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Oswald genoß zu dieser Zeit eine rechte Herzenswonne, nach der er sich lange schon vergebens gesehnt hatte. Nämlich die liebe, gute Elsbeth hatte ihm einen muntern Sohn zur Welt gebracht. Da war er wie im Himmel.
Und er ging darauf zu seinem Freund, dem neuen Löwenwirth, der einer von den wohlbekannten zweiunddreißig Bundesgenossen war. Zu diesem sprach er: »Mein Freund, ich habe doch dich noch nie um eine Gefälligkeit angesprochen, und ich komme damit zum ersten Mal. Meine Frau liegt im Kindbette, und ich kann sie nicht verlassen, und zur Stadt gehen. Ich gebrauche aber fünfhundert Gulden, wenn auch nur acht Tage lang, und sie sollen wo möglich in Gold sein. Willst du mir so viel auf acht Tage leihen?«
Der Löwenwirth antwortete: »Ich bin dir für so Vieles Dank schuldig; warum sollte ich nicht? Ich habe eben achthundert Gulden empfangen, die liegen noch immer bei mir. Aber sie sind zum Theil in Silbermünze. Willst du, so nimm Alles auf so lange du willst.«
Oswald sagte: »Ich möchte lieber Gold; es liegt mir sehr daran.«
Der Löwenwirth versetzte: »Wohlan, ich will Rath schaffen. Wann mußt du es haben?«
Oswald erwiederte: »Bringe mir das Geld morgen Abend um die achte Stunde in mein Haus. Aber sage Niemandem davon.«
Als er sein Geschäft hier vollendet hatte, ging er fort und zu den übrigen einunddreißig Bundesgenossen und sagte ihnen dieselben Worte, wie dem Löwenwirth und bat um fünfhundert Gulden, wo möglich in Gold. Und Jeder freute sich, dem wackern Manne endlich einmal einen Freundschaftsdienst erweisen zu können, und versprach, ihm das Geld zu bringen. Er bestellte Jeden auf den folgenden Tag des Abends um die achte Stunde zu sich.
Und sie kamen um dieselbe Stunde, da es schon dunkel war, zu ihm. Er führte sie Alle in sein Zimmer, aber es war noch kein Licht angezündet. Die Leute wunderten sich in der Stille über die Menge der Anwesenden. Oswald ging, um Licht zu holen. Und als er wieder in die Stube trat, mit zwei brennenden Kerzen in der Hand, erblickten sie ihn wieder, wie sie ihn schon einmal gesehen hatten, in prächtigen Offizierskleidern, mit hohem Federbusch auf dem Hut, einem Orden auf der Brust und einem langen Säbel an der Seite. Sie sahen einander verwundert an, und sahen, wie vor sieben Jahren, dieselben Gestalten, in demselben Zimmer, um denselben Tisch, auf welchen der Offizier die Kerzen niedersetzte.
Oswald sagte darauf: »Habet ihr mir gebracht, liebe Freunde, um was ich euch gebeten habe, so leget es hier auf den Tisch.«
Da traten sie Alle, Einer nach dem Andern, zum Tisch, und Mehrere bedauerten, ihm die Summe nicht in Gold zahlen zu können. Er sagte darauf liebreich: »So ist's gleichviel. Gebet, wie ihr es habet.« Und sie schütteten Gold, Andere Silber auf den Tisch, Andere legten ihm gute Kapitalbriefe und Zinsschriften hin.
