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Vierzehntes Kapitel.

Wie Spangenberg die falschen Scheine erhält

Es war in der siebenten Abendstunde an einem der nächsten Tage.

Spangenberg saß neben seiner Geliebten im behaglichen Zimmer ihrer Wohnung in der Albertstraße. Sie saßen nebeneinander auf dem eleganten modernen Diwan. Elise Merten hatte die Rechte des Geliebten mit ihren beiden Händen umspannt, aber Spangenbergs Finger ruhten schlaff, regungslos zwischen den ihren; sein gelbliches Gesicht war blasser als gewöhnlich und dem Boden zugekehrt; seine Augen starrten finster zu Boden; von Zeit zu Zeit lief ein Zucken über seine markierten Züge, und seine Brust hob sich schwer unter den tiefen, unruhigen Atemzügen. Mit plötzlichem Ruck hob er seinen Blick und schrak leise zusammen.

»Was hast du, Franz?« fragte die Blondine.

»Kommt da nicht jemand?«

»Aber es ist doch nur Mutter –« beschied sie, kopfschüttelnd in seine gespannten, verstörten Mienen schauend.

»Was ist dir nur, Franz? Seit ein paar Tagen bist du so eigentümlich.«

Er seufzte leise und strich sich mit der zuckenden Hand über das Gesicht, das noch immer seinen unstäten, ängstlichen Ausdruck zeigte. Er schmiegte sich dicht an die neben ihm Sitzende und mit nervöser Erregtheit stieß er hervor:

»Ich fühle mich nicht mehr sicher, der Boden brennt mir unter den Füßen. Am liebsten möchte ich fliehen noch heute.«

Er sprang auf, trat an das Fenster, und durch den Store blickte er mit ruhelos spähenden Blicken auf die Straße hinab.

»Aber ist denn etwas geschehen?« fragte das junge Mädchen und trat an die Seite des Geliebten.

Er sah noch eine Weile angestrengt durch die Fensterscheibe, durch den Store verdeckt. Dann ließ er, einer plötzlichen Eingebung folgend, und argwöhnisch auf die Fenster der gegenüberliegenden Häuser blickend, hastig die Wetterjalousie herab. Erst jetzt kehrte er sich zu der hinter ihm Stehenden um und beantwortete ihre Frage.

»Geschehen? Allerlei, und doch nichts Besonderes. Aber ich habe das Gefühl, daß man mich beobachtet, mir nachspioniert, daß man sich an mein« Fersen heftet. Ich bin überzeugt, daß jemand da draußen –« er deutete nach dem Fenster – »steht und auf mich wartet.«

Elise Merten erschrak und faßte mit einer instinktiven Bewegung nach der Hand des Geliebten.

»Nein, nein, Franz, das bildest du dir nur ein. Oder –« sie sah ihn ängstlich forschend in das vor innerer Bewegung lebhaft vibrierende Gesicht – »hast du bestimmte Anzeichen? Weißt du etwas? Sage mir doch alles!«

Er nagte mit den Zähnen an der Unterlippe, starrte eine Weile sinnend zu Boden und hob den Blick wieder zu der erwartungsvoll neben ihm Stehenden.

»Ich sagte schon –« stieß er aufgeregt hervor, »es ist allerlei geschehen. Es scheint, als ob man mit allerlei Listen und unter allerlei Verkleidungen an mich heran will. Ein Fremder hat sich durch einen Bäcker Eingang in die Wohnung meines Schwagers zu verschaffen gewußt. Ich habe den Fehler begangen, meine Nervosität zu zeigen und Bratz zu veranlassen, dem Fremden die weiteren Besuche der Spielabende zu verbieten. Das war dumm, Ein andermal wieder kam ein Dienstmann, der durchaus in mein Zimmer wollte. Natürlich ließ ich ihn nicht ein ...«

»Was wollte er denn von dir?« fragte sie voll Spannung.

