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Vierundzwanzigstes Kapitel

»Ja zu erzählen ist da nicht viel«, berichtete am anderen Tage Morristone. Werner saß mürrisch da; nun dies alles hinter ihm war, Hin- und Rückweg, Kampf und Bericht an Gerdis, war eine große Leere in ihm.

Erika hatte er noch nicht wiedergesehen, sie würde erst gegen Mittag in Saas-Fee sein können. Er hatte Gerdis gebeten, für sie zu sorgen, war dann abgefahren zu Morristone, der in Saas-Grund hauste, Saas- Grund, das vorsichtshalber von den Bewohnern gleichfalls geräumt worden war. Morristone sah in den Büchsenlauf.

»Das war ja wohl, schätze ich, das Gewehr, das uns gerettet hat«., meinte er, »und der Revolver da in Ihrer Tasche.

Der Schneefall im Oktober war gut. Der im November und Dezember war furchtbar. Denke, daß Sie über die Ergiebigkeit im Bilde sein werden. Die Wache in Stalden war reichlich mit Lebensmitteln versehen, hatte auch ein paar Gewehre und eine Maschinenpistole. Sie hockte in der Kirche von Staldenried und konnte jeden umlegen, der ungebeten in die beiden Täler wollte. Als hier die Lawinen anfingen abzugehen, dachten wir an nichts Böses. Übel war nur, daß in dem Schnee die Telephonleitungen zerrissen und nicht wieder zu flicken waren. Die Hutegger meldeten schwere Grundlawinen und mächtige Staublawinen. Aber wer konnte denken, daß so eine die ganze Staldenrieder Kirche mitnehmen würde. Seit Ewigkeiten hat es da keine Lawinen gegeben.

Wir hörten also nichts von den Staldenern, bis es eines schönen Tages bei der Feldwache von Balen knallte. Dem Himmel sei Dank, daß Anthanmaten auf die Idee kam, die Hutegger aus ihrem Lawinenkessel nach Balen zurückzuziehen! Wir waren alle entsetzlich erschrocken und dachten nicht anders, als daß die Sittener unsere Staldener Waffen hätten. Anthanmaten sauste mit ein paar Burschen hinunter und konnte Balen gerade noch halten. Am Waldrand saßen die Burschen des Grafen von Sitten und blitzten auf unsere Leute los. Nun, es stellte sich rasch heraus, daß sie bloß alte Donnerbüchsen aus Bronze hatten, Museumsstücke aus der Zeit des seligen Kaiser Maximilian glaub ich, war aber doch verdammt unangenehm. Im Tal hatten wir ja nun die Sippschaft, aber wir dachten sie am anderen Tag wieder hinauszuwerfen. In der Nacht kam die schreckliche Lawine auf den Tunnel. Da saßen wir nun ohne Munition den Kerlen gegenüber. Ich hatte noch hundert Schuß für die Militärgewehre und dreihundert für Ihre Jagdbüchse, das war mein ganzer Reichtum.

Wir haben dann Balen und vorsichtshalber gleich Grund mitgeräumt. Haben auch alles heil nach oben bekommen, Frauen, Sachen und das Vieh. war eine elende Arbeit. Dabei ging denn die Hälfte der Munition drauf. Die Sittener merkten natürlich, was los war, und wollten unbedingt Balen erobern, solange noch eine Kuh dort im Stall stand.

In der Enge oder Grund wurde die neue Sperre gebaut, die Brücke vor dem Tunnel abgerissen. Überraschungen gabs nun nicht mehr. Der Jagdweg, wo es gestern losging, war noch unpassierbar.

So haben wir denn Krieg geführt und wie die Wilden am Tunnel geschafft. Die Sittener waren uns recht überlegen, sie haben ein halbes Hundert von den alten Musketen und Feldschlangen aus allen alten Kellern dieser gesegneten Gegend aufgetrieben und befeuerten uns damit. Wir haben jede Nacht ein paar Schüsse loslassen müssen, da war es mit der Munition bald vorbei. Schließlich blieb ich übrig, als Scharfschützenregiment Nummer eins. War verteufelt ernst, als sie kamen, guter Mister Erlinspiel. Ich war nicht schlecht erschrocken, als sie gestern am hellen Tag mit dem Geschütz ankamen!

