Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 2
Alexander Dumas

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Die Abfahrt

Als Ludwig XVI. von der Königin wegging, fand er sich unmittelbar umgeben von allen Offizieren und Personen seines Hauses, welche bestimmt waren, ihn nach Paris zu begleiten.

Es waren die Herren von Beauvau, von Villeroy, von Nesle und von Estaing.

Gilbert mischte sich unter die Menge und stand voller Erwartung, daß ihn Ludwig XVI. bemerke, und wäre es nur, um ihm einen Blick zuzuwerfen.

Es war sichtbar, daß alle diese Menschen im Zweifel schwebten, und daß man nicht an den Bestand dieses Entschlusses glauben konnte.

Nach dem Frühstück, meine Herren, brechen wir auf, sagte der König.

Dann, als er Gilbert erblickte, fuhr er fort:

Ah! Sie sind da, Doktor . . . sehr gut. Sie wissen, daß ich Sie mitnehme.

Zu Ihren Befehlen, Sire.

Der König ging in sein Kabinett, wo er zwei Stunden arbeitete.

Er hörte sodann mit seinem ganzen Hofstaate die Messe, und gegen neun Uhr setzte er sich zu Tisch.

Das Mahl fand mit dem gewöhnlichen Zeremoniell statt; nur wollte die Königin, die man seit der Messe mit geschwollenen, roten Augen sah, ohne im geringsten daran teil zu nehmen, dennoch dem Mahle des Königs beiwohnen, um länger in seiner Nähe zu sein.

Die Königin hatte ihre zwei Kinder mitgebracht, welche beide, ohne Zweifel schon aufgeregt durch die mütterlichen Ratschläge, ihre Augen ängstlich vom Gesicht ihres Vaters auf der Menge der Offiziere und Garden umherlaufen ließen.

Überdies wischten die Kinder von Zeit zu Zeit, auf Befehl ihrer Mutter, eine Thräne ab, welche an ihren Augenwimpern hervorbrach, und dieses Schauspiel erfüllte die einen mit Mitleid, die andern mit Zorn, die ganze Versammlung mit Unbehagen.

Der König aß stoisch. Er sprach wiederholt mit Gilbert, ohne ihn anzuschauen; er sprach beinahe beständig mit der Königin und immer mit einer tiefen Zuneigung.

Endlich gab er seinen Kapitänen Verhaltungsregeln.

Er beendigte eben sein Mahl, als man ihm meldete, eine dicht gescharte Menge Menschen zu Fuß komme von Paris, und erscheine am Ende der großen Allee, welche auf den Paradeplatz ausmündet.

Auf der Stelle stürzten die Offiziere und Garden aus dem Saal; der König erhob das Haupt und schaute Gilbert an; da er aber sah, daß Gilbert lächelte, so aß er ruhig weiter.

Die Königin erbleichte, neigte sich gegen Herrn von Beauvau und bat ihn, sich zu erkundigen.

Herr von Beauvau lief hastig hinaus.

Die Königin trat an ein Fenster.

Fünf Minuten nachher kam Herr von Beauvau zurück.

Sire, sagte er, es sind die Nationalgarden von Paris, welche sich, da sich gestern in der Hauptstadt das Gerücht von der Absicht Eurer Majestät, die Pariser zu besuchen, verbreitete, zu etwa zehntausend vereinigt haben, um Ihnen entgegenzukommen. Als sie aber, indem sie Ihnen entgegengingen, sahen, daß Eure Majestät zögerte, marschierten sie bis Versailles.

Welche Absichten scheinen sie zu haben? fragte der König.

Die besten der Welt, antwortete Herr von Beauvau.

Gleichviel! versetzte die Königin, schließen Sie die Gitter.

Hüten Sie sich davor, entgegnete der König, es ist genug, wenn die Thüren des Palastes verschlossen bleiben.

Die Königin faltete die Stirne und warf Gilbert einen Blick zu.

Gilbert, erwartete diesen Blick, denn die Hälfte seiner Vorhersagung hatte sich schon verwirklicht. Er hatte die Ankunft von zwanzigtausend Mann versprochen; es waren schon zehntausend da.

Der König wandte sich gegen Herrn Beauvau um und sagte zu ihm: Seien Sie dafür besorgt, daß man diesen braven Leuten Erfrischungen giebt.

Herr von Beauvau ging zum zweiten Mal hinab, überbrachte den Schaffnern die Befehle des Königs und kam dann wieder herauf.

Nun? fragte die Königin.

Sire, Ihre Pariser sind in einem großen Streit mit den Herren von der Garde begriffen.

