Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler
Wilhelm Meinhold

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28. Kapitel

Wie mein Töchterlein endlich durch des allbarmherzigen, ach des allbarmherzigen Gottes Hülf gerettet wird

Hierzwischen war ich aber von wegen meinem Unglauben, womit mich Satanas wiederumb versuchte, also schwach worden, daß ich meinen Rücken an den Büttel seine Knie stützen mußte und nicht vermeinete, ich würde das Ende bis an den Berg mehr ableben. Denn nunmehro war auch die letzte Hoffnung, so ich mir gemachet, verschwunden, und ich sahe, daß meim unschuldigen Lämmelein also auch umb ihr Herze war. Hierzu kam, daß Ehre Martinus sie schalt, wie Dn. Consul getan, und sagte, er sähe anjetzo selbsten, daß alle ihre Schwüre Lügen gewest und sie in Wahrheit Wetter machen könne. Hierauf gab sie zur Antwort, und zwar lächelnde, obwohl sie so weiß wie ein Laken anzusehen war: »Ei, Herr Pate, gläubet Er denn in Wahrheit, daß unser Herrgott nicht mehr das Wetter macht? Seind denn Gewitter umb diese Jahreszeit also selten, daß sie der böse Feind nur machen kann? Nein, ich habe den Taufbund, so Er einstmals für mich geschlossen, nicht gebrochen und will ihn nimmer brechen, so wahr mit Gott gnädig sei in meinem letzten Stündlein, so nunmehro schon geschlagen!« Aber Ehre Martinus schüttelte ungläubig mit seinem Kopf und sagte: »Der Teufel muß dir viel versprochen haben, daß du bis an dein Ende also verstockt bleibest und den Herren, deinen Gott, lästerst. Aber harre! Du wirst bald mit Schrecken gewahr werden, daß er ein Vater der Lügen ist – Johannes am 8en.« Als er solches und ein mehres gesaget, kamen wir in Ückeritze an, wo alles Volk, groß und klein, wieder aus den Türen stürzete, auch Jakob Schwarten sein Weib, so in der letzten Nacht, wie wir vernahmen, ihre Niederkunft gehalten. Und kam ihr Kerl ihr vergeblich nachgerannt, umb sie aufzuhalten. Sie sagte, er wäre ein Narr, das wäre schon so lange her, und sölle sie den Berg auf ihren Knien hinaufkriechen, so wölle sie die Priesterhexe doch auch brennen sehen. Hätte sich lange darauf gefreuet, und wenn er sie nicht fahrenließe, wölle sie ihm eins auf sein Maul geben etc.

Also gebärdete sich das grobe und unflätige Volk umb unsern Wagen, und da sie nicht wußten, was unterwegen sich zugetragen, liefen sie so nahe gegen uns, daß das Wagenrad einem Jungen über seinen Fuß ging; kamen auch, und insonderheit die Mädkens, wiederumb an und befühleten meinem Töchterlein ihre Kleider, wollten ihre Schuhe und Strümpfe aber auch sehen und frageten, wie ihr zumute wär, item ein Kerl, ob sie eins trinken wölle, und was sie sonsten mehr für Narreteidinge trieben, so daß sie letzlich, und als etzliche kamen und sie um ihren Kranz und die güldene Kette baten, ihr Haupt lächelnd zu mir wendete und sprach: »Vater, ich muß nur wieder auf lateinisch anfangen, denn sonst läßt mir das Volk keine Ruhe!« Aber es war dieses Mal nit vonnöten. Denn da unsere Wächter mit ihren Forken nunmehro die hintersten auch erreichet und ohne Zweifel verzählet hatten, was fürgefallen, höreten wir alsbald ein groß Gerüfte hinter uns, daß sie umb Gottes willen zurückekommen söllten, ehebevor ihnen die Hexe etwas antäte. Und da Jakob Schwarten sein Weib sich nicht daran kehrete, sondern mein Töchterlein immerfort quälete, daß sie ihr ihren Schurzfleck zu eim Taufkleid vor ihr Kindlein geben müge, dieweil er ja doch nur verbrenne, schmiß ihr letzlich ihr Kerl mit einem Knüppel, so er von eim Zaun brach, also in den Nacken, daß sie mit großem Geschrei niederstürzete, und wie er kam, umb sie aufzurichten, ihn bei seinen Haaren niederzog und, wie Ehre Martinus sagete, nunmehro doch in Ausführung brachte, was sie ihm gelobet, angesehen sie ihn mit einer Faust immer aus aller Macht auf die Nase geschlagen, bis die anderen Leute hinzugelaufen und sie abgehalten hätten. Hierzwischen aber hatte das Wetter sich fast verzogen und suckete nach der Sehe zu.