Wir haben hübsche Verluste, ein paar Tote, die verschüttete Staldener Wache und das Krankenhaus von Dr. Füßli voll Verwundete.

Werner wiegte den Kopf, »wann glauben Sie, daß der Tunnel wieder frei ist«, fragte er.

»Vielleicht morgen abend, wenn wir wie die Teufel schuften.«

»Gut. Holen Sie alles ran, was auch nur mit den Händen Erde kratzen kann. Was Sie bisher gemacht haben, war ausgezeichnet.«

»Danke.« Morristone verbeugte sich. »Wir können schon anfangen, einen Historiker zu beschäftigen«, meinte er und kniff das Auge zusammen. »Schlacht bei Stalden und Sieg von Zermatt, Untergang von Staldenried und Gefecht bei Balen. Der Überfall von Balen-Grund und der große Sieg von Balen. Hört sich an wie der Siebenjährige Krieg.«

»Spotten Sie nicht, Reverend, was wollen Sie tun, wenn wir wieder Munition für unsere Waffen haben?«

»Raushauen die Bande, sagte es ja schon«, rief Morristone, »der große Sieg von Balen.«

Werner sah nachdenklich vor sich. »Würde ich nicht machen«, meinte er. »Wissen Sie, wie das in Zermatt aussieht?«

»Soll ja noch gehalten werden.«

»Sicher. Ich denke, daß der Graf seine ganze Armee hierhergeworfen hat. Er weiß, hat er uns, hat er Zermatt von selbst. Schön. Und wenn wir ihn nun hier rausschlagen, dann brennt er uns Balen nieder, und wir müssen das Dorf wieder aufbauen. Er entwischt über Stalden und wirft sich vielleicht ins Zermatter Tal. Und dann haben wir gar nichts gewonnen. Nein, wir müssen über Zermatt nach Stalden, dann haben wir ihn in der Zange und er muß sich ergeben! Erst dann ist Ruhe.«

Morristone sah Erlinspiel an. »Und mich haben Sie General getauft«, seufzte er. »Und dabei bin ich ein Rindvieh. Natürlich muß man es so machen. Anthanmaten kennt ja den Weg, die Gletscher kann man auch wieder betreten. Gott sei Dank, Erlinspiel, daß Sie wieder im Lande sind.«

»Wir müssen vor dem Frühjahr das Rhonetal haben, sonst verhungern wir doch noch. Und die Cholera wird ja auch wieder umgehen, wenn es warm wird, – dann sind wir hier nicht mehr sicher, ohne daß wir die Seuche auch im Rhonetal ausrotten. Also los, Morristone.«

Zwei Tage vergingen, dann waren die Munitionskisten heraus aus dem Tunnel. In aller Heimlichkeit wurde die Kolonne für Zermatt ausgerüstet. Sie sollte nur im Notfall schießen. Auch die Wachen bei Saas- Grund bekamen genügend Munition. Aber sie sollten sogar ihre Gewehre versteckt halten, und so wenig wie möglich sich sehen lassen. Schießen war auch ihnen nur in äußerster Not erlaubt. Die Sittener sollten nicht merken, daß es ernst für sie wurde. Werner besprach noch einmal mit Zurbriggen, Anthanmaten, Morristone und Dr. Füßli den Plan.

