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XIV.

Schwerkrank, bis zum Äußersten erschöpft, war Egon Rothenburg vom niedergebrannten Matrey nach Lienz transportiert worden, die Strapaze war zu groß gewesen, der Hauptmann hatte seinen Kräften zu viel zugemutet, Übermenschliches geleistet, bis er ohnmächtig am Brandplatze niederfiel.

Nun liegt er schwerkrank zu Bett, ein böses Nervenfieber ist im Anzug. Franz übernahm die Pflege seines Herrn, Johann, der Diener des alten Botho, war zum Bezirksarzt geeilt.

Wie Lauffeuer verbreitete sich die Kunde in Lienz, daß der wackere Bezirkshauptmann ein Opfer seiner hingebenden Thätigkeit in Matrey geworden; herzliche Teilnahme zeigte sich allenthalben, auch jenen, die vom Beamtentum keine günstige Meinung hatten, imponierte die treue Pflichterfüllung des Bezirkschefs, der vom Hausball weg sofort den Abbrändlern zu Hilfe geeilt war.

Selbst vom Krankenlager suchte Graf Egon das Dringendste noch zu erledigen, indem er dem herbeigerufenen Bezirkskommissär den Bericht an die Oberbehörde kurz diktierte, Regierungshilfe für die Obdachlosen erbat und vorschlug, nun auch die Frage der Ortsverlegung anzuschneiden. Pitscheider fertigte rasch das Schriftstück, das Egon mühsam unterzeichnete. Dann trat starker Kräfteverfall beim Grafen ein.

Der Bezirksarzt machte eine bedenkliche Miene, der Fall scheint gefährlich werden zu wollen; unzureichend ist die Pflege im Privathause, doch kann der Kranke nicht mehr in das städtische Spital verbracht werden. Eine barmherzige Schwester wurde gerufen und dieser die Pflege anvertraut.

An den Statthalter telegraphierte der Bezirksarzt ebenso wie an den in Wien weilenden Grafen Botho die bedenkliche Erkrankung des Hauptmanns.

Wer hiervon in Lienz noch nichts wußte, konnte es erraten durch die vor der Liebburg ausgeworfenen Strohbunde, welche das Wagengerassel zu dämpfen bestimmt waren zur Schonung des Leidenden.

Mit Entsetzen hatte Ida die schreckliche Kunde von Egons schwerer Erkrankung vernommen; für den ersten Moment war das Fräulein fassungslos, dann aber drängte Mitleid und Liebe zur That, zur Hilfe. Ida begab sich zum Bezirksarzte Doktor Striebinger in dessen Wohnung und bat, in dringender Angelegenheit empfangen zu werden.

Beim Anblick des bleichen, seelisch erschütterten Mädchens erschrak der Arzt: »Um Gottes willen, Fräulein Ida, wie sehen Sie aus? Was fehlt Ihnen?«

»Ich habe eine dringende, herzliche Bitte, Herr Doktor!«

»Sprechen Sie! Doch bitte, setzen Sie sich!«

Ida lehnte dankend den angebotenen Stuhl ab: »Bitte sagen Sie mir die Wahrheit: wie steht es um den Herrn Grafen?«

Ein scharfer Blick musterte das schmerzgebeugte Mädchen, dann sprach Doktor Striebinger: »Es wird ein böses Nervenfieber werden infolge Überanstrengung und zweifellos unerhörter Strapazen.«

»Ich bitte Sie innigst, gestatten Sie, daß ich den Kranken pflegen darf!«

»Sie, Fräulein Ida? Wie ...«

»Erfüllen Sie meine Bitte, ich beschwöre Sie!« flehte mit thränenerstickter Stimme und erhobenen Händen das Mädchen.

