Paul Heyse
Kinder der Welt
Paul Heyse

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Fünftes Kapitel.

Der folgende Tag brach trübe und unfreundlich an. Als Edwin um die bestimmte Stunde in den Thiergarten hinauskam, fand er ihn ganz menschenleer. Ein erster Herbstregen rieselte melancholisch herab, die Bäume, die bisher noch an den Sommer geglaubt hatten, ließen die Köpfe hängen und schienen einzusehen, daß diese sonnige Täuschung sich so wenig festhalten lasse, wie ihre gelben Blätter, die von den Regentropfen mitfortgerissen wurden.

Vollends trübselig lag der Goldfischteich, übersät mit herabgewehtem dürrem Laube, zwischen dem nur hie und da mit noch dunklerem Roth ein sommermüder Fisch hervorsah, nach einer Wassermücke schnappte und mißmuthig wieder auf den Grund ging. Auch die Venusstatue sah so bekümmert in den Regen hinaus, als denke sie mit Grauen daran, daß nun die Zeit wieder herankomme, wo eine Schneedecke sich um ihre nackten Schultern legen und eine Krähe, auf ihrem Diadem hockend, ihr das böse Lied vom nordischen Winter ins Ohr krächzen würde.

Sie kommt gewiß nicht, sagte Edwin vor sich hin, 279 nachdem er unter seinem Schirm das lange Bassin schon zum zweiten Mal umwandelt hatte. Das Wetter wird ihr zu schlecht sein. Vielleicht weiß sie auch nur zu gut, was in dem gräflichen Briefe steht, und es war nur eine mildere Form, mich loszuwerden. Dann – was thu' ich dann? Ob sie gemeint hat, ich würde den Brief dann öffnen und darin lesen, was sie mir nicht sagen mag? – Er zog das Billet aus der Tasche und las wieder die Adresse: Mademoiselle Antoinette Marchand. – Nein, wenn sie nicht kommt, nicht den Muth hat zu kommen – die Fische da unten werden das Geheimniß zu bewahren wissen.

In diesem Augenblick rollte eine Droschke auf der Chaussee heran und hielt vor der Lichtung am Ende des Weihers. Die gestreifte Weste schwang sich vom Kutscherbock herab und öffnete den Schlag. In ein langes, schwarzseidenes Mäntelchen gehüllt, die Kapuze wie ein Klosterfräulein über den Kopf gezogen, sprang das schöne Mädchen heraus, mit ihren geheimnißvoll leuchtenden Augen und leicht gerötheten Wangen reizender als je.

Sie nickte Edwin schon von ferne zu und lächelte dabei so ungezwungen, daß all seine Zweifel plötzlich zerstoben und er ihr im Stillen Abbitte that. Ich habe Sie warten lassen, sagte sie, während sie sich leicht an seinen Arm hing und unter seinen Regenschirm duckte. Aber mein Lohnkutscher hat mich warten lassen. Das Wetter schien ihm wohl nicht zum Spazierenfahren angethan. Nun aber bin ich da, und es ist um so besser, daß es regnet; kein Mensch wird uns jetzt stören, mich 280 in meiner Beichte und meinen »weisen Freund« im Kopfschütteln und Moralisiren.

Hab' ich Ihnen schon bewiesen, daß ich Neigung dazu habe?

Nein; aber ich fürchte, wenn Sie mich erst besser kennen werden –! Man sagt zwar: Alles begreifen, heiße Alles verzeihen. Aber wie sollen Sie mich begreifen? Bisher haben Sie mich für Gott weiß was gehalten, jedenfalls für etwas Apartes, das gute Gründe hätte, sein Incognito zu wahren. Wenn Sie nun hören, wie einfach Alles zusammenhängt, werden Sie es nicht für Ihre Pflicht halten, mich auf die Bahn der Weisheit und Entsagung zurückzuleiten, die mich geradewegs in mein frühes Grab führen wird? Wüßte ich das nicht so gewiß voraus, wie gern hätte ich Ihnen längst gesagt, was Sie jetzt erst zu hören bekommen sollen!

Lassen Sie es darauf ankommen, ob ich nicht doch besser bin, als mein Ruf, zwang er sich zu scherzen. Auch ich bin kein Virtuose im Entsagen, wo ich fühle, daß ich ein Naturrecht geltend zu machen hätte, und zum Moralisten fehlt es mir am Besten. Was haben Sie für einen thörichten Respect vor einem armen Privatdocenten! Ich kenne ordentliche Professoren der Philosophie, welche die dümmsten Streiche gemacht haben.

Nein, nein, nein! sagte sie ernsthaft und sah auf den feuchten Kies nieder, über den sie mit leichten Füßen hinschritt. Das verstehen Sie nicht. Sie und ich – wir sind aus verschiedenem Stoff. Können Sie verstehen, warum den kleinen Fischen da unten in ihrem dunklen 281 Wasser wohler ist, als wenn Sie ihnen das reinlichste Lager auf Lilien- und Rosenblättern anbieten wollten? Jedes Geschöpf strebt in sein Element und geht in einem fremden zu Grunde. Sehen Sie wohl, daß ich auch philosophiren kann?

Sie schwieg und ging eine Weile nachdenklich neben ihm, während der gravitätische Knabe zwanzig Schritte hinter ihnen mit einem großen Wachstuchhut unter einem Riesenschirm sorgsam in die zierlichen Stapfen trat, die seine Herrin dem Boden eindrückte. Auf der Chaussee draußen wartete die Droschke.

Jetzt stand sie einen Augenblick still, sah ihm mit einem schalkhaften Blick ihrer schwarzen Kinderaugen gerade ins Gesicht und sagte: Ehe ich Ihnen verrathe, wen Sie da an Ihrem Arme führen, wollen Sie mir nicht erst vertrauen, wofür Sie mich gehalten haben?