Werner wollte selbst nach Zermatt hinüber, aber hier widersprach Gerdis. Er sei noch viel zu schwach, nach den Märschen durch Deutschland, um einen Hochgebirgskrieg zu führen. Ihr gefiel das alles nicht. »Muß es denn wieder Tote geben? Füßli? Sie haben ihr ganzes Haus voll Verwundete, Sie müssen doch wissen, wie gräßlich das ewige Morden ist. Reden Sie doch wenigstens dagegen.«

»Ich möchte Sie nicht gerne in den Händen des Grafen sehen, Frau Gerdis«, hatte Füßli geantwortet. »Lieber einmal und dann gründlich. Ist auch vom ärztlichen Standpunkt das richtige. Zwei Tote jetzt sparen zwanzig später.«

So ging denn die Zermatter Gruppe ab, es waren dieselben Burschen, die schon die erste Fahrt nach Zermatt gemacht hatten. Unten im Tal knallte hin und wieder ein Schuß, in der dritten Nacht versuchten die Sittener noch einmal einen Angriff über den Jägerpfad. Sie wurden blutig nach Hause geschickt.

In Balen setzten sie sich fest. Sie brachten ihr Geschütz in Stellung und versuchten, Saas-Grund damit zu erreichen. Aber es krachte nur und spuckte Bleistücke in den Schnee, den Männern von Saas-Grund tat es nichts.

In der vierten Nacht mußte es sich entscheiden, ob Anthanmaten in Stalden saß oder nicht.

Kein Mensch schlief im Saaser Tal. Die Feldwachen spähten in die sternlichterhellte Nacht. In Balen rührte sich nichts.

Morristone und Werner standen mit einer Schiläufergruppe bereit, sie lehnten an den letzten Hütten vor Balen und lauerten auf die Übergabe oder den Angriff.

Kein Laut war zu hören. In einer Hütte in Balen brannte Licht. Das Schicksal ließ auf sich warten.

Dann, als der Morgen heraufkam und die Sonne das Tal mit Gold anfüllte, stieg auf dem ersten Hause von Balen eine weiße Fahne hoch.

Drei Mann kamen über den Grund, unbewaffnet, den Saasern entgegen. Morristone und Werner sahen sich an. Stumm gaben sie sich die Hand. Sie bäten, sagten die Abgesandten, um freien Abzug, mit Speeren und Schwertern.

Werner antwortete kurz, daß sie zunächst Balen zu räumen hätten. Wehe ihnen, würde ein Haus angerührt, zerstört oder angezündet. Dann, wenn sie alle dort drunten am Waldrand stünden mit ihren Männern, würde er sie wieder erwarten, in Balen, an der Kirchhofmauer, wo sie das Eck macht zur Straße.

Sie wollten das melden, antworteten die drei.

Wieder verging eine bange Viertelstunde, dann sah man, wie die Sittener Balen räumten.

Als die Verhandlungen wieder beginnen konnten, versammelte Werner alles um sich, was ein Gewehr trug. Einen Schlitten mit einer Munitionskiste ließ er als Sitzgelegenheit heranfahren. Es war eine sehr deutliche Darstellung seiner Wacht. Morristone grinste.

Die Sittener waren sichtlich beeindruckt. Sie hätten sich das überlegt, meinten sie, der Graf passe ihnen nicht, und wenn sie zurückkämen, ohne Speer und Schwert und ohne die bronzenen Hinterlader, dann würde der Graf sie sicher aufknüpfen. Ob der deutsche Herr sie nicht haben wolle?

Sie sahen Werner an, ihre Hände bewegten sich unruhig auf den Wämsern. Nein, erwiderte Werner, der deutsche Herr wolle sie nicht haben.

Es wurde eine lange Stille. Die drei Abgesandten sahen sich an, flüsterten miteinander. Keiner der Saaser verriet seine Enttäuschung, daß der Graf nicht bei dem gefangenen Haufen war.

Die Unterhändler hatten sich beraten. Ob sie freien Abzug über den Monte Moro haben könnten, ohne Waffen?

»Nur weg mit dem Gesindel«, brummte Morristone. »Sie haben mich zu sehr geärgert.« Werner stimmte zu.

Noch am gleichen Abend zog eine lange Kolonne den Weg zum Monte Moro hinauf, von dreißig schwerbewaffneten Saaser Burschen geleitet.

»Was ist mit dem Simplon«, fragte Werner. Nun, da das dringendste getan war, stand die Zukunft drängend nahe.

