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Die Nordamerikanerin.

Kaum in einem andern Lande der Welt geht das Problem der Völkermischungen so aussichtsvoll einer glücklichen Lösung entgegen wie in den Vereinigten Staaten. An den Nordamerikanern, dem jugendfrischen Volke, das vielleicht einmal in der Lage sein wird, dem alten Europa seine Vorschriften zu diktieren, lernen wir erkennen, wie segensreich es für die kommenden Geschlechter ist, wenn sich Völker (die gleiche Rasse vorausgesetzt) vermischen.

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Abb. 284. Amerikanerin von deutscher Herkunft.

Starres Zusammenschließen der Volksgenossen ist meines Erachtens die erste Ursache gewesen, daß ganze Völker, von denen wir in der Weltgeschichte gehört haben, ausgestorben sind. So die Völker im Euphrattal, die Ägypter, die Griechen, die Römer, die Mauren. Nach ihrer Unterjochung verschwanden sie unter der Flut neu zuströmender Einwanderer. Alle gemischten, aus guten Elementen der gleichen Rasse zusammengesetzten Völker, sind den alten gegenüber im Vorteil. Ihnen allein öffnen sich neue, unbegrenzte Horizonte. Mag dann das neuerstandene Volk immerhin politisch einen neuen Staat bilden – es wird nur zu seinem Vorteil geschehen.

Die Vereinigten Staaten umfassen ein Gebiet, das fast genau so groß ist wie das ganze Europa. Während dieses aber nach nationalen Prinzipien in zahllose Staaten getrennt ist, die sich, in Waffen starrend, eifersüchtig und feindlich gegenüberstehen, sind die Bürger der Vereinigten Staaten aus der Vermischung von Europäern aller Nationalitäten entstanden, Europäern, die der Trieb, ihre Lebensbedingungen zu verbessern – im Grunde genommen ein unbewußter Verjüngungstrieb – nach der Neuen Welt geführt hat.

Die erste Wahrnehmung, die der Anthropologe in diesem Weltteil macht, ist, daß das hier geborne Geschlecht auffallend verschieden geartet ist von seinen europäischen Vorfahren. Die späteren Nachkommen der keltischen Iren gleichen den Nachkommen von Skandinaviern und Slawen zum Verwechseln. Offenbar hat das Klima, der jungfräuliche Boden, die Nahrung, den großen Prozeß der Veränderung des Menschenkindes bewirkt. Gerland spricht von der makroskopischen und besonders mikroskopischen Wechselwirkung des Menschen auf seine Umgebung. »Wer den Einfluß leugnet, müßte den physischen Zustand des Menschen für feststehend halten. Völkerkundig ist es eine längst feststehende Tatsache, daß der Mensch sich überall dem Boden anartet.«

Von der Veränderung der Typen auf amerikanischem Boden erzählt Paul Toutain, ein neuerer Reisender: »Hat man darauf aufmerksam gemacht, daß der amerikanische Typ sich dem indianischen zu nähern scheint? Es ist dies eine ebenso seltsame wie unbestreitbare Beobachtung.«

Auch Darwin macht die Wahrnehmung: »Wie allgemein angenommen wird, erleiden die europäischen Ansiedler in den Vereinigten Staaten eine geringe, aber außerordentlich rapid eintretende Veränderung des Aussehens.«

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Abb. 285. Amerikanerin von deutscher Herkunft.

Quatrefages berichtet: »Nach der zweiten Generation schon zeigt der angelsächsische Amerikaner oder Yankee Züge des Indianertypus. Später reduziert sich das Drüsensystem auf ein Minimum seiner normalen Entwickelung. Die Haut wird trocken wie Leder; die Wärme der Farbe, die Röte der Wangen geht verloren und wird bei den Männern durch einen lehmigen Teint, bei den Weibern durch eine fahle Blässe ersetzt. Der Kopf wird kleiner, rund oder spitzig. Man bemerkt eine große Entwicklung der Backenknochen und Kaumuskeln; die Schläfengruben werden tiefer, die Kinnbacken massiver, die Augen liegen in tiefen, einander sehr genäherten Höhlen. Die Iris ist dunkel, der Blick durchdringend und wild. Die langen Knochen verlängern sich, besonders an den oberen Gliedern, so daß in Europa für Amerika verfertigte Handschuhe mit besonders langen Fingern hergestellt werden. Die inneren Höhlen dieser Knochen verengen sich, die Nägel werden leicht lang und spitz. Das Becken des Weibes wird demjenigen des Mannes ähnlich. Aus dem ursprünglich angelsächsischen ist ein neuer Typus, die Yankeerasse, entstanden.«

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Abb. 286. Amerikanerin von dänischer Herkunft.

Den von Waitz-Gerland angegebenen Veränderungen fügt Hellwald hinzu (nach John White Sketches from America, London 1890), daß die »Frauen in der fünften und sechsten Geschlechtsfolge immer blasser und blasser, immer zarter und magerer und zugleich ätherischer werden, daher für ihre höchste Aufgabe, gesunde Kinder zu tragen und selbst zu erziehen, immer weniger befähigt werden.« Wir kommen darauf noch zurück.

Nach Mor. Wagners Migrationsgesetz unterliegen die Nordamerikaner trotz immerwährender Nachschübe einem unaufhaltbaren Naturprozeß und bilden in ihrer Abtrennung vom Mutterlande einen von ihren Stammeltern verschiedenen Menschenschlag.

Eigene Beobachtungen zeigten mir als das Auffälligste die Verlängerung des Halswirbels, wodurch die ganze Figur schlanker und hagerer erscheint; ferner die eckige Kopfbildung, die häufig etwas vorgebeugte Haltung und der nachdenkliche, grüblerische Gang. Das » grave« Element in der Haltung des Nordamerikaners erinnert durchaus an die indianische Urrasse. Wenn man trotzdem bei Amerikanern (selbst bei älteren Leuten) so viel Lebenslust und Jugendfrische beobachtet, schreibe ich diese Vorzüge wieder dem durch günstige Vermischungen geglückten Verjüngungsprozeß ihrer Vorfahren zu.

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Abb. 287. Amerikanerin von skandinavischer Herkunft.

Wäre nun auch die Kraft des jungfräulichen Erdteils, einen neuen Volksstamm hervorzubringen, nachgewiesen, so kann doch nicht jeder uns entgegentretende Sohn des Landes als Vollblut-Amerikaner angesehen werden. Viele Millionen von Europäern sind in den letzten Jahrzehnten über den Atlantischen Ozean gewandert, und oft genug sind es deren unmittelbare Nachkommen, die sich uns als Amerikaner vorstellen. Zwar zeigen sie schon einige spezifisch amerikanische Eigenschaften im Äußern und im Gebaren, aber gewöhnlich ist der Prozeß der Umwandlung noch nicht beendet. Allerdings ist der Deutsche öfters schon in der ersten dort entstandenen Generation ein halber Amerikaner; aber vom Irländer z. B. wird behauptet, daß er erst in der dritten Generation sich völlig amerikanisiert. In den folgenden Zeilen wollen wir uns nur von den fertigen Typen, die wir als Vollblut-Amerikaner ansprechen dürfen, unterhalten.

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Abb. 288. Amerikanerin aus Kalifornien. Anglosächsischer Typus.

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Abb. 289. Amerikanerin aus New York. Anglosächsischer Schönheitstypus.

Einer guten, fast sensationellen Reputation erfreut sich die Nordamerikanerin. Entgegen den landläufigen, meist unkontrollierten Ansichten vermag ich nicht unbedingt das ihr gespendete Lob zu teilen.