Ich würde mich keinen Augenblick besinnen, erwiederte er lächelnd, aber leider thun Sie mir Unrecht. Sie halten mich, weil ich Ihnen verrathen habe, daß ich ein Philosoph bin, für so thöricht, daß ich mir überall und bei Allem etwas denken müßte. Gottseidank verstehe ich mich besser auf meinen Vortheil. Ich bin froh, wenn mir einmal Etwas begegnet, wobei mir die Gedanken vergehen, wo ich nur so vor mich hin träume, wie bei einer schönen Musik, einem Stück Frühlingsnatur, einem Rosenstrauß. Meine Gedanken – warum sollte ich es leugnen? – sind sehr viel bei Ihnen gewesen, mehr vielleicht, als gut war. Aber Sie in diesen Gedanken steckbrieflich zu verfolgen, ist mir nie eingefallen. 282

Sie lachte, indem sie weitergingen. Sie weichen mir nur aus, sagte sie. Aber gleichviel, was Sie mir Gutes oder Schlimmes zugetraut haben: ich bin mir Keins von Beidem bewußt, weder eine vornehme Person noch eine Spitzbübin oder Falschmünzerin, sondern das ganz prosaische Kind »armer aber ehrlicher Eltern«. Ist Ihnen aus Ihren Knabenjahren der Name eines Ballettänzers Marchand von der Berliner Hofbühne erinnerlich? Aber wie sollte er auch! Mein Vater – er gehörte zu der französischen Colonie – war noch in seinen besten Jahren, als er einen unglücklichen Sturz aus einer Flugmaschine that, der ihm für immer das Feld seiner Kunst und all seiner Ehren und Freuden verschloß. Er nahm sich das so zu Herzen, daß er überhaupt nichts mehr vom Theater hören und sehen wollte und sich lieber freiwillig ins Exil, in ein ziemlich dürftiges kleines Nest in der Mark zurückzog. Da heirathete er meine Mutter und bekam außer mir, der Aeltesten, noch drei Töchter. Eine davon ist früh gestorben, die beiden Anderen sind gut bürgerlich verheirathet und ganz zufriedene Hausfrauen geworden. Mit mir leider hat es nicht so glücken wollen. Ich war von früh an nicht wie die Anderen, und meine gute Mutter hatte ihre liebe Noth mit mir. Vielleicht wäre sie besser mit mir fertig geworden, wenn sie nur von früh an mehr Liebe gezeigt hätte. Aber sie war, obwohl das beste Herz von der Welt, gegen mich immer abgemessen, streng und unzufrieden, und da der Vater mich um so mehr verzog, können Sie denken, was dabei für eine Erziehung zu Stande kam. Irgend wann habe ich einmal so etwas flüstern 283 hören, als wäre ich gar nicht das Kind meiner Mutter. Aber obwohl in so einem kleinen Ort Nichts geheim bleibt und Jeder die Scandalchronik der lieben Nachbarn auswendig zu wissen pflegt – ich bin nie dahintergekommen, was mit jenem flüchtigen Wort gemeint war, und denke fast, es war nur so gesagt, um die selbst Fremderen auffallende Kälte meiner Mutter zu erklären. Vielleicht war sie eifersüchtig auf die Zärtlichkeit, die der Vater an mich verschwendete; denn ihre Abneigung nahm mit den Jahren zu, in demselben Maße, wie ich hübscher wurde und mein Vater mich mehr verhätschelte. Auch sah keine meiner Schwestern mir ähnlich. Nun müßten Sie meinen Vater gekannt haben, um es begreiflich und verzeihlich zu finden, daß er mich vergötterte. Schon als ganz junger Mensch hatte er die hohe Schule der Tanzkunst in Paris durchgemacht, und die Eindrücke aus den letzten Glanztagen der Kaiserzeit verließen ihn niemals. Er ging noch immer in Schuhen, ein wenig gepudert und eine weiße Cravatte um den Hals, und wenn ihm behaglich zu Muthe war, erzählte er von Paris, von den Hoffesten, die er miterlebt – freilich nur von einem Winkel der Galerie herab – von den Duchessen und Marquisen, denen er Tanzstunden gegeben, ihrer Schönheit, Grazie und dem Luxus, der sie umgab, und schloß dann gewöhnlich mit einem tiefen Seufzer, indem er sich in unsrer ärmlichen Stube umsah: Ils sont passés, ces jours de fête!

Das machte immer auf die Mutter einen peinlichen Eindruck, und auch meine Schwestern hörten diese ewig 284 wiederholten Erzählungen ohne ein besonderes Vergnügen mit an. Sie hatten wenig Phantasie und waren ganz in ihre gegenwärtigen kleinen Sorgen und Freuden vertieft. Mir aber stiegen diese märchenhaften Schilderungen so zu Kopfe, daß mir die armselige Wirklichkeit und Gegenwart nur desto gleichgültiger wurde. Ich träumte nichts Anderes als Glanz und Pracht, ein großes Leben ohne jede Einschränkung, Könige und Prinzen, die mir den Hof machten. Meinen Puppen gab ich die hochtrabendsten Namen, übte mich beständig, was der Vater sehr begünstigte, im Französischen, und als einmal bei Tisch die Rede kam, was eine Jede sich wünschte und werden wollte, sagte ich, ein vorlautes zehnjähriges Ding, wie ich war: Ich will eine Herzogin werden.

Darüber schalt mich die Mutter heftig aus: es sei gottloser Hochmuth; gut und fromm sollte ich werden, bescheiden und fleißig – Sie können sich ungefähr denken, was ich Alles zu hören bekam. Der Vater schwieg ganz stille. Als ich hernach mit ihm allein war, zog er mich, da ich noch heftig weinte, an sich, küßte mich auf die Augen und sagte nur: Soit tranquille, ma mignonne! Tu vas te gâter tes beaux yeux avec ces larmes. Seitdem hieß ich im Haus und in der Schule, wenn sie mich ärgern wollten, »Herzogin Toinette«. Ich kränkte mich aber gar nicht darüber, vielmehr gefiel mir der Spottname weit besser, als das simple »Toni«, mit dem mich die Mutter zu rufen pflegte.

