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XI.

Im Hause Piffrader ging alles die nächsten Tage hindurch in gewohnten Bahnen; nur Ida ist merkwürdig still geworden und verbringt die meiste Zeit, wo immer das Mädchen abkommen kann, in ihrem Zimmer.

Anfangs bemerkte der Bräuer solche Absentierung nicht, er hat den Kopf mit Geschäften voll, und für die bevorstehende Landtagssession sind auch mancherlei Vorbereitungen zu treffen. Erst die sich häufenden Fragen der Gäste, ob denn das Hausfräulein verreist sei, machten Piffrader stutzig und veranlaßten ihn, Nachschau zu halten.

Wenn der Mensch dick ist, pflegt er wuchtig aufzutreten; den Schritt des Bräuers konnte man von weitem hören. Ida kannte Papas Tritt genau; sein Nahen ward dadurch avisiert, und schnell verbarg Idele den beglückenden Brief, der Spuren unzähliger Küsse an sich trug. Piffrader polterte in das lauschige Gemach und pustete: »Madele, wo steckst denn alleweil? Kümmerst Dich denn gar nixen mehr um die Wirtschaft? Werd' decht noch a mal heiraten müssen; ein Weibets muß im Haus sein und nach dem Rechten schauen!«

Ida benutzte mit Vergnügen diese Bemerkung, um einer direkten Antwort auszuweichen. »So, Vaterle, Du willst wieder heiraten? Ja, wen denn?! Das ischt aber schon wirklich eine große Neuigkeit! Hätt's nicht geglaubt, daß Vaterle solche Absichten hat!«

»Wer zwingt mich denn dazu, als Du? Es fehlt an der Aufsicht im Haus! Du bischt ja nirgends mehr zu finden! Was hascht denn? Fehlt Dir was? Die Stammgäst' fragen allweil nach Dir, in der Schenk' wird nixen aufgeschrieben; Madele, was ist's mit Dir? Den Opel hascht abblitzen lassen, ich weiß heut' noch nicht, warum! Mit der Zoderer Hedwig bischt im Verdruß! Wo soll das hinaus? Ich will nicht hoffen, daß etwas im Köpfel steckt! Meine Absichten kennst Du; das Nachgeben ischt meine Sach' nicht!«

»Aber Vaterle, schau, unsereins hat halt auch diemalen das Bedürfnis zum Alleinsein!«

»Papperlapapp! Eine Wirts- und Bräuerstochter gehört unter die Leut'! Eine Gräfin bischt Du nicht, und wirst, meine ich, auch keine werden! Also flink hinunter und nachgeschaut. Die Dienstboten thun sonst grad', was sie mögen, ich kann nicht überall zugleich sein! Also flink vorwärts!« Nach diesen Worten stolperte Piffrader wieder fort.

Ida holte den vielgelesenen Brief Egons wieder hervor und drückte ihn an die Lippen. Wie gerne würde sie diese beseligenden Zeilen beantworten, doch wagt sie es nicht, ihre Gefühle dem Papier anzuvertrauen, aus Angst, es könnte der Brief in fremde Hände gelangen und Unheil stiften. Lieber, der Sicherheit willen, auf die Gelegenheit einer persönlichen Aussprache warten.

Aber schließlich eine unverfängliche Zeile zur Empfangsbestätigung ohne Unterschrift könnte Ida vielleicht an Egon schicken.

Gedacht, gethan, und die Adresse französisch geschrieben. Dem Postmenschen wird es unmöglich sein, auf diese Art die Absenderin herauszufinden. Ida schob das Brieflein in die Tasche und begab sich in die Parterre-Räumlichkeiten.

Die Stunden schwanden, es wurde Abend, und zu gewohnter Zeit erschien Kommissär Pitscheider am Stammtisch, wie üblich der erste Gast. Dem Bräuer gegenüber hat Pitscheider das klügste Verhalten eingehalten, ein Ignorieren aller bisherigen Vorkommnisse; er hütet sich, von den früheren Aspirationen auf Ida das geringste merken zu lassen. Die Geldangelegenheit ist durch die prompt eingelaufene Quittung Piffraders erledigt. Die langsam aber sicher anwachsende neue Zechschuld genierte den Kommissär zur Zeit noch gar nicht; es wird sich mutmaßlich mit der Zeit schon wieder Gelegenheit finden, solche Last auf bequeme Weise abzuschütteln. Jener oberbehördliche Rüffel that nicht weh, zumal der Bezirkshauptmann die Noblesse der schriftlichen Erledigung hatte, und seitdem war Pitscheider bestrebt, so wenig als möglich Anlaß zu Rügen zu geben. Es muß erst Gras über die Geschichte wachsen, dann kann gelegentlich wieder etwas aufgegriffen werden. Müßte doch rein wie verhext gehen, wenn der Hauptmann nicht irgendwie und -wo verwundbar sein sollte. An sich könnte der Graf zwar das Ausweichen im nichtamtlichen Verkehr mit einer gewissen Berechtigung übelnehmen, er ignoriert es aber, vielleicht hat er den Vorfall überhaupt vergessen.

Kühlhöflich begrüßte Ida, die eben in die altdeutsche Stube trat, den Kommissär und verhielt sich einige Augenblicke, um leichthin zu sagen: »Herr Kommissär sind allein! Die Herren Konzeptspraktikanten verspäten sich wohl?!«

»Die werden vermutlich bald ganz ausbleiben und gräfliche Koschtknaben werden!« erwiderte Pitscheider in spöttischem Tone.