»Ich bin überrascht, Fräulein Ida! Ich weiß nicht ...«

»... wie ich dazu komme, wollen Sie sagen, mich als Krankenpflegerin anzubieten. Sie wollen das Motiv kennen! Es ischt mir peinlich, darüber zu sprechen, doch die Gefahr zwingt mich zu einem Geständnis, das ich bitte, als Geheimnis zu bewahren.«

Jetzt erriet der Arzt alles, die Hand darbietend, sprach der alte Mann: »Bitte, Fräulein Ida, es ischt kein Wort weiter nötig! Ich ehre Ihre edle Absicht und willige gerne ein, nur muß ich als alter Arzt Sie aufmerksam machen, daß Sie, von schwacher, zarter Konstitution, der schweren Bürde einer Krankenpflegerin kaum gewachsen sind.«

»Ich hoffe doch und habe den besten Willen!«

»Daran zweifle ich nicht, doch möchte ich Sie ferner noch auf etwas aufmerksam machen, was Sie in Ihrer Herzensangst vermutlich nicht einer Überlegung wert erachtet haben. Wenn Sie mit der barmherzigen Schwester, die bereits beim Patienten ischt, die Pflege und Wartung teilen, was, glauben Sie, wird man in der Bevölkerung über Ihre Aufopferung für einen Garçon, der noch dazu Graf Rothenburg und Bezirkshauptmann ischt, sagen? Haben Sie daran gedacht? Was wird Ihr Herr Vater dazu äußern?«

»Es ischt nach meinen Gefühlen meine heiligste Pflicht, dem teuren Kranken alle erdenkliche Pflege zu widmen; um das Urteil der Welt kann ich mich nicht kümmern!«

Statt weiterer Worte drückte der alte Arzt dem Mädchen die Hand. Dann lud er Ida ein, gleich mit zum Patienten zu gehen.

Die Diener wurden vom Doktor Striebinger entsprechend informiert, daß Fräulein Piffrader auf speciellen Wunsch sich mit der Krankenschwester in die Pflege teile und daß deren Anordnungen pünktlichst zu befolgen seien.

Franz guckte erstaunt, doch unterdrückte er als gut geschulter Diener jede Bemerkung und überreichte dem Doktor die für Egon eingelaufenen Telegramme.

»Mangels berechtigter Anverwandten und in Anbetracht der Unfähigkeit des Adressaten muß wohl ich als Hausarzt die Öffnung der Depeschen sowie etwaige Erledigungen vornehmen,« sprach Doktor Striebinger, und las die Telegramme, in deren einem der Statthalter seine herzlichste Teilnahme an Rothenburgs Erkrankung mit dem Wunsche baldiger Wiederherstellung zum Ausdruck brachte.

Die zweite Depesche enthielt das Aviso der Ankunft Bothos für den nächsten Morgen.

Ida begleitete den Arzt in das Krankenzimmer, der erste angsterfüllte Blick galt dem teuren Patienten. Mühsam unterdrückte Ida einen Weheruf, die Hand auf das heftig klopfende Herz gelegt, sucht das tieferschütterte Mädchen die nötige Ruhe zu gewinnen.

Im Flüstertone informierte der Arzt die Schwester und fragte nach neuen Erscheinungen, gab ihr für drei Stunden, während welcher Fräulein Ida die Pflege übernahm, Urlaub zur Erholung. Dann wurde die Temperatur des in heftigem Fieber befindlichen und wild phantasierenden Kranken gemessen, 41,3 Grad, Atembewegung 23, Puls 98. Zu Ida gewendet, zeigte Doktor Striebinger die Schachtel mit dem Chininpulver und verordnete das Nötige zur Fieberminderung. »Halten Sie jeden Besuch fern, es darf niemand außer mir und den Pflegerinnen zum Patienten. Kalte Kopfumschläge alle Halbstunden erneuern! Gott sei mit Ihnen! Ich komme zu Ihrer Ablösung und werde abermals nachschauen!«

Als die Thür leise geschlossen ward, sank Ida im Übermaß ihres Seelenschmerzes am Bett in die Knie und flehte unter Thränen zum Allmächtigen um Rettung des teuren Kranken.

Egon phantasierte schrecklich, gellend schrie er im Fieberwahn von Skandal in der Familie, schwerer Kompromittierung, dazwischen Befehle zum Dacheinreißen, Kinder retten, und plötzlich erfolgte eine Apostrophierung Idas.

Das erschrockene Mädchen erhob sich und blickte angstvoll den Kranken an, der im Banne des Fiebers jammerte, von Schande betroffen, durch die eigene Schwester kompromittiert, seine Liebe zum Opfer bringen zu müssen.

