etwaigen Schmuggler für immer zu warnen, und dann werde eben nichts abgefaßt, soferne die ersten Untersuchungen kein Ergebnis haben sollen.

»Was ist dann Ihr Plan?« frug der Kommissär. »Ich möchte mit Ihrer Erlaubnis und mit Genehmigung der Bahnverwaltung des öfteren in Zivil in Postzügen mitfahren und beobachten. Vielleicht ergibt sich in Feldkirch ein Resultat!«

»Der Plan gefallt mir!« sagte der Kommissär und erwirkte für den findigen Oberaufseher einen Freifahrtschein zu Dienstreisen. Wenige Tage später vollführte Anton seinen Plan mit kecker Zuversicht. Er verlegte sich zunächst auf das Spähen während der Zugsaufenthalte und überwachte das Personal in Feldkirch, wo die Maschinisten und Maschinen wechseln, da die direkten Wagen Zürich-Buchs-Wien in Feldkirch auf den von Bregenz gekommenen Schnellzug geschoben werden.

So war Lergetbohrer eines Tages mit dem Vormittagspersonenzug nach Feldkirch gefahren, und sofort nach Verlassen des Wagens schlenderte der Finanzer in Zivil dem Heizhause zu, wohin die Maschine nach erfolgter Abkuppelung fuhr. Unbemerkt schlich er näher und hielt sich versteckt. Es ist auffallend, daß trotz Außerdienststellung der Lokomotive der Führer wie der Heizer sich so viel zu schaffen machen. Die Maschine faßt ersichtlich keine Kohlen, und dennoch dringt ein Geräusch zu Anton herüber, wie wenn Kohlen geschaufelt würden.

Ohne Assistenz kann der Finanzer nicht dienstlich vorgehen; zudem erschwert seine Zivilkleidung ein Anhalten der verdächtigen Personen. Wo aber schnell einen Kollegen finden?

Auf die Gefahr hin, daß den Schmugglern das Werk gelingt, verläßt Lergetbohrer sein Versteck und läuft quer über die Schienen dem Bahnhofe zu. Bedienstete wollen den Zivilisten wegen verbotenen Überschreitens der Geleise anhalten; sie springen dem vermeintlich frechen Frevler nach. Der Lärm lockt Stationsbeamte aus den Kanzleien; Anton wird aufgehalten und ruft erregt: »Ich bin im Dienst! Bitte mich nicht aufzuhalten! Es ist Gefahr im Verzug!«

Man holt den Stationsvorstand, der auf Legitimation besteht. Ein Finanzer in Zivil und doch im Dienst, solches Novum ist dem Eisenbahner fremd; doch die Legitimation scheint unanfechtbar zu sein.

Lergetbohrer drängt, er muß Assistenz holen, es gilt höchste Eile. Unbemerkt hatte sich der Gruppe ein Herr in Zivilkleidung genähert, der sich für den Fall zu interessieren schien. Kaum hörte er, daß Lergetbohrer Finanzwachoberaufseher und im Dienst sei, Assistenz brauche und auf sofortiger Freilassung bestehe, da stellte sich der Herr dem Stationsvorstand als Finanzwache-Bezirksleiter aus Feldkirch vor und bat zugleich, den Sistierten sofort freizugeben. Dies geschah nun augenblicklich. Lergetbohrer mußte mit dem Herrn zur Seite treten und rapportieren.

Wenige Minuten später näherten sich beide dem Heizhause, aus welchem der Heizer eben trat mit einem Ballen auf dem Rücken. Ahnungslos wollte er an den Zivilisten vorbeigehen. Doch der Bezirksleiter stellte den Mann und erklärte ihn für verhaftet.

Nach kurzem Wortwechsel wollte der Heizer den Sack abwerfen und flüchten, doch Lergetbohrer griff rechtzeitig ein. Der Fang ist doch noch, allerdings durch den Glücksfall der Anwesenheit eines Vorgesetzten, gelungen. Der Heizer gestand auf Vorhalt, daß der Ballen Konterbande enthalte, und bat flehentlich um Schonung seiner Existenz. Um die Folgen eines Schmuggels haben sich die Finanzer aber nicht zu kümmern; der Mann mußte den Ballen wieder auf die Schulter nehmen und zur Finanzwachkaserne tragen, wo sich ergab, daß die Konterbande aus kostbaren Seidenstoffen besteht. Nun nahm der Dienst seinen vorgeschriebenen Lauf. Sowohl der Heizer wie auch der Lokomotivführer, letzterer wegen Beihilfe zum Schleichhandel, wurden der Gendarmerie übergeben und Untersuchung eingeleitet.

