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XVII. Babels Taumelkelch

Offb. 18, 2.

An einem sonnig klaren Herbsttage hockten im Schatten der Platanen des Bebeker Kaffeegartens am Ufer des Bosporus zwei junge Männer auf den üblichen Schemeln mit strohgeflochtenem Sitz beim Würfelspiel. Zwischen ihnen war ein niedriger kleiner Tisch mit einem großen messingenen runden Kaffeebrett aufgestellt, auf dem ihre winzigen Kaffeetäßchen standen und die Würfel rollten. Leise strich der kühle Nordwind unter den Baumkronen dahin, zwischen denen das schlanke weiße Minaret der an den Garten grenzenden Moschee hindurchleuchtete. Sie schienen beide etwa 18 Jahre zu zählen und trugen europäische Kleidung, der Kopf war vom türkischen Fez bedeckt.

Plötzlich warf der eine von ihnen zornig die Würfel hin und rief: »Ich spiele nicht mehr mit dir, denn du betrügst mich jedesmal, Achmed.«

»Hol' dich der Scheïtan, Aladdin! Ein Betrüger soll ich sein? Und was bist denn du? Ich will es dir sagen: Ein Feigling bist du, ein ganz jämmerlicher Feigling. Du hast ja noch nicht die geringste Anstalt getroffen, um deinen erschossenen Bruder zu rächen!«

»An wem soll ich ihn denn rächen? Der ihn erschossen hat, ist fern von hier, in Moskau.«

»Ach, dein Verstand ist wohl umnebelt? Dieser Russe war doch nur das Werkzeug. So viel wirst du doch wohl begreifen können, daß deine frühere Schwägerin und ihr Bruder natürlich die Anstifter waren. Das weißt du auch – du bist eben nur feige. Die Feigheit ist um Ausreden nie verlegen. Die ganze Zeit – es ist nun fast 1½ Jahre her – habe ich still darauf gewartet, wie du die Ehre deines Hauses rächen wirst, aber nichts ist geschehen. Beim Barte des Propheten, du bist nicht wert, ein Moslem zu heißen!«

Aladdin saß da wie ein geprügelter Schuljunge. Nach einer Weile sagte er: »Nun, noch ist nichts verloren. Du mußt nicht so ungeduldig sein! Du kennst doch das Sprichwort: ›Die Eile ist vom Scheïtan, die Ruhe von Gott.‹ Mein Bruder soll nicht ungerächt bleiben.«

»Inschallah« So Gott will. erwiderte Achmed, »die Zukunft wird es ja lehren.«

Die beiden jungen Leute standen auf und schlenderten ihren Häusern zu.

Auch in Konstantinopel waren die Gesetze zum Schutze des Weltstaates veröffentlicht worden. Zwar hatte die Regierung der Freistadt, dieser kapitalistischen Insel im kommunistischen Völkermeere, kein sonderliches Interesse an einer Christenverfolgung. Aber da das Weltkapital hier die unumschränkte Macht hatte, sah es mit sozialen Gesetzen zum Besten der arbeitenden Klasse noch übler aus wie unter dem türkischen Regiment, und es hatte sich ein Zündstoff der Erregung und Verbitterung unter den Besitzlosen angesammelt, der bedrohlich erschien. Da kam es der Regierung sehr gelegen, daß die Gesetze ihr einen Blitzableiter für den Volkszorn verschafften. In Konstantinopel brauchte es ja nur einer Andeutung der Regierenden, daß die Christen an den Zuständen schuld seien, so pflegte sich der türkische und kurdische Pöbel auf die eingeborenen Christen, insbesondere die Armenier, zu stürzen. Die Griechen waren in den Gesetzen ausdrücklich ausgenommen und so geschah es, daß wieder einmal ein Armeniermassaker nach altem Rezept veranstaltet wurde. Nach Verlauf von zwei Tagen lagen gegen 10 000 ermordete Armenier auf den Straßen und in den geplünderten armenischen Häusern. Babel war wieder einmal trunken vom Blute der Christen, wie in vergangenen Zeiten. Offb. 17, 6. Weiteres Blutvergießen wünschte die Regierung nicht, ebensowenig ein Aufspüren der Christen. Nur wer angezeigt wurde, sollte nach Maßgabe der Gesetze behandelt werden. Gegen Ausländer wurde das Gesetz nur äußerst selten angewandt, und eigentlich nur, wenn jemandem daran lag, mit Hilfe des Gesetzes einen unbequemen Konkurrenten zu beseitigen oder einen Racheakt auszuüben.

Hasso und Hertha hatten mit ernster Sorge um ihre Lieben in Berlin den Gang der Ereignisse in Deutschland verfolgt. Die Vertreibung der Eltern und Geschwister aus dem Pfarrhause, ihr Hausen in der Sandhöhle vor der Stadt, ihre bittere Not und endlich der Heimgang der Mutter hatten sie tief erschüttert. Am liebsten wären sie schon längst nach Berlin gereist, aber Arno riet dringend davon ab, da sie doch niemandem etwas nützen, nur sich selbst in Gefahr bringen könnten.

