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Elftes Kapitel

Das war am andren Morgen ein freundliches Wiedersehen mit dem alten Schwiegerpapa.

»Mein Fräulein Doktor in spe!« rief er lachend.

Kitty hätte gern gesagt: Laßt mich weg von aller Gelehrsamkeit! Ich verzichte gern auf die Ehre! –

Natürlich nannte man sich »du«, und Kitty bemerkte, wie sehr der alte Herr seine Edith liebte. –

Wie ein geborgtes Glück kam Kitty alles vor! Sie wich kaum von Ediths Seite, erst, als diese bat: »Geh zu Änne!« machte sie sich auf.

Weit langsamer als sonst ging Kitty jetzt, viel eher als junge Dame benahm sie sich.

Ergriffen blickte sie auf Änne, ihre Änne im Trauerkleidchen. Das weckte Erinnerungen! –

Es hatte auch schon jene dunklen Tage in Kittys Leben gegeben, von denen man glaubt, sie lassen den Herzschlag stocken, und die Sonne kann nie wieder scheinen.

Und so verstand Kitty den Schmerz ihrer Freundin und sprach liebe, tröstende Worte zu ihr. –

Aber lange blieb sie nicht, es zog sie heim. Jede Stunde war kostbar! So stand sie bald wieder bei Edith, die glücklich war, als sie ihr Kittchen sah. Kitty half Edith, und diese war erstaunt, was Kitty konnte. Da erzählte diese mit Begeisterung von Sophiechen, wie die so tüchtig sei im Hause, wie sie ihrer leidenden Mama so viele Pflichten schon abnahm.

Beinahe wie ein wenig Neid und Schmerz klang es, als Kitty das Leben Sophies schilderte, wie sie so begeistert sei, wie so tätig in allem, und daneben bliebe ihr Zeit genug für die Künste! Und dabei sei sie stets heiter, ja, jetzt noch viel mehr als früher!

Edith fiel das auf, auch, daß Kitty lange nicht mit solcher Begeisterung von ihrem Studium sprach. Ja, es schien, als verursache es ihr Pein, wenn die Rede darauf kam! –

Am Nachmittag kam etwas, was Kitty mit Entzücken erfüllte: Edith ging mit ihr ganz allein in den Wald! Arm in Arm wanderten sie dahin und sprachen in schwesterlicher Liebe von allem, was ihr Herz bewegte. Bloß Kitty behielt ihren heißen Wunsch für sich. Sie stutzte nur einmal, als Edith mit Sorge von der Zeit sprach, wo Papa ohne sie sein würde und eine Hausdame engagieren müsse. Kitty sei ja dann mitten in ihrem Studium. Da dürfe man sie nicht herausreißen.

Kitty schwieg, und blieb still. Und mitten in das Trübe ihres Innern schob sich da mit einem Male ein sonniges, farbenreiches Bild: sie daheim, an Ediths Stelle dem geliebten Vater sein Haus führend!

Ach, wenn das Wahrheit werden könnte! –

Auf dem Heimweg kehrten die Schwestern bei Tante Melitta ein. Auch hier mußte Kitty erleben, daß man sie liebte, daß man ihr das feinste Verständnis entgegenbrachte! Auch Tante Melitta sah, daß ihr Kittchen eine andre, gottlob eine bessere, geworden war. Aber sie sah auch, daß das Kind an Heimweh litt, daß es genug hatte vom Flug ins Leben, daß es gar zu gern daheim bliebe!

Tante hörte es an dem Zittern in Kittys Stimme, sah es an den Augen, die sofort einen feuchten Glanz bekamen, wenn vom Wiederfortgehn die Rede war! Diesen Glanz legt das Seelenleid in die Augen! Arme Kitty! –

Nun, wenn sie fort war, dann wollte Tante Melitta einmal mit Edith sprechen! Sie sollten das Kind nicht krank machen; ihm einen Rückweg offen lassen, wenn es doch einmal nicht zu den gelehrten Frauen gehören wollte! Es war der schweren Aufgabe, vor die man es gestellt hatte, nicht gewachsen! Es konnte daran zu Grunde gehn. – –

Am Sonntag gingen die Schwestern in die liebe, alte Kirche. Andächtig saßen sie nebeneinander, zärtlich Hand in Hand gelegt.