Der Fall gab Veranlassung zur Durchsuchung der Maschinen und Kohlenvorräte sowohl bei Abfahrt in Buchs, wie bei Ankunft in Feldkirch, und es glückte noch einige Male, Schmugglerwaren aufzugreifen. Natürlich zeterte die Betriebsverwaltung über Zugverspätungen und Entziehung von Maschinenpersonal, welch letztere die Verwaltung zwang, rasche Aushilfe von größeren Stationen kommen zu lassen; doch die Finanzwache vollzog unbeirrt ihren Dienst; dem Schleichhandel ward aber nun auch beim Maschinenpersonal ein Ende gesetzt; die Leute hüteten sich, Konterbande zu übernehmen.

Lergetbohrer fand die volle Anerkennung seines vorgesetzten Buchser Kommissärs und ward dann wieder dem gewöhnlichen Revisionsdienst, der in Uniform zu betätigen ist, zugeteilt.

Dieser Revisionsdienst im Bahnhofe ist nun allerdings nicht so strapaziös wie der Patrouillendienst, bei welchem die Finanzer allen Witterungsunbilden ausgesetzt sind; doch heißt es, im Bahnhofe zu allen von der Schweiz kommenden Zügen anwesend sein, und just dieses »Herhängen«, dieses »Angehängtsein« durch viele Stunden ist anstrengend. Der Rummel bei Zugsankunft bleibt immer gleich, die Revisionsaufseher sind da die fest und ruhig stehenden Felsen, um welche das erregte Bahnhofsleben brandet. Höflich, doch bestimmt wird die oft beiden Teilen, sicher aber dem nervösen Publikum lästige Revision vorgenommen. Da weigert sich einer, den Koffer zu öffnen; ein zweiter will die Effekten nicht persönlich herausnehmen; ein dritter versichert auf Ehrenwort, nichts Zollbares mitzuführen, und gebärdet sich aber so auffallend, daß auf der Effektendurchsuchung erst recht bestanden werden muß. Wird Zollpflichtiges gefunden, so verweist das Revisionsorgan den Reisenden samt den pflichtigen Effekten ins Zollbureau, und die weitere Amtshandlung ist Sache des diensthabenden Zollassistenten. Gefügig macht den Widerspenstigen die kühle Mitteilung, daß bei Verweigerung der Revision die Koffer in Buchs zurückbleiben. Drängt die Zeit und bleibt ein Reisender renitent, so wird ihm die Adresse abverlangt und eröffnet, daß sein Gepäck unter Zollverschluß an den Bestimmungsort abgehen und dort zollamtlich behandelt werden wird.

Lergetbohrer sollte in den nächsten Tagen Gelegenheit finden, neue Studien im Verkehr mit dem Publikum zu machen, zumal von Seite der Zollbehörde erneut eingeschärft wurde, dem Seidenschmuggel energisch zu steuern, welcher gewerbsmäßig von Wiener Firmen betrieben zu werden schien. Wie besessen wehrten sich namentlich Damen gegen die Zumutung, die Reisekoffer auf Seide durchsuchen zu lassen; allein es nützte alle Weigerung nichts, und die Reisenden hatten alle Ursache, der Kulanz der österreichischen Zöllner zu danken, welche sich mit der einfachen Versteuerung ohne Strafzusatz begnügte.

An einem Tage gab die Revision zum Schnellzug so viel Arbeit, daß das Personal erleichtert aufatmete, als der Eilzug abdampfte. Einige Stunden blieben dann dienstfrei, bis die Abendzüge wieder Arbeit brachten. Den Schluß bildet der gegen elf Uhr nachts in Buchs eintreffende Personenzug mit Anschluß nach Innsbruck-Wien, ein »Kriecher« im Vergleich zu den Expreßzügen, der denn auch höchst selten, nahezu niemals von vornehmen oder pressanten Reisenden benutzt wird. Das wissen die Zöllner wie die Eisenbahner; auch Lergetbohrer erfuhr das, bevor noch der »Bummelzug« in den Bahnhof polterte. Indes, Dienst bleibt Dienst, und so trat denn Anton an, und bald darauf fand sich der Zollassistent Ribler an der Barriere ein, an welche eine verblüffend große Anzahl Reisekoffer schwersten Kalibers von den Trägern geschleppt wurde. Anton zählte nicht weniger denn dreizehn Kolli und frug den Assistenten, ob irgendwelches Aviso eingelaufen sei.

