Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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12. Kapitel.

Am anderen Tage herrschte im Kloster vom frühen Morgen an ein besonderes Treiben. Obwohl die Tore geöffnet waren, die Wallfahrer ungehindert kommen und gehen durften, und der Gottesdienst in der üblichen Weise abgehalten wurde, begann man doch mit den Vorbereitungen zur Verteidigung. Nach der Mittagsmesse erhielten alle Fremden die Weisung, das Kloster zu verlassen. Der Prior besichtigte selbst in Begleitung des Sieradzker Miecznick und Pan Piotr Czarnieckis die äußeren und inneren Befestigungen. Manches erwies sich als unzureichend und mußte ausgebessert werden. Die Schmiede in der Stadt erhielten den Befehl, möglichst viele Spieße, schwere Keulen und Sensen anzufertigen. In der Stadt verbreitete sich sehr schnell das Gerücht von einer baldigen Belagerung.

Gegen Abend waren schon zweihundert Menschen damit beschäftigt, die Mauern auszubessern, und zwölf schwere Kanonen waren auf neuen Lafetten aufgestellt worden. Mönche und Novizen holten aus dem Waffenlager des Klosters Kanonenkugeln und legten sie vor die Kanonen. Kisten mit Pulver wurden herangeschleppt und Musketen verteilt. Die Wachen auf den Türmen waren aufgezogen, und man sandte nach allen Richtungen Kundschafter aus.

Das Gerücht von der Belagerung wirkte in der ganzen Umgegend wie ein heftiger Donnerschlag. Städter und Bauern sammelten sich in Haufen und beratschlagten miteinander. Keiner wollte so recht glauben, daß der Feind sich an Jasna-Gora vergreifen könnte.

Man vermutete, daß nur die Stadt selbst besetzt werden sollte, aber schon dies regte die Gemüter aufs tiefste auf. Um so mehr, da die Schweden doch Ketzer waren, die nichts davon zurückhalten konnte, die heilige Jungfrau mit Vorsatz zu beleidigen.

Die Einwohner, obwohl sie noch an einer Belagerung zweifelten, waren zumeist fassungslos. Die einen rangen die Hände und waren auf Zeichen im Himmel und auf Erden gefaßt, auf sichtliche Zeichen des Zornes Gottes; die anderen versanken in stumme Verzweiflung, und andere wiederum entbrannten in wildem Zorn. Und dann begann die zügellose Phantasie ihre Flügel zu entfalten und Erzählungen kreisen zu lassen, eine merkwürdiger als die andere, eine ungeheuerlicher als die andere. Die Stadt glich einem Ameisenhaufen, der von der Hand eines bösen Buben aufgewühlt worden war.

Eine Menge von Städtern und Bauern kam im Laufe des Tages mit ihren Frauen und Kindern an und umringte klagend die Klostermauern. Vor Sonnenuntergang trat Kordecki zu ihnen und fragte:

»Kinder Gottes, was wollt ihr?«

»Wir wollen ins Kloster, die Mutter Gottes verteidigen!« schrien die Männer, indem sie ihre Heugabeln und Dreschflegel hochschwangen.

»Wir wollen noch zum letzten Male die heilige Jungfrau sehen!« jammerten die Frauen.

Der Geistliche stellte sich auf einen Vorsprung des Felsens und begann:

»Die Höllentore werden die himmlische Macht nicht überwältigen! Beruhigt euch und stärkt eure Herzen durch den Glauben und die Hoffnung. Ich bin nicht gewiß, daß der Feind hierher kommen wird; aber das eine weiß ich, wenn er kommt, so wird er mit Schmach wieder zurückziehen müssen. Seine Macht wird von da ab zusammenbrechen, und das Glück wird von ihm weichen. Das sind nicht meine Worte; Gott leiht mir seine Zunge: Die Schweden werden in diese Mauern nicht eindringen. Die Finsternis wird ebensowenig das Licht auslöschen können, wie diese hereinbrechende Nacht hindern kann, daß Gottes Sonne morgen wieder aufgehe!«

In diesem Augenblicke begann die Sonne am Horizont zu sinken. Unten, in der Tiefe, lagen schon dunkle Schatten; nur die Kirche war noch von den purpurroten Strahlen der untergehenden Sonne übergossen. Von den Türmen läutete man den Abend ein. Der Prior begann zu singen, und die Menge folgte seinem Beispiele. Auch die Schlachta und die auf den Mauern stehenden Soldaten stimmten in den Gesang mit ein. Es schien, als wenn der ganze Berg sänge und seine Töne nach allen Richtungen der Welt aussandte.