Wie! rief der König, es findet ein Streit statt?

Oh! ein Streit der reinen Höflichkeit. Da sie erfahren haben, der König breche erst in zwei Stunden auf, so wollen sie den Abgang des Königs abwarten und hinter dem Wagen Seiner Majestät marschieren.

Aber sie sind zu Fuß, denke ich? fragte die Königin.

Ja, Madame.

Wohl! der König hat Pferde an seinem Wagen, und der König fährt rasch, sehr rasch. Sie wissen, Herr von Beauvau, daß der König sehr rasch zu fahren pflegt.

Diese Worte so betont bedeuteten:

Binden Sie Flügel an den Wagen Seiner Majestät.

Der König winkte mit der Hand, daß man das Gespräch abbreche.

Ich werde im Schritt fahren, sagte er.

Die Königin stieß einen Seufzer aus, der einem Schrei des Zornes glich.

Es ist nicht billig, fügte Ludwig XVI. ruhig bei, daß ich diese braven Leute, die sich, um mir Ehre anzuthun, Mühe gemacht haben, laufen lasse; ich werde im Schritt fahren, und zwar im kurzen Schritt, damit mir alle Welt folgen kann.

Die Versammelten bezeigten ihre Verwunderung; doch zu gleicher Zeit sah man auf mehreren Gesichtern den Ausdruck der Mißbilligung, ganz besonders deutlich hervortretend in den Zügen der Königin, die in so großer Seelengüte nichts als Schwäche sehen wollte.

Ein Fenster öffnete sich.

Die Königin wandte sich erstaunt um: es war Gilbert, der in seiner Eigenschaft als Arzt von seinem Rechte Gebrauch machte, ein Fenster öffnen zu lassen, um die im Saale durch den Geruch der Speisen und das Atmen von mehr als hundert Personen verdichtete Luft zu erneuern.

Der Doktor stellte sich hinter die Vorhänge des geöffneten Fensters, und durch das offene Fenster drangen die Stimmen der im Hofe versammelten Menge ein.

Was ist das? fragte der König.

Sire, antwortete Gilbert, es sind die Nationalgarden, die es unter den Sonnenstrahlen auf dem Pflaster sehr heiß haben müssen.

Warum ladet man sie nicht ein, mit dem König zu frühstücken? sagte leise zur Königin einer von ihren Lieblingsoffizieren.

Man soll sie in den Schatten führen, in den Marmorhof, unter die Vorplätze, kurz überall hin, wo ein wenig Kühle ist, sprach der König.

Zehntausend Menschen unter die Vorplätze? sagte die Königin.

Nach allen Seiten hin verteilt, werden sie Raum haben, sprach der König.

Überall verteilt? versetzte Marie Antoinette, aber Sire, Sie sind im Begriff, ihnen den Weg zu Ihrem Schlafzimmer zu weisen.

Eine entsetzliche Prophezeiung, die sich in Versailles selbst noch vor Ablauf dreier Monate verwirklichen sollte.

Sie haben viele Kinder bei sich, Madame, bemerkte Gilbert mit sanftem Tone.

Kinder? fragte die Königin.

Ja, Madame, viele von ihnen haben ihre Kinder wie auf einen Spaziergang mitgenommen. Die Kinder sind als kleine Nationalgarden gekleidet, so groß ist die Begeisterung für das neue Institut.

Die Königin öffnete den Mund, neigte aber beinahe in demselben Augenblick das Haupt. Sie hatte Lust gehabt, ein gutes Wort zu sagen, der Stolz und der Haß hielten sie wieder zurück.

Gilbert schaute sie aufmerksam an.

Ei! rief der König, diese armen Kinder! . . . wenn man Kinder mit sich führt, hat man nicht Lust, einem Familienvater ein Leid anzuthun; ein Grund mehr, die armen Kleinen in den Schatten zu bringen. Führt sie herein; führt sie herein!

Gilbert schüttelte sachte den Kopf und schien zur Königin, die geschwiegen hatte, zu sagen:

Madame, so hätten Sie sprechen sollen, ich bot Ihnen die Gelegenheit dazu. Das Wort wäre wiederholt worden, und Sie hätten dabei auf zwei Jahre die Liebe des Volkes gewonnen.

Die Königin verstand diese stumme Sprache Gilberts, und die Röte stieg ihr zur Stirne.

Sie fühlte ihren Fehler und entschuldigte sich sogleich durch ein Gefühl des Hochmuts und des Widerstandes, das sie als Antwort an Gilbert zurücksandte.

Mittlerweile entledigte sich Herr von Beauvau des ihm vom König erteilten Auftrags.