Für Hertha kam noch eine besondere Kümmernis hinzu. Daß der Mann, der sie liebte, in seinem Fanatismus es fertig gebracht hatte, die kirchenzerstörenden Gesetze mit seinem Namen zu zeichnen, bedeutete für sie eine ernste Krisis ihres Seelenlebens. In dem Bestreben, ihr Herz nun endgültig von ihm loszureißen, geriet sie in eine Bitterkeit und Menschenverachtung hinein, die scharfe Linien auf ihrem schönen Antlitz hinterließen. Dadurch litt auch ihr Glaubensleben Not. Die Freude an Gottes Wort und am Gebet nahm ab.

Doch die Nachricht, daß Joseph vor Erlaß der verschärften Gesetze sein Staatssekretariat für Kulturangelegenheiten des Weltbundes niedergelegt, hatte ihr Herz wieder mit froher Hoffnung erfüllt, um so mehr, als die Kunde von den Ereignissen bei der Einweihung des Tempels und von der Übergabe des Tempels an die christusgläubigen Juden durch den Statthalter Joseph Silberstein zwar nicht durch die streng zensierte Presse, wohl aber gerüchtweise durch den alten Benjamin zu ihnen gedrungen war.

Eines Tages war sie mit Hasso auf einem Spaziergange nach Rumeli Hissar. Es hat einen eigenen Reiz, zwischen dem Gemäuer der alten »Genueser Festung« herumzuklettern. Kleine malerische, oft recht baufällige Holzhäuschen tauchen überall zwischen den sich am Berge hinaufziehenden breiten Mauern auf, von denen das Gebüsch der Feigen herunterhängt und in deren Ritzen der Mauerpfeffer und der rote Löwenzahn um die Vorherrschaft ringen. Für Kinder ist es ein Paradies; die zahllosen Stufen, leeren Mauerfenster, die Türme, die dazwischen wachsenden Zypressen und Pinien, die Abhänge zum Wasser herunter, das alles gibt dem kindlichen Spieltriebe immer wieder neue Anregung. Darum findet man dort auch fast zu jeder Tages- und Jahreszeit eine große Zahl Kinder, besonders Knaben.

Als Hasso und Hertha sich durch das Mauerlabyrinth hindurchwanden, wurde Hasso plötzlich von einem Steinwurf getroffen, und eine Knabenstimme rief: »Gjaur!« Gleich darauf traf ein Stein Hertha ins Gesicht, so daß sie blutete, und eine Meute von Jungen wiederholte den Ruf: »Gjaur, Gjaur!« Da griff Hasso sich zwei der Buben heraus und gab ihnen eine tüchtige Tracht Prügel mit seinem Stocke. Volk hatte sich inzwischen angesammelt. Ein Türke trat hervor und rief in drohendem Ton: »Was fällt dir ein, mein Kind zu schlagen?«

»Warum wirft der Bengel uns mit Steinen?«

Da sah Hasso, wie Alladin hinter dem Mann auftauchte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.

»Was macht ihr euch so breit in unserem Lande, ihr Gjaurs, ihr Christenhunde?« schrie der Türke, und sich an das Volk wendend: »Seht, das sind nicht nur Feinde des Propheten, es sind auch Feinde der Menschheit. Sie tragen kein Abzeichen! Seid ihr nicht Christen?«

»Ja wir sind Christen und wünschten nur, auch ihr würdet Christo die Ehre geben.«

Ein Polizeibeamter, der durch den Tumult herbeigelockt worden war, hatte die letzten Worte gehört. Er legte Hand an Hasso und Hertha und sagte: »Auf Grund des Schutzgesetzes für den Weltstaat erkläre ich euch beide für verhaftet.«

Die Geschwister mußten ihm zur Polizeiwache folgen und wurden von dort in das Untersuchungsgefängnis in Stambul gebracht. Die Regierung des Freistaates hatte die barbarische Justiz der Türkei in etwas gemildert. Die Gefängnisse sahen einigermaßen europäisch aus; es waren nicht mehr die bekannten scheußlichen Höhlen mit schleimigen Wänden und wimmelndem Ungeziefer.

Aber in einem Punkte hatte man es bei dem orientalischen Gebrauch belassen. Die menschenfreundliche abendländische Sitte, daß die Gefangenen auf Staatskosten unterhalten werden, war nach wie vor in Konstantinopel unbekannt. Wer nicht von Verwandten oder Bekannten unterhalten wurde oder sich nicht aus eigenen Mitteln unterhalten konnte, mußte eben verhungern. Dafür aber war andererseits der Verkehr der Gefangenen mit der Außenwelt nicht so beschränkt, wie es bei uns der Fall ist. Aus demselben Grunde konnte das Verbot des Schutzgesetzes, wonach niemand einen sogenannten »Hochverräter« speisen oder tränken durfte, hier nicht durchgeführt werden.

Die ersten Tage konnte Hasso die Beköstigung für sich und Hertha von dem Gelde bestreiten, das er bei sich hatte, wenn auch mindestens die Hälfte davon als Backschisch Trinkgeld. den Wärtern gegeben werden mußte. Es war den Geschwistern sehr schmerzlich, kein Wort miteinander reden zu können, aber es gelang Hasso einige Male, durch Besucher, die zu anderen Gefangenen derselben Station kamen, einen Zettel mit tröstenden Worten an Hertha gelangen zu lassen. Wieviel wert war ihm jetzt sein Neues Testament, das er immer bei sich trug!