Pater Kordecki segnete die Menge und sagte zum Schlusse:

»Wer von euch schon im Kriege war und es versteht, mit Waffen umzugehen, und wer ein mannhaftes Herz hat, der mag morgen früh zu uns ins Kloster kommen.«

Die Menschen begannen sich langsam zu zerstreuen. Viele glaubten nicht mehr an die Möglichkeit einer schwedischen Belagerung, obwohl die Schmiede nicht aufhörten, die bei ihnen bestellten Waffen im Kloster abzuliefern, und unablässig Fuhren ankamen, die Lebensmittel in das Kloster brachten. Auch einige Schlachtschitzenfamilien, die durch die Nachricht von dem Nahen des Feindes beunruhigt waren, flüchteten sich in das Kloster. Die Boten, die ausgesandt waren, kehrten zurück, ohne irgend etwas von den Schweden gehört zu haben.

Das hinderte jedoch nicht den Fortgang der Ausbesserungsarbeiten. Auf Befehl des Priors wurden die alten Soldaten, die freiwillig in den Dienst traten, Pan Sygmunt Mosinski unterstellt, der den südöstlichen Turm zu bewachen hatte. Pan Zamoyski wies jedem sein Amt an und beratschlagte eifrig mit den Mönchen.

Kmicic sah heiteren Herzens die kriegerischen Vorbereitungen, die exerzierenden Soldaten, die Kanonen, die Musketen und Spieße an. Er fühlte, daß er jetzt in seinem eigentlichen Elemente war. Inmitten der drohenden Waffen, der Unruhe und der Vorbereitungen war ihm besonders leicht und froh ums Herz, um so mehr, als er seine Sünden gebeichtet und gegen seine Erwartung Absolution erhalten hatte. Der Prior hatte seine guten Absichten, seinen Durst nach Besserung zu würdigen gewußt.

So war von Pan Andreas die Last, unter der er fast erlegen wäre, genommen worden. Man hatte ihm schwere Buße auferlegt, und täglich hinterließ Sorokas Peitsche blutige Spuren auf seinem Rücken. – Aber was noch schwerer für ihn war, man hatte ihm befohlen, sanftmütig zu sein; jedoch in seinem Herzen brannte ein heißes Blut; er war stolz und hochmütig. Durch gute Taten sollte er seine Besserung beweisen, und diese Aufgabe wurde ihm am leichtesten, denn seine hitzige Seele drängte ihn zu Taten. Und welche Tat lag ihm näher als der Krieg und die Vernichtung der Schweden, von Morgen bis zum Abend, ohne Rast, ohne Erbarmen! Und welch ein wunderbarer, herrlicher Weg hatte sich jetzt vor ihm geöffnet! Er konnte die Schweden vernichten, nicht nur dem Staate, dem Könige zuliebe, dem er Treue geschworen, sondern er kämpfte zum Schutze der himmlischen Königin! Und er sah diese Gelegenheit nicht als ein Verdienst, sondern als ein ihm unverdient zufallendes Glück an.

Wo waren die Zeiten, wo er am Kreuzwege stand und sich selbst fragte, welchen Weg soll ich gehen? Wo waren die Stunden, in denen er nicht wußte, was er tun sollte, in denen der Zweifel jeden seiner Schritte begleitete, in denen die Hoffnung von ihm gewichen war?

Hierher, wo sich die weißen Mönche, eine Hand voll Edelleute und wenige Bauern zur Verteidigung vorbereiteten, zu einem Kampfe auf Leben und Tod, hierher, nach dem einzigen Zufluchtsorte für einen ehrlichen Bürger der Republik, hatte ein glücklicher Stern Pan Andreas geführt. Er glaubte fest an einen Sieg, selbst wenn sämtliche schwedischen Kräfte diese Mauern umzingeln sollten. In ihm war nichts als Freude, Glauben und Dankbarkeit.