Am Ende hätte sich, je mehr ich zu Verstande kam und einsah, daß wir bei der kleinen Pension des Vaters 285 durchaus nicht auf herzoglichem Fuß leben konnten, diese krankhafte Neigung zu fürstlichem Luxus verloren, und ich hätte mit der Zeit gelernt, so gut wie meine Schwestern mit einem bescheidenen Auskommen zufrieden zu sein. Es war aber zum Unglück eine beständige Versuchung ganz in der Nähe. Unser Städtchen hatte vor Zeiten unter einem kleinen Fürsten gestanden, der schon vor Menschengedenken mediatisirt worden war. Das Stammschloß lag aber noch in alter Herrlichkeit auf einer waldigen Höhe, zu der man von unserm Stadtthor aus in zehn Minuten hinaufstieg. Der Fürst selbst war in seinen besten Jahren plötzlich auf der Jagd gestorben. Sein feierliches Begräbniß, zu dem die ganze Stadt herbeiströmte, war das erste denkwürdige Schauspiel, das einen bleibenden Eindruck in meinem kindischen Kopf zurückließ. Seitdem lebte die Fürstin droben mit ihren Kindern, einem hübschen Erbprinzchen, das ein paar Jahre älter war, als ich, und mehreren Töchtern. Der Hofhalt wurde nach wie vor auf dem größten Fuß weitergeführt, und als das Trauerjahr vorüber war, wurde es auch von Fremdenbesuchen und Festen droben wieder lebendig.

Das sahen wir Bürgerskinder freilich nur durch das Parkgitter oder, wenn wir uns hatten einschleichen können, von außen durch die hohen Fenster mit an, die in den Garten gingen. Aber es war mehr als genug, um meinen herzoglichen Träumen immer neue Nahrung zu geben. Die herrlichen Toiletten, die zahllosen Kerzen an den Kronleuchtern, das zierliche Knixen, Lächeln, Flüstern und Courmachen, das ich stundenlang, an eine 286 Scheibe gedrückt, mitansehen durfte, berauschte mich förmlich. Ich wäre für mein Leben gern mitten darunter gewesen, und es war etwas in mir, das mir sagte, ich hätte auch ganz gut hineingepaßt. Wenigstens begriff ich die Schwestern nicht, die immer sehr roth und blöde wurden, wenn einmal eine von den fremden Herrschaften sich das Städtchen besah und sich herabließ, mit uns Kindern, die neugierig vor der Thüre standen, ein paar gnädige Worte zu wechseln. Ich war immer mit einer Antwort fix bei der Hand und machte auch meine kleine Reverenz so ungenirt, daß mehr als einmal die vornehmen Damen sich ganz speciell mit mir einließen und auf französisch untereinander meine kleine Person bewunderten, wovon mir nicht ein Wort entging.

Der Vater, der im Schloß verkehrte, da er den fürstlichen Kindern Tanzunterricht gab, erzählte oft von den Lobsprüchen, die er dort für mich eingeerntet hatte, und – stellte mich meinen Geschwistern als Muster vor. Das war natürlich weder diesen noch unserer Mutter erwünscht, und es gab oft unangenehme Auftritte. Manchmal brachte er auch allerlei Leckerbissen mit, Confitüren und seltene Früchte. Der Tafeldecker war sein Gevatter. Darüber eiferte die Mutter wieder, und mit Recht. Denn seit ich diese Herrlichkeiten genascht hatte, war mir unsere sehr einfache Kost, von der wir oft nicht einmal genug hatten, viel zu grob, und ich gewöhnte mir's an, meinen Teller zurückzuschieben und lieber zu fasten, als ein Gericht zu essen, das mir nicht zusagte. Ich entschädigte mich dann mit dem, was es in Garten und Wald an 287 Früchten und Beeren gab, und es war nur seltsam, daß ich trotzdem nicht mager oder schwächlich heranwuchs, sondern immer die weiß und rothen Backen behielt, die die geschminkten Gräfinnen und Prinzessinnen, wie ich wohl merkte, neidisch machten.

Es war noch Jemand, dem sie gefielen: kein Geringerer, als Seine Durchlaucht, der kleine Erbprinz. Ein seltsames Persönchen war das damals, und ich glaube, er wird es sein Lebenlang bleiben; dünn und zerbrechlich, wie aus Porzellan, auch so steif und blank und mit einem Puppengesicht, das recht hübsch gewesen wäre, wenn man nur hätte glauben können, daß es lebendig sei. Und in dieser leblosen Manier, immer als wenn er fürchtete, er möchte dabei zerbrechen, machte er mir den Hof. Wir waren ihm einmal im Park begegnet, ein Rudel Stadtkinder, mit großem Halloh und querwaldein; Jagd und »Räuber und Wanderer« waren unsere liebsten Spiele. Da kam er daher, Gott weiß wie, einmal ohne seinen Hofmeister, und wir wurden plötzlich stille, mehr wegen seiner unheimlichen kleinen Steifheit und guten Tournüre, die etwas Gespenstisches hatte, als aus Respect. Er war aber besonders huldvoll aufgelegt, zumal gegen mich die Herablassung selbst, und ich, der blitzdumme kleine Affe, der ich war, that mir nicht wenig darauf zu Gute, daß er mich so auszeichnete. Lieber Gott, ich war zehn Jahre alt, und die Herzogin steckte mir schon im Kopf, und ich glaubte im Ernst, er würde mich heirathen und alle meine Märchenphantasieen wahr machen. So ging die possierliche heimliche Liäson, bei der ich 288 mich ebenso gelangweilt als geehrt fühlte, ein paar Jahre fort, bis die Fürstin Mutter dahinterkam. Er erklärte freilich, der ritterliche kleine Verführer, er habe nie die Absicht gehabt, mich zu seiner Gemahlin zu machen, nur zu seiner Geliebten. Aber trotz dieser frühreifen standesgemäßen Unterscheidung fand man es für besser, das kindische Verhältniß ein für alle Mal abzubrechen; seitdem war ich wieder eine Herzogin auf Wartegeld, und auch mein Vater durfte das Schloß nicht mehr betreten.