»Wir haben einmal versucht, den Eingang bei Iselle uns anzusehen, aber wir haben nicht viel feststellen können. Der Schnee lag schon zu hoch. Ob der Eingang verschüttet ist, oder nur vom Schnee zugeweht war, konnten die beiden Burschen, die drüben waren, nicht ausmachen. Auf jeden Fall ist diesen Winter niemand von Süden in den Tunnel hineingekommen.«

Werner wiegte den Kopf. »Wir müssen jetzt ganze Arbeit machen, wir brauchen das Rhonetal und wir brauchen den Simplontunnel, zugeweht oder nicht.«

Sie ritten nach Stalden hinab. Aber Anthanmaten war schon weit, er war nach Visp geeilt, kaum, daß er die Nachricht von der Übergabe der Sittener Bande hatte. Nun hielt er die Enge wenige Kilometer unterhalb der Stadt, wo der Fluß dicht an die Straße herantritt. Tobend schoß die Rhone zu Tal, schwer und gelb wälzten sich die Fluten, mitreißend, was sich ihnen entgegenstemmte. Unendliche Massen Gerölls kollerten scheuernd und stoßend mit den rasenden Wassern zu Tal, die alte Steinbrücke zu Brig, die einzige, die noch die beiden Rhoneufer verband, lag, ein wirrer Haufen zerstörter Bögen, im schäumenden Fluß, von den Wassermassen zerrissen. Mit dem Fernglas konnte man von Visp aus die leeren Stümpfe der Pfeiler wie klobige Riesenfüße in den wirbelnden Wassern stehen sehen.

Sitten war abgeschnitten von Brig.

Werner konnte in den folgenden beiden Tagen die ganze Südseite des Tales bis Fiesch und weiter bis Gletsch hinauf kampflos besetzen. Die wenigen Bergbauern, die hier noch lebten, grüßten ihn freudig als Befreier. Der Nordausgang des Simplontunnels war in Erlinspiels Hand. Schwarz und dunkel gähnte er im Fels, weiche Eisenschienen, mit einem kräftigen Tritt zu zerdrücken, liefen in ihn hinein. Werner ließ einen Mann aus Bielen holen. Der mußte wissen, was es mit dem Tunnel auf sich hatte. Zitternd erschien der Mann, ein alter Bauer, gezeichnet vom Schrecken des letzten Jahres.

»Oh Herr«, beteuerte er, viele sind hineingegangen in den Berg, aber nie mehr ist einer zurückgekommen. Sie sagen, es geht dort in die Hölle.«

»Hast du schon früher hier gelebt, als die Züge noch fuhren?«

»Wohl, wohl, aber jetzt ist da die Hölle.«

Es war nichts mit dem Manne anzufangen.

»Sind Welsche aus dem Süden gekommen, hier durch den Tunnel?«

Der Alte schüttelte den Kopf, bekreuzte sich. »Niemand ist gekommen, bei der Heiligen Jungfrau, aus der Hölle kommt keiner.«

Werner ließ ihn laufen. So würde er wenig erfahren.

»Was halten Sie davon, Morristone«, meinte er. »Offenbar sind von Süden her keine Menschen durch den Tunnel gezogen. Und Menschen, die von Norden hineingingen, sind nicht wieder gekommen, entweder also sind sie durchgekommen, – dann müßten auch Menschen von Süden her den Weg gefunden haben. Oder …«

»Oder«, ergänzte Morristone, »der Eingang im Süden ist verschüttet, und die hier hineingingen, sind im Berg geblieben, vergiftet von den Wettern. Ein Tunnel, Erlinspiel, der auch nur acht Tage keine Frischluft hat, ist schlimmer, als ein Giftgaslager.«

Werner dachte nach. Er wußte, wie schwierig die Bewetterung langer Tunnels war, es mochte stimmen, was der Reverend sagte. Dann aber war auch das Eisen noch drinnen.