Nach etlichen Tagen wurde die Angelegenheit der Geschwister vor dem Gericht verhandelt. Da beide kein Hehl machten aus ihrem christlichen Bekenntnis und ihrer Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche, wurden sie zu drei Jahren Kerker verurteilt. Hasso verzichtete darauf, bei dem deutschen Botschafter Schutz zu suchen, da er von vornherein überzeugt war, daß ein solcher Schritt erfolglos sein würde.

Beim Ausgang aus dem Verhandlungszimmer konnte Hasso Herthas Hand fassen und der Niedergeschlagenen einige ermunternde Worte zurufen.

In der Türkei und ebenso in der Freistadt Konstantinopel wurde kein Unterschied gemacht zwischen Untersuchungsgefängnis und Kerker. So wurden beide wieder in ihre bisherigen Gefängnisse zurückgebracht.

Drei Jahre Kerker im fremden Lande in Gemeinschaft mit rohen Verbrechern, die von Schmutz und Ungeziefer starrten, welche Aussicht! Hasso hatte sich mutig aufrecht gehalten; als aber die Kerkertür sich hinter ihm schloß, da sank er doch auf einen Holzschemel nieder und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Endlich fand er Trost im Gebet. Wie lange er so gesessen, wußte er nicht; da plötzlich hörte er seinen Namen rufen: »Hasso Effendi!« Der Schieber an der Kerkertür hatte sich geöffnet und durch die Öffnung sah er das bärtige Gesicht von Professor Reschad Bey.

»Armer, lieber Freund, so muß ich Sie wiedersehen! Wie haben wir Sie gesucht! Wir glaubten an einen Unfall. Erst als ich mich an die Hauptpolizei wandte, hörte ich von Ihrem Geschick!«

»Welche Freude für mich, daß Sie gekommen sind; haben Sie innigen Dank!«

»Ich wollte Ihnen vor allem sagen, daß ich es für selbstverständlich halte, daß die Schule Sie unterhält. Sie brauchen sich um Ihren Unterhalt keine Sorge zu machen. Der Bankbeamte, bei dem Ihre Schwester wohnt, hat auch Fürsorge getroffen, daß Ihrer Schwester nichts fehlen soll.«

Hassos Augen wurden feucht. »Das ist ja mehr als wir ahnen konnten! Wie sollen wir Ihnen danken? Der Herr wird es Ihnen vergelten; er hat ja selbst gesagt: ›Was ihr getan habt an den geringsten unter meinen Brüdern, das habt ihr mir getan‹.«

Reschad Bey mußte Hasso von der Schule und einzelnen Schülern erzählen und schnell flogen ihnen die Minuten dahin, die ihnen verstattet waren. Endlich reichte der Besucher Hasso einen Korb mit Essen durch den Schieber.

»Trotz aller Ihrer Güte hätte ich doch noch eine Bitte«, sagte Hasso, nachdem er sich bedankt, »und zwar für meine Schwester. Sie bedarf weiblichen Zuspruchs, weiblicher Hilfe. Würden Sie vielleicht die Güte haben, dem Schuhwarenhändler Basilides Effendi einen Gruß von mir zu bestellen mit der Bitte, ob vielleicht seine Tochter Elpis meine Schwester hin und wieder besuchen dürfte?«

Gerne versprach Reschad Bey die Bitte zu erfüllen. Dann verabschiedete er sich von Hasso und der Schieber wurde wieder geschlossen.

Mit Dank gegen Gott nahm Hasso die ihm dargebotenen Speisen zu sich. Schon am nächsten Tage wurde er wieder gerufen. Dieses Mal war es aber eine zarte Mädchenstimme. Elpis hatte sofort den ausgesprochenen Wunsch erfüllt und Hertha besucht. Sie ließ es sich nicht nehmen, auch Hasso zu begrüßen.

»Guten Tag, Hasso Effendi«, sagte sie etwas schüchtern auf griechisch, »Vater schickt mich zu fragen, wie es Euch geht?«

»Sage deinem Vater, daß ich Gott viel zu danken habe für seine liebreiche Durchhilfe.«

»Ihr würdet mich glücklich machen, wenn Ihr diese kleine Stärkung von mir annehmen möchtet.« Sie reichte ihm ein Paket Schokolade und Halwa durch den Schieber. Dann aber fügte sie schüchtern hinzu: »Und dieses hier für dunkle und schwere Stunden!«

Sie gab Hasso ein Kruzifix mit silbernem Korpus und ein buntes Christusbild mit flammendem Herzen.

Tief gerührt nahm Hasso diese beiden Gaben in Empfang, denn er erinnerte sich, das Kruzifix in ihrem Stübchen über ihrem Bett gesehen zu haben, als er sie damals nach dem Erdbeben im Verein mit ihrem Vater auf ihr Lager gelegt, und das Bild hatte sie als Mitglied der »Jungfrauenkongregation vom allerheiligsten Herzen Jesu« erhalten.