Ich selbst erinnere mich, nach dieser Zeit, d. h. als ich schon etwas erwachsener war, nur ein einziges Mal wieder den Park und damals auch das Innere des Schlosses selbst gesehen zu haben. Irgend ein fremder Vetter oder Neffe meines guten Vaters kam zum Besuch, für den Alles aufgeboten wurde, was wir nur konnten und wußten, um ihm die paar Tage lang unsere gewöhnliche Misère in einem erträglichen Lichte zu zeigen. Da wir ihm keine besonderen Fêten zu Hause geben konnten, mußten Spaziergänge aushelfen, und es traf sich glücklich, daß die Fürstin mit sämmtlichen Kindern in ein Bad gereis't war. So besichtigten wir unter der Protection des Hoftafeldeckers alle Räume, in die ich bisher nur von außen hineingeguckt hatte. Der Vater war glücklich, sein Steckenpferd reiten zu können; er erzählte beständig, wie Das und Jenes anders, schöner, reicher oder geschmackvoller in Paris gewesen sei. Ich konnte nur schweigen und staunen; und doch wieder war mir, als müsse das Alles so sein, als würde ich, wenn man es mir nur erlaubte, diese kostbaren Sachen so 289 ungenirt brauchen, als wäre ich da hineingeboren. Als den Tag darauf der Vetter mit einem verlegenen Heirathsantrag herausrückte und, um mir seine werthe Person annehmlicher zu machen, mir die Reize seines eigenen Hauses schilderte – er hatte eine Wachstuchfabrik in einer ziemlich ansehnlichen Fabrikstadt – das Gesicht, mit dem ich ihm einen ganz unverblümten Korb gab, möchte ich heute wohl sehen können. Es war gewiß so herzoglich, daß keine Vollblut-Duchesse sich desselben zu schämen gehabt hätte.

Nein! und wenn es mein ungetreuer Porzellanprinz nicht sein konnte – so ein erster bester hausbackener Fabrikant sollte es gewiß nicht sein. Die Mutter sah mich mit aufrichtigem Kummer an, als der Vetter abzog. Armes Ding! sagte sie. Du kannst freilich nicht dafür, daß Andere (sie meinte den Vater) dir den Kopf aufgesteift und verdreht gemacht haben. Aber sage mir, worauf du eigentlich wartest? – Ich versetzte, daß ich überhaupt auf Nichts und auf Niemand wartete und gar nichts verlangte, als so fortleben zu dürfen. – Das war freilich nur zur Hälfte wahr. Daß ich auf keinen Liebhaber wartete, können Sie mir glauben. Ich habe Ihnen ja offen gestanden, daß ich auch heute noch gar keine sentimentalen Anlagen in mir verspüre. Aber so fortzuleben – nein! immer und ewig hätte ich das nicht ausgehalten.

Der Vater wurde alt und gebrechlich, und mancher kleine Nebenverdienst hörte damit auf; auch die Tanzstunden im Schloß, die fürstlich bezahlt worden waren. 290 Da er sich langweilte und doch wenig mehr selbst lesen konnte, mußte Eine von uns ihm halbe Tage lang seine Lieblingsromane vorlesen und versäumte darüber ihre Arbeit, die freilich auch nicht viel eintrug. Warum soll ich Sie von den Einzelheiten dieser armseligen Hausnöthe unterhalten? Ein Mann kann sich doch nie in alle Verlegenheiten, alle heimlichen Thränen und Aergernisse eines jungen Mädchens hineindenken, das sich am Nothwendigsten absparen muß, was sie für ihr bischen Luxus noch nothwendiger braucht, und vollends Eine, die dabei so viel Geschmack und herzogliches Temperament hat, daß sie, wenn der zusammengestoppelte Flitterstaat nun endlich fertig ist, sich lieber Alles vom Leibe reißen und wieder in ihr Aschenputtelhabit fahren möchte, weil die mühsam zu Stande gekommene Pracht doch nur eine Armseligkeit ist. Nämlich, es war eigentlich nicht so übel; mit ein paar Ellen weißem Moll und ein paar Schleifchen kann man sich ganz artig ausstaffiren, mit sechzehn oder achtzehn Jahren und einem Gesicht, wie Gott es mir gegeben hatte. Schade nur, daß mir gleich die wahre Eleganz, die Pariser Toiletten, die ich droben im Schlosse gesehen, die schönen Fächer und Blumen, die echten Spitzen und krachenden Atlasleibchen einfielen, zu denen meine paar Pfennige nie und nimmer reichen würden. Sie schütteln den Kopf, mein weiser Freund. Aber bedenken Sie, daß die Forelle nun einmal hartnäckig darauf besteht, in ganz klares Quellwasser zu kommen, und mit keiner Philosophie in einem stehenden Teich sich zufrieden geben wird, wo 291 andere sehr schätzbare Fische sich noch immer ganz behaglich fühlen.