Betrachten wir zunächst ihre äußere Erscheinung, ihre Figur, ihr Antlitz. Man trifft ja genug Leute, die die »schöne« Amerikanerin für die typische ansehen. Vielleicht haben sie auch nie eine häßliche, an denen Amerika so reich ist wie irgend ein anderes Land, gesehen. Möglich, daß die häßliche stets die Tochter noch ungenügend vermischter, unakklimatisierter Europäer ist – lassen wir es dahingestellt. Von der »schönen Amerikanerin« soll bald die Rede sein. Einstweilen aber gedenken wir derjenigen Tochter des Sternenbanners, die ich nach eigenen, während eines zweijährigen Aufenthalts in den Vereinigten Staaten gemachten Beobachtungen als die typische glaube aufstellen zu können, nämlich die schlanke, flotte, hübsche (öfters auch schöne) up to date Amerikanerin, die durch den geschickten Stift des Zeichners Gibson als das Gibsongirl bekannt geworden ist. Das Gibsongirl als die typische Yankeetochter Es muß hier angemerkt werden, daß in Amerika selbst nur die Bewohner der Oststaaten Yankees genannt werden. zu bezeichnen, dürfte auch die freudige Zustimmung ihrer eignen Landsleute finden. Schauen wir uns also das Gibsongirl mit den Augen eines Beobachters an, der – ganz unamerikanisch – nicht gleich vor einer Frau in die Knie sinkt und sogar unhöflich genug ist, den Gegenstand seiner Betrachtung scharf unter die Lupe zu nehmen.

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Abb. 290. Amerikanerin von britischer Herkunft.

Ihre Figur ist, wie schon angedeutet, schlank und hoch, oft von gutem Wuchs, öfters aber hager. Durchschnittlich fehlt ihr diese oder jene Eigenschaft, ohne die wir uns weibliche Schönheit nicht als vollkommen denken können. So geht ihr, wenn man genau hinschaut, meist die Anmut und Grazie verleihende Rundung der Formen ab. So sind oft die kräftig entwickelten Schultern knochig und breit, statt wohlig abgerundet. Vollendet sind aber die fleischigen Arme, die schlanken, ziemlich kräftigen Beine. Die Hände sind von mittlerer Größe, schmal und schön geformt; auf die Pflege der Hand und der wohlgebildeten Nägel wird viel Wert gelegt, daher auch das bekannte Manikure eine amerikanische Erfindung ist. Die Füße sind groß und nicht schön. Der Hals ist schlank, öfters zierlich. Der Busen ist bei der typischen Amerikanerin nur mittelmäßig entwickelt. Im Gesicht fällt die Blässe auf, die freilich durch reichliches Pudern, Cremepasten und ganz diskret aufgetragene Schminke übertüncht wird. Kosmetika werden überhaupt mit so künstlerischer Raffiniertheit angewendet, daß die meisten Männer sie nicht gewahr werden. Beiläufig ist der Aufwand an Zeit, den die reichen Müßiggängerinnen für die Pflege ihres Körpers, besonders des Gesichts, der Hände und Nägel, verwenden, nicht viel geringer, als bei den Orientalinnen.

Die Augen sind blau oder graublau. Die Augenlider sind kürzer als bei Europäern. Die Nase ist wohlgebildet, der Mund normal, doch sind die Lippen etwas hoch und dünn. Der Unterkiefer ist recht groß geraten, daher das Untergesicht (bei den Männern oft richtig viereckig) nur wenig abgerundet, eher leicht eckig erscheint. Das meist blonde Haar ist steif und struppig und von mittelmäßiger Kraft. (Das wellige und lockige Haar der Europäer wird in Amerika schlicht.) Die Mängel ihres Haares scheinen von allen empfunden zu werden; denn nirgends wird so viel mit dem Haar herumgewirtschaftet wie in Amerika. Ich wüßte kein anderes Land, in dem sich das Verändern der natürlichen Haarfarbe einer so großen Beliebtheit erfreut wie hier. Die Amerikanerinnen teilen diese Sitte von zweifelhaftem Geschmack mit den primitivsten Völkern des Erdballs, den Nubiern, Negern von Zentralafrika, Papuas u. a., außerdem noch mit den Demimondänen Europas. Bis vor einigen Jahren war das » bleaching« und Einseifen der Haare, das dem ursprünglich schwarzen oder blonden Haar einen Goldglanz verlieh, eine beliebte Mode; gleichzeitig war das Arrangement der Stirnhaare in eine Reihe von Dreiecken, Sternchen oder andern an die Stirn geklebten Ornamenten sehr beliebt. Diese Geschmacklosigkeit habe ich in den letzten Jahren nicht mehr bemerkt. Dagegen wird neuerdings die Coiffüre durch starke eingelegte Haarrollen oder durch eine vollständige Perücke, die oft eine andere Farbe zeigt als das Naturhaar, verstärkt, wie es heißt, aus »Gesundheitsrücksichten«.

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Abb. 291. Amerikanerin aus Boston. Vermutlich von schottischem Einschlag.

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Abb. 292. Amerikanerin aus Boston. Schottischer Schönheitstypus.

Die Haltung des spezifischen Gibsongirl ist durchaus gerade und korrekt. Dagegen macht sich bei allen übrigen Amerikanerinnen, besonders im jugendlichen Alter, ein Hang zum Gebeugtgehen bemerkbar, dem durch gymnastische Übungen in den Schulen zu steuern gesucht wird.

Die Stimme ist wenig klangvoll, wobei ich nicht einmal an das schnarrende, knurrende, näselnde Yankee-Englisch denke, das man in England als » twang« bezeichnet. Niemals hört man den wundervollen Sprechton der europäischen Südländerinnen, oder den herzlichen sympathischen Klang deutscher Frauenstimmen. Nichtsdestoweniger ist das Organ für die Gesangskunst oft vortrefflich geeignet.

Nun aber, nach Betrachtung der rein typischen, dürfen wir auch der rein »schönen« Yankeetochter, von der schon vorhin die Rede war, ein paar Worte widmen. Amerika ist an diesen herrlichen, erquickenden Erscheinungen so reich wie nicht viele andere Länder. Nicht ganz so groß wie das Gibsongirl, sind sie dafür mehr fleischig und wohlproportioniert. Eine schöne Figur, mit wundervollen Armen, noch immer kräftigen und breiten, aber doch ziemlich abgerundeten Schultern, gutem und, wenn uns die Robe nicht täuscht, entwickeltem Busen, schöner Taille und vollendetem Unterbau mit wohlgestalteten Gliedmaßen. Der Kopf zeigt eine schöne ovale Form. Das Gesicht, mit herrlichen, lebenssprühenden Augen, beschattet von schönen langen Wimpern, ist die Lebendigkeit selbst; die Nase ist fein geschnitten, der Mund könnte nicht schöner gedacht werden, das Kinn ist rundlich und vollendet. Der untere Teil des Gesichts ist am vollkommensten bei Frauen von deutscher, romanischer, israelitischer Abkunft, weniger vollkommen bei englischen und irischen Nachkommen. Den frischen, oft rosigen Teint, ebenso die Fülle des Haares wollen wir diesmal nicht untersuchen, um uns am Ende nicht Illusionen zu zerstören. Auch vom Gebiß wollen wir schweigen und nur in Parenthesis erfahren, daß (infolge der scheffelweise vertilgten Süßigkeiten) es nirgends so viele Zahnleiden gibt wie in Amerika, der klassischen Heimat der Zahnärzte, und daß selbst bei den Ärmsten der gute Geschmack jede Zahnlücke verpönt. Auch auf ihre Füße wollen wir lieber nicht schauen, obschon offen und frei, wie die Yankeetochter nun einmal ist, sie bei der nonchalanten Art ihres Sitzens uns förmlich dazu herausfordert.

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Abb. 293. Amerikanerin von normannischem Typus.

Die meiste sinnliche Wirkung geht noch von den direkten Nachkommen (in der ersten oder zweiten Generation) von Romanen, Deutschen und Israeliten aus, weniger von Skandinaviern und Slawen und noch weniger von den Töchtern englisch-irischer Vorfahren. Die echte, gründlich »durchgemischte« Amerikanerin aber, die über die Herkunft ihrer Vorfahren vielleicht selbst nicht mehr im klaren ist, wirkt fast niemals sinnlich.