Da hörte man von der bewaffneten Menge, während man sie auf Befehl des Königs in das Innere des Palastes zuließ, laute Freudenrufe und Segnungen.

Die Zurufe, die Glückwünsche, die Vivats stiegen in Wirbeln bis zu dem königlichen Ehepaar empor und beruhigten es über die Stimmung von dem so sehr gefürchteten Paris.

Sire, fragte Herr von Beauvau, welchen Befehl giebt Eure Majestät in Betreff Ihres Gefolges?

Wie steht es mit dem Streite der Nationalgarden mit meinen Offizieren?

Oh! Sire, alles verdunstet, verschwunden; die braven Leute sind so glücklich, daß sie nun sagen: Wir werden gehen, wohin man uns stellt; der König gehört so gut uns, als den andern; wohin er gehen mag, wird er uns gehören.

Der König schaute Marie Antoinette an. Marie Antoinette zog mit einem höhnischen Lächeln ihre hoffärtigen Lippen zusammen.

Sagen Sie den Nationalgarden, sprach Ludwig XVI., sie mögen ihre Stellung nehmen nach ihrem Belieben.

Eure Majestät wird nicht vergessen, daß es ein unveräußerliches Recht Ihrer Garde-du-corps ist, den Wagen zu umgeben, sprach die Königin.

Als die Offiziere den König ein wenig unschlüssig sahen, traten sie hinzu, um die Königin zu unterstützen.

Das ist im Grunde richtig, versetzte der König. Nun! man wird sehen.

Herr von Beauvau und Herr von Villeroy gingen ab, um ihre Stellen einzunehmen und ihre Befehle zu geben.

Es schlug zehn Uhr in Versailles.

Auf, sagte der König, ich werde morgen arbeiten. Diese braven Leute sollen nicht warten.

Der König erhob sich.

Marie Antoinette öffnete die Arme und umschlang den König. Die Kinder hingen sich weinend an den Hals ihres Vaters. Gerührt, bemühte sich der König, sich sachte ihren Umarmungen zu entziehen: er wollte die Gemütsbewegung verbergen, die wohl bald überströmt wäre.

Die Königin hielt alle Offiziere zurück, faßte diesen beim Arm, jenen bei seinem Degen.

Alle legten die Hand an ihr Herz und an ihren Degen.

Die Königin lächelte, um zu danken.

Gilbert war unter den Letzten.

Mein Herr, sprach die Königin zu ihm. Sie haben dem König diese Fahrt nach Paris geraten; Sie haben den König bestimmt, trotz meines Flehens. Bedenken Sie, mein Herr, daß Sie eine furchtbare Verantwortlichkeit vor der Gattin und vor der Mutter übernommen haben!

Ich weiß es, Madame, antwortete Gilbert kalt.

Und Sie werden mir den König unversehrt zurückbringen! sprach die Königin mit einer feierlichen Gebärde.

Ja, Madame.

Bedenken Sie, daß Sie mir mit Ihrem Kopf für ihn haften!

Gilbert verbeugte sich.

Bedenken Sie, mit Ihrem Kopfe! wiederholte Marie Antoinette mit der Drohung und der unbarmherzigen Autorität einer absoluten Königin.

Mit meinem Kopfe, sprach der Doktor, sich verbeugend; ja, Madame, und dieses Pfand würde ich als einen Leibbürgen von geringem Werte betrachten, wenn ich den König bedroht glaubte; doch ich habe es gesagt, Madame, heute führe ich Seine Majestät zum Triumph.

Ich will alle Stunden Nachricht haben, fügte die Königin bei.

Sie werden sie erhalten, Madame, ich schwöre es Ihnen.

Gehen Sie nun, mein Herr, ich höre die Trommeln; der König begiebt sich auf den Weg.

Gilbert verbeugte sich und begegnete, auf der großen Treppe verschwindend, einem Adjutanten von den Haustruppen des Königs, der ihn auf Befehl Seiner Majestät suchte. Man ließ ihn in einen Wagen steigen, der Herrn von Beauvau, dem Oberstzeremonienmeister gehörte, denn man wollte ihn nicht in einer königlichen Kutsche fahren lassen, da er keine Adelsprobe für sich hatte.

Gilbert lächelte, als er sich allein in diesem mit Wappen geschmückten Wagen sah. Herr von Beauvau ritt nämlich, und tummelte sein Pferd neben dem königlichen Kutschenschlag.

Dann kam ihm der Gedanke, es sei lächerlich von ihm, so einen Wagen einzunehmen, der Wappen und Krone habe.