»Du gutes liebes Mädchen, nimm meinen innigsten Dank für deine Gaben, sie bringen Licht in meinen Kerker.«

»Darf ich wiederkommen?«

»Ja, und wie gerne! Wenn du kommst, wird es mir stets eine Freude sein.«

Und Hasso durfte diese Freude oft genießen. Wenn Elpis' holderglühendes Gesicht an dem geöffneten Schieber erschien, war es ihm jedesmal, als ob die Sonne hell in seinen Kerker strahlte. Die kleine Hand führte er oft an seine Lippen und hielt sie wohl zuweilen länger fest, als es nötig gewesen wäre. Hasso hatte bei seinen häufigen Besuchen im Hause von Basilides Effendi, bei der gemeinsamen Lektüre des Homer und des Neuen Testaments ja oft seine Freude an dem fröhlichen, frommen Mädchen gehabt, aber er hatte sie eigentlich nur als Kind angesehen. Näher war ihr Hertha gekommen, vor allem dadurch, daß sie damals nach Elpis' Verwundung sie treu besucht und in dieser Leidenszeit manchen Blick in das goldene Herz des jungen Mädchens getan hatte. Jetzt aber spannen sich Fäden hin und her, von Herz zu Herz, die fester und fester wurden. Elpis war es auch, die auf Hassos Bitte seine erste Nachricht über die Gefangenschaft nach Berlin beförderte und ihm den Brief der Geschwister überbrachte, in dem sie zugleich den Heimgang des Vaters mitteilten.

So gingen zwei Jahre dahin und die Gefangenschaft wurde den Geschwistern durch die viele Liebe, die sie erfahren durften, lange nicht so schrecklich, wie sie befürchtet, zumal sie Gelegenheit hatten, ihren Mitgefangenen zum Segen zu sein. Hasso konnte manch einem den Weg zum Frieden weisen und Hertha wurde durch das Bewußtsein ihrer Mitverantwortlichkeit für die unglücklichen Kindesmörderinnen, Diebinnen und Hochstaplerinnen, mit denen sie zusammen war, davor bewahrt, tiefer in ihre Verbitterung zu versinken.

Eines Tages hörten sie ein eifriges Hin- und Herlaufen auf den Gängen, Türen wurden geöffnet und geschlossen, die Wärter waren in fieberhafter Aufregung. Alle Gefangenensäle wurden sorgfältig gescheuert, alles irgendwie brüchige Material durch neues ersetzt und auch die Gefangenen angehalten, sich möglichst sauber zu machen. »Der neue Polizeipräsident, der auch die Gefängnisse unter sich hat, kommt zur Revision«, bekam Hasso als Antwort auf seine Frage.

Endlich, nach Stunden gespannten Wartens, wurde die Tür weit geöffnet und herein trat ein Offizier mit den Abzeichen eines Obersten, mit einer zahlreichen Gefolgschaft von Polizeioffizieren und Gefängnisbeamten. Die Namen der Gefangenen wurden einzeln aufgerufen, mit Angabe der Straftat und der Länge der Strafe. Jeder Aufgerufene mußte vortreten und der Chef fragte ihn, ob er über irgend etwas zu klagen hätte. Natürlich brachte niemand eine Klage vor, denn die Rache der Gefängnisbeamten war mehr zu fürchten, als eine Besserung der Lage durch die Beschwerde zu erhoffen war.

»Hasso Graf von Wildenstein; Bekenntnis zur christlichen Kirche und daher begründeter Verdacht der Teilnahme an hochverräterischen Bestrebungen gegen den Weltvölkerbund; drei Jahre«, rief der Wärter, und Hasso trat vor.

Als der Polizeipräsident den Namen hörte, stutzte er, und als Hasso sein Gesicht aufmerksamer betrachtete, sagte er sich, daß er diesen Offizier schon einmal gesehen haben mußte. Im selben Augenblick sagte der Präsident: »Herr Graf, so müssen wir uns wiederfinden? Wer hätte das geahnt, als wir uns vor nun fast 3½ Jahren in Berlin sahen?«

Jetzt erkannte Hasso Saïd Achmed Bey, durch den er damals nach Konstantinopel gekommen war.

»Meine Schwester und ich haben nichts verbrochen, wir sitzen um unseres Glaubens willen nun schon zwei Jahre hier gefangen.«

»Ich werde eine neue Prüfung des Falles veranlassen und werde sehen, was ich für Sie tun kann.«

Nachdem alle Gefangenen vorgestellt waren, verließen die Herren den Saal.

Hasso war tief bewegt von der wunderbaren Führung und dankte Gott innig für die Hoffnung, die durch diese Begegnung in ihm erweckt war. Überglücklich teilte er das Erlebnis Elpis mit, die vor Freuden weinte.

Von diesem Tage an überboten sich die Wärter in Freundlichkeit und Gefälligkeit an Hasso und Hertha.

Nach kurzer Zeit schon erhielten die Geschwister die Nachricht von ihrer Begnadigung. Den Mitgefangenen war es schmerzlich, sie ziehen zu sehen. Einzelne klammerten sich in orientalischer Leidenschaftlichkeit an ihre Hände und Füße und dankten ihnen mit Tränen für das, was sie ihnen gewesen. »Betet für uns, vergeßt uns nicht«, so flehten sie.

Hasso und Hertha besuchten beide zunächst ihre Chefs und sagten ihnen nochmals Dank für die großherzige Durchhilfe während der Gefangenschaft. Anstandslos wurden ihre früheren Stellungen ihnen wieder übertragen.

