Ludwig Rellstab
1812 – Ein historischer Roman
Ludwig Rellstab

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Zehntes Buch.

Erstes Kapitel.

Die Nacht hatte sich schon herabgesenkt, ein rauher Sturm brauste über die Felder und sauste hohl in den dunkeln Kronen hoher Fichten, als Rasinski mit der kleinen Schar seiner Getreuen, die er nicht mehr sein Regiment zu nennen wagte, das Biwak erreichte. Man war müde bis zur Erschöpfung, die Glieder erstarrten in dem naßkalten Winde. »Hier in dieser Hügelsenkung,« befahl Rasinski, »wollen wir lagern. Wenigstens haben wir hier Schutz vor dem Winde.« Die Reiter schwenkten links ein.

Es war die in zwei Hügelspitzen vorspringende Ecke eines alten, düstern Fichtenwaldes, die Rasinski zu seinem Lagerplatze ausersehen hatte. Hohe Bäume standen auf den ziemlich steilen, wiewohl niedrigen Anhöhen, die eine fast ringförmige Schlucht mit ihrer hohlen Krümmung umschlossen. Die Wipfel der uralten Stämme kreuzten sich, so schmal war die Höhlung, über derselben; niedriges, schwarzes Kieferngebüsch klimmte die Höhe hinan. Gegen den Herbstwind gewährte der Raum freilich einigen Schutz, doch war er feucht und kalt, da die Sonne kaum in Sommertagen durch die düstern Kronen der Riesenfichten dringen mochte, geschweige jetzt im Spätherbst. Nur einige Birken mit dem weißen Stamme und dem blaßgelben, welken Laube standen wie Gespenster auf dem dunkeln Hintergrunde. »Ein guter Hinterhalt«, sprach Bernhard beim Einreiten durch die enge Mündung der Schlucht. – »Ja, für eine Räuberbande möchte er gelegen sein,« erwiderte Rasinski. – »Freilich,« antwortete Bernhard, »wenn wir alle beisammen wären, würde die Lagerstätte zu schmal ausfallen; doch für hundert ist allenfalls Raum hier.«

»Halt! Front! Abgesessen!« kommandierte Rasinski. »Hier am Saume des Hügels herunter steckt die Pikettpfähle ein und zieht die Stalleinen. Wir lagern gleich dahinter. Zwölf Mann zum Furagieren, zwölf zum Holzfällen, zwölf zum Wasserholen. Die andern besorgen indessen die Pferde!«

Nachdem die Befehle gegeben waren, setzte sich Rasinski, unmutig, müde, auf einen dichtbemoosten Baumstamm, der an der Erde lag. Er stützte die Hände auf den zwischen die Knie gestellten Säbel und blickte düster vor sich hin. »Wo soll ich unser Feuer machen lassen?« fragte Bernhard. – »Wo du willst! Dort unter der großen Fichte!« Rasinski blieb in Gedanken versenkt, unbeweglich sitzen, während Bernhard mit einigen Leuten die Anstalten zur Einrichtung der Lagerstelle für ihn traf. Schwere, düstere Ahnungen bewegten die Seele des tapfern Kriegers! Er sah finster wie die Nacht und der Wald ringsumher! Bald trieb ihn die Unruhe auf. Er ging mit großen Schritten auf und ab. Bisweilen gab er in kurzen, bestimmten Worten einen Befehl; denn wie unruhig es in seinem Innern wogte, sein aufmerksamer Blick beobachtete alles, was rings um ihn her vorging.

