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Die Schwertprobe

Guiscard von Rouen erschrak nicht wenig, als er Wind davon bekam, daß der Graf nun doch seinen Sinn gegen den jungen Camp geändert hatte.

Wenn es dem schwarzen Junker gelang, überhaupt nach Ägypten und an den Hof des Kalifen zu kommen, dann mußte er mit Sicherheit auch auf die Spur seines Vaters stoßen. Mochte dieser nun inzwischen gestorben sein, oder noch leben, die Wahrheit würde dann bald offenbar werden. Und wenn auch die Lage zur Zeit insofern günstig war, als der ägyptische Kalif die Gelegenheit, daß die Christen im Norden beschäftigt waren und daher den Süden ihres Gebietes von Streitern mehr oder weniger entblößt hatten, sicher nicht unbenützt vorübergehen lassen würde, ohne auch seinerseits etwas gegen die verhaßten fränkischen Eindringlinge zu unternehmen. Wenn also der Junker auch kaum auf einen freundlichen Empfang oder gar auf irgendwelches Entgegenkommen am Nil würde rechnen können, so lag die Gefahr doch immerhin nahe, daß es seiner Tatkraft und Kühnheit gelingen würde, auf irgend eine Weise mit seinem Vater oder mit dem Fräulein in Verbindung zu treten.

Auf alle Fälle war dem Ritter Guiscard diese Fahrt unbequem, und deshalb beschloß er, nichts unversucht zu lassen, sie zu hintertreiben und dem Junker doch noch einen Strich durch die Rechnung zu machen.

An dem Entschluß des Grafen war ja nun freilich nichts mehr zu ändern. Der bloße Versuch, ihn noch einmal umzustimmen, hätte unter den gegenwärtigen Umständen Verdacht erwecken müssen. Wohl aber gab es eine andere Möglichkeit, den Junker unschädlich zu machen, und zwar so gründlich, daß niemals weder Huhn noch Hahn danach krähen würde.

Um diese Möglichkeit in die Tat zu übersetzen, benutzte er die erste Gelegenheit, um einen Boten in die Stadt zu senden und den Araber herbeiholen zu lassen, mit dem er vor einigen Tagen, als es den heimtückischen Überfall des Grafen gelten sollte, sich so gut verständigt hatte.

Der Araber kam und ließ sich in seiner Raublust bald genug bereit finden, auf den schändlichen Plan des Ritters einzugehen.

»Höre, mein Freund,« begann der Normanne, »Ihr seid neulich etwas zu kurz gekommen. – Das Schicksal hatte es anders bestimmt, als wir uns ausgedacht hatten. – Damit Ihr aber seht, daß ich unschuldig daran war und es gut mit Euch meine, will ich Euch jetzt eine bequemere Gelegenheit nachweisen, Euch schadlos zu halten. – Ich kann jetzt nicht längere Zeit mit dir sprechen, ohne daß es auffällt. – Aber halte dich in meiner Nähe. Unten im Sik kannst du dich wieder an mich machen und mir das Pferd durch den Bach führen; dort will ich dir das weitere sagen.«

Damit wandte er sich, sicher, daß der Mann an der angegebenen Stelle nicht fehlen würde, ab und bestieg, unbefangen, als wäre nichts geschehen, sein Pferd, um sich zu den anderen Rittern zu gesellen, die sich eben um den Grafen geschart hatten und die Marschbefehle für den ersten Tag in Empfang nahmen.

Bald darauf verließ der Graf mit vierundzwanzig Rittern, zehn Knappen und hundert Knechten den Burghof, während der Bischof die Messe lesen und die Glocken läuten ließ, und der Weißensteiner Vogt mit den Zurückbleibenden von der Mauer aus den Kameraden den Scheidegruß zurief, der von den Ausziehenden mit dem begeisterten Feldgeschrei der Streiter Christi beantwortet wurde: »Gott will es!«

* * *

Inzwischen hatte sich auch Dietrich von Camp zum Aufbruch gerüstet.

Wie schlug sein Herz bei dem Gedanken, daß nun endlich der Tag gekommen war, wo er den Fluch sollte lösen können, den des falschen Normannen Tücke über ihn und seinen Namen gebracht hatte! In frischer Zuversicht und festem Vertrauen auf Gott und seine gute Sache zweifelte er keinen Augenblick daran, daß es ihm gelingen werde, Mechthildis zu finden und zu ihrem Vater zurückzuführen. Sie würde ihn diesmal wohl nicht so hochmütig von sich weisen, wie neulich bei der Löwenjagd im Mosestal! Und auch der Graf würde dann an seine Treue glauben und ihm den lange vorenthaltenen Ritterschlag erteilen. Dann aber wollte er den Normannen zur Rechenschaft ziehen und im Gotteskampf die Unschuld des Vaters erweisen, wenn diese nicht etwa schon früher offenbar geworden sein sollte.

