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Feldau war sehr unzufrieden. Die Tage vergingen, ohne daß er auch nur einen Schritt vorwärts kam.
Auch die Besprechung mit Kommissar Weigand, den er um Rat und Verhaltungsbefehle fragte, zeitigte kein Resultat. Geduld! Abwarten! war das Einzige, was der erfahrene Kriminalist empfahl. Nur nicht überstürzen! Keine Unvorsichtigkeit! Kein unüberlegtes, forsches Draufgehen!
Feldau strich wiederholt in verschiedenen Verkleidungen, beobachtend, forschend, auf der Straße herum, wenn die Bäcker des Abends nach 8 Uhr die Bratzsche Wohnung verließen, um sich in ihre Werkstätten zu begeben. Aber keiner der aus der Wohnung des »Spielbooß« kommenden Spieler entsprach auch nur annähernd der Beschreibung und dem Bild des Lomnitz, das er im Verbrecheralbum gesehen hatte.
Da kam dem schon ganz mutlosen Polizeiagenten einer jener Zufälle zu Hilfe, die öfter, als Laien denken, bei den Erfolgen der Kriminalpolizei eine Rolle spielen.
Unter den jungen Bäckergesellen fiel ihm ein im ungefähren Alter mit ihm stehender Mensch auf. Das Gesicht des Burschen kam ihm bekannt vor, wenn er sich auch während des kurzen Momentes, da er an ihm vorüberging, nicht erinnern konnte, wann und wo er ihn schon früher gesehen hatte. Er folgte dem jungen Menschen langsam und trat nach einer Minute, eine Zigarette zwischen den Lippen, an ihn heran.
»Bitte, wollen Sie mir etwas Feuer geben.«
Der Bäcker hielt dem ihn voll und forschend Anschauenden seine brennende Zigarre hin.
Da kam Feldau die Erinnerung.
Das war ja sein Schulfreund Brenner, der mit ihm zusammen in ihrer kleinen Vaterstadt Pollnow in Pommern die Schulbank gedrückt hatte. Es mochten sechs Jahre her sein, daß sie sich nicht gesehen hatten.
Da er an diesem Abend ein Dienstmannskostüm trug, zu dem er sich eine kupferrote Nase und ebensolche Backen angeschminkt und eine Bartfräse angelegt hatte, so war es ausgeschlossen, daß Brenner ihn erkannte. Er dankte und ging dann wieder, anscheinend eilig, von dannen.
Aber er machte bald wieder kehrt und eilte dem ahnungslos Weiterschreitenden nach, um auszukundschaften, in welcher Bäckerei er arbeitete.
Feldau war nicht wenig erfreut. Vielleicht gelang es, durch Brenners Vermittlung, zum dritten Male, diesmal mit mehr Aussicht auf Erfolg, in die Bratzsche Wohnung zu gelangen.
Gegen Mittag des anderen Tages legte er seine gewöhnliche Kleidung an, dazu schmückte er sich mit einem Backenbart, der am Kinn ausgeschnitten war. So suchte er die Bäckerei auf, in der Brenner beschäftigt war. Auf seine Bitte wurde der Geselle, der eben seinen Morgenschlaf beendet hatte, gerufen.
Die Begrüßung zwischen den beiden Jugendfreunden war eine sehr herzliche.
Feldau gab an, daß er von einem gemeinsamen Freunde in Pollnow erfahren habe, daß Brenner in Berlin sei, und so komme er, um mit dem alten Freunde ein paar Stunden zu verbringen, und die gemeinsamen Erinnerungen aus der Schul- und Lehrzeit aufzufrischen.
Brenner zeigte sich zwar sehr erfreut über diesen unerwarteten Besuch des ehemaligen Spiel- und Schulkameraden, aber dem heimlich scharf beobachtenden Polizeiagenten entging nicht, daß bei seinen letzten Worten sich des Landsmannes Stirn nachdenklich zusammenzog. Aber er sagte doch zu und eilte davon, um Überzieher und Hut aus seiner Schlafkammer herauszuholen.
