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13.

Das Hochzeitsfest war gekommen. Das neuvermählte Paar hatte die Glückwünsche der Verwandten und Freunde entgegengenommen; in einem neben dem Festsaal gelegenen Raume waren die Geschenke ausgestellt, die das Paar empfangen hatte, und man sah viel wertvolle, schöne nützliche Dinge darunter.

Roselore war nicht lange um ihr Geschenk für das Brautpaar in Verlegenheit gewesen.

»Ich schenke ihnen die Conchita,« hatte sie zu ihrer Mutter gesagt.

Frau Stelling meinte, nicht recht gehört zu haben. »Was willst du schenken?« fragte sie.

»Nun, ganz einfach: das Bild, das Edith Winter von der Wunderblume von Übersee gemalt hat. Das ist doch sehr schön! Und es wird dann auch sehr wertvoll sein, wenn Edith erst einmal eine berühmte Malerin geworden ist. – Mein Geld in der Sparbüchse reicht für einen Rahmen um das Bild, ich habe mich schon danach erkundigt.«

Die Mutter hatte nichts dagegen, es war ihr recht.

So stand nun das hübsche Bild der Blume »Menschenauge«, auch »Sonnenschein« genannt, inmitten der übrigen Gaben und nahm sich dort sehr schmuck und reizend aus.

Herr Lehrer Dorn, der im Grunde ein tiefsinniger Mensch war, meinte: »Mir ist, als hätte mir das Bild etwas zu sagen, ich weiß nur nicht, was. Schade, daß ich die Blume nicht in ihrer natürlichen Schönheit gesehen habe. Sagtest du nicht, Roselore, daß sie einen wundersamen Duft ausgeströmt hätte? Mir ist, als könnte ich diesen Duft spüren!«

»Du träumst, Egon,« sagte die junge Frau und lächelte. »Das Bild riecht höchstens nach der Farbe, mit der es gemalt ist.«

Und sie zog ihn mit sich fort zu anderen Geschenken, die ihr junges Hausfrauenherz beglückt und entzückt hatten.

Es gab viel zu bewundern und manches zu erklären, denn viele der Neuheiten, die der Handel gebracht hatte und die hier zu sehen waren, schienen manchem der Anwesenden noch unbekannt zu sein.

Pitt war ebenfalls herbeigerufen worden. Er sollte den Tisch der Jugend bedienen. Er faßte sein Amt sehr ernsthaft und würdig auf, aber die Mädel lachten und scherzten über ihn.

Das kleine Festspiel, das in Roselores Kopfe entstanden und von Edith Winter in geschickte, klingende Reime gebracht worden war, trug den Grundgedanken: »Huldigung der Blumen aus den vier Jahreszeiten«.

Als erste Botin des Glückes für das junge Paar erschien das »Schneeglöckchen«, und es wurde von Roselore dargestellt.

Sie hatte dazu ein wunderhübsches Kostüm bekommen. Das schlichte Hängerkleidchen aus grünem Tarlatan war unten ausgebogt, darüber lagen in Brusthöhe drei spitz zulaufende, weiße Blütenblätter, die nach unten herabfielen. Um ihre Stirn lag ein schmaler, silbern funkelnder Reif, an dem kleine Perlen glitzerten, gefrorene Tropfen darstellend.

Ganz allein stand sie da auf der Bühne, mitten im schneeigen Weiß einer Winterlandschaft, und sprach ihre Einleitungsworte:

»Hu, wie ist es noch so kalt,
Rauh weht der Wind, und Flocken tanzen,
Und wenn die liebe Sonne nicht wär',
Möcht' man sich wieder in die Erde verschanzen!
Aber ich habe Mut,
Bin ja ein junges Blut!
Bitte alle Leute hier,
Seid heute recht fröhlich 'mal mit mir,
Denn ich hörte, daß auf des Frühlings Pfad
Ein teures Brautpaar sich heut' uns naht.
Und sobald sie mein Zeichen vernommen,
Werden alle, alle Blumen kommen!
Das soll ein Leben sein, ein Schwirren,
Wenn auch tausend Eiszapfen wütend klirren!
Wir werden die Sieger sein,
Kling, kling, ich läute das Glück euch ein!«

