Oscar A. H. Schmitz
Melusine
Oscar A. H. Schmitz

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VIII

Es war kein anderer, als Prinz Amadeus, der inzwischen längst das Markensammeln mit Kunstsammeln vertauscht hatte, und dessen feine, empfängliche Menschlichkeit nun hier ihr wahres Gebiet fand. Im Gegensatz zu Ferdinand beschränkte er sich auf Europa, dehnte aber sein Interesse auch auf moderne Kunst aus. Von Seiten der königlichen Familie wurde ihm hierin alle erdenkliche Unterstützung zuteil, denn es war eine Tradition des Hauses Harringen, daß in jeder Generation immer einer der Prinzen ein geistlicher Herr, ein anderer ein Beschirmer der Künste und Wissenschaften wurde. Zu diesem Amt gehörte vor allem ein leutseliges Wesen im Verkehr mit den Menschen aller Stände, und dazu schienen in den Vorzügen und den Fehlern des Prinzen Amadeus alle Voraussetzungen gegeben. Mit seiner angeborenen Liebenswürdigkeit verband er nämlich die bedauerliche Neigung, der Hofetikette nicht immer die schuldige Achtung zu erweisen, und es war nicht recht zu ersehen, ob dies mehr auf mangelndem Verständnis für ihre Wichtigkeit oder gar auf wirklicher Mißachtung beruhte. Jedenfalls sprach er sich darüber nicht aus, um niemand zu betrüben, aber er entzog sich ihr, wo er nur konnte.

Prinz Amadeus war der Neffe des Königs Rolf III. Sein anmutiges Wesen hatte er von der Mutter, Donna Isabella, einer spanischen Infantin geerbt. Der König besaß politische Gründe, die es wünschenswert erscheinen ließen, daß gerade jetzt, während Deutschlands Einfluß beim Vatikan zuzunehmen schien, ein Mitglied seines Hauses in Rom anwesend war. Wen konnte es da geeigneteren geben, als Prinz Amadeus, den seine Neigung längst nach Italien trieb, wo er in Kunst zu schwelgen hoffte. Er reiste unter dem Namen eines Grafen Weisdin und wußte nicht mehr von seiner Mission, als daß er in seinem gesellschaftlichen Verkehr die Kreise um den Heiligen Stuhl, den sogenannten Campo nero, zu bevorzugen habe. Das machte ihm keine Schwierigkeit, denn wenn er auch nicht nur aus ästhetischen Ursachen ein aufrichtiger Katholik war, so sah er doch die gestaltenreiche römische Welt auch ein wenig mit den Augen eines Altertümerfreundes. Indessen war vielleicht, abgesehen von solchem verklärenden Blick, ein Frühstück bei einem römischen Kardinal wirklich etwas interessanter, als die Tafel des bieder-bäuerlichen Kardinal-Erzbischofs Dipperle von Rolfsburg. Wir wollen uns hier jeden Urteils enthalten. Hinter den Sesseln seiner vatikanischen Tischgenossen sah das schönheitsdurstige Auge des nordischen Prinzen mit spanischem Blut die Schatten der Medici und Borgia und die schon zu Lebzeiten legendenhafte Gestalt Leos XIII. Pecci brauchte nicht erst durch Phantasie gehoben zu werden. Dies alles hinderte nun den jungen Amadeus nicht, manche Stunde bei Chianti und Falerner mit Künstlern und Gelehrten zu verbringen, und sein Adjutant, Graf Liechtenfeld, hatte den Auftrag, solche Erweiterung des prinzlichen Weltbildes nicht zu hindern; »solange gewisse, mehr vom augenblicklichen Takt als von allgemeinen Vorschriften zu bestimmende Grenzen eingehalten wurden,« lautete die Instruktion. In dieser Hinsicht bestand nun wirklich keine ernste Gefahr, da der junge Herr bei all seinem Enthusiasmus nicht zu Maßlosigkeit neigte. Nicht der Falerner berauschte ihn, sondern das Gefühl, diesem schon von Horaz besungenen ehrwürdigen Tropfen zuzusprechen. Einzelne düstere Osterien mit Erinnerungen an große Künstler wurden ihm Weihestätten. Auch sein Herz blieb nicht ohne Nahrung. Beziehungen zu einer gewissen schwarzäugigen Ersilia, der man in einem Atelier begegnet war, vollzogen sich unter Duldung des Grafen Liechtenfeld, nachdem ein älterer, aber noch lebensfroher Bildhauer für die Gutartigkeit des Mädchens seine charaktervolle Hand in's Feuer gelegt und der Adjutant die Präliminarverhandlungen über die Köpfe des Paars hinweg mit der ehrwürdigen Mutter abgeschlossen hatte, ohne indessen durch Verrat dieses Geheimvertrags das romantische Glück seines Schutzbefohlenen zu stören. Ersilia schien von ihrem jungen Freund sehr eingenommen zu sein, wie auch unter den Ehen oft die konventionell abgeschlossenen die glücklichsten werden. Jedenfalls füllte sie die Lücke aus, die Espérance noch in Amadeus Erziehung offen gelassen hatte.