Kittys Herz wurde schwer: morgen um diese Zeit war sie schon wieder weit fort von hier!

Als die beiden aus der Kirche kamen, hatte Minna das Frühstück zurechtgestellt. Papa wartete auf seine Mädels. Er stand am Fenster und sah sie kommen. Welch einsames Alter stand ihm bevor! Da hatte er nun zwei so liebe, prächtige Töchter! Die eine gründete das eigne Heim, das war so der Welt Lauf! Und die andre sollte lange fern bleiben, auch von ihr würde er dereinst nichts haben! Auf fremde, bezahlte Hilfe und Liebe war er angewiesen.

Als die drei am Tisch saßen, sprach Papa die Gedanken, die ihn eben bewegt hatten, aus.

»Wenn Edith mal heiratet und Kitty ins Gymnasium steigt, da kann ich armer Mann nur eine Haushälterin ins Haus nehmen, die für mich kocht und mir mein einsames Heim so halbwegs in Ordnung hält!«

Papa seufzte.

Kittys Herz klopfte zum Zerspringen. Jetzt oder nie! Heraus mit der Sprache! Es ward ihr schwarz vor den Augen, und sie wußte selbst nicht, daß sie schneeweiß war.

»Papa!« rief sie plötzlich und stand bei ihm, die Arme um seinen Hals schlingend, »ach, Papa! Laß mich doch bei dir bleiben! Ich will ja gar nicht studieren, nur bei euch bleiben!«

Da war's heraus.

Sie weinte herzbrechend. Wirr flogen ihr die Gedanken durch den Kopf. Was wird Papa sagen? Wird er nicht schelten über die Tochter, die fahnenflüchtig geworden ist? Wird er nicht …?

»Mein Putt! Du bleibst bei mir! Gott sei Dank, daß es dein eigner Wille ist!«

Kitty küßte ihren Vater und flog an Ediths Hals.

In Kittchens Innerem ward es mit einem Schlag hell und sonnig! Wie eine Zentnerlast sank es ihr vom Herzen. Ach, die Heimat hatte sie wiedergewonnen! Durfte in Zukunft bei Vater und Edith leben!

»Bis du heiratest, muß ich viel gelernt haben,« sagte Kitty, sich die Tränen trocknend, »und ich habe so große Lust dazu! Ich will sehr aufpassen und fleißig sein, Edith! Ach, ich bin so glücklich!«

Der Geheimrat trat ein.

»Störe ich?« fragte er betroffen und blieb an der Tür stehn.

Da flog Edith auf ihn zu und rief: »Aber, Papachen! – Nun, laß dir sagen: Du hast dich doch oft gesorgt, was aus Papa werden soll, wenn ich heirate! Nun können wir ohne Sorge sein! Papa hat ja zwei Töchter!«

»Ja, aber die eine will doch Jura studieren!« sagte der alte Herr neckisch.

»Fällt ihr nicht ein!« rief Papa, »sie will eine tüchtige Hausfrau werden und bei mir bleiben!«

»Mädel! Kitty! Bravo!«

Der alte Herr breitete die Arme aus, Kitty flog hinein.

Von dem Augenblick an waren die Zwei die besten Freunde. – –

Und nun überspringen wir einen Zeitraum von zwei Jahren. Die herrlichste Zeit ist die der Rosen! Sie blühen im Garten hinter dem alten, grauen Schloß, sie blühen auf dem Grab von Edith und Kittys Mutter und zum erstenmal auch auf dem Hügel, unter dem Tante Melitta seit einem halben Jahre schläft.

Sie hat die Freude noch erlebt, ihrer Editha den Brautkranz in das blonde Haar zu legen, sie hat das Glück noch genossen, Ediths Knaben auf ihren Armen zu halten, die vierte Generation, die um sie erblühte.