»So? Speisen die jungen Herren denn jetzt beim Grafen?«

»Näheres weiß ich nicht. Aber Einladung ischt jetzt täglich, es geht in der Liebburg zu wie im ewigen Leben. Wer weiß, ob nicht schon bald eine Verlobung zu verzeichnen ischt?!«

Ida horchte auf, gespannt fragte sie: »Verlobung? Doch nicht der Baron Treßhof? Der ischt decht noch zu jung und erscht Praktikant!«

»Nein, nein, auch nicht der Trentini!«

»Dann könnten ja nur noch der Herr Kommissär in Betracht kommen bei der Bezirkshauptmannschaft!«

»Danke für Obst! Mir pressiert es ganz und gar nicht!«

»Vom Forstkommissär hat man decht auch nichts gehört, und der Steuerinspektor ischt sozusagen entlobt!«

»Wer denkt denn an diese beiden?«

Jetzt schoß Ida der schreckliche Gedanke durch den Kopf, daß nur Graf Egon gemeint sein könne, und zugleich erinnerte sich Ida, den Brief noch immer nicht zur Post gegeben zu haben.

»Na, im Erraten sind Sie aber nicht besonders stark, Fräulein Ida!«

»Mich kümmern die Dinge ja auch nichts!«

»Wohl nur, weil Sie über die neuen Ereignisse in der Liebburg nicht unterrichtet sind. Wir haben nämlich, das heißt der Hauptmann, noblen Besuch bekommen ...«

»Ach ja, ich weiß, die Gräfin mit dem kroatischen Namen!«

»Ganz richtig; die war inzwischen in Wien und hat eine junge Komtesse Hohenberg mitgebracht. Man kann es an den Fingern abzählen, daß da eine Verlobung herausspringen wird. Gleich und gleich gesellt sich gern; Rothenburg und Hohenberg feine Firma, alter Adel, sie soll Geld wie Heu haben und sehr hübsch sein.«

Ida hustete vor Schreck und zog das Taschentuch hervor, um es vor den Mund zu halten, nickte dem Gast zu und eilte hinaus.

Blitzschnell eilte Pitscheider zur Stelle, wo ein Brieflein lag, das Ida mit dem Taschentuch herausgezogen und fallen gelassen hatte, und steckte es ein.

So neugierig der Kommissär ist, aus Vorsichtsgründen ließ er das Brieflein in der Tasche stecken und verhielt sich in gutgespielter Gleichgültigkeit.

Es dauerte wenige Minuten, da kam Ida etwas verstört in die Stube und ihre Augen schienen auf dem Fußboden etwas zu suchen. Da aber nichts wahrzunehmen war, entfernte sich das Fräulein rasch.

Die Kombination war für Pitscheider sehr leicht: Ida hat den Verlust des Briefes gemerkt, hielt Nachschau und wird jetzt oben nachsuchen.

Rasch trank der Kommissär aus und verließ die Wirtschaft, um in der »Rose« mit aller Behaglichkeit bei einem Viertele Rötel das ergatterte Brieflein zu studieren. Also französisch schreiben sie sich, dachte Pitscheider beim Lesen der Adresse. Dann ein Riß, das Couvert ist offen, und das kurze Brieflein bestätigt mit glühendem Dank den Empfang der beglückenden Zeilen aus Matrey.

»Näheres mündlich. Mit innigstem Kuß und Gruß für immer in treuester Liebe

I.«

»Eine kostbare Epistel!« flüsterte Pitscheider und steckte den geraubten Brief zu sich. »Also doch! Hab' mir's ja gedacht!«

Der unfaßliche Verlust des Briefes an Egon ängstigte Ida und nicht minder versetzte sie die Nachricht einer möglichen Verlobung Egons mit der hereingeschneiten Komtesse in Betäubung. Wird der Graf sein Wort halten? Sind nicht oft die Verhältnisse stärker als die Menschen? Und welche Qual ist es, still leiden zu müssen, den Geliebten nicht sprechen zu können! Nach dem Verlust jenes Briefleins kann Ida es unter gar keinen Umständen mehr wagen, an Egon zu schreiben, wiewohl sie ihn beschwören möchte, jene Komtesse nicht zu heiraten.

Ida grämte sich ab, die Wangen wurden bleich, heimliche Thränen trübten den Augenglanz.

Piffrader bemerkte davon nichts, er brütete über Schriftstücken, die ihm aus Innsbruck zugegangen zur Orientierung, Andeutungen über ein von der Regierung entworfenes Straßenbaugesetz, in welchem das Iselthal eine specielle Berücksichtigung finden sollte. Begreiflicherweise interessierte das Piffrader außerordentlich, denn als Bierverfrachter nach Huben und Matrey hat er einen bedeutenden Vorteil an einer Straßenregulierung, und in seiner Abgeordneteneigenschaft ist er verpflichtet, die Position »Iselstraße« gründlichst zu prüfen und als Redner zur selben aufzutreten. Mit solcher Arbeit beschäftigt, konnte sich Piffrader absolut um nichts anderes kümmern, er sah daher auch nicht, wie seine Tochter vergrämte und litt.


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