»Willst du nicht kommen, dich am Feuer zu lagern?« unterbrach ihn Bernhard nach einigen Minuten. »Sieh, es brennt schon lustig und beleuchtet die alten Baumstämme und die lang übergestreckten Riesenarme der Zweige auf wunderbare Weise. Wenn wir nicht so verkrummt und verklammt wären von dem eiskalten Winde, ich hätte Lust, diese Baumgruppen zu zeichnen.« – »Ob Boleslaw und Ludwig heute nicht endlich zurückkehren werden? Ich bin gespannt auf Nachrichten von Jaromir!« antwortete Rasinski, als habe er Bernhards Worte gar nicht gehört.– »Schlage dir das aus dem Sinne, Rasinski,« sprach Bernhard in bittendem Tone; »es ist ein Fiebertraum, weiter nichts! Eine solche Höllennacht wie die erste, die Jaromir in Moskau zubrachte, mußte verrückte Einbildungen des Gehirns erzeugen. Dann die Lage in dem Lazarett, verlassen von allen Freunden, unter dem Jammer der hilflos Verwundeten – gib acht, sowie er hergestellt ist, sowie seine Sinne wieder klar sind, hört der ganze düstere Traum auf!« – »Ich habe den Brief nicht abgesandt!« sprach Rasinski nach einer Pause. »Ich konnte ihn nicht absenden!«

»Und du tatest recht! Du handeltest nach dem richtigen Glauben; weshalb willst du nach dem Wahn fühlen?« – »Für die Tat,« erwiderte Rasinski, »bedurfte ich der Gewißheit; um die Sorgen meiner Brust zu wecken, hätte die Hälfte der Anzeichen genügt. Ja, ich glaube, Jaromir hat irgendeine geheime Schuld gegen Lodoiska begangen, und es ist nicht nur ein Fiebertraum, der sie ihm vorspiegelt. Erst jetzt kommt mir in den Sinn, was er mit Ludwig am Abende vor dem Brande gesprochen. Zu jener Stunde war er noch nicht krank. Keine Brandwunde folterte ihn mit ihren Schmerzen, keine übermäßige Abspannung der Kräfte hatte ihn zum Tode erschöpft, die furchtbaren Bilder der Schreckensnacht erfüllten seine Seele noch nicht, und doch –«

»Soweit ich Ludwigs Erzählung zu deuten vermag,« meinte Bernhard, »zweifelte er damals an Lodoiskas Liebe. Dies mag ein Argwohn sein, wie ihn der Zufall in dieser Stunde in dem jungen, heftig liebenden Gemüt erzeugen konnte. In der nächsten Minute schämte er sich dessen, klagte sich selbst an. In diese Stimmung seiner Seele fielen die furchtbaren Ereignisse jener Nacht. Diese Erinnerungen trug er in seinen Fieberwahn hinüber und bildete sie zu einer schwarzen, unabbüßbaren Schuld aus. So schrieb er ihr den Brief, der dich so beunruhigt. Wenn Ludwig und Boleslaw zurückkehren, werden sie uns gewiß Auskunft geben; denn ihnen hat Jaromir zuverlässig davon gesagt.«

»Mich friert. Wir wollen uns an das Feuer lagern. Auch bin ich müde. Verdrießlicher Krieg! Man liegt den ganzen Tag auf dem Pferde, sieht den Feind an und schlägt sich nicht. Es ist ein großes Ereignis, wenn ein Kosak einen Pistolenschuß abwartet! Ja, wenn unsere Pferde noch so frisch wären wie an dem Tage, wo wir über die Weichselbrücke ritten, dann sollten diese Neckereien bald aufhören. Weißt du, daß man murmelt, die Friedensunterhandlungen seien gescheitert? Ich glaube, Kutusow wußte das längst! Es geschieht nicht ohne Absicht, daß man sie in die Länge zieht, bis der Winter uns hier überfällt. Auch in dieser Beziehung erwarte ich Boleslaws Rückkehr von Moskau mit großer Spannung. Ich will hoffen, daß es ihm gelungen sei, wenigstens einiges von dem, was wir so dringend bedürfen, herbeizuschaffen.«

»Wenn mir Ludwig ein Paar neue Stiefel mitbrächte,« scherzte Bernhard, »würde er mir freilich besser auf die Beine helfen, und einen Pelz statt des zerrissenen, halbverbrannten Mantels könnte ich auch gebrauchen!« – »Sprich nicht leicht hin, Bernhard,« erwiderte Rasinski ernst; »du hast noch nicht erfahren, wie grimmig der scharfe Zahn der Not packen kann. Ich, der ich oft gesehen, wie schwer sich besser Gerüstete als wir gegen sie verteidigen, ich muß ernstliche Sorge tragen, daß wir ihren tausend verwundenden Waffen nicht so viele Blößen geben. Schon jetzt wirft der Nachtfrost uns die Leute aufs Krankenlager, jetzt, wo es uns nicht an Holz mangelt. Aber wenn der Winter hereinbräche, wenn –«