Daß Kitty mit der Zeit ihr Editha so ziemlich ersetzte, war eine weitere Freude ihres Alters gewesen. In Kittys Armen hat sie auch ihren letzten Atemzug getan. Und nun gehört Tante Melittas Ruhestätte zu den schönst gepflegten mit auf dem Friedhof, dessen hohe Pappeln über die Gräber rauschen. –

Auf dem Rasen hinter dem Schloß bleicht Wäsche. Ein junges Mädchen füllt soeben am Brunnen die Gießkanne, packt sie mit kräftiger Hand und gießt die trockene Wäsche. Es prasselt und rauscht auf das Linnen.

Heute und morgen gibt's noch tüchtig zu schaffen, denn die Frau Landrätin kommt mit ihrem Hänschen. Ihr Mann folgt in einigen Tagen nach, denn er ist nur glücklich, wenn er Weib und Kind um sich hat. –

Kitty – sie war das Mädchen, das die Wäsche begoß – setzt sich auf die Bank unter dem Nußbaum. Ein Berg Wäsche liegt vor ihr. Emsig prüft sie jedes Stück, hält es gegen die Sonne und stopft jede Stelle, die fadenscheinig ist. Bis Edith da ist, muß die Wäsche alle in den Schränken liegen.

Morgen wird Kuchen gebacken, die junge Frau bat darum, sie sehnt sich nach heimatlichem Gebäck.

Kitty lächelt, dann wird sie ernst, sie denkt zurück. Zwei Jahre hat sie tüchtig lernen müssen, erst unter Ediths Aufsicht, dann allein. Aber sie hat etwas erreicht! Papa findet, daß sein Haushalt am Schnürchen geht, Minna wünscht sich's nicht besser, als sie es hat. Alles ist glücklich und zufrieden. Aber am befriedigtsten ist Kitty selbst! Sie weiß jetzt, wie reich sie ist, daß sie im eignen Heim schalten und walten kann! Diese Tätigkeit hat sie geistig und körperlich gesund gemacht, ihr die Rosen der Jugend auf die Wangen gezaubert, das sonnige Lächeln des Frohsinns in die Augen. –

Was war das damals für ein Staunen gewesen, als sie Pfingsten wieder zu Direktors kam und dort in ihres Vaters Namen bat, daß man sie im Gymnasium abmelden sollte! –

Sophie war mit ihr im Zimmer herumgetanzt vor Freuden. Da es nicht mehr lange war bis zu den großen Ferien, blieb Kitty bei Direktors, lernte schon dort im Haushalt und besuchte einen Schneider-Kursus. Dann wurden ihre Koffer endgültig gepackt, und Sophiechen fuhr samt ihrer Kitty in deren Heimat.

Waren das schöne Wochen gewesen! Dies innige Zusammenleben zwischen den drei jungen Mädchen! Dieser Fleiß!

Und in Kitty stets der beseligende Gedanke: Du brauchst nicht wieder fort zu gehn!

Sophie schwärmte für Edith und stickte ihr eine Menge schöner Sachen. Beide, Kittchen und Sophie, halfen im Hause, so daß Edith an ihrer Aussteuer nähen konnte. In den schönen Sommertagen kam Tante Melitta oft, d. h. sie wurde in ihrem Wagen hergefahren. Was waren das für genußreiche Stunden! Da kamen Körper und Seele zu ihrem Recht. Weiche, duftende Sommerluft, gemischt mit dem Hauch der Berge! Sie zauberte rosige Farbe in Sophies blasses Gesichtchen!

Oft saß auch Änne dabei, die stille Änne im schwarzen Kleidchen! Welch schöne, inhaltreiche Gespräche wurden da geführt! Und dabei flogen die Nadeln, und entzückende Handarbeiten wurden fertig!

Manchmal las Tante etwas vor, und gegen Abend kam Papa und die Neckereien flogen hin und her. –

Und dann reiste Sophie ab. Seitdem stehn sie in regem Briefwechsel. Im Herbst besucht Kitty ihre Freundin. –

Eines Tages war eine wunderschöne Braut die Stufen des Schlosses hinabgeschritten.

Und für Kitty kam eine Zeit, wo sie sich einsam fühlte, wo sie sich nach der geliebten Schwester sehnte, die sie für immer hatte hergeben müssen.

