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Die beiden Sklaven

Inzwischen saßen Dietrich von Camp und Hen, an Händen und Füßen in Ketten, in einem verborgenen Gemache des Palastes zu Kairo und erwarteten in banger Sorge den Morgen, vor dessen schrecklichen Aussichten all das Unglück verblaßte, das sie in Ägypten schon erfahren hatten.

Als Dietrich, um nicht in die Hände der Seeräuber zu fallen, über Bord gesprungen war, hatte er gehofft, schwimmend die Boote der Sinaiten erreichen zu können, die auf das Flaggenzeichen des Schiffsführers hin zu ihrer Hilfe aufgebrochen und noch immer in der Ferne sichtbar waren. Gelang ihm das, so ließen sich die Leute vielleicht veranlassen, die Piraten bis in ihren Schlupfwinkel zu verfolgen und ihnen wenigstens auch Hen wieder abzujagen.

Aber die Seeräuber waren nicht gewillt, ihren besten Fang so leicht wieder fahren zu lassen. Im Nu hatten sie zwei Boote ausgesetzt, und mit wildem Geschrei ging es hinter dem kühnen Schwimmer her. Mit starken Armen kämpfte der Junker gegen die vom Sturm aufgewühlte Flut. Er fühlte, daß er nur langsam vorwärts kam. Aber er verlor den Mut nicht und arbeitete sich weiter. Mit gewaltiger Wucht stürzten die Wellen auf ihn nieder. Manche riß ihn mit sich hinab und hielt ihn sekundenlang in der Tiefe. Aber wenn es ihn dann wieder hob, atmete er unverzagt auf, und mit frischen Kräften ging es vorwärts.

Auch die Räuber hatten Mühe genug, ihre leichten Boote gegen den hohen Seegang in Richtung zu halten, und oft verloren sie, wenn sie längere Zeit in einem Wellental festgesessen hatten, die Spur des Flüchtlings.

Aber plötzlich sahen sie ihn wieder auftauchen, und da die Ruderer ihr Handwerk wohl verstanden, kamen sie allmählich doch näher und näher.

Endlich hörte der Junker dicht hinter sich ihr Geschrei: »Da! – da! – Herum mit den Booten! – Verlegt ihm den Weg! – Gebt ihm eins mit dem Ruder! – Aber nehmt euch in acht, daß uns das Lösegeld nicht verloren geht!«

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»Dort ist er! – Herum mit den Booten! – Verlegt ihm den Weg!«

Plötzlich sah der Junker sich umringt. Rechts und links vor ihm ragten die braunen Planken der Boote über das Wasser auf. Sie berührten sich fast mit den Kielen, und mit der nächsten Welle mußte er mitten zwischen sie geraten. Er versuchte unterzutauchen und womöglich unter einem der Boote fortzuschwimmen. Aber gerade jetzt hob ihn eine Welle mit solcher Gewalt, daß er bis an die Brust aus dem Wasser emporgeschleudert wurde.

Diese Gelegenheit benutzte einer der Räuber, um mit dem Ruder nach ihm zu schlagen. Aber in grimmiger Wut kam ihm der Junker zuvor, griff nach dem Holz und riß es mit so gewaltigem Ruck nieder, daß der Bursche in weitem Bogen über Bord in das Meer sauste und nach kurzem Hilfegeschrei, des Schwimmens unkundig, unterging.

Inzwischen hatte sich aber das andere Boot so nahe herangearbeitet, daß ihn die Männer von hinten mit den Händen fassen konnten, und nach kurzer Gegenwehr war nun der tapfere Schwimmer überwältigt, in das Boot hineingezogen und an Händen und Füßen gebunden, nachdem man ihn zuvor durch einen furchtbaren Schlag besinnungslos gemacht hatte.

Als er aus der Betäubung erwachte, lag er in einer schmutzigen Lehmhütte, durch deren halbzerfallenes Schilfdach die Morgensonne hereinschaute. Verwundert suchte er sich aufzurichten. Aber die Glieder waren ihm gefesselt, und ein dumpfer Schmerz an der Stirn machte es ihm unmöglich, auch nur den Kopf zu bewegen.