.

Dietrich von Camp in seines Vaters Waffenkammer.

Nachdem er dem Bischof gebeichtet und von ihm den Segen empfangen hatte, ging er in seines Vaters Waffenkammer. Dort hing das Schwert, das Hermann von Camp getragen hatte, als er unter den Augen Gottfrieds von Bouillon als erster die Mauer von Jerusalem erstiegen hatte. Das wollte nun auch er führen, und ein heiliger Schauer durchrieselte ihn, als er es in sein Wehrgehänge schob. Auch den dreieckigen Ritterschild seines Vaters mit dem silber- und rotgespaltenen Wappen des Grafen, dessen Gefolgsmann er war, nahm er zur Hand; denn obwohl ihm noch die Sporen fehlten, fühlte er sich doch als vollkommener Ritter, wie ihn das Versagen der Schwertleite auch nicht hatte abhalten können, sich schon längst durch das sich selbst gegebene ritterliche Gelübde gebunden zu erachten.

So gerüstet, stieg er hinab in den Burghof, wo der Knecht, der ihn begleiten sollte, bereits mit den Rossen seiner harrte. Seine Wahl hatte ihm wenig Kopfzerbrechen verursacht. Wer konnte dafür sonst in Frage kommen als Henrik, seines Vaters alter, treuer Diener?

Dem Alten waren die Tränen in die Augen getreten, als der Junker ihm von der beabsichtigten Fahrt gesagt und ihn zur Begleitschaft aufgefordert hatte.

»Ach, Herr Junker!« hatte er ein über das andere Mal gerufen, während er sich mit dem Ärmel seines alten Lederwamses über das verwitterte Gesicht fuhr. »Ach, Herr Junker! Daß ich das noch erleben soll! – Aber ich hab' es ja immer gesagt: Gott verläßt keinen Deutschen nicht. Er wird es schon an den Tag bringen, was der ›normännische Windbeutel‹ für ein Schurke ist und wie schändliches Unrecht sie an meinem guten Herrn Ritter getan haben. Ach, mein guter Herr Ritter! – Warum hat er mich damals nicht mitgenommen! Aber da hieß es ja: Bist zu alt, Hen, mußt zu Hause bleiben. Als ob der Herr Ritter und ich nicht an demselben St. Stephanstag aus der Taufe gehoben wären! – Hat sich was – zu alt! – Ihr sollt schon sehen, Herr Junker, ob der Hen zu alt geworden ist, um seine Schuldigkeit zu tun und sich für seinen Herrn die Knochen zerhauen zu lassen. – Bloß um das Fräulein, Herr Junker, das sag' ich Euch, um das Fräulein keinen Finger! – Ich hab' es wohl gesehen, wie sie über Euch die Nase gerümpft hat. Über all die Sticheleien der albernen Burschen, die mir, bei Sankt Florian, meinem Schutzpatron, wahrlich genug zugesetzt haben, weil ich von meinem armen Herrn nicht lassen wollte – über all die dummen Redensarten und Schelmenlieder hab' ich nicht halb so viel Galle im Blut gespürt, wie darüber. Nein, Herr Junker, für das hochmütige Fräulein keinen Finger!«

»Ja, dann wirst du wohl auch diesmal zu Hause bleiben müssen. Denn just um des Fräuleins willen ziehen wir aus,« sagte der Junker, nachdem er mehrmals vergeblich versucht hatte, den Redestrom des Alten abzudämmen, der, wenn er erst einmal ins Schwatzen gekommen war, nicht so leicht ein Ende finden konnte.

Diese Nachricht schien den Alten zunächst ganz aus dem Häuschen bringen zu wollen.

