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2.

Roselore nahm tapfer und wohlgemut das neue Leben auf, in das sie nun gestellt worden war. Ganz, ganz anders war das nun alles als bisher. Anstelle der Großmutter hatte sie nun zwei Oberhoheiten, denen sie gehorchen mußte: die Mutter und den Vater. Statt des kleinen Gartens der Großmutter, den sie liebevoll mitbesorgt hatte, war nun das eigensinnige, verzogene Brüderchen zu betreuen, soweit es Roselores Zeit gestattete. Die Wohnung war zwar hell, da sie vier Treppen hoch gelegen war, aber eng und durch viele Möbel verbaut. Herr Stelling und seine Frau schliefen mit Taddy in einem Zimmer, dieses diente auch zum Aufenthalt tagsüber. Roselore mußte in der Küche schlafen, wo allabendlich ein Bett für sie aufgestellt wurde. Aber die Küche hatte einen kleinen Balkon, und das war des Mädels eigenstes Reich. Sie hatte sich dort Blumenkästen und Töpfe aufgestellt, in denen kleine Pflanzen schon lustig zu sprossen begannen. Pitt schlief in einer Kammer außerhalb der Wohnung, auf demselben Flur gelegen, die ein kleines, vergittertes Fenster hatte. Es war dämmrig darin und roch zuweilen übel, da Pitt immer fror und ein Feind des Lüftens war; Roselore nannte den Raum »die Teuselshöhle«. Es war ein Glück, daß Pitt nicht viel Deutsch verstand, sonst hätte er sich diese Bezeichnung seines Wigwams sicher nicht gefallen lassen.

Der Weg zur Schule war nicht weit, aber infolge des belebten Treibens auf den Straßen kam Roselore in den ersten Tagen kaum von der Stelle. Überall wurde sie gestoßen, überall angerempelt. Und in der Schule selbst kam sie mit dem Tempo, das dort herrschte, ebensowenig voran.

Wie anders war das gewesen, als Tante Loni sie noch unterrichtet hatte! Bei ihr hatte sie alles immer richtig gewußt und niemals eine falsche Antwort gegeben. Wenn sie jetzt eine Antwort gab, klang das den Mitschülerinnen so komisch, daß sie lachend losplatzten. Ja, die heitere Stimmung schlug schon voraus ihre Wellen, bevor Roselore noch etwas gesagt hatte. Sie war, hauptsächlich auf Grund ihrer schriftlichen Arbeiten, in die vierte Klasse eingeschult worden. Sie lernte fleißig, sie begriff alles schnell und richtig, aber sie war schwerfälliger als die anderen und galt in der ganzen Klasse als die schlechteste Schülerin. »Das Gänschen vom Lande«, nannten sie die Mitschülerinnen. Und sie steckten die Köpfe hinter ihr zusammen und wisperten: »Sie trägt baumwollene, handgestrickte Strümpfe! Ihr Rock ist viel zu lang, viel zu weit! Und nicht einmal einen Bubikopf trägt sie, sie geht mit Zöpfen!« Ja, Roselores hübsche dunkle Zöpfe waren zu beiden Seiten des rotwangigen, runden Köpfchens in Schnecken aufgesteckt; das sah unsagbar drollig aus.

Nach ein paar Tagen hatte Roselore sich endlich drei Mädel aus ihrer Bank als Freundinnen erobert. Grete, Sophie und Vera; die eine, weil sie den Kuchen mit ihr geteilt hatte, den Liesel bei ihrem ersten Besuche reichlich mitbrachte, die zweite, weil ihr der schwarze Bengel Achtung einflößte, der in den Nachbarstraßen umherstapfte und Einkäufe machte, so gut es eben ging; und die dritte, weil Roselore ihr bei den Rechenarbeiten half. Und alle drei gingen in der Pause und auf dem Heimwege aus der Schule mit Roselore und ließen sich von Pitt erzählen. Wie er hatte Kartoffeln holen sollen und die Händlerin »Pantoffeln« verstanden hatte, wie er dann wutentbrannt Kartoffelschalen zur Verständigung gebracht hatte; und daß er immer, wenn die Gassenbuben stehen blieben und ihn angafften, hoheitsvoll sagte: » Go on!« (geh' weiter!), was den Mädels so gut gefiel, daß sie es ihrem Wörterschatz einreihten. Einmal hatte er vergessen, was er holen sollte, oder er hatte den Zettel verloren, auf dem es geschrieben stand; und da war er resolut von einem Fach zum andern gegangen, hatte es aufgezogen und nachgeschaut, ob das darin war, was er suchte, und das Kaufmannspersonal dadurch in Angst und Schrecken versetzt. An die Kochtöpfe hatte ihn Frau Stelling aber nicht herangelassen, weil Roselore so innig darum gebeten hatte und sich selbst zu Hilfeleistungen in der Küche anbot für den Fall, daß die Mutter nach einer Helferin verlangte.