Kaum hatten sie sich wieder in ihre Arbeit hineingefunden, als sie eine Einladung zu Saïd Achmed Bey erhielten; auch Reschad Bey war geladen, und als sie in dem Konak des Präsidenten eintrafen, fanden sie in der geladenen Gesellschaft auch Herthas Chef, den Bankdirektor Stepán Iwánowitsch Morósow vor. Bei der Vorstellung merkten die Geschwister, daß mehrere der maßgebenden Persönlichkeiten der Weltstadt, Männer der Regierung und der internationalen Hochfinanz mit ihren Damen anwesend waren. Die Toiletten blitzten von Diamanten und Perlen. Der Gegensatz zwischen der langen Kerkerhaft und diesem Luxus war so groß, daß Hasso und Hertha Mühe hatten, ihre gesellschaftliche Sicherheit wiederzugewinnen.

Hasso hatte die Tochter eines Bankmagnaten deutscher Abkunft zu Tische zu führen. Ihr Vater war aus einem alten Adelsgeschlecht, die Mutter eine reiche Jüdin. Die Figur der Tochter war germanisches, väterliches Erbe, während in den Gesichtszügen der semitische Typus durchschlug.

»Herr Graf, Sie sind gewiß auch im Bankfach beschäftigt? Das ist ja heutzutage auch fast das einzige, worin Herren der guten Gesellschaft sich noch betätigen können.«

»Nein, Gräfin, ich bin als deutscher Lehrer an einer türkischen Schule angestellt.«

Die junge Dame nahm ihre Lorgnette und betrachtete Hasso mit einem impertinenten Blick, schwieg und sagte nach einer Weile: »Ach so, Lehrer! Ja, wir haben eine arme Verwandte entfernten Grades, die ist auch Lehrerin. Aber mir kommt das immer furchtbar deklassiert vor. Die armen Verwandten bedürfen auch immer wieder der Unterstützung.« Das letzte Wort kam gedehnt und verächtlich heraus.

Hasso mußte mit Gewalt an sich halten, um ruhig zu bleiben.

»Deklassiert, sagen Sie, Gnädigste? Ich sollte meinen, die alten Klassenunterschiede haben doch heute keine Bedeutung mehr. Was kann der Adel noch im Staate bedeuten, wo er fast durchweg verarmt ist? Heute kommt es nur auf den Menschen an.«

»Aber lieber Herr Graf, es sind eben andere Klassenunterschiede an die Stelle getreten, das wissen Sie doch ebenso wie ich!«

»Und die wären?«

»Nun, an erster Stelle die Kreise der Finanzwelt, die die Mittel und die gute Kinderstube haben, um sich ihr Leben nach gutem Geschmacke einzurichten, sodann die Regierungskreise, die, soweit sie kommunistisch sind, durch protzigen Aufwand die gute Kinderstube zu ersetzen suchen, und endlich – nun eben das übrige Volk.«

Hasso schwankte zwischen Zorn und Heiterkeit.

»Und das ›übrige Volk‹, wie Gnädigste sich so liebenswürdig ausdrückten, hat nur die Aufgabe, den beiden ersten Ständen das Leben möglichst glänzend zu gestalten, nicht wahr?«

»Sie werden wohl nicht anders können. Der heutige Staat hat ja eine ganz andere Macht, als der frühere monarchische gehabt hat. Revolutionen sind wohl nicht mehr möglich. Meinen Sie nicht auch?«

»Mag sein, aber es gibt Mächte, mit denen die jetzige Gesellschaft nicht zu rechnen scheint und die die ganze heutige Welt zu einem Scherbenhaufen zusammenschlagen werden.«

»Herr Graf, was meinen Sie damit?« fragte sie ängstlich.

»Die himmlischen Mächte, Gräfin«, antwortete Hasso mit Betonung.

Ihre Ängstlichkeit war wie weggeblasen.

»Ach so, Sie sind religiös? Das ist ja gewiß furchtbar interessant. Aber darin haben wir wohl alle ganz andere Anschauungen. Und über religiöse Meinungsverschiedenheiten zu streiten, ist ja nicht anständig. Wir wollen daher lieber von etwas anderem reden. Wie denken Sie über das auffallende Ergebnis des letzten Tennismatch in Budapest?«

»Gar nichts, meine Gnädigste, weil ich nichts davon weiß.«

»Was, Sie wissen nichts vom letzten Tennismatch, diesem wichtigsten Ereignis der Saison, von dem alle Zeitungen voll sind?«

»Nein, in der ernsten Gerichtszeit, in der wir uns befinden, habe ich für solche überflüssige Dinge keine Zeit.«

»Ja, aber was ist denn wichtiger als das, wofür sich die ganze fashionable Welt interessiert?«

»Sport und Vergnügen ist wohl Ihr einziger Lebenszweck?«

»Sie sagen das mit so komischer Betonung«, meinte sie in einem etwas schmollenden Tone, »aber wenn Sie so wollen: nun ja! Man ist doch nur einmal jung und womit soll man sein Leben ausfüllen als mit Sport, Vergnügen und ...«

»Und etwas Flirt«, ergänzte Hasso ironisch.

