Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 2
Alexander Dumas

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Szene zu drei.

Andrée kam allmählich wieder zu sich, ohne zu erkennen, wer ihr Hilfe leistete, nur instinktartig begriff sie, daß man ihr beistand.

Ihr Körper erhob sich, ihre Hände klammerten sich an die unerwartete Stütze an, die sich ihr bot.

Doch ihr Geist erwachte nicht mit ihrem Körper; er blieb einige Augenblicke betäubt, schwankend, schlaftrunken.

Nachdem er es versucht hatte, sie zum physischen Leben zurückzurufen, beeiferte sich Herr von Charny, sie zum geistigen Leben zurückzurufen. Doch er strengte seine Kräfte nur gegen einen konzentrierten Irrsinn an.

Endlich hefteten sich die offenen, aber stieren Augen auf ihn, und mit einem Reste von Delirium gab Andrée, ohne den Mann zu erkennen, der sie unterstützte, einen Schrei von sich und stieß ihn hart zurück.

Während dieser ganzen Zeit wandte die Königin den Blick ab, sie, deren Aufgabe es gewesen wäre, die Schwache zu stärken, zu trösten.

Charny hob Andrée in seinen kräftigen Armen auf, obgleich sie sich zur Wehr zu setzen suchte, wandte sich gegen die Königin um, die immer noch steif und eiskalt da stand, und sagte:

Verzeihen Sie, Madame . . . es hat sich ohne Zweifel etwas Außerordentliches ereignet. Frau von Charny hat nicht die Gewohnheit, in Ohnmacht zu fallen, und es ist heute das erstemal, daß ich sie des Bewußtseins beraubt sehe.

Sie muß also sehr leiden, sagte die Königin, zu der dumpfen Idee zurückkehrend, Andrée habe das ganze Gespräch mit angehört.

Ja, ohne Zweifel leidet sie, erwiderte der Graf, und darum bitte ich Eure Majestät um Erlaubnis, sie in ihre Wohnung bringen zu lassen. Sie bedarf der Pflege ihrer Frauen.

Thun Sie das, sprach die Königin, die Hand nach einer Klingel ausstreckend.

Doch als das Glöckchen ertönte, erstarrte Andrée und rief in ihrem Wahnwitz:

Oh! Gilbert! dieser Gilbert!

Bei diesem Namen bebte die Königin, und der Graf legte erstaunt seine Frau auf ein Sopha.

In diesem Augenblick trat der herbeigerufene Diener ein.

Nichts, sagte die Königin; und sie winkte ihm mit der Hand, daß er sich entferne.

Als sie allein waren, schauten der Graf und die Königin einander an. Andrée hatte die Augen wieder geschlossen und schien von einer neuen Krise befallen.

Herr von Charny kniete am Sopha und hielt sie darauf fest.

Gilbert, wiederholte die Königin, was für ein Name ist das?

Man müßte sich erkundigen.

Ich glaube, ich kenne ihn, sagte Marie Antoinette; ich glaube, es ist nicht das erstemal, daß ich die Gräfin diesen Namen aussprechen höre.

Doch als ob sie von dieser Erinnerung der Königin bedroht worden wäre, als ob diese Drohung sie mitten aus ihren Konvulsionen zurückgeholt hätte, öffnete Andrée die Augen, streckte die Arme zum Himmel aus und richtete sich mit einer Anstrengung völlig auf.

Ihr erster Blick, diesmal ein verständiger Blick, wandte sich Herrn von Charny zu, den sie erkannte und mit einer liebkosenden Flamme umhüllte.

Dann, als ob diese unwillkürliche Kundgebung ihres Gedankens ihrer spartanischen Seele unwürdig gewesen wäre, wandte Andrée die Augen ab und erblickte die Königin.

Sie verneigte sich sogleich.

Oh! mein Gott, was haben Sie denn, Madame? fragte Herr von Charny; Sie haben mich erschreckt. Sie, sonst so stark, so mutvoll, sind einer solchen Ohnmacht preisgegeben?

Mein Herr, erwiderte sie, es gehen in Paris so erschreckliche Dinge vor, daß, wenn die Männer zittern, die Frauen wohl in Ohnmacht fallen können. Sie haben Paris verlassen? Oh! Sie haben wohl daran gethan.

Großer Gott! Gräfin, sagte Charny mit dem Tone des Zweifels, sollten Sie meinetwegen all dies Schlimme erlitten haben?