Ach, es war überhaupt alles anders, ganz anders als bisher. Und wenn Frau Stelling ihrem Mädel nicht erlaubt hätte, alle fünf Wochen einmal zur Großmutter nach Biesenthal zu fahren, wer weiß, ob Rose nicht vor Heimweh nach dem einstigen schöneren Leben krank geworden wäre.

Mit den ersten jungen Erträgnissen aus Großmutters Garten im Rucksack, einen vollen Strauß Blumen und Grün im Arm und mit bei ihrer Freundin Liesel ganz satt gegessenem Kuchenmagen langte an solchen Tagen Roselore neu erfrischt und beglückt daheim wieder an. Liesels Mutter, die Bäckersfrau, schickte jedesmal ein Paket Kuchen für Taddy mit, von dem dieser aber nur die eine Hälfte bekam; das andere verteilte Roselore an ihre Freundinnen. Taddy aber teilte wiederum brüderlich mit seinem Freunde Pitt. Die Mutter freute sich dann immer sehr über die Eßvorräte aus dem Rucksack, während sie den Strauß Blumen und Grün weniger begeistert aufnahm, denn es war sehr eng in der Wohnung, und für überflüssige Dinge, zu denen Frau Stelling die Blumenvasen zählte, war kein Platz. Doch Rose hatte für diese Schätze längst eine bessere Verwendung ausfindig gemacht.

Es war ein großes Mietshaus, in dem sie mit ihren Eltern wohnte. An allen Türen fremde Namenschilder, auf allen Treppen fremde Menschen, mit denen man kaum einen Gruß wechselte, weil man nicht wußte, ob sie überhaupt ins Haus gehörten. Ein kleiner viereckiger Hof, von zwei Seitenflügeln und dem Vorderhause gegenüber von einem Hintergebäude eingeschlossen. Der Hof war gepflastert, im Hinterhause befand sich zu ebener Erde ein Autoschuppen. Aber in der einen Ecke, einem Winkel, den die huschenden Sonnenstrahlen erreichen konnten, war der Boden ungepflastert. Dort hatte, wie Rose von den anderen Kindern im Hause gehört, einmal ein Holunderbaum gestanden, der nächtlicherweile von Dieben, wohl seines Holzwertes wegen, abgesägt worden war. Nun lag der Hofwinkel, wo der Baum so lange sein Dasein gefristet, öde und kahl da. – »Daraus mache ich mir einen Garten,« beschloß Rose.

Der Hauswirt wohnte zu ebener Erde, gerade diesem Sonnenwinkel gegenüber. Er war Schneider von Beruf, eine sinnige, geduldige Art war ihm eigen. Im Gegensatz zu seiner Frau, der Meisterin, die immer aufgeregt und hastig umherlief und jede Kleinigkeit äußerst wichtig nahm. Oft konnte man bei offenstehenden Fenstern die helle Stimme der Frau vernehmen, wie sie ihrem Manne etwas vorjammerte und zeterte. Dann sagte er gelassen:

»Mach' dir nischt d'raus, Genovev'. Was kommen soll, das kommt auch. Das ist das Fatum. Mach' dir nischt draus!«

Meister Fleck war ein Original.