Eines jedoch fehlt so häufig der schönen Amerikanerin: die Herzenswärme, die Tiefe des Gemüts, die Innerlichkeit, kurz, die seelischen Eigenschaften unserer europäischen Frauen. Wie oft friert uns beim Anblick dieser kalten schönen Züge, bei dem harten, unschönen Klang der Stimme, den nüchtern rationellen Aussagen, oder gar, wenn die Lippen zu einem ausgelassen frivolen Lachen geöffnet werden; wie selten entströmt diesen Lippen eine Äußerung, die aus der Tiefe des Herzens kommt! Man glaube nicht, daß Scheu oder Reserviertheit diesem Verhalten zugrunde liegen; nichts ist der Amerikanerin fremder, als ihre Gedanken über einen Gegenstand in den züchtigen Mantel der Verlegenheit zu zwängen. Nein, es fehlt an der inneren Wärme! Wie klingt es, wenn eine Deutsche von dem Gegenstand ihrer Liebe, sei er eine verehrte Person, ein Buch, eine Kunst, eine Idee, in beredten Worten oder auch nur in diskreter Weise spricht, und wie anders, wenn eine Amerikanerin ausruft, z. B. how I love music! Man denkt sich gar nichts dabei und plaudert in der üblichen, gesellschaftlichen Manier weiter. Mit mehr Wahrheit und Enthusiasmus hört man sie allerdings sagen: Oh, I love candy, oder ice cream usw. Je nun, es gibt auch andere; aber meine Aufgabe ist es, die Allgemeinheit ins Auge zu fassen. Übrigens habe ich drüben bei den von der Natur mit weniger Reizen ausgestatteten Frauen keineswegs eine größere Innerlichkeit gefunden als bei der schönen Spezies.

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Abb. 294. Amerikanerin von britischer Herkunft.

In ihren Bewegungen ist die Amerikanerin eckig. Freilich nicht jeder hat dafür ein Auge. Man sieht eigenartige Bewegungen, dazu vielleicht ein schönes Gesicht, und ist geneigt die Bewegungen für graziös zu halten, während grotesk die richtigere Bezeichnung wäre. Für Grazie fehlt ihr von vornherein die Figur und die Rundung der Gliedmaßen. Auch setzt Grazie gewissermaßen Unbewußtheit in der Handlung voraus, während bei unserer Amerikanerin alles Tun auf vollem Bewußtsein und Überlegung beruht. Auch der schwebende Schritt beim Tanz (es werden bekanntlich alle Rundtänze wie Walzer getanzt) ist kein Beweis für Grazie. Die originellen amerikanischen Tänze, von denen fortwährend neue erscheinen, sind einer wie der andere grotesk, niemals graziös. Freilich noch weniger Grazie findet sich bei dem amerikanischen Mann. Er lüftet beispielsweise den Hut, etwa wie man einen Deckel vom Kochtopf abhebt. Trotz größten Servilismus gegenüber Frauen bleibt sein Rücken stets steif.

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Abb. 295. Amerikanerin von britischer Herkunft.

Die Ansichten über die Amerikanerin sind übrigens in den verschiedenen Ländern Europas geteilte. In England erfreut sie sich keineswegs allgemeiner Bewunderung; doch genießt das spezifisch »Amerikanische« an ihr neuerdings modische, gesellschaftliche Beliebtheit, die mehr auf Amüsement als auf innerer Zustimmung beruht. Gewisse distinguierte Kreise sind ihr jedenfalls verschlossen. In Frankreich, wo man sich kaum auf etwas anders besser versteht als auf Frauen, hat sie eigentlich niemals Erfolge gehabt; nicht einmal die »schöne« Amerikanerin wird unbedingt anerkannt, da man Mängel an ihren Zügen entdeckt. Um so mehr Eindruck hat sie von jeher in unserm impressionablen deutschen Vaterland gemacht.

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Abb. 296. Amerikanerin von irischer Herkunft.

In der Tat, wer gäbe wohl außerhalb ihrer eigenen Heimat ein geeigneteres Medium für ihre hypnotischen Künste ab als der deutsche Jüngling? Vor sich sieht er in nonchalanter (im Grunde genommen geschmackloser) Weise, vielleicht mit überschlagenen Beinen, ein Weib von schönen, nehmen wir an sehr schönen Zügen, das sich ihm ganz zu widmen scheint. Dankbar hängt er an dem »bezaubernden« Antlitz und lauscht hingerissen ihren kühnen Ansichten über europäische, speziell deutsche Zustände (die sie eben erst kennen gelernt hat); sie zerpflückt eine seiner hergebrachten Sitten nach der andern, sucht an allem zu tadeln, findet, daß die Deutschen zu viel Bier trinken (von ihren Whisky-trinkenden Männern spricht sie nicht), die deutschen Frauen wären » dull« und »vor allem« verständen sie sich nicht zu kleiden; dagegen enthüllt sie ihm die Vorzüge ihres eigenen Landes und ihres unübertrefflichen Volkes und seiner Frauen, die »ihresgleichen nicht wieder in der Welt finden« …

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Abb. 297. Amerikanerin aus Boston. Anglokeltischer Typus.

Eine der auffallendsten Erscheinungen ist die Unfruchtbarkeit des amerikanischen Volkes. Die noch immer stark zunehmende Bevölkerungsziffer rekrutiert sich einerseits aus der bis heute ununterbrochenen Einwanderung, andrerseits aus der Fortpflanzung der Neuankömmlinge in der ersten, allenfalls zweiten Generation. Alle späteren Geschlechter, besonders diejenige Volksschicht, die wir als sogenannte Vollblut-Yankees ansprechen, zeigen eine auffallend geringe Vermehrungsfähigkeit. Nach der von dem Bureau of Education herausgegebenen Schrift » The Vital Statistics of America« ist sogar der ständige Rückgang der Geburten eine feststehende Tatsache. Wir werden darüber gleich Näheres erfahren. Dieser Zustand ist keineswegs nur auf künstlich unterbundene Fruchtbarkeit, etwa in der Art des Ein- oder Zwei-Kindersystems in Frankreich, sondern hauptsächlich auf ein natürliches Manko zurückzuführen. Dort haben wir ein Nicht-Wollen, hier (bei den Amerikanern) ein Nicht-Vermögen. Nach den vorliegenden statistischen Tabellen ist nicht zu bezweifeln, daß, wenn heute ein Verbot gegen die Einwanderung erlassen würde, und nicht irgendwie andere Lebensverhältnisse entstehen, das amerikanische Volk in absehbarer Zeit aussterben müßte.

Es sei mir gestattet ein paar Zahlen anzuführen. In 87 Stadtgebieten der östlichen Staaten ergaben sich nur 1? Geburten für je eine Familie. Von diesen starben ? vor dem fünften Jahre und höchstens ein Kind erreichte das Mannesalter. In den nördlichen Staaten liegt das Verhältnis etwas günstiger; da aber auch hier der Durchschnitt der Todesfälle in den angloamerikanischen Familien 2% größer ist als die Geburten, dürfte in 50 Jahren der letzte Puritaner begraben sein. Man datiert die Geburtenabnahme, die jetzt freilich erst augenfällig wird, schon seit fast hundert Jahren. (Siehe auch Dixon: The white conquest.)

Hiernach müßte es allerdings scheinen, als seien die gepriesene Rassenvermischung oder der neue Weltteil selbst ungeeignet für den Bestand eines Volkes. Indessen ist für diese Annahme noch nicht der Schimmer eines Beweises erbracht worden; vielmehr muß auf eine Wechselwirkung zwischen gewissen angeborenen physischen Eigenschaften und der ganzen Lebensführung des amerikanischen Volkes als die Ursache der verminderten Fruchtbarkeit gewiesen werden.