»Je nun, ich meine, wir würden uns dann nach Moskau ziehen. Fünfzehn Werft werden wir doch noch marschieren können?« – »Meinst du?«

Ein ausgestellter Posten rief: »Wer da!« –»Gut Freund von Moskau!« lautete die Antwort. – »Das ist Boleslaw!« rief Rasinski freudig und sprang auf. Im nächsten Augenblicke sprang Boleslaw vom Pferde und begrüßte die Freunde. »Und wo ist Ludwig? Und was bringst du Gutes von Jaromir?« fragten Bernhard und Rasinski fast zu gleicher Zeit. – »Zuerst die Dienstangelegenheiten,« entgegnete Boleslaw. »Ich bin glücklich gewesen. So groß die Not und der Zudrang sind, habe ich doch einigermaßen für die Bedürfnisse unserer Leute sorgen können. Deine Freigebigkeit, Rasinski, setzte mich in den Stand, die höchsten Preise zu zahlen.« – »Laß das, laß das!« unterbrach ihn dieser. – »Ich wurde mit zwei Juden einig. Sie haben mir 80 Paar Stiefelsohlen und 30 Paar neue Stiefel geschafft. Doch konnte ich nur 60 Mäntel auftreiben, und meist alte, doch noch brauchbare, ein Teil dicht gefüttert. Auch erstand ich drei Schafpelze, die freilich vielleicht schon seit Jahren auf dem Leibe russischer Bauern gesessen haben; aber sie sind doch, so teuer ich sie bezahlte, nicht zu verachten. Der Winter wird kommen und wir Polen kennen ihn wenigstens halb. Die Franzosen, scheint es, wollen noch gar nicht glauben, daß das heitere Herbstwetter, das wir bis jetzt hatten, ein Ende nehmen könnte. Ich sagte ihnen, sie möchten nur drei Nächte hier biwakieren.« – »Nun, wo sind die Sachen?« – »Ludwig eskortiert den Transport mit den Leuten. Sie kommen auf einem Wagen, den ich requirierte. Ich bin vorangeritten. Wenn sie uns nur bald finden in diesem Schlupfwinkel!«

»Der Wind trieb uns hierher«, antwortete Rasinski. »Wir wollen den Kommenden einige Leute entgegensenden. Bernhard, wähle einige Mann aus, die bis an die große Straße gehen und sich aufstellen!« Bernhard ging. »Wohl, das wäre trefflich besorgt!« fuhr Rasinski jetzt zu Boleslaw fort. »Es tat uns not. Hast du alles Geld ausgegeben?« – »Nicht ganz; ich konnte nicht so verschwenderisch mit dem Deinigen umgehen. Du opferst dich für alle! Ich habe noch 40 Dukaten übrig.« – »Pfui, Boleslaw! Nur hier hättest du nicht sparsam sein sollen. Wenn du wollene Strümpfe gekauft hättest!«

»Die waren nicht zu haben. Dafür hätte ich das letzte Geld weggegeben. Doch die andern Sachen sind wahrlich noch nicht so notwendig! Du mußt doch etwas für dich behalten! Es ist so schwer, hier wieder Geld zu erlangen!«

»Wenn ich's für meine Kameraden verwende, trägt es mir die sichersten Zinsen, Boleslaw! Ich weiß, sie werden mich nicht verlassen in der Not, und der Mantel, den ich dem Soldaten heute kaufe, bedeckt mich selbst morgen, wenn die Nacht rauh ist und der treue Kamerad sieht, daß sein Führer dessen bedarf. Aber würde mich die volle Börse erwärmen?« – »Du gibst in deiner Großmut alles hin!« rief Boleslaw. »Doch wäre es gegen meine Ehre und mein Gewissen, wenn ich deine Güte so mißbrauchte. Auch wir andern Offiziere müssen ja einen kleinen Teil an dem haben, was für die Leute geschieht. Ich bringe dir nur zurück, was wir zu ergänzen für Pflicht hielten.« – »Also ihr, die ihr wenig habt, wollt euch opfern!«