Darauf erhob Oswald die Stimme und sprach: »Erinnert euch, es ist die Zeit der Prüfung vorüber, und die sieben Jahre und sieben Wochen sind zu Ende, von denen ich euch geredet. Und ihr habet mehr Geld auf diesen Tisch geworfen, als ich vor sieben Jahren und sieben Wochen vor euern Augen ausschüttete. Damals waret ihr kaum im Stande, fünfhundert rothe Kreuzer auszuleihen; in der Stadt hätte sie euch Niemand anvertraut. Jetzt habet ihr binnen vierundzwanzig Stunden Jeder fünfhundert Gulden aufgebracht, also daß sechszehntausend Gulden hier plötzlich auf dem Tisch beisammen sind. Also ist die Prüfungszeit vorüber, und ich habe euch die Kunst gelehrt, Gold zu machen. Und nun werdet ihr verstehen, was ich sagte, da ihr das erste Mal hier standet. Ich sagte aber: die Kunst ist selbst mehr noch, als das Gold, werth; denn diese Kunst ist die beste Weisheit des Lebens. Bleibet euern Gelübden und Gott getreu, und euer Glück und Wohlstand wird wachsen von Tag zu Tag. Wer vom Gelübde läßt, der läßt von seinem Glück. Präget dies Gelübde euern Kindern ein, und lasset sie es halten, so werden sie Fülle haben. Nun habe ich mein Wort gelöst, das ich euch gegeben. Ihr seid darum reich, weil ihr wenig bedürfet und viel erwerbet, und weil ihr Zutrauen genießet bei den reichen Leuten, daß ihre Geldsäcke euch offen stehen. So habet ihr Gold machen gelernt, wie Ehrenmänner Gold machen sollen. Oder habet ihr anderes erwartet?«
Sie lächelten allesammt und sprachen: »Ei nun, wir haben wohl längst schon vermerken können, wie du es mit der Goldmacherei gemeint hast. Doch als wir einmal zur rechten Erkenntniß gekommen waren, schämten wir uns auch des dummen Aberglaubens, der uns vormals bethörte, und wußten es dir im Herzen Dank, daß du uns auf bessere Bahn gebracht. Ohne dich und deine Hülfe wären wir aber doch nie dahin gekommen.«
Oswald freute sich dieser Worte und der dankbaren Herzlichkeit, mit der ihm Jeder die Hand drückte und schüttelte. Und er stellte ihnen ihr Geld wieder zu, weil er es nicht hatte gebrauchen, sondern nur ihre Zuneigung auf die Probe setzen wollen. Sie aber sagten: »Gebiete über uns, wie du willst, Tag und Nacht. Denn wir Alle sind dir unser Hausglück schuldig. Sprich, wir sollen für dich durchs Feuer gehen, wir werden gehen. Sprich, wir sollen für dich sterben, und wir werden den Tod nicht fürchten.«
Und wie sie sich so traulich und herzlich um ihn drängten, betrachteten sie sein schönes Kleid und den Orden auf der Brust, und hätten gern erfahren, was das bedeute.
Er antwortete: »Ich danke es euerm alten Schulmeister, meinem seligen Vater, noch in der Erde, daß er mich in vielen nützlichen Dingen und sogar im Feldmessen unterrichtete. Denn als ich unter die Soldaten kam, half es mir, nebst redlichem Sinn und herzhaftem Betragen, daß ich meinen Kameraden vorgezogen ward. Ich that meine Pflicht und ward zuletzt Rittmeister. Und als ich in einem Treffen, da sich der Erbprinz zu weit vorwagte, denselben mit seinem Gefolge von feindlichen Reitern umgeben sah, drang ich blitzschnell mit meiner Schwadron unter die Feinde, und rettete den Prinzen. Dafür empfing ich diese Wunde hier auf der Stirn, und dieses Ordens- und Gnadenzeichen auf der Brust, und als ich den Abschied beim Friedensschluß nahm, einen anständigen Jahrgehalt auf Lebenszeit. Auch hat der Erbprinz, als er unser Land durchreisete, mich nicht vergessen, und mich, wie ihr wisset, sogar im Vorbeireisen einmal besucht.«
»Da ich aber heimkam nach Goldenthal, in meine liebe Heimath, und ich sah, wie elend und verlumpt hier Alles war, verbarg ich meinen Wohlstand, um nicht von lüderlichen Bettlern belagert zu werden. Auch hatte ich alle Lust verloren, hier zu bleiben, und wäre wieder fortgezogen, hätte ich nicht des Müllers Elsbeth gesehen. Meine Elsbeth hielt mich fest. Da beschloß ich in meinem Herzen, zu versuchen, ob ich mir das Leben bei euch lieb machen könne? Und ich stellte mich arm und den Uebrigen gleich, um Vertrauen zu erwecken. Und ich sagte Niemandem von meinen Ehren und Jahrgeldern, so ich genösse. Nur Elsbeths Aeltern mußte ich es am Abend, da ich um die Tochter anhielt, offenbaren, sonst hätten sie mir ihr Kind nicht gegeben, denn sie hielten mich für arm. Als ich aber noch am Abend den Müller Siegfried und seine Frau zu mir ins Haus führte, und hier meine Uniform mit dem Orden anlegte, ihnen mein gesammeltes Geld und den königlichen Gnadenbrief wies, woraus sie sahen, daß ich mehr Jahrgehalt bezog, als des Müllers Mühle in drei Jahren verdienen konnte, wurden sie andern Sinnes. Doch mußten sie verschwiegenen Mund halten, denn es war nöthig. Nun aber mag es Jedermann wissen; es schadet nicht mehr.«