Plötzlich hörte er eine bekannte Stimme: »Herr! Herr! Herr Junker! – O heiliger Florian bitte für ihn!« Und nun bemerkte er, daß er mit dem Kopf auf den Schenkeln seines alten Dieners lag, der, ebenfalls gebunden, gegen die Wand gelehnt saß und sich mit glückstrahlendem Gesicht über seinen sich langsam erholenden Herrn niederbeugte.

»Wo sind wir denn?« fragte der Junker endlich mit schwacher Stimme.

»In der Patsche, Herr!« antwortete der Alte, vor Freude über die Rettung seines Herrn ganz außer sich. »Gehörig in der Patsche! Aber Gott verläßt keinen Deutschen, und nun Ihr mit dem Leben davongekommen seid, wird uns der heilige Florian schon weiter helfen. Die Schufte haben Euch übel genug mitgespielt, und als ich Euch zuerst in den Schiffsboden schleppen sah, glaubte ich nicht, daß ich Euch noch einmal würde in die Augen blicken können. Aber nun ist alles wieder gut. Wir sind an Land, in irgend einem ägyptischen Dorf, und kommen vielleicht schneller nach Kairo, als wir gehofft haben. – Wenn sich die Schufte nur mal um uns bekümmern möchten, damit ich Euch eine Stärkung verschaffen könnte. Mir klebt auch schon die Zunge am Gaumen, und einen Hunger hab' ich, daß Gott erbarm. – He! Holla! Wollt ihr denn eure Gefangenen bei lebendigem Leibe verschmachten lassen, ihr Tölpel! He! Holla!«

Auf sein Geschrei kamen endlich wirklich ein paar braune Männer herbei. Man löste den Gefangenen die Hände, brachte ihnen Maisbrot und Wasser und fing schließlich an, mit ihnen wegen des Lösegeldes zu verhandeln.

Hen, der hierauf schon vorbereitet war und sich während der Nacht alles überdacht hatte, meinte, sie sollten nur zum Bischof von Sinai schicken, der würde sie gewiß auslösen und alles für sie bezahlen, was man verlangte. Davon aber wollten die Räuber nichts wissen.

Der Bischof von Sinai, entgegneten sie, würde wohl was anderes für sie tun, als ihnen ein Lösegeld auszahlen. Der sei ihr schlimmster Feind und schon lange darauf aus, ihnen ihr Geschäft zu verderben. Sie seien daran gewöhnt, daß ihnen das Lösegeld von zuverlässigen Leuten im Lande bezahlt würde, und die Gefangenen möchten sich nur darauf besinnen, ob sie nicht irgendwo in Ägypten einen guten Freund wohnen hätten, der für sie eintreten würde.

Jetzt war auch Hen mit seiner Weisheit zu Ende. Wo sollten sie in diesem abgelegenen Heidenlande einen guten Freund ausfindig machen?

So beschlossen denn die Piraten nach langem Hin- und Herreden, sich auf andere Weise schadlos zu halten und die beiden Gefangenen, die sie bald als Franken erkannt hatten, als Sklaven zu verkaufen. Fränkische Sklaven bekam man jetzt in Friedenszeiten nicht alle Tage. Es waren seit Jahren keine auf dem Markte gewesen. Dafür würde sich schon ein ansehnlicher Preis erzielen lassen.

Die beiden Gefangenen wurden nun mit starken Ketten aneinander geschmiedet und noch an demselben Morgen durch die Wüste fortgeführt, obwohl der Junker noch so schwach war, daß er oft zusammenzubrechen drohte. Nach qualvollem Marsche gelangten sie endlich nach Atfih und erschienen an demselben Tage auf dem Markte, an dem Mechthildis dort in ihrer Sänfte vorübergetragen wurde.

Dem schlauen Ahmed, dem Hofbeamten des Kalifen, der Mechthildis bei ihrem Ausfluge begleitete, war es nicht entgangen, warum die Sänfte damals angehalten worden war und daß die beiden weißen Sklaven die Aufmerksamkeit der Fürstin erregt hatten. Sogleich witterte er, daß irgend ein geheimer Zusammenhang zwischen ihnen bestehen müsse, und um jeder Möglichkeit vorzubeugen, daß hieraus etwas entstehen könne, was seinem Herrn mißfallen und ihn in Ungnade stürzen würde, gab er insgeheim den Befehl, die beiden Sklaven zu kaufen und nach Kairo zu bringen.