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Abb. 298. Amerikanerin, 18jährig. Von spanisch-amerikanischem, vielleicht auch indianischem Einschlag.

Erotische Veranlagung ist noch immer mit Vermehrungsfähigkeit Hand in Hand gegangen. Erotik ist aber das, was man nur im geringsten Maße bei den Bewohnern der Union antrifft. Vielleicht ist dafür die folgende Erklärung annehmbar.

Als vor genau drei Jahrhunderten das Gebiet der Vereinigten Staaten seine ersten Ansiedler von Europa empfing, harrte dieser ein entbehrungsreiches Leben. Nur langsam wuchs die junge Kolonie, die etwa 200 Jahre später, also schon einen guten Zeitraum nach ihrer Unabhängigkeitserklärung, kaum mehr als 4 Millionen Seelen zählte. Erst in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts begannen die Ströme der europäischen Zuwanderung, in denen alljährlich hunderttausende von Einwanderern das Land überfluteten. Bemerkenswert ist, daß der Zuzug von weiblichen Wesen dem männlichen ganz erheblich nachstand. Je mehr der Zuwanderer aber erschienen, um so härter wurde die Existenzfrage. Der Erwerb des allmächtigen Dollar war die einzige Lösung, die bekanntlich bei der großen Mehrheit des amerikanischen Volkes auch noch heute als wesentlichster Lebenszweck besteht. Bei diesem harten Ringen um eine Existenz und der unermüdlichen Jagd nach dem Mammon dürfte das erotische Gefühl des Amerikaners stark abgenommen haben. Gleichzeitig hat auch das amerikanische Weib, das sich nicht mehr geminnt sah, das beim Manne wohl die Liebe zum Dollar, nicht aber die ideale Liebe zum anderen Geschlecht erkannte, den erotischen Trieb allmählich eingebüßt. Es sah sich sehr bald als Objekt der » flirtation«, als süßen Zeitvertreib in den Mußestunden des Mannes, dessen an Liebe gerade von fern noch erinnernde Empfindungen ihr pikant genug erschienen, um nun daran die ihr angeborene Kunst des Flirtens nach allen Regeln auszuüben. In der Tat wird diese Kunst – ich sage das mit vollstem Nachdruck – in keinem Teile der Welt in solcher Quantität kultiviert, wie in Amerika. Zum flirting geneigt bis zu den höchsten und abenteuerlichsten Phasen macht die Amerikanerin aber vor dem letzten Punkt, dem sexuellen, halt, weil sich ihr der Sinn dafür nicht oder nur in geringem Maße erschlossen hat. Kommt es aber dennoch dazu, so sind die Vergleiche, die Kenner der amerikanischen Frauen aus den Regionen des »ewigen Eises und Schnees« herbeigezogen haben, bezeichnend für den Vorgang. Schließlich hat wohl die emanzipierte, selbstherrliche Stellung, die sich die Amerikanerin errungen, noch den letzten Hauch von sinnlicher Hingebung an den Mann in ihr gelöscht.

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Abb. 299. Amerikanerin von spanischer Herkunft.

Für denjenigen aber, der an dem erotischen Manko der Amerikanerin zweifelt, sei noch besonders bemerkt, daß schon unzählige Ehen in den Vereinigten Staaten geschieden worden sind, weil der weibliche Teil dem männlichen nicht seine natürlichen Rechte zugestanden hatte.

Nun weiß ich wohl, daß auch noch andere Gründe als mutmaßliche Ursache der Unfruchtbarkeit angeführt werden: das geringe Interesse für Kinder, die Abneigung gegen Kindererziehung und die Führung eines eigenen Haushaltes; daher das entsittlichende Boardinghouseleben – in Amerika leben Millionen von Ehepaaren in Pensionaten, ein Zustand, der in der ganzen übrigen Welt so gut wie unbekannt ist, – und schließlich der beliebte Aufenthalt der männlichen Welt in den »Barrooms«, wo dem Alkoholgenuß gefrönt wird. Allein, es gibt doch in Amerika mehr denn irgendwo völlige Abstinenzler, sogar einzelne Staaten, in denen der Alkoholverkauf vollständig unterbunden ist, während man z. B. beim britischen Volk (besonders den Schotten und Iren), das dem Alkoholgenuß weit mehr huldigt als das amerikanische, durchaus keine Zeichen von verminderter Fruchtbarkeit beobachtet hat. – Es mag an dieser Stelle noch bemerkt werden, daß entgegen den meisten Kulturländern, in denen ein starker Überschuß der weiblichen über die männlichen Geburten existiert, Amerika ein Minus von 2 Millionen Frauen gegenüber seiner männlichen Bevölkerung ausweist; d. h. es gibt dort 2½ % weniger Frauen als Männer!

Im Angesicht solcher Zustände legt man sich die Frage vor, ob es noch einmal anders wird in »Dollarika«. Je nun, ich denke, wer mit Interesse und Erstaunen die verschiedenen Phasen verfolgt hat, die dieses Volk bereits durchgemacht hat, kann die Hoffnung nicht aufgeben.

Noch haben die Musen hier keine Heimstätte. Nach kurzem Besuch und einem mehr oder weniger unbehaglichen Dasein im Yankeelande, über dessen innere Unbefriedigung auch kein noch so vergoldeter Lohn sie hat täuschen können, ist noch bei weitem die Mehrzahl aller Künstler, die die Vereinigten Staaten bereist haben, in die alte Kulturheimat zurückgekehrt. Es mangelt dort noch immer an »Geschichte« und historischen Stätten, an Ruinen, Burgen und Denkmälern, an altehrwürdigen Kathedralen, an Galerien, Tempeln und Kunststätten. Neu ist alles – trotz 300jähriger Existenz – und an allem, was man sieht und hört, haftet der unästhetische Glanz und der Geruch des Dollars, auch an Konzerten, Theater und Oper – inklusive Parsifal.

Aber schon ändern sich die Zeiten. Die Einsicht, daß es nicht so bleiben kann und wird, ist schon allen gekommen. Es klingt wie ein Schrei aus dem neuen Weltteil nach Ruhe und Einkehr und dem Wunsche, auch ideellen Gütern zu leben. Und diese Zeit wird kommen, und dann wird sich auch, das hoffe ich, die physische und die psychische Konstitution des amerikanischen Volkes ändern und »neues Leben blüht …«

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Abb. 300. Amerikanerin von israelitischer Herkunft.

Sprechen wir aber weiter von der Amerikanerin, so wie wir sie heute kennen. Jeder Reisende wird die fast beispiellose Ungezogenheit amerikanischer Kinder beobachtet haben. Von den beiden Geschlechtern gebührt aber in der Ungezogenheit dem kleinen Mädchen der Vorrang. Nicht daß sie zu gleich tollen Streichen wie ihre Brüder aufgelegt ist, aber in den spezifischen »Kleinen Mädchen-Unarten«, wie Trotz und Eigensinn, ist sie einfach unübertroffen. Es gehört ein Nichts dazu, sich die Ungnade der jungen Dame zuzuziehen. Dann funkeln die Äuglein in dem kleinen Köpfchen, ein über das andere Mal stampft das Füßchen den Boden, und die bekannte Unart des Lamas, wenn es gereizt wird, veranschaulicht sie zu drastischer Wirkung. Das alles finden Papa und die Brüder herrlich – wehe auch den letzteren, wenn sie der kleinen »Prinzessin« nicht parieren wollten. Die Mutter fände es sofort ungentlemanlike. Sie selbst hält der Kleinen allerdings ihre Unart vor; das geschieht aber ohne Nachdruck, ohne Strenge und natürlich ohne Erfolg. In der Schule fehlt es den Töchtern gewiß nicht an der Gelegenheit, sich eine recht passable Bildung anzueignen. Da aber der Mangel an Disziplin groß und die Art des Unterrichtens unzulänglich ist, tritt sie später als erwachsene junge Dame aus der Schule, ohne im entfernten die Bildung z. B. unserer deutschen jungen Mädchen erlangt zu haben. Vergeblich würde man versuchen mit ihr eine Unterhaltung, die über das Alltägliche hinausgeht, oder in fremden Sprachen (es seien denn die Sprachen ihrer Eltern) zu führen. Auch die höheren Institute, die meistens zur Ausbildung in einem bestimmten Beruf dienen, vermögen nicht, den Bildungsgrad der Zöglinge wesentlich zu erhöhen.