»Ich weiß gar nichts!« erwiderte Ribler, ein schmächtiger, junger Mann mit klugen Augen, und begab sich zu dem älteren Herrn und einer distinguierten, gleichfalls bejahrten Dame, die beide diese Koffer überzählten. Die Rechte an das Dienstkäppi legend, grüßte der Assistent höflich und frug: »Haben die Herrschaften etwas Zollpflichtiges in diesen Koffern?«

Barsch erwiderte der Herr: »Unsinn! Wir führen nur getragene Kleider mit!«

»Ich bitte um Öffnung!« sagte Ribler und bezeichnete zwei Koffer, welche zur Stichprobe geöffnet werden sollten. »Lächerlich!« knurrte der Herr, schloß aber die bezeichneten Koffer auf.

Sowohl Ribler wie der Oberaufseher waren überrascht, denn trotz der trüben Ölbeleuchtung in der Halle waren sorgfältig verpackte, kostbare Seidenroben zu erkennen. Dem Assistenten entfuhr der Ausruf: »Das sollen getragene Kleider sein?« Und blitzschnell erinnerte sich Ribler des von Wiener Konfektionsfirmen gewerbsmäßig betriebenen Schleichhandels in Seidenroben.

»Jawohl!« lautete die Antwort.

Wieder beschaute der Assistent den kostbaren Inhalt dieser Koffer, und die weitere Frage lautet: »Enthalten die übrigen Kolli gleichfalls solche Stoffe und Kleider?«

»Ja!«

Der Assistent war einen Moment unschlüssig. Der Fall ist nicht geheuer, zum mindesten zweifelhaft, sofern dieses enorme Reisegepäck nicht einer hohen Herrschaft gehört. Um nun sicher und doch schonend gegen die nervöse Partei vorzugehen, zugleich nach den bestehenden Vorschriften handelnd, frug Ribler höflich: »Darf ich mir erlauben, Sie um Ihren werten Namen zu bitten?«

Die Erwiderung lautete erregt und abweisend. »Ich bin Reisender, und als solcher kann ich mitführen, was ich will!«

»Verzeihen der Herr! Es handelt sich lediglich um die Frage, ob diese ersichtlich kostbaren Effekten auch dem Stande, der Person und den Verhältnissen des Reisenden angemessen sind! Auf Grund meiner Dienstvorschriften muß ich fragen und bitte um gefällige Angabe des Namens und Berufes!«

Zornig und verletzend lautete die Erwiderung: »Ich wohne in Wien, Schottenring Nr. 12, dort können Sie sich erkundigen, wer wir sind!«

Lergetbohrer war nun überzeugt, daß ein Schleichhandelsversuch vorliege; der Assistent befand sich in einer engen Klemme. Nichts deutet auf vornehme Abkunft der Reisenden, die Koffer sind keineswegs auffallend, etwa mit einer Fürstenkrone oder dergleichen signiert, es fehlt die sonst bei hohen Herrschaften übliche Dienerschaft; die Kleidung des Paares ist allerdings elegant, aber Berufsschmuggler sind ebenso gekleidet und pflegen erster Klasse zu fahren. Ein böser Fall! Ribler erklärte die Antwort ungenügend und bestand auf Legitimation, sofern das Gepäck mit dem Nachtpersonenzuge mitgehen solle.

Jetzt war die Geduld des Reisenden erschöpft; erregt donnerte er über diese Schikanen an der österreichischen Grenze, die nirgends auf der Welt, selbst in Amerika, Australien und Afrika nicht vorkommen.