Als sie draußen auf der Straße gemeinsam nebeneinander dahinschritten, berichtete Feldau über seine Lebensschicksale, mit einer Abänderung, die er sich schon vorher ersonnen hatte, und die zum Zweck der Erreichung seines amtlichen Auftrages dringend geboten war. Er habe eine Zeitlang in seinem Handwerk gearbeitet, schließlich aber habe er die Profession, die ihm niemals zugesagt, aufgegeben und habe sich einen weniger anstrengenden und dabei einträglicheren Beruf gewählt. Er sei ein paar Jahre als Kellner tätig gewesen und zuletzt Oberkellner in einem besseren Restaurant gewesen. Hier habe er einige Ersparnisse zurückgelegt, und da er auch noch das Glück gehabt habe, ein paar tausend Mark in der Lotterie zu gewinnen, so habe er nun die Absicht, ein Restaurant zu kaufen oder neu einzurichten. Der Freund möge ihn begleiten; sie wollten gemeinsam eine Anzahl Restaurationen besuchen, die zum Verkauf ständen, um zu sehen, wo das Geschäft am flottesten ginge.
Brenner kraute sich überlegend hinter dem Ohr. Gewiß, eine solche Bierreise sei nicht übel, und er würde den Vorschlag des Freundes für ein andermal gern annehmen, aber heute habe er schon etwas anderes vor. Er mache den Vorschlag, daß Feldau heute ihn begleite; er, Brenner, verspreche ihm ein paar genußvolle und – der Sprechende lächelte vielversprechend – vielleicht ganz einträgliche Stunden.
Der Pseudo-Oberkellner tat sehr überrascht. Was das wohl sein mochte?
Brenner erzählte, daß er vor acht Tagen bei einem Bäcker, namens Bratz, eingeführt worden sei, wo alltäglich ein »Spieler-Kommers« stattfände. Gestern wäre er stark im Verlust gewesen und so wolle er heute mit Hilfe seiner ganzen noch übrig gebliebenen Barschaft Revanche nehmen.
Feldau schien zu überlegen. Er sei kein Spieler, am wenigsten liebe er das Hasardspiel. Aber freilich, um doch mit dem so lange nicht gesehenen Freunde den Nachmittag über zusammen zu sein, wolle er sein Vorurteil überwinden und Brenner begleiten.
Nachdem die beiden Freunde in der nächsten, auf ihrem Wege liegenden Restauration auf die alte Freundschaft angestoßen und ein paar Glas Bier vertilgt hatten, brachen sie gemeinschaftlich nach der Belforter Straße auf.
Feldaus Freude war nicht gering, daß sich alles so ganz programmäßig glatt abwickelte.
In geheimer Spannung betrat er um 4 Uhr in Begleitung des Freundes die Bratzsche Wohnung.
Der »Spielbooß« öffnete selbst. Als er des fremden Gastes ansichtig wurde, stutzte er und zog sein Gesicht in strenge Falten. Aber als der junge Bäcker erklärte, daß dies ein alter, lieber Freund von ihm sei, der zurzeit als Rentier lebe und eine Restauration zu kaufen im Begriff stehe, erhellten sich Bratz' Mienen sofort. Ein Fremder, der in so einwandfreier Weise von einem alten »Tippelant« Spieler. eingeführt wurde, und der überdies die Tasche voll Geld hatte, war natürlich sehr willkommen.
Alle drei betraten das Spielzimmer. Es war ein großes, zweifenstriges Zimmer mit einfacher, wenn auch nicht ärmlicher, Ausstattung. In der Mitte stand der große Spieltisch, auf dem der Talon bereits ausgebreitet war. Von der Decke hing eine dreiarmige Gaskrone. Es waren schon ungefähr ein halbes Dutzend Besucher vorhanden, denen Feldau in seiner empfehlenden Eigenschaft als angehender Restaurateur vorgestellt wurde. Alle begrüßten den neuen Gast aufs freundlichste, und als die Schar der Spieler auf etwa ein Dutzend angewachsen war, kündigte Bratz den Beginn des Spieles an.
Er rief zunächst das Dienstmädchen herein, gab ihr Geld und hieß sie, ein Spiel Karten zu holen.
Feldau, der die Praxis des Bankhalters kannte, wußte, daß dies nur ein Scheinmanöver war, um den Spielern Vertrauen einzuflößen. In Wirklichkeit wurden die Karten längst bereit gehalten, nachdem sie vorher sorgsam vermittels der »Maquillage« präpariert worden waren.