»Ja«, sagte sie, indem sie ihn lächelnd ansah, »das gehört einmal auch dazu. Um aber der Lücke in Ihrer Bildung abzuhelfen, will ich Ihnen von dem großen Weltmeistermatch in Budapest erzählen.«

Und nun waren die Schleusen aufgezogen. Sie plauderte von ihren Erlebnissen bei dem Match in Budapest, von den aufregenden Meisterschaftskämpfen, von den Toiletten der Damen, von den eleganten Diners, von den Auto- und Luftfahrten, von Theater und Tanz.

Hasso aber hörte nur mit halbem Ohre zu. Er dachte an die Leiden der Verfolgten in den Kerkern, in den Zuchthäusern, an ihren Hunger, ihre Not, ihren Gottesdienst in unterirdischen Schlupfwinkeln und Höhlen der Berge, er dachte an die Todesopfer des Boykotts der gläubigen Gemeinde, er sah im Geist seinen Vater vor Hunger erschöpft vor dem Dom zusammenbrechen, er sah die Tausende von Leichen ermordeter Christen auf den Straßen von Konstantinopel.

»Aber Sie hören wohl gar nicht zu?« unterbrach sie ihren Redestrom.

»O, ich höre wohl, aber ich habe so meine eigenen Gedanken dabei!«

»Das interessiert mich! Was denken Sie dabei?«

»Daß diese ganze Gesellschaft über einem Vulkan tanzt, der bald ausbrechen und Sie alle verschlingen wird.«

»Ach, Sie sind ein schrecklicher Mensch! Sie machen einen ja bloß graulich.«

Endlich war das Essen zu Ende und die Tafel wurde aufgehoben.

Die Herren begaben sich gemeinsam in ein elegant türkisch ausgestattetes Herrenzimmer. Zigarren und Kaffee wurde gereicht und man nahm in zwangloser Weise Platz.

Die Unterhaltung war allgemein und drehte sich zunächst um Börsenkurse und Handelsgeschäfte. Da Hasso sich dafür nicht interessierte, hörte er nicht zu, sondern überließ sich seinen Gedanken.

Da wurde er plötzlich aufmerksam durch die Wendung, die das Gespräch nahm.

»Ich meine, der Völkerbundsrat muß doch endlich einsehen, daß wir ihm keinen unbeschränkten Kredit für seine sozialen Experimente gewähren können und für seine uferlosen Projekte, wie die technische Ausnutzung der Sonnenstrahlen, wovon niemand weiß, inwieweit sie sich schließlich rentieren werden«, sagte der Graf Wettersmarck, der Vater von Hassos Tischnachbarin, ein graubärtiger älterer Herr mit klugen, aber kalten grauen Augen.

»Sie sind ein Optimist«, erwiderte ihm David Pascha, ein Jude, Direktor der Ottomanischen Bank und Präsident der Freistadt, »von selbst wird Ruben Spaßki sich nie davon überzeugen, dazu ist er viel zu sehr in seine kommunistischen Theorien und Weltverbesserungspläne verliebt. Aber wir haben vorgesorgt.«

»Was haben Sie unternommen? Erzählen Sie! Wir sind äußerst gespannt!« so klang es von verschiedenen Seiten.

»Wir haben von den Bolschewisten gelernt«, erwiderte David Pascha lächelnd, »und haben in alle Großstädte geschickte Agitatoren gesandt, die die überall vorhandene Unzufriedenheit schüren und in geschickter Weise die freie Wirtschaft als das Allheilmittel anpreisen. Sie zeigen es den Volksmassen an packenden Beispielen, wie schön es ist, wenn der Einzelne durch seine Tüchtigkeit zu Kapitalbesitz komme und sich dadurch über die anderen erheben kann, wie durch soziale Gesetze die Menschen nur immer anspruchsvoller und unzufriedener werden und wie viel gesundere wirtschaftliche Verhältnisse sich ergeben, wenn wieder, wie früher allgemein, das Geld das Maß aller Dinge auf Erden wird.«

»Und was ist bis jetzt erreicht worden?« fragte der Gastgeber.

»Vor allem hat der Weltbundpräsident gemerkt, daß wir auf dem Posten sind und uns nicht alles bieten lassen. Er merkt, daß er mit Konstantinopel nicht nur als mit seinem Bankier zu rechnen hat, sondern, daß wir ihm auch ernstliche Schwierigkeiten bereiten können.«

»Weiß man, welche Gegenminen er springen lassen wird?« fragte Graf Wettersmarck.

»Nein, aber wir wissen, daß er wütet und tobt gegen das Weltkapital und gegen unsere Stadt. Er möchte uns am liebsten vernichten. Offb. 17, 16. Aber das kann er nicht. Ohne uns kann er nichts tun. Er glaubt zu reiten und uns zu gängeln, aber wir sind es, die reiten und er muß uns parieren.« Offb. 17, 3.