Andrée schaute abermals ihren Gatten und die Königin an, antwortete jedoch nicht.

Gewiß, Graf, das ist es, warum sollten Sie daran zweifeln? versetzte Marie Antoinette. Die Frau Gräfin ist nicht Königin, sie hat das Recht, für ihren Mann Furcht zu hegen.

Charny fühlte die unter diesen Worten verborgene Eifersucht.

Oh! Madame, sagte er, ich bin fest überzeugt, daß die Gräfin noch mehr für ihre Königin, als für mich bange hat.

Aber Gräfin, warum und wie haben wir Sie ohnmächtig in diesem Kabinett gefunden? fragte Marie Antoinette.

Oh! es wäre mir unmöglich, das zu erzählen, Madame. Ich weiß es selbst nicht; doch bei diesem Leben der Beschwerlichkeiten, der Schrecken und der Gemütsbewegungen, das wir seit drei Tagen führen, ist, wie mir scheint, nichts natürlicher, als die Ohnmacht einer Frau.

Das ist wahr, murmelte die Königin, die bemerkte, daß Andrée die Absicht habe, sich in ihrer Zurückhaltung keinen Zwang gefallen zu lassen.

Aber, sprach Andrée mit der seltsamen Ruhe, die sie nicht verließ, sobald sie wieder Herrin ihres Willens geworden war, und die in schwierigen Umständen um so peinlicher wurde, als man leicht sah, sie sei nur Maske, und bedecke völlig menschliche Gefühle, aber Eure Majestät hat ganz feuchte Augen.

Und diesmal glaubte der Graf in den Worten seiner Frau den ironischen Ausdruck zu finden, den er einen Augenblick zuvor in den Worten der Königin bemerkt hatte.

Madame, sagte er zu Andrée mit einer leichten Strenge, bei der man fühlte, daß seine Stimme nicht daran gewöhnt war, man darf sich nicht wundern, daß die Königin Thränen in den Augen hat; die Königin liebt ihr Volk, und das Blut des Volkes ist geflossen.

Gott hat zum Glück das Ihrige verschont, mein Herr, versetzte Andrée, immer gleich kalt, immer gleich unerforschlich.

Ja, doch es handelt sich nicht um Ihre Majestät, sondern um Sie, Madame! kommen wir also auf Sie zurück, die Königin erlaubt es?

Marie Antoinette nickte beistimmend mit dem Kopf.

Sie haben bange gehabt, nicht wahr?

Ich?

Sie haben gelitten, leugnen Sie es nicht! es ist Ihnen ein Unfall begegnet, welcher? ich weiß es nicht, doch Sie werden es uns sagen.

Sie irren sich, mein Herr.

Sie haben sich über jemand, über einen Mann zu beklagen gehabt?

Andrée erbleichte.

Ich habe mich über niemand zu beklagen gehabt, ich komme vom König.

Unmittelbar?

Unmittelbar. Ihre Majestät kann sich erkundigen.

Wenn es sich so verhält, so hat die Gräfin recht, sagte Marie Antoinette. Der König liebt sie zu sehr und weiß, daß ich ihr zu sehr gewogen bin, um ihr in irgend einer Hinsicht unverbindlich begegnet zu sein.

Aber Sie haben einen Namen ausgesprochen, versetzte Charny beharrlich.

Einen Namen?

Ja, als Sie wieder zu sich kamen.

Andrée schaute die Königin an, als wollte sie dieselbe zu sich rufen; aber, sei es nun, daß die Königin sie nicht verstand oder nicht verstehen wollte, erwiderte sie der Gräfin:

Ja, Sie haben den Namen Gilbert ausgesprochen.

Gilbert! Ich habe den Namen Gilbert ausgesprochen! rief Andrée mit einem Ausdruck so voll Schrecken, daß sich der Graf mehr von diesem Schrei betroffen fühlte, als er es von der Ohnmacht gewesen war.

Ja, sagte er, Sie haben diesen Namen ausgesprochen.

Ah! wahrhaftig, erwiderte Andrée, das ist seltsam.

Allmählich, wie sich der Himmel nach dem Blitze wieder schließt, nahm die Physiognomie der jungen Frau, die bei dem unseligen Namen so gewaltig verstört ausgesehen hatte, wieder ihre Reinheit und Ruhe an, und nur einige Muskeln dieses schönen Gesichts bebten noch fort, wie wenn am Horizont die letzten Zeichen des Sturmes verschwinden.