»Ach« – ein Hauch von Ärger und Verlegenheit flog über sein Gesicht – »er brachte mir ein rosa Briefchen, eine Einladung zum Rendezvous von einer unbekannten Dame.«

»Und du bist gegangen?«

Die Blicke des jungen Mädchens richteten sich in unverkennbarer Eifersucht auf den Geliebten.

Er schüttelte mit dem Kopf und leugnete: »Natürlich nicht.«

Im stillen aber legte er sich die unruhevolle Frage vor, warum die unbekannte Schöne auf der Kaiserpromenade mitten im anregenden Gespräch plötzlich ausgekniffen war, und nie wieder etwas von sich hatte hören lassen.

»Die Sache ist jedenfalls verdächtig,« fuhr er laut fort. »Ich bin jetzt hinterher überzeugt, daß hinter dieser Einladung etwas anderes steckte, daß man mich ausholen, daß man mir eine Detektivin auf den Hals hetzen wollte.«

Elise Merten versuchte mit einem zweifelnden Lächeln den Aufgeregten zu beruhigen.

»Aber so etwas gibt es ja gar nicht bei uns, Franz.«

»Wenn es bis dahin keine Detektivinnen bei uns gegeben hat, so können sie doch inzwischen eingeführt sein.«

Sie lächelte wieder und zog ihn mit sich zum Sofa zurück.

»Du siehst Gespenster, warum sollte die Polizei denn auf einmal gegen dich Verdacht geschöpft haben?«

»Weil Kaumanns Leute einer nach dem andern aufgehoben worden sind. Es wird immer schwerer, die Scheine abzusetzen. Die Polente Polizei. ist uns auf der Spur.«

»Aber Kaumann selber befindet sich doch noch auf freiem Fuß, ein Beweis, daß sie noch keinen Verdacht gegen ihn haben.«

Doch Spangenberg schüttelte hartnäckig mit dem Kopf.

»Das ist noch kein Beweis. Sie lassen ihn frei herumlaufen, um besser beobachten und durch ihn an mich herankommen zu können.«

Der Sprechende seufzte wieder und der Schatten auf seinem Gesicht wurde noch dunkler.

»Ja, wenn Weigand nicht wäre! Das ist der einzige von den Geheimen, den ich fürchte.«

Er blickte wieder starr zu Boden; in seinen Zügen zuckte und wühlte es; eine tiefe Melancholie und Mutlosigkeit prägte sich in seinen Mienen aus.

Elise Merten betrachtete den Geliebten, dessen sonst so straffe, hohe Gestalt ganz in sich zusammengesunken dasaß, und dessen Gesicht ganz den ihm sonst eigenen Ausdruck von Energie und Kühnheit verloren hatte, sorgenvoll. Jetzt faßte sie wieder die Hand des in stummer Versunkenheit neben ihr Sitzenden, streichelte sie zärtlich und sagte: »Mit dir ist was vorgegangen, Franz. Sage mir doch, was es ist! Hast du denn kein Vertrauen mehr zu mir? Ich sehe es dir doch ganz deutlich an, daß dir was Schweres auf dem Herzen liegt.«

Sie beugte sich wieder vor und sah dem Geliebten aus nächster Nähe forschend in die unstät flirrenden Augen.

Spangenberg aber, den die dringliche Frage und die spähenden Blicke sichtlich nervös machten, fuhr ärgerlich, heftig auf.

»Unsinn! Was soll ich denn haben? Nichts! Es ist nur wegen der falschen Scheine. Was denn sonst?«

Er sah sie fast zornig an. Elise Merten aber liebkoste seine Hand noch zärtlicher und bemühte sich wieder, ihn zu beruhigen.

»Nun! Ich glaube dir ja. Aber wenn du meinst, daß die Sache mit den Fünfmarkscheinen gefährlich zu werden anfängt, dann gib es doch auf! Du weißt, daß es dir auch ohnedies an nichts fehlen wird, wir könnten so ruhig und glücklich leben!«

Aber er schüttelte heftig mit dem Kopf.

»Nein, nein, ich muß fort.« Er sprang auf und rannte ruhelos in dem Zimmer auf und ab.

