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XII.

Strahlende Spätsommersonne sandte ihre freundlichen Sendboten in die Welt. Der versteckteste Winkel erhielt heute seinen Teil. Auch in Hannis kleine Wochenstube drangen ihre warmen schmeichelnden Strahlen.

Nach Ahlbeck zu Frau Henseling, bei der sie schon im vorletzten Sommer ihren Urlaub verlebt hatte, war Hanni auch in diesem Jahr gegangen, und auf den Rat dieser liebenswürdigen Frau hatte sie sich schnell entschlossen, gleich bei ihr an der Ostsee zu bleiben, um hier ganz weltfern und unerkannt ihrem Kinde das Leben zu geben.

Die Entlassung aus der Bank hatte sie brieflich erbeten und erhalten.

In der letzten Woche hatte sich nun ein kleiner bildhübscher Knabe eingefunden, und Hanni ward übervoll des jungen Mutterglückes. Daß der kleine Schreihals seinem bösen Vater sogar bis auf das noch nicht vorhandene Haar glich, hatte Hannis friedliche Freude nicht einmal getrübt.

Sie glaubte Martin lange überwunden zu haben. Schwere Tage waren mit der Erkenntnis über sie gekommen, daß sie sich in ihrem Ideal getäuscht, daß das Leben sie schmählich betrogen hatte. In ein Meer von Arbeit war sie verzweifelt untergetaucht, um wenigstens einen geringen Ersatz für das verlorene Lebensglück zu finden. Ihre einzige Hoffnung hatte sie treulich darin gestützt!

Und jetzt hielt sie ein Kind in den Armen, das ihr allein gehörte.

Die Sonnenstrahlen setzten ihr neckisches Spiel fort, huschten über das weiße Häubchen des kleinen Johannes und blieben endlich auf seinem Gesicht haften, das in den unentwickelten, noch ganz weichen Zügen sie doch immer an Martin denken hieß.

Die alte Sehnsucht erwachte dann wohl wieder, das unnennbare Weh da tief innen!

Ein herzbrechendes Schluchzen durchdrang den stillen Raum.

Aber das eigene Empfinden, daß da draußen leuchtender Herbst die Küste verschönte, deckte bald auch wieder einen Mantel von Ruhe und Versöhnung über ihr Leid.

Es klopfte leise, dann trat die Wirtin ins Zimmer der Wöchnerin:

»Sie haben wieder geweint, Fräuleinchen, und sollen sich doch nicht mehr grämen.«

Hanni wollte das nicht wahr haben, aber zwei große Tränenperlen, die eben über ihre Wangen rollten, gaben der Frau in ihrem besorgten Vorwurf recht, als sie weiter tadelte:

»Streiten Sie's nicht, Fräuleinchen, ich habe Ihr Stöhnen bis nach der Küche gehört. Und versprochen haben Sie's mir oft genug, daß Sie doch an den Lump nicht mehr denken wollen!«

An den langen, einsam verplauderten Herbsttagen hatte sich nach und nach das freundschaftliche Verhältnis zwischen den beiden immer mehr gefestigt, das in dem vergangenen Sommer sich schon locker geknüpft hatte.

Im letzten Jahr war Hanni von ihrem damaligen Bräutigam sogar auf einige Tage in Ahlbeck besucht worden. Albert hatte der Wirtin damals sehr gefallen, und nun war es Hanni schwer genug geworden, bei der beschränkten Frau die Geschichte ihres Unglücks in die richtige Beleuchtung zu rücken.

Als Frau Henseling aber in gutmütiger Hilfsbereitschaft ihr ein volles Verständnis für ihren Kummer entgegenbrachte, entschied sich Hanni auch schnell dazu, dieser Frau ihr gramerfülltes, nach einer Aussprache lechzendes Herz zu erschließen.

Mutter Henseling zankte auch jetzt – wie oft – mit ihr, daß sie an Albert gar zu häßlich gehandelt hätte, und fand heute gerade immer mehr Worte dafür, daß sie eigentlich viel gutzumachen verpflichtet sei! Es war immer dieselbe Litanei: Wie leichtfertig sie gewesen sei! Eine sichere und anständige Versorgung sich einfach zu verscherzen! Und Albert sei doch ein herzensguter Mensch, den sie sicher unglücklich gemacht habe mit der plötzlichen Lösung ihrer Verlobung! Sehr, sehr unglücklich!