Mit Befriedigung sah Kmicic, daß man unermüdlich bei den Vorbereitungen war. Mit Kennerblick überzeugte er sich, daß verständige Männer die Befestigung leiteten. Pater Kordeckis Ruhe, die Erfahrenheit und Kenntnis des Sieradzker Miecznik versetzten ihn in Erstaunen. Selbst der Anblick des Pan Czarniecki, dem er noch immer zürnte, konnte ihn nicht verdrießlich stimmen.

Auch Pan Czarniecki blickte noch mit scheelen Augen auf Kmicic, und als er ihn am Tage nach der Rückkehr der Kundschafter auf den Mauern traf, redete er ihn an:

»Und die Schweden sind noch immer nicht zu sehen, Pan –, wie heißen Sie doch gleich? Nun, was, wenn sie überhaupt nicht kommen? Nicht einmal die Hunde werden dann Ihren Ruf fressen wollen!«

»Wenn ihr Kommen dieser heiligen Stätte irgend welchen Schaden bringen sollte, so wäre es mir lieber, daß mein Ruf befleckt bleibe!« antwortete Kmicic.

»Sie scheinen keine Lust zu haben, Pulver zu riechen. Man kennt solche Ritter zur Genüge, die nicht schlechter rennen können als Hasen.« Kmicic senkte die Augen.

»Ich habe keine Lust, mich in Streitigkeiten einzulassen,« sagte er ruhig. »Ich habe vergessen, daß man mich gekränkt hat; es wäre gut, wenn auch Sie das täten. Und meine Tapferkeit, die werde ich Ihnen beweisen, sobald die Schweden erscheinen.«

»Sie hoffen wohl Kommandant zu werden?«

Kmicic wurde auf einmal sehr ernst.

»Zuerst beschuldigten Sie mich der Habgier, jetzt des Ehrgeizes. Wissen Sie denn noch nicht, daß ich Auszeichnungen wegen nicht hierher gekommen bin. Ich will nichts weiter als ein einfacher Soldat sein und sogar unter Ihrem Befehle stehen.«

»Und Sie haben wirklich Lust zum Kämpfen?«

»Ich sagte Ihnen ja schon, das wird sich zeigen, wenn die Schweden kommen.«

»Nun, und wenn sie nicht kommen?«

»Dann, dann werden wir selbst gehen und sie suchen,« rief Kmicic begeistert aus.

»Bei Gott, Sie beginnen mir zu gefallen,« sagte Pan Czarniecki. »Man könnte in der Tat eine ganze Schar Leute sammeln. Schlesien ist von hier aus mit der Hand zu erreichen. Dort kann man genügend Soldaten anwerben.«

»Ja, und dadurch würde man den anderen ein Beispiel geben,« fiel Kmicic lebhaft ein. »Ich habe auch einige Leute bei mir. Sie sollten sie einmal bei der Arbeit sehen!«

»Wahrhaftig, ich möchte Sie umarmen!« rief Pan Piotr.

»Das wäre mir ein großes Vergnügen!«

Sie umarmten sich beide.

In diesem Augenblicke kam der Prior vorbei, er sah die Szene und sagte leise:

»Dem Kranken beginnen die Kräfte zurückzukehren.«

An diesem Abend waren alle Vorbereitungen beendet. Die Festung war mit allem versehen: mit Vorräten, Pulver und Kanonen; nur die Mauern waren nicht stark genug, und es fehlte an genügender Besatzung.

Czenstochau, oder richtiger gesagt, Jasna-Gora, gehörte zu den kleinsten und schwächsten Festungen der Republik. Man konnte die Garnison nach Belieben verstärken, die Mönche schlugen jedoch viele Angebote ab, um die Vorräte möglichst wenig anzugreifen.