»Ich habe hier keine Ruhe mehr. Ich sagte dir schon, am liebsten möchte ich noch heute reisen – nach England, oder am liebsten nach Amerika.«

Er blieb stehen und reckte sich und seine Brust hob sich unter einem tiefen Atemzug.

»Dann könnte man doch wieder einmal frei aufatmen und ruhig schlafen.«

Elise Merten hob die ineinandergeschlungenen Hände empor und erwiderte klagend: »Aber es geht doch jetzt nicht, Franz! Mutter ist doch wieder so kränklich. Sie kann sich doch nur mühsam von einem Zimmer ins andere schleppen und hat seit vier Wochen die Wohnung nicht mehr verlassen. Soll ich sie hilflos allein lassen?«

Spangenberg, der seine Wanderung durch das Zimmer wieder aufgenommen hatte, stöhnte.

»Und dann,« fuhr das junge Mädchen fort, »du hattest dir doch vorgenommen, erst zu reisen, wenn wir l0000 Mark zusammen hätten. Ich habe erst 2000 sparen können. Und wieviel hast du zurückgelegt?«

»Ziemlich 3000 Mark.«

»Also fehlt uns noch die volle Hälfte.«

»Schadet nicht! Lieber mit 5000 fliehen, als sich hier festnehmen zu lassen und – vielleicht überhaupt nie wieder herauszukommen.«

»Nie wieder?« Elise Merten lachte. »Da kann man doch sehen, wie du übertreibst. Ja, Franz, ich bin überzeugt, daß du dir das alles nur einbildest, daß man dich im Verdacht hätte, und daß du beobachtest würdest. Du hast schon seit einiger Zeit über deinen Magen geklagt. Daher deine Verstimmung, deine Gespensterseherei. Wenn du erst wieder ganz wohl bist, wird auch deine Stimmung wieder besser werden und dein alter Mut und deine Zuversicht zurückkehren.«

Sie winkte ihn, ermutigend lächelnd, zu sich; er folgte und setzte sich wieder neben sie. Das kluge, gewandte Mädchen begann von etwas anderem zu sprechen, von einem Theaterstück, das sie gesehen, von einer neuen Bar, die sie besucht hatte, und sie hatte die Genugtuung, zu sehen, wie sich allmählich sein Gesicht erhellte und wie sein Interesse sich immer mehr an ihren Schilderungen anfachte.

»Weißt du, die Bar müssen wir einmal zusammen besuchen, Franz! Willst du?«

Er nickte.

»Meinetwegen! Vielleicht hast du recht; vielleicht bilde ich mir das alles nur ein. Jawohl, die Bar besuchen wir. Man muß mehr ausgehen, sich mehr amüsieren, damit man die verdammten Grillen ver–«

Er hatte noch nicht ausgesprochen, als plötzlich das grelle Geläut der elektrischen Flurklingel ertönte. Wieder schrak Spangenberg hastig zusammen, wieder richteten sich seine Augen voll Unruhe und Angst nach der Tür, dann warf er einen Blick um sich, als suche er ein Versteck, um sich zu verbergen.

Schon hatte sich Elise Merten, nach der Stutzuhr auf der Konsole hinüberschauend, erhoben.

»Halb acht! Das ist Mariechen Saaler.«

Sie eilte in den Korridor, während Spangenbergs Blicke voll martervoller Spannung, wie gebannt, an der Tür hingen. Aber schon im nächsten Moment hörte er eine wohlbekannte, helle, freundliche Frauenstimme. Er atmete auf. Mit einem Satz war er vor dem Spiegel, strich über das Haar, zupfte an der Krawatte und mit einem liebenswürdigen Lächeln kehrte er sich nach der öffnenden Tür um. Er blickte nicht wenig erstaunt, als ein junger Mann mit frischem, rotem Gesicht und schelmisch, ein wenig herausfordernd blitzenden, dunklen Augen über die Schwelle trat. Aber schon im nächsten Moment strahlte seine Miene auf und ein Ausdruck lebhafter Bewunderung malte sich in ihnen.

