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XXIX.

Nur in unermüdlicher Arbeit suchte Eduard jetzt sein Heil.

In ein Meer von Tätigkeit stürzte er sich und fand auch für Zeiten in der ihn umwogenden Flut Vergessen.

Denn noch litt er unsäglich in den jetzt folgenden Monaten um sein verlorenes Sehnen. Aber härter, als er sich im Lebenskampfe bewähren sollte, ward er nun gerade gegen sich selbst. Mit einer Schroffheit hielt er jedes Auflohen seiner fast erstickten Liebe nieder, die seinem sonst recht weichen Wesen, seinem zärtlichen Kindesgemüt fremd und verhaßt war.

»Weg mit den Weibern!« wurde sein Wahlspruch; und vor allem galt es ihr, deren Namen er nicht mehr hören konnte: »Fort mit ihr!«

Täglich mußte er sie sich von neuem aus dem Herzen reißen!

Der alte van Fleethen hatte sich wegen der reklamierten Briefe noch nicht zu ihm gewagt. Feige hatte er wohl jede neue Auseinandersetzung, eine zweite Abfuhr vermeiden wollen.

Zwar hatte sie ihm noch mehrfach aus Lausanne geschrieben, wohin sie die Eltern bald nach jener denkwürdigen Unterredung gebracht hatten, um sie von ihrer »Betörung« zu heilen, von ihrer »Verirrung« zu entwöhnen!

Aber keine Zeile erhielt sie von seiner Hand …

Er hatte sich ganz fest in seinen Schmerz eingesponnen.

Seine Zeit gehörte jetzt seinem Schaffen, das ihm alles ersetzen sollte.

Vormittags besuchte er die Vorlesungen in der Universität, die ihm viel Genuß brachten.

Den Nachmittag über saß er in seinem Baubureau an der Lösung einer großen Preisaufgabe, den Zeichnungen und Plänen für den frei ausgeschriebenen Wettbewerb zu einem gewaltigen Theaterneubau, wie er ihn ja stets stark interessierte.

Zudem hatte er durch besondere Beziehungen auch schon einige kleinere Bauaufträge erhalten, die er nebenbei durch seinen Polier ausführen ließ und streng überwachte, um sich die volle Zufriedenheit seiner Klienten zu erwerben.

So entstanden nach seinem Entwurf eine große Mietskaserne im Norden der Weltstadt, zwei kleine Villen in Westend und ein Ladenausbau am Halleschen Tore.

Den Abend benutzte er zur Niederschrift einer kunstgeschichtlichen Doktordissertation.

Während der Universitätsferien rief ihn die Realisierung des Grundbesitzes aus seiner Erbschaft wiederholt nach Ostpreußen.

Von jedem äußeren Verkehr schloß er sich nach und nach ab. Selbst Walter Loewy, den er zuerst öfters bei sich empfangen hatte, blieb später aus, weil auch er mit seiner Praxis zu tun hatte.

Nur der kleine Teddy schuf ihm dann und wann eine frohe Erholungspause.

So schwanden die Monde, schwand ein ganzes Jahr, ohne daß Eduard vor Schaffenslust zur rechten Besinnung kam.

Ein Ausspannen, ein Erschlaffen in dieser schon zur Manie gewordenen Arbeitsfülle und -freude ließ seine Unduldsamkeit nicht zu.

Das Leben eilte!

Und nach Jahresfrist brachte es ihm die ersten Lorbeeren.

Und spärlich waren die nicht!

Seine Einsendung war von der Jury mit dem ersten Preise ausgezeichnet worden, wodurch ihm der Bau des geplanten Theaters nach der von ihm erfundenen Spezialkonstruktion übertragen wurde. Gleichzeitig erhielt er das auf seine Erfindung angemeldete Deutsche Reichspatent von der zuständigen Behörde bewilligt.

Nun wurde man auf den jungen Architekten erst aufmerksam!

Alle Augen richteten sich auf den neuen Wunderknaben, der so plötzlich von der Woge des Ruhms emporgehoben wurde.

Die Zeitungen brachten spaltenlange Artikel über sein System.

Aber auch geifernde Stimmen aus der Clique ließen sich hören, die mit zersetzender Kritik begannen und in maßlosem Absprechen den kommenden Mann von vornherein wieder totmachen wollten.

Und gerade diesen Kreis von Kritikern sammelte Martin um sich. Schmarotzer waren es, die ihn schmeichelnd umgirrten und ihm dabei ganz unverblümt sein Geld aus der Tasche zogen.

Und Martin gab gern, wo es galt, den Bruder zu schädigen. Denn er haßte ihn besonders wegen der Erbschaft nach dem Onkel Mettschieß, die er sich seiner Meinung nach nur auf Schleichwegen gesichert haben konnte, mit einer Leidenschaft, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre.

Der Besitzer des auf niedrigstem Niveau stehenden Radaublattes »Die weiße Weste« ging bei ihm ein und aus.

Verkrachten Baronen, übel beleumundeten Rennbahnschiebern und anderswo mit tiefstem Abscheu gemiedenen Existenzen, wie sie nur die Großstadt zeitigen konnte, öffnete er sein Haus.