Viele, besonders deutsche Kanoniere, waren der Meinung, daß Czenstochau überhaupt nicht imstande wäre, sich zu verteidigen. Narren! Sie waren der Überzeugung, daß die Hauptstärke einer Festung in ihren Mauern läge; sie wußten nicht, was starke, vom Glauben beseelte Herzen ausrichten können! Pater Kordecki, der befürchtete, daß diese Zweifler unter den Leuten Unruhe und Angst verbreiten könnten, entließ sie alle außer einem einzigen, der sehr erfahren in seinem Fache war.

An demselben Tage kam auch der alte Kiemlicz mit seinen Söhnen. Er bat Pan Andreas, sie alle ihrer Dienste zu entbinden. Kmicic geriet in Zorn.

»Hunde,« schrie er, »freiwillig verzichtet ihr auf solch ein Glück! Ihr wollt nicht die Stätte der heiligen Jungfrau verteidigen! Gut, euer Wille geschehe! Eure Pferde habe ich euch schon bezahlt, und das hier nehmt für das übrige!«

Er nahm seine Börse heraus und warf sie ihnen vor die Füße.

»Da habt ihr euren Lohn! Ihr wollt also außerhalb dieser Mauern auf Raub ausgehen! Schert euch aus meinen Augen! Für euch ist kein Platz hier! Ihr seid nicht würdig, den Tod zu sterben, der unser wartet! Fort!«

»Unwürdig sind wir, unwürdig!« jammerte der Alte, indem er den Kopf senkte. »Wir sind es nicht wert, daß unsere Augen auf die Heiligtümer von Jasna-Gora blicken dürfen. Heilige Beschützerin! Zufluchtsstätte der Sünder! Wir sind unwürdig! unwürdig!«

Er bückte sich tief, so tief, daß seine gierige Hand bis zur Börse reichte, die auf dem Boden lag.

»Aber auch außerhalb dieser Mauern werden wir nicht aufhören, Euer Gnaden zu dienen. – Sobald sich irgendwo etwas Besonderes ereignet, werden wir Ihnen Nachricht geben. Alles, alles ist von Wert. Auch jenseits der Mauern stets bereite Verteidiger zu haben.«

»Fort mit euch!« schrie Pan Andreas.

Kiemlicz ging mit seinen beiden Söhnen rückwärts hinaus, indem sie sich immer wieder tief verbeugten. –

Es war am achten November: eine dunkle, regnerische Nacht brach herein. Mit dem Regen zugleich fielen die ersten nassen Schneeflocken, die den Anzug eines frühen Winters verkündeten. Die Stille der Nacht wurde nur durch die Rufe der Wachen unterbrochen, und im Dunkeln schimmerte bald hier, bald dort der weiße Mönchsrock des Paters Kordecki.

Kmicic schlief nicht. Er war mit Pan Czarniecki auf der Mauer, dem er Episoden aus dem Kriege mit Chowanski erzählte. Czarniecki berichtete seinerseits, nicht ohne stark zu übertreiben, von Zusammenstößen mit den Schweden.

Plötzlich rief Kmicic:

»Sie nahen!«

»Wer, was sagen Sie?«

»Ich höre Reiter ankommen!«

»Das ist der Regen, der auf die Dächer fällt!«

»Aber nein doch, Gott! Das ist nicht der Regen, das ist das Trappeln von Pferden. Mein Gehör ist durch Erfahrungen geschärft. Es ist eine große Reiterabteilung, und sie ist nahe, nur der Wind übertönt sie! – Die Wache! Die Wache!«

Kaum verhallte Kmicic' Stimme, als von unten, aus der Dunkelheit her, Trompetenstöße erschollen. Die Wachen sprangen von ihren Plätzen auf, die Mönche, die Edelleute und die Soldaten eilten aus ihren Zellen herbei. Bald mischte sich das Geläut aller Klosterglocken in den durchdringenden Schall der Trompeten.

Pater Kordecki befahl, die bereit gehaltenen mit Teer gefüllten Fässer anzuzünden. Ihr roter Widerschein beleuchtete den Fuß des Felsens, und vor den Augen der Jasna-Goraer zeigte sich eine Gruppe Trompeter, hinter denen dichte Reiterscharen mit wehenden Fahnen folgten.