Und dann – was hatte ich denn sonst, das mich von diesen Schwächen und Narrheiten abziehen und mich entschädigen konnte, wenn das Märchen, von dem ich träumte, nie zur Wahrheit werden sollte? Sie, lieber Freund, Sie haben Ihre Gedanken, Ihren Ehrgeiz, Ihren Stolz. Aber ich – die ich nichts Rechtes wußte, konnte und wollte! Denn wo hätte ich es her haben sollen? Was hatte man mich gelehrt? Französisch sprechen, ein bischen Klavierklimpern – der junge Cantor, der mir Stunden gegeben, hatte nach einem Jahr aus unglücklicher Liebe zu mir den Versuch gemacht, sich im Stadtbach zu ertränken, und dann die Rectorstochter geheirathet, die gerade dazu kam und Leute zu seiner Rettung herbeischrie; dann freilich waren die Stunden nicht fortgesetzt worden. Handarbeiten hatte ich von jeher gehaßt. Es kann auch Niemand im Ernst einfallen, mit der Anfertigung von Strümpfen, Hemden und Stickereien eine Menschenseele glücklich machen oder für versagte Lieblingswünsche entschädigen zu wollen. –

Sie schwieg einen Augenblick und sah trübe vor sich hin. Ein Seufzer bewegte ihre Brust und machte die feinen Nasenflügel erzittern. Wie kalt es ist! sagte sie, in ihrem Mäntelchen zusammenschauernd. Kommen Sie, wir wollen etwas rascher gehen. Wo bin ich doch geblieben? Ja so: beim Stricken und Nähen, und was Alles noch daran hängt. Wie oft habe ich sagen hören und gelesen: die Bestimmung eines Mädchens, ihr Glück 292 fürs Leben finde sie in der Liebe und Ehe. Ich sah das auch bei meinen Schwestern bestätigt, die, obwohl sie jünger waren, lange vor mir ihre kleinen Herzensabenteuer erlebten und ohne Murren die Langeweile des Strickens und Nähens hinnahmen, da ihr Kopf dabei auch nicht müßig blieb, sondern zwischen die Maschen und Kreuzstiche die schönsten Liebesträume einwebte. Dann verheiratheten sie sich mit ganz Anderen, waren es aber auch zufrieden und setzten die Hand- und Kopfarbeit nun für Mann und Kinder fort. Ich aber – mein Erbprinz hatte sich ebenfalls verheirathen lassen, recht standesgemäß, so hörte ich wenigstens, und gewiß so ohne Aufregung, wie es sich für Porzellanfiguren schickt – und ich saß noch immer in Erwartung meiner herzoglichen Thronbesteigung bei meinen alten Eltern.

Ich säße noch heute dort, und es wäre mir am Ende besser, als daß ich hier mit Ihnen im Regen spazieren gehe und von Dingen rede, die hoffnungslos sind. Aber diese armen lieben Eltern, denen ich viel Sorge gemacht – auch der Vater schüttelte jetzt wehmüthig den Kopf, wenn mein Geburtstag einmal wieder herankam – in einer und derselben Woche wurden sie mir beide genommen und mit ihnen der einzige handgreifliche Lebenszweck, dessen ich mir bewußt war.

Der Hoftafeldecker, den mir das Testament meines Vaters zum Vormund bestellt hatte, war zum Glück ein verständiger Mann. Er sah ein, daß er mir nicht zureden konnte, in dem leeren Häuschen, aus dem sie meine guten Eltern hinausgetragen hatten, ruhig sitzen zu 293 bleiben und zu warten, ob Etwas käme und mich mitnähme. Er hatte den klugen Gedanken, da ich doch einmal eine unverhohlene Neigung hatte, die Welt kennen zu lernen, ein Gesuch um einen Gouvernanten- oder Gesellschafterinnen-Platz für mich in ein paar Berliner Zeitungen einzurücken. Wirklich fand sich bald Etwas, das passend schien. Eine Baronin schrieb mir, ob ich die Erziehung ihrer beiden kleinen Töchter mit übernehmen und ihr, da sie kränklich sei, bei der Führung ihres Hauses helfen wolle. Mehr, als ich gelernt hatte, wurde nicht von mir verlangt; für alle eigentlichen Unterrichtsstunden hatte man Lehrer und Lehrerinnen.

Das war mir wie eine Erlösung. In ein großes, elegantes Haus zu kommen, Abends bei den Soiréen den Thee zu machen, zu zeigen, daß ich an Geschmack und guten Manieren trotz meiner kleinstädtischen Herkunft es mit jeder Berlinerin aufnehmen könne – Sie begreifen, da Sie mich nun kennen gelernt, wie mich das locken mußte.

Ich bewog meinen Vormund, von unserer kleinen Erbschaft und dem Erlös unserer Möbeln und Hauseinrichtung, die er verkaufen ließ, mir gleich meinen dritten Theil auszuzahlen. Die paar hundert Thaler dachte ich hier in der großen Stadt als einen Nothpfennig zu bewahren, oder auch gleich anzugreifen, wenn meine Toilette nicht salonfähig sein sollte. Ich hatte sie mir während des Jahres, wo ich um meine Eltern Trauer trug und fast den ganzen Tag für mich allein war, so gut ich 294 konnte, zurechtgemacht. Aber wer konnte wissen, was die Baronin dazu sagen würde?

Nun, um diese hätte ich mich nicht zu bemühen brauchen.

Sie gefiel mir sehr gut, auch das Haus, die Kinder, – ich hätte mir nichts Besseres wünschen können. Nur Schade, daß ich ihr zu gut gefiel.

Denn kaum hatten wir die ersten Worte gewechselt, wobei sie mich von Kopf bis Fuß musterte, als sie mit der größten Freundlichkeit zu mir sagte: Mein liebes Fräulein, ich bedaure, Ihnen vergebene Mühe gemacht zu haben. Sie sind viel zu hübsch, um in ein Haus einzutreten, wo heranwachsende Söhne sind und sehr viele junge Leute aus- und eingehen. Sie würden Einem oder dem Andern oder auch Allen auf einmal den Kopf verdrehen, und es gäbe Mord und Todtschlag. Nehmen Sie mir meine Offenherzigkeit nicht übel, aber ich kenne meine Leute, und übrigens bin ich bereit, dafür, daß ich Ihr Engagement rückgängig mache, Sie vollkommen schadlos zu halten.