»Famos! Reizend!« rief er, und eilte auf den bei der Tür stehen bleibenden jungen Burschen zu: »Nein, wie prächtig Sie aussehen, Frau Mariechen! Lassen Sie sich doch einmal genauer betrachten!«

Frau Saaler trat mit gut gespielter Forschheit ein paar Schritte weiter in das Zimmer hinein, während Spangenberg um sie herumging, um sie von allen Seiten in Augenschein zu nehmen. In der Tat, der kecke runde Hut, der kurze Überzieher, die straff sitzenden Beinkleider machten die Erscheinung zu einer reizvollen und gaben der 30jährigen Frau das Aussehen eines kaum 20jährigen jungen Burschen.

»Gefalle ich Ihnen so?« fragte sie mit einem koketten Aufwerfen ihrer Lippen.

Spangenberg nickte begeistert und sein begehrlicher Blick glitt über die zierliche und doch volle Gestalt hin.

»Einfach zum Küssen!«

»Du!«

Elise Merten drohte mit scherzhafter Geste, aber in den Mienen ihres hübschen Gesichts verriet sich deutlich die Eifersucht, die die Bewunderung, die ihr Geliebter der Anderen in so lebhafter, ungeheuchelter Weise darbrachte, in ihr erregte. Dann wandte sie sich an die junge Frau: »Haben Sie nicht Furcht, daß man die Maskerade durchschaut?«

In dem Ton ihrer Stimme drückten sich Mißbilligung und Ärger aus. Die Augen der jungen Frau strahlten noch immer das Vergnügen aus, das ihr die Kostümierung und die Bewunderung Spangenbergs bereiteten.

»Er will doch –« entschuldigte sie sich, »daß ich mich unkenntlich mache. Überhaupt, er wird alle Tage ängstlicher. Er selbst traut sich kaum noch auf die Straße und sieht schon ganz stubenblaß aus.«

Die Sprechende trat vor den Spiegel zwischen den Fenstern und betrachtete sich wohlgefällig.

»Meinen Sie denn, daß ich mich so nicht sehen lassen kann?«

Um Elise Mertens Lippen zuckte noch immer der Unwille.

»Ich würde mich nicht so auf die Straße getrauen.«

»Am Tage ja, aber abends!« wandte die Andere ein. Man huscht rasch durch die Straße; es hat keiner Zeit, einen recht zu betrachten. Ich mag doch nicht immer als alte Frau dahinschleichen, wie das letztemal.«

Spangenberg nickte mit voller Überzeugung.

»Da haben Sie recht, Frau Mariechen. Jedenfalls sehen Sie so viel netter aus, und was die Sicherheit betrifft, scheint mir's auch praktischer, Wer achtet denn auf solch einen hübschen, jungen Burschen? Doch nur die Mädchen!«

Er lachte, dann den verweisenden, bösen Blick seiner Geliebten bemerkend, fragte er, rasch ernst werdend: »Also, es geht ihm nicht gut?«

Frau Saaler setzte sich, nachdem ihr Elise Merten mit süßsaurer Miene einen Stuhl hingeschoben hatte. Auch Spangenberg nahm ihr gegenüber Platz; seine Blicke wanderten noch immer, wenn auch mit etwas verstohlener Bewunderung, über die Gestalt des Pseudo-Jünglings, der den Hut abgenommen hatte. Am liebsten hätte er die verkleidete junge Frau genötigt, den Überzieher abzulegen, aber er unterdrückte seinen Wunsch aus Furcht vor der Eifersucht seiner Geliebten.

Frau Saaler gab Antwort: »Er wird alle Tage magerer und blasser. Ich bitte Sie, er gönnt sich ja kaum satt zu essen. Sein einziges Streben ist, zu sparen und jede Mark, die er erübrigt, muß ich auf Ännchens Namen anlegen. Er denkt immer daran, daß sie ihn über kurz oder lang wieder fassen werden. Ihr sollt nicht Not leiden, du und das Kind, sagt er alle Tage zu mir, wenn die Greifer kommen.«

Spangenberg zuckte leise zusammen und auf sein Gesicht senkte sich eine Wolke.