Eine dünne, heißgemachte Nähnadel wird in weißes Wachs getaucht, und während das flüssig gewordene Wachs die Spitze der Nähnadel bedeckt, wird in die Rückseite der einzelnen Kartenblätter in verschiedener Art gestochen. Das flüssige Wachs quillt in die verschiedenen Löchelchen, erstarrt darin und verschließt dieselben. Da das Wachs glänzend ist, so sind die kleinen Pünktchen auf der Oberfläche der Karten kaum bemerkbar und entgehen den Nicht-Eingeweihten vollständig. Höchstens könnte sie einer wahrnehmen, wenn er die Karten schräg gegen das Licht hielte und sie genau betrachtete.
Der mit den Karten manipulierende Bankhalter nimmt mit seinen tastenden Fingerspitzen die Merkmale natürlich wahr und erkennt die Karten (ob ein Aß, ein König, eine Dame usw.), ohne sie anzusehen, an der Anordnung der verschiedenen kleinen, mit Wachs ausgefüllten Löcher. Da beim »Tempeln« die Farbe der Karten bekanntlich keine Rolle spielt, so ist der »Zocker« genau informiert und es ist ganz in sein Belieben gegeben, die »Tippelanten« gewinnen oder verlieren zu lassen. Bemerkt er, daß die oberste Karte, nachdem er sie aufgeschlagen, für ihn einen Verlust bedeuten würde, so läßt er sie liegen und zieht gewandt und geübt schnell eine andere Karte aus dem Spiel.
Das Dienstmädchen kam mit den verlangten Karten, die ordnungsmäßig in einem verschlossenen Kuvert steckten (das vorher natürlich behutsam geöffnet und sorgsam wieder zusammengeklebt war). Sie reichte das Spiel dem »Zocker«, den Bratz selbst darstellte; er öffnete das Kuvert und das Spiel nahm seinen Anfang.
Feldau beteiligte sich natürlich am Spiel, indem er ab und zu eine Mark oder ein Fünfzigpfennigstück setzte.
Aber er war nur äußerlich beim Spiel; sein ganzes inneres Interesse wandte sich heimlich der Tür zu, die in Spangenbergs Zimmer führte. Der ehemalige Zuchthäusler befand sich nicht unter den Spielern, deren Zahl sich nach und nach noch vermehrte.
Feldau interessierte das Spiel gar wenig, er kannte ja seine Wirkung: die glühenden Augen, die fieberhafte Röte, die nervösen heftigen Bewegungen, die halblaut ausgestoßenen Flüche der Spieler, die selbstverständlich meist im Verlust waren. Gegen ihn aber wandte der »Zocker« das alte Mittel an: er ließ ihn zuerst gewinnen, um ihn nachher um so sicherer zu rupfen.
So verging eine gute halbe Stunde.
Feldau hatte bereits ein paar Mark verloren; er zog sich mehr in den Hintergrund des Zimmers zurück und setzte sich, anscheinend ermüdet, auf einen Stuhl und markierte den abergläubischen Spieler, der, wenn er anhaltend im Verlust ist, irgendeine äußerliche Änderung vornimmt, um das Unglück zu verscheuchen und nachher mit um so größerem Eifer das Glück zu suchen.
Sein Blick zog über die Spieler hin, während er die Frage bei sich erwog, ob der Unbekannte, dessen Stimme er kürzlich in Spangenbergs Zimmer vernommen, sich wohl unter ihnen befände.
Um sich nicht den Unwillen des »Spielbooß« zuzuziehen, kehrte er nach einer kurzen Pause zum Spieltisch zurück und verlor wieder ein paar Mark.
Seine Aufmerksamkeit aber galt insgeheim der Tür zu Spangenbergs Zimmer. Aber so sehr er auch sein Gehör anstrengte, in dem wüsten Lärm, der durch die Ausrufe und Flüche der Spieler hervorgerufen wurde, drang kein Laut, kein Geräusch aus dem beobachteten Zimmer zu ihm heraus.
Da plötzlich – den Beobachtenden durchfuhr es wie ein körperlicher Schlag – öffnete sich Spangenbergs Tür und er selbst erschien im Spielzimmer.
Der Eintretende ließ zuerst seinen Blick prüfend über die Spielenden hinschweifen. Als er des neuen Gastes, der ihm noch nicht bekannt war, ansichtig wurde, verfinsterte sich seine Miene und seine Stirn furchte sich unmutig.