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301. Amerikanerin (zum überwiegenden Teile deutscher, zum kleineren Teile mexikanischer Herkunft).

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Abb. 302. Amerikanerin von französischer Herkunft.

Indem ich bemerke, daß ich selbst wiederholt Gelegenheit hatte, dem Unterricht in amerikanischen Töchterschulen beizuwohnen, möchte ich wieder betonen, daß ich allgemeine, durchschnittliche Verhältnisse schildere. Auch hier gibt es zahlreiche, glänzende Ausnahmen. Mit Vergnügen erinnere ich mich der Unterhaltung mit einzelnen Damen, deren Bildungsgrad ein außergewöhnlich hoher war, und deren Streben in ideeller Richtung von unsern eifrigsten jungen Damen nicht übertroffen werden könnte.

Weit mehr Achtung gebietet ein recht schön entwickelter Sinn für Kunst und Kunstgewerbe. Besonders Musik erfreut sich der größten Beliebtheit. Hier finden wir Legionen vortrefflicher Klavierspielerinnen, Geigerinnen, Cellistinnen und Sängerinnen, von Dilettantinnen auf Instrumenten, die allein der amüsanten Unterhaltung dienen, wie Harfe, Gitarre, Mandoline gar nicht zu sprechen. Nächstdem wird die Malerei jeder existierenden Gattung stark und erfolgreich gepflegt. Daran schließt sich das Kunstgewerbe, sofern es mehr oder weniger verwöhnten jungen Damen ohne allzu große Anstrengung zugänglich ist. Es ist der jeweiligen Mode unterworfen. Während meiner letzten Anwesenheit in den Vereinigten Staaten war die Herstellung von Porzellan, zu welchem Zweck eigens Brennöfen gesetzt wurden, eine solche Modesache. Ganz ausgeschlossen waren aber von jeher alle Arbeiten, die große körperliche Ermüdung verursachen; also vor allem die leidige Beschäftigung deutscher Jungfrauen, wie Schneidern, Nähen, Stricken, Klöppeln, Sticken usw.

Unübertroffen ist die Amerikanerin als Tänzerin in ihrer Art. Der Tanz, von dem in einer andern Beziehung schon vorher gesprochen wurde, wird mit Leidenschaft gepflegt, so daß in vielen Familien die jungen Damen mehrmals wöchentlich, bisweilen allabendlich, Gelegenheit haben, sich diesem Vergnügen hinzugeben. Der amerikanische Tanz gleicht mehr einem rhythmischen Schweben und Gleiten, wobei die Füße kaum den Boden verlassen. Der Walzer ist so beliebt, daß man nach seinem Rhythmus gern auch alle andern Tänze ausführt. Daß den Tänzerinnen dies tadellos gelingt, ist ein Beweis feinen rhythmischen Gefühls und eines guten Ohres.

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Abb. 303. Amerikanerin von israelitischer Herkunft.

Große Sorgfalt verwendet die Amerikanerin auf ihre Toilette; sie will nicht nur schön, sondern möglichst elegant gekleidet sein. Daß sie das vermag, muß zugegeben werden. Aber Eleganz und Schönheit sind wohl auch in der Toilettekunst verschiedene Begriffe. Wenn wir nur Schönheit berücksichtigen, so erreicht die kleinste Neapolitanerin, die bescheidenste Französin mit einfachsten Mitteln, was der Amerikanerin nur mir Aufwendung von Raffinement gelingt. Es kommt ihr z. B. nicht darauf an, während vielleicht die ganze übrige Damenwelt farbig gekleidet erscheint, sich von Kopf bis Fuß weiß zu kleiden, oder durch auffällige Bänder, Schleifen, Schals, Boas oder Kombinationen irgend welcher Einfälle die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Pierre de Coulevain, der sie sehr fein beobachtet hat, sagt übrigens, die Amerikanerin kleide sich zu vollkommen, mehr schick als elegant. So groß der Aufwand ist, der mit den Hüten getrieben wird, so vernachlässigt wird das Schuhwerk. Was gerade paßt und bequem sitzt, wird allem andern vorgezogen; freilich darf nicht verschwiegen werden, daß dieses Schuhwerk nicht gerade den schönsten Fuß zu bekleiden hat.

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Abb. 304. Brünette Amerikanerin.

Die Durchschnitts-Amerikanerin liebt nicht in die Tiefen des Lebens zu steigen. Gemeinsinn betätigt sie mit Vorliebe, wenn sie damit eine ihrer Kaprizen oder Prüderien der Menschheit aufzwingen kann. Als in einer Stadt ein paar Trunkenbolde sich bemerkbar machten, zwangen die Frauen die Behörden, das » Law of Prohibition« über die Stadt, nein, über den ganzen Staat zu verhängen; aus ähnlichen Veranlassungen ist heute in manchen Staaten auch nicht mehr das unschuldigste Gläschen Bier auf honette Weise zu haben.

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Abb. 305. Brünette Amerikanerin.

Weil man in einer Stadt in Kansas – Max O'Rell erzählt diese schier unglaubliche Geschichte – das Söhnchen einer achtbaren Familie beim Zigarettenrauchen ertappt hat, wurde der Richter des Bezirks gezwungen, innerhalb seiner Jurisdiktion den Verkauf von Tabak jeder Art zu verbieten. Frauen sind es fast immer, die solche Wandlungen geschaffen haben! Oder aber ein Dutzend Frauen überfallen einen Alkoholausschank und zerschlagen dem Eigentümer alles, was ihnen in die Hände fällt, zu Scherben. In Deutschland kämen sie dafür ins Gefängnis; in Amerika werden sie gefeiert. Natürlich zeigt sich auch hier und da Gemeinsinn in einer edleren Richtung, aber Prohibition, Gesundbeten, Christian Science, heißt doch das mit höchster Leidenschaft gepflügte Feld der »gemeinnützigen« Amerikanerin, und sicher ist, daß » votes for women«, wofür sich eben Engländerinnen schmähen und prügeln ließen, ganz unpopulär in Amerika sind. Vor Jahren wurde der Versuch allerdings gemacht, das Wahlrecht für Frauen einzuführen. Nirgends hätten es Frauen leichter dieses Ziel zu erreichen – im Handumdrehen käme es zustande. Aber die Mehrheit der Frauen selbst lehnte es ab: es brächte ihnen nur Mühe und Arbeit. Was eine Amerikanerin gerade zu vermeiden wünscht!

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Abb. 306. Amerikanerin.

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Abb. 307. Amerikanerin. Typus des Gibsongirl.

Von der Kunst des Flirtens ist schon gesprochen worden. Wirklich verursacht der durchschnittlichen Amerikanerin nichts in der Welt ein solches Behagen wie die Ausübung dieser Kunst, in der sie es, wie schon an anderer Stelle gesagt, weit gebracht hat, nur daß dabei die Grazie, die Feinheit und jener undefinierbare Charme unserer kokettierenden Südländerinnen ausgeblieben sind. Nicht einmal mit der Engländerin nimmt sie es darin auf. Pierre de Coulevain sagt, daß, während die Engländerin im Flirten zart und fein ist, auch klug und gefährlich, sei die Amerikanerin befehlend, roh und dreist.