»Was? Um des Fräuleins willen ziehen wir, und nicht wegen meinem Herrn Ritter?« rief er, den Junker ungläubig anschauend. »Wir sollen den Kuckuck auch noch aus der Schlinge holen, der uns vorher aus dem Nest gesetzt hat? Und unser armer Herr Ritter soll wieder leer ausgehen? – Wer weiß, wo sie ihn hingeschleppt haben, diese ungläubigen Hunde! Wer weiß, wie er leiden muß und sich vor Gram verzehrt; denn daß er noch lebt, das fühle ich, gerade wie ein treuer Hund es fühlt, ob sein Herr noch lebt oder tot ist, wenn er ihn gleich nicht sehen kann. – Ich bin ein einfältiger alter Mann, Herr Junker, aber es tut mir doch weh, wenn Ihr mich also zum besten habt.«

Als er aber inne wurde, daß der Herr Junker ihn gar nicht zum besten haben wollte, sondern ganz im Ernst gesprochen hatte und schon Miene machte, unwillig zu werden, lenkte er doch endlich ein und sagte: »Freilich müßt Ihr ja besser wissen, Herr, was Euch ziemt, als ein törichter Knecht. Und wenn es Euch wirklich Ernst ist um das Fräulein, so muß ich mich schon drein schicken. – Aber – nicht wahr? – etwas wird für meinen guten Herrn Ritter doch wohl auch dabei herausschlagen?«

Dabei sah er so treuherzig drein, daß der Junker ihm lachend die Hand reichte und ihm, wie einem gleichbürtigen Kameraden, all seine Absichten und Pläne auseinandersetzte: Daß die Befreiung des Fräuleins nur das erste Ziel sei, das Endziel aber die Rechtfertigung und – wenn noch möglich – Erlösung des Vaters und die Wiederherstellung der Ehre seines Namens.

Nun wußte der Alte sich vor Freude kaum zu lassen. Er warf sich vor dem Junker auf die Knie, bat ihn flehentlich um Verzeihung, küßte seine Hand, betete zu Gott und zum heiligen Florian, sie möchten ihm zehnfache Starke verleihen, damit er dem Junker ein recht tüchtiger Diener sein könne, und machte sich dann mit solchem Eifer an die Arbeit, daß der Junker, als er aus der Waffenkammer zurückkam, alles zur Abreise bereit fand.

Des Junkers Roß war ein prachtvoller Araberhengst, ein Fuchs mit feinem, hübsch gebogenem Hals, breiter Brust, geradem Rücken, festen, schlanken Beinen und hoch angesetztem, stolz im Bogen getragenem Schweif voll langer, seidenweicher Haare. Es wäre kein Tier gewesen, um einen schweren Eisenpanzer zu tragen, wie man ihn in der Heimat den Schlachtrossen anzulegen pflegte. Aber auf den weiten Märschen durch die Steinwüsten des Morgenlandes hatten die Kreuzritter längst auf diesen Schutz für ihre Pferde Verzicht geleistet, ebenso wie sie selbst sich mit dem leichteren Panzerhemd begnügten. Im Kampf mit den Sarazenen kam es vor allem auf Gewandtheit und leichte Beweglichkeit an, und um die feurigen Tiere hierin nicht zu behindern, belastete man sie nicht mehr, als unbedingt nötig war. Ein kleiner Mantelsack mit dem Mundvorrat und ein paar zu beiden Seiten an ihm herunterhängende Tonkrüge zur Aufbewahrung eines kühlen Trunkes, das war denn auch alles, was Hen dem Rosse des Junkers aufgebürdet hatte.

Sein eigenes Tier war von schwererem Schlage. Es stammte zwar auch von arabischen Eltern, gehörte aber einer gröberen Art an, die von den Hirten im Mosestal, die sie züchteten, Kadischi genannt wurde. Der gutmütige Schimmel hatte auf seinem breiten Rücken nicht nur für den gewichtigen Reiter Platz, sondern auch noch für einen tüchtigen Mantelsack und für einen wohlgefüllten Wasserschlauch aus Ziegenfell, der allerdings für den weiten Ritt durch die Wüste unentbehrlich war und von dem vorsichtigen Alten, der die Qualen des Durstes oft genug am eigenen Leibe hatte spüren müssen, mit besonderer Sorgfalt behütet wurde.

»Nun – ist alles bereit, Hen?« fragte der Junker, an sein Roß tretend und nach guter Reiter Art Gurt und Sattelsitz prüfend.

»Jawohl, Herr, nach bestem Wissen und Willen,« antwortete der Alte, indem er ihm die Zügel reichte und herantrat, ihm den Bügel zu halten.

»In Gottes Namen dann: Zu Roß!«

Damit schwang sich der Junker in den Sattel. Gleich darauf saß auch der Alte auf seinem Schimmel. Ein kurzer, herzlicher Abschied von den Zurückbleibenden. Dann ging es langsam über den Burghof hin dem Tore zu.

Hier gesellte sich der Weißensteiner ihnen zu, der sie ein Stückchen Weges begleiten wollte.

Nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergeritten waren, begann der Vogt: »Ihr waget eine schwere Fahrt, Junker. Ich wollte lieber drei Löwen auf einmal angehen oder ohne Waffe mit dem Bären ringen, als ein Fräulein erlösen, das der Türke in den Klauen hat. Ich habe über diese Entführung so meine eigenen Gedanken, und es sollte mich nicht wundern, wenn ich hier in meinem Felsenneste früher Kunde vom Fräulein haben sollte, als Ihr sie zu Gesicht bekommen werdet. Der Kalif ist ein schlauer Fuchs. Er läßt nicht außer acht, daß der Schlüssel zu Jerusalem für ihn hier in der Burg zu Petra liegt und daß Geiseln ein gutes Mittel sind, um Tore zu öffnen.«

»Freilich, freilich! – Ich weiß, was ich zu tun habe,« fuhr er, einen fragenden Blick des Junkers parierend, fort. »Solange diese Hand den Schwertgriff umspannen kann, soll kein Sarazene den Weg über den Berg Hôr nach Norden finden. Aber, Junker, ich wittere schlimme Zeit, und ich wollte, der Herr Graf wäre nicht gen Damaskus gezogen.«

»Also glaubt Ihr, daß der Kalif von dem Zug wider Damaskus Kunde hat und etwas unternehmen wird?«

»Wenn ihm nicht durch andere Händel die Hände gebunden sind, gewiß. Lauern sie nicht ringsumher wie die Hyänen auf uns Christen und fallen über uns her, sobald wir nur den Rücken gekehrt haben? Wie gesagt, es sollte mich nicht wundern, wenn ich hier bald mehr sarazenischen Besuch haben würde, als meine und meiner paar Leute Schwerter bewirten können.«

»Dann wäre es also umsomehr an der Zeit, das Fräulein in Sicherheit zu bringen. Denn wenn der Kalif wirklich vor Petra rücken und sich von Euch eine Antwort holen sollte, die ihm nicht gefiele, würde es das Fräulein sicher zu entgelten haben.«

»Das wäre nicht anders zu erwarten,« antwortete der Vogt, sein Pferd anhaltend und dem Junker die Hand entgegenstreckend. »Ich muß hier von Euch scheiden, Junker. Gott geleite Euch und lasse Euch Euer Ziel erreichen. – Ihr könnt mir glauben, daß ich's ehrlich meine; denn ich habe immer Eures Vaters Stange gehalten. Und deshalb möchte ich Euch auch noch einen guten Rat mit auf den Weg geben: Haltet die Augen offen und das Schwert locker, solange Ihr noch im Bereich des Ortes seid. Ich weiß, daß Ritter Guiscard Euch Euren Zug neidet. Es gibt Burschen genug unten in der Stadt, die vortrefflich vom Hinterhalt aus schießen, und mit einem von ihnen sah ich den Ritter vorhin in geheimer Zwiesprach.«

Der Junker bedankte sich für die Warnung und versprach, sie, obwohl sie keinen allzu tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte, nicht unbeachtet zu lassen. Noch einmal schüttelte der Vogt ihm die Hand, wandte dann sein Pferd und sprengte nach der Burg zurück, die er schon in den nächsten Tagen mit allem versehen ließ, was für eine längere Belagerung not tut, um auf jeden Fall vorbereitet zu sein.

Dietrich von Camp war in Gedanken weiter geritten. Das Gespräch mit dem Vogt ging ihm durch den Sinn. Es war in der Tat nicht unwahrscheinlich, daß der ägyptische Kalif die schwache Besetzung der Grenzen benutzen würde, um einen Einfall in christliches Gebiet zu unternehmen. Früher pflegten diese Einfälle von Gazza, Askalon oder Joppe aus ins Werk gesetzt zu werden. Seitdem aber diese Küstenplätze im Besitz der Christen und meist stark befestigt oder auch durch venezianische, genuesische oder pisanische Flotten geschützt waren, hatten die Ägypter gar keinen anderen Weg für eine solche Unternehmung, als den durch das steinige Arabien. Wenn also bereits ein ägyptisches Heer unterwegs sein sollte, so galt es zunächst, unbemerkt an diesem vorbeizukommen und dann so schnell als möglich die Abwesenheit der Kriegsmacht, der sich doch jedenfalls auch der Kalif selbst angeschlossen haben würde, zu benutzen, um das Fräulein aufzuspüren und auf irgend eine Weise zu befreien und fortzubringen.