Als wir nunmehro auch durch die kleine Heide gelanget, sahen wir plötzlich den Streckelberg für uns mit vielem Volk und den Scheiterhaufen auf seiner Spitzen, auf welchem der lange Büttel sprang, als er uns ankommen sahe, und mit der Mützen winkete, soviel er kunnte. Hierüber vergingen mir aber meine Sinnen, und ist es meinem Lämmlein auch nit viel anders ergangen. Denn sie hat hin und her geschwanket wie ein Rohr und abereins ausgerufen, ihre gebundenen Händeleins gen Himmel streckend:

»Rex tremendae majestatis!
Qui salvandos salvas gratis,
Salva me, fons pietatis!«

Und siehe, wie sie es kaum ausgesprochen, ist die liebe Sonne wieder herfürgetreten und hat einen Regenbogen auf dem Gewölk geformieret, recht über den Berg, also, daß es lustig anzusehen gewest. Und war dieses offenbarlich ein Zeichen des barmherzigen Gottes, wie er uns oftermalen solche Zeichen gibt; aber wir blinden und ungläubigen Menschen achten es nit sonderlich. So hat sie es auch nit geachtet, denn obwohl sie an den ersten Regenbogen gedacht, so uns unsere Trübsal fürgebildet, hat es ihr doch unmöglich geschienen, daß sie annoch könnte errettet werden, und ist also matt geworden, daß sie auf das liebe Gnadenzeichen weiter gar nicht geachtet, und ihr Kopf (dieweil sie ihne nicht mehr an mich lehnen konnte, angesehen ich, so lang ich gewachsen, in dem Wagen gelegen) ihr also war vorneüber gesacket, daß ihr Kränzlein meinem Herrn Gevatter fast seine Knie berühret. Und hat selbiger nunmehro dem Kutscher anbefohlen, einen Augenblick stillezuhalten, und zu einer kleinen Flaschen mit Wein gegriffen, so er immer in seiner Taschen führet, wenn Hexen gebrennet werdenDies geschah in damaliger Zeit so häufig, daß in manchen Parochien Pommerns wohl sechs bis sieben solcher elenden Weiber jährlich den Scheiterhaufen besteigen mußten. , umb ihnen in solcher Angst beizuspringen (will es hinfüro auch so halten, dieweil mir diese Mode von meim lieben Gevatter wohlgefällt). Von solchem Wein hat er erstlich mir in meinen Hals gegossen und nachgehends auch meinem Töchterlein, und seind wir kaum wieder zu uns kommen, als ein grausamer Rumor und Tumult sich unter dem Volke hinter uns erhoben und selbiges nicht nur in Todesangst gerufen: »Der Amtshauptmann kommt wieder!«, besondern auch, da es weder vorwärts noch rückwärts entweichen mügen (denn hinter sich scheueten sie das Gespenst und vor sich mein Töchterlein), zur Seiten gelaufen und zum Teil in den Busch gesprungen, zum Teil aber bis an den Hals in das Achterwasser gewatet. Item ist Dn. Camerarius, sobald er gesehen, daß das Gespenst auf dem Schimmel aus dem Busch gekommen, so auch einen grauen Hut mit einer Feder aufgehabt, wie der Amtshauptmann hätte, unter ein Bund Stroh in den Wagen niedergekrochen. Dn. Consul aber hat abereins mein Kind verwünschet und schon denen Kutschern Befehlig gegeben, so toll zu fahren, als sie könnten, wenn auch alle Pferde daraufgingen, als der dreuste Büttel hinter uns ihm zugeschrien: »Es ist nicht der Amtshauptmann, besondern der Junker von Nienkerken, der die Hexe sicherlich wird retten wöllen! Soll ich ihr darum mit dem Schwert das Genicke abstoßen?«. Bei diesen erschröcklichen Worten kamen mein Töchterlein und ich erst wieder gänzlich zur Besinnung, und holete der Kerl schon hinter ihr mit seinem blanken Schwert aus, dieweil ihm Dn. Consul ein Zeichen mit der Hand gab, als mein lieber Gevatter, so es gewahr worden (Gott müge es ihm an jenem Tage lohnen, ich kann es ihm nicht lohnen), mein Töchterlein mit aller Gewalt rückwärts auf seinen Schoß riß. Und wollte der Bube sie nunmehro auf seinen Schoß erstechen. Aber der Junker war auch schon da, und als er solches sahe, jagete er ihm seinen Jägerspieß, so er in Händen hatte, zwischen die Schultern, daß er gleich kopfüber zur Erden fiel und sein eigen Schwert ihme mit Schickung des gerechten Gottes also in seine Seite fuhr, daß es aus der andern wieder herausbrach. Lag also und brüllete, was aber der Junker nicht achtete, sondern zu meinem Töchterlein sprach: »Jungfer, meine liebe Jungfer, Gott sei Dank, daß Sie gerettet ist!« Dieweil er aber ihre gebundenen Händekens sahe, knirschete er mit seinen Zähnen, sprang alsofort, ihre Richter verwünschend, vom Rosse und schnitt ihr mit dem Schwerte, so er in der Rechten hielt, den Strang durch, nahm darauf ihre Hand und sprach: »Ach, liebe Jungfer, wie viel habe ich mich um sie gegrämet, aber ich kunnte sie nicht retten, dieweil ich, wie sie selbsten, in Ketten gelegen hab, was sie mir auch wohl ansehen wird!«