»Nun erzähle uns von Jaromir«, unterbrach Bernhard, der eben wieder herantrat, das leise geführte Gespräch zwischen Rasinski und Boleslaw. – »Nachher; zuerst noch etwas Wichtiges. Die Friedensunterhandlungen sind abgebrochen.« – »Dacht ich's doch!« rief Rasinski lebhaft. – »Kutusow hat den König von Neapel plötzlich angegriffen und zurückgeschlagen. Der Kaiser erhielt die Nachricht gerade als er im Kreml die Truppen des Neyschen Korps besichtigte. Sofort rief er aus: «Also Krieg! Wohl denn, es sei!» Es folgte Befehl auf Befehl. Morgen abend bricht das Heer auf, nach Kaluga zu. Wir und alle Truppen, die nordöstlich standen, rücken morgen wieder vor Moskau und schließen uns dann dem großen Heere an. Ich bringe dir diese Order!«

»Also wird der Kampf erneuert!« rief Rasinski; »ich ahnte es wohl. Jetzt müssen wir uns eine Bahn nach den südlichen Provinzen brechen. Dort ist Hoffnung, daß wir noch vor dem Winter festen Fuß fassen, oder wenigstens Kiew gewinnen, um daselbst zu kantonieren. Es war hohe Zeit! Nun, Gott sei Dank, daß es endlich entschieden ist! Wenn der Krieg sich dorthin wendet, so habe ich noch Hoffnung. Der Winter tritt in jenen Gegenden wenigstens einen halben Monat später ein und ist um vieles milder. Auch ist das Land reich und wird uns besser ernähren als die Wüste, die wir bisher durchwandert haben. Diese Nachricht ist etwas wert! Nun aber sprich auch von Jaromir. Ist er hergestellt?« '

»Boleslaw stockte einen: Augenblick. »Ja,« sprach er dann mit ernster Miene; »wenn wir das hergestellt nennen dürfen! Seine Brandwunden sind geheilt, das hitzige Fieber entflohen, ja, er fühlt sich sogar stark genug, um mit uns zu marschieren. Er will nicht im Nachtrab des Heeres bleiben; auch, glaube ich, hat er Körperkräfte genug wieder gewonnen. Doch –« – »Nun?« – »Seine Seele ist finster, der heitere Glanz seines Auges erloschen, die reine Stirn umwölkt. Es ist unser frischer, fröhlicher Jaromir nicht mehr! Ich fürchte–« hier stockte Boleslaw. – »Der Kaiser,« fuhr er nach einigen Augenblicken fort, »hat ihm den Orden der Ehrenlegion geschickt. Er hat ihn mit den Worten zurückgewiesen: «Mich leitete nur der Zufall; ich darf dies Zeichen nicht annehmen. Der Kaiser spare es mir auf, bis ich eine Tat getan.» Keine Gegenvorstellung vermochte etwas über ihn; er blieb unerschütterlich. Und du weißt, mit wie brennender Begier er seit Jahren nach diesem Zeichen strebte, wie er es mir beneidete!«

»Ich weiß, ich weiß!« sprach Rasinski. »Es ist ein Dunkel in seiner Seele, das alle Flammen des brennenden Moskau nicht zu erhellen vermögen! Hat er euch von dem Briefe an mich gesagt?« – »Kein Wort.« – »Doch er muß ihn gerade einen Tag vor euerer Ankunft geschrieben haben.« – »Was enthielt der Brief?« fragte Boleslaw.