So waren der Junker und Hen in das Schloß des Kalifen gekommen, wo man sie sogleich einem langen Verhör unterwarf, um herauszubekommen, wer sie wären und was für Absichten sie verfolgten. Sie blieben aber dabei, daß sie Kaufleute und nur durch Schuld der Seeräuber in eine so unglückliche Lage geraten seien.

Man schien ihnen schließlich Glauben zu schenken, nahm ihnen die Ketten ab, hielt sie zwar, angeblich bis man weitere Erkundigungen über sie eingezogen hätte, gefangen, behelligte sie aber nicht weiter, bis sie plötzlich heute nachmittag in einer fest verhängten Sänfte nach der Insel Bulak in die Arena gebracht worden waren, wo die grausigen Schauspiele vor dem Kalifen abgehalten zu werden pflegten.

Hier hieß man sie aussteigen, und während Soldaten unter Führung eines dicken Paschas einen Kreis um sie schlossen, eröffnete man ihnen, daß man sie inzwischen als Krieger erkannt habe. Als solche würden sie es zwar verstehen, einen Menschen zu töten. Da sie aber dazu ausersehen seien, am nächsten Tage vor den Augen des Kalifen einen großen Herrn hinzurichten, so wolle man sie doch erst eine Probe machen lassen.

Gleichzeitig wurde ein zitternder Mensch herbeigeschleift und an ihm gezeigt, wie die Prozedur zu vollziehen sei. Einer packte den Unglücklichen am Kopf und drückte ihm den Nacken nieder, während der andere das krumme Schwert zum Streiche erhob.

Hierauf verlangte man von den beiden, daß sie es nachmachen, dem Delinquenten aber wirklich den Kopf vom Rumpfe trennen sollten. Wenn sie ihre Sache vor dem Kalifen gut machen würden, sollten sie die Freiheit erhalten. Würden sie aber ungeschickt zu Werke gehen, oder gar sich weigern, so sollten sie das Schicksal des Verurteilten teilen und ebenfalls morgen hingerichtet werden.

Der Junker hatte die ungeheuerliche Zumutung zuerst für einen rohen Scherz gehalten, oder für einen Kniff, um sie über ihre wahren Absichten und ihre Herkunft auszuforschen. Aber bald genug wurde er davon überzeugt, daß sie in der Tat zu diesem grausigen Dienst gezwungen werden sollten, und nun ergriff ihn eine wilde Empörung.

Wie ein gereizter Löwe sprang er auf den Henker los, riß ihm das Schwert aus der Hand und wollte es eben auf den Kopf des dicken Paschas niedersausen lassen, als sich eine Schar von Kriegern von hinten auf ihn stürzte, ihn entwaffnete und an Händen und Füßen fesselte.

Auch Hen wurde nun wieder in Ketten gelegt, und nachdem man ihnen unter furchtbaren Drohungen geraten hatte, sich bis zum nächsten Morgen anders zu besinnen, oder ebenfalls zu sterben, warf man sie wieder in die Sänfte und brachte sie in ihr Gefängnis oben auf dem Schlosse zurück.

Hier kauerten sie nun, die schreckliche Gewißheit vor Augen, daß der nächste Morgen der letzte für sie sein würde. Stundenlang saßen sie in dumpfem Vorsichhinbrüten nebeneinander, bis Hen endlich des Schweigens überdrüssig wurde und sagte: »Wenn ich mir's recht bedenke, Herr: Was ist's denn im Grunde so Schlimmes? Zum Sterben ist man ja schließlich doch auf der Welt, und besonders, wenn man dem Herrn Jesus als Kriegsmann dient, der ja auch sein Kreuz auf sich genommen hat. Um Euer junges Leben ist es ja freilich was anderes, wie um meines, an dem doch nicht mehr viel zu verlieren ist. – Ein bißchen früher oder später! Das wirkliche Leben fängt ja doch erst drüben an. Mir ist's ja nur darum leid, daß ich dem heiligen Florian mein Versprechen nicht halten kann; ich habe ihm nämlich damals im Schiffe eine Kerze gelobt, wenn Ihr mit dem Leben davonkommen würdet. Aber ich denke, wenn ich mit dem Kopf in der Hand oben bei ihm ankomme, wird er mir's nicht gar zu übel anrechnen. Der Tod macht alles quitt.«