Und die heiteren, farbenfrohen Blumengestalten führten die Zuschauer in Wort, Lied und Reigen durch die vier Jahreszeiten des Lebens, bis zum Schlusse der Tannenbaum erschien, von Vera Teuerkauf mit steifer Würde dargestellt, und auf die Traulichkeit des Familienlebens hinwies.

Das kleine Festspiel hatte gute Wirkung und erfreute alle. Roselore bedauerte es sehr, daß ihre Freundin Edith Winter nicht zu den eingeladenen Gästen gehörte. Wie gern hätte sie ihr den Anblick des Spieles verschafft als Lohn für ihre Mühe! Aber sie und ihre Mutter standen dem Brautpaar ja gar zu fremd gegenüber, sie waren einander nur ganz selten und flüchtig bei Stellings begegnet.

Roselore zog dann die praktische Nutzanwendung aus dem schönen Gelingen »ihres« Festspiels und brachte Tante Loni zu dem Zugeständnis, daß Winters eine halbe Torte, einen ganzen Napfkuchen, eine Schüssel Braten und mehrere Gläser Kompott in die Wohnung geliefert bekamen, damit sie doch wenigstens daheim mit ihnen feiern konnten.

Andere Gedichte und Lieder wurden bei der Hochzeit nicht vorgetragen. Die Kollegen des Herrn Dorn hatten Festlieder für gemeinschaftlichen Gesang verfaßt und auch eine Festzeitung herausgegeben, die für die Unterhaltung reichlich Stoff lieferten. Zum Schlusse trat dann der Tanz in seine Rechte, und während die übrigen Schulmädel bedauernd und zögernd in der Garderobe ihre winterlichen Hüllen anlegten und sich zum Heimwege anschickten, konnte Roselore den Triumph genießen, einmal in der Reihe der Großen mittanzen zu dürfen und dabei wie eine Dame, gleich den anderen, behandelt zu werden.

Aber Herr Dorn hatte wohlweislich dafür gesorgt, daß seine Klasse noch den ganzen Abend über dankbar seiner und seiner jungen Frau gedachte. Jedes der Mädel hatte eine kleine Konfektschachtel und eine Portion Kuchen zum Mitnehmen erhalten, und an der für die »Künstlergruppe« hergerichteten Kaffeetafel hatten sie den vielen guten, süßen Dingen reichlich zusprechen dürfen, die ihnen Pitt mit nimmermüder Behendigkeit dargereicht hatte.

Der folgende Tag war Sonntag, und nachher ging alles im altgewohnten, ernsten Geleise der Arbeit und Pflichten weiter. –

Dem kleinen Taddy war bei der Hochzeit nur eine schweigende Statistenrolle zugeteilt gewesen. Roselore hatte ihm ein Gedichtchen beibringen wollen; aber alle ihre Versuche waren erfolglos verlaufen. Vielleicht hatte es ihr auch an der nötigen Geduld gefehlt. Welches Schwesterchen mag sich lange mit einem störrischen Brüderlein abmühen, das auf alle Vorstellungen und Bitten nur immer die eine einzige Antwort hat: »Will nich lernen, will nich artig sein, bin noch lange nich doß wie du.«

Nur bei den gemeinsamen Liedern konnte man Taddys Stimme vernehmen. Da saß er brav auf seinem Platze, hatte eine »Festzeitung« in seinen kleinen Händen, blickte unverdrossen hinein und sang nach eigener Melodie und mit eigenem, selbsterfundenem Text: »Was singt ihr bloß? Das is famos!« Aber es störte weiter nicht, weil sämtliche Teilnehmer laut und eifrig sangen.