Das nannte er »Hof halten«!

An solcher Leute schmutzigem Humor erstarkte Martin zu immer neuen Angriffen gegen den eigenen Bruder!

Zwischen solchen, stets um geringe Beute zur tiefsten Erniedrigung bereiten Subjekten schwelgte sein leerer Geist.

Unter diesen ihm ins Gesicht schamlos schmeichelnden Schranzennaturen, denen er zu imponieren meinte und die ihn – wenn sie satt gefüttert und bezecht sein Haus verließen – nur höhnisch bekrittelten und ihn, wie seine Ehefrau ins Lächerliche zogen, fühlte er sich als kleiner König.

In die gemeinste Revolverpresse, zu deren Redakteuren er aus guten Gründen sehr freundschaftliche und natürlich sehr kostspielige Beziehungen unterhalten mußte, in Blätter, deren Geschäftsgeist auf die Sensationslüsternheit jener in ihren sittlichen Empfindungen schon angefaulten Großstädter gerichtet war, deren Mitarbeiter mit Vorliebe in die Familieninterna und die Bettgeheimnisse ihrer äußerlich exponierten Mitmenschen hineingriffen, lancierte Martin geifernde gehässige Beiträge, die des Bruders Fähigkeiten herabwürdigen und in Frage stellen sollten …

Eduard, der den wahren Urheber dieser Hetzereien wohl witterte, amüsierte sich weidlich über solche aus dem sicheren Hinterhalt der Potsdamer Straße gegen ihn abgeschossenen Pfeile, die von allen Einsichtigen selbstredend nach Gebühr gewertet wurden und so wirkungslos auf die Entsender zurückprallten.

Der Meute Tadel störte ihn auf seinem rechten Wege ebensowenig, wie ihn das manchmal auch überschwengliche Lob der zahlreichen Herolde seiner Preisarbeit weder sich selbst zu überheben oder gar sein Können zu überschätzen verleitete!

Und wieder wurde es Herbst und Winter, wiederum wechselte das Jahr …

Als dann der Frühling ins Land zog und die im Froste ruhende Bautätigkeit sich wieder regte, begann sein erstes großes Werk sich im Westen der Weltstadt zu erheben.

Es wuchs aus den Fundamenten hoch und wurde schneller und schneller unter den flinken Maurerhänden zum Richtfest gefördert.

Gewaltig strebte der schöne stilvolle Bau zum Himmel. Und als wieder wenige Wochen in menschlicher Kraft verwertet worden waren, stand das herrliche Theater fertig vor den stolzen Augen seines Erbauers. – –

Das »Für und Wider« verstummte …

Man beugte sich jetzt dem Kunstwerk. Und übervoll eines neuen Glücks empfand Eduard das erstemal in seinem Leben die Lust am Ruhm.


Jeder Tag brachte ihm nun Anfragen und Aufträge.

Er schaffte, was er schaffen konnte. – In allen Teilen Deutschlands entstanden neue, nur nach seinem System und Patent errichtete Musentempel.

Ja! Alle Theater bauten seine jetzt schon so oft praktisch erprobte Konstruktion in ihren Bühnenraum ein.

Und Eduard fiel nun mühelos in den Schoß, wonach Martin in verzweifeltem Ringen täglich alle zehn Finger ausstreckte, aber immer wieder erfolglos zusammenkrallen mußte.

Seine vom Referenten hervorragend gerühmte Doktorarbeit erhielt von der Fakultät das einstimmig beschlossene Prädikat »summa cum laude«!

Und nach erfolgter Promotion erteilte ihm die Technische Hochschule, der er seine Ausbildung zum Architekten verdankte, für das Fach der Kunstgeschichte die Venia legendi.

Er aber versagte es sich nicht, solchem ehrenvollen Rufe als Dozent dieser seiner Lieblingsdisziplin auch freudig Folge zu leisten.

Wenn er sich zuerst auch etwas gesträubt hatte, die damals in zähem Auflodern seines Freiheitsdranges abgestreifte Zwangsjacke des Beamtentums wieder anzuziehen, machte er jetzt als reifer Mann doch an sich die Erfahrung, daß, was vor vier Jahren noch an urwüchsigem Stürmen und Drängen in ihm als Lernendem getobt hatte, heute dem eben fertiggewordenen Meister des Lebens nur ein mildes Lächeln vollen Verstehens ablockte …

Aber er blieb einsam auf der Höhe.

Und vereinsamt wandelte er durch die Jahre.

Von Irene van Fleethen, die ihm bei größeren gesellschaftlichen Ereignissen in Begleitung eines hochgewachsenen Herrn mit stark ausländischem Typus wohl oft begegnete, hatte er lange erst nichts mehr gehört.

Nun las er eines Morgens ihre Vermählung in der Zeitung. Und sonderbar – – kein Gefühl der Eifersucht regte sich in ihm, kein leiser Schmerz über ihren nun erst endgültig gewordenen Verlust machte sich geltend.

Er hatte sie überwunden.