»Höre.« Rasinski nahm den zusammengefaltenen Brief aus seinem Portefeuille und las:

»Rasinski! Du warst mein zweiter Vater; – ich nenne Dich heute zum letzten Male mit diesem teuern Namen; denn von nun an wirst Du nur noch mein Befehlshaber sein; das darfst Du; denn die Ehre des Soldaten habe ich nicht verloren. Doch bitte ich Dich noch um einen letzten Dienst Deiner alten, väterlichen Freundschaft. Sende diesen Brief an Lodoiska. Dreimal schrieb ich ihr reuig, flehte um ihre Vergebung; es geschah noch in den verwirrenden Träumen der Krankheit; aber ich vernichtete die Briefe wieder, ich sandte keinen ab. Die Krankheit ist gewichen; jetzt weiß ich, was ich tue, und handle, wie ich muß. Jaromir.«

»Und was schreibt er an Lodoiska? Ich bitte dich, verhehle mir das nicht«, fragte Boleslaw hastig und schien zu zittern. Rasinski entfaltete einen zweiten Brief und las:

»Lodoiska! Geschieden sind wir auf ewig, aber durch meine Schuld. Wirf meinen Ring in den Strom; ich schleuderte den Deinigen in einen tiefen Abgrund! Antworte mir nicht; denn Du könntest mir im Übermaß Deiner Himmelsgüte vergeben wollen; ich aber darf mir nicht vergeben lassen. Mich strafe denn auch die Qual Deines ewigen Schweigens, wie ich mich auf ewig aus Deinem Angesicht verbanne! Jaromir.«

Boleslaw heftete die düstern Blicke sprachlos auf den Boden; ein furchtbarer Strom kämpfender Gefühle regte die Fittiche in seiner Brust. Jaromir zerriß das Band; das ihn an Lodoiska knüpfte! Ein Stern der Hoffnung glänzte zwischen finsterm Wettergewölk und warf seine milden Strahlen in Boleslaws Herz. Sollst du aus demselben Becher die berauschende Seligkeit trinken, der den Freund vergiftet! Indem deine Lippe seinen Rand mit schaudernder Wonne berührt, erbleicht die des Freundes und schließt sich auf ewig! Nein, Boleslaw. Sei es die schwarze Natter der Schuld, die ihre Ringe um seine Brust schlägt; seien es düstere Träume, die seine Seele in ihre verworrenen Gewebe beklemmend einspinnen, dir darf keine Blüte aufsprießen aus dieser unheilvollen Saat! Sei ein Mann! Wende den Blick ab von der Himmelspforte, die sich dir zu öffnen scheint! Es ist ein Trugbild; du darfst nicht eintreten; der rosige Morgenschimmer, in den du deine heiße Brust kühlend zu tauchen wähnst, ist nur der Widerschein verborgener Flammen des Abgrundes. Folgst du der Lockung, überschreitest du die heilige Grenze, so stürzest du hinab zur ewigen Qual. Es gibt hier kein Schwanken für dich. Die Braut, der der Freund entsagt, sei dir noch heiliger als die, welche er an sein Herz schließt. Jeder andere Gedanke, jede andere Hoffnung ist Verrat an dem heiligen Gesetz der Freundschaft! In der Feuerprobe dieser Gefühle, die Boleslaws Brust durchstürmten, stählte sich das edle Herz zur festen Willenskraft der Entsagung.

»Nun,« fragte Rasinski nach langer, ernster Pause, »was meinst du zu diesem Briefe? Ist er ein Erzeugnis des Fieberwahns? Oder lastet wirklich ein Verbrechen gegen seine Liebe auf Jaromirs Herz?« Boleslaws Antwort wurde durch ein lautes »Wer da«, das Ludwigs Ankunft meldete, abgeschnitten. Die Freunde begrüßten ihn herzlich. Doch traten jetzt die Pflichten des Dienstes ein; die Kleidungsstücke, die Ludwig brachte, mußten in Empfang genommen und verteilt werden; dies verursachte ein Geschäft, das über eine Stunde dauerte. Währenddessen war die spätere Nacht hereingebrochen, und die er- müdeten Krieger bedurften der Ruhe. Bernhard befragte Ludwig zwar um Jaromirs Zustand; doch dieser wußte nicht mehr als die andern. Mit eiserner Verschlossenheit hielt der Jüngling das Geheimnis in seiner Brust; denn er wollte nur die Strafe seines Vergehens, nicht die verzeihende Entschuldigung, nicht das Mitleid, nicht die Vergebung.


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