Feldau tat natürlich ganz unbefangen; er stand vornübergebeugt, sah mit blitzenden Augen, mit angespannten Mienen, in denen sich offenbar eine lebhafte Spielleidenschaft verriet, auf die Karte hin, die der »Zocker« langsam umschlug. Dennoch warf er ab und zu unter den gesenkten Augenlidern hervor einen blitzschnell spähenden Blick auf Spangenberg.
Der ehemalige Zuchthäusler war, wie immer, gut gekleidet; besonders fiel dem Beobachtenden die Krawattennadel mit dem Rubinherz auf, von der ihm Käthe Wagner erzählt hatte.
Er sah, wie Spangenberg jetzt an den Bankhalter herantrat, ihm etwas ins Ohr flüsterte, worauf dieser mit einem Blick auf ihn, den neuen Gast, anscheinend ein paar beruhigende Worte zurückflüsterte, die sichtlich ihre Wirkung auf Spangenberg nicht verfehlten, denn er mischte sich jetzt unter die Spielenden, wechselte mit dem einen und andern ein paar Worte, pointierte aber selbst nicht.
Feldau nahm wahr, daß Spangenbergs Blick immer wieder zu ihm zurückkehrte, und daß über seine markierten Züge ab und zu noch ein Schatten des Argwohns und der Unzufriedenheit huschte. Schließlich aber schien er sich doch beruhigt zu haben; seine Miene glättete sich und er trat nun an einen der Spieler heran, der Feldau bisher noch nicht aufgefallen war und der wahrscheinlich einer der zuletzt Angekommenen war.
Es war ein Mensch in mittleren Jahren mit einem bleichen, häßlichen, unsympathischen Gesicht und unstet flackernden Augen.
Spangenberg flüsterte dem neben ihm Stehenden ein paar Worte ins Ohr und verschwand dann in seinem Zimmer.
Feldau hörte wieder auf zu pointieren und beobachtete den Unbekannten. Aber je länger er ihn betrachtete, desto mehr wollte ihm scheinen, daß er dieses Gesicht mit den unregelmäßigen, häßlichen Zügen, der starken, dicken Nase und dem breiten Mund schon irgendwo gesehen habe. Er war mit dem Nachforschen in seinen Erinnerungen noch zu keinem Resultat gekommen, als er beobachtete, daß Spangenbergs Freund sich vom Spieltisch zurückzog, in den Hintergrund des Zimmers trat, sich die an der Wand hängenden Bilder ansah und sich dabei langsam, scheinbar unabsichtlich, Spangenbergs Zimmer näherte. Mit einemmal stand er an der Verbindungstür, warf einen prüfenden Rückblick auf das Zimmer, offenbar, um sich zu vergewissern, daß niemand nach ihm hinsah, und war im nächsten Moment in Spangenbergs Zimmer verschwunden.
Der Pseudo-Oberkellner triumphierte im stillen. Also das war Spangenbergs geheimnisvoller Besucher. Der alte Lomnitz war es freilich nicht, immerhin war mit Sicherheit anzunehmen, daß der Unbekannte an dem Falschmünzer-Komplott in hervorragender Weise beteiligt war, ja, vielleicht war er der Vermittler zwischen Spangenberg, dem Generalvertreter, und dem Hersteller der Falsifikate.
Feldau sah sich jetzt nach seinem Jugendfreunde um. Brenner war wieder stark im Verlust, anstatt den bereits gehabten Schaden wieder ausgleichen zu können, und als ihm der Pseudo-Oberkellner die Hand auf die Schulter legte und ihn aufforderte, sich ein wenig zu »verpusten« und zu erfrischen, stand er seufzend und sich mit der zitternden Hand über das Gesicht streichend, auf. Sie traten an den Tisch, der an einer der Seitenwände stand und auf dem ein einfaches kaltes Büfett Hungrige und Durstige lockte. Sie aßen ein belegtes Butterbrot und leerten dazu ein paar Flaschen Bier.