Die Trompeter bliesen unaufhörlich, als wenn sie durch die durchdringenden Töne ihrer Trompeten die ganze Kraft der schwedischen Macht schildern und die Mönche gänzlich einschüchtern wollten. Endlich ritt einer aus ihren Reihen heraus, und indem er ein weißes Tuch entfaltete und damit umherwehte, nahte er sich den Toren.

»Im Namen Seiner Königlichen Majestät,« schrie der Trompeter, »des Königs der Schweden, Goten und Vandalen, des Großfürsten von Finnland, Estland, Karelien, Bremen, Stettin und Pommern, des Herrschers von Ingermanland, Wismar und Bayern, öffnet!«

»Man lasse ihn herein!« erscholl die Stimme Kordeckis.

Der Reiter hielt eine Minute später vor einer schmalen Pforte im Tore, stieg vom Pferde und näherte sich einer Gruppe von Mönchen, denen er ein versiegeltes Schreiben übergab.

»Der Pan Graf wird bei der heiligen Barbara auf Antwort warten,« sagte er.

Der Prior berief die ganze Schlachta zur Beratung in den Konferenzsaal.

»Gehen wir,« sagte Czarniecki zu Kmicic.

»Meinetwegen, nur aus Neugierde. Das Beraten ist nicht meine Sache, ich tue, was man mir befiehlt.«

Der Brief des Grafen Wrzeszczowicz lautete:

»Ihnen, heilige Väter, ist meine Hochachtung vor Ihrer heiligen Stätte und Ihrem ganzen Orden bekannt. Sie wissen auch, daß ich ständig für Sie eingetreten bin und kennen die Dienste, die ich Ihnen erwiesen habe. Ich möchte Ihnen daher noch einmal versichern, daß ich Ihnen bis auf den heutigen Tag noch ebenso ergeben und gewogen bin wie vordem. Ich komme nicht als Ihr Feind, sondern als Freund. Stellen Sie ohne jedes Bedenken Ihr Kloster unter meinen Schutz; denn die jetzige Lage erfordert dies. Sie werden sich auf diese Weise Ruhe und Sicherheit verschaffen. Ich schwöre Ihnen, daß sämtliche Heiligtümer unangetastet, daß all Ihre Schätze unberührt bleiben werden. Bedenken Sie, welche Vorteile Sie dadurch gewinnen, wenn Sie das Kloster meinem Schutze anvertrauen. Denn schreckliche Gefahren drohen Ihnen durch den General Müller, der ein Ketzer und Feind Ihres Glaubens ist. Wenn er kommt, wird er Sie mit Gewalt unterwerfen, und Sie werden es bereuen, meinen Rat verschmäht zu haben.«

Die Mönche gerieten alle in Aufregung, Sie gedachten der freigiebigen Spenden Wrzeszczowicz', und viele waren der Meinung, daß der einzige Weg, allen Gefahren vorzubeugen, der wäre, Wrzeszczowicz' Rate zu folgen.

Endlich begann Pater Kordecki:

»Kommt ein wirklicher Freund des Nachts und weckt die Diener Gottes durch Trompetenstöße? Erscheint er an der Spitze von Tausenden von bewaffneten Soldaten, wie jetzt vor unseren Mauern stehen? Warum ist er nicht mit einem kleinen Gefolge gekommen? Was bedeuten diese bewaffneten Regimenter, wenn nicht eine Drohung für den Fall, daß wir das Kloster nicht ausliefern? Brüder, bedenkt, daß der Feind nie sein Wort gehalten, daß er weder Schwüre noch Schutzbriefe geachtet hat. Der König hat uns freiwillig einen solchen Brief geschickt, er hat uns versprochen, daß unser Kloster unbehelligt bleiben solle, und dennoch stehen vor unseren Mauern schon Truppen, die mit Trompeten verkünden, daß ein Wort des Königs keine Bedeutung habe. Brüder, betet, daß der heilige Geist uns erleuchte, und sagt eure Meinung!«

Die darauf eintretende Stille unterbrach Kmicic' Stimme.

