Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 2
Alexander Dumas

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Der Rat.

Der König trat nach seiner Gewohnheit lebhaft und zugleich schwerfällig ein.

Er hatte eine geschäftige, neugierige Miene, die seltsam mit der eisigen Strenge in der Haltung der Königin kontrastierte.

Die frische Farbe hatte den König nicht verlassen. Er war frühzeitig aufgestanden, und das Gefühl guter Gesundheit, das er mit der Morgenluft eingeschlürft, machte ihn ganz stolz; er atmete geräuschvoll und trat mit dem Fuß sehr kräftig auf dem Boden auf.

Der Doktor? sagte er, was ist aus dem Doktor geworden?

Guten Tag, Sire. Wie geht es Ihnen heute? Sind Sie sehr müde?

Ich habe sechs Stunden geschlafen, das ist meine Zeit. Ich befinde mich sehr wohl. Der Geist ist scharf. Sie sind ein wenig bleich, Madame. Der Doktor, man hat mir gesagt, Sie haben ihn zu sich gerufen?

Hier ist der Doktor Gilbert, erwiderte die Königin, während sie die Fenstervertiefung enthüllte, in welcher der Doktor bis zu diesem Augenblick verborgen gewesen war.

Die Stirne des Königs klärte sich sogleich auf.

Ah! ich vergaß! sagte er. Sie haben den Doktor gerufen; Sie sind also leidend.

Die Königin errötete.

Sie erröten? rief Ludwig XVI.

Sie wurde purpurrot.

Abermals ein Geheimnis? sagte der König.

Welches Geheimnis, mein Herr? unterbrach ihn die Königin mit Stolz.

Sie verstehen mich nicht, ich sage Ihnen, Sie, die Sie Ihre Lieblingsärzte haben, konnten den Doktor Gilbert nicht rufen, ohne den bewußten Wunsch . . .

Welchen Wunsch meinen Sie?

Den, es immer zu verbergen, wenn Sie leiden.

Ah! machte die Königin, ein wenig beruhigt.

Ja, fuhr Ludwig XVI. fort, doch nehmen Sie sich in acht, Herr Gilbert gehört zu meinen Vertrauten, und wenn Sie ihm etwas erzählen, so wird er es mir berichten.

Gilbert lächelte.

Was das betrifft, nein, Sire, sagte er.

Gut, so verdirbt die Königin meine Leute.

Marie Antoinette ließ jenes kurze erstickte Lachen hören, das nur bedeutet, daß man das Gespräch abbrechen will, oder daß man es sehr langweilig findet.

Gilbert begriff, der König begriff nicht.

Hören Sie, Doktor, sprach er, da es die Königin belustigt, erzählen Sie mir, was sie Ihnen sagte.

Ich fragte den Doktor, unterbrach ihn Marie Antoinette, warum Sie ihn so frühzeitig gerufen haben. Ich gestehe in der That, daß seine Gegenwart in Versailles schon am frühen Morgen mich neugierig macht und beunruhigt.

Ich erwartete den Doktor, um über Politik mit ihm zu reden, erwiderte der König, während seine Miene sich verfinsterte.

Ah! sehr gut, sprach die Königin.

Und sie setzte sich, als wollte sie zuhören.

Kommen Sie, Doktor, sagte der König, indem er sich nach der Thüre wandte.

Gilbert verbeugte sich tief vor der Königin und schickte sich an, Ludwig XVI. zu folgen.

Wohin gehen Sie? rief die Königin; wie! Sie entfernen sich?

Wir haben nicht über sehr heitere Dinge zu reden, Madame, und es ist besser, wir machen der Königin eine Sorge weniger.

Sie nennen Sorgen Schmerzen! rief majestätisch die Königin.

Ein Grund mehr, meine Teure.

Bleiben Sie, ich will es haben, sprach Marie Antoinette. Herr Gilbert, ich denke, Sie werden mir nicht ungehorsam sein.

Herr Gilbert! rief der König sehr unwillig.

Nun! was?

Ei! Herr Gilbert! der mir einen Rat geben, der frei und nach seinem Gewissen mit mir sprechen sollte, Herr Gilbert wird hier Anstand nehmen.

Warum denn? versetzte die Königin.

Weil Sie da sein werden, Madame.

Gilbert machte eine eigentümliche Geberde, der die Königin sogleich eine wichtige Bedeutung beilegte.

In welcher Hinsicht, sagte sie, um ihn zu unterstützen, in welcher Hinsicht wird Herr Gilbert Gefahr laufen, mir zu mißfallen, wenn er nach seinem Gewissen spricht?