»Tut mir sehr leid! Ich erfülle nur meine Pflicht!«

»Und ich sage Ihnen, daß ich Beschwerde erheben werde. Erledigen Sie mein Gepäck nicht sofort, so werden Sie die Folgen zu tragen haben. Sehr unangenehme Folgen!«

»Der Folgen bin ich mir bewußt, mein Herr! Ich ersuche zum letztenmal um Angabe Ihrer Adresse!«

»Fällt mir nicht ein! Aber ich werde mich bei Seiner Majestät dem Kaiser von Österreich beschweren!«

Taktfest und unerschütterlich im Dienst erwiderte der Assistent: »Halt, mein Herr! Ich verbiete Ihnen, die Person unseres gnädigsten Monarchen in den Dunstkreis einer Zollabfertigung herabzuziehen!«

»Was? Sie niedriger Mensch! Sie wollen mir etwas verbieten? Jetzt befehle ich Ihnen, mein Gepäck augenblicklich zollfrei nach Wien abzufertigen!«

Lergetbohrer ward irre; der Assistent fühlte, wie sein Blut anfing rebellisch zu werden. Um das Paar bildete sich eine Gruppe von Reisenden und Bahnbediensteten, die mit gespanntester Neugierde der Entwickelung dieses Konfliktes entgegensah.

Ribler erklärte: »Sie haben mir gar nichts zu befehlen! Ich bin hier im Dienst und warne Sie vor jeder Berufsbeleidigung!«

»Augenblicklich erledigen Sie die Sache, oder ich telegraphiere nach Wien!«

»Erstes Zeichen zum Einsteigen. Personenzug in der Richtung nach Feldkirch-Landeck-Innsbruck-Salzburg-Wien!« rief der Stationsportier in die Revisionshalle.

Krachend warf der rabiat gewordene Reisende die Kofferdeckel zu und schloß die zwei Kolli ab.

»Das sollen Sie mir büßen, Sie Flegel!«

Ribler ignorierte diese Beleidigung und proponierte dem erregten Paare als einzigen Ausweg, der noch übrig bleibt, da die Reisenden die Namensangabe verweigern: »Wenn Sie wollen, überweise ich das Gepäck im Ansageverfahren an das Hauptzollamt Wien und lasse die Kolli bahnamtlich instradieren. Dort können Sie unter entsprechender Legitimation Ihr Gepäck in Empfang nehmen, falls Sie in Wien Ihren Namen lieber nennen wollen.«

»Unerhört! Empörend! Ein Skandal sondergleichen!« zeterte die Dame.

»Eine Flegelei!« schrie außer sich der Herr, nahm die Dame an den Arm und schritt mit ihr auf den Perron hinaus.

Der Assistent zuckte die Achseln, auch Lergetbohrer weiß nicht, wie er diesen Fall deuten soll.

Auf das zweite Zeichen zum Einsteigen begab sich das Paar in ein Coupé erster Klasse; die übrigen Reisenden nahmen gleichfalls ihre Plätze im zur Abfahrt fertigen Zuge ein. Kaum war das Paar eingestiegen, verließ es wieder das Coupé und eilte in den Revisionssaal. Mit bebender Stimme, zorngerötet, rief der Herr dem Assistenten zu: »Dirigieren Sie augenblicklich mein Gepäck in den Zug! Ich bin Don Carlos, Infant von Spanien! Und die Dame hier ist meine Gemahlin, Donna Anna de Braganza!«

Stramm erwiesen die Zöllner Honneur, doch im Bewußtsein streng erfüllter Pflicht erklärte der Assistent: »Ich muß Ew. Königliche Hoheit jetzt um Legitimation bitten!«

»Was? Sie glauben meinem Wort nicht?«

»Es ist möglich! Aber nach dem ganzen Verlauf glaube ich es jetzt nicht mehr!«

»Unerhört! Das kostet Sie die Charge!«

»Das wollen wir abwarten. Als Mitglieder des Allerhöchsten Kaiserhauses geben sich so viele Leute aus, um zollfreie Abfertigung zu erlangen, daß der Zollbeamte im Dienst auf Legitimation bestehen muß. Hätten Sie Namen und Stand gleich zu Beginn der Revision angegeben, wäre Ihre Angabe glaubhaft gewesen, wiewohl Allerhöchste Herrschaften uns Beamten den Dienst stets zu erleichtern und Dienerschaft mitzuführen pflegen, welch letztere bei der Gepäckrevision anwesend ist. Ich bedaure den Vorfall, er ist aber nicht meine Schuld!«

»Eine unerhörte Flegelei! Augenblicklich lassen Sie mein Gepäck frei!«

»Nein! Die Koffer bleiben hier, werden amtlich plombiert und morgen mit dem Expreßzug nach Wien gehen!«

»Infam! Wir fahren gar nicht nach Wien!«

»So! Also ist Ihre vorige Angabe des Reisezieles unrichtig! Das Gepäck bleibt hier! Gehorsamster Diener!« Ribler salutierte.