Er hielt auch brav und still bis zum Schlusse des Festes aus. Am anderen Tage schlief er bis zum nächsten Morgen durch, wachte dann plötzlich auf, war sofort munter und sagte, er möchte nochmals Hochzeit machen. Roselore war freundlich und geduldig gesinnt, gab sich ihm zum Spiel her, holte ihre Puppen herbei und spielte mit ihnen »Hochzeit«, woran der Kleine so viel Gefallen fand, daß er wiederum tapfer sein Liedlein sang. Nachher wollte er einmal »dans allein« spielen; und das Ende hiervon war, daß eine Puppe mit zerbrochenem Kopfe und eine andere mit ausgerissenen Armen und Beinen auf dem Schauplatze liegenblieb.

»Du darfst dem Kleinen so etwas nicht in die Hand geben,« tadelte Frau Stelling ihre Große, und Roselore, die wohl noch etwas abgespannt war von all dem Herumtollen der letzten Wochen und dem Genuß all der guten Dinge an der Tafel, vertrug den Tadel nicht und fing an zu weinen.

Zum Glück erschienen dann Vera Teuerkauf und Grete Taurig, um Roselore zu einem Spaziergange abzuholen. Roselore hatte von ihrem nunmehrigen »Onkel« Dorn, der wohl ein solches Zusammentreffen der Mädel vorausgeahnt haben mochte, etwas Geld geschenkt bekommen, damit sie es zur Nachfeier mit ihren Freundinnen verwende.

Das war den beiden Mädchen recht willkommen. Sie holten Sophie Weinrich ab und setzten sich dann zusammen in eine kleine Konditorei, wo sie das ganze schöne Fest noch einmal kritisierend an ihrem Geiste vorüberziehen ließen.

Schließlich sagte Vera Teuerkauf, daß die Hochzeitstorte doch eigentlich viel schöner geschmeckt hätte als jene, die sie soeben verzehrt hatte; und die beiden Freundinnen gaben ihr darin vollkommen recht.

»Es ist eben immer so im Leben,« dachte Roselore. »Alles, was einer Freude nachfolgt, hat einen bitteren Beigeschmack.«

Schlechtes Wetter brach herein und machte den Besuch bei der Großmutter in Biesenthal unmöglich. Auch Tante Loni empfand die Kehrseite des Weitabwohnens und kam um ihre Versetzung an eine andere Schule ein. Zufälligerweise traf es sich so, daß in der Nähe ihrer Wohnung an einer Schule ein Lehrposten frei wurde, den sie nun zugewiesen erhielt. Sie war darüber herzlich froh, wenn es ihr auch schwer fiel, nun gänzlich von der Schule in Biesenthal und von ihren lieben Schulkindern zu scheiden. Der neue Posten war zum ersten Januar anzutreten.

Herr Dorn behielt seinen Platz weiter, es deuteten aber alle Anzeichen darauf hin, daß Roselore ihm zu Ostern untreu werden würde, da ihre Versetzung in die höhere Klasse so gut wie sicher schien. Sie war in der Stadtschule gut mit den anderen Schülerinnen vorangekommen, was Herrn Dorn zu einem Lobe der Lehrtätigkeit seiner jungen Frau veranlaßte.

Roselore hörte dieses Lob mit geteilten Gefühlen an. Sie schwieg zwar, aber sie dachte: »Was wollt ihr beide, Herr Lehrer und Frau Lehrerin, wohl beginnen, wenn ein Kind nicht lernt? Hoho, ich glaube, bei meinem Fortschritt hat es nicht zum wenigsten an meiner eigenen Tätigkeit gelegen!«

Schließlich machte sie ihren Gedanken aber doch Luft und sagte mürrisch zu ihrer Mutter: »Die beiden tun gerade so, als wenn wir Schulkinder nur zur Parade für die Lehrer da wären!« Wofür sie von der Mutter einen Klaps auf den vorlauten Mund erhielt.


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