Das ist leicht zu begreifen, Madame, erwiderte der König: Sie haben Ihre eigene Politik; sie ist nicht immer die unsre . . . so daß . . .

So daß Herr Gilbert – Sie sagen mir das klar – in seinen Ansichten sehr weit von meiner Politik abweicht.

Nach den Ideen, Madame, die Eure Majestät als die meinigen kennt, ist das nicht anders möglich. Nur darf Eure Majestät versichert sein, daß ich die Wahrheit eben so frei vor ihr, als in Gegenwart des Königs allein sagen werde.

Ah! das ist schon etwas, sprach Marie Antoinette.

Die Wahrheit ist nicht immer gut zu sagen, murmelte Ludwig XVI.

Wenn sie nützlich ist? versetzte Gilbert.

Oder auch nur auf einer guten Absicht beruht, fügte die Königin bei.

Was das betrifft, so werden wir nicht daran zweifeln, sprach der König. Doch wenn Sie vernünftig wären, Madame, so würden Sie dem Doktor die volle Redefreiheit lassen, die mir gegenwärtig Bedürfnis ist.

Sire, erwiderte, Gilbert, da die Königin die Wahrheit selbst herausfordert, da ich weiß, daß der Geist Ihrer Majestät edel und mächtig genug ist, um sie nicht zu fürchten, so spreche ich lieber vor meinen beiden Souveräns.

Sire, sagte die Königin, ich bitte darum.

Ich hege Vertrauen zu der Weisheit Eurer Majestät, sprach Gilbert, indem er sich vor der Königin verbeugte. Es handelt sich um das Glück und den Ruhm Seiner Majestät des Königs.

Sie haben recht, wenn Sie Vertrauen hegen, versetzte die Königin. Fangen Sie an, mein Herr.

Alles das ist sehr schön, entgegnete der König, der seiner Gewohnheit nach hartnäckig wurde; aber die Frage ist zarter Natur, und ich weiß, Madame, daß Sie in Bezug auf meine Person mich sehr beengen werden.

Die Königin konnte sich einer Bewegung der Ungeduld nicht erwehren; sie stand auf und setzte sich dann wieder, ihren raschen, kalten Blick in den Geist des Doktor tauchend.

Ludwig XVI., als er sah, daß ihm kein andres Mittel blieb, um der ordentlichen und außerordentlichen Folter zu entgehen, setzte sich mit einem schweren Seufzer in einen Lehnstuhl Gilbert gegenüber.

Um was handelt es sich? fragte die Königin, nachdem sich diese Art Ratsversammlung konstituiert und installiert hatte.

Gilbert schaute den König zum letztenmal an, als wollte er ihn um Vollmacht bitten, ohne Zwang sprechen zu dürfen.

Immerzu, mein Gott, immerzu, mein Herr, da es die Königin will, sagte Ludwig XVI.

Wohl denn, Madame, sagte der Doktor, ich werde mit wenigen Worten Eure Majestät von dem Zwecke meines frühzeitigen Besuches in Versailles unterrichten. Ich kam, um Seiner Majestät zu raten, sich nach Paris zu begeben.

Ein Funke, der auf die vierhundert Centner Pulver, die damals das Stadthaus enthielt, gefallen wäre, hätte nicht die Explosion hervorgebracht, die diese Worte im Herzen der Königin bewirkten.

Der König nach Paris! der König! ah!

Und sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus, der Ludwig XVI. beben machte.

Da haben Sie es, sprach der König, Gilbert anschauend; was sagte ich Ihnen, Doktor?

Der König, fuhr Marie Antoinette fort, der König in einer Stadt, die in der Empörung begriffen ist! Der König mitten unter Heugabeln und Sensen! Der König unter diesen Menschen, welche die Schweizer niedergemetzelt, Herrn de Launay und Herrn von Flesselles ermordet haben! der König über den Platz vor dem Stadthause hinschreitend und im Blute seiner Verteidiger watend! . . . Sie sind ein Wahnsinniger, mein Herr, daß Sie so gesprochen! Oh! ich wiederhole Ihnen, Sie sind ein Wahnsinniger.

Gilbert schlug die Augen nieder wie ein Mensch, den der Respekt zurückhält; doch er erwiderte nicht ein Wort.

Bis in die Tiefe seiner Seele bewegt, drehte sich der König in seinem Lehnstuhle hin und her, wie ein Gefolterter auf dem Rost der Inquisitoren.