Der höchste » fun« ist für sie, sich von ihrem Kavalier traktieren zu lassen; sie hat kein Empfinden dafür, daß er vielleicht sein Letztes hingibt. Im Gegenteil, sie rühmt sich hinterher (man kann das täglich hören!): I made him spend d. h. ich ließ ihn für mich ausgeben – und dann wird der Betrag in Dollars und Cents oder das Objekt genannt. Daß sich die junge Dame zu einer Wagenfahrt, in eine Abendgesellschaft abholen oder ins Theater führen läßt, ist gewiß nichts ungewöhnliches; aber bei solcher Gelegenheit würden ihre Eltern nicht wagen, sich blicken zu lassen; denn sie hat stets das Recht, ihren Galan ohne Beisein der Eltern zu empfangen. Indessen ist eine Überwachung der jungen Leute in der Tat nicht notwendig; mag auch ihre Freundschaft, ja ihre Intimität noch so groß sein – Küsse z. B. sind über alles wohlfeil in Amerika –, so wird die gewisse Grenze, welche diese Gefühle von der Erotik trennt, wohl niemals überschritten. Da ich eben von Küssen sprach, bemerke ich einschaltend, daß prüde Frauen, wahrscheinlich solche, um die, schändlich genug, noch kein Mann geworben hat, es durchgesetzt haben, daß Küssen in der Öffentlichkeit in New Jersey mit Geld, in Massachusetts sogar mit Gefängnis bestraft wird.

Alle Artigkeiten, die der Amerikanerin erwiesen werden, nimmt sie als selbstverständlich hin, als käme das ihrem Geschlecht zu, als sei es schon ein Verdienst als Weib in die Welt gekommen zu sein, die Welt, die aus Göttinnen, d. h. Frauen, vielmehr Amerikanerinnen, und Sklaven, d. h. Männern besteht (freilich sind ihnen die amerikanischen Männer »bessere« Sklaven als wir Europäer es wären). Ich erinnere mich, wie es in Amerika als selbstverständlich galt, daß man gleich einer automatischen Figur von seinem Sitz aufsprang, wenn in der überfüllten Straßenbahn eine Dame erschien, die dann ohne einen Hauch des Dankes den Platz einnahm. Das ist so weit gegangen, bis der Männerwelt in einer intelligenten Stadt wie New York diese Unmanier ihrer Frauen doch über das Maß ihrer Geduld ging, und plötzlich alle wie ein Mann den Platz festhielten, mochte auch die allersmarteste Yankeetochter mit den süßesten googy-Augen vor ihnen stehen. So fand ich es noch bis vor einigen Jahren. Weiß nicht, ob heute noch der Brauch besteht.

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Abb. 308. Amerikanerin. Gilt als die schönste Frau von Chicago und als Zukunftstypus der amerikanischen Frau.

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Abb. 309. Amerikanerin. Typus des Gibsongirl.

Nirgends werden so viele Ehen geschieden wie in Amerika. Auf Grund einer Veröffentlichung, daß in den letzten 20 Jahren eine Million Scheidungen stattfanden, machte ich die folgende numerische Aufstellung. In der Annahme, daß die genannte Ziffer sich auf den Zeitraum von 1888-1908 bezieht, dürfen wir das Mittel der Bevölkerungsziffer auf 70 Millionen festsetzen. Da laut einer andern Statistik auf 10 000 Einwohner etwa 100 (genau 102) Personen im Jahr getraut werden, beträgt die Summe der Trauungen in den Vereinigten Staaten in 20 Jahren 14 Millionen. Somit wird von 14 Ehen immer eine geschieden. Oder nehmen wir an, daß ? der Bevölkerung ledig wäre, ? verheiratet, so ergäbe das etwa 23? Millionen Verheiratete, also etwas über 11½ Millionen Ehen. Danach würden von ca. 11½ Ehen immer 1 geschieden. Folglich dürfte das Mittel aller geschiedenen Ehen in den Vereinigten Staaten 8% pro Jahr betragen.

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Abb. 310. Amerikanerin. Typus des Gibsongirl.

Mit welcher Frivolität Scheidungen betrieben werden, kann man täglich in den Zeitungen lesen. Da ist die Frau, die sich scheiden läßt, weil sie den Mann für reicher hielt, als es sich herausstellte, eine andere, die als Beweggrund zur Scheidung angibt, daß der Mann ihr kein seal-skin schenken wollte. Da ist eine, die sich achtmal hat scheiden lassen und sich immer wieder verheiraten will, bis sie den »richtigen« Mann findet. Da ist ein Richter, Mr. Dowling in New York, der an einem Tage 125 Ehen schnell und schmerzlos trennte – Bettler und Trunkenbolde hätten nicht schneller abgeurteilt werden können.

Nach allen diesen Schilderungen kann niemand, der ein offenes Auge dafür hat, mehr bezweifeln, daß in diesem Lande sich Zustände entwickelt haben, die sich für die Zukunft als geradezu unhaltbar erweisen müssen. Nur die Amerikaner selbst scheinen nichts davon zu merken. Es gibt sicher kein anderes Volk, das so eingenommen von sich selbst, so von seiner Vollkommenheit überzeugt ist wie die Amerikaner. Sind aber schon die Männer nicht zugänglich einer Belehrung über ihre Mängel, so sind es noch weniger die Frauen, die von ihrer Wiege an gewohnt sind, Huldigungen zu empfangen, denen von ihren Kavalieren, von der Presse unzählige Male gesagt wurde, daß ihresgleichen nicht wieder auf der Erde existiert.

Da muß es denn geradezu wie eine Explosion gewirkt haben, als – vielleicht zum ersten Male in diesem Lande – eine Amerikanerin selbst ihren Landsmänninnen den Spiegel vorhielt. Anna A. Rogers heißt die Mutige, die es unter dem Titel »Warum scheitern amerikanische Ehen?« gewagt hat, ihren Landsmänninnen im »Atlantic Monthly« ihre Meinung ungeschminkt zu sagen. Indem ich im folgenden einige Gedanken der Anna Rogers zitiere, ist es unvermeidlich, Vorhergegangenes zum Teil zu wiederholen. In ihrer Schrift heißt es:

»Am allerstolzesten ist der Amerikaner auf seine Frauen, dergleichen sich in keinem Lande der Erde wiederfindet. Von ihrem Lobe fließen die Redner, die Dichter, die Gelehrten über. Das ganze Volk hätschelt und verehrt sie. Was er auch Schönes und Edles sieht an den Frauen anderer Völker, die Amerikanerin übertrumpft sie alle. Sie ist verständiger als die Britin, eleganter als die Französin, der Deutschen an Bildung, der Italienerin an Schönheit, der Spanierin an Glut der Empfindung überlegen. Denn nur zwei Dinge betet der Amerikaner an: den Dollar und die Frauen. Wie kommt es nun, daß trotz dem Vorhandensein einer so göttergleichen Frauenwelt, während wir uns zugleich die korrespondierende Männerwelt unmöglich als eine Ausgeburt aller Laster vorstellen können, Amerika das klassische Land der Ehescheidungen ist, deren Zahl noch von Jahr zu Jahr zunimmt?« Anna Rogers bestreitet, daß der Grund, wie öfters gemeint wird, in der großen Leichtigkeit zu suchen ist, mit der Ehen getrennt werden können.

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Abb. 311. Amerikanerin. Von unbekannter Herkunft; anscheinend deutsch-englisch-irischer Einschlag.

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Abb. 312. Amerikanerinnen von angelsächsischem Typus.

Zunächst tritt die Amerikanerin, allerdings auch der Amerikaner, an die Ehe mit einer Leichtfertigkeit heran, als ob es sich etwa um das Engagement von Dienstpersonal handelt. »Der Amerikanerin«, sagt Anna Rogers, »liegt der Gedanke fern, daß die Ehe der Lebensberuf des Weibes sei.

