Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler
Wilhelm Meinhold

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Als mein unvergleichlich Kind also geredet, stund Dn. Consul auf und nahm seine schwarze Kappen ab, so er immer trug, dieweil ihm die Haare auf dem Scheitel schon ausgefallen, verneigte sich auch vor dem Gericht und sprach: »Eim ehrsamen Gericht wird angezeiget, daß nunmehro die Urgicht und peinliche Frag der versteckten und gotteslästerlichen Hexen Maria Schweidler anheben soll, im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.«

Hierauf stund das ganze Gericht auf bis auf den Amtshauptmann, der schon vorhero aufgestanden und unruhig in der Stuben auf und ab gegangen war. Doch weiß ich von allem, was nunmehro erfolget und ich selbsten getan hab, kein Wörtlein mehr, will es aber getreulich berichten, wie es mir mein Töchterlein und andere Testes vermeldet. Und zwar verzählen sie also:

Als Dn. Consul nach solchen Worten die Sanduhr genommen, so auf dem Tische stund, und vorauf getreten, habe ich durchaus mit wöllen, worauf erstlich Pastor Benzensis mit vielen Worten und Tränen mich gebeten, von meinem Fürhaben abzulassen, darauf aber, wie es nichtes verfangen, mein Töchterlein selbsten mir die Wangen gestreichelt und gesprochen: »Vater, habt Ihr auch gelesen, daß die heilige Jungfrau dabeigewest, als man ihren unschuldigen Sohn gegeißelt? Darumb gehet nunmehro auch zur Seiten. An meinem Scheiterhaufen aber sollet Ihr stehen, das verspreche ich Euch, wie die heilige Jungfrau unter dem Kreuze gestanden hat, doch anjetzo gehet, gehet, denn Ihr werdet es nicht ertragen, und ich auch nicht!«

Als solches aber auch nit verschlagen, hat Dn. Consul dem Büttel Befehl geben, mich mit Gewalt zu greifen und in ein Zimmer einzusperren, worauf ich mich aber losgerissen, ihme zu Füßen gefallen und ihn beschworen bei den Wunden Jesu Christi, er wölle mich nit von meinem Töchterlein reißen. Solche Gnade und Guttat würde ich ihm nimmermehr vergessen, besondern Tag und Nacht für ihn beten, auch am Jüngsten Gericht vor Gott und den heiligen Engeln sein Fürbitter sein, wenn er mich mitgehen ließe. Ich wölle mich auch ganz geruhsam verhalten und kein einzig Wörtlein sagen, nur mitgehen müßte ich, etc.

Solches hat den guten Mann also erbarmet, daß er in Tränen ausgebrochen und also gezittert hat für Mitleid mit mir, daß die Sanduhr ihm aus der Hand gefallen und dem Amtshauptmann für die Füße getründelt ist, als hätte ihm unser Herrgott selbsten ein Zeichen gegeben, daß seine Uhr bald abgelaufen wär. Hat es auch gar wohl verstanden, denn er ist blaß worden wie ein Kalk, als er sie aufgenommen und Dn. Consuli wiederumb zugestellet. Selbiger hat endlich nachgegeben, indem er gesaget, daß dieser Tag ihm an die zehn Jahre älter machen würd, doch dem dreusten Büttel befohlen, welcher auch mitgangen ist, mich alsogleich wegzuführen, so ich bin in währender Marter Rumor machen söllte. Und ist nun das ganze Gericht niedergestiegen, doch ohne den Amtshauptmann, der gesaget, daß ihm der Kopf wehe tät, und er gläube, daß sein alt Malum, die Gicht, wiederkäme, weshalben er in ein ander Zimmer gangen ist. Item ist Pastor Benzensis auch von dannen gegangen.

Drunten im Keller hätten allererst die Büttel Tische und Stühle gebracht, worauf sich das Gericht gesetzet und Dn. Consul mir auch einen Stuhl hingeschoben, doch wäre ich nit darauf niedergesessen, besondern hätte mich in einer Ecken auf meine Knie geworfen. Als solches beschehen, wäre das leidige Vernehmen wieder losgangen, doch da mein Töchterlein, wie ihr unschuldiger Heiland für seinen ungerechten Richtern, kein einzig Wörtlein Antwort geben, wäre Dn. Consul aufgestanden und hätte dem langen Büttel Befehl gegeben, sie nunmehro auf die Marterbank zu setzen.