Hanni verteidigte sich damit, daß es in ihrer damaligen Gemütsverfassung richtiger von ihr gewesen war, lieber ein Ende mit Schrecken gemacht zu haben, statt stets einen Schrecken ohne Ende vor Augen zu sehen.

Aber Mutter Henseling wollte davon nichts wissen!

»Ich glaube, Fräuleinchen, der Herr Manstedt liebt Sie noch immer, und ich möchte wetten, daß ich Sie beide wieder zusammenbringe I«

»Um Jesu willen! Frau Henseling!« – Hanni war feuerrot, geworden, »wie können Sie denn denken, daß der mich noch ansieht, der mit seinen festen Moralanschauungen, wird doch für eine Gefallene nichts mehr empfinden. – – Nein, das lassen Sie mal bleiben, der ist nicht der Mann dazu, mein zerbrochenes Dasein wieder zu kitten.«

»Fräuleinchen, Fräuleinchen, wenn Sie mich doch man bloß ausreden ließen. Glauben Sie es mir alten Frau, ich kenne sowas –! Und was würden Sie sagen, wenn Herr Manstedt jetzt hereinkäme und wieder bei Ihnen sitzen würde, genau wie vorigen Sommer in der Laube hinterm Häuschen?«

Sie hatte sich ganz in Eifer geredet, die gute Alte.

Hanni dachte an die sonnig-schöne, an die erste Brautzeit zurück, ein weher Schmerz schlich sich ein.

Reue und Rachsucht einten in ihr den Wunsch, den Mann ihrer ersten reinen Liebe wenigstens noch einmal zu sehen.

Aber kaum gedacht, wies sie den Gedanken auch schon wieder fort. Eine Welt lag ja jetzt zwischen ihnen nach seinen sittlichen Begriffen.

Bewegt gab sie das Kind des anderen aus ihrem Arm an die Frau ab, die es behutsam in die Wiege legte.

Dann öffnete Mutter Henseling listig lächelnd die Tür, und auf einen Wink trat Albert auf Zehenspitzen leise ins Stübchen.

Hanni fuhr im ersten freudigen Schreck zusammen, und schon war Albert ans Bett geeilt und bedeckte ihre kleine Hand mit unzähligen Küssen.

Wie wohl taten die dem ganz verkümmerten Seelchen!

Albert bat sie inständig um Verzeihung, daß er so lange sich nicht um sie bekümmert habe.

Er hätte nach jenem traurigen Abend den Mut nicht mehr besessen, sich ihr wieder zu nähern; erst nachdem er erfahren, daß sie auch ganz allein in Ahlbeck sei, habe er mehrmals mit Frau Henseling Briefe gewechselt! Da er nun die feste Versicherung erhalten hatte, daß ihm Fräulein Hanni nichts mehr nachtrage und keinerlei Groll gegen ihn hege, habe er sich endlich entschlossen und zu ihr auf den Weg gemacht!

Jetzt wurde Hanni aber wieder vernünftig.

Sie wollte entschieden ihren Standpunkt verfechten, um auf keinen Fall wie eine büßende Magdalena vor ihm dazustehen.

Deshalb schalt sie ihn wegen seines Kommens gründlich aus und setzte ihm in sachlicher Klarheit auseinander, daß sie sich nicht etwa schuldig fühle; sie sei ihrem freien Willen gefolgt, und sie habe nicht einmal den geringsten Grund, ihre Tat und deren Folgen zu bereuen.

Dann fragte sie ihn, was er denn nach dem Geschehenen bei ihr und von ihr noch wolle.

Schließlich bat sie ihn – so weh ihr das auch innerlich tat – so bald als möglich Ahlbeck wieder zu verlassen und ihren Lebensweg nicht mehr zu kreuzen.