»Das ist nicht wahr!« entgegnete der Junker. »Und das ist es, was mich quält. Um das Sterben ist mir's wahrlich nicht, obwohl ich mir einen besseren Tod gewünscht hätte. – Aber daß ich dahingehen muß, ohne den Schandfleck getilgt zu haben, mit dem man meinen Namen beschmutzt hat, das tut mir weh. Wie wird nun der falsche Guiscard triumphieren! ›Seht ihr, was hinter den großen Worten des Sohnes steckte!‹ wird er sagen. ›Er ist genau so ein Verräter wie der Vater.‹ Und man wird ihm auch diesmal glauben, und niemand ist mehr da, der für unsere geschändete Ehre eintreten könnte!«

»Doch, Herr!« unterbrach ihn Hen. »Doch ist einer da. – Gott! Er sorgt schon dafür, daß Recht – Recht bleiben muß und daß das Unrecht an den Tag kommt und zunichte wird. Und davon könnte ich Euch, wenn es Euch genehm ist, manches Märlein berichten.«

»Ja, ja; erzähle nur. Über dem Schwatzen vergeht die Zeit.«

Hen fing nun an, eine ganze Reihe von Geschichten aufzuzählen, in denen ehrliche Leute durch böswillige Verleumdung ins Unglück gestürzt wurden, bis schließlich doch irgend ein Wunder die Verräter entlarvte. Er führte als Beispiel die Geschichte von der unglücklichen Herzogin Genovefa von Brabant an, die durch die Falschheit ihres Haushofmeisters Golo auch um ihre Ehre gebracht, schließlich aber doch von ihrem Gemahl als unschuldig erkannt worden sei, und erzählte auch von dem Kettendom auf dem Tempelplatz in Jerusalem, den Salomon gebaut und Gott mit einer wunderbaren Kette versehen habe. Wer die Wahrheit sprach, konnte sie erfassen, sobald aber ein meineidiger Zeuge sie berührte, löste sich ein Ring ab und machte so das Unrecht offenbar.

Geduldig hörte der Junker zu, bis ihm die Augen zufielen.

Nun schwieg der Alte, glücklich darüber, daß er seinen Zweck, dem Junker die böse Nacht zu kürzen, erreicht hatte, und wandte sich in stillem Gebet an seinen Schutzheiligen, der ihm schon so oft in seinem Leben geholfen hatte und von dem er auch diesmal noch immer wunderbare Errettung erhoffte.

»Lieber, guter heiliger Florian!« sagte er leise vor sich hin, die mit Ketten beschwerten Hände faltend. »Es ist ja nicht für mich, daß ich bitte. Aber mein armer Junker! Ein so junges Blut! Und er wird dir gewiß einen schönen Altar weihen, wenn du ihm davonhilfst mit deiner mächtigen Fürbitte beim lieben Herrgott und dem guten Herrn Jesus. Und wenn du für mich auch ein gutes Wort einlegen wolltest, so daß ich dir die Kerze darbringen kann, die ich dir versprochen habe, so wollte ich gerne noch eine zweite Kerze hinzufügen, so dick und schwer, daß der heilige Petrus selbst seine Freude daran haben würde.«

Dann blickte er noch einmal mit sorgender Liebe auf seinen Herrn und richtete sich ebenfalls zum Schlummer ein. Aber kaum war er ein wenig eingenickt, als er durch ein Geräusch wieder aufgeschreckt wurde. Lauschend schaute er um sich. Es war ganz dunkel in dem kleinen Raum. Aber in dem matten Schimmer des Sternenscheins, der durch das Gitterwerk des Fensters hereinfiel, bemerkte er endlich die Umrisse einer Gestalt.

»Wer ist da?« flüsterte er verwundert.