»Na, dann werden wir hoffentlich bald dahin kommen, daß der sozialistische Schwindel auf der ganzen Erde endgültig abgetan wird«, sagte Baron Rothschild, »und daß der Einfluß der Menschen auf Erden sich wieder nach dem einzig sicheren Maßstabe, nach ihrem Kapitalbesitz bemißt.«

»Vergessen Sie auch nicht bei der Agitation, meine Herren«, mahnte der Bankdirektor Rosenberg, der aus Berlin nach Konstantinopel gezogen war, »unsere Ziele unter der Handelsmarke ›Duldung und Freiheit‹ an den Mann zu bringen. Das ist noch stets als die zugkräftigste Marke bewährt worden, unter der man für unsere Weltanschauung werben kann. Es kann nicht schwer werden, dadurch auch alle die durch die Verfolgung gegen den Weltstaat aufgebrachten christlichen Kreise mit vor unseren Wagen zu spannen. Nachher können wir sie ja wieder abschütteln, denn es ist wohl niemand unter uns, der für diese Gesellschaft Sympathie hat. Dazu sind wir doch wohl alle zu aufgeklärt. Aber Herr Graf, Sie sitzen ja da, als ob Sie Basiliskeneier ausbrüten«, wandte er sich an Hasso. »Was ist Ihnen denn?«

»Meine Herren«, erwiderte der Angeredete, »die christlichen Kreise werden sich bedanken für die Rolle, die Sie ihnen zugedacht haben, dem Kapitalismus die Kastanien aus dem Feuer zu holen. In allen den soeben im Gespräch berührten Fragen stehe ich auf ganz entgegengesetztem Standpunkt. Jede große geschichtliche Bewegung enthält einen berechtigten Gedanken und hat die Aufgabe, diesen Gedanken gewissermaßen als einen Baustein für den einstigen vollkommenen Aufbau der Menschheit zuzurüsten und beizutragen. So hatte der Sozialismus die Aufgabe, die gesellschaftliche Gleichberechtigung der mit der Hand arbeitenden Menschen neben den geistigen Arbeitern durchzusetzen, und der Kommunismus hat die Aufgabe, dem Ziele der endgültigen Überwindung der Mammonsherrschaft, der Geldherrschaft, auf Erden vorzuarbeiten, indem er das gemeinsame Anrecht aller Menschen an den Gütern der Erde zu verwirklichen sucht. Sie aber, meine Herren, arbeiten den göttlichen Zielen in der Menschheitsentwicklung bewußt entgegen. Was an dem gegenwärtig weltherrschenden Kommunismus dämonisch ist, den fanatischen Haß gegen das Christentum, das lassen Sie mit einer überlegenen Geste gewähren – ich erinnere Sie an die 10 000 Blutopfer hier in der Stadt. Was an ihm aber gut und richtig ist, das bekämpfen Sie mit Leidenschaftlichkeit, weil Ihre Geldinteressen dadurch bedroht werden.« Hasso hatte sich im Eifer der Rede von seinem Platze erhoben. »Und wissen Sie, was Sie tun mit Ihren Agitatoren, die Sie von Volk zu Volk senden? Einen giftigen Taumelkelch haben Sie den Völkern eingeschenkt, eine Mischung aus Selbstsucht und Mammonsgeist. Ich bin über den Verdacht erhaben, ein Parteigänger von Ruben Spaßki zu sein – denn ich und die Meinen haben zu viel unter ihm gelitten –, aber in seinem Kampf gegen den Mammonismus hat er recht. Sie aber reichen den Völkern diesen giftigen Taumelkelch, damit sie den Tanz um das Goldene Kalb wieder beginnen und Ihnen die Taschen füllen sollen. Vom Taumelkelch des Mammonismus trunken sind die Völker zur Zeit unserer Großväter in den Weltkrieg gestürzt. Diese Trunkenheit hat sich nach dem Kriege zu einem Berserkerwahn gesteigert, in dem die Völker, immer nur auf den ihnen vorschwebenden Mammonsgötzen starrend, sich in blutigen Bürgerkriegen selbst zerfleischten. In diesem selben Rausch suchen sie jetzt die unschuldigen Christen in fanatischem Haß zu vernichten, und Sie, meine Herren, sind bemüht, durch Aufpeitschen der niederen Gewinnsucht den Rausch von neuem zu entflammen. Aber ich sage Ihnen: Sie rechnen nicht mit der Macht des lebendigen Gottes.« Hassos Stimme nahm einen drohenden Klang an, seine Augen schossen Blitze. »Alle Gebäude Ihrer List, Diplomatie und Agitation, alle Ihre Hoffnungen für die Zukunft werden einstürzen und Sie unter ihrem Sturz begraben.«

Die Damen waren aufmerksam geworden und standen an der Tür des Herrenzimmers, mehrere Lorgnetten waren auf Hasso gerichtet. Eine Dame tat einen Schrei und fiel in Ohnmacht.

Hasso ging auf Saïd Achmed Bey zu, verneigte sich vor ihm und bat ihn, sich entfernen zu dürfen. Hertha schloß sich ihm an. Der Gastgeber geleitete die Geschwister hinaus. Draußen sagte er: »Sie haben ein tapferes Wort gesprochen; ich wünschte, ein Muselmann hätte es gesagt. Allah, der Allbarmherzige, schütze Sie! Ich danke Ihnen.«

Noch lange lagerte eine lähmende Stille über den Gästen.

Endlich sagte ein jüngerer Regierungsbeamter, indem er ein Monokel in sein Auge klemmte: »Bah! Ein Spion Ruben Spaßkis, voilà tout

»Wie kommen Sie zu diesem Fanatiker, mein Lieber?« fragte der Graf Wettersmarck den Gastgeber.