Uebelzunehmen war daran Nichts, und so stand ich nach einer Viertelstunde wieder unten auf der Straße, mutterseelenallein und ohne auch nur den Namen eines Hôtels zu wissen, wo ich anständigerweise hätte absteigen können. Denn in der ersten Verwirrung hatte ich nicht daran gedacht, die Baronin darum zu fragen, der sehr viel daran gelegen schien, mich so rasch als möglich abzufertigen, ehe die erwähnten heranwachsenden Söhne nach Hause kämen. 295

Nur das Eine war mir klar: zurück in meine alte Misère, in das kleine Klatschnest, wo am Sonntag die Fliegen von der Wand fallen vor Langerweile und an Wochentagen von Nichts gesprochen wird als von Kochen, Waschen und Sparen – lieber wäre ich gleich ins Wasser gesprungen. Und wer vermißte mich auch zu Hause? Wer brauchte mich? Wer würde sich besonders gefreut haben, mich wiederzusehen? Ich hätte nur schadenfrohe Gesichter gefunden, und Stichelreden und wohl gar schlimme Deutungen meiner verunglückten Expedition zu hören bekommen.

Wie ich nun so, zum ersten Male ganz frei, von Niemand gekannt und von Niemand erwartet, durch die Straßen ging und die eleganten Damen rauschten an mir vorbei, die Equipagen rollten durch die Linden, aus allen Schaufenstern blitzten die reizendsten Sachen, wie aus einem Bazar in Tausend und Einer Nacht oder der verzauberten Höhle Xara, und ich in dem Gewühl und Glanz und am schönsten Sommertage mit einem Schatz in der Tasche, wie ich ihn nie besessen, und über den ich Niemand Rechnung abzulegen hatte – plötzlich schoß es mir durch den Kopf: nur ein einziges Mal im Leben willst du sehen, wie es vornehmen und reichen Leuten zu Muthe ist, deren linke Hand nicht weiß, wie viel die rechte zum Fenster hinauswirft. Einmal recht aus dem Vollen leben, dir keinen Wunsch versagen, dem dummen Geld, das dir so gleichgültig ist, und das sich zufällig in deine Tasche verirrt hat, zeigen, wie du es verachtest, obwohl du nur ein armes Ding bist und dir dein Brod 296 verdienen sollst! Wenn du jetzt recht geizig wärst und deine fünf- bis sechshundert Thaler in eine Sparkasse thätest – die lumpigen paar Zinsen, die dabei herauskämen, würden dich doch wahrhaftig nicht glücklich machen. Ist Alles wie gewonnen so zerronnen, kannst du ja immer noch wieder ins Joch zurückkriechen. Du hast dann wenigstens einmal erlebt, wie glücklicheren Menschen zu Muthe ist – vielleicht auch – und das sagt' ich mir, als sich doch so eine mütterliche Ader in mir regte – vielleicht geht es dir, wie den Lehrlingen beim Conditor: du überissest dich am Luxus und bist nachher um so zufriedener, wenn es wieder recht schmal und kleinbürgerlich zugeht.

So! das stand nun also fest, es sollte einmal Ernst werden mit der Herzogin Toinette. Aber da ich ganz landfremd war und nicht aus noch ein wußte in der großen Stadt – wer weiß, ob mir der Muth nicht doch wieder abhanden gekommen wäre, meinen Plan auszuführen. So im Handumdrehen wird man eben keine große Dame aus einer Kleinstädterin, wenn man auch fünfhundert Thaler daran zu wenden hat.

Aber da half mir der Zufall.

Ich war nach Berlin in der ersten Klasse gereis't. Das hatte ich längst gern einmal probiren wollen und mich auf unseren kurzen Ausflügen in die Nachbarschaft immer heimlich über unsere dritte Klasse geschämt und gegrämt. Nun konnte ich meine Lust büßen und war in meinem Plüsch-Fauteuil ganz behaglich, bis ein Herr, der allein mit mir im Coupé saß, eine Conversation mit 297 mir anknüpfte, die ein wenig verfänglich zu werden drohte. Es war ein sehr eleganter, aristokratischer junger Mann, dessen Jäger auf jeder Station an den Waggon trat, sich stumm nach den Befehlen seines Herrn zu erkundigen. Auf seine galanten Redensarten diente ich ihm so kurz angebunden, daß er wohl merkte, er müsse einen anderen Ton anschlagen. Von da an war er die Artigkeit und Aufmerksamkeit selbst und behandelte mich ganz wie ein Dame, obwohl ich ihm nicht verschwieg, was mich nach der Stadt führte. Als wir abstiegen, verabschiedete er sich von mir mit der Hoffnung, mich im Hause der Baronin, bei der er eingeführt sei, schon in den nächsten Tagen wiederzusehen.

Mir war das sehr gleichgültig; des Herrn Grafen Erlaucht, wie ihn der Jäger nannte, interessirte mich nicht im Mindesten. Auf einmal aber, wie ich so durch die Straßen hinschlenderte und mir den Kopf zerbrach, was ich zunächst anfangen sollte, höre ich mich von einer bekannten Stimme anreden – da war es der Graf. Er grüßte mich sehr höflich, fragte, wie ich die Baronin gefunden, und als er mein Schicksal gehört hatte, tröstete er mich gutmüthig, ich solle mir nur keine Sorgen machen, an einer ähnlichen und noch viel vortheilhafteren Stelle könne es mir nicht fehlen, er selbst wolle alle seine Connexionen aufbieten, und fürs Erste, da ich ihm meine Verlegenheit wegen einer passenden Wohnung gestand, könne er mir ein sehr hübsches Quartier empfehlen, das er einmal im Auftrage einer Verwandten gemiethet habe. Sie habe es nachher nicht bezogen, da sich ihre Pläne geändert hätten; es 298 stehe aber noch leer, und die Wirthin sei eine sehr honette Frau, bei der ich vortrefflich aufgehoben sein würde.