So erzählte Oswald, und die Leute verwunderten sich und freuten sich über sein Glück. Und sie hatten vor ihm so große Ehrfurcht bekommen, daß sie ihn kaum Du nennen wollten. Er aber sagte: »Was treibet ihr auch mit mir? – Nein, ich bleibe eures Gleichen; darum seid und bleibet meine Brüder. Kein Offizierrock und kein Orden, sondern ein wohlwollendes Herz voll Gottesfurcht macht zum Ehrenmann.« So redete er und umarmte Alle nach der Reihe, da sie sich heim begaben; und sie dankten ihm, denn er sei der wahre Stifter ihres irdischen und ewigen Glücks, und sie nannten ihn Vater. Und wenn er Kindtaufe halten würde, versprachen sie Alle, sich mit ihm zu freuen, als wäre sein Fest ihr eigenes Fest.
Wie nun drei Tage nach diesem der Sonntag kam, da Oswalds Sohn getauft werden sollte, war Alles im Dorfe schon früh wach. Oswald aber trat zu seiner Elsbeth an das Bette, küßte die junge Mutter und ihren holten Säugling und sprach: »Sieh', theure Elsbeth, mein Herz bricht vor Freude und Wehmuth. Mein Söhnlein, das du geboren hast, macht mir große Wonne; aber noch größere Wonne macht mir der Anblick unseres Dorfes. Und es ist doch wahr, die Menschen sind so böse nicht, und nicht so herzlos, wie man oft sagt. Man soll den Glauben an die Güte der Menschheit nie verlieren. Siehe, in dieser Nacht haben sie unser Wohnhaus wieder mit Blumenkränzen prächtig überdeckt und verziert, wie es am Tage unserer Hochzeit war. Aber dabei ist es nicht geblieben. Alle Häuser des Dorfes sind mit Blumen und Zweigen verziert, als wäre unser Fest das Fest jedes Hauses. Und hinten von unserm Haus hinweg bis zur Kirchthür haben sie grünende Birkenstangen auf beiden Seiten des Kirchwegs gepflanzt und lange Blumenschnüre von Birke zu Birke gezogen, und den ganzen Weg mit grünem Laub und allerlei Blumen überstreut.«
So sprach Oswald und die junge Wöchnerin erröthete in stiller Rührung, und ihre Augen wurden feucht. Dann sagte sie nur: »Hab' ich doch in der Nacht oft ein Gehen und Sumsen draußen gehört, und wußte nicht, was es gab?« Sie konnte nicht im Bette bleiben, und mußte auf und ans Fenster gehen und die Herrlichkeit sehen. Da weinte sie still; denn nichts ist für ein zartes Gemüth rührender, als wenn es den Zusammenklang der Seelen in tugendhafter Erhebung wahrnimmt. Das ist die wahre Verklärung der Menschheit und eine Ahnung des schönern Himmels, der unserer wartet.
Als Elsbeth wieder zu ihrem Säugling gegangen war, kamen ihre Aeltern, denn sie waren die erbetenen Taufzeugen. Die Müllerin konnte nicht genug sagen, wie ausgeschmückt die Häuser wären, wie lebendig Alles im Dorfe sei, und sie rief einmal um das andere aus: »Nein, solch eine Kindtaufe ist in Goldenthal noch nie geworden! So feiert man ja nicht die Geburt eines Fürsten.«
Und wie sie noch so redete, kam ein ganzer Zug junger Mädchen und Knaben gegen Oswalds Haus, sämmtlich in Feierkleidern, Paar um Paar. Alle trugen ein kleines Geschenk von ihren Aeltern zur Wiege des Neugebornen; die Einen schneeweiße Leinwand, die Andern Zucker, oder Mandeln, oder Blumen, oder selbstgestrickt Strümpfe oder Handschuhe, die Andern niedliches Hausgeräth, kleine Bedürfnisse für Küche und dergleichen. So viele Haushaltungen im Dorfe, so viele Geschenke. Und alle Kinder küßten Elsbeths Hand und sagten: Mutter Elsbeth! und küßten Oswalds Hand, indem sie bloß dazu die Worte sprachen: Vater Oswald! Aber welcher Wohllaut lag für Oswald und Elsbeth in diesen Vater- und Mutternamen! Es gab keinen einfachern und rührendern Glückwunsch.