»Höchste Zeit! Der Zug fährt in einer Minute ab!« rief der Portier.

»Das sollen Sie büßen!«

Mit dieser heiser gerufenen Drohung eilte das Paar an den Zug, stieg ein, und der Train verließ den nachtverhüllten Bahnhof Buchs.

Die Zöllner atmeten auf. Eine solche Revision hat noch keiner mitgemacht. Aufgeregt entfernten sich Ribler und Lergetbohrer aus der Halle, deren Lampen nun verlöscht wurden. Der Dienst ruht nun bis morgen früh.

Am nächsten Morgen galt alles Gespräch im Buchser Bahnhof dem nächtlichen Ereignis. Die wenigsten Leute glaubten an den hohen Stand des Paares zufolge der verdächtigen Umstände. Allerhöchste Personen fahren nicht eine qualvolle Nacht mit dem »Bummelzug« über den Arlberg ohne jegliche Dienerschaft. Außerdem wurde das Inkognito viel zu spät und ohne den Schatten eines Beweises gelüftet. Kein Wunder denn, daß die Zöllner glaubten, es sei ein Schleichhandelversuch gewesen. Ribler verständigte in einem Bericht über den Vorfall das Wiener Hauptzollamt. Mit dem Expreßzug wurden die dreizehn Koffer unter Zollverschluß an das Hauptzollamt Wien abgesandt. Nun sollen die Wiener Zöllner den kuriosen Fall erledigen. Das Buchser Amt hat seine Pflicht mit bestem Wissen und Gewissen erledigt.

Als sich die Aufregung über den Don Carlos-Vorfall gelegt hatte, erinnerte sich Lergetbohrer beim Anblick eines Schweizer Waggons erster Klasse seiner Entdeckung der vorgefundenen Kaffeebohnen, und sofort beschloß er, auf diesen Schmuggel sein besonderes Augenmerk zu legen. Es fiel dem Oberaufseher schon nach Umfluß einer Woche auf, daß an jedem dritten Tage eine sehr distinguierte Gesellschaft mit dem Feldkircher Morgenzug durch Buchs weiter in die Schweiz, am Abend aber wieder zurückfuhr, und zwar stets erster Klasse, und ohne jedes Handgepäck. Es waren zwei Damen, sehr elegant gekleidet, und ein Herr, noble Leute, denn der Herr spendierte den Stationsdienern, welche ehrerbietig den Wagenschlag öffneten, stets ein Trinkgeld, weshalb diese Reisenden mit größtem Respekt behandelt wurden. Das müssen nun Ausflügler sein. Anton fand es aber auffällig, daß derlei Ausflüge so regelmäßig und ohne jegliches Handgepäck gemacht wurden. Letzterer Umstand hatte die natürliche Folge, daß die drei Reisenden stets unbehelligt durch die Revisionshalle schreiten und den bereitstehenden österreichischen Zug nach Feldkirch besteigen konnten. Ob darin nicht eine Absicht steckt? Das Mitführen auch nur einer winzigen Handtasche würde eine Revision bedingen.

Anton blieb auch an dienstfreien Tagen im Bahnhofe und hatte in der zweiten Beobachtungswoche herausgefunden, daß die drei erster Klasse-Reisenden auf der Hinfahrt in die Schweiz bedeutend agiler den österreichischen Zug in Buchs verlassen und den Schweizer Train besteigen, als umgekehrt auf der Rückfahrt von der Schweiz. Völlig steif entstiegen die Herrschaften dem Schweizer Train, gingen schwerfällig durch die Revisionshalle und kletterten auffallend steif, gespreizt in das Coupé erster Klasse des Zuges nach Feldkirch. Kaum war der österreichische Zug abgefahren, eilte Lergetbohrer hinaus zum schweizerischen Waggon und begann die Polster und namentlich die Ritzen sorgfältig zu untersuchen. Richtig befanden sich wieder vereinzelte, offenbar verlorene Kaffeebohnen in den Fugen. Nun verdichtete sich die Mutmaßung zur Überzeugung, der Verdacht ward zur Gewißheit.