»Er wohnt schon seit Jahren hier als Lehrer an einer deutschen Schule.«

»Ach so«, sagte der Graf, »das ist einer von den heruntergekommenen ehemaligen Standesgenossen, die es nicht verstanden haben, sich zu rangieren. Nun sind ihnen die Trauben sauer geworden; sie vermehren das gebildete Proletariat und reißen das Maul auf wie ein Scheunentor.«

Alles lachte, und in diesem Lachen löste sich der Alpdruck, der sich auf die Herzen gewälzt hatte.

»Lieber Bey, auf den Schreck tut ein guter Kognak wohl. Haben Sie etwas von dem vorzüglichen Gesöff?« fragte Bankdirektor Rosenberg.

»Kognak hat ja der Prophet nicht gekannt und darum auch nicht verboten«, ergänzte David Pascha scherzend.

Saïd Achmed Bey gab einem Diener einen Wink, der das Gewünschte brachte. Auch aus dem Damenzimmer wurden bald wieder lustige Stimmen laut, und Saïd Achmeds Frau, eine Berlinerin, konnte kaum genug süßen Likör heranschaffen, mit dem die Damen den letzten Rest der trüben Stimmung verscheuchten.

»Ja, ja«, sagte komisch aufseufzend die Gräfin Wettersmarck, eine mit Brillanten behangene ältere jüdische Dame, »schon Wilhelm Busch sagte: ›Wer Sorgen hat, hat auch Likör.‹«

Auf Wunsch der Jugend wurde dann im großen Saale getanzt, und es war schon Morgen, als die Festlichkeit ein Ende fand. Nur Reschad Bey hatte sich bald nach den Geschwistern empfohlen.

Am nächsten Tage machten die Geschwister sich auf den Weg nach Arnautkiöj, um Basilides Effendi zu besuchen und Elpis für alle ihre Liebe zu danken. Die Freude war auf beiden Seiten groß, als sie an dem schönen warmen Novembertage wieder, wie vor zwei Jahren, auf der Veranda des so malerisch gelegenen Häuschens saßen und sich in Gottes Wort versenkten. An den Säulen der Veranda rankten sich Marschall-Niel-Rosen empor, die noch in schönster Blüte standen. Elpis pflückte für Hasso und Hertha je einige Rosen. Als sie sie Hasso reichte, zitterte ihre Hand und sie senkte den Blick. Hasso aber nahm eine der Rosen und steckte sie Elpis in ihr üppiges schwarzes Haar. Elpis lächelte glückselig zu Hasso empor.

»Herzchen, hole noch einige von den schönen Pfirsichen«, sagte Basilides.

Kaum war Elpis gegangen, als Hasso ihr folgte. Auf dem kleinen Hausboden holte er sie ein.

Elpis sah sich erstaunt, aber zugleich lächelnd um.

»Du liebes Mädchen, wenn du wüßtest, wie ich dir dankbar bin! Was du mir gewesen in der Kerkerzeit, kann ich mit Worten nicht sagen.«

»Es war mir doch selber die größte Freude, wenn ich kommen durfte«, sagte sie bescheiden, aber mit erglühendem Gesicht.

»Ich glaube, wir gehören fortan zusammen, um uns nie wieder zu trennen. Du gehörst in mein Leben hinein und ich in deines. Meinst du nicht auch, Elpis?«

Mit einem jubelnden Aufschrei schlang sie ihre Arme um Hassos Hals und barg ihr Köpfchen an seiner Brust, er aber nahm ihren Kopf in beide Hände und küßte sie auf Lippen und Augen.

»Meine süße kleine Elpis!« »Mein Hasso.« Leidenschaftlich erwiderte sie seine Küsse.

»Ich weiß, du gehörst dem Heiland an, mein Liebchen. Nun wollen wir gemeinsam dem Herrn dienen, bis er kommt! Jetzt aber laß uns hinuntergehen.«

Elpis raffte die Pfirsiche zusammen und dann gingen sie Hand in Hand hinunter.

»Na, du hast wohl die Pfirsiche erst wachsen lassen«, fragte der Vater fröhlich, »und Sie haben ihr wohl dabei geholfen?«

»Basilides Effendi«, erwiderte Hasso ernst, während Elpis errötend das Haupt senkte, »wir sind uns einig geworden, daß wir zueinander gehören, und ich bitte Sie deshalb um die Hand Ihrer Tochter Elpis.«

»Elpis, mein Kind, du willst mich verlassen?« rief Basilides, »was soll dann aus mir werden? Doch es ist selbstsüchtig, zuerst an sich selber zu denken. Herr Graf, ich wüßte niemand, dem ich mein Kind lieber anvertraute, als Ihnen!«

»Guter, lieber Vater, habt tausend Dank«, rief Elpis und umarmte und küßte ihren Vater stürmisch. »Du mußt dann zu uns ziehen, nicht wahr, Hasso?«

»Selbstverständlich können wir Vater nicht allein lassen. Wir freuen uns, dich bei uns zu sehen, lieber Vater«, sagte Hasso, indem er Basilides die Hand reichte.

»Welch eine Freude, ihr Lieben«, sagte nun Hertha, »Gott segne euren Herzensbund.«

Noch bis zum Hereinbrechen der Dämmerung blieben die vier glücklichen Menschen beisammen. Als die Geschwister sich endlich auf den Weg machten, gaben Vater und Tochter ihnen noch bis zur Kapelle von Arnautkiöj das Geleit.


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