»In Kruczyn habe ich gehört, wie Lisola fragte: »Und werden Sie in die Schatzkammer der Mönche keinen Einblick tun?« – Und Wrzeszczowicz, derselbe, der jetzt vor unseren Toren steht, erwiderte: »Die Mutter Gottes bedarf nicht der Taler in der Kasse des Priors.« – Und jetzt schreibt derselbe Mann, daß er die heiligen Schätze nicht berühren wird. Überlegen Sie, wie wenig man ihm trauen darf.«

»Der Krieg ist nicht unser Handwerk,« sagte Pater Tomicki, »hören wir die Ritter an, die sich unter den Schutz der Mutter Gottes gestellt haben.«

»Hier handelt es sich um Sie und Ihr Schicksal, heilige Väter,« begann Zamoyski: »Vergleichen Sie die Kraft des Feindes mit der unseren, und entscheiden Sie selbst. Dürfen wir, Ihre Gäste, Ihnen denn raten? Wenn Sie uns aber fragen, was zu tun sei, so antworten wir: Jedweder Gedanke an eine Übergabe ist fern von uns. – Schmach und Schande dem, der seine Ruhe mit dem Preise der Ehre und Würde verkauft. Aus freiem Willen haben wir mit Weib und Kindern hier Unterkunft gesucht; wir sind entschlossen, mit euch zu leben, und, wenn Gott es so bestimmt, mit euch zu sterben. Uns ist der Tod lieber als die Schande, der Entweihung der heiligen Stätte beizuwohnen.«

Der Pan Miecznik verstummte, und auch die anderen schwiegen alle; nur Kmicic, der gewohnt war, seinen Gefühlsregungen nachzugehen, ging auf den alten Mann zu und drückte seine Hand an die Lippen.

»So wollen wir Widerstand leisten,« sagte schließlich Kordecki, »denn noch nie haben Belagerte eine solche Zuflucht gehabt wie wir!«

»Opfern wir uns! Glauben wir weder den Ketzern noch solchen Katholiken, die sich in den Dienst des Feindes gestellt haben!« erschollen viele Stimmen.

Der Rat beschloß, zwei Mönche zu Wrzeszczowicz zu schicken mit der Meldung, daß die Tore geschlossen bleiben und die Belagerten sich verteidigen werden, wozu ihnen der Schutzbrief des Königs ein volles Recht gäbe. Zugleich sollten die Abgesandten den Grafen bitten, die Belagerung so lange aufzuschieben, bis eine Antwort des Paters Theophil Broniewski, des Ordensoberen, der gerade in Schlesien weilte, eingetroffen wäre.

Nach einer halben Stunde kehrten beide Mönche zurück und erschienen wieder im Konferenzsaal. Ihre Köpfe waren gesenkt, ihre Gesichter bleich und traurig. Pater Kordecki entnahm ihren Händen den Brief Wrzeszczowicz' und verlas ihn laut. Der Graf stellte Bedingungen, auf Grund deren die Mönche ihre Kapitulation erklären sollten.

Als der Prior zu Ende gelesen hatte, blickte er stumm alle Anwesenden der Reihe nach an, dann sagte er feierlich:

»Im Namen des Vater, des Sohnes und des heiligen Geistes! Im Namen der heiligen und unbefleckten Mutter Gottes! Auf die Mauern, liebe Brüder!«

»Auf die Mauern! Auf die Mauern!« erscholl der einmütige Ruf.

Es vergingen kaum einige Minuten, als eine helle Flamme den Fuß des Klosters erleuchtete. Wrzeszczowicz hatte befohlen, die Gebäude der Kirche der heiligen Barbara anzünden zu lassen. Das Feuer erfaßte schnell all die alten Gebäude und nahm mit jeder Minute an Stärke zu.