Sie hätte gezittert wie ein Espenlaub, als er ihr die Füße und Hände festgebunden, und als er nunmehro ein alt garstig und kötigt Tuch, worin er den Tag Fische getragen, wie meine Magd gesehen, und worauf noch die hellen Schuppen bei Haufen gesessen, ihr umb ihre lieblichen Äugeleins binden wöllen, wäre ich's gewahr worden und hätte mein seidin Halstuch abgelöset, bittend, er wölle dieses nehmen, welches er auch getan. Hierauf wären ihr die Daumenschrauben angeleget und sie nochmals im guten befraget, doch sie hätte nur ihr blindes Haupt geschüttelt und mit ihrem sterbenden Heiland geseufzet: »Eli, Eli lama sabachthani«, und hierauf auch in griechisch dasselbe.»Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.« Matth. 27,46.

Darauf wäre Dn. Consul zurückgeprallet und hätte ein Kreuz geschlagen (denn dieweil er kein Griechisch verstunde, hätte er gegläubet, wie er nachgehende selbsten sagte, sie hätte den Teufel angerufen, ihr zu helfen) und nunmehro mit lauter Stimmen dem Büttel zugeschrien: »Schraubet!«

Als ich aber solches gehöret, hätte ich einen erschröcklichen Schrei herfürgestoßen, daß das ganze Gewölbe gezittert, worauf mein für Angst und Verzweiflung sterbendes Kind, da sie meine Stimme erkennet, erstlich mit ihren gebundenen Händen und Füßen gerucket wie ein Lämmlein auf der Schlachtbank, so verscheiden will, und darauf gerufen: »Lasset mich los, ich will allens bekennen, was ihr wollet!« Dieses hätte Dn. Consulem also erfreuet, daß er, in währender Zeit der Büttel sie losgebunden, auf seine Knie gefallen und Gott gedanket hätte, daß er ihme von dieser Qual geholfen. Doch wäre mein verzweifelt Kind nicht alsobald abgebunden und hätte ihre Dornenkron (verstehe: mein seidin Halstuch) abgelegt, als sie von der Leiter gesprungen und sich auf mich gestürzet, der ich wie ein Toter in tiefer Unmacht in der Ecken gelegen.

Solches hätte Ein ehrsam Gericht verdrossen, und nachdem die beiden Büttel mich weggetragen, wäre Rea vermahnet, nunmehro, wie sie versprochen, ihre Urgicht zu tun. Wäre aber zu schwach gewest, umb auf ihren Füßen zu stehen, und wiewohlen Dn. Camerarius gebrummt, hätte Dn. Consul ihr dennoch einen Stuhl geben, auf welchem sie sich gesetzet. Und seind dieses die hauptsächlichsten Fragen gewest, so ihr auf Befehlig Eines hochlobsamen Hofgerichts, wie Dn. Consul gesaget, fürgeleget worden und ad protocollum genommen sind:

Q. Ob sie zaubern könne?

R. Ja, sie könne zaubern.

Q. Wer ihr solches gelehret?

R. Der leidige Satan selbsten.

Q. Wieviel Teufel sie habe?

R. Sie hätte an einem genug.

Q. Wie dieser Teufel hieße?

Illa (sich besinnende): Hieße Disidaemonia.Griechisch und nach der Erasmus'schen Aussprache: Deisidaimonia, d. i. der Aberglaube. – Welch bewundernswürdiges Weib!

Hierauf hätte sich Dn. Consul geschuddert und gesaget, daß müßte ein recht erschrecklicher Teufel sein, dieweil er niemalen solchen Namen gehöret. Sie sölle selbigen buchstabieren, damit der Scriba keinen Error mache, welches sie auch getan, und ist hierauf fortgefahren wie folget:

Q. In welcher Gestalt ihr selbiger erschienen?

R. In der Gestalt des Amtshauptmanns, oftmalen auch wie ein Bock mit grimmigen Hörnern.

Q. Ob und wie sie Satan umgetaufet?

R. In der Sehe.

Q. Welchen Namen er ihr geben?

R.Dieser Name ist durchaus nicht im Manuskript zu enträtseln.

Q. Ob auch etzliche aus der Nachbarschaft bei ihrer Umtaufe gewest und welche?

Hier hat mein unvergleichlich Kind ihre Äugelein gen Himmel geschlagen, eine Zeitlang stille geschwiegen, als besinne sie sich, ob sie die alte Lise angeben sölle oder nicht, und dann endlich gesaget: »Nein!«

Q. Müßte doch Paten gehabt haben! Welche diese gewesen und was sie ihr eingebunden zum Patengeld?

R. Wären nur Geister dabeigewest, weshalben die alte Lise auch nichtes gesehen, als sie über die Umtaufe hinzugekommen.

Q. Ob der Teufel ihr beigewohnet?

R. Sie hätte nirgend anders denn bei ihrem Vater ihre Wohnung gehabt.

Q. Sie wölle wohl nit verstehen. Ob sie mit dem leidigen Satan Unzucht getrieben und sich fleischlich mit ihm vermischet?