Mit diesen Erwägungen beschäftigt, hatte der Junker die Warnung des Vogtes ganz vergessen, bis er, als sie an die Ecke gekommen waren, wo der Weg von der Burg in die Stadt und weiter hin in das Sik abbog, durch Henrik wieder daran erinnert wurde. »Herr Junker,« begann er, sein Roß neben das seines Herrn lenkend, während er sich sonst bescheidentlich einige Schritte dahinter hielt. »Herr Junker, meint Ihr nicht, daß wir den Schuften ein Schnippchen schlagen sollen?«

»Welchen Schuften?« fragte der Junker in Gedanken.

»Nun, denen, die der brave Ritter, der ›normannische Windhund‹, gegen uns gedungen hat.« – Er wendete mit Vorliebe für den Ritter Guiscard diese Bezeichnung an, die sein Herr, der alte Ritter von Camp, aufgebracht und benutzt hatte.

»Ach so!« sagte der Junker lachend. »Hast du etwa Furcht vor den Buschkleppern?«

»Furcht, Herr? Nein, die hab' ich nicht. Wer vor Nicäa und Antiochien gefochten und unter den Mauern von Jerusalem gekämpft hat, wird mit Räubern und Strauchdieben nicht viel Federlesens machen. Aber mich dünkt, Euch liegt daran, sobald als möglich nach Ägypten zu kommen, und da wäre jeder Aufenthalt unwillkommen.«

»Diesen Grund laß ich allerdings gelten,« entgegnete der Junker. »Wie meinst du also, daß wir es halten sollen?«

»Seht Ihr, Herr,« begann nun der Alte, nicht wenig erfreut, daß er mit seiner Meinung durchgedrungen war, »wenn sie etwas gegen uns vorhaben, so bringen sie es im Sik zur Ausführung. Da ist Gelegenheit genug, brave Christenmenschen aus dem Hinterhalte zu überfallen, und sie glauben bestimmt, daß wir dort vorüberkommen werden. Wenn wir sie nun aber in diesem Glauben täuschen und einen anderen Weg einschlagen, müssen wir ihnen da nicht von vornherein ihren Spaß versalzen?«

»Freilich!« sagte der Junker, sich an dem Eifer des Alten ergötzend. »Es ist nur schade, daß du dann nicht zugleich die dummen Gesichter sehen kannst, die sie machen werden, wenn wir ihnen durch deine Klugheit entgangen sind. – Aber sage doch, gibt es überhaupt noch einen anderen Weg aus diesem Felsenloch?«

»Ei sicherlich, Herr, und wir stehen just davor. Wenn wir diesem Engpaß hier nach Westen folgen, gelangen wir bald zu einem Kloster. – Es hausen keine Mönche mehr darin, Herr. Die Türken hatten sie alle erschlagen, bevor wir mit dem Grafen hierher kamen, und neue haben sich in dieser verlassenen Gegend nicht wieder eingefunden, seit sie in Jerusalem so viele bequemere Plätze haben. Von diesem Kloster aus führt ein guter Weg auf den Berg Hôr, und von dort aus erreichen wir leicht die Straße nach Akaba, der wir ja doch bis zum Rand der großen Wüste folgen müssen. Wenn es Euch also nicht unwürdig erscheint, abzusteigen und Euer Roß für eine halbe Stunde lang am Zügel zu führen, bis wir den Engpaß hinter uns haben, so entgehen wir nicht nur den Meuchlern, sondern vermeiden auch den Umweg durch den Sik und schneiden gut unsere zwei, drei Stunden Weges ab.«

»Das läßt sich hören,« sagte der Junker, ohne weiteres vom Pferde springend und es am Zügel in die Schlucht hineinführend, die allerdings so eng und zerklüftet war, daß die Rosse auch ohne Reiter kaum vorwärts kommen konnten.

Dennoch langten sie glücklich am anderen Ende an und bogen nach Süden zu in ein breiteres Tal ein, das ziemlich steil bergan führte, aber, durch einen kleinen Bach bewässert, mit etwas Gras und Kräutern bewachsen war und den Pferden so sicheren Weg bot, daß die Reiter wieder aufsteigen konnten.

So ging es eine große Strecke vorwärts, bis das Tal sich abermals zu einer wilden Schlucht verengte, und plötzlich standen sie am Anfang einer förmlichen Felsentreppe, die in verwitterten, oft mehrere Fuß hohen Stufen turmhoch emporführte.