Beim Scheine der roten Flamme sah man, daß Reiterabteilungen sich hin und her bewegten. Man begann zu plündern. Die Reiter trieben das Vieh aus den Ställen. Die Kühe brüllten klagend, und die Schafe sammelten sich in Haufen und stürzten sich ins Feuer. Die Mehrzahl der Belagerten sah zum ersten Male das blutige Gesicht des Krieges, und ihre Herzen schnürten sich unwillkürlich angstvoll zusammen bei dem Anblick der zu Tode erschrockenen Bevölkerung, die von den Soldaten verfolgt wurde. Alles dies war klar von den Mauern aus zu sehen, sogar Geschrei und einzelne Worte drangen deutlich an die Ohren der Klosterbewohner. Da die Kanonen des Klosters bisher noch schwiegen, so sprangen mehrere Reiter von ihren Pferden und näherten sich dem Fuße des Berges, indem sie ihre Schwerter und Musketen drohend schwangen. Von Zeit zu Zeit rief ein großer Mann in gelber Uniform mit trichterförmig vor den Mund gehaltener Hand ein Meer von Schimpfworten zum Kloster hinauf. Die Belagerten hörten alles geduldig mit an; sie standen mit angezündeten Lunten still bei ihren Kanonen.

Pan Kmicic war mit Pan Czarniecki zusammen auf der Mauer. Seine Wangen hatten sich mit heller Röte überzogen, seine Augen brannten wie zwei Lichter, und in seinen Händen drückte er nervös die Armbrust, die sein Vater bei Chocim erbeutet hatte. Er hörte den Schimpfworten des Reiters zu, endlich sagte er zu Pan Czarniecki:

»Mein Gott! Jetzt beleidigt dieser Mensch die unbefleckte Jungfrau. Ich verstehe deutsch. Es ist schrecklich mit anzuhören. Ich halte das nicht aus!« Und er griff zur Armbrust und legte an. Pan Czarniecki aber schlug mit der Hand auf die Armbrust.

»Gott wird ihn strafen,« sagte er. »Pater Kordecki hat nicht erlaubt, daß wir zuerst schießen; sie sollen den Anfang machen.«

Kaum hatte er ausgeredet, als der Reiter seine Muskete abschoß.

»Nun ist's erlaubt?« rief Kmicic.

»Jetzt, ja,« antwortete Czarniecki.

Kmicic wurde sofort ruhiger. Der Reiter, der mit der Hand sein Auge schützte, verfolgte seine Kugel. Kmicic zog seine Armbrust an, und mit den Worten »ein Toter! ein Toter!« schoß er sie ab.

Dem Reiter entsank die Muskete; er machte mit den Händen eine verzweifelte Bewegung nach oben und fiel rücklings zu Boden. Eine Minute lang zappelte er wie ein aus dem Wasser gezogener Fisch, dann streckte er sich plötzlich aus und blieb regungslos wie erstarrt liegen. Ein anderer Reiter näherte sich der Leiche, fiel aber bald, von einem zweiten Pfeil Kmicic' getroffen, nieder.

Endlich ertönten die Feldgeschütze Wrzeszczowicz'. Pater Kordecki trat zu Pan Czarniecki. Ihm folgte Pater Dobrosz, der in Friedenszeiten der Artillerie des Klosters vorstand und an Festtagen Salute abschoß. Er galt daher als erfahrener Artillerist. Der Prior segnete eine Kanone und wies mit der Hand auf sie. Pater Dobrosz streifte seine Ärmel hoch und begann, sie auf eine Reitergruppe, an deren Spitze ein Offizier mit gezogenem Degen stand, zu richten. Er zielte lange; es handelte sich ja um seinen Ruf. Endlich näherte er die Lunte dem Zündloch. Als sich der Rauch verzog, war kein Reiter mehr auf der Stelle zu sehen. Mehrere lagen mit ihren Pferden auf der Erde, die anderen flohen. Auf den Mauern erscholl der Gesang der Mönche. Es wurde immer finsterer, nur Tausende von Funken fielen, sich langsam drehend, zu Boden.

Die Trompeter Wrzeszczowicz' fingen wieder an zu blasen, aber der Schall der Trompeten klang mehr und mehr entfernt. Wrzeszczowicz zog sich mit seinen Soldaten zurück.

Pater Kordecki fiel in die Kniee.

»Maria! Mutter des einzigen Sohnes!« sprach er mit starker Stimme, »gib, daß der, der nach ihm herkommt, sich mit dem gleichen unbefriedigten Groll zurückziehen muß.«

Plötzlich lichteten sich die Wolken über dem Kopfe des Priors. Ein Heller Mondstrahl beleuchtete die Türme, die Mauern, den knieenden Prior und die rauchenden Ruinen der Gebäude. – –


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