»Schweig! Wenn dir dein Leben lieb ist,« antwortete eine leise, unbekannte Stimme. »Ich bin abgesandt, um euch aus dem Kerker zu führen.«

»Wohin?« fragte Hen ungläubig.

»Das darf ich euch nicht sagen.«

»Was ist?« fragte jetzt auch der Junker, der durch das Rasseln von Hens Ketten aufgeweckt worden war.

»Hier ist ein Fremder, der vorgibt uns aus dem Kerker führen zu wollen. Wenn er aber nicht sagt, wohin, so habe ich keine Lust, die paar Stunden, die ich noch zu leben habe, so ohne weiteres daranzugeben.«

»Wer bist du?« fragte der Junker.

»Ein Bote.«

»Damit ist wenig gesagt. Wer schickt dich?«

»Jemand, der euch Hilfe bringen will.«

»Wer ist dieser Jemand?«

»Das weiß ich nicht. Aber vielleicht vertraust du mir, wenn ich dir dies hier zeige.«

Damit hielt er dem Junker einen kleinen hölzernen Ring dicht vor die Augen, und trotz der Dunkelheit erkannte dieser sofort in ihm ein Erinnerungszeichen, das er einmal als Knabe für seine Spielgefährtin aus einem Rosenstock geschnitzt hatte.

»Mechthildis?« flüsterte er in tiefster Erregung. »Du kommst von ihr. Wo ist sie? – Soll ich sie sehen?«

»Das wirst du alles von denen erfahren, die mich gesandt haben. Ich darf euch nichts sagen, als daß ihr mir folgen und alles tun sollt, was ich von euch verlange. Aber beeilt euch, wenn ihr nicht wollt, daß die Wächter uns überraschen. Seid ihr bereit, mir zu vertrauen?«

»Ja!« antwortete der Junker aus jubelndem Herzen. »Wenn ich auch den Zusammenhang nicht verstehe, so weiß ich doch, daß ich dem geheimnisvollen Rufe folgen muß, werde daraus, was wolle.«

»Meinetwegen,« sagte nun auch Hen, obwohl er sein Mißtrauen gegen den rätselhaften Boten noch immer nicht ganz überwunden hatte und sich überlegte, daß der Ring gar nicht von der Gräfin gesandt zu sein brauche, daß man ihn ihr vielmehr abgenommen haben könne, um sie jetzt in eine Falle zu locken und auf irgend eine geheime, abscheuliche Weise beiseite zu schaffen. Da er sich aber anderseits sagte, daß sie schließlich doch nichts mehr zu verlieren hätten, unterdrückte er seine Bedenken und stimmte mit seinem Junker. »Meinetwegen. Mehr wie den Hals kann es ja schließlich auch nicht kosten.«

Im Nu hatte ihnen nun der Fremde die Ketten abgenommen und sie aus dem Zimmer hinaus in einen dunklen Gang geführt, der bald durch eine versteckte Falltür in eine Höhle mündete, wie sie im Mokattamgebirge häufig zu finden sind und heute vielfach von Derwischen als Wohnstätten und Begräbnisplätze benutzt werden.

Wohl eine halbe Stunde lang ging es so unter dem Gebirge fort beim Schein einer Fackel, die in einer Felsspalte verborgen gewesen war und von dem Boten endlich wieder an einer versteckten Stelle zurückgelassen wurde. Denn jetzt öffnete sich die Höhle in einer engen Schlucht, durch die man in einen der gewaltigen Steinbrüche gelangte, die den Erbauern der Pyramiden einst das Material geliefert haben und noch heute stellenweise abgebaut werden. Zwischen dem Geröll hindurch ging es nun hinab an den Nil und an dessen dicht von Schilf und Papyrusstauden bewachsenem Ufer stromaufwärts weiter zu einer kleinen, mit undurchdringlichem Gestrüpp bestandenen Landzunge, wo der Fremde sie warten hieß.

Plötzlich war er verschwunden, ohne daß sie sich erklären konnten, wo er geblieben war, kam aber bald darauf mit einem zweiten Manne zurück, der ebenso geheimnisvoll zu Werke ging und Hens Fragen, ob sie schon am Ziele wären und was nun mit ihnen geschehen werde, nur mit einer dringenden Gebärde beantwortete, daß er schweigen solle.