»Das ist ja eine prächtige Straße!« rief der Junker, ohne sich durch das unerwartete Hindernis die Laune verderben zu lassen. »Um da hinaufzukommen, hätten wir uns schon mit Steinböcken statt mit Pferden beritten machen müssen.«

Verdutzt blickte Hen bald die Treppe und bald seinen Junker an. Endlich sagte er, sich verlegen hinterm Ohr kratzend: »Ei, ei! Alter Bursche, was hast du da angestellt! – Wie einen doch sein Gedächtnis zum Narren haben kann! – Es sind freilich an die drei Jahre vergangen, seit ich hier oben war, und damals war ich zu Fuß – aber bei Sankt Florian, meinem Schutzpatron, ich hätte einen Schwur darauf ablegen mögen, daß wir hier oben einen Weg finden würden, um ein Turney darauf abzuhalten.«

»Nun, mit dem Schwatzen kommen wir nicht weiter,« unterbrach ihn der Junker, der inzwischen abgestiegen war, um sich den bösen Pfad etwas näher anzusehen. »Übrigens glaube ich, daß mein Fuchs sich vor den paar Stiegen nicht fürchten wird.«

»O! Und mein Schimmel auch nicht, Herr!« fügte der Alte rasch hinzu, froh, daß die Sache diesmal noch leidlich schien ablaufen zu wollen. »Wenn ich's ihm nur ein bißchen leichter mache und Mantelsack und Wasserschlauch selbst hinauftrage, wird er mich schon nicht in der Patsche sitzen lassen.«

»Also – vorwärts!« rief der Junker, nahm seinen Hengst am Zügel und versuchte, ihn durch Streicheln und Zureden zu veranlassen, die Kletterei zu beginnen.

Das edle Tier schien anfangs wenig Neigung zu haben, mit der Antilope zu wetteifern und seine Glieder an diese halsbrecherische Unternehmung zu wagen. Die freundliche Stimme seines Herrn aber, der sich wohl hütete, ungeduldig zu werden, lockte es schließlich doch ein paar Stufen hinauf, und als es fühlte, daß es nicht so schlimm war, als es aussah, ließ es sich willig weiterführen, so daß der Junker nach wenigen Minuten glücklich oben ankam.

Inzwischen hatte Hen seinen Schimmel an einem Felsvorsprung festgebunden und ihm die Last vom Rücken genommen. Das Tier schüttelte sich vor Vergnügen, als es sich so erleichtert fühlte. Sein Reiter dagegen keuchte nicht wenig, als er mit dem Wasserschlauch auf dem Buckel und dem Mantelsack in der freien Hand die steile Treppe aufwärts ging.

Der Junker hörte oben sein Stöhnen und sah ihm eine Weile lachend zu.

»Ei, Alter!« rief er scherzend. »Wenn du das geahnt hättest, würdest du doch wohl lieber die Strauchdiebe als den Wassersack auf dich genommen haben!«

Dabei war er aber schon in munteren Sprüngen im Hinabeilen, um dem armen Diener den Mantelsack abzunehmen.

Nachdem so das Gepäck hinaufgeschafft war, stiegen sie beide noch einmal hinab, um den Schimmel zu holen.

»Das wird ein schönes Stück Arbeit werden!« dachte Hen bei sich, und wenn man das behäbige Tier so stehen sah, mochte man allerdings wenig Hoffnung haben, es zu einer so ungewöhnlichen Kraftprobe überreden zu können.

Wider Erwarten aber machte das brave Roß gar keine Umstände und nahm die beschwerlichsten Stufen so leicht, als ob es sein Lebtag nichts anderes getan hätte, als Berge steigen. Wahrscheinlich war es im Mosestale auf einer Bergweide aufgewachsen, wo es von Jugend auf zwischen steilen Felsen hatte herumklettern müssen.

Dennoch atmete Hen erleichtert auf, als sie endlich oben waren, und in frommer Andacht fiel er auf die Knie, um seinem Schutzpatron zu danken, der ihn, wie er fest überzeugt war, auch in dieser Not wieder treu beschützt hatte. Auch dem Junker dankte er für seine Nachsicht und Güte und meinte, wenn man einem so guten Herrn diene, könne es einem gar nicht fehlen. Gottes Hand sei aber auch sichtbar über ihnen gewesen; denn wenn jetzt die Petraenser über sie gekommen wären, hätte ihnen alle Tapferkeit wenig helfen mögen.