Hier ist sie also verschamrotet, daß sie sich mit beiden Händen die Augen zugehalten und darauf angehoben zu weinen und zu schluchzen, und da sie nach vielen Fragen keine Stimme von sich geben, ist sie vermahnet worden, die Wahrheit zu reden, widrigenfalls sie der Angstmann wieder auf die Leiter heben würd. Hat jedoch endlich »Nein!« gesaget, welches aber Ein ehrsam Gericht nicht gegläubet, sondern sie dem Angstmann abermals befohlen, worauf sie mit »Ja« geantwortet.

Q.Diese abscheuliche Frage kann ich nur lateinisch hersetzen: »Num semen Daemonis calidum fuerit aut frigidum« [»Ob des Teufels Samen warm oder kalt gewesen sei«] – worauf sie geantwortet, daß sie sich darauf nicht mehr besinnen könne. Übrigens kommt diese Frage in allen Hexenprozessen vor und wird unbegreiflicherweise immer mit »frigidum« beantwortet.

Q. Ob sie von dem Satan in Wochen gekommen oder einen Wechselbalg erzeuget und in welcher Gestalt?

R. Nein, wär nie geschehen.

Q. Ob ihr der böse Geist kein Zeichen oder Mal an ihrem Leib geben und wo?

R. Die Male hätte Ein ehrsam Gericht ja bereits gesehen. Nunmehro seind wieder die Zaubereien im Dorf fürgekommen, so sie alle eingestanden. Doch hat sie nichtes wissen wöllen umb den alten Seden seinen Tod, item umb der kleine Paaschen ihre Krankheit, wie letzlich, daß sie mit der Macht des bösen Feindes mein Ackerstück umgehacket und mir Raupen in meinen Kohlgarten gemacht. Und wiewohlen sie abermals mit der Folter bedräuet worden, der Angstmann sie auch zum Schein hat wieder auf die Bank setzen müssen und ihr die Daumschrauben anlegen, ist sie doch standhaft verblieben und hat gesprochen: »Was wöllet Ihr mich martern, da ich doch weit schwerere Dinge bekennet denn diese sind, so mir nicht das Leben aufhalten werden, wenn ich sie leugne.«

Dieses hat auch Ein ehrsam Gericht letzlich eingesehen und sie wieder von der Marterbank heben lassen, zumalen sie den articulum principalem eingestanden, daß ihr Satan wahrhaftiglichen als ein Riese wäre auf dem Berg erschienen. Von dem Wetter und der Poggen, item dem Schweinsigel ist aber nichtes mehr fürgekommen, alldieweil Ein ehrsam Gericht nunmehro wohl selbsten die Unsinnigkeit eingesehen, daß sie hätte Wetter machen söllen, da sie ruhig auf dem Wagen gesessen. Schließlich hat sie noch gebeten, daß ihr müge vergönnt werden, in demselbigen Kleid dereinst ihren Tod zu erleiden, welches sie angehabt, als sie den schwedischen König begrüßet, item ihrem elenden Vater zu vergönnen, daß er mit zum Scheiterhaufen führe und dabeistünde, wenn sie gebrennet würde, wie sie ihm solches in Gegenwärtigkeit Eines ehrsamen Gerichtes versprochen.

Darauf ist sie dem langen Büttel wieder überliefert und selbigem anbefohlen worden, sie in ein ander und schwerer Gefängnis zu setzen. Doch ehe er mit ihr aus der Kammer gangen, ist deine Amtshauptmann sein Hurenbalg, so er mit der Ausgeberschen gezeuget, mit einer Trummel in den Keller kommen, hat immerzu getrommelt und geschrien: »Kamt tom Gosebraden, kamt tom Gosebraden!«, so daß Dn. Consul in einen schweren Zorn geraten und hinter ihm hergelaufen. Aber er hat ihne nicht kriegen mögen, dieweil er in dem Keller guten Bescheid gewußt. Und hat mir der Herr sonder Zweifel meine Unmacht geschicket, daß ich dieses neue Herzeleid nicht mehr haben söllte. Darumb sei ihm allein die Ehre. Amen.


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