Elise Merten aber entgegnete unwillig: »Wie kommt er denn darauf? Der alte Mann fängt Grillen. Es ist doch kein Grund –«

»Das sage ich ihm auch,« fiel die Saaler lebhaft ein. »Vorsichtiger kann man doch nicht sein, als wir. Ich habe gar keine Angst.«

Sie knöpfte jetzt den Paletot auf. Spangenberg verfolgte jede ihrer Bewegungen mit leuchtenden Blicken. Sie griff in die Innentasche des Paletots und brachte ein in starkes Papier geschlagenes Paket zum Vorschein. Sie löste mit flinken Fingern den Bindfaden, wobei sie die Aufschläge des Paletots und die Schöße offen stehen ließ, so daß sich die Konturen der Büste in der enganliegenden Jacke verführerisch abzeichneten. Dann breitete sie den Inhalt des Paketes auf dem Tisch am Sofa aus. Es waren lauter frische Fünfmarkscheine, wenn ihnen auch absichtlich der Schein des Gebrauchs gegeben worden war.

»Einhundertfünfzig,« sagte sie, als sie mit dem Aufzählen fertig war.

Spangenberg zählte flüchtig nach und nickte. Dann winkte er seiner Geliebten. Elise Merten erhob sich und während sie, den Andern den Rücken zukehrend, am Schreibtisch beschäftigt war, sah Spangenberg mit glänzenden Augen zu der hübschen, jungen Frau hinüber und brachte ihr ostentativ durch Blicke, Mienen und Gebärden sein Entzücken zum Ausdruck.

Sie lächelte geschmeichelt und verschämt und zog mit koketter Geste die Paletotschöße zusammen, um sie gleich darauf anscheinend achtlos wieder zurückfallen zu lassen.

Als Elise Merten zum Tisch zurückkehrte, blickten ihr beide mit geschäftsmäßig ernstem Gesicht entgegen.

Es waren ein paar hundert Mark, die Spangenbergs Geliebte in Fünfzig-, Zwanzig- und Zehnmark-Kassenscheinen und in Gold auf den Tisch zählte. Frau Saaler rechnete nach und schob dann das ganze in ihre Paletottasche.

»Was hat man nun davon?« seufzte sie schwermütig. »Da hockt man den ganzen Tag bei dem alten Mann, sieht ihm zu und hilft so gut man kann, vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Und von all dem Schönen, das andere erfreut, hat man nichts, rein gar nichts. Wie auf einer Insel leben wir drei.«

»Geht er denn gar nicht mit Ihnen gelegentlich ein bißchen aus?« fragte Elise Merten.

Sie wehrte mit einer Geste gespielten Entsetzens ab.

»Um keinen Preis! Ich sagte Ihnen ja schon er wagt sich nicht heraus. Wie die Fledermäuse lebt er. Nur des Nachts schlüpft er mal auf ein halbes Stündchen hinaus, um ein bißchen frische Luft zu schnappen.«

»Und Sie, Ärmste?« forschte Spangenberg.

Sie zuckte resigniert mit den Schultern.

»Ich niste, wie er, im Nest. Wo soll ich auch allein hin? Aber selbst wenn ich mir mal ein Vergnügen gönnen möchte, er leidet's nicht. Ich denke immer, du kommst nicht wieder, sagt er. Und was sollten Anna und ich ohne dich anfangen?«

Die Sprechende schlang die auf ihren runden Knien ruhenden Hände mit einer verzweiflungsvollen Gebärde in einander, seufzte tief und klagte: »Es ist zum Schwermütigwerden!«

Und dann mit einem raschen, verstohlenen Blick zu Spangenberg hin: »Die Gänge zu Ihnen, Fräulein Lieschen, sind die einzige Abwechslung, die ich habe.«

»Er ist wohl sehr unwirsch und verdrießlich!« fragte das junge Mädchen.