Dieser verstand es, manche Gegensätze miteinander zu verbinden, die im Allgemeinen unvereinbar scheinen. So nahm er z. B. die lässige Kleidung römischer Künstler deutscher Nation an, in der sich die Romantikerzeit noch überlebte, während diese Tracht damals in Norden schon weidlich von Witzblättern verspottet wurde: flatternde Halsbinden à la Lavallière, weiche Schlapphüte, ja – es kann nicht verschwiegen werden – die braune Samtjoppe hatte für ihn noch einen idealistischen Zauber. Was ihn aber doch von denen, die er nachahmte, grundlegend unterschied, war die sorgsame Pflege, die er – eigentlich wider den Stil –, diesen abstrusen Bekleidungsstücken angedeihen ließ. Die schön geformten Hände, die ein Ring mit antiker Kamee schmückte, und die ungesuchte Grazie aller seiner Bewegungen fügten der Tracht eines »Malers Klecksel« den Hauch einer andern Welt hinzu, was zwar diese Tracht hob, ihr zugleich aber auch einen Stich in's Theaterhafte gab; heutzutage würde man das wohl erbarmungslos, aber nicht ohne Begründung als »Kitsch« ablehnen. Diese eigentümliche, zwar liebenswürdige, aber weder in seiner, noch in der Welt der Künstler völlig ernst genommene Nuance sollte Prinz Amadeus mit einer Art zäher Verliebtheit durch die Stürme seines späteren Lebens bewahren. Trotz solcher Wunderlichkeit schätzte man ihn indessen sehr, sobald man in näherem Umgang einmal gefühlt hatte, daß sich hinter seiner bezaubernden Form eine Güte verbarg, die ernstlich nichts anders wollte, als beglücken.

Nach seiner Heimkehr sah man den allmählich etwas rundlich werdenden Herrn in breitrandigem, im Sommer lichtgrauem Schlapphut mit etwas lockigem Nackenhaar und flatternder Foulardhalsbinde wie einen das Schöne liebenden reichen Rentner durch die Straßen von Rolfsburg lustwandeln, in Buch- und Kunsthandlungen eintreten und zahlreiche Bekannte aller Stände in's Gespräch ziehen. Er kannte die persönlichen Verhältnisse der Dienstmänner und Kutscher, deren Leistung der meist zu Fuß und allein Ausgehende häufig bei der Heimkehr in Anspruch nahm, der Blumenhändlerinnen und des gesamten Bühnenpersonals, das er bei den Proben in den Hoftheatern zu überraschen liebte. Was freilich die nun gar zu unmöglich gewordene Samtjoppe betraf, so hatte er schon gleich nach seiner Heimkehr von Rom Espérance versprechen müssen, daß er sie künftig nur noch in seinen Privatgemächern tragen würde, nunmehr mit seidenen Querschnüren, sogenannten »brandebourgs« verziert.

Diese gewinnende weltlich-fromme, künstlerisch noble Persönlichkeit wurde nun durch zwanzig Jahre der Liebling der Harringer, eines Volkes, dem die Welt gleich seinen beiderseitigen Nachbarn, den Österreichern und Bayern, mit denen es ja vom selben Stamme ist, eine schier allzu große Vorliebe für Feste, Musik, Tanz, Theaterspiel, bunte Trachten und dergleichen nachsagte. Nachdem der Kronprinz während einer Indienreise auf einer Tigerjagd umgekommen war, mußte sich Prinz Amadeus mit dem Gedanken vertraut machen, eines Tages für den minderjährigen Prinzen Xaver, Enkel des inzwischen zur Regierung gekommenen Königs Rolfs IV., seines Vetters, die Regentschaft zu übernehmen. Er hoffte aber, daß ihm dieser Kelch erspart bleiben würde, denn Politik war ihm nun einmal in der Seele fremd. Er erkannte ihre Notwendigkeit an, wünschte aber für sich nichts anderes, als in der Nähe des Thrones, der ihm ein schönes, heiliges Symbol aus alter Zeit war – er redete seinen Vetter nie anders als Majestät an, – dem Schutz der schönen Künste und Wissenschaft zu leben. Er drängte niemand seinen, den Modernen gegenüber etwas veraltenden Geschmack als das allein Gültige auf, liebte vielmehr die Bewegung des künstlerischen Lebens selber, wo nun einmal immer die Jungen von den Alten sich lossagen, um vielleicht später doch zu merken, was an diesen gut war, wobei dann ihre anfängliche Willkür in die Bahn der geschichtlichen Entwicklung einzulenken pflegt. So bildete er durch zwei Jahrzehnte in der Residenz ein gesellschaftlich-künstlerisches Zentrum, das zu der alten Beliebtheit der Rolfingischen Dynastie wesentlich beitrug, zumal der bedeutend ältere König als ein gegen sich und andere strenger, etwas mürrischer Charakter mehr hochgeachtet als geliebt wurde. Dagegen wußte Prinz Amadeus bei den sehr geschätzten gesellschaftlichen Veranstaltungen in seinem Palais und dem nahen Lustschloß Les Délices, einem Juwel deutschen Rokokos auf geradezu vorbildliche Weise zwischen den Gebildeten aller Schichten Brücken zu schlagen. So berührten sich die Gegensätze der Stände und der Generationen, ohne sich deshalb im Geringsten auf Kosten ihres wahren Wesens zu verwischen; dieser Geist warf seine Strahlen über das ganze Land und gab besonders der Geselligkeit der Residenz bis in die Kreise des mittleren Bürgertums in jenen Jahren einen freien, weitherzigen Charakter.

Damit sind nun die Entwicklungsjahre unserer vier Hauptgestalten – eine fünfte und eine sechste werden noch hinzu treten – beendigt. Unsere Aufgabe ist nicht, ihr Leben im Licht weiter zu berichten, vielmehr hier den Faden der Erzählung fallen zu lassen und ihn erst im Jahre 1917 wieder aufzunehmen, als Harringen das Schicksal der Mittelmächte während des Weltkriegs teilte und sich in fast jedem Einzelleben plötzlich unvermutete Abgründe auftaten.


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