Man verband ihnen nun die Augen, führte sie durch das Gebüsch langsam vorwärts, bis sie dicht vor sich das Rauschen des Stromes vernahmen, und nun fühlten sie bald, daß sie sich in einem Kahne auf dem Wasser befanden. Endlich hielt der Kahn.

Gleichzeitig fühlten sie sich gepackt und an Land getragen, wo sie gleich darauf die Körper von Reittieren unter sich fühlten. Man drückte ihnen die Zügel in die Hand, und sofort ging es nun in flottem Trabe vorwärts. – Nur an dem Keuchen merkten sie, daß jemand, jedenfalls die Eselführer, neben ihnen herlief.

Endlich begannen die Esel im Schritt zu gehen, und gleich darauf hielten sie ganz. Man half den Reitern aus dem Sattel und führte sie nun wieder eine Strecke. Sie fühlten, daß ihre Füße weichen Sand berührten und daß eine glühende Luft sie umwehte.

Aber plötzlich hallten ihre Schritte auf steinigem Boden wider. Gleichzeitig wurde es kühl und nun wurden ihnen die Binden von den Augen genommen.

»Wartet hier, bis wir euch holen werden,« erklang die Stimme des Fremden.

Wieder hörte man einige Schritte. – Dann war alles still.

»Das war ja eine seltsame Reise,« sagte Hen nach einer Weile, sich die Augen reibend, die von dem ungewohnten Licht einer Fackel geblendet waren. »Ich bin nur neugierig, wo sie uns hingeschleppt haben.«

»Merkwürdig genug ist das alles,« meinte der Junker, der auf der ganzen Fahrt nur immer an Mechthildis gedacht hatte. »Aber ich vertraue auf den Ring. Es wundert mich nur, daß sie ihn trotz allem, was seitdem zwischen uns vorgefallen ist, aufbewahrt hat. – Meinst du, Hen, daß wir sie bald sehen werden?«

»Ach, Herr! Gebt Euch nur nicht gar zu rosigen Hoffnungen hin,« antwortete der Alte, sich neugierig in dem niedrigen kleinen Raume umsehend, der den Eindruck eines Grabgewölbes machte. »Das schaut mir hier gar nicht vertrauenerweckend aus. Seht nur die seltsamen Zeichen an den Wänden. Dort der große Mann mit dem Vogelkopf und dort die Frau mit dem Kuhgesicht auf den Schultern. Wahrlich, wenn man sich im Heiligen Lande das Gruseln nicht längst abgewöhnt hätte, hier könnte man das Fürchten lernen.«

Auch der Junker, der zuerst, tief in seine Gedanken versunken, die geheimnisvolle Umgebung kaum beachtet hatte, wurde jetzt aufmerksam, und indem er die merkwürdigen Bildwerke betrachtete, die uns noch heute Kunde geben von der Kultur der alten Ägypter, sagte er: »Wie es scheint, sind wir hier in einem alten Tempel und das sind die Götzenbilder der Kinder Pharaos, von denen unser Bischof so oft erzählte. Sie verehrten die Tiere als Götter und wußten in ihrem heidnischen Unglauben noch nicht, daß Gott die Welt geschaffen hat. Nimm doch die Fackel dort und laß uns sehen, wohin jener Gang führt.«

Der Alte gehorchte, und eben wollten sie in den Seitengang einbiegen, als ein Mann mit düsteren, entschlossenen Zügen ihnen entgegentrat. Er trug ein beinernes Kruzifix in der Hand und fragte sie, ob sie Franken und aus Petra wären.

Verwundert bejahte der Junker diese Frage, und nun sagte ihnen der Fremde, daß er sie zu der Tochter ihres Herrn führen wolle, daß sie aber zuvor auf den heiligen Leib des Gekreuzigten einen Schwur ablegen müßten, niemand zu sagen, was sie hier gesehen und gehört hätten. Sie leisteten nun den geforderten Eid in derselben Weise wie vorher Mechthildis und ihre Begleiterin, und nachdem man ihnen wieder die Augen verbunden hatte, folgten sie mit klopfendem Herzen ihrem unbekannten Führer.

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