An ihn wandte sich Rose mit der Frage, ob sie in dem erdigen, ungepflasterten Hofwinkel etwas pflanzen dürfe. Sie hatte dabei ein Sträußchen bunter Stiefmütterchen in der Hand. Als sie gewahrte, daß Meister Fleck die Blumen freundlich und begehrlich betrachtete, reichte sie ihm den Strauß hin.

»Was willst du denn pflanzen?« erkundigte er sich. »Kohlrüben? – Oder Spargel? Oder Tomaten? Oder …«

»Blumen,« entgegnete Roselore schnell. »Nur Blumen. Damit ich Ihnen dann öfters ein Sträußchen bringen kann, wenn Sie das mögen.«

Ihre dunklen, großen Augen sahen ihn dabei ernsthaft an.

»Ei, du kleine Schmeichelkatze,« sagte der Meister und rückte seine Brille in die Stirn hinauf, um Rose besser betrachten zu können. Denn die Brille brauchte er nur bei seiner Arbeit, wenn er feine, kleine Stiche zu nähen hatte.

»Aber ich will dir mal einen Vorschlag machen, Mädel. Ich hab' doch den Blumenfleck dann gerade vor meinen Augen, und wenn ich alle deine schönen Blumen da sehen kann, brauchst du für mich nicht extra ein Sträußchen abzurupfen. Damit geh' lieber zu Fräulein Edith Winter, die Blumen malt und hocherfreut ist, wenn sie auf billige Weise zu natürlichen Modellen kommt. – Du weißt doch, wo Fräulein Winter wohnt?«

»Nein,« sagte Roselore, große Spannung im Blick. Jemand, der Blumen malte, wohnte hier in der Nähe? Ein Fräulein? Ach, das war gewiß sehr, sehr alt, denn Tante Loni hatte ja oftmals davon gesprochen, daß ein Maler sehr lange darben und sich mühen muß, ehe er etwas erreicht und Bilder malen kann, die mit Geld bezahlt werden. »Wo wohnt die Blumenmalerin?« fragte sie begierig.

»Da brauchst du gar nicht weit zu suchen. Kleine,« meinte Meister Fleck bedächtig. »Da drüben,« er wies mit dem ausgestreckten Zeigefinger nach dem vierten Stock im Seitenflügel, »da wohnt sie mit ihrer Mutter. Du hast sie doch sicherlich schon gesehen?«

Ja, nun besann sich Rose, zuweilen ein blasses, blondes, zartes Mädchen gesehen zu haben, das eilig über den Hof trippelte und immer eine schwarze Ledermappe unter dem Arme trug. Niemals hatte sie gewußt, wie sie wohl dieses fremde Mädchen einschätzen sollte. Zuerst hatte sie gemeint, sie gehe noch zur Schule; nachher dachte sie: die muß doch wenigstens schon zwanzig Jahre alt sein. Und nun … es war ja nicht auszudenken … nun lebte in ihrer nächsten Nähe jemand, der an Blumen Freude empfand, der Blumen sogar brauchte! Ihre Augen leuchteten freudig auf.

»Oh, da bringe ich sogleich einen Strauß hin! Gleich heute!« sagte sie.

Meister Fleck legte seine beiden mageren Hände, an denen unendlich lange, dürre Finger standen, wie schützend um den Stiefmütterchenstrauß. »Die sind aber mein!« sagte er und sah Roselore über die Brille hinweg mißtrauisch an, denn die Brille war ihm wieder auf die Nase gerutscht.

»Ich habe noch genug andere,« beeilte sich Roselore zu versichern.

»Wo denn?« forschte Meister Fleck. »Bist du wieder bei der Großmutter in Biesenthal gewesen?«

»Die Stiefmütterchen dort sind aus Großmutters Garten,« sagte Rose ehrlich, mit der Hand auf den Strauß deutend. »Aber ich habe selbst auch welche, und es sind wundervolle Exemplare darunter. Ich hab' doch meinen Garten oben auf dem Balkon, neben der Küche.«

»So so,« meinte Meister Fleck und schielte an der Hausfront hinauf. »Da oben also … und unten auf dem Hofe willst du nun auch pflanzen … nächstens kriegst du es fertig und legst uns noch 'nen Dachgarten an.«

Rose lachte, denn daß man auf dem Dache einen Garten haben könne, war ihr etwas ganz Neues. Darüber mußte sie einmal Tante Loni fragen. Ach, wenn das doch ginge! Wenn man da hoch oben Gärten anlegen könnte, hoch über dem Häusermeer und den dumpfen Straßen! Es klang wie ein Märchen.