Aber mein Töchterlein kunnte ihm kein Wörtlein Antwort geben, besondern fiel für Freuden abereins in Unmacht, kam aber alsbald, da mein lieber Gevatter noch etwas Fürrat an Wein hatte, wieder bei sich. Unterdessen tat mir der liebe Junker unrecht, was ich ihm aber gerne verzeihen will. Denn er schnarchete mich an und nannte mich ein altes Weib, das nichtes künnte als heulen und wehklagen. Warumb ich nit alsogleich dem schwedischen König nachgereiset wäre, oder warumb ich nicht selbsten nach Mellenthin gekommen und sein Gezeugnis mir geholet, da ich ja wüßte, was er von denen Hexen dächte? (Ja, du lieber Gott, wie konnte ich anders, als dem Richter gläuben, so dort gewesen war. Das hätten wohl mehr Leut getan denn alte Weiber; aber an den schwedischen König hatte ich keine Gedanken, und, Lieber, sage, wie hätte ich auch zu ihm reisen und mein eigen Kind verlassen mögen! Aber solches bedenken junge Leute nicht, dieweil sie nit wissen, wie einem Vater zumute.)

Nunmehro war aber Dn. Camerarius, da er gehöret, daß es der Junker sei, wieder unter dem Stroh herfürgekrochen, item Dn. Consul vom Wagen gesprungen und herbeigelaufen, laut den Junker scheltend und fragend, aus was Macht und Zuversicht er solches täte, da er zuvor doch diese gottlose Hexe selbsten verdammt? Aber der Junker zeigte mit dem Schwert auf seine Leute, welche, an die 18 Kerls mächtig, jetzunder auch mit Säbeln, Piken und Musketen aus dem Busch geritten kamen, und sprach: »Da seh Er meine Macht, und würd ich Ihme hier gleich etwas vor seinen Podex geben lassen, wenn ich nit wüßte, daß Er ein dummer Esel wäre. Wann hat Er mir ein Gezeugnis über diese rechtschaffene Jungfer abgenommen? Er lügt in seinen Hals, wenn er solches behauptet!« Und als Dn. Consul nun stund und sich verschwure, verzählete der Junker zu aller Verwunderung wie folget:

Nachdem er von dem Unglück gehöret, so mich und mein Kind getroffen, hätte er alsogleich sein Pferd satteln lassen, umb gen Pudagla zu reuten und ein Zeugnis von unserer Unschuld abzulegen. Solches hätte aber sein alter Vater nicht gestatten wöllen, alldieweil er vermeinet, dadurch seine adlige Ehre einzubüßen, wenn es an den Tag käme, daß sein Sohn mit einer verrufenen Hexen die Nacht auf dem Streckelberge konversieret habe. Hätte ihm dahero, da er mit Bitten und Drohen nichts ausgerichtet, Hände und Füße binden und in das Burgverlies setzen lassen, wo bis dato ein alter Diener sein gepfleget, der ihn nicht hätte losgeben wöllen, so viel Geld er ihm auch geboten; wannenhero er in große Angst und Verzweiflung geraten, daß unschuldig Blut umb seinetwillen fließen sölle. Aber der gerechte Gott hätte es annoch gnädig abgewendet. Denn da sein Vater von dem Ärger fast heftig krank worden und die ganze Zeit über auf dem Bette gelegen, hätte es sich heute morgen umb Betglockenzeit begeben, daß der Jäger nach eim Rudeerpel im Schloßteich geschossen, unversehens aber seines Vaters seinen Lieblingshund, Packan geheißen, schwer verwundet. Solcher wäre schreiend zu seines Vaters Bett gekrochen und alldorten verrecket, worüber der Alte in seiner Schwachheit sich also geärgert, daß ihn alsofort der Schlag gerühret und er auch seinen Geist aufgegeben.

Nunmehro hätten ihn aber seine Leute herfürgezogen, und nachdem er seines Vaters Augen zugedrücket und ein Vaterunser über ihm gebetet, hätte er sich alsogleich mit allem Volk aufgemacht, so er in der Burg auftreiben können, umb die unschuldige Jungfer zu retten. Denn er bezeuge hieselbsten vor männiglich und auf Ritterwort und -ehre, ja bei seiner Seelen Seligkeit, daß er der Teufel gewest, so der Jungfer auf dem Berg als ein haarigter Riese erschienen. Denn dieweil er durch das Gerücht es vernommen, daß selbige oftermalen dorthin gehe, hätte er gerne wissen wöllen, was sie dorten täte, und sich in einen Wulfspelz verkleidet, daß niemand ihn kennen müge von wegen seinem harten Vater. Und hätte er schon zwei Nächte dorten zugebracht, bis die Jungfer in der dritten gekommen und er gesehen hätte, daß sie nach Bernstein in dem Berg gegraben, auch nicht den Satanas angerufen, sondern vor sich ein lateinisch Carmen gerezitieret. Solches hätte er dahero in Pudagla zeugen wöllen, aber aus gedachter Ursache nicht gekönnet, besondern sein Vater hätte seinen Vetter Clas von Nienkerken, so bei ihm zum Besuch gewest, sich für ihn in das Bette legen und ein falsch Gezeugnis ablegen lassen. Denn alldieweilen Dn. Consul ihme (verstehe: den Junker) in langen Jahren nicht gesehen, anerwogen er in der Fremde gestudieret, so hätte sein Vater wohl gegläubet, daß er leichtlich getäuschet werden müge, wie denn auch beschehen.

Als solches der rechtschaffene Junker von Dn. Cosule und allem Volk bezeugte, welches nunmehro wieder in Haufen herbeigelaufen kam, da es hörete, daß der Junker kein Gespenst gewesen, fiel es mir wie ein Mühlenstein von meinem Herzen; und dieweil mich das Volk rief, so bereits den Büttel unter den Wagen herfürgezogen (und also dicke um ihn wimmelte wie ein Bienenschwarm), daß er sterben wölle, mir aber zuvorab noch etwas offenbaren, sprang ich so leicht wie ein Junggeselle von dem Wagen und rief Dn. Consulem und den Junker gleich mit mir, gestalt ich wohl mir abnehmen kunnte, was er auf seinem Herzen hätte. Und saß er auf eim Stein, und das Blut stund ihm wie ein Pferdeschwanz aus seiner Seiten (angesehen man ihm das Schwert herausgezogen), wimmerte, als er mich sahe, und sprach, daß er in Wahrheit allens hinter der Türen gehöret, was die alte Lise mir gebeichtet, als nämlich, daß sie alle Zaubereien selbsten mit dem Amtshauptmann an Menschen und Viehe angerichtet, umb mein arm Kind zu erschrecken und also zu einer Huren zu machen. Solches hätte er aber verschwiegen, dieweil der Amtshauptmann ihm dafür ein Großes versprochen, müßte es aber jetzunder, wo der gerechte Gott die Unschuld meines Töchterleins an den Tag brächte, freiwillig bekennen. Bäte dahero mich und mein Kind, ihme zu vergeben, und als Dn. Consul ihn hierauf kopfschüttelnd fragete, ob er auf solch sein Bekenntnis leben und sterben wölle, sprach er noch: »Ja!«, fiel sodann aber alsogleich auf die Seite zur Erden nieder und gab seinen Geist auf.


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