Ist es möglich! fuhr die Königin fort, ist es möglich, daß eine solche Idee in einem verständigen Kopf, in einem französischen Herzen Raum gefunden hat? Wie, mein Herr, Sie wissen also nicht, daß Sie mit dem Nachfolger des heiligen Ludwig, mit dem Urenkel von Ludwig XIV. sprechen?

Der König stieß mit dem Fuß auf den Teppich.

Ich denke indessen nicht, fuhr Marie Antoinette abermals fort, ich denke nicht, daß Sie den König des Beistands seiner Garden und seines Heeres berauben wollen; daß Sie ihn aus seinem Palaste, der eine Festung ist, zu locken suchen, um ihn allein und nackt seinen erbittertsten Feinden preiszugeben; Sie haben nicht den Wunsch, den König ermorden zu lassen, nicht wahr, Herr Gilbert?

Wenn ich glauben könnte, Eure Majestät hege nur einen Augenblick den Gedanken, ich sei eines solchen Verrates fähig, so wäre ich nicht ein Wahnsinniger, sondern würde mich als einen Elenden betrachten. Doch, Gott sei Dank, Sie glauben das ebensowenig als ich; nein, ich bin gekommen, um meinem König einen Rat zu geben, weil ich den Rat für gut und sogar für besser als jeden andern halte.

Die Königin preßte ihre Finger auf ihrer Brust so krampfhaft zusammen, daß der Batist unter dem Drucke krachte.

Mit einer leichten Bewegung der Ungeduld zuckte der König die Achseln.

Um Gottes willen! sagte er, hören Sie ihn doch an, Madame; es wird immer noch Zeit sein, nein zu sagen, wenn Sie ihn gehört haben.

Der König hat recht, Madame, sprach Gilbert; denn was ich Eurer Majestät zu sagen habe, wissen Sie nicht; Sie glauben sich inmitten einer sicheren, ergebenen Armee, einer Armee, bereit, für Sie zu sterben – Irrtum; unter den französischen Regimentern konspiriert die Hälfte mit den Männern der Wiedergeburt für die revolutionäre Idee.

Mein Herr, rief die Königin, nehmen Sie sich in acht. Sie beschimpfen die Armee.

Ganz im Gegenteil, Madame, erwiderte Gilbert, ich spende ihr Lob. Man kann seinen König achten und seinem König ergeben sein, während man zugleich sein Vaterland liebt und der Freiheit ergeben ist.

Die Königin schleuderte auf Gilbert einen Blick, ähnlich dem flammenden Blitz.

Mein Herr, rief sie, diese Sprache . . .

Ja, diese Sprache verletzt Sie, Madame, ich begreife das; denn aller Wahrscheinlichkeit nach hört sie Eure Majestät zum erstenmal.

Man wird sich wohl daran gewöhnen müssen, murmelte Ludwig XVI. mit dem fügsamen, gesunden Verstand, der seine Hauptstärke bildete.

Nie! rief Marie Antoinette, nie!

Hören Sie doch! hören Sie! rief der König; ich finde, daß das, was der Doktor sagt, ganz vernünftig ist.

Die Königin setzte sich zitternd nieder.

Gilbert fuhr fort:

Ich sagte, Madame, ich habe Paris gesehen, und Sie haben nicht einmal Versailles gesehen. Wissen Sie, was Paris in diesem Augenblick thun will?

Nein, erwiderte der König unruhig.

Es will vielleicht nicht zum zweitenmal die Bastille nehmen, versetzte die Königin mit Verachtung.

Sicherlich nicht, Madame, erwiderte Gilbert; aber Paris weiß, daß es eine andre Festung zwischen dem Volke und seinem König giebt. Paris hat im Sinne, die Abgeordneten der zwanzig Bezirke, die es bilden, zu versammeln und diese Abgeordneten nach Versailles zu schicken.

Sie mögen kommen, sie mögen kommen, rief die Königin mit einer wilden Freude. Oh! sie werden hier gut empfangen werden.

Warten Sie, Madame, entgegnete Gilbert, und nehmen Sie sich in acht, diese Abgeordneten werden nicht allein kommen.

Und mit wem werden sie kommen?

Sie werden kommen, unterstützt von zwanzigtausend Mann Nationalgarde.

Nationalgarde! versetzte die Königin, was ist das?

Oh! Madame, sprechen Sie nicht so leicht von diesem Institut, es wird eines Tags eine Macht werden, es wird binden und lösen.

Zwanzigtausend Mann! rief der König.

Ei! mein Herr, sprach die Königin, Sie haben hier zehntausend Mann, die soviel wert sind, als hunderttausend Empörer. Rufen Sie sie, sage ich Ihnen; die zwanzigtausend Schurken werden hier die Bestrafung und das Beispiel finden, wie es dieser ganze revolutionäre Auswurf nötig hat, den ich in acht Tagen ausfegen würde, wenn man nur eine Stunde auf mich hören wollte.