Natürlich war mir das sehr willkommen. Ich bestand nur darauf, keinenfalls davon Gebrauch zu machen, daß die Miethe schon für ein Vierteljahr vorausbezahlt sei, sondern meine eigene Herrin zu bleiben und Niemand Dank schuldig zu werden.

Er schien das endlich auch in der Ordnung zu finden, wie er sich denn überhaupt fortwährend bescheiden und fast ehrerbietig betrug. Gleichwohl bereute ich es halb und halb, daß ich mich von ihm in die Wohnung begleiten ließ. Es schien der Wirthin doch aufzufallen, und dann – er wußte nun, wo ich zu finden war. Wer bürgte mir dafür, daß er mir nicht dennoch lästig wurde? Und um mein Incognito war es jedenfalls geschehen.

Aber meine Furcht war unbegründet.

Am Tage, nachdem ich eingezogen war, bekam ich ein Billet von ihm: er müsse sich leider das Vergnügen versagen, sich persönlich nach meinem Befinden zu erkundigen, da die Nachricht von dem plötzlichen Erkranken seines Vaters ihn nöthige, sofort auf seine Güter abzureisen.

Ich gestehe Ihnen, daß ich mich dadurch sehr erleichtert fühlte. Nun war ich wirklich ganz ohne Controle und konnte mein Leben einrichten, wie es mir beliebte.

Sie haben es hinlänglich kennen gelernt, um zu wissen, wie es etwa sein müßte, wenn es nach meinem Geschmack fortgehen sollte. Nur freilich fehlte es noch 299 hie und da an allerlei Kleinigkeiten. Wenn ich mein Schmuckkästchen aufmachte, sah es nicht gerade nach Kronjuwelen darin aus. Hörte ich von einer armen Familie, so konnte ich höchstens fünf-Thaler-weise meine Großmuth bethätigen. Und dann – es war auch gar zu einsam! Ein kleiner Hofstaat darf doch nicht fehlen, wenn man sich herzoglich einrichtet. Als ich zwei Wochen lang so für mich hingelebt hatte, machte ich zum Glück Ihre Bekanntschaft. Nun war ich ganz zufrieden und fürchtete mich auch nicht mehr vor der Rückkehr des Grafen, obwohl er mir Briefe schrieb, die nach und nach aus dem bloß formellen Ton in einen immer wärmeren übergingen. Er gestand mir, daß selbst die Sorge um das Leben seines Vaters mein Bild nicht aus seiner Erinnerung verdrängen könne, er bat nur um eine Zeile, daß seine Huldigungen mir nicht völlig gleichgültig seien, er schilderte seinen Gemüthszustand mit immer überschwänglicheren Farben, und je hartnäckiger ich diese närrischen Episteln unbeantwortet ließ, je leidenschaftlicher wurden sie. Das hatte noch gerade gefehlt, mir diese Bekanntschaft völlig zu verleiden. Ich gab meinem kleinen Jean Ordre, keine Brief mehr anzunehmen, und wenn jemals ein Herr, der so und so aussähe, mich besuchen wolle, ihm unter keiner Bedingung die Thür zu öffnen.

Und nun gestern diese Scene! Die halbe Nacht habe ich nicht schlafen können vor Empörung. Was er sich nur einbildet! Wofür er mich nur halten muß, daß er denkt, durch so freche Zudringlichkeit – denn der 300 Jäger hat doch im Auftrag gehandelt – mir etwas abgewinnen zu können! O die Männer und was sie Liebe nennen! Hab' ich nun nicht Recht, wenn ich mich vor einer so verrückten Leidenschaft fürchte, die aus übrigens wohlerzogenen Menschen gefährliche Ungeheuer macht? Und Sie – Sie sind ganz stumm geworden und haben mich auch kein einziges Mal unterbrochen. Nun sagen Sie endlich einmal ein Wort, oder ich muß glauben, Sie halten mich nicht nur für eine arme Thörin, sondern für eine arme Sünderin.

Sie entzog ihm rasch ihren Arm und trat unter seinem Schirm hervor. Es tröpfelte nur noch kaum, ein dünner Lichtstrahl drängte sich durch die grauen Herbstnebel, sie ließ die Kapuze zurückfallen und zeigte ihm das volle Gesicht, das von dem eifrigen Sprechen und Gehen geröthet war.

Liebstes Fräulein, sagte er lächelnd, Beichte um Beichte: der Thor und der Sünder steht vor Ihnen. Aber er hofft auf Absolution. Es war übermenschlich, von selbst auf eine so einfache und doch so seltsame Lösung des Räthsels zu kommen. Zumal, – ich muß es Ihnen jetzt nur gestehen – die »honette Frau«, Ihre Hauswirthin –

Wie? Sie kennen sie? Was wissen Sie von ihr? O ich bitte Sie, rief sie mit ängstlicher Hast, lassen Sie mich jetzt nicht länger im Ungewissen!

Er beruhigte sie, die plötzlich wieder bleich geworden war. Sprechen wir nicht so laut, sagte er; die großen Ohren des kleinen Jean sind uns näher gerückt. – Sie 301 nahm wieder seinen Arm und bog rasch in eine der Seitenalleen ein. Nun? nun? drängte sie. O mein Gott, und ich hatte keine Ahnung!