Nachdem Wasserschlauch und Mantelsack wieder aufgeschnallt waren, ging es weiter. Der Weg war jetzt gut und führte nur wenig bergan. Nach wenigen Minuten öffnete sich ein ziemlich weiter Talkessel, an dessen oberem Ende, ganz aus dem Felsen herausgehauen, das »Kloster« lag, ein seltsames, mit hübschen Säulen geschmücktes Gebäude, das in der ganzen Anlage der »Schatzkammer Pharaos« unten im Sik ähnelte und sicherlich auch als römischer Tempel gedient hatte, bevor zur Zeit Kaiser Konstantins christliche Mönche in diese Einöde verschlagen worden waren. Auch auf der gegenüberliegenden Felswand ragte eine Reihe zierlicher Säulen auf, und der Junker verspürte große Lust, sich in diesen geheimnisvollen Stätten alter Kultur etwas näher umzuschauen. Aber um einen neuen Aufenthalt zu vermeiden, versagte er sich's und ließ nach kurzer Rast sein Pferd weitergehen.

Der Pfad über den Berg Hôr, der in einsamer Majestät vor ihnen aufragte, bot nun keine besonderen Schwierigkeiten mehr. Er führte über einen ziemlich niedrigen Sattel hinweg, von dem aus ein Stufenweg nach dem von den Muselmännern wegen des Aaronsgrabes oft besuchten Hauptgipfel emporstieg.

Die beiden Reiter kümmerten sich aber nicht um dieses mohammedanische Heiligtum, dessen Bedeutung sehr zweifelhaft ist, obwohl schon der alte jüdische Geschichtschreiber Josephus berichtet, daß der Glaube daran in dieser Gegend landläufig gewesen sei.

Sie ritten ihres Weges fürbaß und beeilten sich, in das nach Westen zu sich öffnende Tal hinabzukommen, das sie in wenigen Stunden an den Rand der großen Wüste bringen mußte. Dort wollten sie bis Mitternacht rasten und dann den ersten Teil der Wüste während der mondhellen Nacht durchreiten, um womöglich noch vor Tagesanbruch ein kleines Tal zu erreichen, dessen Bach, von den Arabern el ghubai genannt, zuweilen bis in den Herbst etwas Wasser führte.

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Vor sich sahen die beiden Reiter ein seltsames Gebäude, das »Kloster«.

Plötzlich – sie waren eben in eine wilde, von niedrigen, aber zerklüfteten Felswänden eingeschlossene Schlucht eingebogen – plötzlich war es dem Junker, als höre er hinter den Tamariskengebüschen der benachbarten Höhen das Geflüster verschiedener Stimmen.

Er hielt sein Pferd an und lauschte.

Ein paar Zweige knackten da drüben in einer Felsspalte. Das konnte aber auch von einer aufgescheuchten Gazelle sein, und sonst war nichts zu hören.

Er ritt weiter.

Nach kurzer Zeit aber meldeten sich die Geräusche wieder, und diesmal kamen sie ganz aus der Nähe.

»Hen, ich glaube, der ›normännische Windbeutel‹ spukt doch noch hinter uns drein,« sagte der Junker leise, indem er den Schild auf den Arm schob und das Schwert locker machte.

Aber der Alte, der bei dem langsamen Dahinreiten auf dem breiten Rücken seines Schimmels ein bißchen eingenickt war und infolgedessen nichts gehört hatte, war viel zu sehr von der Güte seines Planes überzeugt, um sich so ohne weiteres aus der Ruhe aufscheuchen zu lassen.

»Ei, wo denkt Ihr hin, Herr Junker!« brummte er. »In Abrahams Schoß sind wir nicht sicherer als hier.«

In dem selben Augenblick fühlte er aber auch schon hinter sich einen leichten Stoß. Das Pferd sprang zur Seite, und gleichzeitig hörte er ein Geplätscher, als ob plötzlich eine Quelle aus den Felsen hervorgebrochen wäre.

Er drehte sich um und sah nun mit Schrecken, daß ein Pfeil im Wasserschlauch steckte, dessen Inhalt munter durch das entstandene Loch entwich.

Im nächsten Augenblick sauste ein zweiter Pfeil vorüber, gerade auf den Junker los. Dieser hatte das Geschoß aber bemerkt und beugte sich noch rechtzeitig zur Seite, um dann blitzschnell aus dem Sattel zu springen.

»Die Rosse in Sicherheit! Dort hinter den Felsen, und dann auf sie ein!« befahl er, rasch entschlossen.

Der Alte besann sich nun auch nicht lange. Im Nu waren die Tiere an sicherer Stelle angebunden, obwohl jetzt ein ganzer Pfeilregen sich aus den gegenüberliegenden Gebüschen auf die Camper ergoß. Dann stürmten sie mit gezückten Schwertern auf die Angreifer los, die, nachdem sie im Sik eine Weile vergeblich auf die Reisenden gelauert hatten, ihnen doch noch auf dem Wege über das Kloster nachgeschlichen und schon vom Kamm des Berges Hôr ab an ihrer Seite waren. Als sie die beiden Krieger unerwartet auf sich los kommen sahen – so schnell, daß sie nicht einmal Zeit hatten, ihre Bogen wieder zu spannen –, verließen die Vordersten das Gebüsch und liefen mit wildem Geschrei davon.