»Ich muß Ida frei geben!« klang es gellend durch das Zimmer. Zitternd, außer sich vor Erregung stand Ida. Was muß sich abgespielt haben, daß Egon von derlei phantasieren kann? Doch sei das, was immer, mag kommen, was der Allmächtige fügt, zunächst gilt es, den Kranken zu pflegen.

Ida gab die frische Kompresse um den heißen Kopf, und prüfte die Hitze der Wangen durch Auflegen ihrer Hand; sogleich minderte sich der erregte Zustand, der Kranke wurde ruhiger.

Nahm das Mädchen aber die Hand von der Wange, so kehrte die Erregung alsbald zurück. Opferwillig verharrte Ida in dieser körperlich schmerzenden Stellung und hielt die Hand an Egons Wange, bis die Kompresse wieder erneuert werden mußte. Unter des Mädchens ersichtlich wohlthätigem Einflusse gelang es Ida auch, dem Patienten ein Chininpulver in Oblate mit etwas Wasser einzuflößen. Schon nach einer Stunde zeigte sich eine kleine Beruhigung, das Gellen der Verzweiflungsrufe minderte sich zu einem Wimmern.

Als nach Umfluß dreier Stunden Doktor Striebinger wieder am Krankenlager erschien, fand er Egon schlafend, die Fiebertemperatur um einen halben Grad gemindert und Ida sehr erschöpft. Es mußte nun die Schwester wieder die Pflege übernehmen. Der Arzt verließ mit Ida das Haus, das Mädchen nochmals unterwegs mahnend, sich nicht zu viel aufzubürden.

Doch Ida blieb bei ihrem Willen und erklärte, die Wache bis Mitternacht übernehmen zu wollen.

Zu diesem Behufe mußte Ida im eigenen Hause doch Anordnungen treffen, zumal Piffrader in der Zwischenzeit zu den Sitzungen des Landesausschusses, die der Landtagssession vorausgehen, nach Innsbruck abgereist war.

Ida konnte in der »Altdeutschen« nicht nachsehen und es entging ihr daher das Getuschel der Stammgäste, die von der neuen Eigenschaft der Bräuerstochter als Wärterin des Bezirkshauptmanns bereits Kenntnis hatten und solche Pflegeübernahme einen Skandal zu nennen einig waren. Nicht zum wenigsten schürte Pitscheider das Feuer durch eingestreute Bemerkungen, daß Ida die heimliche Geliebte des Chefs sei. Nach dem Ursprung, nach der Kenntnis dieser Verhältnisse fragte man nicht, man glaubte die Geschichte bereitwilligst; nur Treßhof meinte, es sei nicht immer gleich »Verhältnis«, was oft nur harmloser Flirt genannt werden müßte.

Als Ida aus dem Hause zum Schloß ging, lief sie dem Kommissär in den Weg und spöttisch meinte dieser, ein Spaziergang in frischer Luft sei sehr angezeigt nach gewissen Strapazen.

Erglühend enteilte das Fräulein zur Liebburg.

In großer Sorge war Graf Botho angekommen, er konnte es nicht glauben, daß der geliebte Neffe so plötzlich in Gefahr und schwere Erkrankung geraten sei.

Ida wurde eben von der Pflegeschwester abgelöst, als Botho die Wohnung betrat. Von Franz informiert, empfand der alte Herr wohl ein Gefühl der Befremdung, das abgehärmte Mädchen als Pflegerin seines Neffen zu sehen, fast möchte er an eine gewisse Aufdringlichkeit glauben, doch erfüllte er sogleich die Kavalierspflicht, der jungen Dame für so viel Aufopferung herzlichen Dank zu sagen.

Ida lispelte errötend die Bitte um Erlaubnis, die Pflege nun auch nach Ankunft des Herrn Grafen-Onkel weiter ausüben zu dürfen.

»Gewiß! Gerne! Nur deucht mir das Opfer zu groß und schwer. Sie bedürfen ja selbst der Schonung und Pflege!« erwiderte der alte Herr.