»Na, da staunste,« meinte Meister Fleck. »Denkst du wohl, ich mach' einen Witz? Wo bist du denn hergekommen, daß du noch nichts von Dachgärten gehört hast? Mädel, ich sage dir, ich hab' schon lange solch einen Plan im Kopfe. Unser Hausdach ist zum größten Teil flach. Vielleicht kann man so etwas schaffen, ohne daß es ein Vermögen kostet. Na, zeige mal erst, was du verstehst, und wandle die kahle Ecke da drüben in einen Schmetterlingspark um.«

Roselore machte einen artigen Knicks und eilte davon. Die Meisterin trat zu ihrem Manne und sagte mürrisch: »Nun hast du dem Mädel Raupen in den Kopf gesetzt. Du machst mir noch die ganzen Mieter rabiat. Die werden jetzt alle kommen und einen Dachgarten verlangen, paß auf! Denn das Mädel wird doch den Mund nicht halten!«

Meister Fleck hob beschwichtigend die Hand und sagte, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen: »Mach' dir nischt d'raus, Genovev'! Was kommen soll, das kommt auch. Das is das Fatum, dem keiner entgehen kann. Und wie's kommen tut, so ist es auch gut.« – –

Roselore hatte aus ihren Blumenkästen die schönsten Stiefmütterchen ausgewählt und zu einem Strauße vereint. Mit selig-bewunderndem Blick betrachtete sie die samtenen Blätter der Blumen in ihrer sanften, zarten Farbentönung. »So etwas kann man doch nicht malen!« dachte sie. »Wo gibt es denn solche Farben in einem Tuschkasten!« Und nun war sie erst recht neugierig, die Malerin kennenzulernen und ihre gemalten Blumen zu sehen.

Sie mußte die vier Treppen im Vorderhause herunter und vom Hofe aus wiederum vier Treppen im Seitenflügel hinaufsteigen, um zur Wohnung Edith Winters zu gelangen. Aber was machte ihr das aus! Mit hochroten Wangen stand sie an der Tür, las den Namen »Winter« und dachte: »Hier ist richtig ›Winter‹, und draußen ist Frühling. Das Fräulein müßte Eisblumen malen!«

Eine einfach gekleidete, ernste Frau öffnete die Tür, ließ aber Rose sogleich eintreten, da sie das Mädel schon öfters gesehen hatte und wußte, daß es im Hause wohnte und zu den neuen Mietern gehörte, die von Übersee hergekommen waren.

»Ich wollte Fräulein Winter Blumen bringen,« sagte Roselore ohne Umschweife.

»Oh, das ist lieb von dir,« meinte die ernste Frau. »Bitte, tritt näher. Edith ist daheim. Ich bin ihre Mutter.«

Und sie öffnete die Tür zu einem geräumigen, kahlen Zimmer, in dem weiter nichts stand als ein hölzerner Tisch mit einem Reißbrett darauf und einem Holzschemel daneben, auf dem ein Kissen lag … und eine Staffelei, vor der eine zarte Mädchengestalt stand und fleißig malte.

Edith Winter war so emsig bei ihrer Arbeit, daß sie sich gar nicht umblickte, als die Tür ging. Sie meinte wohl, es sei die Mutter, die eingetreten war.

Rose musterte das schmale Figürchen des Mädchens vom Kopf bis zu den Füßen und griff unwillkürlich an ihre eigenen strammen, in handgestrickten Baumwollstrümpfen steckenden Beine. »Wie dünn ihre Beine sind!« dachte sie bewundernd und ein wenig neidisch. »Wie kann sie darauf nur stehen!«

Da wandte sich Edith Winter um; staunend sahen zwei große Blauaugen zu Roselore hin. Aber dann ging ein Freudenschimmer über ihr schmales Gesicht.