Feldau fragte den Freund über Namen und Verhältnisse einiger der Spieler aus. Immer lautete die Antwort: Bäcker, konditioniert da und da oder ist stellenlos. Nach einer Weile kamen Spangenberg und sein Freund und mutmaßlicher Komplice zurück; Feldau deutete mit diskreter Gebärde nach dem Unbekannten und zischelte dem neben ihm Stehenden zu: »Wer ist das?«
Brenner zuckte die Achseln. Er wußte nur anzugeben, daß er kein Bäcker wäre, daß er mit dem Schwager des Bratz offenbar gut befreundet war und daß Spangenberg den anderen ein paarmal mit dem Scherznamen »Assessor« hatte anreden hören.
Assessor!
Das Wort wirkte wie ein Blitz der Erkenntnis in Feldaus Gedächtnis.
War das nicht der Spitzname eines der Vigilanten des Kommissars Weigand, den dieser in der Verbrecherwelt führte? Ja! Und jetzt erinnerte er sich an den bürgerlichen Namen des ehemaligen Zuchthäuslers: Kerner!
Er hatte den »Assessor« einmal vom Fenster von Weigands Büro aus gesehen, als der Vigilant gerade das Polizeigebäude zu verlassen im Begriff stand.
»Den sehen Sie sich einmal genau an und prägen Sie sich sein Bild ein!« hatte der Kommissar gesagt. »Den werden wir sicherlich eines Tages bei irgend einer Spitzbüberei ertappen. Ich habe ihn eben zum Teufel gesagt!«
Darauf hatte ihm Weigand ein kleines Erlebnis mitgeteilt, das recht charakteristisch für die Beurteilung des Vigilantentums war. Er habe Licht und Kerner, die mit der Verbrecherwelt (die natürlich nicht von dieser doppelten Tätigkeit der beiden ehemaligen Zuchthäusler unterrichtet war) in Verbindung standen, eine Zeitlang beschäftigt. Kerner habe seinem Kameraden Licht seinen Anteil an den ihnen vom Kommissar zugemessenen Honoraren offenbar nicht gegönnt und ihn deshalb eines Tages »alle werden« lassen. Der Vigilant sei nämlich zu ihm gekommen und habe ihm mitgeteilt, daß in der Nacht in ein großes Pelzwarengeschäft eingebrochen werden sollte. Er – der Kommissar – habe sich mit einigen Schutzleuten in dem Geschäft versteckt und die Einbrecher, die sich tatsächlich in der Nacht ahnungslos eingestellt hatten, auf frischer Tat festgenommen. Seine Überraschung sei nicht gering gewesen, als er seinen Vigilanten Licht als einen der Einbrecher festgestellt habe. Durch Lichts Aussagen und mit Hilfe von Kombinationen habe er herausgebracht, daß Kerner selbst den Plan zu dem Einbruch angeregt und Licht listig an die Sache »herangeschoben« habe, während er sich im letzten Augenblick unter einem Vorwande von der nächtlichen Expedition zurückgezogen hatte.
Diese Voraussage des erfahrenen Kriminalisten schien bereits in Erfüllung gegangen zu sein, denn daß Kerner Spangenbergs Komplice in dem Münzverbrechen war, ließ sich kaum bezweifeln.
Feldau kehrte mit seinem Jugendfreunde zum Spieltisch zurück, an den auch der »Assessor« herangetreten war. Er beobachtete, während er selbst pointierte, wie Kerner sogleich leidenschaftlich ins Zeug ging. Ja, er war offenbar ein passionierter Spieler, denn je mehr er verlor, desto höher wurden seine Einsätze. Es dauerte gar nicht lange, so schien er seine ganze Barschaft verloren zu haben. Fluchend faßte er in seine Tasche, um die Hand wieder leer zurückzubringen. Ein paar Sekunden stand er ratlos und unschlüssig; seine Blicke glitten über den Spieltisch hin und blieben begehrlich, wie gebannt, an dem Geldhaufen hängen, der vor dem Bankhalter lag. Seine Augen öffneten sich weit und sprühten vor Haß und Gier. Plötzlich zuckte ein Ausdruck von Hohn und Grimm über sein Gesicht, und mit einem entschlossenen Ruck griff er in seine Rocktasche, aus der er gleich darauf ein Päckchen Banknoten hervorzog.
Dem Polizeiagenten gab es einen Ruck, und unwillkürlich straffte sich sein Körper. Die Versuchung, vorzustürzen und dem »Assessor« die Geldscheine aus der Hand zu reißen, wandelte ihn an, und er mußte seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um nicht diesem Impulse nachzugeben. Kerner löste eine der Banknoten von den anderen und legte sie auf den Tisch. Richtig! Es war, wie Feldau geahnt hatte, ein Fünfmarkschein.