Albert beschwor sie, nicht weiter so mit ihm zu reden. Er gelobte ihr immer von neuem seine unerschütterliche Liebe! Während seiner langen Krankheit habe er täglich mit sich gekämpft und sich von den gräßlichen Vorurteilen, die sein Leben verdüstert hatten, glücklich befreit. Wieder ihre Gegenliebe zu erringen, sei sein glühendes Streben! Weil er ohne sie nun einmal nicht leben könne, habe er den Gang der Dinge flehentlich herbeigewünscht, wie sie endlich sich ereignet hatten, und nun träte er vor sie als ein anderer, ein neuer Mensch, den nur der eine heiße Wunsch beseele, sie – seine geliebte Hanni – zu besitzen.

Nun wurde Hanni erst recht böse!!!

Was er denn eigentlich von ihr denke? Ob er glaube, daß sie nun vogelfrei und Strandgut für jeden Mann sei, der nur die Hand gnädig nach ihr ausstreckte.

Sie wolle überhaupt nichts mehr von den Männern wissen und lebe nur noch für sich und ihr Kind.

Albert war still geworden und setzte sich verschüchtert zu dem kleinen Johannes an die Wiege.

Dann nahm Mutter Henseling seine Sache auf.

Hanni solle nun endlich gescheit werden, wo sich ihr vielleicht zum letzten Male im Leben ein guter Mensch nähere, solle sie ihn nicht leichtfertig zurückstoßen. Sie könne doch unmöglich Albert, der sich noch ein Leid antun würde, in einer so herzlosen Weise wieder nach Hause schicken.

Albert verlange nichts Unziemliches. Er wolle sie wirklich heiraten und dem Kinde ein zweiter Vater sein. Ob sie denn gar nicht an ihre und des Kindes Zukunft denke? Schon des unschuldigen Würmchens wegen solle sie mal ihre Ansprüche ein wenig herabschrauben! Wäre Albert ihr früher gut genug gewesen, so sei er auch jetzt zum mindesten ihrer nicht unwürdig.

Und nun flehte Albert nochmals. Nie würde er wagen wollen, zu fordern, was sie jenem andern aus freien Stücken gewährt hätte.

Seine Empfindungen für sie seien zu heilige, als daß er überhaupt je an etwas anderes gedacht habe als an eine Ehe mit ihr, ohne die er nicht mehr weiterleben könne.

Das war deutlich!

Ein neues Ziel, beruhigend und begehrenswert zugleich, winkte ihr.

Und Hanni fühlte, daß sie schwach wurde.

Der jeder unverheirateten Mutter innewohnende Trieb, durch eine Heirat vor der Welt wieder legitimiert zu werden, erfüllte plötzlich ihr fast besiegtes Herz!

Zum Schein nur wehrte sie sich noch ein wenig. – Sie dachte an Mutter und Vater in Berlin: Was die wohl sagen würden?

Und Martin? Wenn der erfahren würde, daß sie verheiratet sei.

Jetzt wußte sie, daß es keinen Widerspruch mehr gab!

Um sich gewissermaßen an Martin zu rächen und zum kleinen Teil auch, weil Alberts alles überwindende Liebe ihr Mitleid erregte, willigte sie dann ein.

Über alle Maßen beglückt, blieb Albert nun in Ahlbeck.

Und Mutter Henseling drohte mit dem spitzen Zeigefinger:

»Sehn Sie, Fräuleinchen, hab ich das nich fein gemacht?«


Nach einem Monat schloß derselbe Standesbeamte, der kurz vorher in das Geburtsregister der Gemeinde Ahlbeck eingetragen hatte,

»daß von der unverehelichten Johanna Else Maaß, ohne Beruf, in ihrer Wohnung zu Ahlbeck, Seestraße 4, am 8. September 1891 nachmittags 3 Uhr ein Kind männlichen Geschlechts geboren worden sei, welches den Vornamen

Johannes

erhalten habe,«

an diese Eintragung den Vermerk:

»daß der Vater des Kindes nach der soeben gesetzkräftig mit der Mündelmutter erfolgten Eheschließung das Kind als sein eigen anerkenne und dasselbe daher den Familiennamen des Vaters erhalte«.


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