»Was hast du da für herrliche Stiefmütterchen!« sagte sie voll Bewunderung. »Oh, danach hab' ich mich schon lange gesehnt! Es gibt solche in den Blumenläden, aber Blumen sind ja überall so entsetzlich teuer!«

»Ich will Ihnen welche bringen, so oft Sie mögen!« sagte Roselore eifrig. »Und diese hier lasse ich Ihnen gleich da. Sind sie nicht schön?«

»Wundervoll, ganz prächtig!« sagte Edith und nahm den Strauß mit ihren kleinen, feinen Händen entgegen. Sinnend ruhte ihr Blick darauf, dann griffen die schlanken Finger nach den zarten Stengeln und fügten sie ordnend zusammen, stellten sie in eine blaue Vase … und wie anders sah der Strauß nun aus! Wie harmonisch fügten sich die Farben ineinander! »Wie Sie das so flink können!« entfuhr es Rose bewundernd. »Und das können Sie nun malen?«

Edith griff lächelnd nach einer Mappe, die neben dem Tische an der Wand lehnte, und öffnete sie. Ein Blatt nach dem anderen nahm sie heraus und legte es vor Roselore hin. Und in des Mädels Herzen wallte heißes Entzücken hoch, als es seine Lieblinge alle in naturgetreuer Farbenpracht, zu Sträußen oder losen Gewinden geordnet, in Körben und Vasen verteilt, auf den Blättern abgebildet sah.

»Da müssen Sie aber viel Geld damit verdienen, wenn Sie das alles verkaufen!« platzte Roselore heraus.

Edith errötete, über ihr schmales Gesichtchen huschte Kummer und Trauer.

»Ich versuche es fast täglich, etwas davon zu verkaufen,« sagte sie. »Aber die Kunden sind wählerisch. Sie wollen immer wieder etwas Neues, sie fühlen es auch sofort heraus, wenn ich nicht nach natürlichen Vorlagen, sondern nach bereits vorgelegten Motiven gemalt habe. Und Blumen sind ja so sehr teuer, wie kann ich mir da Naturmodelle auf den Tisch stellen! Heute freilich …,« sie sah beglückt auf die Stiefmütterchen, »... bin ich fein heraus. Dank deiner Güte, liebes Kind, kann ich wieder einmal etwas Neues, Apartes bringen. – Mutter!« rief sie der in der Küche herumwirtschaftenden ernsten Frau zu. »Muttchen! Schau nur einmal her! Diese Stiefmütterchen in dem blauen Glase da werden eine wunderschöne Gratulationskarte geben. So etwas nehmen mir Meyer & Söhne sofort ab!«

Frau Winter war eingetreten, sie blickte beglückt auf ihre Tochter, deren Züge sich auffallend belebt hatten. Dann reichte sie Roselore die Hand.

»Es ist lieb von dir, Kind, daß du uns nun öfter besuchen und Edith mit Blumen erfreuen willst. Komm recht häufig zu uns, ja? – Ich glaube, dein Anblick allein vermag schon meine Edith zu beleben. Und bringe ihr an Blumen, was du findest, es braucht durchaus nichts Kostbares zu sein. Jedes Blümchen birgt seine Schönheit in sich. Edith hat aber nicht Zeit, ins Freie zu fahren und nach Blumen zu suchen, und sie muß sich auch schonen, sie ist Strapazen nicht gewachsen. Schon sechzehn Jahre ist Edith alt, und nicht größer als du!«

Es war Roselore hier alles so fremd, so neu, daß sie nicht recht wußte, was sie sagen sollte. Plötzlich fiel ihr etwas ein. »Edith hat keinen Vater mehr?« fragte sie mitleidig.