Noch ist kein Weib in Wissenschaften und Künsten den Männern vorangeschritten, noch haben die Frauen im Lande keine Fähigkeiten entwickelt, welche die demoralisierende Vergötterung rechtfertigen würden, auf die das amerikanische Volk so grundlos stolz ist. Aus dieser Vergötterung stammt die Unduldsamkeit und Selbstsucht der jungen Frauen, die an der geringen Dauerhaftigkeit der Ehebande in so hohem Maße schuld sind. Keine soziale und moralische Leistung der Frauen erklärt zur Genüge ihre soziale Herrscherinnenrolle und die Unterordnung des hart arbeitenden, sich aufreibenden Mannes unter sie und ihre Wünsche. So lernt die Amerikanerin nicht erkennen, daß es ihre Lebensaufgabe ist, in ihrer Ehe dem Ideal auch Verwirklichung und Gestalt zu geben, das der Mann sich vorher von ihr gebildet hat.

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Abb. 313. Vollblut-Amerikanerin.

Die Ansprüche der Amerikanerin an den Mann sind maßlose. Sie fordert von ihm mehr Liebe, mehr Bewunderung, mehr Zeit, mehr Geld, als er ihr zu geben imstande ist. Was sie von ihm fordert, ist weit mehr, als was sie ihm gibt. Dies ruhelose, leichte, verzogene, leidenschaftliche Mädchen von heute – ein prachtvolles Geschöpf, aber ärmlich an Gemüt – stellt große Ansprüche. Der Mann muß schön (das ist das sine qua non der von gesundem Rasseninstinkt beseelten Amerikanerin), reich, klug, gebildet und in angesehener Stellung sein, ein vollendetes Gemüt und eine grenzenlose Fähigkeit besitzen, sie auf den Knien anzubeten.«

Im wirtschaftlichen Leben wird die Amerikanerin, wie Anna Rogers nachweist, von der Französin übertroffen. Die erwerbstätigen Frauen machten in Frankreich 34 % der erwerbstätigen Bevölkerung aus gegen 17 % in den Vereinigten Staaten. »Keine Amerikanerin liebt das persönliche sorgfältige Walten im Haushalt, das bei der Deutschen selbstverständlich ist, und der Schlendrian der amerikanischen Haushaltungen findet sein Gegenstück nur in den Häusern der niederen italienischen und chinesischen Bevölkerung. Die Amerikanerin ist ihrem Manne keine geschäftliche Stütze und keine Beraterin in finanziellen Dingen, sie hilft nicht sparen und erhalten, sie teilt nicht, wie die gebildete Britin, die ihn so stark erregenden politischen Interessen; ihre liebste Beschäftigung ist Müßiggang. Beständiges Besuchen der Läden und Warenhäuser, nicht um des Kaufens, sondern um der Zerstreuung willen, ist ihre Leidenschaft. Der Vormittag, an dem die europäischen Frauen zu Hause sind, ist die Zeit, in der es auf den Straßen der amerikanischen Großstädte von geputzten Damen wimmelt. Ein weit über ihre Verhältnisse gehender Toilettenluxus ist ihr besonderes Laster, ein Aufwand an Kleidern und Hüten, welcher dem Fremdling, der über die soziale Lage der Trägerin Aufklärung empfängt, ein erstauntes Lächeln entlockt.«

Über die Fähigkeiten weiblicher Angestellter in den Büros wurde vor kurzem berichtet, daß die Generaldirektion der Baltimore- und Ohio-Eisenbahngesellschaft den aufsehenerregenden Beschluß gefaßt hat, ihre sämtlichen weiblichen Angestellten zu entlassen und die frei werdenden Stellen durch männliches Personal zu besetzen. Die drakonische Maßregel ist das Ergebnis langer und eingehender Beobachtungen mit dem Nachweis, daß die Arbeitsleistung des Mannes die der Frau um dreißig Prozent übersteigt, und daß er obendrein viel besser und akkurater arbeitet als die weibliche Konkurrenz. Auf Grund dieses vernichtenden Urteils über den Wert der Frauenarbeit sollen jetzt alle in den Büros der Gesellschaft beschäftigten Frauen den Laufpaß erhalten, unbekümmert um die Erwägung, daß ihr Ersatz durch männliche Kräfte für die Gesellschaft eine wesentliche Erhöhung des Gehaltsetats bedeutet. Natürlich entfesselte dieser Beschluß der Direktion bei den von der Maßregelung betroffenen Damen einen gewaltigen Entrüstungssturm. Sie bestreiten entschieden, daß ihre Arbeit gegenüber der des Mannes als minderwertig zu bezeichnen ist. Dem gegenüber verweist die Direktion auf ihre sorgsam aufgestellte Statistik, die diese Tatsache ziffernmäßig feststellt. Die angegriffene Eisenbahnverwaltung erhebt gegen die Frauen weiterhin den Vorwurf, daß sie aus der Erfahrung keine Nutzanwendung zu ziehen vermögen, und daß sie, wenn ihnen ein Tadel ausgesprochen wird, wie die Kinder weinen, statt ihr Unrecht einzusehen. Sie sind überdies im großen und ganzen fauler als die Männer, was zur Genüge daraus hervorgeht, daß sie beim Nahen der Stunde des Büroschlusses kein Auge von der Uhr lassen. Die amerikanischen Suffragettes speien Feuer und Flammen gegen die frauenfeindliche Direktion. Sie haben sich der Sache der verabschiedeten Damen mit leidenschaftlicher Energie angenommen. Nach ihrer Meinung ist die Arbeit der Frau der des Mannes nicht nur ebenbürtig, sie verdient vor ihr auch den Vorzug, weil sich die Frau nicht ablenken läßt, sondern alle ihre Energie auf die Arbeit konzentriert, ganz abgesehen davon, daß sie die ihr anvertrauten Maschinen und Apparate sorgsamer behandelt und sauberer hält, als es der Mann zu tun pflegt.

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Abb. 314. Amerikanerin. Von unbestimmter Herkunft; anscheinend skandinavisch-irischer Einschlag.

Noch eine schlimme Eigenschaft entdeckt Anna Rogers an der modernen Amerikanerin, namentlich der gebildeten – sie degeneriert zum Mannweib. »Sie wandert, sich ihrer selbst bewußt, durch den abendlichen Trubel der Großstädte, verachtet jegliche Galanterie als veraltete Geschmacklosigkeit und jedes tiefere Gefühl als Unsinn. Selten heiratet sie aus purer Liebe, der Mann aber in der Mehrzahl der Fälle – und so ist der Keim des Zerfalls von Anfang an gegeben. Viele gute, treue, brave und edle Frauen in Stadt und Land sind nur die Ausnahmen, die die Regel bestätigen, die Typen einer hinschwindenden Generation.«

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Abb. 315. Amerikanerin aus Chicago. Von unbestimmbarer Herkunft; anscheinend angelsächsisch-israelitischer Einschlag.

Einer, der die Amerikanerinnen in seiner Wahlheimat Japan gut beobachtet haben mag, ist Lafcadio Hearn. Nach Japan zu reisen, meist als Durchgangsetappe auf einer Reise um die Erde, wurde für die wohlhabenden Amerikaner Ende der 80er Jahre » the latest style«.

Seitdem ergießen sich Ströme von Amerikanerinnen alljährlich in das Land der aufgehenden Sonne. In einem Brief an seinen Freund Basil Hall Chamberlain sagt Lafcadio Hearn, nachdem er die Japanerin gerühmt hat: »Welch diamantene Härte dagegen im Charakter der amerikanischen Frau, die man vergöttert!« Er fügt dann unmittelbar hinzu, indem er den Vergleich fortsetzt: »Welches ist wohl das höhere Wesen, das kindliche, zutrauliche, liebliche japanische Mädchen, oder die stolze, scharfe, ihres Weges bewußte Circe unserer gekünstelten Gesellschaft mit der ungeheuren Macht zum Bösen und den beschränkten Anlagen zum Guten?«

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Abb. 316. Kalifornierin. Angelsächsischer Typus.

