Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II

Wieder allein geblieben, griff Herr Ullrich sofort nach dem Buch, um es durchzublättern und sich einen raschen Überschlag zu machen über die Kusofkin-Situationen, welche als dramatisch höchst verlockend, um nicht zu sagen: lecker, er auch heute wieder bejahen mußte. – Wenn die rohen Patrone den Ecce-Homo-Menschen hänseln, der, obwohl er nur das Gnadenbrot auf dem Gute ißt, dennoch, als der heimliche Vater der Gutsherrin, sich jeder Ehre und jedes Glanzes würdig weiß; und wenn dann die beleidigte und erniedrigte Kreatur, schon allzusehr gedemütigt, ausbricht, sich aber noch durch eben diesen Ausbruch eines Menschenherzens in überaus rührender Weise lächerlich, ja unmöglich macht: Charakterspieler Ullrich war entschlossen, durch eine Kläglichkeit ohnegleichen, durch eine herzzerreißende Armseligkeit ausgiebig zu dominieren und schwelgerisch zu triumphieren. »Ich gebe jeden Hochmut für diese Demut«, sagte er, als wäre es ein Satz aus einem großen Monolog, indem er vor den Spiegel trat.

Sein Schauspielergesicht wies eigentlich einen unverhohlen skeptischen Zug auf, die Jahre des Ruhmes hatten ihn eingezeichnet. »Aber ich werde dieses Gesicht ins Russische übersetzen, ordnete er an. Und da erblickte er visionär im Spiegel die eisgraue Perücke, die ihn endgültig verwandeln sollte. Er sah die läppische Papiertüte darüberschweben, welche die Quäler dem guten Kusofkin aufsetzen, nachdem sie ihn betrunken gemacht haben. Dann verließ er den Spiegel und übte den eigentümlichen Gang des Kusofkin.

Zum Glück waren in der Familie des Charakterspielers Ullrich, und besonders bei den Männern, kleine Füße ein uraltes Erbteil. (Während die Frauen des Geschlechtes sich beklagten, daß die ihrigen zu groß zu geraten pflegten.) Die kleinen Füße bewiesen sich hier geradezu als ein Glücksfund. Oh! Herr Ullrich wollte mit seinen Füßchen in rührender Weise auf dem für den Empfang der Herrschaft frisch gewichsten Parkettboden des Herrenhauses dahintrippeln.

Augenblicklich erfand er – und probierte sie sofort aus – eine ziemlich verzwickte Gangart mit zwei linken Füßchen, von denen das eine dem anderen zeitlebens im Wege war, so daß es für den Besitzer, besonders wenn er aufgeregt war, sehr schwierig würde, rechtschaffen vorwärts zu kommen.

Ullrich begab sich in die Ecke seines geräumigen Arbeitszimmers – in den Ecken leben ja diese verarmten und abgetakelten Edelleute, Gnadenbrot-Esser und Narren der Demut – und versuchte von hier aus, in die Mitte des Raumes zu gelangen, indem die Füßchen sich schämten und vor Scham ineinander verhedderten, und der Körper Verbeugungen machte. Er wiederholte diese zusammenknickenden Verbeugungen immer wieder und erschöpfte sich darin in jedem Sinn des Wortes, bis ihm der Schweiß von der Stirne rann.

»Demut ist nicht jedermanns Sache,« mußte er unwillkürlich denken, »mich strengt sie an, sie ist meiner Seele und meinem Körper von Haus aus nicht geläufig.« Aber als er eine der jetzt genug geübten Verbeugungen, deren jede wie eine Kapitulation vor dem Schicksal wirken sollte, an den Spiegel trug, der hochmütig und kalt und glatt dastand, brach Meister Ullrich in ein glückliches und selbstberauschtes Gelächter aus. Er winkte sich im Spiegel anerkennend zu und gestattete sich einen Kognak, dem er in der Hitze des Gefechts zwei weitere folgen ließ.

Drei Kognaks, in solcher Stimmung genossen, brachten den Charakterspieler Ullrich dem russischen Allgefühl, dieser fieberhaften Seelenverbreiterung, beträchtlich näher. Ja, nahe war ihm jetzt das rührende Herz eines Kusofkin, stellte er mit Rührung fest. Wie leicht hatte es doch der Schöpfer – Turgeniew, in Stellvertretung – dem Kusofkin gemacht. Er gab ihm die rosige Olga Petrowna zur Tochter, eine Dame von einundzwanzig Jahren, eine weißhäutige, wohlriechende Prinzessin; wenn sie auch nicht wußte, daß er ihr Vater war. Und als Kusofkin, weil er seine Vaterschaft ausgeplaudert hat, in schändlicher Weise verstoßen wird und sein altes Herz zu brechen droht, gewährt ihm Gott-Turgeniew dennoch eine erste und letzte Umarmung dieser Olga mit ihren jungen, rosigen Armen, dicht an die Knospen ihrer Brust heran, und versetzt ihn damit unter die Seligen.

Was verschlug es dagegen, daß er diese Tochter Olga einem kühlen und hochmütigen Gatten als ihrem öffentlichen und rechtmäßigen Besitzer überlassen mußte! War es nicht zuletzt geradezu Erleichterung, der leidigen Besitzgier entrückt zu sein? Im Besitz der Rolle und des unzweifelhaften Erfolges, welcher schon jetzt fast greifbar von der Rolle auszuströmen schien, fühlte sich Herr Ullrich bereit, auf das Gut zu verzichten und Land und Haus, ebenso wie die Tochter, jenem schnöden Petersburger Ministerialdirektor von nur zweiunddreißig Jahren, dem Herrn Pavel Nikolaitsch Jeletzki, zu überlassen.

Jeletzki – hieß nicht so ähnlich der Verwaltungsdirektor des Theaters, ein noch jugendlicher Preuße, der auch mit den berühmtesten Schauspielern sehr summarisch und mit beamtenmäßiger Kürze zu verfahren sich herausnahm? Gellinger hieß er. Erst unlängst hatte Herr Ullrich mit diesem Manne wegen eines strittigen Punktes im Vertrage, wegen eines Geldpunktes, verhandeln müssen.

Solchen und keinen anderen Ton, wie er da leider zu hören bekommen hatte, schlug auch der Jeletzki des Stückes dem geheiligten Kusofkin gegenüber an. Das Herz Ullrichs, das unter dem Verwaltungsdirektor gelitten hatte, sich bitterlich zusammenziehend, wallte plötzlich mit ungestümem Enthusiasmus empor. Ullrich-Kusofkin fühlte sich mächtig einer überschwenglichen Großmut, die auch vor keinem Jeletzki oder Gellinger haltmachte.

Im Gegenteil, ganz von selbst ergab es sich schon jetzt, daß er um der rosigen Olga willen sogar den Jeletzki verehrte und liebte, mit dem allerkeuschesten Kinderherzen. Und Jeletzki würde sich schlecht benehmen, und Kusofkin-Ullrich würde ihn durch Großmütigkeit in den Schatten stellen und besiegen. –

Der Schauspieler Ullrich war so bewegt, daß er ganz ungewohnterweise an sein eigenes blasses Töchterchen, die kleine zehnjährige Elvira, zu denken begann, welche den Nerven ihres berühmten Vaters aus dem Wege zu gehen und sich bei seinem Herannahen geräuschlos zu verflüchtigen erzogen und geübt war. –

An seine Gattin dachte Herr Ullrich im Augenblick nicht.


 << zurück weiter >>