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7

Dem ersten Zettel, den Gontard Lena geschickt hatte, folgten andere. Immer in Abständen von zwei, drei Tagen und immer auf andere Weise. Einmal tauchte der Chauffeur neben Lena im Delikatessengeschäft auf, kaufte eine Kleinigkeit und legte mit der Geschicklichkeit eines Taschenspielers ein zusammengerolltes Blättchen in Lenas offene Handtasche. Sie fand es erst zu Hause und las die gleichen Worte wie das erstemal: »Unbesorgt, schweigen, vernichten«. Drei Tage später schickte ein Blumengeschäft einen kleinen Strauß Rosen. »Der gnädigen Frau persönlich zu übergeben.« Das Mädchen wunderte sich und rief Lena. In einem beigefügten kleinen Briefumschlag lag der Zettel: »Unbesorgt, schweigen, vernichten«. Ein Glück, daß Hugo nicht zu Hause war. Es schien wie abgepaßt.

Jede dieser Botschaften versetzte Lena in unsagbare Aufregung. Sie erwartete sie, und das Warten war qualvoll. Sie kamen, und das Empfangen war qualvoll. Das Geschrei der Zeitungen, bei allen Bekannten die Gespräche, die sämtlich in das Thema Gontard mündeten, die Berichte Hugos, der von nichts anderem mehr zu reden wußte – alles, alles lenkte ihre Gedanken immer wieder auf denselben Punkt. Sie war niedergeschlagen und verzweifelt, als sie am ersten Tag die Hiobsposten der Börse erfuhr, sie war stolz auf den Freund, hatte innerlich gejubelt, als sich das Wunder der Depositenbankaktien ereignete, sie war verzweifelt, wenn ihr Mann von den Marterverhören erzählte, mit denen man Gontard quälte und bewunderte dann wieder den Mann mit den eisernen Nerven. Manchmal dünkte es ihr, als hätte sie ihn eine Ewigkeit nicht gesehen, und eine wahnwitzige Sehnsucht nach dieser einen Dienstagstunde brachte sie von Sinnen. Dann wieder sah sie in der Erinnerung Gontard so deutlich vor sich, als wäre sein großer, schwarz bewaldeter Kopf neben ihr und seine heisere Stimme klänge von ganz nahe. Hugo kannte seine Frau kaum wieder. Dieser sprunghafte Wechsel der Stimmungen war ihm an ihr ganz neu. Aber er war selbst so nervös jetzt und so ganz und gar von der Verteidigung Gontards in Anspruch genommen, daß er nicht weiter nachdachte. Und je näher der Dienstag rückte, um so zerfahrener und erregter wurde Lena. Sie suchte Susis Gesellschaft und geriet außer sich, daß die Freundin so verzweifelt war, als wäre ihrem Liebsten auf der Welt ein Unglück zugestoßen. Wie kam Susi dazu? Hugo hatte recht gehabt, da war etwas. Eifersucht fraß an ihr, und fast entzweite sie sich mit Susi. Aber zwei Stunden später rief sie bei ihr an, um sie zurückzurufen. Sie mußte jemand haben, mit dem sie über Gontard sprechen konnte. Das Leben war ein Schweben, Schwanken, Stürzen, nur kein Gehen auf dem Boden. Wenn Hugo zärtlich wurde, besann sie sich mit Entsetzen, daß sie mit den Sinnen nicht bei ihm war, und wurde plötzlich umschlagend, leidenschaftlich, sich mit einer verbissenen, betäubenden Zärtlichkeit hingebend. Das Schrecklichste aber war die Scham, die sie nach solchem Sturm befiel. Wie eine Frau, die besinnungslos in ein wildes Abenteuer getaumelt ist und einen Fremden genommen hat. In einer solchen Stunde hatte Hugo, den Mund dicht an ihrem zarten, weichen Ohr, einmal gesagt:

»Ich glaube, es wäre doch gut, wenn wir ein Baby hätten.«

Sie hatte krampfhaft den Kopf geschüttelt und mit zusammengebissenen Zähnen unhörbar leise ins Kissen geweint.

Dienstag brach an. Hugo war ganz früh nach gemeinsamem Frühstück fortgegangen. Lena schleppte sich ziel- und planlos in der Wohnung herum. Je mehr sich die Stunde näherte, in der sie sonst am Dienstag die Wohnung zu verlassen pflegte, um so unruhiger wurde sie. Sie riß die Fenster auf und beugte sich hinaus. Die Signale der Autos schlugen grell herauf, die Nerven folternd. Von Minute zu Minute wuchs die zerrende Ungeduld. Lena jagte zurück ins Schlafzimmer, riß Hut und Mantel aus dem Schrank. Ohne jemandem etwas zu sagen, flog sie die Treppen hinunter und ging, lief, rannte die Straße hinauf zum Wittenbergplatz. War es ein Traum oder ein Wunder – dort drüben, an der gewohnten Stelle, stand wie immer das Auto mit dem scheinbar schlafenden Chauffeur, der die Kappe tief ins Gesicht gezogen hatte. Ein Glücksgefühl, wie sie es noch nie erlebt hatte, durchströmte die Frau. Sie stürzte, ohne den Verkehr zu beachten, an fluchenden Wagenlenkern vorbei, über den Platz. Riß den Schlag auf und fühlte schon das Rollen des anfahrenden Wagens, noch ehe sie sich recht gesetzt hatte. Sie streichelte zärtlich den Samt der Polster und liebkoste die kleine Blumenvase, die zwischen den Stirnfenstern in einer durchbrochenen Nickelhülse ruhte. Sie faßte das alles nicht. Zu ihm? das war doch nicht möglich. Das Auto fuhr in rasender Fahrt durch die Kantstraße, am Meßgelände vorbei zum Reichskanzlerplatz und bog, in großer Kurve den Platz umkreisend, in die Heerstraße. Hinter dem Bahnhof minderte der Wagen plötzlich seine Fahrt, wurde immer langsamer, je näher sie der Villa Gontards kamen und rollte endlich, im Tempo eines Leichenzuges, an dem Haus vorüber, das stumm der Straße den Rücken kehrte. Eine Wendung, und sie fuhren zurück. Mit stetig gesteigerter Schnelligkeit.

Diese halbe Stunde Fahrt entschied mehr, als Lena selbst wußte. Daß ihr der Mann aus der Zelle heraus heute, gerade heute, eine Enttäuschung erspart, die aus überladener Spannung geborene Erwartung geheimnisvoll erfüllt hatte, klärte ihr von bürgerlicher Bindung verworrenes Gefühl.

Der Schlag flog auf. Der Chauffeur, wagrecht die vorgestreckte Kappe, half ihr aus dem Wagen. Sie sah auf dem Boden der Kappe ein Papierröllchen liegen und hatte es mit einem hastigen Griff in der Hand. Sie wußte, was darin stehen würde: »Unbesorgt, schweigen, vernichten.«


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