Ob »Fluffy Ruffles«, die »Neue« Amerikanerin, von der Henry Duvernois im » Je sais tout« berichtet, eine vollkommenere Frau ist als die bisherige? Nach ihm ist der Typus der fashionablen jungen Amerikanerin im Aussterben. Fluffy Ruffles ist an die Stelle des Gibsongirls getreten, das »neue Ideal«, das seine Herrschaft über den Mann mit neuen Mitteln verteidigt. Hören wir einmal, was Duvernois von dieser »allerneuesten« Amerikanerin zu sagen hat:

»Gegen den phantastischen Luxus der Milliardäre, gegen die üppige Toiletten- und Juwelenpracht der jungen Millionärstöchter ist eine Bewegung entstanden, die die Europäer zwingt, ihre landläufigen Vorstellungen von der eleganten Amerikanerin einer Revision zu unterziehen. Die junge Amerikanerin von heute, die Amerikanerin nach der Finanzkrise, wohnt nicht mehr unbedingt in der 5. Avenue, und was ehedem als » shocking« galt, ist jetzt modern geworden. Es gilt als ein Zeichen von Intelligenz und Tatkraft, wenn das junge Mädchen statt in französischen Romanen in selbständiger Arbeit ihre Erholung sucht, und die Ausübung eines praktischen Berufes wird zum Ehrentitel. An Stelle der rauschenden langen Schleppe ist der kurze, bequeme, fußfreie Rock getreten, an Stelle der kostbaren Spitzengewänder die anmutig einfache Bluse und an Stelle der Toilettenkünste und der Boudoirs der Sportplatz und die körperliche Übung. Die Modepuppe von ehedem wird zur abgehärteten Lebenskämpferin, und die planmäßige Entfaltung aller Kräfte, körperlicher, wie geistiger, zum neuen Erziehungsideal. Diese neue Amerikanerin weiß sich zu verteidigen, nicht mehr allein mit einem kühl abweisenden Lächeln, sondern, wenn es sein muß, auch mit den Fäusten, und die leidenschaftliche Pflege des Sports, der ständige Aufenthalt in der freien Luft, die Anstrengungen des Ruderns oder des Tennisspielens machen aus der blassen Schönheit eine sonnengebräunte, gesunde und energische junge Dame. Die spannenden französischen Romane sind vom Bücherbrett verschwunden, und an ihrer Stelle stehen philosophische Schriften. Und wo ehedem die Höhe der Schneiderrechnung eine verderbliche Rolle spielte, gilt es jetzt als höchste Vornehmheit, durch Bescheidenheit zu wirken. Eine Kultur der Einfachheit ist im Anzuge und nötigt den Europäer zu einer neuen Einschätzung des amerikanischen Frauentums.«

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Abb. 317. Kalifornierin aus Sacramento. Vermutlich von mexikanischem Einschlag.

Mir scheint in der Tat, daß an die Stelle der oberflächlichen, flirtenden Modedame eine würdigere Repräsentantin ihres Geschlechts zu entwickeln sich anschickt. Aber auch aus dieser sprechen Züge eines harten, poesielosen Mannweibes, das noch immer seine Bestimmung als Weib nicht erkannt hat.

Ich komme nun zum Schluß dieses Kapitels. Wiederholt muß ich den Leser aufmerksam machen, daß mir nur daran lag, ihm ein Bild der typischen, »durchschnittlichen« Amerikanerin zu verschaffen. Gegenüber der Überhebung, in der sie ihre eignen Landsleute schildern, und in der sie sich selbst so zu gefallen scheinen, wie gegenüber den vielen schiefen Urteilen, denen man bei uns über diese Frauen begegnet, darf es nicht befremden, wenn der Spiegel, den ich ihnen vorhielt, viele ihrer ungünstigen Seiten erblicken ließ.

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Abb. 318. Eine Kentucky-Schönheit.

Daß die Amerikanerin auch preisenswerte Eigenschaften hat, soll nicht geleugnet werden. Ihr Köpfchen ist durch keine »romantische« Anschauung verschroben oder verwirrt. Ihr Verstand ist gewissermaßen geradlinig. Ihre Intelligenz ist groß, wenn auch nicht größer als bei unsern Frauen, die aber oft durch uralte, ererbte Vorurteile in der Beurteilung vieler Zustände befangen sind. Wirklich dumme Frauen kann man drüben mit der Laterne suchen. Zu rühmen ist ihr Mangel an Pose und Affektiertheit, ihr praktisches Wesen, ihre Fähigkeit, wenn es darauf ankommt, auch ohne männliche, überhaupt ohne fremde Hilfe den Weg durchs Leben zu finden. In der Offenheit, Freimütigkeit, klaren, vorurteilslosen Entwicklung ihrer Gedanken übertrifft die Amerikanerin die meisten europäischen Frauen. Nie wird sie murren und klagen; im Gegenteil, wie sie auch immer gestellt sei, man wird sie fröhlich und guter Dinge antreffen.

Der neue Weltteil steht in einem besonderen Verhältnis zu uns Völkern im alten Europa. Zwar sind wir schwerlich die verfallenden, degenerierenden, »senilen« Europäer, als die uns amerikanischer Chauvinismus hinzustellen öfters beliebt, zumal wir uns in einer Periode befinden, in der nicht mehr viele wesentliche Veränderungen zu erwarten sind, einer Periode, die ich das Mannesalter eines Volkes nennen möchte; anders die Nordamerikaner, die sich noch ganz in der Entwicklung befinden.

Ich möchte auf zwei Ereignisse aus der jüngsten Geschichte dieses Volkes aufmerksam machen, die zwar ein jeder bei uns bemerkt, aber vielleicht nur wenige genügend gewürdigt haben:

Vor kurzem hat Amerika einen Krieg geführt, in dem es ein (allerdings degenerierendes) Volk besiegte und Kolonien gewann von dem 20fachen Umfang von Elsaß-Lothringen. In diesem Krieg hat es nur ganz wenige Menschen verloren! – ein Fall, der in der Weltgeschichte noch nicht dagewesen ist. Ferner: In einer Nacht im April im Jahre 1906 wurde die Stadt San Francisco, die dreimal so groß war wie Messina, von Erdbeben und Feuersbrunst zum größeren Teil zerstört, wobei wieder nur ganz wenige Menschenleben zugrunde gingen! – und innerhalb dreier Jahre in der früheren Größe und in größerer Schönheit wieder erbaut. Von einem Volk, das aus solchen Kalamitäten, ich möchte sagen, lachend, siegend und triumphierend hervorgeht, darf man noch das Größte erwarten – Dinge, die jenseits jeder Berechnung liegen.

Als der erste amerikanische Austauschprofessor, ein alter würdiger Herr, seinen Antrittsvortrag an der Alma mater Fridericiana in Berlin hielt über die Entwicklung der modernen Staaten, entrollte er sine ira et studio die Sachlage hüben und drüben und schloß mit den Worten: »ich bin sicher, uns Amerikanern gehört die Zukunft«. Schweigend, verblüfft mußte die deutsche akademische Jugend ihm innerlich zustimmen.

Wahrscheinlich ist schon in einem halben Säkulum das amerikanische Volk ein ganz anderes als heute. So darf man vor allem erwarten, daß sich die Fortpflanzungsverhältnisse, über die so viel Ungünstiges zu berichten war, verändern und verbessern werden, und so dürfen wir hoffen, daß auch die Amerikanerin der Zukunft sich als eine weit vollkommenere Frau präsentieren wird, als sie es heute ist. Vielleicht wird sie uns einmal in der Tat als das, von ihren Landsleuten heute noch mit Unrecht und so viel Überhebung gepriesene, »ideale unübertreffliche« Geschöpf erscheinen.


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