»Feige Schurken!« rief ihnen der Junker nach und stürmte weiter.

Nun wurde es auch in den hinteren Gebüschen lebendig. Wie eine Herde Gemsen kletterte die ganze braune Gesellschaft zur Höhe empor.

»Laßt es genug sein, Herr Junker!« flüsterte der Alte, der die Tücke der Araber kannte und wohl wußte, daß hinter dieser schnellen Flucht nur eine neue Kriegslist steckte.

Der junge Mann hatte jedoch keine Lust, die Meuchler ohne tüchtigen Denkzettel laufen zu lassen, und folgte ihnen bis zur Höhe.

Darauf aber hatten die braunen Schlingel nur gewartet; denn hier oben auf freierem Plan kam erst ihre Übermacht zur Geltung.

Zunächst wurde der Junker mit einigen Dutzend Pfeilen empfangen. Die meisten prallten am Schilde ab. Nur zwei davon trafen, blieben aber glücklicherweise in den festen Maschen des Panzerhemdes stecken. Dann stürzten sich an die zehn mit Lanzen und Keulen bewaffnete Männer mit furchtbarem Geschrei auf ihn.

Er verlor aber die Ruhe nicht. Mit starker Faust packte er seines Vaters Schwert und hieb mit solcher Gewalt um sich, daß gleich auf die ersten Schläge zwei Köpfe vor ihm in den Sand rollten.

Die Angreifer stutzten. Doch im nächsten Augenblick sprangen von hintenher neue vor und drangen von allen Seiten so heftig auf den Junker ein, daß dieser kaum im stande gewesen wäre, sich ihrer zu erwehren, wenn es ihm nicht inzwischen gelungen wäre, eine vorspringende Felswand zu erreichen, die ihm wenigstens den Rücken deckte.

Dort stand er mit gespreizten Beinen, vorgestrecktem Schild und hocherhobenem Schwerte, den Angriff erwartend. Dem ersten hieb er mit einem Streich die Schulter durch, so daß der Arm mitsamt der erhobenen Keule heruntersank. Der zweite rannte sich von selbst den Stahl in die Brust. Der dritte kam, da er rechtzeitig vor dem Hiebe zur Seite sprang, der ihm den Schädel spalten sollte, mit abgehauenem Ohre davon. Wer der unermüdlich durch die Luft sausenden Masse zu nahe kam, dem verging die Lust, den tapferen Franken noch weiter zu bedrängen, und als die Araber sahen, daß selbst ihre Mutigsten nichts auszurichten vermochten, wandten sie sich, ohne sich um ihre Verwundeten weiter zu bekümmern, eiligst zur Flucht.

Nur Hen, der inzwischen, auf halber Höhe am Abhang stehend, ebenfalls schwere Arbeit gehabt hatte, lag noch mit vier Burschen im Kampf, die von den Vorgängen oben noch keine Witterung zu haben schienen. Als sie jetzt aber den Junker herabkommen sahen, ließen auch sie ab und liefen davon, machten jedoch auf der Flucht noch den Versuch, sich der Pferde zu bemächtigen. Glücklicherweise bemerkte es der Junker rechtzeitig und jagte sie ihnen mit leichter Mühe wieder ab.

Vier von den Arabern hatten ihren Schurkenstreich, zu dem der Ritter Guiscard sie verführt hatte, mit dem Leben bezahlen müssen. Viele brachten mehr oder minder schwere Wunden, alle aber einen wilden Groll gegen den falschen Ratgeber heim, der sie nun zum zweiten Male so schnöde angeführt hatte.

Hätte sich der Normanne noch einmal in Petra blicken lassen, es wäre ihm schlecht ergangen. Aber wie wir sehen werden, hütete er sich wohl, den Ort wieder zu betreten, wo er so viele Fußangeln ausgelegt hatte, daß er schließlich fürchten mußte, selbst in eine hineinzugeraten. Nachdem er den Grafen bis Jerusalem begleitet hatte, blieb er unter dem Vorwande einer Krankheit zurück und suchte sich bei der schönen Melisende, König Balduins II. Tochter, eine ähnliche Stellung zu ersingen, wie er sie in Petra bei der unglücklichen Mechthildis eingenommen hatte.

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