Aber die viele Arbeit, die Pflichterfüllung ward ihr zum Segen. Ihrer Änne nahm sich Kitty schwesterlich an. Die wilde Friedel war in ein Pensionat am Rhein gekommen. –

So träumt Kitty vor sich hin, stopft und bessert aus, überfliegt den Garten mit ihren Augen, zu sehen, ob alles in Ordnung und Edith sich freuen wird.

Kitty hat alle Beete selbst umgegraben und bepflanzt. Sie findet, in so bunter Farbenpracht hat er noch nie gestrahlt. –

Nach dem Abendbrot, das Kitty mit Papa im Garten eingenommen hat, bindet sie noch zwei große Kränze.

Morgen abend kommt Edith, ihr erster Gang ist sicher an Mutters Grab. Sie sagt ja, jetzt, da sie selbst Mutter sei, wisse sie erst die namenlose Liebe einer Mutter zu schätzen. Jetzt bete sie die selige Mama an. –

Kittys Köpfchen glüht. Seit frühestem Morgen ist sie auf. In der Kuchenkammer steht das Werk ihrer Hände! Da wird sich Edith freuen!

Und die Gastzimmer sind blitzblank, die Betten blütenweiß! Minna rennt und stellt Tannensträuße überall auf. Papa steigt in den Weinkeller, für seine Frau Tochter etwas Stärkendes zu holen.

Kitty hat ein prächtiges Essen fertig, den Tisch gedeckt, und mit Rosen geschmückt. An Hänschens Platz steht ein hoher Kinderstuhl, denn der Großpapa will sein Enkelchen mit am Tisch haben. An des Kindes Teller liegen allerlei Tiersorten: Esel, Hunde, Schafe, Pferde, auch harmlosere Dinge, wie ein Ball, eine Trompete u. s. w. – – –

Und nun ist sie da, die liebe, junge Frau Landrätin! Und an Kittys Arm wandert sie, die ein bißchen blaß aussieht, von Zimmer zu Zimmer, auch in die Küche, wo Minna steht und immer wieder mit nassen Augen auf Edith und Kitty blickt.

In den Garten gehn sie, dort steht Großpapa, den Enkel auf dem Arm und läßt einen bunten Ballon aufsteigen, nach dem die kleinen Händchen haschen. Das Jauchzen des blondlockigen Knaben klingt durch den alten Schloßgarten. Ediths Augen strahlen in jungem Mutterglück.

Ihre Kitty läßt sie nicht von der Hand, sie ist so glücklich über ihre Schwester! Was ist das Kittchen so verständig, so gut und fleißig geworden!

Überall sieht man die Spuren ihres Fleißes! Und wie hübsch und sonnig heiter ist sie! –

Nach Tisch will Großpapa den Jungen, der so beglückt mit seinen Tieren spielt, nicht ins Bett haben. Er kann sich von dem Enkel nicht trennen.

Edith nickt und winkt Kitty. Unten im Garten bricht Edith zwei der schönsten Rosen.

Und Arm in Arm wandern die beiden Schwestern dem Friedhof zu.

Still und blaß legt die junge Frau auf der Mutter Grab eine rote Rose. Ihr Blick fliegt von dem geschmückten Hügel hinauf an das blaue Himmelszelt, wo weiße Wolken ziehen.

Dann zieht sie Kitty an sich und küßt sie. –

An Tante Melittas Grab bleiben sie auch lange stehn. Der Abendwind streicht durch die hohen Farren, die Sonne vergoldet mit ihren letzten Strahlen die Worte: Getreu bis in den Tod. –

»Ja, das war sie!« sagte Edith und legte eine Rose auf den Marmor.

»Mama und Tante Melitta, ihnen müssen wir nachleben, mein Kittchen!«

Eng aneinander geschmiegt, eins sich fühlend in geschwisterlicher Liebe, gehn sie langsam zwischen den Gräbern hin, durch das eiserne Tor, das sich hinter ihnen schließt.

Und im alten Schloß jauchzt Hänschen seiner Mama entgegen, und Kitty schmiegt sich in Papas Arme.

»Meine Kitty!« sagt er innig.

»Mußt noch lange bei mir bleiben!« flüstert Kitty. Sie weiß jetzt, wie reich sie ist und dankt ihrem Herrgott dafür!


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