»Wir müssen den Südeingang haben«, entschied er. »Wenn er geschlossen ist, muß er freigemacht werden. Besetzen wir also das Divedrotal. Am besten bis Mognata.«

»Sie stürzen die Landkarte um, mein Bester, die alten Atlanten werden alle unbrauchbar werden, was sollen nur die Schulkinder dazu sagen!«

»Das beste ist, Sie nehmen das selbst in die Hand«, meinte Werner.

»Warten Sie hier auf mich«, lächelte Morristone, »in einem Monat komme ich von Süden durch den Tunnel spaziert.«

So trennten sie sich. Werner richtete in Brig eine Art Verwaltung ein, ließ die Toten bestatten, die Häuser desinfizieren, die Brunnen schließen. Die wenigen Einwohner, die noch verschüchtert hausten, fügten sich willig. Nach dem Muster des Saas-Tales wurde eine scharfe Lebensmittelkontrolle eingerichtet. Trotz der Verschwendung, die der Graf geduldet hatte, fanden sich noch genug Nahrungsmittel; Tausende waren ja noch im Herbst geflohen, was sie zurückließen, diente nun erwünscht den Gebliebenen.

Das verwahrloste, halbzerfallene Krankenhaus wurde wieder in Gang gesetzt, eine rücksichtslose Gesundheitsüberwachung eingerichtet. Anthanmaten kämmte das südliche Tal aus, bei Biel schlug er eine Holzbrücke, besetzte die Nordseite des Tales bis hinunter nach Baltschieder, wo der Fluß den hochfelsigen Nordrand streift.

Werner war überall, er schlief irgendwo, aß irgendwo, eilte von Fiesch nach Zermatt, von dort zu Anthanmatens Stellungen gegen den Grafen von Sitten, der sich beängstigenderweise überhaupt nicht rührte, ritt zurück zum Eingang des Simplon, aus dem noch immer kein frischer Luftzug blies, zog weiter bis zur Grimsel empor, war einen Tag in Saas-Fee, am nächsten schon wieder unten in Brig. In Brig wurde mühsam eine Telephonzentrale einzurichten versucht, in den Kellern der alten fand sich Draht, der zuzureichen schien. Dann wurde auch die neue Rhonebrücke fertig, ein kühner Holzbau auf den alten Steinstümpfen zu Brig.

Vom Grafen hörte man, daß er eine Waffenfabrik eingerichtet habe, sich nur mit den alten Bronzegeschützen und Hinterladern beschäftige. Seit der großen Schießerei von Balen versuche er, seine Banden mit Gewehren auszurüsten, – ob er aber irgendwelche Erfolge habe, wisse man nicht. Die Brandschatzungen jedenfalls seien ausgeblieben.

Anthanmaten wollte auf Sitten zustoßen, direkt die Rhone hinunter, oder weit nördlich ausholend über die Rochers de Naye nach Chillon, den alten Widersacher so von zwei Seiten fassend.

Werner widerriet. Nein, wenn man auch das untere Rhonetal brauche, bitter notwendig brauche, um die Ernährung zu sichern, – und wo wüchse Getreide anders als dort auf den Schwemmufern, – so könne er keinen Krieg deshalb führen. »Bedenken Sie Anthanmaten, daß wir keine Patrone, die wir verfeuern, ersetzen können. Daß es Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern wird, bis wir wieder soweit sind, eine einfache Schießwaffe herzustellen. Bedenken Sie weiter, daß wir ein Gebiet zu verteidigen haben, das dann vom Genfer See bis zum Gotthard und bis nach Domodossala reicht. Nein, wir müssen die Bewohner, die noch im Rhonetal leben, zum friedlichen Anschluß bewegen.«

»Und wie wollen Sie das machen?« Anthanmaten zeigte rhoneabwärts, wo in sicherer Entfernung Leute des Grafen umherstrichen, beobachtend und spionierend. »Die Bewohner würden schon kommen. Aber diese da werden sie hindern.«

»Lassen Sie Anthanmaten, wir haben bessere Waffen als diese, Waffen, die nicht töten, sondern Leben geben. Sie werden schon sehen. Sorgen Sie nur dafür, daß uns kein Angriff überrascht.«

Anthanmaten sah ihn zweifelnd an. Da beugte sich Werner zu ihm und flüsterte ihm ein Wort ins Ohr. Anthanmaten fuhr zurück, so überrascht war er, dann lachte er still vor sich hin. »Sie sind ein Teufelskerl«, schrie er. Werner legte lächelnd einen Finger auf die Lippen.