Dieses Bedenken währte noch fort, als er unter der Menge der Nationalgarden, die den Wagen umschloß, von Leuten, die sich neugierig vorbeugten, folgende Worte flüstern hörte:

Ah! dieser da ist der Prinz von Beauvau!

Ei! sagte ein Kamerad, du täuschest dich.

Doch, doch, da am Wagen das Wappen des Prinzen ist.

Das Wappen! das Wappen! Ich sage dir, daß das nichts zur Sache thut.

Bei Gott! das Wappen, was beweist das?

Das beweist, daß, wenn das Wappen des Herrn von Beauvau am Wagen ist, Herr von Beauvau selbst darin sein muß.

Herr von Beauvau, ist das ein Patriot? fragte eine Frau.

Ah! jawohl! versetzte ein Nationalgardist.

Gilbert lächelte abermals.

Aber ich sage dir, wiederholte der erste Widersprecher, ich sage dir, daß es nicht der Prinz ist; der Prinz ist fett, dieser ist mager. Der Prinz trägt den Rock eines Kommandanten der Garden, dieser hat einen schwarzen Rock; es ist der Intendant.

Ein nicht sehr freundliches Gemurmel empfing die Person des durch diesen wenig schmeichelhaften Titel entstellten Gilbert.

Ei, Mord und Teufel! rief eine dicke Stimme, bei deren Ton Gilbert bebte, die Stimme eines Mannes, der sich mit seinen Ellenbogen und seinen Fäusten bis zum Wagen Bahn brach; nein, es ist weder Herr von Beauvau, noch sein Intendant, es ist ein braver trefflicher Patriot, und sogar der trefflichste der Patrioten . . . Ei! Herr Gilbert, was machen Sie denn im Wagen eines Prinzen?

Ah! Sie sind es, Vater Billot! rief der Doktor.

Bei Gott! ich habe mich wohl gehütet, die Gelegenheit zu versäumen, antwortete der Pächter.

Und Pitou? fragte Gilbert.

Oh! er ist nicht fern. Hollah! Pitou, komm herbei, vorwärts.

Auf diese Einladung schlüpfte Pitou, mittelst eines kräftigen Spiels der Schultern, bis in die Nähe von Billot und verbeugte sich mit Bewunderung vor Gilbert.

Guten Morgen, Herr Gilbert, sagte er.

Guten Morgen, Pitou; guten Morgen, mein Freund.

Gilbert! Gilbert! wer ist das? fragte die Menge.

So ist es mit dem Ruhm! dachte der Doktor. Wohl bekannt in Villers-Cotterêts, ja; doch in Paris . . . es lebe die Volkstümlichkeit!

Er stieg aus dem Wagen, der nun im Schritt fuhr, und ging, sich auf den Arm von Billot stützend, zu Fuß unter der Menge weiter.

Er erzählte sodann dem Pächter mit wenigen Worten seinen Besuch in Versailles und sprach von der guten Stimmung des Königs und der königlichen Familie. Er machte in einigen Minuten eine solche Propaganda von Royalismus in dieser Gruppe, daß diese, für die guten Eindrücke noch leicht empfänglichen, braven Leute, naiv und entzückt, ein langes: Es lebe der König! ertönen ließen, das, verstärkt durch die vorangehenden Reihen, den König in seinem Wagen betäubte.

Ich will den König sehen, sagte Billot elektrisiert; ich muß ihn von nahe sehen. Ich habe den Weg deshalb gemacht. Ich will ihn nach seinem Gesicht beurteilen. Das Gesicht eines ehrlichen Mannes, das errät sich. Nähern wir uns, Herr Gilbert, wenn Sie wollen!

Warten Sie, das wird uns leicht sein, sagte Gilbert, denn ich sehe den Adjutanten des Herrn von Beauvau.

Gilbert rief ihn an.

Suchen Sie nicht den Doktor Gilbert, mein Herr? fragte er.

Ja, antwortete der Adjutant.

Ich bin es.

Gut. Herr von Beauvau läßt Sie auf Befehl des Königs ersuchen.

Diese schallenden Worte machten, daß sich für Gilbert die Augen der Menschenmenge und ihre Reihen öffneten; Gilbert schlüpfte, gefolgt von Billot und Pitou, hinter dem Reiter durch, während dieser wiederholt ausrief:

Geben Sie Raum, meine Herren, geben Sie Raum! Platz im Namen des Königs, meine Herren, Platz!

Gilbert kam bald an den Schlag des königlichen Wagens, der im Ochsenschritte fuhr, der Ochsen aus der merovingischen Zeit.

 


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