Gilbert schüttelte traurig den Kopf und erwiderte: Oh! Madame, wie täuschen Sie sich, oder wie hat man Sie vielmehr getäuscht. Ach! ach! bedenken Sie, den Bürgerkrieg durch eine Königin herausgefordert! Eine einzige hat das gethan, und sie hat den gräßlichen Beinamen: die Fremde mit ins Grab genommen.

Herausgefordert, von mir, mein Herr, wie verstehen Sie das? Habe ich ohne Herausforderung gegen die Bastille geschossen ?

Ei! Madame, sagte der König, statt zur Gewaltthätigkeit zu raten, hören Sie zuerst die Vernunft!

Die Schwäche!

Hören Sie, Antoinette, hören Sie, sprach der König mit strengem Tone, die Ankunft von zwanzigtausend Mann, die man wird hier mit Kartätschen niederschießen müssen, ist keine geringfügige Sache.

Dann sich an Gilbert wendend: Fahren Sie fort, – mein Herr.

Alle diese Gehässigkeiten, die sich durch die Entfernung erhitzen, alle diese Prahlereien, die bei Gelegenheit Mut werden; all dieses Gemenge einer Schlacht, deren Ausgang unsicher ist, ersparen Sie es dem König und sich selbst, Madame, sprach der Doktor; Sie können durch die Milde diese Ankunft zerstreuen, die Ihre Gewaltthätigkeiten vielleicht verstärken werden. Die Menge will zum König ziehen; kommen wir ihr zuvor, lassen Sie den König zu der Menge gehen; lassen Sie ihn umgeben, wie er es heute von seinem Heere ist, morgen eine Probe von Kühnheit und politischem Geist ablegen. Diese zwanzigtausend Mann, von denen wir sprechen, könnten vielleicht den König erobern. Lassen wir den König allein diese zwanzigtausend Mann erobern, denn diese zwanzigtausend Mann, Madame, die sind das Volk.

Der König konnte sich nicht enthalten, ein Zeichen des Beifalls zu geben, das Marie Antoinette nicht entging.

Unglücklicher, sagte sie zu Gilbert, Sie wissen also nicht, was die Gegenwart des Königs in Paris, unter den Bedingungen, wie Sie es verlangen, wird besagen wollen? Das will besagen: Ich billige . . . das will besagen: Ihr habt wohl daran gethan, meine Schweizer zu töten . . . das will besagen; Ihr habt wohl daran gethan, meine Offiziere niederzumetzeln, meine schöne Hauptstadt mit Feuer und Schwert zu verheeren; Ihr habt wohl daran gethan, mich zu entthronen! Ich danke, meine Herren, ich danke.

Und ein verächtliches Lächeln zog über die Lippen von Marie Antoinette.

Nein, Madame, erwiderte Gilbert, Eure Majestät täuscht sich, das wird nichts andres besagen, als: der Schmerz des Volkes hat einige Gerechtigkeit für sich. Ich habe verziehen, ich bin das Haupt und der König; ich bin an der Spitze der Revolution, wie sich einst Heinrich III. an die Spitze der Ligue gestellt hat. Eure Generale sind meine Offiziere; Eure Nationalgarden meine Soldaten; Eure Behörden meine Geschäftsführer; statt mich anzutreiben, folgt mir, wenn Ihr könnt. Die Größe meines Schrittes wird abermals beweisen, daß ich der König von Frankreich, der Nachfolger von Karl dem Großen bin.

Er hat recht, sagte der König traurig.

Oh! rief die Königin, ich flehe Sie an, hören Sie diesen Mann nicht, dieser Mann ist Ihr Feind.

Madame, sprach Gilbert, Seine Majestät wird Ihnen selbst sagen, was sie von meinen Worten denkt.

Ich denke, mein Herr, daß Sie bis jetzt der einzige gewesen sind, der es gewagt hat, mir die Wahrheit zu sagen, versetzte der König.

Die Wahrheit! rief die Königin. Oh! was sagen Sie mir da, großer Gott!

Ja, Madame, sprach Gilbert, und glauben Sie, die Wahrheit ist in diesem Augenblicke die einzige Fackel, deren Licht es verhindern kann, daß der Thron und das Königtum nicht in den Abgrund rollen.

Nachdem er so gesprochen, verbeugte sich Gilbert demütig bis auf die Kniee vor Marie Antoinette.

 


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