Gilbert, wiederholte sie, ich weiß es nicht.

Ja, Gilbert, sagte die Königin. Suchen Sie, meine liebe Andrée.

Aber, Madame, sprach der Graf zu Marie Antoinette, wenn das nur Zufall und dieser Name der Gräfin ganz fremd ist?

Nein, erwiderte Andrée; nein, er ist mir nicht fremd. Es ist der eines gelehrten Mannes, eines geschickten Arztes, welcher, glaube ich, von Amerika ankommt und dort mit Herrn von Lafayette in Verbindung stand.

Nun? fragte der Graf.

Nun! wiederholte Andrée auf eine vollkommen natürliche Weise, ich kenne ihn nicht persönlich, aber es soll ein sehr ehrenwerter Mann sein.

Warum dann diese Bewegung, liebe Gräfin? fragte die Königin.

Diese Bewegung? Bin ich bewegt gewesen?

Ja, es war, als empfänden Sie, indem Sie diesen Namen aussprachen, eine Qual.

Das ist möglich; vernehmen Sie, was geschehen ist: ich traf im Kabinett des Königs einen schwarzgekleideten Mann, einen Mann mit strengem Gesicht, der von düsteren, erschrecklichen Dingen sprach; er erzählte mit einer gräßlichen Wirklichkeit die Ermordungen des Herrn de Launay und des Herrn von Flesselles. Ich bin darüber erschrocken und in Ohnmacht gefallen, wie Sie gesehen. Dann habe ich vielleicht gesprochen; dann habe ich vielleicht den Namen dieses Herrn Gilbert genannt.

Das ist möglich, wiederholte Herr von Charny, offenbar geneigt, das Verhör nicht weiter zu treiben; doch zu dieser Stunde sind Sie beruhigt, nicht wahr?

Vollkommen.

Dann will ich Sie um eines bitten, Herr Graf, sagte die Königin. Suchen Sie die Herren von Bezenval, von Broglie und von Lambescq auf, sagen Sie ihnen, sie sollen ihre Truppen in ihren gegenwärtigen Stellungen kantonieren lassen, der König werde morgen im Rate sehen, was zu thun ist.

Der Graf verbeugte sich, doch im Begriff, wegzugehen, warf er einen letzten Blick auf Andrée.

Dieser Blick war voll liebreicher Besorgnis.

Er entging der Königin nicht.

Gräfin, sagte sie, kehren Sie nicht mit mir zum König zurück?

Nein, Madame, nein, antwortete Andrée lebhaft.

Warum nicht?

Ich bitte Eure Majestät um die Erlaubnis, mich in meine Wohnung zurückziehen zu dürfen; die Gemütsbewegungen, die ich erlitten habe, lassen mich das Bedürfnis nach Ruhe fühlen.

Seien Sie offenherzig, Gräfin, sagte Marie Antoinette, haben Sie etwas mit dem König?

Oh! nichts, Madame, durchaus nichts.

Oh! sprechen Sie, wenn dies der Fall ist. Der König schont meine Freunde nicht immer.

Der König ist wie gewöhnlich voll Güte gegen mich, aber . . .

Aber es ist Ihnen ebenso lieb, ihn nicht zu sehen, nicht wahr? Es steckt offenbar etwas dahinter, Graf, sagte die Königin mit einer geheuchelten Heiterkeit.

In diesem Augenblick schaute Andrée die Königin so ausdrucksvoll, so flehend, so voll von Offenbarungen an, daß Marie Antoinette begriff, es sei Zeit, diesen kleinen Krieg zu beendigen.

In der That, Gräfin, sagte sie, lassen wir Herrn von Charny den Auftrag besorgen, den ich ihm gegeben habe, und gehen Sie in Ihre Wohnung oder bleiben Sie hier, wie es Ihnen beliebt.

Ich danke, Madame, erwiderte Andrée.

Gehen Sie also, Herr von Charny, fuhr Marie Antoinette fort, während sie den Ausdruck von Dankbarkeit, der sich auf dem Gesichte von Andrée verbreitete, bemerkte.

Diesen Ausdruck bemerkte der Graf nicht; er nahm seine Frau bei der Hand und wünschte ihr Glück zu der Wiederkehr ihrer Kräfte und ihrer Farbe.