Er sagte ihr nun Alles, was er von der Frau gehört hatte, die frühere Bestimmung der Wohnung, das Einverständniß der Wirthin mit dem Grafen, die Gefahren, denen sie sich in ihrer arglosen Unwissenheit ausgesetzt. Ich selbst, schloß er, obwohl ich manchmal ein banges Herz hatte, wenn ich an das Geheimniß dachte, das Ihr Leben umgab, – glauben Sie mir, liebe Freundin, ich durfte Sie dann nur ins Zimmer treten sehen, nur Ihre Stimme, Ihr Lachen hören, um völlig ruhig zu werden, völlig überzeugt, daß nichts Gemeines jemals über Sie Macht haben könnte. Viel eher hielt ich Sie wirklich für das, was Sie nur spielten, für eine geborene Fürstin, die eines schönen Tages ihren Thron wieder besteigen und dann ihren getreuen Diener, der ihr im Exil manchmal die Sorgen und die Langeweile weggeplaudert, zu irgend etwas ernennen würde, wozu man keine Handschuhe braucht, etwa zum Hofbücheraufschneider oder Geheimsecretär oder auch nur zum Hofvögelfüttrer Ihrer Durchlaucht der Herzogin Toinette.

Sein Scherz schien nicht mehr an ihr Ohr zu dringen. Das liebliche Gesicht war starr zu Boden gekehrt, ihre Hand zitterte. Sie stand plötzlich wieder still.

Und der Brief? sagte sie, ohne ihn anzusehen. Sie haben ihn doch mitgebracht?

Er zog ihn aus der Tasche. Er hat mir den Schlaf nicht gestört, lächelte er. Wollen wir ihn ungelesen 302 zerreißen und zu anderen welken Blättern in den Teich streuen?

Nein. Lesen Sie ihn. Lesen Sie laut.

Er brach das schwarze Siegel und las folgende Zeilen:

»Mein verehrtes Fräulein!

»Sie beharren dabei, mich ohne Antwort zu lassen. Ich sehe daraus, daß Sie meinen schriftlichen Betheuerungen keinen Glauben schenken, und wenn es möglich wäre, daß meine Gefühle für Sie noch bestärkt würden, so würde es durch diesen Beweis Ihrer stolzen Zurückhaltung geschehen. Ich werde Sie von jetzt an mit meinen Briefen verschonen, da ich sehr bald im Stande sein werde, mündlich Alles zu bestätigen und Ihnen dann hoffentlich jeden Zweifel an der Aufrichtigkeit meiner Leidenschaft zu benehmen. Das Gefürchtete ist eingetroffen, ich habe in dieser Nacht meinen Vater verloren. Daß die ersten Zeilen, die ich nach dem schmerzlichen Verlust schreibe, an Sie gerichtet sind, möge Ihnen besser als Worte beweisen, daß ich alle meine Lebenshoffnungen an Ihr Bild knüpfe, die Entscheidung über mein Wohl und Wehe in Ihre Hand lege. – Ob Sie mich in meiner jetzigen Stimmung eines freundlichen Grußes werther halten, als vorher, muß ich in Ergebung abwarten.

Unwandelbar Ihr

Franz Graf * *«

Wenn der Stil auf den Menschen schließen läßt, haben wir doch zu voreilig für den ungeschliffenen Diener 303 den Herrn verantwortlich gemacht, scherzte Edwin, indem er den Brief zusammenfaltete und ihn ihr zurückgab. Werden Sie Ihrem getreuen Ritter nicht wenigstens condoliren?

Sie hatte das schwarzgeränderte Blatt mechanisch hingenommen, ihr Gesicht blieb regungslos. Kommen Sie, sagte sie nach einer Pause. Es fängt von Neuem zu regnen an. Mir ist nicht ganz wohl. Führen Sie mich zu der Droschke zurück. O es ist abscheulich! abscheulich! abscheulich!

Er sprach ihr zu, so gut er konnte.

Wenn er Ihnen nun seine Hand und eine Grafenkrone anbietet? sagte er und fühlte in dem Augenblick einen Stich in seinem Herzen, der ihm plötzlich den Athem versetzte.

Sie schien es nicht zu hören. Sie schüttelte die Locken aus dem Gesicht, daß ihr das Haar im Nacken aufging und in loser Fülle über die Kapuze rollte. Das Mäntelchen riß sie auf, als fürchte sie zu ersticken. Ist es so heiß geworden? sagte sie, oder ist es nur – aber lassen Sie uns rascher gehen. Ich kann es nicht erwarten, bis ich in Ruhe bin – und allein! Nein, nein, Sie sind mir gar nicht zu viel, gewiß nicht, ich weiß, was ich Ihnen verdanke. Aber das – das – Es giebt Dinge, mit denen man nur fertig wird, wenn man die Augen zudrücken kann und heulen wie ein kleines Kind. Wissen Sie was, lieber Freund? Ich möchte jetzt – Aber wozu davon reden. Das verstehen Sie nicht. Morgen ist Ihr Tag, nicht wahr? Richtig, es war gestern, 304 wo Sie bei mir blieben und der unverschämte Mensch – Nichts mehr davon. Ich erwarte Sie morgen. Für heute leben Sie wohl. Verzeihen Sie, daß ich Sie nicht auffordere, mitzufahren. Aber es ist besser so – ich weiß ohnehin nicht, was ich rede – ich –o mein Gott!

Sie drückte die Hand vor die Stirn und stand einen Augenblick, als vergingen ihr die Sinne. Er wagte es, sie leise an sich zu drücken. Theures, bestes Mädchen, fassen Sie sich, sagte er. Was ist denn geschehen? Was ist denn verloren?

Sie richtete sich sofort wieder auf. Nichts! hauchte sie. Es ist schon vorüber. Ich danke Ihnen sehr für alle Ihre Freundschaft. Auf morgen also – und adieu!

Sie reichte ihm die Hand und sah ihn mit einer Miene an, die wieder völlig gefaßt schien. Dann stieg sie in die Droschke, der Kammerzwerg kletterte auf den Bock, und Edwin sah, wie sie im Fortfahren noch einmal sich hinausbog und mit einem langen, sehr ernsthaften Blick zu ihm zurückgrüßte. Dann blieb er im grauen Tage mit seinen dunklen Gedanken allein. 305



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