»Nur solange wollen der Herr Graf die Gnade gewähren, bis der arme Kranke wieder zur Besinnung kommt! Dann will ich gerne zurücktreten! Ich bitte Sie herzlich darum!«

Botho konnte diese innige Bitte nicht gut abschlagen, er wollte dem zarten Mädchen, das so lieb und opferwillig die Pflege übernommen, nicht wehe thun und so willigte er ein. Seine Gedanken in der Richtung, daß solche aufopfernde Pflege den Patienten rühren und zu einer unüberlegten Handlung verleiten könnte, beschwichtigte Botho mit dem Vorsatz, rechtzeitig und mit aller Energie sein Veto geltend zu machen, falls Egon Dummheiten aus Mitleid oder Dankbarkeit begehen sollte.

Häusliche Geschäfte zwangen Ida tagsüber, im eigenen Anwesen nach dem Rechten zu sehen und daher die Pflege des langsam sich erholenden Kranken bei Nacht zu übernehmen.

In einer stillen Nachtstunde war es, daß Egon vom Fieberwahn befreit wurde und bei vollem Bewußtsein den Blick auf die am Bettende sitzende Wärterin richtete. Das gedämpfte Licht einer grün verhängten Lampe fiel auf Idas bleiches Antlitz.

Egon traute seinen Augen nicht, er richtete sich etwas auf und unsicher, erregt, zaghaft hoffend klang es von seinen zuckenden Lippen: »Ida?! Ist es ein Traum?!«

Erschreckt warf das Mädchen den Kopf auf und wollte pflichtgemäß den Kranken beruhigen.

»Nur ein Wort! Bist – sind Sie es wirklich, Ida?!«

»Sie müssen ruhig liegen bleiben, dürfen nicht sprechen!« mahnte das Mädchen und wollte Egon eine frische Kompresse auf die Stirne legen.

Doch Egon griff nach Idas Hand und drückte einen Kuß darauf, innig und heiß, dann sank sein Kopf ermüdet auf die Kissen zurück. Die innige Liebe aber sprach aus seinen Augen und ein Lächeln lag auf den zuckenden, brennenden Lippen, welche herzlichste Dankesworte für die Pflege murmelten. Dann huschte ein Schatten über des Kranken Antlitz, eine tiefe Falte grub sich in die Stirne ein, Egon rief ächzend: »Weh' mir! Es kann ja nicht sein!«

»Egon, was ischt Ihnen?!« fragte angsterfüllt Ida und legte die Hand auf seine Stirn.

»O, ich bin so unglücklich!« flüsterte Egon schmerzlich.

»Regen Sie sich nicht auf, das ischt Ihnen schädlich! Bleiben Sie still! Gott wird alles fügen, wer auf Gott vertraut, hat fescht gebaut!«

»Ich bin – tief – unglücklich!« ächzte der Kranke, »meine Hoffnung – ist – vernichtet – ich selbst – muß – verzichten, ich kann – nicht um Dich – werben!«

Fassungslos starrte Ida, der das Herz stille stehen wollte, den teuren Kranken an.

»Wasser!« flehte Egon, und Ida labte ihn.

Still ward es, totenstill im Gemache.

Nach einer Weile verlangte Egon den Brief aus der Lade des Nachtkästchens.

Kaum hielt Ida den Brief in der Hand, da bat der Kranke, das Schriftstück sofort zu verbrennen. »Ich kann – die Schändung meiner – Familienehre nicht bekannt – geben!«

Ida hatte den Brief angezündet und in den Ofen geworfen. Zum Bett schreitend, bat das Mädchen, es möge der Kranke sich schonen und nicht mehr sprechen. In tiefer Erregung weinte Egon, und nun war es um die Ruhe und Fassung Idas geschehen, schluchzend sank das Mädchen am Bette nieder.

Egon legte den zitternden Arm um Idas Hals, die Lippen fanden sich zu einem Kusse, der in Ida das Gefühl wachrief, es sei ein Abschiedskuß gewesen.

Die Schwäche übermannte den Kranken, die Aufregung war zu groß, Egon wurde ohnmächtig.

Von Todesangst erfaßt, schellte Ida nach Dienerschaft. Schlaftrunken kam Franz nach bangen Minuten und erhielt Befehl, sofort Doktor Striebinger zu bringen.

Vergeblich mühte sich Ida ab, die Bewußtlosigkeit Egons zu bannen, die Aufregung, die Todesangst überwältigte das Mädchen, ohnmächtig fiel Ida zu Boden.

Am Morgen wurde Ida schwerkrank ins Spital gebracht.


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