Dann verbeugte er sich mit tiefer Ehrfurcht vor der Königin und ging weg.

Während er aber wegging, kreuzte er einen letzten Blick mit Marie Antoinette.

Der Blick der Königin sagte: Kommen Sie schnell zurück.

Der des Grafen antwortete: So schnell als ich kann.

Andrée folgte stöhnend, mit gepreßter Brust jeder Bewegung des Grafen.

Sie schien mit ihren Wünschen diesen langsamen, edlen Gang zu beschleunigen, der ihn der Thüre näher brachte, sie trieb ihn mit aller Macht ihres Willens hinaus.

Sobald er die Thüre hinter sich hatte, verschwanden auch alle Kräfte, die Andrée zu Hilfe gerufen, um der Lage die Stirne zu bieten; ihr Gesicht erbleichte, ihre Beine wankten unter ihr, und sie sank in einen Lehnstuhl, der sich in ihrer Nähe fand, während sie es versuchte, sich bei der Königin wegen dieses Verstoßes gegen die Etikette zu entschuldigen.

Die Königin lief an den Kamin, nahm einen Flacon mit Riechsalz und ließ Andrée daran riechen: die junge Frau kam diesmal mehr durch die Macht ihres Willens, als durch die Wirksamkeit der Pflege zu sich, die sie von einer königlichen Hand erhielt.

Es waltete in der That etwas Seltsames zwischen diesen zwei Frauen ob. Die Königin schien Andrée wohlgewogen zu sein, Andrée hegte eine tiefe Ehrfurcht für die Königin, und nichtsdestoweniger schienen sie in gewissen Augenblicken nicht eine wohlgewogene Königin, nicht eine ergebene Dienerin, sondern zwei Feindinnen zu sein.

Ihr allmächtiger Wille hatte auch, wie gesagt, Andrée bald ihre Stärke wiedergegeben. Sie erhob sich, schob ehrerbietig die Hand der Königin auf die Seite, neigte den Kopf vor ihr und sagte: Eure Majestät hat erlaubt, daß ich mich in mein Zimmer zurückziehe.

Ja, allerdings, und Sie sind immer frei, liebe Gräfin, Sie wissen es wohl: die Etikette ist nicht für Sie gemacht. Aber haben Sie mir nicht etwas zu sagen, ehe Sie sich entfernen?

Nein, in welcher Beziehung?

In Beziehung auf Herrn Gilbert, dessen Anblick einen so starken Eindruck auf Sie gemacht hat.

Andrée bebte, schüttelte aber nur, ein Leugnen bezeichnend, den Kopf.

Dann halte ich Sie nicht zurück, liebe Gräfin, Sie sind frei.

Und die Königin machte einen Schritt, um in das an ihr Zimmer anstoßende Kabinett zu gehen.

Andrée aber schritt, nachdem sie vor der Königin eine tadellose Verneigung gemacht hatte, auf die Ausgangsthüre zu.

Doch in dem Augenblick, wo sie öffnen wollte, erschollen Tritte im Korridor, und eine Hand legte sich auf den äußeren Drücker der Thüre.

Zu gleicher Zeit vernahm man die Stimme von Ludwig XVI., der seinem Kammerdiener für die Nacht Befehle gab.

Der König! Madame! sagte Andrée, während sie mehrere Schritte rückwärts that; der König!

Nun! ja, der König! erwiderte Marie Antoinette. Macht er Ihnen dergestalt bange?

Madame, in des Himmels Namen, rief Andrée, daß ich den König nicht sehe, daß ich mich ihm wenigstens heute abend nicht gegenüber befinde; ich würde vor Scham sterben.

Aber Sie werden mir doch sagen . . .

Alles, alles, wenn es Eure Majestät verlangt. Doch verbergen Sie mich.

Treten Sie in mein Boudoir ein, sprach Marie Antoinette, Sie werden es verlassen, sobald der König weggegangen ist. Seien Sie unbesorgt, Ihre Gefangenschaft wird nicht lange währen; der König bleibt nie lange hier.

Oh! Dank! Dank! rief die Gräfin.

Und sie eilte in das Boudoir und verschwand in dem Augenblick, als der König, die Thüre öffnend, auf der Schwelle des Zimmers erschien.

Der König trat ein.

 


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