»Ach nein, das kann ich eigentlich nicht sagen, nur sehr ernst und melancholisch. Sonst aber ist er die gute Stunde selbst, gegen mich und gegen Ännchen. Die Kleine hat er überhaupt in sein Herz geschlossen. Mein Gott, was wär' wohl aus uns geworden ohne ihn? Ich war schon der Verzweiflung nahe – ich bitte Sie, als Witwe mit einem Kind, ohne einen Pfennig Geld und keine Pension, rein nichts, und die Verwandten hatten sich alle losgesagt von uns wegen – na, das wissen Sie ja – da kam er eines Tages als Retter in der Not. Ich wußte nicht mehr ein und aus – und war froh, daß er sich unser annahm.«

»Er war mit Ihrem Manne befreundet?« fragte Elise Merten.

Frau Saaler nickte.

»Im Lazarett haben sie sich kennen gelernt. Als es mit meinem Mann zu Ende ging, hat er ihm versprochen, daß er nach uns sehen werde. Er hat sein Versprechen gehalten. Das muß man sagen: wie ein Vater handelt er an mir und Ännchen.«

Die kleine Stutzuhr verkündete mit hellem, metallischem Klang die achte Stunde. Die kleine Frau Saaler sprang auf.

»Aber haben Sie's denn so eilig?« fragte Spangenberg mit ehrlichem Bedauern.

Sie nickte kräftig.

»Er hat ja keine Ruhe, bis ich wieder da bin. Die ganze Zeit über geht er ruhelos zwischen Fenster und Tür hin und her und lauscht auf jedes Geräusch auf der Treppe. Ännchen hat mir's erzählt.«

Sie reichte zuerst Elise Merten, dann Spangenberg die Hand. Er fühlte deutlich den Gegendruck ihrer Finger, während er ihre Hand fest in der seinen hielt. Als sie schon den Korridor verlassen und den Treppenflur betreten hatte, schien ihm plötzlich etwas einzufallen.

»Herrgott, ich habe ja ganz vergessen –«

In größter Eile stürzte er ihr nach. Sie war schon im Begriff, die Treppe hinnunterzusteigen. Rasch trat er an sie heran; nach scheuem Blick auf die Korridortür, die er ins Schloß geworfen hatte, flüsterte er: »Morgen abend, 7 Uhr, vorm Weinrestaurant Haenel, Wilhelmstraße.«

Sie tat sehr überrascht und bestürzt: »Aber, Herr Spangenberg!«

Er zwinkerte ihr lächelnd, verführerisch zu.

»Ein bißchen soupieren? Sekt? Haben Sie Lust?«

Sie strahlte bei seinen Worten über das ganze Gesicht.

»Aber was soll ich ihm denn sagen?«

Da wurde die Korridortür mit hastigem Ruck aufgerissen und Elise Mertens von Eifersucht vibrierendes Gesicht erschien im Türspalt.

»Also bitte, bestellen Sie ihm das!« sagte Spangenberg laut, und wandte sich dann, während der Pseudo-Bursche schnell die Stufen hinabsprang, der Geliebten zu. Er zog sie mit sich in den Korridor hinein, und nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, erklärte er: »Ich hätte beinahe das Wichtigste vergessen: Wie weit er mit den Fünfundzwanzigrubel-Noten ist.«

Sie sah den Geliebten, als sie in das Zimmer zurückgekehrt waren, durchdringend an.

»Wenn du mich betrügen würdest, Franz, ich könnte es nicht ertragen.«

Er lachte und strich ihr beschwichtigend über das erregt zuckende Gesicht.

»Du bist ein Dummchen mit deiner kindischen Eifersucht. Ich darf wirklich mit keinem weiblichen Wesen mehr sprechen, weißt du denn nicht, daß ich nur dich allein liebe, mein einziger, süßer Schatz!«

Er küßte sie und sie erwiderte seine Küsse mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit.


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