»Mein Mann ist im Kriege gefallen!« sagte Frau Winter. »Damals war Edith vier Jahre alt. Meine Pension ist nicht hoch, und das Erziehungsgeld für Edith hat nun aufgehört. Sie ist aber zu schwächlich, um einen Beruf ergreifen zu können. Darum versucht sie, mit Blumenmalen Geld zu verdienen. Sie hat Talent, und wenn ich ihr eine Ausbildung auf der Akademie ermöglichen könnte, würde vielleicht eine gute Malerin aus ihr werden.«

Roselore empfand das Glück, einen Vater zu haben, der für sie sorgte, in diesem Augenblick besonders dankbar, und in herzlicher Wärme leuchteten ihre Augen, als sie Edith noch einmal versprach, ihr die allerschönsten Blumen zu bringen, die sie finden würde, und viel, recht viel!

Dann trat die junge Malerin wieder an ihre Staffelei, spannte einen neuen Bogen darauf, rückte sich den Strauß Stiefmütterchen ins rechte Licht und begann zu malen.

Auf den Zehenspitzen verließ Roselore das Zimmer, Frau Winter begleitete sie hinaus.

»Ihr seid von weit hergekommen?« fragte sie. »Ich hörte davon erzählen. Euer schwarzer Pitt macht ja in der ganzen Gegend von sich reden.«

»Er ist scheußlich, nicht wahr?« meinte Roselore aufrichtig. »Ich mag ihn nicht leiden. Wie ein Tier kommt er mir zuweilen vor. Ich war ja nicht mit nach Übersee, nur Papa und Mammy waren drüben, ich wohnte fünf Jahre lang bei meiner Großmutter in Biesenthal. Es waren eine Menge Leute mit Papa hinübergefahren, auch Ingenieure und viele Arbeiter. Papa ist Werkmeister und hatte die ganze Kolonne zu leiten, und Mammy hat für sie alle drüben kochen und nähen müssen. Oh, sie kann viel, meine Mammy, und ich bin froh, daß ich sie nun wiederhabe!«

Frau Winter strich kosend über Roselores dunklen Scheitel.

»Ich bin deiner Mutter schon begegnet, sie macht einen freundlichen, sympathischen Eindruck. Und der kleine Bruder ist so niedlich. Wie heißt er?«

»Ach, denken Sie nur, Frau Winter, sie haben ihn ›Thaddäus‹ genannt und rufen ihn Taddy. Ist das nicht gräßlich? Ich muß immer an Padden denken. Und wenn ich ärgerlich auf ihn bin, nenne ich ihn ›Paddy‹. Das mag er aber nicht hören, und er ruft mich dann nicht ›Rose‹, sondern ›Dosse‹. Weil ich so groß bin, er hätte lieber ein kleines Schwesterchen haben mögen. ›Du bist gar keine Blume,‹ sagt er. ›Eine Blume ist viel schöner als du. Du bist gar nicht schön, du gefällst mir gar nicht!‹ Und dann schlägt er mit Händen und Beinen nach mir.«

»Ihr werdet schon noch beste Freunde werden!« tröstete Frau Winter.

Roselore war froh, jemanden gefunden zu haben, dem sie ihr Herz ausschütten konnte. Sie plauderte weiter: »Papa hat einen wundervollen Papagei mitgebracht und einen drolligen Affen. Aber den Papagei hat er seinem Herrn Direktor geschenkt und den Affen dem Zoologischen Garten, weil ihn niemand hat haben mögen. Ich hab' geweint, weil er das alles fortschenkte, was er mitgebracht hatte, aber da sagte er: ›Sei ruhig, du hast den Pitt, der ersetzt dir beides, den Papagei und den Affen.‹ – Ich finde den Pitt aber scheußlich.«

»Er ist, wie es scheint, ein gelehriger Schlingel und kann sicherlich von dir viel Gutes lernen, wenn du dir etwas Mühe mit ihm gibst. Neger sind doch auch Menschen! Man darf nicht hochmütig sein! Was kann euer Pitt dafür, daß er als Neger geboren wurde? Vielleicht besitzt er manche edle Eigenschaften, und du weißt es nur nicht.«

Das aber wollte Roselore nicht einleuchten, sie schüttelte den Kopf und sagte nur noch: »Wenn nur der Taddy nicht so an Pitt hängen wollte!« Und aus diesen Worten klang die ganze Eifersucht ihres jungen Herzens. –


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