Der »Zocker« schlug um, und der Geldschein wanderte zu dem vor dem Bankhalter aufgestapelten Silber- und Nickelhaufen. Die Tatsache, daß Bratz den Fünfmarkschein ohne irgendein Zeichen des Protestes oder des Unwillens eingestrichen hatte und daß Kerner kein Bedenken getragen hatte, ihn in Zahlung zu geben, registrierte der Polizeiagent bei sich als einen Beweis dafür, daß Spangenbergs Schwager nichts von dessen Tätigkeit als Verbreiter der Falsifikate wußte. Aber war die Annahme, daß jener Fünfmarkschein ein falscher war, nicht eine voreilige? In Feldau schoß natürlich der Wunsch hoch, den verdächtigen Fünfmarkschein an sich zu bringen, aber er war noch zu keinem Entschluß gelangt, als er sah, wie Spangenberg an Kerner herantrat, der eben im Begriff stand, sein Spiel fortzusetzen. Spangenberg legte seine Hand schwer auf des »Assessors« Schulter, zog ihn mit sanfter Gewalt zurück und flüsterte mit drohender, zürnender Miene auf ihn ein.
Kerner schien keinen Widerspruch zu wagen, sondern er steckte die übrigen Banknoten ein und zog sich mit Spangenberg an das Büfett zurück. Den Polizeiagenten aber bestärkte die soeben insgeheim beobachtete Szene, die sich blitzschnell abspielte und die die anderen vom Spiel erregten und ganz in Anspruch genommenen Spieler nicht beobachtet hatten, in seinem Verdacht. Der Wunsch, den vor Bratz liegenden Fünfmarkschein an sich zu bringen, war so glühend in ihm und beherrschte ihn so ganz, daß davor jeder andere Gedanke zurücktrat und daß er darüber jede mit Rücksicht auf Spangenberg gebotene Vorsicht vergaß. Entschlossen trat er an den Bankhalter heran und bat ihn, ihm die Banknote gegen Kurant zu überlassen. Bratz, gänzlich ahnungslos, zögerte nicht einen Augenblick, den höflichen Wunsch des neuen Gastes, den man sich warm halten mußte, zu erfüllen. Feldau steckte den Fünfmarkschein mit stiller Befriedigung ein. Als er nun aber seine Blicke zu Spangenberg und dessen Genossen hinüberschweifen ließ, sah er dessen Augen mit einem Ausdruck starken Mißtrauens auf sich gerichtet. Ja, es schien ihm, als ob Schreck und Haß aus Spangenbergs funkelnden Mienen sprachen.
Feldau sah ein, daß er doch vielleicht unbesonnen und voreilig gehandelt hatte, denn des Verbrechers Argwohn schien diesmal in hohem Grade geweckt. Er nagte hastig mit den Zähnen an der Unterlippe, richtete ein paar heftige Flüsterworte an den »Assessor« und war eben im Begriff, an Bratz heranzutreten, als der Regulator an der Wand die achte Stunde verkündete.
Das war für die meisten Anwesenden ein Zeichen, das Spiel einzustellen und aufzubrechen. Feldau beobachtete, wie Spangenberg auf seinen Schwager einredete und wie Bratz darauf ihn – Feldau – mit den Augen suchte, die Karten niederlegte und Brenner zu sich heranwinkte. Der junge Bäcker hörte mit ärgerlicher Miene den Worten des »Booß« zu, schien heftig zu widersprechen und kam dann zu dem neugierig und ahnungsvoll ihn erwartenden Polizeiagenten zurück.
Während sie die Spielhölle verließen, teilte Brenner Feldau mit, daß Bratz ihm verboten habe, seinen Freund je wieder mitzubringen, da es bei ihm Grundsatz sei, nur Kollegen und seine und seines Schwagers persönliche Freunde zuzulassen. Feldau lachte.
»Na, darum brauchst du dich nicht aufzuregen, lieber Karl,« entgegnete er. »Ich werde ohnedies nicht mehr mitkommen, denn mir liegt nichts daran, mir mein gutes Geld von dem Gauner abnehmen zu lassen.«