Im Saastal, in Brig, in Zermatt dröhnten die Schmieden. In den Flammen unablässig geblasener Feuer zerschmolzen die Eisenbahnschienen der Gornergratbahn, der kleinen Tunnels im Tale. Sie dehnten sich, wurden rot und glühend und weich, aber es war eine andere Weichheit, als sie die Eisenschienen zeigten der freien Strecken. Es war eine lebendige Weichheit, eine Biegsamkeit, aus der neue Formen sprangen. Und die Hämmer, sie dröhnten, die Blasbälge bliesen, die Wasser zischten, wenn die neugeschmiedeten Werkstücke in ihnen versanken zur Härtung.

Und dann kamen eines Tages viele Wagen zusammen auf dem Marktplatze zu Brig, Planen verdeckten sie dicht, und die Bewohner zogen zum ersten Thing herbei, aufgerufen von den Männern Erlinspiels. Sie rückten an ihren Hüten, und sie sahen auf die verdeckten Wagen und wußten nicht, was das alles bedeuten sollte.

Und dann trat Erlinspiel hervor, und er rief ein paar Worte, die Hüllen fielen und auf den Wagen standen, dicht bei dicht und anzusehen wie Werke eines Wunders, vierzig glänzende, neue, saubere Pflüge.

Die Männer sahen darauf hin, als erblickten sie offen den Himmel. Sie gingen langsam auf die Pflugscharen zu, sie tasteten sie ab, sie fühlten ihre Härte, ihre Glätte, ihre Kühle, ihre scharfen Schneiden.

Und da war es, daß einer anfing mit dem Gesang und die anderen einfielen, und es klang über den Platz, in der gelben Frühjahrssonne von Brig, das Lied, das man seit fast einem Jahre nicht gehört: »Dich, Gott, loben wir!«

 

Nackt und braun lagen die Felder fruchtbar zwischen Brig und Visp. Die Pflüge bissen in den Boden, sie rissen ihn auf und warfen die warmen, dampfenden Schollen um. Die Pferde stampften und wieherten, der Geruch des frischen Ackers wehte talhinab, zog über die Holzgatter, die das Gebiet derer von Sitten abtrennte vom Reiche Erlinspiels.

Und die Bauern von Sitten und Siders, von Gampel und Turtmann und Leuk, sie kamen heran und besahen das Wunder, das da oben sich täglich neu begab. Sie sahen an ihre Holzstümpfe, mit denen sie mühsam und fruchtlos in den Boden hieben, ihn ein wenig aufzulockern von dem Drucke der Schneelasten und der Überschwemmungen, – sie warfen die Holzhacken weg und die Holzpflüge, die hoffnungslosen, und kamen und baten im Chor: Gebt uns Pflüge, Pflüge aus Eisen, daß wir nicht Hungers sterben.

Der Graf von Sitten fluchte gräßlich, als er dies alles vernahm. Er betrank sich, er schickte Banden aus, die Bauern zu bestrafen, die um eiserne Pflüge baten.

»Ihr sollt Pflüge haben«, antwortete Anthanmaten in Erlinspiels Namen, »Wenn ihr den falschen Grafen bringt, der in Sitten sitzt und das Land verdirbt.«

Es vergingen acht Tage. Dann brachten die Bauern des Rhonetals den Grafen, gebunden, auf einem Dungschlitten. Anthanmaten nahm ihn in Empfang. Die Holzgatter öffneten sich. Die Grenze schob sich hinaus bis Chillon am blauenden Genfer See, wo die Weinberge stehen und die Sonne im Sinken golden die Fluten verzaubert.

Die Grenzwacht aber richtete Werner ein in der Enge zu Saint Maurice.


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