Anton behielt seine interessante Entdeckung für sich und wartete auf das nächste Erscheinen der distinguierten Ausflügler. Unbeanstandet konnte die Gesellschaft in die Schweiz fahren. Die Zwischenzeit benutzte Lergetbohrer zu einem Rapport an den Kommissär, und nun wurde die Buchser Revisionsfrau zum Abendzug bestellt. Der Kommissär fand sich persönlich, doch in Zivil, ein, um das Aussteigen der verdächtigen Reisenden zu beobachten. Und Lergetbohrer hatte Auftrag, die Gesellschaft anzuhalten und in das österreichische Zollbureau zu verbringen. Der Abendzug von St. Margarethen lief in Buchs ein. Schwerfällig entstieg der Herr dem Coupé erster Klasse und half den merkwürdig korpulenten Damen beim Aussteigen. Steif begaben sich die drei Reisenden, auch diesmal ohne Handgepäck, nur mit Schirmen versehen, zum Halleneingang.

Der Kommissär hatte genug gesehen, drehte sich in der Richtung zum Eingang in die Revisionshalle und nickte Lergetbohrer zu, der sich dort in Uniform aufgestellt hatte und nun die Herrschaften höflich, doch bestimmt ersuchte, sich gefälligst ins Zollbureau zu begeben.

Die Damen vermochten Schreckensrufe nicht zu unterdrücken, der Herr aber protestierte entrüstet gegen jegliche Beanstandung, zu welcher nicht der geringste Anlaß vorliege, und forderte Rücksicht auf Passagiere erster Klasse.

Ob solchen Verlangens mußte Lergetbohrer schmunzeln, bestand aber auf der Sistierung, die natürlich großes Aufsehen erregte. Die Reisenden leugneten, auch nur die geringste Konterbande mit sich zu führen. Doch es nützte alle Weigerung und halfen alle Proteste nichts. Die Damen wurden in ein Seperatgelaß geführt und von der beeideten Revisionsfrau durchsucht. Das Ergebnis war überraschend, selbst für den Kommissär und Lergetbohrer. Die Unterröcke der Damen, von der Frau herausgebracht, hatten zahlreiche Rundfalten auf etwa zwei Zentimeter Entfernung voneinander, ringsherum sorgfältig abgenäht, und jede Falte war mit Kaffeebohnen angefüllt und durch Knöpfchen verschlossen. Der Herr trug, wie dessen Durchsuchung ergab, einen langflügeligen Rock, innen voll gesteppter Falten, gefüllt mit Kaffeebohnen im Gesamtgewicht von – achtzehn Kilogramm. Die Damen hatten jede fünfzehn Kilogramm Kaffee bei sich. Daher der steife Gang. Auf jeder Fahrt von der Schweiz nach Österreich hatten die Herrschaften bisher rund vierundzwanzig Gulden Zoll »erspart«. Diesmal freilich kam infolge der verhängten sechsfachen Steuer der Kaffee etwas teuer. Mit dieser ingeniösen Kaffeeschwärzung war es aber für immer aus und vorbei. Die ertappte Gesellschaft wurde verhaftet, doch gestattete der Kommissär, daß sie um Geld telegraphieren durfte. Sie wurde erst nach Erlag aller Gebühren und des Strafbetrages in Freiheit gesetzt. Die Untersuchung wegen frevelhaften Schleichhandels wurde nach Feststellung der Namen usw. sofort eingeleitet. Die Behörde gab die »Kaffeereisenden« sodann frei, und schlank, mit einer »angenehmen« Erinnerung reisten die Herrschaften in die nahe Heimat zurück.

Der Kommissär sagte zu Lergetbohrer: »Sie sind eine Perle für unsern Dienst!«

Noch einmal sollten die Zöllner in Buchs in Aufregung versetzt werden; es kam von Wien die amtliche Nachricht, daß die inhibierten dreizehn Kolli nicht reklamiert, daher als Schleichgut konfisziert worden seien. Dem Assistenten Ribler wurde amtlich eröffnet, daß er völlig korrekt im Dienst vorgegangen sei, auch für den Fall, daß bei Verweigerung der Namensnennung der Reisende wirklich eine Persönlichkeit von höchstem Rang gewesen wäre. Solche Anerkennung tat wohl und munterte zur treuesten Pflichterfüllung auf.


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