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VI.

Berlin, den 18. September 1890

Lieber Eduard!

Zu meinem großen Verwundern gelangte ich zu spät in den Besitz der gewünschten Geldsendung. Wenn der Vater kein Einsehen damit hat, daß Berlin ein teures Pflaster ist, hätte er mich nicht hergeben sollen. Daß es Dir gut geht, freut mich. Von meinem Examen kann ich berichten, daß es in acht Tagen seinen Anfang nehmen wird. Hoffentlich habe ich Dusel und schinde hundertdreißig Punkte heraus. Wer nur einen Punkt weniger hat, fällt unweigerlich durch. Eigentlich täte es mir leid, das schöne Spree-Athen so bald verlassen zu müssen. Aber die Pflicht ruft, und dann müssen alle andern Gefühle schweigen. Ich habe natürlich in der letzten Zeit viel gearbeitet. Hoffentlich nutzt es mir auch etwas; denn Du weißt ja, daß ich nicht gern etwas umsonst tue. Wenn ich bedenke, daß ich jetzt bald wieder in Eurem stumpfsinnigen Neste herumstelzen soll, na, schon bei dem Gedanken wird mir schlecht. Himmel und Hölle! – – Wenn ich erst einundzwanzig bin, lasse ich mich in die Nähe von Berlin versetzen und rolle dann nur noch auf Gummi. In Berlin selbst steht nur Garde, und die nimmt mich nicht, weil wir ja leider Gottes nicht von Adel sind. Dann muß ich schon mit der Nähe Berlins zufrieden sein, und das ist mein einziger Trost.

Für heute schließe ich mit bestem Gruß

Martin.


Drei Wochen blieb nun jedes weitere Lebenszeichen Martins aus. Dann schrieb der Direktor der Fähnrichpresse einen verzweifelten Brief an den Major.

In gewundenen Sätzen machte er ihm die betrübliche Mitteilung, daß Martins Kenntnisse diesmal leider nicht ganz gereicht hätten. Mit den Gnadenpunkten, die einzelne Prüfungskommissare ihm bewilligt hätten, habe er doch nur eine Gesamtsumme von hundertsieben Punkten erzielt und sei deshalb von der Königlichen Prüfungskommission auf drei Monate zurückgestellt worden. Er hoffe aber, daß Martin bei anhaltendem Fleiß in den Realien, wie er ihn in der letzten Zeit zur Schau getragen habe, bestimmt auf Bestehen der Prüfung im Januar rechnen könne. Er schließe mit der Versicherung, der Herr Major würde seinen Sohn am nächsten Geburtsfeste Seiner Majestät bereits als Angehörigen seines Regiments betrachten dürfen.

Major Weitbrecht war noch in derselben Woche nach Berlin gereist und hatte sich bei den in Betracht kommenden Offizieren über das Prüfungsergebnis unterrichtet.

So sehr er auch innerlich über Martins Mißerfolg empört war – – es blieb ihm nichts Gescheiteres übrig, als seinen Sprößling ein weiteres Vierteljahr auf der Presse zu lassen.

Vor dem Vater hatte Martin natürlich eine ganz konsternierte Rolle gespielt und nicht aufgehört, seinen im vergangenen Halbjahr stets aufgewendeten Fleiß zu beteuern.

Die Schuld an dem Durchfall wälzte er auf viele ihm feindliche finstere Mächte ab und beschwor den Vater, der ihn zuerst in ein Geschäft als Lehrling hatte unterbringen wollen, flehentlich, es nochmals mit ihm zu versuchen.

Der Direktor beschwichtigte die letzten Zweifel des alten Herrn und stellte diesem – um auf jedem Wege einer Abmeldung zuvorzukommen – schließlich das Zeugnis eines Musterschülers aus, der nur Pech gehabt habe, was bekanntlich jedem passieren könne. Auch Bismarck sei einmal im Referendarexamen durchgefallen.

Der Major reiste nach diesen Erhebungen wieder nach Finsterburg zurück, und Martin, der in den Ferien noch Privatstunden zu nehmen beabsichtigte, blieb auf Wunsch der Anstaltsleitung auch während dieser Zeit im Internat.


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