Nicht aber überwunden hatte er seine Sehnsucht nach der Zweisamkeit, seinen Wunsch nach Gemeinsamkeit mit einem wirklichen echten Weibe!


Bald erfuhr er während eines Rennbahnbesuches von einem Bekannten auch etwas Näheres über Irenes Gatten.

Einen rumänischen Teppichhändler, der hier durch den Import seiner Waren vom Orient sehr reich geworden war, hatte sie geheiratet.

Der würde ihr gewiß auch das mit solchem Nachdruck beanspruchte Auto halten können!

»Lumpensammler – Teppichhändler!« resümierte Eduard kalt für sich.

»Da kommt Art zu Art,« murmelte er dann noch vor sich hin und verabschiedete sich bald wieder von seinem Begleiter.

Denn er wollte allein sein …

»Dieser Weitbrecht ist ein Sonderling«!« dachte der und ging kopfschüttelnd weiter.

Und Eduard blieb allein, immer war er allein!

Weilte er unter Tausenden von Menschen, er war für sich allein; saß er beim Sekt mit irgendeiner Runde aus der Unzahl seiner Bekannten – – er blieb allein!

Namenlos einsam!

Und dann kamen Zeiten, wo sein Schaffen, sein Können und sein Ruhm ihn auch nicht mehr ausfüllten, wo er sich wieder zu sehnen begann. Wo ein wildes Wünschen nach dem Weibe lebendig wurde und schnell in ihm aufwucherte …

An einem stillen Weihnachtsabend wurde das mächtige Weh über sein betrogenes Schicksal sein Überwinder und Erlöser. – – –

Die Weihnachtsglocken hallten mit hellen Tönen in seine Einsamkeit hinein und machten eine heiße Todessehnsucht stärker und stärker.

Und jetzt faßte er einen festen Entschluß:

Das Leben, das er bemeistert, das Geld, das er niedergerungen, daß es ihm von allen Seiten zugeströmt war – das wollte er von sich werfen!

So schnell wie nur möglich.

Und beim Klange der Weihnachtsglocken schrieb der hoch auf dem Gipfel seines Ruhms alleinstehende Mann sein Testament als ein innerlich zu Tod Gebrochener!

Sein kleiner Teddy saß ihm gegenüber und sah ihn treu und wehleidig an. Dieses hellhörige Tierchen, das alle Stimmungen seines Herrn immer mitzufühlen verstand, mochte wohl wissen, was da in ihm vorging …

Und Eduard zögerte einen Augenblick, als er den zartfühlenden Hund so menschlich zu sich emporblicken sah.

»Willst Du mit mir gehen, kleiner Liebling? Teddychen, süßer, kleiner Liebling, willst Du Herrchen denn auch begleiten?«

Und das zottige Tierchen nickte nur stumm herüber und schlich dann tief betrübt zu ihm heran.

Er liebkoste es eine Weile. Bald war er auch hierüber mit sich im klaren.

»Nein!« murmelte er.

»Das Tierchen töten!

Das könnte ich einfach nicht fertigbringen.«

Und dann setzte er seine Niederschrift fort.

Er hatte sie bald vollendet und versiegelt.

Nun noch einen Brief an Walter Loewy, den er heimlich bat, für den Hund, für seinen einzigen Liebling, zu sorgen, wofür er ihm ein Legat von fünfzigtausend Mark im abschriftlich beiliegenden Testament, zu dessen Vollstrecker er ihn hiermit ernannte, ausgesetzt hatte. Die ausdrückliche Bestimmung, daß seine Leiche verbrannt werden solle, wiederholte er dem Schulfreunde nochmals aufs dringlichste …

Dann klingelte er der Wirtschafterin, übergab ihr den Brief an den Anwalt, schloß das sorgsam versiegelte Testament in ein zweites Kuvert, das die Adresse des Amtsgerichts trug und gab ihr die strikte Weisung, den zweiten Brief sofort nach den Feiertagen durch die Post einschreiben zu lassen.

Dann schickte er sie zum Briefkasten …

Kaum hatte sich die Korridortür hinter der Frau geschlossen, da holte der weltflüchtige Eduard Weitbrecht seinen kleinen silberblanken Revolver aus der Schieblade des Schreibtisches.

Seinen Teddy im Arm, drückte er noch einen kurzen Kuß auf des Tierchens Kopf.

Und dann jagte er sich das glühende Blei in die Schläfe, daß sein rotes Herzblut auf den Boden sickerte …

Teddy sprang wie ein Besessener auf, heulte und trank leckend das Blut seines toten Herrn. – – –

Eduard Weitbrecht hatte sich still aus dem Leben gestohlen!


Und gleich nach den Feiertagen wußten die deutschen Blätter von dem mysteriösen Tode des berühmten Architekten und Professors Eduard Weitbrecht zu berichten und weihten dem toten Künstler einmütig ehrenvolle Nekrologe.

Auch Martin las von Eduards frühem sich selbst bestimmten Heimgang.

Und gierig schielten Martins Raubtieraugen jetzt nach Eduards Erbe …


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