Da läuteten alle Glocken mit vollem Klange zur Kirche. Der Säugling ward zur Taufe getragen, er voran; ihm folgten die beiden Großältern, hintennach der tiefgerührte Vater. Die ganze Gemeinde stand vor der Kirche in weitem Halbkreis, Alt und Jung, und sah den Oswald kommen. Sanft und freundlich sprach Alles, wie er vorbeiging an der Menschenmenge: » Guten Morgen, Vater Oswald.« Dann folgte ihm Alles in die Kirche.
Hier hielt der Herr Pfarrer Roderich nach vollbrachter Taufhandlung eine schöne Predigt über die Pflicht öffentlicher Dankbarkeit des Volks gegen eine gute Obrigkeit. Er schien noch nie so begeistert und salbungsreich geredet zu haben. Wort auf Wort traf die Herzen. Es war im ganzen Volk die tiefste Andacht und wachsende Rührung. Jeder hielt an sich, seine Thränen zu unterdrücken. Als nun aber der Herr Pfarrer ans Schlußgebet kam, und er da die bebende Stimme zu Gott erhob für die gute Obrigkeit von Goldenthal, wobei Jeder im Stillen an Oswald dachte; als nun der Herr Pfarrer selber die Bewegung seines Gemüths nicht länger zurückzwingen konnte, und ihm unter Thränen der Name Oswald entschlüpfte – da ward lautes, heftiges Schluchzen in der ganzen Kirche. Da nun dachte Jeder an das Alles, was dieser Oswald der Gemeinde gethan und gestiftet; Jeder erkannte in ihm den Urheber des allgemeinen Glückes. Der Pfarrer konnte nicht mehr reden. Er schloß; er sprach den Segen über die fromme und dankbare Gemeinde. Niemals war in Goldenthal mit höherer Inbrunst ein Gesang gesungen worden, als diesmal aus dem Anhangbüchlein der Vers: Für das Leben der Obrigkeit! – gen Himmel stieg.
Der gute Oswald, sehr verlegen und beschämt, und doch froh gerührt, konnte kaum aufsehen, da er aus der Kirche ging, und begab sich, tief sein Haupt gesenkt, durch die grüßende Menge zu seiner Elsbeth. Er konnte kaum reden. Zum Mittagsmahl waren bei ihm seine Schwiegerältern und der Herr Pfarrer, der Schulmeister und die beiden Mitvorgesetzten. Die erzählten, daß fast in allen Häusern des Dorfes Gastmähler gehalten würden, wozu Einer den Andern eingeladen habe; die Aermern speiseten bei den Reichern. Oswald schüttelte den Kopf und sprach: »Das ist mir der Ehre allzuviel; ich habe es nicht verdient.«
Doch die allgemeine Freude machte auch ihn wieder froh und wohlgemuth. Er ging gegen Abend, begleitet von seinen Gästen, hinaus ins Dorf, und ging da von Haus zu Haus, und setzte sich zu jeder Familie einige Augenblicke und dankte Allen für so viel Liebe. Goldenthal war voller Fremden; denn man wußte in der Stadt von dem Feste, und wer konnte, eilte nun hierher, Zuschauer zu sein. Bis in die späte Nacht währte der Tanz der Jugend, man hörte aller Enden Musik und Gesang vor den Häusern, unter der Linde, unter den Blumenkränzen und in den Gärten.
Man sprach und spricht noch lange zu Goldenthal von diesem schönen Tage. Und Oswald hieß seit demselben nur Vater Oswald, und die liebenswürdige Elsbeth hieß Mutter Elsbeth.
Wahrlich, wahrlich, was im Leben Gutes gesäet wird, das findet endlich immer seinen schönen Aerntetag. Denn es lebt uns ein guter Gott, ein Vergelter voller Barmherzigkeit und Liebe.